nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Thu Nov 30 16:05:55 1995
 

Bleibt radikal

"es ging ja nie um illegalität als selbstzweck, sondern als voraussetzung für freie kommunikation und vermittlung radikaler politischer Inhalte"(ID-Interview mit einer radi-gruppe, 1989)

13. Juni 1995: Die Bundesanwaltschaft inszeniert einen gross angelegten Coup gegen linksradikale Srukturen. Ab 6.00 Uhr morgens werden bundesweit ca. 50 Wohnungen und linke Projekte gestürmt. Die bürgerlichen Medien unterfüttern die Aktion willfährig als "Schlag gegen terroristische Gruppen", zurren die Schleife um das BAW-Paket von AIZ, K.O.M.I.T.T.E. und radikal unhinterfragt zu und sichern es durch einen medialen Doppelknoten ab. Legitimiert durch die Zauberformel des §129 (ob nun a oder nicht),sowie der Stigmatisierung durch die Bezeichnung "terroristische Gruppen", erscheint die Vorgehensweise der Bullen als normal. Dass da Wohnungen von Hundertschaften gestürmt werden, mit gezogener Knarre Kinder aus dem Bett gezerrt werden, fiese Bullenfressen verborgen hinter ihrer Anti-Terror-Maske diese Knarren auf die Köpfe von Menschen richten, denen "nur" die Mitarbeit an einer linksradikalen Zeitung unterstellt wird - das ist bundesdeutsche Realität. Unter dem Vorwand, sie hätten die radikal verteilt oder gar hergestellt, wurden Menschen aus der linken Szene quer durch die Republik, von Berlin über Hamburg bis Köln terrorisiert. Die grösste Durchsuchungsaktion gegen die deutsche Linke - kurdische GenossInnensind in den letzten Jahren regelmässig in diesem Ausmass heimgesucht worden - seit langer Zeit. Am Abend im Fernsehen dann kaum noch ein Wort über AIZ und K.O.M.I.T.T.E., dafür aber - soviel publicity hatten wir schon lange nicht mehr - reichlich Bilder aus dem radikal-Archiv des BKA, peppig in Szene gesetzt und die Meldung von 4 Verhaftungen mit der Begründung: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, der radikal. Zudem werde gegen 21 Bekannte sowie weitere Unbekannte wegen der Unterstützung bzw.der Mitgliedschaft in unserer "kriminellen Vereinigung" ermittelt.Genügend Gründe also, uns selbst abseits der normalen radikal-Ausgaben zuWort zu melden. Das dies nicht eben schnell geht, wissen alle, die die radikal kennen oder selbst Erfahrungen mit überregionalenOrganisationsstrukturen haben. Wir werden uns hüten, unseren Stellenwert im linksradikalen Geflecht überdie Intensität der Repression höher zu hängen als er wirklich ist. Wir mussten immer mit einem solchen Schlag rechnen. Und doch ist bemerkenswert,mit welcher Härte der Apparat gegen ein Zeitungsprojekt vorgehen kann, ohne auch nur mit dem Hauch eines Aufschreis von Seiten einer "linksliberalen Oeffentlichkeit" rechnen zu müssen. Bezeichnend ist auch die Kontinuität, mit der selbst in Zeiten einer schwachen radikalen Linken gegen solche Strukturen vorgegangen wird. Kaum scheint die BAW bei ihrem ersten Versuch gescheitert, die Göttinger Antifa (M) mittels demselben Paragraphen 129 zu kriminalisieren, und gerade dürfte in Vergessenheit geraten sein, dass das Kölner Kurdistan-Büro neben zahlreichen anderen kurdischen Vereinen von den Bullen gestürmt und zuvor verboten wurde, weil es den "PKK-lastigen"Kurdistan-Rundbrief herausgegeben hatte, da landet die Staatsgewalt ihrennächsten Coup gegen die Reste organisierter Strukturen der radikalen Linken in Deutschland - am gleichen Tag, an dem der Nazi-Briefbombenterror gegeneinen Lübecker SPD-Politiker zuschlägt. Es ist offensichtlich, dass sich dieser Schlag nicht nur gegen uns richten sollte. Wir haben lediglich einen günstigen Vorwand abgegeben. "Die Aktion war eine zielgerichtete präventive Massnahme zur Einschüchterunggegen die linksradikale Szene", liess Innenminister und AbschiebespezialistKanther noch am selben Abend verlautbaren. Während sich der rechte Terrorverschärft und das grosse Deutschland in rot-grün-schwarzer Einigkeit zum ersten Auslands Einsatz der Bundeswehr bläst, soll klar gemacht werden, wo der wirkliche Feind steht, nämlich links. Die Botschaft des Vormittags ist eindeutig, der Zusammenhang AIZ, K.O.M.I.T.T.E. und radikal sollte in den Köpfen, auch in denen der Linken, hängen bleiben, und damit eine Gleichstellung dieser Gruppen bewirken, um die Kriminalisierung zuvereinfachen. Zur bescheidenen Erinnerung:Wir machen und verteilen eine Zeitung. Eine Zeitung, in der jenseits staatlicher Kontrolle und Selbstzensur (Schere im Kopf) unter anderem eine Auseinandersetzung über Strassenmilitanz und bewaffneten Kampf stattfindet- und das zweifellos nicht "neutral". Wir lehnen die Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols ausdrücklich ab. Im Gegenteil, wir sind parteilich. Die bestehenden Verhältnisse können nur dann erschüttert werden, wenn sich die linksradikalen Gruppen und Zusammenhänge Fähigkeiten und Strukturen aneignen, um punktuell auch schon heute wirksame Gegenmacht entwickeln zu können. Dies schliesst notwendigerweise militante und auch bewaffnete Interventionen mit ein, welche ohne Rückkopplung und Vermittlung ins Leere laufen. Natürlich freuen wir uns über jede durch militante AntifaschistInnen verhinderte Nazi-Veranstaltung. Als eine unserer Aufgaben sehen wir es an, faschistische Strukturen aufzudecken, um dadurch alte und neue Nazis angreifbarer zu machen und halten dies auch weiterhin für einen - einen - wichtigen Aspekt antifaschistischer Arbeit. Selbstverständlich wäre auch unsere Begeisterung gross gewesen, hätten wir den Titel der nächsten Ausgabe mit dem Bild des gesprengten Abschiebeknastes in Berlin/Grünau zieren können. Jede/r, der oder die versucht, gegen die deutsche Flüchtlingspolitik zu intervenieren, hättesich über diesen konkreten Schritt gegen die Abschiebemaschinerie gefreut. Eine radikale Linke, die ihre Geschichte der letzten 25 Jahre ernst nimmt,muss sich mit den Erfolgen und Fehlern von bewaffneten und militanten Gruppen, seien es RAF, Bewegung 2. Juni, Revolutionäre Zellen oder militante autonome Gruppen auseinandersetzen und daraus Konsequenzen fürdie Zukunft ziehen. Und sie darf sich nicht darauf beschränken, in die Geschichte zurückzublicken, sondern muss die aktuellen Entwicklungen wahrnehmen und ein Teil von ihnen bleiben, dh. sich in den jetzt agierenden antifaschistischen Zusammenhängen bewegen oder beispielsweise die Auseinandersetzung mit den von uns sehr kritisch beäugten AIZ führen. Der Raum für diese Diskussionmuss staändig neu erkämpft und gegen staatliche Angriffe verteidigt werden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger versucht die radikal zu ermöglichen,indem sie eine notwendige Struktur zur Verfügung stellt und sich punktuellselber zu Wort meldet. Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass die Bullenaktionen gegen die radikal immer gleichzeitig der Kriminalisierung anderer linker Strukturen, die diesen notwendigen Raum zur Verfügungstellen, Vorschub leisten. So zB. der Kriminalisierung von Infoläden und anderen linksradikalen Zeitungen. Dem aktuellen Angriff gegen uns liegenim Vergleich zu den vorherigen repressiven Kampagnen zwei grundsätzlichneue Qualitätsunterschiede zugrunde. Einerseits werden wir nun zureigenständigen "kriminellen Vereinigung" gemacht, andererseits wird der radikal erstmalig "durchgängig strafbarer Inahalt" unterstellt. Ein Blick in die letzten Ausgaben zeigt, was denn nun alles strafbar sein soll. Antirassistische Strassenumbenennungen in Braunschweig, Thesen zu Nationalismus und Befreiungskampf in Kurdistan, eine Aufarbeitung der Geschichte der patriarchalen Geschlechterspaltung, ein Aufruf zur Nutzung nichtkommerzieller Radios, Debatten über linke Kampagnen zum 8. Mai ...Strafbarer Inhalt? Mussten bisher immer einzelne Artikel, meist wegen"Unterstützung terroristischer Vereinigungen" kriminalisiert werden, spart sich jetzt die BAW die Mühe und erklärt uns der Einfachheit halber gleichzur "kriminellen Vereinigung". Damit wird offensichtlich jeder Inhalt kriminell. Gerade aber die Mischung aus theoretischen Aufarbeitungen und konkretem Ein- und Angreifen, aus Diskussionen und praktischen Handlungsanleitungen, macht die radikal für viele lesenswert. Und auf diese Mischung legen wir Wert. Die radikal soll mobilisieren zum Kampf gegen Nazis und Tips zum Stoppen des Castor-Transports geben, sie soll aber auch informieren über die Debatte zum Antinationalismus oder Hintergründe zur Enstehung kapitalistischer oder patriarchaler Strukturen vermitteln. Und sie soll vor allem denen in den hintersten Winkel der Republik Raumbieten für ihre Aktionen und Schwierigkeiten, die den Augen einer metropolenfixierten und abgeklärten Linken schon lange entgangen sind. Diese Mischung erklärt die BAW als kriminell. Was die Verfolgungsbehörden über uns erzählen, klingt fast wie ein Krimi. "Hochkonspirativ" seien wir organisiert, zudem hätten wir "festgefügte Organisationsstrukturen". Was da gefährlich und straight anmutet ist jedoch eher eine banale Feststellung. JedeR, der oder die eine Zeitung machen will, braucht "festgefügte Organisationsstrukturen", muss sich zusammensetzen, über den geplanten Inhalt diskutieren, die Verteilung organisieren, Abos verschicken, Artikel schreiben, auf LeserInnen antworten und und und. Was uns von jeder legal erscheinenden Zeitung unterscheidet ist die Tatsache, das wir diese Struktur der staatlichen Kontrolle und damit dem Zugriff derZensurbehörden entzogen haben. Wir haben über die Jahre eine Organisationsstuktur aufgebaut, mit der eine für den derzeitigen Zustand der radikalen Linken vergleichsweise hohe Auflage von Zeitungen verdeckt bundesweit verteilt wird. Wie in anderen Gruppen, die versuchen, offene oder verdeckte Strukturen aufzubauen, sind wir so wieder zur Zielscheibe staatlicher Repression geworden. Aus ihren Augen gesehen hat die BAW dafür gute Gründe, denn alle bisherigen Schritte gegen uns haben ihr Ziel nicht erreicht. Immer erschien die radikal weiter und hängte sich keinen Maulkorb um. 1982 wurden ca. 20 Wohnungen, Buchläden und Druckereien durchsucht, um gegen die radikal wegen der "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" vorzugehen. 1984 wurden zwei angebliche Herausgeber der Zeitung zu zweieinhalb Jahren Knast verurteilt. Sie konnten sich der Haft entziehen, da sie als Abgeordnete für die Grünen ins Europaparlament gingen. 1991 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Zahlung einer Geldbusse ein. Der nächste Schlag folgte 1986, als dieradikal schon verdeckt organisiert war. Diesmal waren ca. 100 Buchlädenund Wohnungen das Ziel der Bullen. Knapp 200 Verfahren wurden eingeleitet, letztendlich wurden fünf Leute zu 4-10 Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Repressionswelle 1986 hatte - neben den immer miteinkalkulierten Zielsetzungen der Einschüchterung und Abschreckung, sowie der Fixierung der Aktivitäten auf die Repression - vor allem eins im Sinn. Die radikal sollte aus der Öffentlichkeit vertrieben und ihr Wirkungskreis eingedämmtwerden. Dies gelang nicht. Trotz dem Abspringen zahlreicher Buchläden, die meist noch aus der legalen Zeit der radikal stammten und lediglich hohe Zahlungsdefizite hinterliessen, wurde die Arbeit an der radi sowie derenVerteilung immer dezentraler aufgeteilt. Ein ganzes Netz aus Gruppen und Personen übernahmen aus ihren Bedingungen heraus ein Stück Verantwortungfür die Zeitung. 1989 schlugen die staatlichen Zensurbehörden ein weiteres Mal zu, nachdem der Amsterdamer ID-Verlag ein Interview mit uns als Broschüre herausgegeben hatte. Der Schlag der BAW macht einmal mehr deutlich, dass das ganze Gezetere der bürgerlichen Medien und der Linksliberalen gegen die Politik bewaffneter Gruppen mit dem Tenor "Eure Aktionen ermöglichen es der Staatsgewalt, die Repressionsschraube immer weiter anzudrehen" vollkommene Augenwischerei sind. Auch durch den Gewaltverzicht der Guerilla wird nicht der Raum geöffnet für"gesellschaftlich andere Auseinandersetzungsebenen". Die Aufmerksamkeit der Saubermänner für Ordnung und Ruhe richtet sich weiterhin gegen linksradikale Gruppen, die als gemeingefährlich definiert und im gewohnten und bereits erreichten Niveau angegriffen werden. Vier Leute sitzen jetzt im Knast ! Das geht auch an uns nicht eben locker und spurlos vorbei. Daher wollen wir auf alle Fälle den Austausch und die kommunikation mit den Solidaritätsgruppen. Der Vorwurf gegen die 4 lautet: Sie sollen die radikal gemacht und verteilt haben. Aber wer "macht" denn eigentlich die radikal ? Diejenigen, die Berichte von ihrer letzten Antifa-Aktion schicken, oder jene, die mal eben 10 Zeitungen von hier nach dort bringen und in ihrem FreundInnenkreis verteilen, oder vielleicht der, der ein paar Berichte abschreibt undlay-outet. oder die, die dafür sorgt das nur ein einziges exemplar durch die mauern des Knastes dringt ? Vielleicht meint die BAW ja auch die, die wochenlang diskutieren, um danach lange artikel in der radi zuveröffentlichen. Oder jene, die tagelang hinter der Druckmaschine stehen ? Wir wissen nicht ganz genau, wen die Verfolgungsbehörden als die radikal bezeichnet, aber wir wissen, gemeint sind wir alle ! Alle die weiterhin darauf bestehen, dass die radikale Linke Kommunikationsstrukturen braucht, die sich der Kontrolle und dem Zugriff der Staatsgewalt des Staatsapparates entziehen. Und alle, die weiterhin darauf bestehen, dass man/frau sich organisieren muss, um im kapitalistisch-patriarchalen Alltag nicht unterzugehen. Deshalb liegt es auch an uns allen, diesen Angriff nicht unbeantwortet zu lassen und hinzunehmen.

Wir brauchen eine unkontrollierte Widerstandspresse !
Lest, nutzt, verteilt und bleibt radikal !
Powrige Grüsse an Rainer, Ralf, Werner und Andreas !
Raus mit den Gefangenen !
Die Zähne zeigt wer's Maul aufmacht !

Einige radikal-Gruppen

Die radikal ist erreichbar über 1. Umschlag: NN, Van Ostadestraat 233n,NL-1073 Amsterdam. 2. Umschlag: Z.K.