Fünf Genossen sitzen im Knast, vier von ihnen soll der Prozeß gemacht
werden, weil sie die angeblichen "Macher" der linksradikalen Zeitschrift
'radikal' sein sollen. So die Bundesanwaltschaft.
Wer oder was ist die Zeitschrift 'radikal'?
Diese Frage wird in der Solidaritätsarbeit immer wieder gestellt.
Da keiner von uns diese Frage besser beantworten könnte als diejenigen die
die 'radikal' machen, haben wir uns entschieden das Interview, welches vom
ID-Archiv im IISG / Amsterdam, 1989 mit Menschen der 'radikal' gemacht
wurde zu dokumentieren. Aus diesem Interview geht so ziemlich alles hervor
für was die 'radikal' steht und was sie aus ihrem Selbstverständnis heraus
ist.
Vor ein paar Monaten schrieben wir an die Kontaktadresse der radikal und
baten die MacherInnen um Stellungsnahmen zu einigen Fragen, die sich auf
die Themen Zensur und illegale Zeitungsproduktion bezogen. Geplant war
dieses schriftliche Interview für den Band 'Schwarze Texte Zensur in der
BRD. 1968 bis heute'. Dort sollte das radikal-Interview als eine Position
zur Diskussion über die Perspektiven der Gegenöffentlichkeit integriert
werden. Wir hatten einen Beitrag von vielleicht 5-10 Seiten erwartet und
waren überrascht, als wir diese ausführlichen Antworten erhielten.
Einerseits freut es uns, daß die MacherInnen der Zeitung in der
öffentlichen Vermittlung ihrer Arbeit eine Notwendigkeit sehen,
andererseits passt der vollständige Abdruck des 'Interviews' nicht in die
Konzeption der 'Schwarzen Texte'.
Das im September erscheinende Buch 'Schwarze Texte' zeigt die Kontinuität
der staatlichen Zensormaßnahmen gegen linke Buchläden, Verlage,
Zeitschriften, Vertriebe, Drukkereien, dokumentiert eine Auswahl
verbotener Texte und versucht stichpunktartig Diskussionsansätze der
letzten 20 Jahre zum Thema Zensur und Gegenöffenltichkeit nachzuzeichnen.
Die radikal ist ein Bestandteil dieser Diskussionen. Gerade die Repression
gegen sie bzw. die angeblichen MitarbeiterInnen und WiederverkäuferInnen
ist beispielhaft für die staatliche Unterdrückung einer freien
Widerstandspresse in der BRD. Doch trotz jahrelanger Kriminalisierung
existiert die radikal noch. Deshalb ist eine Auseinandersetzung über
Zweck, Notwendigkeit und Widerprüche illegaler Zeitungsproduktion
sinnvoll, auch wenn die von der radikal praktizierte klandestine
Herstellung und Verbreitung in der Linken nicht ungeteilte Akzeptanz
findet.
Im folgenden Interview geht es um: die geschichte der Zeitung von 84 bis
heute; der Bezug der heutigen MacherInnen zur 'alten' radikal (76-84); den
Umgang mit dem Mythos des Blattes, der sich hauptsächlich am Namen
festmacht; die Widersprüche der Illegalität und die Bedeutung der
Repression; das Verhältnis zu den WiederverkäuferInnen; die Einschätzungen
zum Abdruck von Anleitungen und Erklärungen; die Unterschiede und
Gemeinsamkeiten zu anderen linksradikalen Zeitungen.
Wir finden die Stellungsnahmen der radikal in ihrer Ausführlichkeit
lesenswert und brauchbar für Diskussionen. Aus diesem Grund haben wir uns
zu der Herausgabe dieser Broschüre entschlossen, auch wenn es uns durch
die Art der schriftlichen Kommunikation nicht möglich war, an einigen
Punkten nachzuhaken bzw. darüber zu diskutieren.
'radikal - Ein Interview' erscheint mit Genehmigung der unbekannten
VerfasserInnen ungekürzt und wird der interessierten Öffentlichkeit zur
Verfügung gestellt.
ID-Archiv im IISG Juli '89
1976 wird die radikal als Sozialistische Zeitung für Westberlin gegründet.
1978 laufen die ersten kleinen Verfahren gegen die radikal an, darunter
eines wegen dem Nachdruck des 'Buback-Nachrufs'. Der presserechtlich
Verantwortliche der Zeitung wird dafür zu 875.- DM Geldstrafe verurteilt.
Die anderen Einschüchterungs- und Kriminalisierungsversuche enden aber
meist ohne Erfolg für die Staatsgewalt, dh., die Verfahren werden
eingestellt bzw. es erfolgt ein Freispruch.
Im Februar 1982 erhebt die Staatsanweltschaft zum ersten Mal Anklage nach
129a, wegen '.Werbens für die terroristische Vereinigung 2.Juni.' Das sich
die dementsprechende Vereinigung jedoch juristisch nicht nachweisen läßt,
kommt es zu keiner Hauptverhandlung. Doch das ganze Jahr ist die 'Zeitung
für unkonventionelle Bewegungen' von Bespitzelungen bis hin zu offensiven
Observationen der HandverkäuferInnen ausgesetzt. Am 1.12. erfolgt dann der
große Schlag der Berliner Staatsschützer. 14 Privatwohnungen, 2 besetzte
Häuser, 3 Druckereien, 2 Buchläden, 1 Verlag, 1 Buchvertrieb, 1
Fotosetzerei sowie die Vereinsräume der 'Zeitungskooperative' wetden zum
Auffinden von Beweismitteln, gegen die damals schon unbekannten Verfasser
und Hersteller der radikal, durchsucht. Angeblich sollen zahlreiche
Erklärungen der Revolutionären Zellen den Straftatbestand 129a erfüllen.
Tatsächlich richtet sich die Repression aber gegen die Funktion der
Zeitung. 'radikal' ist in der Phase des Häuserkampfs das wichtigste
Sprachrohr und Diskussionsorgan der autonomen Bewegung. Das Blatt ist
maßgeblich an der Mobilisierung zu den Stör- und Protestaktionen gegen die
Reagan Propaganda Show (10.11.82) und anderen unruhigen Ereignissen in
Westberlin beteiligt.
Stellvertretend für die unbekannten Redaktionsmitglieder werden am 13. und
14.6.83 Michael Klöckner und Benny Härlin wegen 'Werbung und Unterstützung
einer terroristischen Vereinigung' verhaftet. Erst am 19.8.83, nach
lautstarken öffentlichen Protesten, erhalten beide Haftverschenung gegen
Zahlung von 30.000 DM Kaution.
Vom November 1983 bis März 1984 findet der Prozeß gegen Michael Glöckner und Benny Härlin vor dem Berliner Kammergericht statt. Eine breite Solidaritätskampagne begleitet den Prozeßverlauf. Die Empörung gegen den Prozeßverlauf äußert sich neben vielen Protestaktionen der Linken auch in Teilen der bürgerlich-liberalän Öffentlichkeit. Doch unbeeindruckt davon verurteilt Richter Pahlhoff, ganz auf Linie der Staatsanweltschaft, nach 36 Prozeßtagen am 1.3.84 Klöckner und Härlin gemäß 129a zu je 30 Monaten Haft. Michael Klöckner, weil er redaktionell mitgearbeitet, das Konto geführt und die Zeitung bei der Post aufgegeben haben soll.
Gegen Auflage von einer wöchentlichen polizeilichen Meldung wird beiden
Haftverschonung gewährt. Bei den Wahlen zum Europaparlament werden Härlin
und Klöckner auf der Liste der Grünen im Mai 1984 nach Straßburg gewählt.
Im Mai 1985 wird die Immunität als Abgeordnete vom Europaparlament
bestätigt.
Die Repression gegen die radikal geht jedoch unvermindert weiter. Am
12.4.84 werden erneut 2 Druckereien und die Wohnung zweier Leute im
Zusammenhang mit der Herstellung der Zeitung durchsucht. Gegen eine
Person, die später in den Niederlanden politisches Asyl beantragt, wird
Haftbefehl erlassen. Das Bankkonto der radikal wird gesperrt und am 19.4.
nehmen Staatsschützer jemanden bei der versuchten Öffnung des Postfachs
fest. Das Postfach wird rund um die Uhr observiert und ankommende Post
beschlagnahmt. Um noch postalisch erreichbar zu sein, stellt die taz
vorübergehend ihre Adresse zur Verfügung. Am 2.5.84 wird sie deshalb von
der Staatsanweltschaft durchsucht, alle eingegangenen Briefe werden
beschlagnahmt. Ein paar Tage später erklären die MacherInnen der radikal,
daß sie unter diesen Bedingungen nicht mehr weitermachen wollen und geben
in der Nr. 126/127 die Einstellung der Zeitung bekannt.
Zur Überraschung vieler erscheint einige Monate später die radikal erneut.
Im Editorial der Nr. 128 'Frohe Botschaft - Der Kampf geht weiter' ist zu
lesen: "So Leute, habt ihr also gedacht es wäre zu Ende-mit der radikal...
Habt ihr sie schon auf der Liste der von 'Verfassungsschutzorganen'
totgeprügelten linken Initiativen angekreuzt und archiviert...
Wir wollen nicht verhelen, daß das Frohlocken darüber, der Repression ein
Schnippchen geschlagen zu haben einen guten Teil der Motivation bei der
Produktion dieser Nummer ausgemacht hat.
Und jetzt zu uns: Diese Zeitung kann nur versteckt geschrieben und
produziert werden......."
aus: 'Schwarze Texte' - Chronologie
ID-Archiv: Die alte radikal (1976-1984) verstand sich selbst als Zeitung ' von der Bewegung - für die Bewegung'. Ihr offensives Thematisieren militanter Aktionsformen, die teilweise sehr anspruchsvollen Theoriediskussionen und vor allem ihr fast schön ästhetisches Lay-out fand in der autonomen Szene Begeisterung. Die radikal dokumentierte, kritisierte, anaylisierte und mobilisierte gleichermaßen. Vor allen in den Jahren 80-84 spiegelten sich in ihr die unterschiedlichen Bedürfnisse der autonomen Bewegung wieder. Was haben die heutigen radikal-MacherInnen für ein Verhältnis zu dieser (ihrer) Zeitung ? Was hat sich eurer Meinung nach in der Bewegung verändert
radi:
eine umfassende antwort ist nicht möglich, denn es gibt schon lange nicht
mehr die redaktion, die den ganzen laden schmeißt. die menschen und
gruppen, die heute bei der zeitung mitmachen, haben eine unterschiedliche
geschichte. beispielsweise sind nicht alle in der bewegung anfang der
80ger rumgewirbelt, oder speziell im häuserkampf in berlin, dessen
eigentliches organ die radi ja war. also für einige ist die geschichte der
zeitung lebendiger, weil sie viel mit den eigenen erfahrungen zu tun hat,
für andere abstrakter.
wir reden hier als eine gruppe. was uns betrifft, gibt es auch
unterschiede. aber im prinzip ist die radi teil unserer geschichte, d.h.
wir waren teil der bewegung, haben häuser besetzt, bewohnt und deshalb
barrikaden gebaut. nebenbei haben wir auch radi gelesen, ohne uns groß
daran zu beteiligen. war halt unsere zeitung. sie ist von leuten gemacht
worden, die du nicht kanntest, aber die haben dasselbe gedacht und gewollt
wie du selbst.
mittlerweile sind wir selbst "diese leute" geworden, und damit hat sich logisch auch unser verhältnis zur legalen radi verändert. es ist genauer und bewußter, aber auch distanziert. das liegt hauptsächlich daran, daß mit dem niedergang dieser bewegung neue dinge in den kopf und in die zeitung reinmußten. du konntest nicht so weitermachen als wäre nichts geschehen. damals schien alles möglich, wenn wir nur viele sind und explodieren. so war die zeitung. heute mußt du möglichkeiten vorbereiten und aus der erfahrung lernen, daß die spontane revolte auch über jahre nicht erreichen konnte, daß sich wirklich wesentliche dinge ändern. 82 war es relativ einfach eine zeitung in berlin zu machen. du mußtest beobachten und die eigendynamik ausdrücken. heute sammeln sich u.a. reste der bewegung und du versuchst erfahrungen weiterzugeben, warum eben das eher nach hinten losgeht und jenes nach vorne. und es geht nicht allein um inhaltliche arbeit, was normalerweise den schwerpunkt bei jeder zeitungsarbeit ausmacht. die arbeit mit dieser zeitung muß verdeckt organisiert werden, damit kriminalisierter inhalt überhaupt veröffentlicht werden kann. es hat konsequenzen wenn du sagst, weitermachen statt anpassen und nach einer nische suchen. es kann bedeuten, daß du langsam untergehst und keiner merkt's. oder du organisierst dich konspirativ, um gena'u diese resignation gegenüber staatlicher krimininalisierung aufzubrechen. also du wirst nicht illegal, weil du bock darauf hast dich zu verstecken, sondern weil es aufgezwungen wird. dahinter steckt die gefahr, nach außen isoliert zu werden. aber illegalität ist nur eine möglichkeit - in manchen situationen die einzige - um den kopf offen und klar zu behalten, damit du genau dort weitermachen kannst, wo du willst. es kommt darauf an, was du daraus machst, also illegalität an sich weder dogmatisch ablehnst, noch verherrlichst. einen umgang damit zu finden braucht zeit, und du neigst schnell dazu auf ein extrem abzufahren, wenn du mit dem anderen konfrontiert bist. da wir diesbezüglich keine erfahrungen hatten, war es ein versuch in ziemlich unbekanntes neuland. von der alten radi konnten wir kaum etwas lernen, außer über ihre kriminalisierung und wie damit umgegangen wurde.
was die bewegung betrifft, konnten wir auch kaum auf etwas aufbauen. als
wir 84 anfingen, war nichts mehr los. die entwicklung eines teils der
bewegung entspricht in etwa auch unserem werdegang in und mit der radi,
nur an jeweils unterschiedlichen punkten.
.viele hören auf und richten sich ein oder verzweifeln. andere brauchen
monate, jahre, ein ganzes leben, um nach der niederlage perspektiven zum
weiterkämpfen zu finden. eben ohne die aufbruchstimmung der
massenbewegung, sondern aus eigener kraft gegen die plötzliche
vereinzelung. so eine grundsätzliche aufsplitterung ist ja schon
geschichtlich bei allen revolten und bewegungen, z.B. bei der apo, der
anti-akw-bewegung oder nach der friedensbewegung. der widerstand in allen
bereichen stößt an immer dieselben grenzen des systems, und auch an die
eigenen. einigen reicht eine diffuse sensibilisierung in der gesellschaft
aus - evtl. auch bei sich selber - andere radikalisieren sich, weil sie
die vorgegebenen grenzen nicht akzeptieren und praktische veränderungen
wollen. unter letzteren geben viele auf, weil sie sich gegenüber der
scheinbaren allmacht ohnmächtig fühlen und resignieren. sie suchen nach
einer nische im system, wo sie bis zum weltuntergang noch einigermaßen
zufrieden leben können, und wenn's die nicht gibt, hauen sie sich mit
herein, alk oder sonstigen ersatzlösungen die birne weg. in der bewegung
zerfällt das 'wir-Gefühl', weil wenn z.b. erfolge ausbleiben, vor der
zunehmenden konfrontation zurückgewichen wird. wenn bullen, die drohung
mit knast und medienhetze diese wirkung erzielt haben, setzt die subtile
repression ein und verstärkt die innere spaltung.
solche entscheidungspunkte gibt es in jeder bewegung, wenn die politischen
forderungen das übersteigen, was das system herzugeben bereit ist. innere
konflikte sind die chance, in 'gute und schlechte' zu teilen. also z.b.
welche die verhandeln und nicht verhandeln, oder militanter und
gewaltfreier widerstand. die 'schlechten', die radikaleren teile der
bewegung, bekommen ein abgestuftes instrumentarium an repression zu spüren
- medienheatz, knast und klapse, bullenterror - um einige wieder zu
'guten' zu machen. welche weiterkämpfen und nach zig bewährungsproben
nicht reformierbar sind, werden aufgegeben und vernichtet.
mit solch beschissener perspektive vor augen wächst natürlich die anzahl der 'guten'. der ausstieg in den einstieg wird ihnen außerdem noch versüßt, d.h. sie bekommen privilegien, von denen die normalbevölkerung nur träumen kann. das sind relative freiräume zur relativen selbstverwirklichung im system, geld und sogar funktionen. im resultat hast du dann ehemals militante häuserkämpferInnen, die ihr haus mit staatskohle reparieren und davon leben, und in einem verinnerlichten abhängigkeitsverhältnis schon die barrikaden anderer wegräumen, um ihren frieden mit dem system aktiv zu verteidigen. das ist ein beispiel aus der realität in kreuzberg nach der bewegung.
kreuzberg ist überhaupt ein gutes beispiel, wenn du dir die reaktionen nach dem 1. mai 89 anschaust. der bezirk ist ein unkontrollierbarer unruheherd und gegenmacht zur herrschaft, in der linke positionen aber nur einen teil ausmachen. der staat finanziert einen aufgeblähten apparat an alternativprojekten, sozialstationen und sanierungsträgern, in dem u.a. der reformierte teil vergangener bewegungen integriert ist und heute handfeste staatliche funktionen erfüllt. sowas findest du nirgendwo sonst in solchem ausmaß in der brd - diese gleichzeitigkeit von relativem freiraun und arbeitsbeschaffungsmaßnahme zur selbstverwirklichung. wo herkömliche mittel der aufstandsbekämpfung (wie bullenknüppel) versagen, werden leute mit geld gekauft. es entsteht eine struktur, die viel effizienter - weil nahe an der basis - die staatliche funktion der herrschaftssicherung übernimmt, und mit der zeit selbst zur herrschenden macht wird. das sind gewollte prozesse, die vielen eingekauften nicht bewußt sind. da mögen einige mit guten absichten und einem radikalen selbstverständnis angefangen haben, aber die zeit arbeitet gegen sie. ihre existenz hängt am staatlichen tropf, und staatliche kohle wird nur vergeben, wenn sie staatlichen interessen dient. mit diesem widerspruch wirst du auf dauer schizophren oder entscheidest dich. die allermeisten entscheiden sich für den weg durch bestehende institutionen oder gründen neue, die sie alternativ nennen. sie entscheiden sich also für den weg der macht und der kleinen reformen innerhalb des systems. im ergebnis werden initiativen von unten bekämpft und es entsteht ein qualitativ neuer angriff auf die radikale linke. es ist ein totaler unterschied, ob springer hetzt oder die taz, weil letztere wesentlich mehr einsicht und wirkung innerhalb der schwammigen zielgemeinschaft 'die linke' hat. auch die taz ist zu einem wesentlichen teil produkt der bewegung. wir haben jetzt weit ausgeholt, um unser heutiges verhältnis zur bewegung und zur alten radi zu erklären. es gab eine gemeinsame geschichte, die im augenblick der entscheidung gegensätzlich interpretiert wurde. einige machen weiter, andere werden über die jahre sogar deine feinde, weil sie dich durch die gemeinsame vergangenheit kennen, und so wesentlich effektivere methoden zu deiner bekämpfung entwickeln können, als der bürokratische apparat. also was vor 5 jahren richtig war, kann heute falsch sein, weil sich die bedingungen verändert haben. gäbe es morgen eine neue bewegung wie 68, 76 oder 81, hätte sie eine neue zeitung. die radi wartet nicht auf neue bewegungen, um sich dann wieder voll in's geschehen zu werfen. die zeitung ist heute bruch mit der bewegung und gleichzeitig weiterentwicklung auf der basis gemachter erfahrungen. sie ist der versuch, genaue und verbindliche strukturen zu organisieren, die von bewegungskonjunkturen unabhängig sind. das soll nicht heißen, daß bewegungen unwichtig sind, im gegenteil. in ihnen wird verkrustetes und eingefahrenes denken aufgebrochen, und die mobilisierung geht meist über das traditionelle linke spektrum hinaus. aber sie werden wieder verpuffen, wenn nicht auch erfahrungen und geschichte der kämpfe ernstgenommen werden und strukturell den luftleeren raum füllen. es geht uns u.a. darum, die verbreitung radikaler inhalte zu organisieren, und uns auf die vermittlung eines revolutionären bewußtseins zu konzentrieren, mit gleichzeitigem bezug zur praxis. ja, und diese vermittlung sicher hinzukriegen, das ist unsere praktische aktion, auch wenn sie im gängigen bild von autonomer politik noch nicht so auftaucht.
ID-Archiv: Wie wird mit dem Mythos der radikal, der sich vor allem eben am Namen festmacht, von euch und euren LeserInnen umgegangen ? Das wer (ist) ja eine immerwährende Kritik, dem die radikal bisher öffentlich wenig entgegengesetzt hat.
radi: mythen werden wohl immer bestehen im politischen kampf, denn die meisten menschen brauchen fixpunkte und orientierungen, in gewissem sinne auch idole. das ist schließlich gesellschaftlicher normalzustand. so wie andere auf popstars abfahren, wird halt in der politszene z.b. eine gruppe hochgehalten und idealisiert.
der mythos 'radikal' nistete anfangs auch in unseren köpfen. je mehr du
dich damit auseinandergesetzt hast, desto klarer kommt raus, worum es
dabei geht und wie du dich davon befreist. also der mythos war zunächst
weniger ein problem zwischen uns und leserInnen, sondern hauptsächlich der
eigene konflikt. mythos ist ja ein ziemlich weitläufiger begriff. er wird
in der politischen auseinandersetzung oft verwendet. meistens geht es
darum, die substanz und basis eines kampfes zu verneinen. also nicht
infragestellen, sondern zu sagen: da ist was aufgeblähtes und elitäres, zu
dem ich mich nicht verhalten brauche und das sogar falsch ist. das soll
jetzt nicht heißen, daß es keine mythen gibt, sondern wie damit politisch
umgegangen wird. der mythos radikal hat dieselben ursprünge wie der mythos
raf, rz oder der mythos hafenstraße. das geht noch weiter. es gibt den
mythos des/der vermummten, der militanz oder der klasse, die das maul
aufmacht und sich wehrt. wir möchten den begriff mal übersetzen mit
vorbild oder bewunderung jenen gegenüber, die etwas sagen und tun, was du
selbst gern sagen und tun würdest.
entscheidend ist, wie du selber damit umgehst. also es gibt vorbilder, aus
deren erfahrungen und entschlossenheit du lernen kannst, weil du sie
gleichberechtigt als Menschen siehst. das können viele bücher sein von
leila khaled bis hin zu den texten der rz, die in vielen wg's die regale
füllen. ihr vorhandensein sagt aber nix darüber, wie sie gelesen werden.
viele machen aus den menschen übermenschen, sie werden bestaunt und ihre
erfahrungen nachgeplappert. so wird aus lebendigkeit ein totes idal.
vielleicht weil dein alltag keine Gleichberechtigung mit ihnen zuläßt. du
kannst dich identifizieren, aber die radikalltät nicht bei dir selbst
umsetzen. es gibt auch leute, die ihr minderwertigkeitsgefühl gegenüber
ihren persönlichen mythen noch beschissener verarbeiten. die fangen dann
nicht bei sich selber an, sondern zerfleischen eine an sich richtige
politik, weil sie mit den eigenen Ansprüchen konfrontiert werden und die
nicht raffen. das ziehn wir uns nicht aus dem kopf. solche phänomene haben
wir abgekriegt, und es hat ziemlich lang gedauert, das auch so zu blicken.
erst bist du überrascht und läßt dich immer wieder auf die kritik ein, bis
du akzeptieren mußt, daß es gar nicht um kritik geht, sondern daß sich
leute einfach wehren gegen die existenz der zeitung, die beteiligung
fordert und ihre zufriedenheit angreift.
mythen verändern die realität, das geschehene verändert sich, was du
siehst, wird etwas glattes ohne ecken und kanten. also ein abziehbild oder
eine schablone, die jederzeit gezückt werden kann und konstruktive
auseinandersetzung unmöglich macht. oft ist es egal, ob der mythos sich
als vorbild oder haßsymbol bildet. meist wechselt das eine im laufe der
zeit in's andere: karl's vorbild in der schule war immer atze, weil er gut
im tor war, während er selbst nur mäßig spielen konnte. bis zum tag des
schulturniers. da kassierte atze gleich 5 tore in einem spiel und wurde
von der klasse total zur sau gemacht. karl hatte die wahl: mitbrüllen,
also sein eigenes vorbild runtermachen, oder ihn verteidigen. ein vorbild
gegen alle zu verteidigen geht aber nicht, denn es darf numal keine
schwächen haben. ab da war atze nur noch der letzte depp, weil er im
entscheidenden moment versagte und von karl's aufgebautem sockel fiel.
ähnliche mechanismen spielten sich unserer meinung nach auch innerhalb der
linken in den 70ger Jahren ab. als die raf den bewaffneten kampf aufnahm,
gab es zunächst viel symphatie für diesen schritt. ihre methoden stießen
auf bewunderung, ihre konsequenz schien unerreichbar. mit der zeit
veränderte sich die guerilla in den augen vieler zu einem haufen
übermenschen, die genosslnnen waren aus dem eigenen alltag verschwunden.
als die euphorie nachließ und die zeit der rückschläge folgte, war es
passiert. aus kritik wurde ablehnung, ein großteil der linken distanzierte
sich und begann wenig später, die heldinnen von einst und vor allem die
eigentlich gemeinsamen ziele zu bekämpfen.
das mag jetzt vereinfacht klingen, ist ja auch nur die eine seite der
geschichte. wie mythen entstehen und welche auswirkungen sie haben, hängt
auch von denjenigen ab, die merken müssen, wenn sie hochgejubelt werden.
entscheidendes hat die raf selbst verbrockt. sie haben mit dem mythos
politik gemacht, ihn sogar kräftig vorangetrieben, indem auf kritik meist
selbstgefäälig geantwortet, und bewegungen und sonstige entwicklungen
innerhalb der linken ignoriert oder höchstenfalls abfällig kommentiert
wurden. die avantgarderolle bedingt unserer meinung nach die mythenbildung
zu einem wesentlichen teil. andere haben gegen ihren mythos angekämpft,
wie z.b. die rz. sie haben sich selbst als menschen in einer entwicklung
beschrieben, mit ganz menschlichen problemen und engsten. ihre aktionen
orientieren sich nicht ausschließlich am eigenen stand, d.h. es wird
versucht, revolutionäre politik als wechselspiel zu entwickeln, damit sie
für viele aus ihren eigenen bedingungen heraus machbar wird. das ist ein
grundsätzlich anderer ansatz als jener der bewaffneten sperrspitze. wenn
sie bricht oder stumpf wird, kannst du den ganzen speer wegwerfen. also es
steckt sehr viel dahinter, ob du auf einem mythos aufbaust oder gegen ihn
ankämpfst. einmal konzentrierst du dich auf die eigene position und
verlierst den weg dorthin aus den augen. andersrum konzentrierst du dich
auf diesen weg und förderst eigenständiges wollen und handeln.
verschiedene positionen können sich dann ergänzen, es gibt nicht das
allgemeingültige programm oder die absolute weisheit, nach der genosslnnen
eingeteilt werden.
ein anderes beispiel, das wohl viele nachvollziehen können, ist, wie
genosslnnen aus der hafenstraße politik gemacht haben. der mythos
hafenstr. ist vorhanden in jeder phase ihres widerstandes, der den erhalt
der häuser und eine weiterentwicklung von Leuten zum ziel hatte. die
genosslnnen haben sich nicht in ihre häuser gesetzt und gesagt, schaut her
wie gut wir drauf sind und bewegt eure ärsche. sie haben im stadtteil
organisiert, sind in anderen politischen bereichert aktiv und haben ihre
positionen und ihr selbstverständnis soweit vermittelt, daß radikale
politik selbstbestimmt unterstützt wurde. dann haben sie in vielen städten
nicht etwa podiumsdiskussionen geleitet, sondern sich selbst und ihre
gefühle rübergebracht, die andere bei sich wiederfinden. also nicht
gefordert und leere parolen geschwungen, sondern eigenständigkeit
mobilisiert. das ist wohl ein wesentlicher grund für die solidarität mit
der hafenstr.. sie hat vielmehr substanz als eine mythen-solidarität
gegenüber heldInnen, und pflanzt sich von mund zu mund weiter.
wir reden gerade über andere kämfe und gleichzeitig über unseren. es gibt
wohl unterschiede, also wir können uns z.b. nicht öffentlich hinsetzen und
erzählen. im gegensatz zu den hamburger genosslnnen verschwinden unsere
gesichter und unser leben hinter papier. ihre möglichkeiten haben wir
nicht, weil die kommunikation aus der illegalität heraus nur abstrakt
laufen kann. wir machen die zeitung, schreiben briefe und diskutieren mit
genossInnen zu denen es ein vertrauen gibt innerhalb der gemeinsamen
arbeit. oder wir machen dies interview. es ist eine andere ebene, im
wesentlichen aber derselbe inhalt. auch wir haben an einem mythos
mitgebastelt. zunächst die legale redaktion, indem mit selbstbewußtsein
geprotzt wurde, von dem nach dem urteil 84 kaum was übrigblieb. in
ähnlichem tonfall erschien auch die erste illegale ausgabe, wo der stolz,
den bullen auf der nase rumzutanzen, nicht zu verkennen war. hinter dem
selbstsicheren frohlocken steckte allerdings nicht viel substanz. schon
der. titel der nr.128 - 'anleitung für den herzinfarkt von staat und
staatsanwalt' unter einem abgebildeten grab - macht deutlich, daß wir uns
eher am unterstellten zorn der gegner aufgebaut haben, als an eigener
selbstbestimmung. ungewollt haben wir so eine mystische sichtweise
bestärkt, weil sie auch unter uns vorhanden war. die radi erschien als
selbstzweck gegen die repression, solange und sogut sie weiterbesteht und
organisatorische antworten auf die jeweiligen Schläge findet. demgegenüber
spielte der inhalt eine untergeordnete rolle, obwohl wichtigster faktor,
wenn du sinn und zweck einer zeitung beurteilst.
an den folgen der anfangszeit haben wir auch heute zu knabbern. wir
versuchen dem illegalen prestige unsere eigene veränderung
entgegenzusetzen. in die zeitung soll einfließen, daß sie von
stinknormalen menschen gemacht wird, die wie alle anderen auf demos gehen
und weder gurus noch perfekt sind und sein wollen. wir haben schiß und
pauer, sind schwach und stark. wir sind selbstbewußt, wenn viele zustimmen
und zweifeln, wenn es arschtritte hagelt. aber wir wissen, daß sich eine
kontinuierliche arbeit lohnt, egal in welchem bereich. daß du gruppen
brauchst und banden, wo du dich gegenseitig auffängst und bestärkst, daß
es keine alternative zu vereinzelung und kriminalisierung gibt, außer
kollektivität und vertrauen. so kommen wir zusammen weiter, jeder in
seinem und ihrem bereich.
jetzt noch was zum speziellen mythos, dem namen 'radikal'.
ob wir ihn beibehalten oder ändern, ist ein schwarz-roter faden in der
diskussion der letzten jahre. hinzu kommt die kritik von außen: wenn
gesagt wird, andere leute machen eine andere zeitung, dann ist das
festhalten am namen 'radikal' nur noch ein festhalten an der symbolik.
da sind wir durch, also es ist kein zufall, daß die zeitung weiter so
heißt. wir verbinden damit nicht nur einen namen, sondern eine gemeinsame
entwicklung und ein selbstverständnis. keineR von uns würde heute eine
andere zeitung ausprobieren. die alte redaktion hat die geschichte und
das, was der name der zeitung ausgedrückt hat, in ihren letzten ausgaben
so ziemlich versaut. der name stand relativ inhaltslos für eine fast schon
institution der bewegung. viele genosslnnen kritisierten den ton der
letzten ausgaben oder die schwammigen aussagen zum prozeß, unterstützten
aber trotzdem. nach dem urteil wurde das projekt als gescheitert
angesehen, und der damit verbundene mythos schien nicht mehr zu knacken.
jedenfalls wurde die möglichkeit eines neuanfangs belächelt, und wir
bekamen sogut wie keine unterstützung von denen, die vorher aktiv waren.
das war lange der hintergrund unseres zappelns, daß wir innerhalb der
damaligen szene so eine art privatding ohne perspektive abmachen.
entsprechend schwankten wir zwischen selbstaufgabe und durchbeißen, wie in
einem heiß-frostigen wechselbad. 'radikal' hat bedeutet, daß da ein
tierisches vertriebsnetz liegt, um das sich keineR kümmert. es ging nicht
darum, irgendeine zeitung oder überhaupt eine zeitung zu machen, sondern
genau diese anhand der struktur die sich entwickelt hatte. der name stand
für die möglichkeit, auch nach der repression mit neuen mitteln sinnvoll
zeitung zu machen. und zwar ohne sich selbst irgendeinem politischen
sachzwang unterzuordnen. als nächstes kamen taktische Überlegungen, mit
denen iir von außen auch heute noch konfrontiert werden: wechselst du den
namen, werden die bullen verarscht und du verschickst mit weniger panik
denselben inhalt über denselben verteiler. das argument kommt immer
wieder. in unserer diskussion ging es auch um die radi in die knäste - das
waren nicht wenige zeitungen - die mit anderem namen evtl. häufiger an der
zensur vorbeigehen.
je mehr wir überlegten, desto deutlicher wurde die kurzsichtigkeit der
idee. du hast dich umgeschaut in der radikalen zeitungslandschaft, und die
meisten waren regional und hatten verfahren am arsch. nirgendwo gab es
eine offensive illegale organisierung, d.h. alle haben aufgehört früher
oder später, wenn die repression zu stark wurde und kein entsprechender
rückhalt vorhanden war.
der name radikal war bekannt, und eine breite verteilung war darüber
möglich. also ein prima ansatz gegen die isolation in der illegalität.
änderst du den namen der radi, werden die leserInnen schneller und länger
verwirrt, als die repression.
den bullen geht es ja nicht um einen namen, sondern um den verbreiteten
inhalt der zeitung. die kriegen ziemlich schnell den taktischen schachzug
mit, jedenfalls schneller als die eigene struktur. mit der konkreten
erfahrung im rücken haben wir ausgerechnet, daß die scheinbar neue zeitung
ziemlich schnell als 'nachfolgeprojekt' oder sonstwas denselben 129a
rangekriegt hätte. der einzige schutz dagegen wäre eine stärkere basis für
die zeitung gewesen, und die war mitnichten in sicht. wir hätten uns wohl
selbst schachmatt gesetzt und eine entwicklung wie sie heute stattfindet
verbaut. insofern haben wir auf dem mythos 'radikal' auch aufgebaut. das
hieß aber nicht, ihn zu akzeptieren, sondern möglichkeiten die bei keiner
anderen zeitung vorhanden waren konstruktiv nutzen. während wir mit
taktischen varianten jonglierten, wurde die wichtigste sache überhaupt
klarer: wenn du taktierst oder nur daran denkst zu taktieren, muß vorher
ein konkretes selbstverständnis da sein, über das jedwede tricks definiert
werden. es muß klar sein, was wir überhaupt wollen. da wir gezwungen
waren, uns mit den namen 'radikal' auseinanderzusetzen, hat sich einiges
im gemeinsamen wollen darüber entwickelt. am anfang hat es sich etwa so
angehört: wenn die schweine dir verbieten zu sagen und zu diskutieren, was
wir wollen, dann ist das eine unverschämtheit. egal was in ihren gesetzen
steht. und wenn sie deshalb eine zeitung mit dem namen 'radikal'
verbieten, weichst du nicht aus, sondern organisierst dich besser, und
machst genau die zeitung weiter. das hat nichts mit trotz zu tun, sondern
wie aufrecht du selbst in den spiegel schauen kannst. wir müssen eh schon
genug akzeptieren, aber das nicht. da ist unsere grenze erreicht.
inzwischen können wir das selbstverständnis genauer beschreiben. da liegt
ja eine längere entwicklung und immer wieder kritik von außen dazwischen.
besonders nach der repression 86/87 mußten wir begründen können, warum die
zeitung auch weiter so heißt. es geht dabei weniger um die symbolträchtige
geschichte, sondern um unsere deutung des wertes 'radikal'. wir finden
keinen besseren namen für diese zeitung, der unseren politischen ansatz
besser ausdrücken würde. vielleicht hilft ein beispiel weiter: es gibt ja
mehrere zeitungen, die als name ein hauptwort haben. das entspricht in
etwa politischen positionen in der autonomen und antiimperialistischen
bewegung. ein hauptwort ist etwas festes, während z.B. eigenschaftsworte
alle hauptwörter beschreiben und interpretieren können. nach langem suchen
hat sich die 'karlsruher stadtzeitung' später 'wildcat' genannt. die
wildkatze ist das symbol bestimmter arbeitskämpfe, d.h. die genosslnnen
haben in dem namen eine aussage für die politische position und den inhalt
der zeitung getroffen. da kannst du einen ganz anderen politischen bereich
erwarten, als bei einer zeitung, die z.b. 'zwischenlösung' genannt wird.
wir haben kein hauptwort und auch keine ausschließliche position, unter
der wir alles betrachten und einordnen. wir sehen radikale politik als
etwas lebendiges, was sich ständig verändert, und vor allem von vielen
unterschiedlichen menschen getragen wird. wir legen uns weder auf
häuserkampf fest, noch auf z.b. anti-akw-kampf. in manchen bereichen ist
der widerstand gegen etwas bestimmend, in anderen wird stark für
selbständige ziele gekämpft. dann gibt es kämpfe und genosslnnen, die sich
antiimperialistisch, sozialrevolutionär, antifaschistisch oder
kommunistisch begreifen. kein ansatz beschreibt für sich genommen den weg
zur revolution oder kann eine allesumfassende wahrheit vermitteln.
umgekehrt: in allen bereichen und mit jeder position werden wichtige
ansätze verfolgt. sie müssen sich ergänzen und ineinanderfließen, damit
etwas starkes gemeinsames rauskomt.'
noch einen schritt weiter: wir denken, daß viele autonome zu sehr von der
eigenen betroffenheit ausgehen und andere kämpfe teils nichtmal
wahrnehmen, weil sie nicht so spektakulär sind wie die eigenen. aber
widerstand ist so vielfältig, wie es für die unterdrückten weltweit
unterschiedliche bedingungen und möglichkeiten gibt, sich zu wehren und zu
organisieren. viele kämpfe werden kaum beachtet, weil sich in andere
menschen und situationen nicht reingedacht wird. oder es entstehen
wunschbilder, die mit den wirklichen menschen nix zu tun haben. gerade die
vereinzelten, spontanen und meist unspektakulären kämpfe müssen erkannt
und unterstützt werden, damit die radikale linke eben teil einer
revolutionären kraft wird. wenn wir näher hinschauen, ist eine wichtige
verbindung der kämpfe ein neues klassenbewußtsein, das begriffe wie
abhängigkeit, entfremdung, unterdrückung nicht allein auf das arbeits und
lohnverhältnis reduziert. der antipatriarchale kampf der frauen hat z.b.
deutlich gernacht, daß herrschaftssicherung und bevormundung nicht allein
in der fabrik vorhanden sind, sondern daß unterdrückungsmechanismen
erstrecht in familien und beziehungen zwischen männern und frauen
ablaufen. es gibt nicht nur den klassischen rassismus gegen
ausländerinnen, sondern die eine hälfte der menschen fast überall - die
frauen - werden vom sexismus existenziell angegriffen. der kampf der
frauen hat ein radikales selbstverständnis. theoretisch und praktisch darf
der antipatriarchale ansatz in keinem kampf um autonomie und in keiner
politischen position fehlen, wenn der widerstand konsequent für eine
menschenwürdige gesellschaft eintritt. wir nehmen ein eigenschaftswort,
das für jede hauptwort-position gültigkeit hat. wenn genosslnnen z.b. für
kommunismus eintreten, dann müssen ihr theoretisches gebäude und ihre
praxis die vorhandene realität radikal erfassen und radikal verändern
wollen. nicht alle mittel heiligen den zweck, d.h. es gibt genug
geschichtliche beispiele von beschissenen revolutionen, wo eine herrschaft
die andere ersetzt. wenn das reale unterdrückungsverhältnis zwischen mann
und frau nicht angetastet wird, wird die basis von elite und herrschaft
nicht angetastet. das bezieht sich dann auch auf die treffsicherheit der
kämpfe, also der alleinige klassenstandpunkt erfaßt das wesen von
herrschaft, kapitalismus und faschismus nicht vollständig, und eine
entsprechende politik stößt auf grenzen. radikal ist ja nicht irgendeine
worthülse. das wort wird von vielen gebraucht, um ein selbstverständnis
auszudrücken. es zeigt sich in der geschichte seit 68 und aktuell, daß
zwischen 'der linken' und der 'radikalen linken' ein unterschied wie
zwischen himmel und hölle bestehen kann. 'die linke' hätte nach dem verbot
der zeitung aufgehört oder was neues probiert. 'die linke' agiert
innerhalb des systems und klammert ihre persönliche existenz an
kapitalistische nischen, während es für radikale eine logische konsequenz
ist, innerhalb einer politischen entwicklung gejagt zu werden und
wahrscheinlich im knast zu landen. die grenzen dazwischen sind fließend,
entscheidend ist nicht immer was einer tut, sondern wie und mit welchem
bewußtsein. du kannst z.B. innerhalb eines staatlichen apparates für
leichte veränderungen eintreten, oder deine stellung zur radikalen
sabotage nutzen. letzteres bedeutet, daß du von deiner position nicht
abhängig werden darfst, daß du jederzeit bereit bist, woanders ganz neu
anzufangen. zwischen den unterschiedlichen herangehensweisen liegt ein
bruch, der dein ganzes leben bestimmt.
das wort radikal bedeutet an der wurzel anpacken, ursachen finden,
angreifen und verändern. es bedeutet, den eigenen erfahrungsbereich auch
verlassen zu können und z.b. nicht von frieden zu sprechen, während du
selbst von mord und ausbeutung profitierst. eine solche sichtweise darf
nicht bei moralischer betroffenheit enden, sondem in aktiver solidarität.
radikal bedeutet, daß 'persönlich' und 'politisch' nicht getrennt werden
können. also es gibt nicht nur politische notwendigkeiten, sondern auch
die eigene verweigerung im radikalen leben. es ist voller veränderung und
risiken, und es besteht aus extremen höhen und tiefen, je mehr die ruhe
bürgerlicher zufriedenheit und sicherheit verändert wird. ein radikales
selbstverständnis setzt nicht nur bei einem feindbild an, sondern auch bei
dir selber und deinen verhaltensweisen. so ähnlich gehen wir mit dem
mythos radikal um. wir sprechen ihn an, wenn es möglich ist, und wir
schreiben briefe und kommunizieren außerhalb der zeitungsarbeit, soweit
wir die kraft und konzentration dafür aufbringen. wir denken, daß sich
einiges schon verändert hat und sich in dem maße weiterverändert, je mehr
genosslnnen in verschiedenen regionen mitarbeiten, statt außerhalb zu
stehen. im wesentlichen geht es nur darum. es sind heute größtenteils
andere leute als vor 5 jahren, die die radi lesen. je mehr ein
eigenständiges und gleichberechtigtes verhältnis zu der zeitung entsteht,
desto weniger wird über mythen gesprochen werden müssen. das wird
hoffentlich auch jenen genosslnnen deutlich, die sich noch ziemlich stark
an der geschichte der zeitung orientieren. welche genauer hinschauen,
entdecken die schwächen und stärken der entwicklung über die jahre. mythen
entstehen oft, wenn wenige aktiv sind. sind es viele, wird der mythos
durch die machbare realität abgelöst, auch wenn sie gestern unrealistisch
schien.
ID-Archiv: Könnt ihr nach 5 Jahren nocheinmal den Diskussionsprozeß von 1984 aufzeigen, d.h. die Gründe, die eurer Meinung nach zur Einstellung der 'alten' radikal (1976-84) führten - und natürlich die Motivation der Leute (in der Nr. 128 bezeichnen sie sich selbst als die 'neuen'), die Zeitung weiterexistieren zu lassen.
radi:
dazu ist ja schon was gesagt worden. erstmal fiel die entscheidung zum
weitermachen nicht in einem diskussionsprozeß. das war ein ziemlich
spontanes ding. es entsprach einfach der eigenen politischen entwicklung,
jetzt und mit diesem projekt auch für dich selber etwas kontinuierlich
anzupacken, statt z.b. relativ ziellos von einem ereignis zum nächsten zu
hechten. für die meisten damals war die radi nicht irgendeine zeitung,
sondern teil der eigenen geschichte. entsprechend aufgewühlt und geladen
waren wir nach dem prozeß. den haben wir auch als angriff auf uns selbst
gesehen.
was in der alten redaktion abgegangen ist, hat keiner selbst erlebt. das
blieb außen vor, denn von den alten leuten war keineR da, der und die sich
für ein weitermachen eingesetzt oder zumindest was vermittelt hätte. erst
über jahre konnten wir uns ein bild machen und nach gründen für den abgang
suchen. das mußte mühselig zusammengeklaubt werden, größtenteils über
genossInnen, die was über andere wußten und auch nur während des umbruchs
oder sporadisch im projekt aktiv waren. der bruch zwischen der legalen und
illegalen radi fand auf allen denkbaren ebenen statt, außer beim vertrieb.
es gab sogut wie keine vermittlung von erfahrungen, die zuvor in
jahrelanger zeitungsarbeit oder während der kriminalisierung gemacht
wurden. z.b. gab es den versuch, sowohl inhaltlich wie auch gegen die
repression mit anderen zeitungen zusammenzuarbeiten. ein bestandteil
dieses versuchs war die kampagne 'radikal und zornig', deren parolen und
plakate auch heute verwendet werden. mit öffentlichen diskussionen von
vertreterinnen der stadtzeitungen und festen wurde versucht, daß
bewußtsein für radikale zeitungen und deren kriminalisierung zu
verbreitern und eine gemeinsame stärke hinzukriegen.
als wir anfingen, war davon kaum noch was zu spüren, besonders was den
angestrebten zusammenschluß der zeitungen betrifft. da gab es wohl weiter
Überlegungen für eine von vielen getragene bundesweite zeitung, aber die
hatten mit der radi wenig zu tun.
die zeitung existierte ja nicht mehr in den köpfen und nur selten erschien
eine neue ausgabe. ganz zum anfang gab es einen kontakt zu einem anderen
zeitungskollektiv, nachdem wir uns vollständig zurückgezogen haben. die
waren nur spitz auf das vertriebsnetz und den namen der radi, um es in
ihre eigene politik und konzept zu überführen. als wir unser williges amen
zu deren planen verweigerten, kam der arschtritt und uns wurde nochmal
klarer, daß wir nur auf die eigene kraft vertrauen dürfen. wie sehr wir
bei null angefangen haben, hat sich u.a. in der ersten illegalen nr.128
ausgedrückt, die in vieler hinsicht eine schlechte kopie der alten radi
war. der prozeß 84 viel in eine zeit, wo die häuserbewegung größtenteils
befriedet oder zerschlagen war. von den turbulenten messen auf der straße
war wenig übriggeblieben, bzw. autonome strukturen gab es nur vereinzelt
und es mußten neue aufgebaut werden. mit dem abgang der bewegung kam auch
die radi in eine sinnkrise, also die zeitung war ja teil der bewegung und
mußte sich jetzt irgendwie anders orientieren. die redaktion fiel
auseinander. wie wir's mitgekriegt haben gaben jene leute auf, die die
bewegung aufarbeiten und neue perspektiven finden wollten. wir denken, daß
sich die spaltung auch an, der frage vollzog, auf welcher politischen
ebene mit der kriminalisierung umgegangen werden sollte, aber das ist eher
eine spekulation. weitergemacht hat dann eine mehr oder minder
intellektuelle fraktion, die weniger auf eine stärke von unten setzte,
sondern auf unangreifbarkeit über die große öffentlichkeit, die anhand der
kriminalsierung entstand. das drückte sich auch im inhalt der letzten
zeitungen bis zum urteil aus. es ging immer mehr um ein freies
lebensfeeling und eine allgemeinverträgliche politik, als um
weiterkämpfen.
auf die kriminalisierung folgte eine breite solidarität von militanten bis
in liberal-bürgerliche gefilde: also z.b. scherbendemos wie in kopenhagen
und hunderte von leuten, die namentlich als mitherausgeberinnen der radi
abgedruckt wurden. selbst bürgerliche medien medeten sich, weil sie ihre
eigene 'presse-freiheit` bedroht sahen.
in der breite der kamagne sind radikale inhalte allerdings bis zur unkenntlichkeit verschwommen. entsprechend stützte sich ein großer teil der empörung auf die verteidigung eben der 'pressefreiheit`, als ob die radi - zwar am rand der presselandschaft - dieselben von der verfassung versprochenen rechte beanspruchen würde, wie bürgerliche medien. ein radikales selbstverständnis des widerstandes hatte da kaum noch platz. also z.b., daß die radi kein einzelfall von zensur und verbot ist, daß eine politik gegen das system unglaubwürdig wird, wenn sie sich auf dessen gesetze beruft, daß du ganz logisch demokratische rechte und freiheiten verlierst, weil diese die macht stützen sollen und nicht den widerstand dagegen. die radi erschien während des prozeßes weiter. ihr ton war frech, lässig und vermittelte ein selbstbewußtsein, auf das so einige abgefahren sind. dann kam das urteil, und das schöne gebäude brach bis auf die grundmauern zusammen. die beiden symbolisch verurteilten entwischten dem knast über die immunität als europaparlamentarier, ein von den 'grünen' gestelltes privileg, von dem weniger berühmte gefangene nur träumen können. ein anderer angeblicher "Täter" mußte nach holland ins exil flüchten und war lange von der auslieferung bedroht. die redaktion war plötzlich verschwunden, ohne noch ein wort in der angelegenheit zu verlieren. viele waren enttäuscht, und begruben die zeitung in ihrer erinnerung.
angesichts der öffentlichen kampagne war das 2 1/2 jahre urteil schon ein
hammer, mit dem in der situation nicht unbedingt gerechnet werden mußte.
meistens bist du immer nachher klüger. es war ein glasklares
staatsschutzurteil der harten fraktion. ähnlich wie das nicht
integrierbare häuserproblem militärisch gelöst wurde, erledigte die justiz
die zeitung der bewegung ohne große rücksicht auf den öffentlichen
protest. außerdem war es ein präzedenzurteil in der auslegung des 129a,
also ein grundsätzlicher angriff auf mißliebige kommunikatiosstrukturen:
du gehst in bau, weil worte als taten gelten. egal ob deine eigenen, egal
ob du sie druckst, schreibst, verbreitest und mittlerweile einfach nur
sagst oder sagen könntest, weil du sie denkst.
mit dem hintergrund haben sich nach dem urteil mehrere leute hingesetzt
und beratschlagt. von anfang an gab es sich widersprechende vorstellungen,
was mit der situation anzufangen ist. fakt war, daß die radi schon längst
eine bundesweite zeitung war, daß sie regionen und leute erreichte, wo es
ansonsten nur die taz gibt. radikale träumen oft von der verbreiterung der
bewegung oder revolutionärem bewußtseins - hier lag ein wesentliches
mittel und die struktur ungenutzt rum, du brauchtpst bloß zuzugreifen.
die grundstimmung, das ding ist wichtig genug und muß weiterlaufen,
reichte nicht aus. um das wie kam es relativ schnell zu harten
diskussionen und auch machtkämpfen. es ging darum, welche politik hinter
einem schlußstrich unter die bewegung angesagt ist, und auf welche
politischen positionen sich die radi in zukunft beziehen sollte. im
prinzip rasselten dabei weniger die ausgeschmückten vorstellungen
aneinander, sondern die politische und persönliche unterschiedlichkeit der
leute. das war wirklich ein bunt zusammengewürfelter haufen. ziemlich bald
stellte sich heraus, daß einigen eher ein rein bewußtseinbildendes organ
vorschwebte, während andere in erster linie revolutionäre praxis
vermitteln und militantes bandenwesen dokumentieren und vorantreiben
wollten. das ist aber nur ein beispiel. wenn wir den ganzen konflikt
wiedergeben müßten, würde das seiten füllen. was du als inhalt in einer
zeitung willst, hängt ja davon ab, wie du selber politik machst. also z.b.
ob du dich so siehst, daß du für andere etwas tust oder sagst, oder mit
anderen in einer gemeinsamen entwicklung. was theoretisch hätte
zusammenlaufen und sich ergänzen können, zerbrach endgültig an der frage,
wie die radi zu organsieren ist. entsprechend ihren inhaltlichen
vorstellungen setzten einige weiter auf legales erscheinen, indem z.b.
anschlagserklärungen weggelassen oder ausdrücklich nur dokumentiert werden
sollten. also eine läuterung nach innen, denn genau jene inhalte würden
verschwinden, die der repression den anlaß zum ausflippen gegeben hatten.
durchgesetzt hat sich schließlich die andere fraktion. durchgesetzt ist
das richtige wort, denn angesichts der widersprüche war eine gemeinsame
sache nicht möglich. es gab einen bruch in der diskussion weil es in der
nächsten zeit hauptsächlich um die konkrete arbeit ging, also das
umsetzen, was sich als gemeinsame basis in der theoretischen
auseinandersetzung zuvor herauskristalisiert hatte.
die notwendigkeit der radi und der illegalen organisierung waren im bauch,
aber nicht viel im kopf dazu. keiner hatte erfahrung mit illegaler arbeit
oder schonmal eine zeitung gemacht. erstrecht keine überregionale mit
einer solchen struktur und geschichte. und dann stehst du vor einem
apparat mit tausend abos und hunderten verteilerInnen, von denen du
überhaupt nichts weißt. genossInnen die unseren erfahrungshintergrund
kannten, schimpften uns leichtsinnig. zum glück konnten wir uns darunter
nicht mehr vorstellen als eine warnung, sonst wäre es zum Leichtsinn nicht
gekommen. wir haben versucht nach vorne zu schauen und auf entwicklungen
vertraut. es gab keinen zweifel an der richtigkeit des vorhabens, sondern
nur, ob wir es überhaupt schaffen können, bevor z.b. die bullen erneut
zuschlagen. das ging alles hand in hand mit der eigenen entwicklung, also
in der auseinandersetzung und arbeit für die radi, gingen wir unsere
eigenen schritte.
das hieß dann, illegalität lernen, gleichzeitig den büro-apparat mit
kohlescheiße und rechnungen blicken, und denn noch möglichst viel energie
für den inhalt der zeitung. es mußte eine sichere adresse her, damit
zumindest ein kontakt und einfluß von außen möglich ist, damit du nicht
vollständig abdriftest ohne es zu merken.
unsere entwicklung läßt sich vergleichen mit dem, wie sich viele im
widerstand durch den widerstand verändern und lernen. also erst schmeißt
du steine, um dich zu wehren und aus hass gegen schweinereien. mit der
zeit wird klarer, daß die ungerechtigkeit system hat und du nicht allein
betroffen bist. die steine fliegen mehr und mehr als bewußter angriff. die
front zum staat wird zum bestandteil deines fühlens und handelns,
gleichzeitig die alltägliche und politische repression. dann fängst du an
dich zusammenzutun und überlegst, ob es nicht auch andere mittel als
steine gibt, mit denen du angreifen kannst. in solchen entwicklungen haben
wir angst bekamen und nochmehr die eigene kraft gespürt. da war das
Gefühl, du blickst immer mehr durch und verstehst zusammenhänge.
untereinander entsteht ein zusammenhalt und vertrauen, das auf extreme
proben gestellt wird. das hast du vorher so nicht gekannt. es war etwas
neues und gutes, denn nach jeder bestanden probe mit dir selber warst du
sicherer und weiter als zuvor. heute ist es genauso. es gab nur
abschnittweise eine feste gruppe. genossInnen hörten auf und andere fingen
an. mal war die gruppe größer mal kleiner.
das waren die härtesten proben, wenn und warum einer aufgehört oder
ausgesetzt hat. es blieb immer ein stück ohnmacht zurück, die kollektive
entwicklung wurde infragegestellt und ob das alles überhaupt zu schaffen
ist.
in einem solchen prozeß entstanden die ersten ausgaben. es war ein lernen
und durchboxen. die motivation diese zeitung zu machen, veränderte sich
ständig. einige male war ende angesagt, und als es dann doch weiterging,
hattest du festeren boden unter den füßen.
vielleicht ist es ein frevel, soviel an motivation von sich selber
abzuleiten. aber es war so, mindestens bis 86. es war uns klar, daß das
projekt bei älteren genossInnen unten durch ist und höchstenfalls
abwartend beobachtet wird. und daß wir von leuten auf unserem stand nicht
mehr erwarten können, als das begeisterte 'geil, daß es die radi
weitergibt'. die briefe, die pauer, die spenden besonders aus der provinz
und kleineren städten waren tierisch wichtig: du bist von der bildfläche
verschwunden und trotzdem nicht im luftleeren raum. es hat basis und macht
sinn, schritt für schritt weiterzugehen, auch wenn es jahre dauern kann
bis die radi das ist, was sie werden soll. in dieser zeit hat sich
herausgebildet, daß wir uns nicht mehr allein auf die autonome
metropolenszene beziehen. von hier kam relativ wenig unterstützung und
relativ viel mißtrauen, warnungen und kritik. mit der erfahrenheit der
leute konnten wir aber wenig anfangen, weil sie neben uns stand und nichts
investierte. wir haben oft praktische hilfe gebraucht, wo hätte gebettelt
werden müssen.
so waren dann auch die ersten ausgaben. der inhalt orientiert sich an jenen, die damit was anfangen können und auch rüberbringen, daß sie die radi brauchen. und die nicht zerfleddern, was nicht geschafft wurde, weil sie sich ein bißchen in die schwierigkeiten reinversetzen können und deshalb mehr auf positive entwicklungen achten. mit solcher rückenstärkung wurden wir immer weniger anfällig gegen eine kritik, die z.b. die geschichte der radi oder meterhohe ansprüche auf uns übertrug. wenn sich erfahrene genossInnen um den nachlaß der radi gekümmert hätten, wäre bestimmt alles anders geworden. nicht besser oder schlechter, sondern anders.
ID-Archiv: Als Zeitung illegal erscheinen bedeutet ja nicht nur, ohne Rücksicht auf zu erwartende politische und juristische Repression, Inhalte zu vermitteln. Und nicht zu vergessen, daß ein offensives Ignorieren der bestehenden Gesetze auch ein verantwortliches Umgehen aller Beteiligten voraussetzt Wurde die illegale Zeitungsproduktion intern ausführlich diskutiert, d.h. alle Möglichkeiten der zu erwartenden Repression abgewägt? Nach außen, also für die LeserInnen, kann in den einleitenden Worten der MacherInnen jedenfalls nicht von Transparenz einer Diskussion zu dieser Problematik gesprochen werden.
radi: es kommt darauf an, was unter diskussion verstanden wird. du kannst versuchen, eine sache von vorn bis hinten auzudiskutieren, bevor mit dem praktischen umsetzen angefangen wird. oder du nimmst dir verschiedene schritte vor, und diskutierst darüber während du sie machst. wir haben z.b. transparent gemacht, daß die zeitung illegal ist, und daß du wegen handverkauf in knast gehen kannst. allein damit läßt sich doch was konkret anfangen und selbständig überlegen.
die frage zielt auf das bewußtseins mit der die illegale arbeit begonnen
wurde; vorbestimmung und vorplanung, bevor du illegal aktiv wirst. aber
illegalität ist nicht nur ein bruch, sondern auch eine entwicklung. also
wenn du dich dazu entscheidest, bist du noch lange nicht mit illegalität
vertraut. wenn du dich vorher nie verstecken brauchtest, mußt du verstecke
finden, wenn du gerne ehrlich und offen lebst, mußt du dir auch lügen und
schweigen angewöhnen. stell dir vor, du lebst mit hundert freundInnen auf
der straße, und plötzlich verkriechst du dich in ein kellerloch. da kannst
du nicht von einem tag auf den anderen mit umgehen. du läßt dich bewußt
darauf ein, aber illegalität ist ein lernprozeß, in dem du stück für stück
abcheckst, was sie bedeutet und welche konsequenzen der schritt hat. in
der entwicklung ist stillstand kaum möglich. du mußt permanent
hinterfragen und nach vorne verändern, auch weil im rücken ein messer
sitzt, und es die hundertprozentige sicherheit nicht gibt.
die voraussicht und unsere einschätzung der repression entsprachen unserem
stand. wir haben ja schon beschrieben, daß wir zwar mit besten absichten
aber ohne viel erfahrung angefangen haben, und mit beiden beinen
reingesprungen sind. wir haben das projekt nie als nebensache behandelt,
im gegenteil. die diskussionen über illegalität und repression liefen
meist an den praktischen sachen ab, die gerade anstanden. wir mußten
relativ schnell relativ viele bedingungen klarkriegen und umsetzen, es
wurde organisiert und abgesichert, zuerst uns selber. viele kannten sich
ja vorher nicht, und das hieß, daß du viel genauer miteinander umgehen
mußt, als beim gemeinsamen kneipenplausch. du mußt gemeinsame kriterien
entwickeln, wie du dich verhälst, was du anderen erzählst, wie du dich
innerhalb der szene versteckst und trotzdem mitmachst. das läßt sich in
zwei sätzen nicht wiedergeben, weil illegalität lernen jahre dauert und
eigentlich nie zu ende ist. das bewußtere umgehen mit der repression
entsteht auch erst in einer längeren entwicklung. dazu brauchst du eigene
erfahrungen aus der speziellen situation und arbeit, um überhaupt eine
basis für egal welche einschätzung zu haben.
am anfang haben wir von den erfahrungen anderer mit illegaler praxis
gelernt, z.b. von den rz. so haben wir uns gegen die wahrscheinlichsten
ansätze der repression abgesichert. wir brauchten maschinen, und wir
brauchten treffen und die kontinuierliche arbeit. vorplanen, um überhaupt
diskutieren und die zeitung machen zu können.
dann mußte eine sichere adresse her, denn eine zeitung ohne kontakt zur
außenwelt ist meist etwas totes oder organ einer gruppe und position. wir
konnten uns die radi nur als offene zeitung vorstellen, an der sich viele
beteiligen können und sollen. eine adresse in der brd fiel flach, denn die
bullen würden zugreifen und kein vernünftiger mensch was schicken. also
eine auslandsadresse, am besten mehrere in solchen Ländern, wo es noch
keine kriminalisierung entsprechem dem 129a gibt, und deshalb
schwierigkeiten bei der "amtshilfe" zu erwarten sind. solche Adressen mußt
du erstmal finden, und wenn du keine internationalen kontakte hast, dann
geschieht das nicht von einem tag auf den anderen. und irgendwie müssen
wir an die post ran, die kannst du dir nicht einfach nach hause schicken
lassen oder mal kurz abholen.
die zeitung selbst muß irgendwie irgendwo vorbereitet, gesetzt und
layoutet werden. eine setzerei anmieten geht nicht, und das zeug aus der
hand geben, wohin denn? bist du da durch, muß das ganze gedruckt werden,
und wo soll das laufen, wenn du noch nie eine drucke von innen gesehen
hast. da mußten wir kontakte spinnen und rumfragen, aber immer schön
vorsichtig und langsam und über ecken. die radi war durch den prozeß so
bekannt, daß wir befürchten mußten, an die falschen leute zu geraten. ist
auch passiert. in der anfangszeit mußtest du bloß den namen nennen, und
schon spitzen sogar die wände ihre ohren. kam uns jedenfalls so vor.
um sicherheit zu bekommen, waren wir stark auf vertrauen angewiesen. deshalb gab es lange diskussionen mit leuten, um sagen zu können, der oder die ist in ordnung oder andersrum eine aufgeblasene pfeife. gerade solche, die besonders lässig waren nach dem motto `alles klar, kein problem', hatten am wenigsten klar, was der unterschied zwischen einer zeitung und einer illegalen zeitung ist. es gab schonmal eine fertige ausgabe, die wegen unseres gewachsenen mißtrauens gegenüber unterstützerinnen fast vollständig eingestampft werden mußte. auch verschiebungen sind vorgekommen. andersrum haben auch wir mal solche scheiße gebaut, daß andere den kontakt mit uns abbrachen. wir sind über die situation der genossInnen ziemlich rübergetrampelt, und bei unserem damaligen verhalten war es mehr glück als verstand, daß nix aufgeflogen ist. was wir noch klarkriegen mußten, war der vertrieb, also zigtausend zeitungen in zighundert paketen und umschlägen in zighundert städte, dörfer und ins ausland. als postvertriebsstück ging nicht mehr, und z.b. bei allen persönlich vorbeischaun genausowenig. also mußte die zeitung zwar anders und unauffälliger, aber trotzdem verschickt werden. das machte dann ein paar tausend mark mehr porto. und wo kriegst du auf die schnelle so ein sümmchen her, wenn du nicht millionärin bist. oder die kohle für produktion und gewisse sicherheitskosten, die wir hier nicht auflisten wollen. wir selbst sind das genaue gegenteil von vermögend, und trotzdem blieb oft nichts anderes übrig, als von der eigenen kohle reinzubuttern. mit der organisierung u.a. der beschriebenen sachen waren wir gut eingedeckt. es kam noch viel mehr dazu, was wir nicht erwähnen. wenn eine sache angepackt wurde, ergaben sich daraus meist neue probleme, an die zuvor keiner gedacht hatte. oft auch nicht denken konnte. beim nächsten mal flutschte es allerdings besser, denn du konntest schon weiter vorne ansetzen. ohne ein gute portion idealismus, pauer und auch glück, hätte es zwischendurch mehrmals endgültig krachen können. mit den erfahrungen vor allem in der praxis wurden wir sicherer, daß die basis für eine illegale zeitung steht. die meisten hatten sich wesentlich mehr auf organisatorische sachen konzentriert, als auf die inhaltliche diskussion.und beiträge in der zeitung. im hinterkopf stand die perspektive, daß längerfristig viel mehr gruppen aus dem widerstand die zeitung nutzen, wenn sie sicher organsiert ist und regelmäßig erscheint. es ging ja nie um illegalität als selbstzweck, sondern als voraussetzung für freie kommunikation und vermittlung radikaler politischer anhalte. unsere verantwortung hörte an einem ziemlich eindeutigen punkt auf. wir machen die redaktionsarbeit und die zeitung, organisieren die produktion, notwendige kohle und den vetrieb bis an die stelle, wo die radi in den postämtern liegt. ab da hatten die zeitungen die illegale struktur verlassen.
ID-Archiv: Im August 1986 kam es mit der Nummer 132 zum großen Knall. Ein auf der letzten Seite abgedruckter Gruß zur Liquidierung des Siemens Managers Beckurts und die beigelegte Erklärung nahm die Bundesanweltschaft zum Anlaß, um bundesweit linke Buchläden und Wohnungen von WiederverkäuferInnen zu durchsuchen. Gerade die Grußadresse an die 'Genossen/innen aus der Stadtguerilla, die Siemens-Vorstandmitglied Beckurts liquidiert haben' auf der Rückseite des 2. Teils der Zeitung und die eingelegte Erklärung der RAF zu dem Anschlag, wurde von vielen Projekten schlicht als überflüssig eingeschätzt. Aber was noch mehr Verwirrung stiftete, war die Tatsache, daß dem Staatsschutz fast die gesamte öffentliche Verteilerstruktur in die Hände fiel. War das nun ein (inhaltliches und organisatorisches) oberflächliches Umgehen eurerseits oder einfach nur Zufälligkeit? Mit der Diskussion um die Nr. 132 kam ein weiterer Kritikpunkt hoch, nämlich die sogenannten 'Anleitungen' in den bisher erschienenen Ausgaben. Das Nachdrucken aus einer RZ-Broschüre mit Tips zur Sabotage, wurde von nicht wenigen als Spielen mit der Illegalität und Wortradikalismus eingeschätzt, deren juristische Konsequenz u.a. die WiederverkäuferInnen zu tragen hatten. Aber prinzipiell sind solche Anleitungen auch für Leute gefährlich, die aus Neugierde und ohne notwendigen Fähigkeit mal was ausprobieren wollen. Daß die 'Tips' aus der RZ-Broschüre, die auch in der militanten Szene umstritten waren und sind, einige gravierende Konstruktionsfehler aufwiesen, zeigten dann auch die regelmäßigen Korrekturmeldungen in den jeweils folgenden Nummern. Und es gibt genügend Beispiele, wo sich Leute daran (nicht nur) die Finger verbrannt haben. Sicher, jedes Herz kann eine revolutionäre Zelle sein, aber der Umgang mit explosiven Materialien vermittelt sich doch nicht auf ein paar Seiten der radikal, oder ? In den den letzten Nummern hat man keine Anleitungen mehr gelesen. Hat diesbezüglich bei euch eine Reflexionsphase stattgefunden ?
radi: als erstes möchten wir auf die fehler bei der nr.132 eingehen, und dann auf die inhaltliche kritik. für die betroffenen der kriminalisierung gehört das zwar zusammen, denn wenn du wegen der radi angegriffen wirst, mußt du viel klarer hinter dem projekt und inhalt stehen als vorher. unsere situation ist anders, wir möchten nicht auf dem hintergrund des schlages der repression über den inhalt diskutieren, sonst wird etwas vermischt, was für uns nicht zusammengehört. wenn wir inhaltlich diskutieren und konzepte beratschlagen, dann muß das unter uns und unabhängig staatlicher einflüsse geschehen. es soll ja eine eigenständige position rauskommen, die natürlich von vielen entwickelt und getragen wird, möglichst auch von allen, die die radi verteilen. und wenn wir über die repression diskutieren, dann sind es organisatorische dinge die überlegt werden, wenn es dabei um die verbreitung der zeitung geht.
was die repression betrifft, sind wir verdeckt organisiert und z.b.
buchläden öffentlich. was den inhalt der zeitung betrifft, bekommst du ein
viel konkreteres verhältnis dazu, weil du ihn ja mitbestimmst und
diskutierst. einige verteilerInnen haben die radi vor der nr. 132 nichtmal
gelesen oder sich mit dem inhalt auseinandergesetzt. das ist gerade auch
in buchläden kaum zu bewältigen, weil dort papier tonnenweise vorhanden
ist und täglich wechselt.
es geht uns jetzt nicht darum, etwas als besser oder schlechter
hinzustellen, sondern um unterschiedliche sichtweisen, entsprechend der
eigenen situation und arbeit. für die verteilerInnen sind wir als radi ein
fixpunkt, für uns waren sie hunderte verschiedene menschen und gruppen.
es ist selbstverständlich, daß genossInnen am inhalt messen, ob sich das
risiko der verteilung für sie selbst lohnt. und dann sollte eine
diskussion entstehen, wo eine inhaltliche kritik auch uns gegenüber
formuliert wird, damit wir damit umgehen können, und sie u.a. in die
zeitung einfließen kann. das ist ja der sinn der kantaktadresse im ausland
und überhaupt der sinn kontroverser diskussion, daß unterschiede
dahingehend ausgelotet werden, ob und wie ein zusammengehen möglich ist.
von der kritik hat uns das meiste über zig stellen und gerüchte nur
verschwommen oder in form absoluter sätze erreicht. damit konnten wir
nichts anfangen. wir wußten meistens nicht, wohin wir uns wenden sollten.
wo es klar war, haben wir über kontakte und briefe unsere sichtweise
beschrieben und darum gebeten, die kritik deutlicher und für uns faßbar zu
formulieren. in den meisten fällen wurden auch mehrmalige initiativen
nicht aufgegriffen. das große schweigen hielt an, und der mißmut in den
gerüchten endete uns gegenüber in vollständigem nichtverhalten.
aber es soll nicht das bild entstehen, wir wären fürchterlich aktiv
gewesen und hätten überall eingegriffen. in den ersten monaten nach der
132 und auch später war das genaue gegenteil der fall. in der zeit fand
ein bruch statt, der in kraftaufwand und auswirkung einen ähnlichen
neuanfang bedeutete wie 84. wir haben uns gegenüber der kriminalisierung
der struktur fast gar nicht verhalten. das war ein kitten von rissen, die
bald so groß waren, daß du nicht mehr hinsehen konntest ohne aufgesogen zu
werden.
jetzt konkret zu der nr.132:
das postamt in bielefeld, wo alles aufgeflogen ist, war eine entscheidende
schnittstelle zwischen der illegalen und öffentlichen struktur. ähnlich
ist es bei der auslandsadresse. beide punkte waren unverzichtbar, um den
großen vertrieb zu bewältigen, und um wenigstens eine möglichkeit für die
kommunikation zwischen illegaler redaktion und außenwelt zu ermöglichen.
an diesen punkten war die gefahr am höchsten für alle beteiligten, also
auch für uns. während über die post die zeitungen aus der illegalen
struktur rausgehen, ist der weg der briefe über die öffentliche adresse
genau umgekehrt. die gefährung war uns bewußt, und wir haben sie inkauf
genommen. das hieß akzeptieren, daß keine andere möglichkeit der
verteilung vorhanden war, die die post hätte ersetzen können. so haben wir
den postvertrieb dann organisiert: möglichst große sicherheit im
verhältnis zu den eigenen kräften und möglichkeiten. z.b. wurden die
zeitungen auf mehrere städte verteilt aufgegeben.
dann kam der hammer. wie die 132 und die namen der leute aufgeflogen sind,
hat uns lange mundtot gemacht. es war plötzlich klar, daß von dem
bewußtsein der gefahr zuwenig umgesetzt wurde, und dann noch am heikelsten
punkt überhaupt. angesichts der summe und auswirkung der fehler hast du
nicht nur die arbeit an der zeitung bezweifelt, sondern ob wir selbst dazu
in der lage sind trotz über 2 jahren erfahrung. die stimmung war eine art
kollektives schachmatt.
es fing damit an, daß gerade die 132 zu einem wesentlich größeren teil auf
einem postamt aufgegeben wurde, als geplant. der grund war eine nicht
vorhersehbare "naturgewalt", die wir nicht genauer beschreiben können.
jedenfalls haben die betreffenden genossInnen in einer hektischen
situation, in der keine zeit für überlegungen war, so entschieden. andere
hätten evtl. anders gehandelt, aber im nachhinein läßt sich vieles klarer
beurteilen, als in der konkreten situation. die große menge kann auch ein
grund gewesen sein, warum die postler mißtrauisch wurden. wahrscheinlicher
waren es die offenen umschlage der einzelabos. wenn du die zeitung offen
als 'büchersendung' verschickst, hat es 90 pfennig gekostet. beim
geschlossenen versand sind es 3 mark, und insgesamt hätte das mehrere
tausend mark mehr porto bedeutet.
der schlimmste fehler war, wie die paketkarten beschriftet waren. das
problem ist schon vor der 132 ansatzweise aufgefallen, aber in der hektik
war es plötzlich weg. dafür könnten wir uns selbst eine reinhauen, aber
die folgen werden nicht ungeschehen.
zwischen august 86 und februar 87 wurden 60 läden und 59 wohnungen
durchsucht. 5 leute wurden stellvertretend für alle zu teils hohen
bewährungsstrafen verurteilt, nachdem insgesamt gegen 192 nach 129a
ermittelt wurde.
es lief so ab, daß zuerst die offenen einzelabos auf geflogen sind, die in
einem gesonderten bereich der post abgegeben wurden. ca. eine woche später
hatten sich die bullen über bka, baw und bgh mit einem
beschlagnahmebeschluß bis in die paketanahme vorgearbeitet. viele pakete
waren da schon weg, aber nicht die dazugehörenden paketkarten. ein
abschnitt. mit empfänger, absender und gewichtsangabe wird aufbewahrt für
spätere reklamationen. ohne diese abschnitte hätten die empfänger der
bereits verschickten pakete nicht ermittelt werden können. jede
information auf der paketkarte hatte für die bullen eine wichtige
funktion. anhand des absenders - das war die gültige auslandsadresse - und
des einheitlichen schriftbildes auf den aufklebern, konnten sie mühelos
den verteiler unter anderen paketkarten herausfischen. neben dem empfänger
bekamen sie auch eine zahl auf dem aufkleber geliefert, die sie als anzahl
der zeitungen im paket interpretierten. das mußten sie dann nur noch mit
der gewichtsangabe durch die post vergleichen und behaupten, daß hier und
dort jeweils soundsoviel zeitungen angekommen wären. oft fanden sie bei
den durchsuchungen noch das paket selbst, rechnungen, begleitschreiben und
sogar ältere ausgaben. aber es wäre nicht nötig gewesen, denn der rest war
formsache. ein regionaler staatsanwalt fügte der anzahl ein "zum zwecke
der verteilung" hinzu und beantragte ohne große verrenkungen nach 129a.
der hintergrund all dieser 'oberflächlichkeiten' waren machtstrukturen
innerhalb des kollektivs. frauen mußten gegen die bevormundung von männern
und deren art politik zu machen ankämpfen. es gab starke unterschiede in
der frage, auf welche menschen wir uns beziehen, über die wertigkeit von
militanz, und entsprechend in welchen politischen bereichen schwerpunkte
gelegt werden müssen. all das - und noch viel mehr - führte zu
destruktiven kämpfen untereinander, und die beiden teile der nr.132 wurden
grob das produkt zweier fraktionen. nach der 132 spaltete sich die gruppe,
weil einige sich zu hassen begannen und alle anderen sich dagegen nicht
durchsetzen konnten. die repression trieb den konflikt auf die spitze. der
schlag nahm dir die ruhe und den abstand, die genau zu diesem zeitpunkt
nötig waren, damit wir uns ohne druck von außen mit uns selbst
beschäftigen können.
mit abstand lassen sich die fehler fassen und daraus lernen. wir hoffen,
damit möglichst sorgfältig umgegangen zu sein. in der situation damals
wären viele dinge nicht vorstellbar gewesen, auch wenn sie gedacht worden
wären.
klar ist die scheiße mit der beschriftung der paketkarten oder daß die
offenen umschlage auf kosten der sicherheit gingen. nach dem schlag der
repression war leicht vermittelbar, warum ein geschlossener versand nötig
ist, und daß deshalb ein abo teurer wird. es war auch läden vermittelbar,
daß der z.b. im buchhandel übliche 30% rabatt wegfällt, weil kohle als
motivation bei der verteilung keine rolle mehr spielte. aber ob das vorher
verstanden worden wäre, halten wir bei den meisten für unwahrscheinlich,
denn sehr viele haben nichtmal die schulden trotz rabatt bezahlt. und das
kohleproblem war der konkrete grund für die offenen umschlage und so der
hauptsächliche ansatz, über den alles aufgeflogen ist.
kriminalisierung und repression haben auch ein bewußtsein und so
möglichkeiten geschaffen, die vorher nicht in der art vorhanden waren. das
ist nicht zynisch gegenüber den betroffenen gemeint. es geht eben um einen
bewußtseinsprozeß, weswegen die repression unserer meinung nach zum teil
gescheitert ist. also es ist kein zufall, daß schon in der nr.133 eine
diskussion mehrerer gruppen über das konzept und selbstverständnis der
radi anfing, und daß darüberhinaus immer mehr genossInnen die
notwendigkeit sehen, für und in der struktur mitzudenken und verantwortung
zu übernehmen. und das liegt nur zum teil an unserer vermittlung in und
außerhalb der zeitung.
zur inhaltlichen kritik bei der frage:
der gruß an das raf-kommando und die erklärung waren die juristische
handhabe tür die repression. dieser spezielle inhalt der nr.132 wurde
hervorgehoben, weil damit auf die fortgeschrittene distanzierung vom
"Terrorismus" auch bei linken aufgebaut werden konnte, und so die razzien
und prozesse leichter zu legitimieren waren.
nicht allein dieser inhalt der 132 wurde kriminalisiert. es war fast der
gesamte inhalt, der gegen irgendein gesetz verstieß. z.b. die aufforderung
zum klauen, die anschlagserklärungen oder ein Artikel zur pfingstrandale
in wackersdorf, in dem "der Gewalt das wort geredet" wurde. also gewalt
von unten gegen gewalt von oben ist kriminell, und die waa wird jetzt aus
profitgründen nicht mehr gebraucht.
wir denken daß die repression auch gegen die nr.131, 133 oder jede andere
ausgabe zugeschlagen hätte, wenn die bullen den konkreten ansatz wie in
bielefeld gehabt hätten oder in zukunft bekommen. juristische vorwände
lassen sich immer finden, weil sie existieren.
den gruß an das raf-kommando als "überflüssig" zu bezeichnen heißt, daß
die betreffenden sich gar nicht vorstellen können, daß er ernst gemeint
war. in einer zeit, wo diskussionsveranstaltungen verboten und die bloße
forderung nach zusammenlegung der gefangenen mit dem 129a verfolgt wird,
geht es doch gerade darum, an den wurzeln der repression anzufangen, und
nicht schritt für schritt zurückzuweichen. bis du mit dem rücken zur wand
stehst und gar nichts mehr sagen kannst. der gruß kam auch nicht aus dem
hohlen bauch. zuvor fand eine auseinandersetzung mit der politik der raf
und dem hungerstreik statt, nach der uns niemand blinde solidarität
vorwerfen kann. auf der anderen seite fiel der anschlag in die zeit nach
tschernobyl, als in anderen erklärungen und analysen der bewegung überall
der name siemens als nutznießer und hauptverantwortlicher eben nicht nur
der atompolitik auftauchte. mit beckurts hat es also nicht nur den
richtigen erwischt, sondern die aktion hat sich durch sich selbst
vermittelt.
wir stehen hinter diesen drei sätzen, auch wenn wir gerne noch mehr gesagt
hätten. sie entsprachen dem spontanen und richtigen gefühl vieler, die
auch das gefühl der ohnmacht gegenüber der unterdrückung und solchen
hintermännern der macht kennen. die sympathie mit der aktion kannst du
nirgendwo lesen, weil sie nicht öffentlich artikuliert wird, weil das
verbot es zu tun schon in vielen köpfen sitzt. das heißt aber nicht, daß
es sie nicht gibt. und deshalb ist auch ein kurzer gruß nicht überflüssig
sondern notwendig, damit auch die unauffällige repression nicht gänzlich
zum normalzustand wird. wenn du nicht mehr sagen kannst, was du denkst und
fühlst, kannst du dich stückweise begraben.
die erklärung des kommandos war nur beigelegt, weil der abdruck zeitlich
nicht geklappt hat. sie ist nirgendwo veröffentlicht worden, mal von
verschiedenen szene-klüngeln abgesehen. weil andere auch verständliche
gründe dafür haben, ist die radi ja illegal. damit genau solche und
überhaupt alle erklärungen doch verbreitet werden, damit die motive der
aktion bekannt werden und diskussionen stattfinden können. das interesse
ist vorhanden, auch wenn viele linksliberale es leugnen. normalerweise
werden erklärungen in ihren medien dann veröffentlicht, wenn die aktion
und ihr inhalt für eine distanzierung herhalten. und so entsteht das bild
von der sinnlosigkeit von Aktionen und militanz, weil die ungenauen und
schlechten beispiele aufgeplustert und die zielgerichteten verschwiegen
werden.
was die anleitungen und speziell den abdruck der rz-broschüre angeht,
wollen wir ausführlicher darauf eingehen. wir bemühen uns wirklich knapp
zu antworten. noch mehr, unsere sicht möglichst genau rüberzubringen, weil
wir nicht alle tage eine 5jährige entwicklung wiedergeben.
unter anleitungen verstehen wir praktische und technische erfahrungen des
widerstandes für den widerstand. unter widerstand verstehen wir nicht
ausschließlich anschläge, sondern auch den kleinkriminellen alltag der
sabotage, verweigerung und aneignung. die anleitungen sollen mythen nicht
verfestigen, sondern sie aufbrechen und zum austausch untereinander
führen. in der frage wird das alles auf hypergefährliche "explosive
materialien" in der rz-broschüre reduziert. das kann es doch nicht gewesen
sein, wenn du dir die zeitungen reinziehst. zunächst einmal geht es auch
in der rz-broschüre nicht um sprengstoff, sondern praktische erfahrungen
die nachvollziehbar sind und verwendet werden. natürlich hängt das vom
jeweiligen hintergrund ab, als erstes, ob du dir selbst über solche dinge
gedanken machst. da wird z.b..nicht nur beschrieben, mit welcher
chemischen zusammensetzung ein molli funktioniert, sondern. auch wie er
geworfen wird, um zu treffen. die wurftechnik läßt sich prima auch auf
steinwürfe anwenden und proben. wenn du dir anschaust, wie oft klamotten
irgendwie nach vorne geworfen werden und dabei die eigenen leute
verletzen, dann ist das lernen U.a. der körperhaltung und technik bitter
nötig. das ist ein beispiel. es ließe sich auch anwenden auf die tips zur
spurenvermeidung, wenn du einen brandsatz baust. daß die braschüre "in der
militanten szene umstritten" ist, halten wir für ein gerücht. also wenn
"umstritten" heißt, daß sie nicht perfekt ist, dann mag das so sein. das
haben die rz aber auch nie behauptet. sie haben von ihren erfahrungen
gesprochen und diese zusammengefaßt, damit andere nicht von vorne anfangen
müssen und auch fehler vermeiden, die den genossInnen evtl. selbst
passiert sind. wenn sie mischungsverhältnisse beschrieben haben, die
explosiv sind, dann wird schon in fast jedem absatz dazugesagt, daß alles
- und das bezieht sich auf die ganze broschüre - selbst und in kleinen
mengen ausprobiert werden muß.
wir hatten mit dem abdruck der rz-broschüre angefangen, weil wir die
erfahrungen selbst nutzen und darauf aufbauen konnten. es hätten auch
passagen von johan most sein können, der tot ist, oder aus der broschüre
'guerilla diffusa', die wesentlich ungenauer ist als die rz. hinter dem
abdruck stand eine absicht, die sich immer mehr konkretisiert hat. im
dezember 87 haben genossInnen mehrere brandanschläge auf kaufhäuser in
hamburg gemacht. prinzipiell finden wir solche brandsätze weniger
gefährlich, als z.b. die gefährdung für frauen, die durch die sexistische
werbung besteht. vergleiche kannst du dir aber sparen, wenn sich die
allgemeine panik in den medien breitgemacht hat.
wenn ein solcher brandsatz losgeht, gibt es eine stichflamme, die kurz
darauf in sich zusammenfällt, ähnlich wie beim feuerspuckern. natürlich
kann jemand verletzt werden, aber das risiko steht in einem bestimmten
verhältnis und ist gering. zumal die genossInnen merken, wenn das ding
nicht außerhalb der öffnungszeit losgeht, und dann eine warnung
übermitteln. der brandsatz ist nur ein mittel, um die sprinkleranlage
auszulösen, die den eigentlichen schaden verursacht und wie in hamburg
verbilligten einkauf möglich macht. nicht mehr und nicht weniger zündstoff
brauchst du. und wenn sich die zündung verzögert oder gar nicht
stattfindet, dann muß überlegt werden, ob z.b. die verwendeten säurezünder
angebracht sind oder verändert werden müssen, weil sie in diesem fall die
pünktlichkeit nicht garantieren konnten. was ein säurezünder und ein
mechanischer zünder ist, mußt du erstmal wissen, um vor- und nachteile zu
kennen, um alternativen zu haben, um möglichst sichere anschläge
durchzuführen. deshalb haben wir die rz-broschüre abgedruckt. wir haben
uns gedacht, militanz ist nicht allein eine theoretische sache, sondern
etwas sehr praktisches. die theorie kannst du untereinander besprechen und
veröffentlichen in bestimmten zeitungen. aber die praxis muß auch den
besten freundinnen gegenüber geheim bleiben. sie ist oft die isolierte
entwicklung einer gruppe, es gibt kaum kommunikation und austausch, und
das ist für uns ein grund für den mythos 'anschläge' und warum vielen
menschen dieser schritt so schwer fällt. militante aktionen sind kein
privileg besonders hochwertiger perfektionisten, und sie erfordern auch
nicht die fähigkeiten einer spezialistin. alle können es, denn alle können
lernen und mit ihrem bedürfnis nach militanz umgehen. menschen sind in der
lage mit streichhölzern, bunsenbrennern und sogar mit schweißgeräten
umzugehen, wenn sie das lernen. nicht groß anders ist die technische
gefährlichkeit eines brandsatzes, wenn du lernst ihn zu bauen, zu
transportieren und zu deponieren. für dies handwerk braucht es keine
besonderen technischen fähigkeiten. wenn sich welche die finger verbrennen
- wie du sagst - dann ist ihnen die möglichkeit vorher bewußt. oder du
gehst danach anders damit um. oder du läßt es sein, weil sich die
neugierde nicht gelohnt hat. wir wissen kein einziges beispiel, wo sich
leute bei brandsätzen - nicht sprengstoff - ernsthaft verletzt hätten.
wenn - wie in der frage gesagt wird - "genügend beispiele" da wären, dann
müßten sie verbreitet werden und nicht als anlaß dienen, wegen fehlern und
mängel das ganze infrage zu stellen. wir denken, daß bei sogenannten
betriebsunfällen wesentlich mehr leute ernsthaft verletzt werden, obwohl
es staatliche auflagen und überprüfungen gibt. brandsätze werden nicht zum
geldverdienen gelegt, d.h. du kannst zurecht eine andere
eigenverantwortung voraussetzen, erstrecht wenn sie ständig erwähnt wird.
in gewisser hinsicht ist auch die gefährlichkeit von anschlägen ein
mythos. also nicht der anschlag an sich ist gefährlich, sondern daß du
dieses system bekämpfst. das technische wissen macht die aktion im
gegenteil bekannter, kalkulierbar und damit ungefährlicher. in dem maße,
wie du dich auf eine militante demo vorbereitest, sinkt die gefährdung für
alle beteiligten.
wenn du einem bullen widersprichst und alleine bist, ist das gefährlich.
auch häuser besetzen ist gefährlich. gefährlichkeit und bedrohung sind
logische elemente in jedem radikalen und aufsäßigen leben. aber sie sind
nicht feststehend, es hängt entscheidend von dir ab, wie schnell du
einfährst oder dich und andere verletzt.
gefährlich, oder besser: brisant, ist der rahmen in dem der anschlag
stattfindet. daß eine Gruppe das angriffsziel genau bestimmt und die
durchführung verantwortlich plant, damit - eine gefährdung auch anderer
ausgeschlossen wird. daß sie sich mit dem risiko einzufahren beschäftigt
und auch ohne drin zu sein, mit der bedrohung durch knast. es kommt auf
das bewußtsein an, mit dem du diesen kampf führst. ob du anschläge als
methode in gewissen situationen besser findest, als ein flugi oder ob es
wichtiger wäre, gemeinsam mit vielen eine demo zu organisieren.
welche methoden angebracht sind, hängt von der politischen und örtlichen
situation ab, und von den eigenen erfahrungen. es ist wichtig, viele
methoden zu kennen, damit du die wirkungsvollste auswählen kannst. es gibt
situationen und zeiten, in denen du handlungsunfähig wirst, weil eine
aktionsform gerade nicht sinnvoll oder nur mit hohem risiko durchführbar
ist, und für andere formen und mittel zuviel zuschnell gelernt werden
müßte. wir haben einen prozeß im kopf, in dem viele aktionsformen
gleichberechtigt entwickelt werden. wesentlich ist, daß du darüber auch
öffentlich diskutieren mußt. dies öffentliche z.b. in der radi - allein
das schon - ist ein schritt gegen die vereinzelung und den mythos
`militante aktion.
über die radi kann der austausch revolutionärer praxis laufen, weil sie
die repression nicht berücksichtigen muß und relativ weit verbreitet ist.
wir wollen nicht über scheren in den köpfen diskutieren, sondern dort
weitermachen, wo es keine scheren gibt; also wir stellen nicht die
notwendigkeit von militanz infrage, sondern wollen damit weiterkommen.
dann ist es konstruktiv, wenn genossInnen aus eigenen erfahrungen sagen:
das klappt so nicht, anders geht es besser. gerade das wechselspiel
wollten wir erreichen.
es kamen zunehmend erklärungen zu anschlägen, wo genossInnen von sich aus
auch vorgehensweise, sicherheitsüberlegungen und neue techniken
beschrieben haben. die vermittlung der praxis stand oft gleichberechtigt
neben der vermittlung des inhalts der aktion. z.b. zündelten
'revolutionäre viren' mit einem tauchsieder, oder in dem interview in der
nr.134 erklärte eine gruppe, warum eine geplante entführung wegen ganz
anderer und neuer sachen abgeblasen wurde. da ging es u.a. um
gruppenprozesse, sichere wohnungen und wie du an autos rankommst. solche
fragen sind vorher vernachlässigt worden, obwohl sie eine menge mit
revolutionärer praxis zu tun haben. in diesem zusammenhang stand dann die
anleitung für einen ausdreher, mit dem' schlösser geknackt werden, und die
sich mittlerweile praktischer beliebtheit erfreut.
unser verhältnis zu anleitungen hat sich so verändert. wir haben
hauptsächlich aufgegriffen und dokumentiert, was andere in eigener
verantwortung veröffentlichen wollten. auch die art der anleitungen
änderte sich, z.b. wenn es um methoden des einklauens ging oder den bau
eines ukw-senders. es entsprach den vielfältigen möglichkeiten und der
gleichberechtigung mehrerer formen des widerstandes, und so hat sich der
politische inhalt über anschläge hinaus ausgedehnt. besonders deutlich
wird das an den Anleitungen der anti-akw-bewegung, die überall kursierten.
nach tschernabyl ging die massenhafte sägerei an strommasten los. es war
politisch richtig und machbar für viele, also nicht nur für leute mit
besonderen sägetechnischen fähigkeiten. so war auch die realität, daß
unterschiedliche menschen zur säge griffen, als die sinnlosigkeit des
bloßen protestes deutlich wurde. dann gab es verletzte, leute die
eingefahren sind und die namen anderer aussagten. das haben wir
veröffentlicht und mehrere schlüsse daraus gezogen: wir haben uns z.b. mit
aussageverweigerung beschäftigt, und anhand der sägerei den hintergrund
militanter aktionen hinterfragt. also du bist nicht militant, weil du
sägst oder sprengst oder egal mit welchen mitteln sachschäden produzierst,
sondern militante aktionen müssen ein bewußter schritt und auch das
ergebnis einer gemeinsamen entwicklung sein. wir haben versucht, den
mythos des sachschadens und des einmaligen erfolgserlebnisses anzugreifen:
das ist ein bereich und eine bewegung, die aktuelle betroffenheit muß zum
kampf gegen das system in allen bereichen werden.
wir sind mit solchen inhalten nicht losgelöst vorgeprescht. die euphorie
und spätere mulmigkeit war in der bewegung selbst vorhanden. als das neue
gesetz speziell gegen die aktionen an strommasten kam, waren sie aus
eigener Überzeugung schon fast vorbei. die erfahrungen damit sind es
nicht. heute überwiegen in der radi themen, wo es um die bedingungen und
persönliche entwicklung für militante praxis geht. das ist z.b. der sinn
der 'spüren-broschüre' in der nr.136, die auf dem kleinkriminellen alltag
und den konsequenzen aufbaut., die sich aus so einem leben ergeben. oder
die auseinandersetzung mit spitzeln im verhältnis zu mehreren anschlägen
auf banken. also es gibt die entwicklung militanter Gruppen vor einer
aktion, und die konfrontation mit spitzeln, bullen und knast danach. in
diesem verhältnis findet ein radikales und militantes leben statt, in dem
anschläge nur ein teil sind. wenn in den letzten ausgaben der radi weniger
klassische anleitungen drin sind, dann liegt das nicht nur an uns. es
werden weniger erklärungen geschickt, und es laufen derzeit auch weniger
anschläge, als z.b. nach tschernobyl. aber das ist nicht der einzige
grund, denn es gibt immer gruppen, die eine kontinuierliche militante
praxis haben.
wir wollen keinesfalls darauf verzichten, und die tat und alles was damit
zusammenhängt, soll inhaltlicher schwerpunkt der radi bleiben. allerdings
erwarten wir gerade bei diesem punkt die verantwortliche beteiligung von
anderen, weil wir uns nicht alleinverantwortlich für den inhalt der
zeitung sehen. es wurde schon gesagt, daß wegen der organisatorischen
arbeit weniger zeit und kraft für die inhaltliche bestimmung bleibt, als
wir möchten. das wird sich erst langsam ändern. wenn genossInnen meinen,
daß die revolutionäre praxis in den letzten ausgaben zu kurz kam, dann
stimmt das für verschiedene bereiche. aber wir gehen nicht auf sammelfahrt
und wollen - wie gesagt - nicht allein bestimmen und interpretieren, was
sache aller sein muß.
abschließend noch was grundsätzliches zur kritik in der frage, weil wir sie ja oft hören. es ist zwar immer die radi als eigenständiges ding gemeint, aber so können wir nicht antworten. wir sind nicht nur radi sondern auch widerstand, und deshalb gehen wir mit anleitungen nicht als redaktionelle sache um. die kritik trifft einen punkt, an dem sich viele von der zeitung distanziert haben. es ist ähnlich, wie die distanzierung vom widerstand läuft. das geschieht auf einer ebene der floskeln, also wenn z.b. wie in der frage festgestellt wird: "sicher, jedes. herz ist eine revolutionäre zelle". wenn es bloß so wäre - da würden einige aus den gräbern springen vor freude. aber es gibt noch tiefergehende 'argumente', wie, wir würden ein nettes "spiel mit der illegalität" abziehen, uns an "wortradikalismus" ergötzen, und überhaupt hätten wir uns ja selbst toll verbunkert, während andere für unsere angeberei repression kassieren. dieses bild macht uns zu dummen arschlöchern, die das vertrauen und die gutmütigkeit anderer ausnutzen, und womöglich noch die inhalte revolutionären selbstverständnisses in den dreck ziehen. die art der kritik macht es schwer, damit umzugehen oder zu antworten. besonders wenn d die betreffenden leute nicht kennst. es ist öfter vorgekmmmen, daß die kritik dazu diente, den eigenen widersprüchen auszuweichen, indem stellvertretend die radi angegriffen wurde. dann ging es überhaupt nicht um inhaltliche diskussion, und es wäre ehrlicher zu sagen, haut bloß ab und laßt uns in ruhe. das bittere war, sowas erst dann zu merken, wenn auf unser aufgreifen der kritik einfach nicht geantwortet wurde.
ID-Archiv: Seit Herbst '86 ist die radikal, rein optisch zumindest, von den Auslagen der traditionellen linken Informations und Kommunikationsorten, den Buchläden verschwunden. Diese Tatsache ist ohne Zweifel ein Erfolg staatlicher Repressionsstrategie. Was hat es bei euch für Diskussionen um die oben genannte Nr. 132 gegeben ? Wie wurde mit der Repression gegen die Buchläden und WiederverkäuferInnen umgegangen. In der Nr. 133 (1987) findet zwar eine 30seitige Debatte zur Konzeption der Zeitung statt, bezüglich der Repressionswelle gegen angebliche VerbreiterInnen ist dort jedoch kaum etwas zu finden. Welche Bedeutung hatte für die radikal die Auseinandersetzung in bzw. mit den Buchläden. Das Verhältnis Buchläden- radikal ist seit dieser Zeit ja wohl weitgehend von Ignoranz bzw. Desinteresse geprägt. Von nicht wenigen wurde das Projekt 'illegale' radikal danach als gescheitert betrachtet.
radi: das stimt. die stimmung war ähnlich wie nach dem prozeß 84, sehr distanziert. damals hatte sich das dahin verändert, daß beobachtet wurde, was aus der sache wird. das heißt aber nicht, daß das projekt illegale zeitung' realistisch oder machbar eingeschätzt wurde. wenn du etwas als "gescheitert" ansiehst, kannst du dir eine weiterentwicklung nicht vorstellen. einmal gab es bei vielen einen vertrauensbruch nach unseren fehlern bei dem vertrieb der 132. dann der konkrete anlaß, daß die radikal scheinbar über die verteilung zerschlagen war. also wie müssen wir drauf sein, wenn wir soviel streß und arbeit in eine illegale zeitung reinstecken, die nicht rumkommt. wenn du dich an der erfahrbaren realität orientierst, scheint es aussichtslos, eine derart breite und gewachsene struktur wie die buchläden zu ersetzen. da spielt auch eine allgemeine resignation mit rein, denn wenn die bullen so reinschlagen wie geschehen, wächst nur selten und spärlich etwas neues. 84 war es auch so. da schien es kaum möglich, daß aus einer illegalen zeitung etwas anderes als ein isoliertes untergrundblatt wird.
im prinzip geht es aber um was anderes. der aufwand, die kraft und das risiko die in eine sache reingesteckt werden, wird an dem ergebnis gemessen. und da hatte die radi für mancherlei ansprüche nlicht viel vorzuweisen. sie erschien selten, fast nicht wahrnehmbar, und konnte kaum aktuelle auseinandersetzungen aufgreifen oder zu bestimmten anlässen mobilisieren. außerdem wurde sie noch immer stark mit der legalen zeitung vor dem prozeß verglichen. besonders die metropolenszene, die auf aktuellere und bessere informationsträger zurückgreifen kann, stand relativ passiv daneben, weil die radi dort kaum einen gebrauchswert hatte. wenn genossInnen der zeitung an sich - dem inhalt - nicht den großen sinn und nutzen abringen können, dann ist das "gescheitert" nach so einem schlag verständlich. allerdings gab es keine genauere diskussion, die speziell die radikal zum gegenstand hatte oder ob eine illegale zeitung als notwendig angesehen wird. insofern haben wir die ablehnende sichtweise sehr oberflächlich und von weit außenstehend reingekriegt, ähnlich wie das stumme kopfnicken zuvor. wir würden sagen, für buchläden war wohl die verteilung der radi gescheitert, aber das kann nicht auf das ganze projekt illegale zeitung ausgedehnt werden. es wird so stillschweigend davon ausgegangen, daß dafür der öffentliche vertrieb zwingend notwendig ist, bloß weil alternative erfahrungen fehlen. die radi war damals die initiative und verantwortung sehr weniger leute. außerhalb der illegalen struktur gab es kaum eine basis in einer szene oder bewegung, die sich z.b. kontinuierlich damit auseinandergesetzt, oder die zeitung zur verbreitung eigener inhalte genutzt hätte. nach der 132 haben wir uns von einigen ansätzen und hoffnungen grundlegend verabschiedet. es fand ein ziemlich plötzlicher und umfassender bruch statt. ab da ging es nicht mehr allein um diese zeitung, sondern um das ob und wie revolutionärer propaganda aus der illegalität in die öffentlichkeit. wir hatten mehrere zeitungsprojekte vor augen, die entweder an der repression gescheitert sind und/oder daran, daß die eigenen strukturell sie nicht getragen haben. das gehört zusammen. wir standen an einem punkt, den die meisten erst gar nicht erreichen. wir haben das als so einen geschichtlichen teufelskreis gesehen: es entstehen überall und immer wieder autonome zeitungen. je mehr wirkung sie entfalten und in einer basis verwurzelt sind, desto notwendiger werden sie angegriffen. das muß nicht über den 129a laufen, es gibt viele stufen darunter, mit denen die bullen die zeitungsarbeit erschweren können und nerven. ab einer bestimmten stufe kann der konflikt nicht mehr allein von der jeweiligen redaktion getragen werden, und das bewußtsein in die notwendigkeit autonomer kommunikationsstrukturen ist auch heute nicht so vorhanden, wie es notwendig wäre. mit der zeit verzweifelst du daran, also wenn z.b. beim "freiraum" oder "s'blättle" jede ausgabe immer fadenscheiniger kriminalisiert wird, die ganze auflage beschlagnahmt wird, durchsuchungen und verfahren folgen. wenn die bullen hartnäckig bleiben, hälst du sowas nicht lange aus. während eine neue nr. entsteht, kannst du dir schon ausrechnen, daß sie ebenfalls verboten wird. die arbeit an der zeitung wird dann auch in der legalität zur arbeit an strukturen, die sie tragen und schützen müssen, "s'blättle" blieb z.b. nichts anderes übrig, als auf eine ausländische kontaktadresse auszuweichen.
aktuelles beispiel ist "sabot" in hamburg. zum prozeß gegen fritz ist zwar viel und auch öffentlich über sinn und zweck des 129a gesagt worden. aber das konkrete ziel der repression - der angriff auf die zeitung - rückte in den hintergrund. nach dem urteil beschwerten sich dann die genossInnen von der sabot über die fehlende unterstützung in der szene, und seitdem gibt es die zeitung nicht mehr. wir denken es hat damit zu tun, daß die kampagne stark an der person von fritz orientiert war, den viele kennen, und so die hintergründe seiner einknastung eben auch in den hintergrund traten. das wird auch daran deutlich, daß er jetzt in isolation sitzt und von der ehemaligen stärke draußen kaum was übrig ist, obwohl sie gerade heute wichtig wäre.
wenn sich genossInnen jahrelang nicht in die illegalität drängen lassen,
dann führen sie einen kampf, der notwendig ist und nie grundsätzlich
aufgegeben werden darf. mit der radi haben wir den anderen weg
eingeschlagen. nach der 132 ging es einfach nur darum, ob dieser andere
Ansatz eine perspektive hat und verwirklicht werden kann, oder eben jetzt
gescheitert ist. also nicht allein für die radi, sondern stellvertretend
für einen gangbaren weg nach der kriminalisierung autonomer zeitungen. wir
haben angefangen, langfristig zu überlegen und sind dabei auf notwendige
bedingungen gestoßen, deren verwirklichung zuvor mehr oder weniger dem
zufall überlassen wurde. als erstes: die illegale zeitung kann sich nicht
mehr auf einen öffentlichen verteiler stützen. sie muß mit autonomen
strukturen vertrieben werden. wenn solche strukturen aufgebaut werden
können, dann entspricht diese organisierung dem wesentlichen ziel und
selbstverständnis, die eigenen inhalte auch in die eigene hand zu nehmen.
du verläßt dich nicht auf funktionen, die z.t. gewinnorientiert arbeiten
oder wegen ihrer angreifbarkeit bestimmte grenzen nicht überschreiten
können. als zweites: die radi ist nicht irgendeine zeitung, weil das
projekt im verhältnis zu repression und widerstand mehrere
entwicklungsstufen hinter sich hat. der umgang mit ihr bedeutet viel
zwangsläufiger knast, und staatlichen angriff, als bei vielen anderen
zeitungen. die ebene der konfrontation kann zur stärke des widerstandes
werden, wenn daran bewußtsein entsteht und sich organisiert. das heißt,
die verteilung der zeitung setzt kenntnis der situation und bewußtsein der
gefährdung voraus und muß entsprechend organisiert werden. welche deswegen
zeit, arbeit und risiko inkauf nehmen, müssen sich vielmehr mit genau
diesem projekt identifizieren, als viele buchhandlungen. gibt es
überregional genug genossInnen, die verantwortung übernehmen und die sache
so auch zu der ihren machen, dann schwebt die radi nicht im luftleeren
räum, weil eine basis von unten existiert. dann lohnt es weiterzumachen,
und die arbeit mit mehreren neu zu bestimmen.
die entwicklung bis heute und wahrscheinlich noch viel länger ist der
versuch, eigenständige und eigenverantwortliche strukturen mit der radi
umzusetzen. einige von uns haben mal von einer struktur der zellen und
netze gesprochen. dabei geht es nicht um illegal oder legal, sondern um
die vielfalt der regionalen und individuellen möglichkeiten, die in ihrer
Gesamtheit eine solche trennung aufheben. wenn du dir dies bild
vorstellst, dann sind zellen die knotenpunkte in dem netz, das sich mit
faden verzweigt und wuchert, so daß woanders neue knotenpunkte entstehen.
es kann ein spinnennetz sein, das eine spinne um ihren brennpunkt webt
oder ein fischerInnennetz, wo erst die vielzahl der quadrate den fang
ermöglicht. es ist wohl klar, welche struktur eher autonomem
selbstverständnis entspricht und unkontrollierbarer ist. klar ist auch,
daß eine zentrale struktur schneller aufzubauen ist, als eine
eigenverantwortliche. letztere steht dafür auf festeren beinen.
wir haben leider nicht viel Übung mit so beschreibungen aus der welt des
fischfangs oder der tiere. viele leute denken ja, daß zu einer zeitung
eine redaktion gehört, der dann eine produktions- und vertriebsabteilung
beigeordnet sind. daß eine arbeitsteilung auch ohne bürokratische regeln
oder mit maßstäben wie fähigkeit' laufen kann, läßt sich wohl schwer
vorstellen. wir denken, daß es gehen muß, und daß speziell eine illegale
zeitung nur von vielen und autonom organisiert werden kann. wir sehen es
nicht als grundsätzlichen erfolg der repression, daß die radi kaum noch
auf den tischen der buchläden ausliegt. es ist eher eine folge der
repression. erst über längeren zeiträum kannst du feststellen, in welchen
punkten wir verloren oder gewonnen haben. das hängt mit vielen kriterien
zusammen und davon ab, ob und welche konsequenzen gezogen werden. in
manchen situationen ist es möglich, sich nicht zurückdrängen zu lassen.
in anderen ist es klüger, mit neuen mitteln und möglichkeiten denselben
zweck zu erzielen, und die bullen ins leere laufen zu lassen. eine
illegale zeitung kann derzeit nicht auf Öffentlichen und breiten druck
vertrauen, was nicht bedeutet, daß er keine rolle spielt.
die repression hat erfolgreich abgeschreckt, aber es ist auch bewußtsein
entstanden. die radi kann abonniert werden, und über neue möglichkeiten
auch der öffentlichen verteilung erreicht sie leute in verschiedenen
politischen bereichen. die auflage steigt wieder. es hat also nicht
geklappt, die zeitung auf eine bestimmte szene zu isolieren, und es wäre
auch weniger erfolgversprechend, die neue struktur mit den alten mitteln
anzugreifen. sie werden versuchen, leute zu finden, als köpfe aufzubauen
und einzuknasten. aber ihre abschreckung würde nicht mehr so leicht
greifen, weil hinter der verteilung der radi heute ein anderes bewußtsein
steht. eben die erfahrung der repression gegen die 132 und zig andere
schweinereien gegen kommunikationsstrukturen in den letzten jahren.
wir denken, daß dadurch insgesamt das verhältnis zur radi genauer geworden
ist. also nicht nur bei solchen die verteilen, sondern auch bei
leserInnen. daß du eine zeitung vom ladentisch kaufen kannst, ist normal.
aber wenn sie z.b. von vermummten verteilt wird, mußt du dir schon was
dabei denken. als solche aktionen anfingen, haben viele leute den kopf
geschüttelt und sich gefragt, was für ein gehabe dahintersteckt. mit der
zeit sind welche von sich aus aktiv geworden, haben selbst solche aktionen
gemacht oder sie geschützt. dadurch wird eine ganze menge vermittelt, z.b.
wiemit die repression schon fortgeschritten ist, und daß du zu solchen
aktionen einfach gezwungen wirst. sie konfrontieren mit dem abstrakten
begriff von zensur. es wird klar, daß genosslnnen selbst was für den
austausch und die kommunikation untereinander tun, weil angreifbare
strukturen das nicht vollständig gewährleisten können.
was das verhältnis 'buchläden-radikal' betrifft, existiert es so nicht. es
gibt ein verhältnis zwischen der gewachsenen struktur der zeitung und
genossInnen, die darin oder außerhalb - das läßt sich gar nicht trennen -
verantwortung übernehmen. es ist nicht entscheidend, welche im buchladen,
jugendzentrum, kneipe etc. aktiv sind, sondern ob sie innerhalb ihrer
region möglichkeiten finden und einen teil machen, der mit vielen anderen
zusammen ein ganzes ergibt.
mit die buchläden meinst du wohl die vielzahl linker und alternativer
kollektive, die mit ihrer arbeit politische ansprüche verbinden. der
grundanspruch, denken wir, heißt: information und diskussion von unten,
verbreitung von gegenöffentlichkeit gegen die relativ gleichgeschalteten
medienkartelle, um - und das wäre der sinn der sache - über diese wichtige
kleinarbeit zu einer veränderung des bewußtseins beizutragen. denn es ist
ja so und wird auch so bleiben, daß medien an sich - also schriften, funk
und fernsehen - die am meisten bewußtseinsbildenen mittel in der
Gesellschaft sind. also wichtige mittel der herrschaftssicherung,
vereinzelung und vorbeugenden aufstandsbekämpfung. der politische anspruch
eines ladenkollektivs ist dem sehr ähnlich, mit dem wir eine zeitung
machen. im prinzip ziehst du am gleichen strang, und es könnte die
wundervollste arbeitsteilung anstehen. ist aber leider nicht grundsätzlich
so. erstmal haben sich einige buchläden in ihrer langen geschichte stark
in theoretische vertiefungen politischer ansätze reingekniet, und auf
ihrem hintergrund kam die radi wohl zu platt rüber. und dann müssen sowohl
buchläden wie auch einige zeitungen-mit linkem anspruch gewinn abwerfen,
damit sich die leute ihre arbeitskraft auszahlen können, d.h. die eigene
existenz ist daran gekoppelt. und dadurch entstehen konflikte, weil sich
viele arten der existenzsicherung im kapitalismus nicht mit radikalen
ansprüchen vertragen.
spätestens seit den 70ger jahren, seitdem bestimmte bücher, broschüren,
zeitungen und flugblätter kriminalisiert werden. geld verdienen läßt sich
damit nicht, im gegenteil handelst du dir nur streß und verfahren ein.
d.h. der politische anspruch kollidiert mit der existenzsicherung, und ab
dem punkt scheiden sich die geister. einige machen weiter und kämpfen
gegen die repression an, und zwar aus eigenem selbstverständnis, das sie
mit ihrer arbeit verbinden. welche sich z.b. gegen die repression der 132
gewehrt haben, haben das nicht getan, weil sie speziell die radi so toll
fanden und sich darin politisch verwirklicht sahen, sondern weil sie
selbst angegriffen wurden. das drückt auch das plakat aus, auf dem anhand
vieler zeitungen der zusammenhang zwischen zensur und gegenöffentlichkeit
hergestellt wurde.
andere, und das sind leider mehr, entscheiden sich für die
existenzsicherung zulasten des politischen anspruchs. einigen bleibt
aufgrund ihrer finanziellen lage und fehlender verankerung auch nix
anderes übrig, denn prozesse kosten geld und du stehst vor der
entscheidung, den laden evtl. dichtmachen zu müssen. aber mit dieser
situation wird von vielen nicht ehrlich umgegangen. die drehen dann den
spieß um, und hauen dir den eigenen widerspruch um die ohren bis es
knallt. also es wird nicht gesagt: scheiße, ich kann meinen Anspruch im
laden nicht so verwirklichen wie ich wollte, sondern er wird der
repression schleichend angepaßt. ein merkwürdiger aber real existierender
weg, sich selbst ernstzunehmen, indem die eigene position innerhalb eines
verdrängungsprozesses teilweise vollständig umgekehrt wird. dann wechseln
auch die feindbilder, und dann haben einige angefangen, die radi mit der
repression zu verwechseln. das war ein prima vorwand, die zeitung an sich
zum teufel zu wünschen, und sich ja nicht mehr mit den eigenen
widersprüchen zu konfrontieren.
vor der 132 konnten wir nur.begrenzt differenzieren. mit einigen gab es briefkontakte, und du hast gemerkt, daß die das projekt illegale radi schon ernstnehmen. dann ist auch zwischen uns und wenigen etwas entstanden, was du 'verhältnis' nennen könntest. aber die meisten haben nichtmal auf mehrere briefe oder fragen von uns reagiert. wir haben versucht zu erklären, daß die radi was anderes ist als ein legaler schmöker, und die haben die zeitung trotzdem ganz locker verkauft, weil ja die nachfrage da war. aus der ecke kamen dann die übelsten schuldzuweisungen, nachdem die bullen ihnen die 132 vor die nase hielten. manchmal hatten wir den eindruck, daß da welche echt nur kohle machen und die teilweise über jahre nicht rüberschieben. und dann waren wir schon soweit, bei einigen die scheiben einzuhauen, weil die einfach auf nix reagiert haben, ob unsere finanzielle situation erklärt oder später gedroht wurde. wegen der schulden stand die existenz der radi mehrmals auf. dem spiel. mindestens zwei ausgaben mußten verschoben werden, weil die kohle für die produktion gefehlt hat. die mußten wir dann woanders herholen, und das hat einmal ein halbes jahr gedauert. zu der zeit waren wir relativ naiv. wir hatten so ein bild von linken läden als mächtige institutionen, ohne deren unterstützung gar nichts läuft. so werden sie auch heute von vielen gesehen, relativ schnell akzeptiert und natürlich benutzt was das zeug hält. daß zwischen den kollektiven teils unterschiede wie sonstwas bestehen, ist uns erst durch das unterschiedliche verhalten nach der 132 endgültig klargeworden. bis dahin haben wir uns in einem einseitigen abhängigkeitsverhältnis gesehen, denn wir waren auf die verteilung der radi angewiesen, aber die laden nicht auf die radi. und dann stand hinter der zeitung eine anonyme Gruppe einem apparat hunderter verteilerlnnen gegenüber. ein gleichberechtigtes verhältnis dazwischen wäre eine schöne sache, aber in der wirklichkeit blieb es erstmal utopie. inzwischen orientieren wir uns nicht allein an den vorgezeigten ansprüchen oder dem einfluß, den so einige läden besonders in kleineren städten haben, wo kaum autonome strukturen existieren. wir schauen auf die praxis der genossInnen, egal ob sie in einem buchladen oder sonstwo aktiv sind. und es geht auch gar nicht mehr anders seit der 132, daß du die verteilung selbst wollen und jeweils organiseren mußt, nachdem das risiko klar ist. wir merken, daß es auswirkungen hat, wenn kollektive sehen, daß die verteilung der radi nicht von ihren laden abhängt. möglicherweise fällt dadurch ein druck weg und es 'entsteht eine auseinandersetzung auf gleichberechtigter ebene. wir meinen damit nicht speziell die traditionellen buchläden und haben auch nicht im kopf, daß kriminalisierte zeitungen und bücher plötzlich wieder überall öffentlich ausgelegt werden. wir fänden es notwendig, daß sowas nicht aufgegeben wird, aber es ist die entwicklung anderer, die wir nicht direkt beeinflussen können. wir machen halt die zeitung und nicht einen laden. aber vielleicht konfrontiert die existenz der radi und anderer zeitungen, und kann mit dazu beitragen, daß sich auch linke projekte wie buchladen kontinuierlich zusammentun und organisieren, wie z.b. "razzia" in hamburg. sowas findet normalerweise ja nur zu bestimmten anlassen statt, wenn viele betroffen sind. aber dazu muß auch im ganzen widerstand viel passieren, z.b. daß vorhandene strukturen nicht wie selbstverständlich genutzt, sondern mitausgebaut und neue geschaffen werden. in einem solchen prozeß entstehen seit jahren infoläden.
ID-Archiv: Bei 10 Ausgeben in fast 5 Jahren kann ja wahrlich nicht von einem kontinuierlichen Erscheinen gesprochen werden. Aus den Editorials läßt sich herauslesen, daß die radikal sich zunehmend als politisches Projekt definiert. Könnt ihr da mal ausführlicher drauf eingehen ?
radi:
erstmal geht auch heute nur ein teil der arbeit in den inhalt und die
produktion einer ausgabe. eine illegale zeitung z.b. monatlich zu
diskutieren und bundesweit zu verteilen, können wir uns nicht vorstellen.
eine neue ausgabe zu machen ist wie eine eigenständige aktion vorbereiten.
da kann sich viel verzögern, weil die bedingungen nicht so stimmen, wie
sie sollten. z.b. ist die kohle nicht da oder es gibt schwierigkeiten im
produktionsablauf.
es ist kaum vorgekommen, daß du dich ruhig hinsetzen und sagen kanntest:
so, die beine stehen fest, die bedingungen sind auf lange zeit geklärt,
jetzt konzentrieren wir uns allein auf den inhalt und auf's zeitungmachen.
am anfang, nach 84, mußte die illegalität erstmal begriffen und
organisiert werden. der prozeß ist nicht abgeschlossen. die produktion
jeder ausgabe war wie ein brennpunkt, an dem sich die arbeit und
diskussionen der monate vorher konzentrierten. jedesmal gab es
veränderungen, verbesserungen, neuigkeiten, die bei den ausgaben 128-132
umgesetzt wurden.
als wir uns einigermaßen sicher fühlten, und für die 132 relativ intensiv
am inhalt diskutierten, zerschlug die repression den vertrieb. damit hatte
keiner so gerechnet, es hätte sein können, daß die radi schon damals
häufiger erschienen wäre. es war jedenfalls schon 86 klar, daß eine
zeitung alle 6 monate eher für archive taugt, und daß über zwei jahre
interner entwicklung im ergebnis eine regelmäßigkeit der zeitung bringen
müßten.
daraus wurde bekanntlich nix. die Zeitungsarbeit trat wieder in den
hintergrund und organisatorische dinge nach vorne. da sich mehr
genossInnen am projekt beteiligten, entstanden auch neue ideen und
konzepte. ein versuch in diese richtung war das radikal-info' vom februar
87, mit dem eine gruppe etwa monatlich eine dünne infosammlung im kopf
hatte. also die häufige und breite vermittlung unterdrückter nachrichten
des widerstandes. woran der versuch schnell scheiterte, läßt sich in der
folgenden nr.133 nachlesen. das info war ein schuß in ofen, auf den viel
kritik, unsicherheit und mißtrauen gefolgt ist. wir mußten erkennen, daß
ohne vorherige diskussion etwas veröffentlicht wurde, hinter dem danach
keiner mehr richtig stand. es dauerte dann nochmal fast ein jahr, bis die
zeitung regelmäßiger gemacht werden konnte. das fing an mit der nr. 134 im
juni 88, nach der in etwa dreimonatigem abstand bis im mai 83 vier
ausgaben folgten. der unterschied zu früher ist, daß diese regelmäßigkeit
nicht nur gewollt wird, sondern auch praktisch umgesetzt werden kann, weil
die voraussetzungen einigermaßen stimmen. dann trifft es nicht ganz, wenn
du sagst, 10 ausgaben in 5 jahren. wir würden sagen, 4 jahre aufbauarbeit
und rückschläge, interne diskussionen und erfahrungen, wonach eine
illegale zeitung etwa 4mal im jahr gemacht werden kann. oder um bei der
rechnung zu bleiben: in 4 jahren 7 ausgaben, im 5ten jahr 4. das hört sich
doch schon besser an.
auf den zweiten teil der frage sind wir jetzt gar nicht eingegangen, denn
daß und wie wir die radi als "politisches projekt" sehen, sollte in jeder
antwort enthalten sein. es ist wohl so, daß wir damit etwas offensiver
umgehen wie früher, weil wir selbstbewußter geworden sind und uns mehr
trauen. wir haben oft aus unsicherheit geschwiegen, und um den bullen
keine bilder und somit mittel zu liefern. auf dauer geht das aber nicht,
wenn du mythen und die isolation der illegalen arbeit aufknacken willst.
wir versuchen jetzt unsere entwicklungen offener zu beschreiben und zur
diskussion zu stellen, denn wenn wir nicht nach außen gehen, wird die
angestrebte verankerung der radi steckenbleiben. es ist ganz einfach: wenn
menschen miteinander reden, lernen sie sich kennen, und es kann vertrauen
entstehen. wir wollen nicht mehr allein die zeitung machen, sondern auch
über die arbeit an ihr und das ganze projekt sprechen. das ist für uns ein
schritt nach vorne. wir öffnen uns u.a. für kritik, und es ist unsicher.
ob wir das verkraften. aber vielleicht klappt es, daß die radi immer mehr
eine zeitung derjenigen wird, die sie lesen und auf die wir uns beziehen.
klar, wir quatschen auf papier. allerdings entsteht die persönliche nähe
auch zu gefangenen meist über das papier in den briefen, und manchmal wird
sie so intensiver, als wenn du dich unterhälst.
daß wir uns langsam trauen können, würden wir als ein ergebnis unserer
kontinuierlichen entwicklung bezeichnen. eine absolute sicherheit wie auf
einem persilschein haben wir nicht, uns deucht, daß wir die auch nie
kriegen werden. wir haben uns schon oft und gründlich daneben verschätzt.
aber je gravierender die fehler, desto weniger kommen sie vor, wenn daraus
gelernt wird. auch das sollte über die jahre eine kontinuität ausmachen,
worin die zeitung selbst nur ein ausdruck und sichtbares ergebnis ist. was
zwischen ihren großen abständen geschehen ist, bleibt unsichtbar.
ID-Archiv: Wie ist die momentane Konzeption der Zeitung, was könnt ihr zur Praxis der Herstellung und Verbreitung nach außen vermitteln ? Wie kommen konkret die Artikel in die Zeitung, werden sie von allen am Projekt Beteiligten diskutiert und ausgewählt, ist eine inhaltliche Beteiligung von euch unbekannten Personen oder Gruppen möglich ? Wie wird die Zeitung verbreitet und welche Sicherungsmaßnahmen habt ihr, damit keine Kriminalisierung möglich ist ?
radi: unser konzept sind ziele und etappen, vereinfacht gesagt.- wir versuchen uns so zu organisieren, daß die repression keinen direkten einfluß auf inhalt und struktur der radi hat. und es soll eine zeitung sein, die von möglichst vielen für den austausch untereinander und zur diskussion genutzt wird. vielleicht verdienen solche Absichten den namen 'konzept' nicht. um wieder ein bild zu bemühen: am bau, bevor auch nur ein spatenstich getan wird, erstellen spezialistinnen mehrere konzepte, die von anderen in die tat umgesetzt werden. zwischen solchen die vordenken und hivis besteht ein hierarchisches gefälle, das sich u.a. in der bezahlung ausdrückt. wir tdürden es anders machen, weil wir ein haus für uns selbst besetzen oder bauen. kollektivität und gleichberechtigung funktionieren anders als die klassengesellschaft, die den wert eines menschen nach dessen ausbildung, qualifikation und macht festsetzt. alle planen und bauen mit, wobei eine arbeitsteilung selbstbestimmt vorgenommen wird. im prinzip sollen alle alles können, damit kollektive entscheidungen erst möglich werden.
die radi wird von mehreren diskutiert und bestimmt. es entsteht ein
konzept für einen abschnitt - z.b. eine neue ausgabe oder dies interview -
und die weitere entwicklung ergibt sich während der arbeit, oder wenn die
gemeinsame praxis nachbereitet wird. natürlich haben einige mehr und
andere weniger erfahrungen. aber wir kämpfen dagegen an, daß daraus
hierarchien entstehen, also besondere entscheidungskompetenzen oder die
ungleichheit im überblick und verantwartung für das ganze projekt. in den
diskussionen geht es grundsätzlich darum, wie du ein autonomes
selbstverständnis auch in der illegalität praktisch umsetzen kannst, ohne
geschichtliche fehler zu wiederholen. als autonome zeitung kann die radi
nicht das zentralorgan einer einseitigen politischen analyse sein. die
autonome bewegung ist eben keine partei mit statut. es gibt viele
politische strömungen darin, deren zusammenhalt aus ähnlichen erfahrungen
und schlußfolgerungen entsteht. genau das gegenteil von einem manifest,
das als leitfaden zur orientierung dient. deshalb ist der lebendige
austausch und die diskussion untereinander so wichtig, und deshalb treten
widersprüche viel deutlicher auf, als etwa in einer zentral und
hierarchisch organisierten k-gruppierung. viele sehen das als politische
schwäche. wir sind überzeugt, daß es grundsätzlich eine stärke ist, weil
jeder mensch widersprüche hat. wenn du sie offensiv artikulierst und
angehst, gewinnst du dich selbst und eine politische perspektive, wenn du
sie zukleisterst, verlierst du dich in der disziplin der organisation. wir
wollen die radi als forum unterschiedlicher linksradikaler strömungen und
schwerpunkte. durch den austausch untereinander konkretisiert sich ein
gemeinsames selbstverständnis, und anschließend können wir über eine
revolutionäre strategie reden. die radi ist ein teil in so einem prozeß,
in dem nicht einige etwas vorgeben, sondern viele entwickeln.
normalerweise ist das ein ding der selbstbewußten metropolenszene, in der
nicht wenige mit geringschätzung auf die provinz oder andere positionen
herabblicken. eine solche haltung bezeichnet nicht nur den jeweiligen
tellerrand, sie bringt auch nicht weiter. es gibt z.b. sehr viele, die vor
dem bild des schwarzen chaoten zurückschrecken, und sich selbst nie als
'autonome' bezeichnen würden, obwohl sie selbständig denken und handeln.
das von den medien erzeugte horrorbild und der mythos muß aufgeknackt
werden, und daß wird keineR tun, außer uns selbst. wo es getan wird,
entstehen persönliche beziehungen und es gibt politische erfolge. das ist
ein schwerpunkt unserer inhaltlichen arbeit. viele artikel genügen
gehobenen ansprüchen nicht, weil sie woanders ansetzen und aufbauen.
unabhängig vom inhalt achten wir darauf, daß dahinter immer auch die
menschen erscheinen. oder wir beurteilen einen Artikel nicht allein an der
aussage, sondern ob sie auch verständlich artikuliert wird und erät so
wirkung für viele hat. die sprache ist ein wichtiges kriterium. z.b. haben
wir ein papier der rz nicht abgedruckt, weil mit intellektueller
herrschaftssprache, die ohne duden nur von professorInnen entziffert
werden kann, über das herrschaftsverhältnis zwischen mann und frau
geschrieben wird. die notwendige auseinandersetzung, die die
veröffentlichung für uns sinnvoll gemacht hätte, war weder vorhanden noch
haben wir sie auf die reihe gekriegt. auch ein politjargon und
verlautbarungsstil ist leider in vielen schriften der szene verbreitet. er
bekräftigt unterschiede, statt sie aufzubrechen.
wir denken, daß einige genossInnen mit den jahren die wurzeln ihrer
eigenen politisierung aus den augen verlieren. wenn die erfährungen bis zu
dem aktuellen stand fehlen, kannst du eine politik nur noch wenigen
vermitteln. also nur jenen, die zufälligerweise dieselben erfahrungen
gemacht haben, und deshalb deine analyse nachvollziehen können. im
ergebnis bedeutet das isolation, weil die eigene situation absolut
genommen wird. und es ist oft unabhängig davon, ob du an sich richtige
sachen weißt und aufschreibst. so manche autonome sind dicht bis unter die
haßkappe, und halten viel von selbstdarstellung und wenig von einer
vermittlung ihrer politik.
ein weiterer punkt in unserem 'konzept': die radi ist eine illegale
zeitung. illegalität ist ein wesentlicher bestandteil autonomer politik,
denn welche das system bewußt bekämpfen, sind früher oder später
vogelfrei. einige empören sich und jammern darüber, andere sehen es als
logisch und selbstverständlich, daß sich die herrschende macht mit allen
mitteln gegen ihre abschaffung und bekämpfung wehrt.
in der radi wollen wir den bruch vermitteln und dafür pauern, denn es gibt
weltweit keine alternative zur revolution. welche das anders sehen, haben
wir nicht abgeschrieben. eine politik ist dann richtig, wenn mit anderen
meinungen diskutiert wird,
und sie tatsächlich mit den besseren argumenten hinzugewonnen werden. und
lernen können wir allemal auch noch eine ganze menge. alles andere ist
eine wahrheit als religion, und das ist scheiße fressen bis dein hirn voll
davon ist. viele halten eine revolution für unmöglich, weil sie u.a. eine
illegale praxis für unmöglich.halten, die nicht isoliert wird, sondern
ausufert. so wird es gesagt: schön und gut was ihr tut, aber eure
perspektive ist knast. mag sein, mit der ohnmacht läßt sich schwer
argumentieren. inzwischen machen wir eine illegale zeitung, die sie trotz
mehrfacher versuche nicht kleingekriegt haben, und deren entwicklunq sie
fürchten, während sie uns hoffnung macht. also es ist menschenmöglich,
eine illegale zeitung zu machen, und wenn wir das praktisch beweisen,
können wir ganz anders behaupten, daß auch widerstand trotz repression
machbar ist. das beweisen in ihren bereichen und in den knästen alle, die
weiterkämpfen, und ihre praxis ist der mobilisierende hintergrund für die
worte, mit denen du deinen kopf und dein herz vermittelst.
der inhalt jeder ausgabe kommt auf unterschiedliche weise zustande. in der
tendenz sind es immer weniger artikel, die von redaktionen gemacht werden.
ein zuhehmender teil des inhalts kommt über die post, manchmal als
fertiger artikel, manchmal als zeitung, broschüre oder infos, die dann von
einer redaktion ausgewertet werden. alles was über die post kommt, wird
ernstgenommen, aber nicht alles taucht in der zeitung auf.
es gibt auch andere möglichkeiten als den kontakt über die
auslandsadresse, weil es autonome strukturen gibt. wenn wir den
inhaltlichen schwerpunkt für eine ausgabe bestimmen, sind wir oft auf
genossInnen angewiesen, die mit dem thema erfahrungen haben, weil sie in
dem bereich seit langem aktiv sind. wir können nicht überall durchblicken,
und es ist auch nicht leistbar, zu allen politischen vorgängen eine
fundierte position zu entwickeln bloß weil wir es der zeitungsarbeit
schulden. dann wird versucht nachzufragen, zu sammeln und zu vermitteln,
daß dies oder jenes thema beabsichtigt ist, und daß es von mehreren
bestimmt werden soll. das wird so gut oder so schlecht, wie sich
bestehende strukturen - die wir erreichen - daran beteiligen. aber das ist
ein beispiel, vielleicht ein versuch, aber nicht grundsatz. im prinzip
entscheiden mehrere gruppen über den inhalt jeder ausgabe. ein geringer
teil wird von mehreren diskutiert, zunehmend mehr entscheiden die
einzelnen gruppen in eigener diskussion. auch das ist ein prozeß, in dem
das vertrauen zueinander wächst, weil sich gemeinsame kriterien
herausbilden. in den letzten ausgaben sollten sie auch nach außen
vermittelt worden. sein, so daß genossInnen - ob wir sie kennen oder nicht
- von sich aus artikel schreiben. es kommen immer mehr beiträge, die ohne
diskussion veröffentlicht werden. wenn eine gruppe widersprüche hat, macht
sie einen vorspann. und wenn sie zu groß sind, folgt ein eigenständiger
Artikel oder - wenn das nicht geleistet werden kann - fällt der beitrag
raus. wir sind keine roboter, und unsere verantwortung hat grenzen in der
zeit und kraft, die wir in diese arbeit investieren. wir orientieren uns
an gemeinsamen richtlinien und weniger daran, ob eine bestimmte position
uns paßt oder nicht. es gibt papiere die abgedrurkt werden, obwohl wir
darin vertretene positionen nicht teilen. aber wenn sie real existieren,
dann haben sie bedeutung, und das ist ein anlaß zur auseinandersetzung,
und nicht zum gegenteil. wie gesagt - eine gemeinsame position und
strategie entsteht nicht dadurch, daß du eine dir unpässliche realität
verschweigst, sondern indem sie aufgegriffen und diskutiert wird. über die
auslandsadresse haben alle die möglichkeit, ihre infos und positionen in
der radi zu veröffentlichen. es ist unmöglich alles abzudrucken oder z.b.
eine ganze broschüre zu einem artikel zu verarbeiten, wenn keiner die zeit
dafür aufbringt. inhaltlich haben wir die macht der entscheidung, und das
ist ein knackpunkt in vielen diskussionen auch bei anderen zeitungen. die
macht ist da und läßt sich nicht wegdenken. wir entscheiden subjektiv,
aber auch mit der verantwortung der ansprüche die wir formulieren und
ernstnehmen. wenn z.b. nationalrevolutionäre schreiben - und das ist oft
nicht auf Anhieb zu erkennen - dann ziehen wir uns die infos raus und
schmeißen den dreck in den müll. wir haben keinen bock uns damit
gleichberchtigt auseinanderzusetzen, und wenn eine solche ideologie in der
zeitung auf tauchen würde, dann nur um sie nach strich und faden und
äußerst unsolidarisch auseinanderzunehmen. bei einem solchen beispiel sind
unsere kriterien evtl. nachvollziehbar, bei anderen wird es schwieriger.
aber es bleibt eine tatsache, daß innerhalb der struktur entschieden wird,
daß aber kritik von außen nicht verpufft.
eine gewähr dafür, daß die entscheidungsmacht verteilt und nicht mißbraucht wird, ist unsere struktur. wenn mehrere gruppen aus verschiedenen regionen mitbestimmen, dann geschieht das auf einer basis, wo alle im widerstand verwurzelt sind. also wenn einige mit gewissen beiträgen nix anfangen können, gibt es andere, die es anders sehen und bei einer arbeitsteilung auch die Möglichkeit haben, sich damit auseinanderzusetzen. in der gemeinsamen arbeit und diskussion ensteht außerdem ein überblick, welche themen und ansätze in verschiedenen regionen und bereichen der radikalen linken von bedeutung sind. deswegen glauben wir übersichtlich entscheiden zu können, zumal die autonome bewegung meist auf eine region oder stadt konzentriert ist, und kontakte darüberhinaus nur spärlich und meist unorganisiert sind. es hat erst einmal stunk gegeben, der hoffentlich zur beiderseitigen zufriedenheit gelöst wurde. wäre es anders, würden wir abheben und müßten zwangsläufig das ganze projekt infrage stellen. glücklicherweise ist die entwicklung umgekehrt, also konstruktiv und aufbauend.
zur produktion der zeitung sagen wir gar nix, aber noch ein paar worte zur verteilung. es ist ein jonglieren mit dem satzbau und der aussage. wir sind damit konfrontiert, daß die gesetze gegen schriften verschärft werden, und so z.b. die radi zunehmend in den bereich der anti-terror- justiz gerät. in diesem bereich geht es weniger um beweise, sondern um teils oberplatte interpretationen der baw, wie in den letzten 129a- verfahren ersichtlich. zwar ist die einsicht verbreitet, daß eine zeitung zunächst keine bombe sein kann, aber je häufiger und lauter "Terroristen" gebrüllt wird, desto mehr menschenwürde und angebliche grundrechte verlierst du. blutrünstige tiere müssen halt mit allen mitteln erlegt werden, einfach weil sie so drauf sind und frei herumlaufen.
diese hinterste ecke der willkür wird meist sorgfältig vorbereitet und schrittweise in die tat umgesetzt. es ist z.b. ein unterschied, ob einer wegen "beihilfe zur unterstützung" oder "täterschaftlicher unterstützung" verfolgt wird. im letzten fall wirst du "Täter", das gibt höhere straf en, und du bist ein stück mehr "Terrorist", weil du eben ein stück mehr angeblich bewußt "getan" hast. du bist vogelfreier für nachfolgende konstrukte.
das ist ein problem bei diesem ganzen interview, denn es wird als fundgrube für pässliche interpretationen bei passender gelegenheit herhalten. einerseits möchten wir vermitteln um zu mobilisieren, andererseits den bullen sowenig wie möglich juristisch verwertbare ansätze liefern, die später evtl. sogar unbeteiligte zu spüren bekommen.
also nochmal zur verteilung:
gäbe es eine zentrale, wäre das unsicher. gibt es die eigenverantwartung
vieler, dann ist das sicherer. keiner in oder außerhalb der struktur
übernimmt die verantwortung für das tun oder lassen der anderen. die
verteilung der radi ist das ding der jeweiligen genossInnen. sie können
sich nicht auf allgemeingültige methoden verlassen, sondern nur auf die
eigenständige beurteilung der speziellen situation in der sie leben und
politisch aktiv sind. anders geht es nicht. du könntest auch von einer
zentrale ausgehend nicht bestimmen, welche möglichkeiten und risiken
woanders bestehen, wenn du die dortigen verhältnisse nicht kennst. es
könnte kontrolliert werden, aber darauf hat keineR bock.
klar gibt es erfahrungen und bewährte techniken der verdeckten verteilung.
sie werden ausgetauscht, aber ob und mit welcher abwandlung sie übernommen
werden, entscheiden die betreffenden selbst. je mehr erfahrungengesammelt
und ausgetauscht werden, desto sicherer können einzelne gruppen die
verteilung organisieren. wem einzelne genossInnen dabei auffliegen, können
sie das nicht anderen anlasten. es ist ein risiko, daß sie einschätzen
müssen und bewußt eingehen. sie sind trotzdem nicht allein, denn die
struktur wird weiterexistieren. es mag kalt und nüchtern klingen: die
vielfalt ist der eigentliche schutz jedes und jeder einzelnen. die bullen
wissen, daß sie die struktur nur als ganzes zerschlagen können, und wem
sie einzelne in städten oder regionen verhaften, kann das einen
solidarisierungseffekt erzeugen, der für sie kontraproduktiv Ist. so
denken die klügeren schweine, und sie sammln über durchsuchungen und
spitzel informationen, um sich ein bildvom ganzen zu machen. sie versuchen
in die struktur reinzukommen. trotz zumindest eines versuchs sind wir
relativ sicher, daß es ihnen bisher nicht gelungen ist.
diesen punkt möchten wir etwas ausführlicher machen, denn die einschätzung
der staatlichen repressionsorgene ist für unsere arbeit ziemlich wichtig:
die blöderen bullen verhaften überall, wo sich eine möglichkeit bietet.
zwischen staats- und verfassungsschutz gibt es wesentliche unterschiede.
oft besteht zwischen den beiden apparaten ein konkurrenzverhältnis, weil
sich der vs für wesentlich fähiger hält und es auch ist. der vs beobachtet
und wertet aus, ohne anzugreifen, weil er an hintergründen bis zum
vollständigen durchblick interessiert ist.
es widerspricht wesentlichen zielen des vs. leute auffliegen zu lassen,
denn erstens verbrennen dabei spitzel und zweitens folgt auf direkte
repression oft die verdeckte organisierung der betroffenen. das erschwert
die arbeit. als wolle und claudia in berlin eingefahren wurden, kam der
tip vom vs an den ausführenden staatsschutz. zu dieser zeit war der vs
wegen mehrerer affären - z.b. bespitzelung der taz und des heutigen
innensenators täglich in den zeitungen. spd und al forderten
untersuchungsausschüsse und sogar dessen auflösung. der apparat stand
damals unter starkem erfolgszwang, d.h. der vs mußte beweisen, daß er eine
existenzberechtigung hat. daß sich sein tip als glatte blamage
herausgestellt hat - spätestens seitdem die beiden aus dem knast entlassen
werden mußten - interessiert heute nicht mehr. inzwischen sind die
einstigen kritikerinnen selbst regierung geworden, und haben somit auch
dem vs ein neues, liberales image verpasst. wolle und claudia waren nichts
anderes als opfer und funktionen im dreckigen machtkampf des vs. wir
denken daß die radi regelmäßig ausgewertet wird, natürlich auch dies
interview. der vs verspricht sich davon informationen, was aktuell und
längerfristig "in der szene" thema ist, und in welche richtung diskutiert
wird. er entwickelt vorbeugend methoden zur aufstandsbekämpfung, versucht
also für die Herrschaft gefährliche antwicklungen zu erkennen und zu
verhindern, bevor sie sich entwickeln und zum tragen kommen. das ist der
sinn des vs. für uns bedeutet das mal wieder, daß wir bei vielen aussagen
genau abwägen müssen, ob sie für eine vermittlung notwendig sind oder
nicht vielmehr dem vs ein unnötiges mosalkstück in seinen rastern und
bildern liefern.
der staatsschutz ist auf "gefahrenabwehr" ausgerichtet, undseine bullen
auf schnelle erfolge getrimmt. eine observation des vs ist gefährlich,
weil gut geplant und schwer zu entdecken. eine observation des
staatsschutzes fällt aufmerksamen genossInnen relativ schnell auf.
wenn ein spitzel des stäatsschutz die verteilung der radi beobachtet, wird
er nach möglichkeit zugreifen wollen, egal ob damit das ganze projekt
zerschlagen wird oder nicht. soweit kann ein durchschnittlicher bluthund
gar nicht denken. in vielen fällen riskiert er mit seiner absicht kopf und
kragen, und da die überwiegende mehrheit der bullen angst haben, wie die
meisten menschen, wird sein wirkungsradius durch z.b. entschlossenes
auftreten stark eingeschränkt.
an diesem beispiel ist die sicherheit der genossInnen ihre organisierung
in der gruppe. sie bleiben unerkannt und können zeitpunkt und ort der
verteilung selbst bestimmen. als nächstes entsteht ein bewußtsein in der
örtlichen szene, und das wird zum eigentlichen schutz, wenn vormals
unbeteiligte nicht nur zuschaun, sondern selbst aktiv werden. es ist wie
einen stein ins rollen bringen, der mit zunehmender geschwindigkeit immer
schwerer gestoppt werden kann. das netz verzweigt sich schneller, als ein
durchschnittlicher spitzel durchblicken oder wir selbst es kontrollieren
könnten. ansonsten erübrigt sich eine perspektive in die langfristige
möglichkeit einer autonomen zeitung.
ID-Archiv: Die linksradikale Szene ist ja nicht gerade arm an eigenen Publikationen.So unterschiedlich die Richtungen (autonom, anarchistisch, antiimperialistisch), so vielfältig sind die Zeitungen.Neben überregionalen, nennen wir sie mal Strömungsblätter mit unterschiedlichem Selbstverständnis, gibt es seit ca. 2 Jahren in einigen Städten sogenannte Infosammlungen.U.a. erscheint in Berlin wöchentlich 'Interim', in Hamburg 'sabot', für das Rhein/MainGebiet gibt es 'Swing' und das 'Rhein-Main- Info'.Die Zeitungen veröffentlichen Flugblätter, Erklärungen und Texte zur linksradikalen Diskussion, meist unkommentiert und ohne größeren redaktionellen Teil.Manchmal bezeichnen sie sich selbstkritisch auch als "Dienstleistungsunternehmen' für die Szene.Worin seht ihr die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der radikal zu anderen linksradikalen Zeitungen, und läßt sich deraus eine konkrete Perspektive für das Projekt 'radikal' entwickeln ?
radi:
du nennst ganz bestimmte beispiele aus ganz bestimmten städten: vor der
'Interim' in Berlin gab es die radi als Stadtzeitung, vor der `sabot` in
hamburg gab es die 'große freiheit' und vor `swing' und 'rhein-main-info'
die 'krasse zeiten' in rhein/main. zufall oder nicht, die beispiele sind
treffend und leider einzigartig, oder? berlin, hamburg und rhein/main sind
die zentren der radikalen linken, die metropolen. die geschichte und
kontinuität der politischen arbeit wird an genau diesen drei punkten immer
wieder zeitungen hervorbringen. ein großes ABER: obwohl sich viel dort
konzentriert und impulse ausgehen, sind sie nicht repräsentativ. du kannst
die zeitungen und infos gar nicht zählen, die in kleineren städten oder in
der provinz kursieren, z.b. hinterland im wendland, 'Aufruhr' im
ruhrgebiet, 'freiraum' in bayern, alle mit ihrer eigenen geschichte. unser
verhältnis zu allen zeitungen des widerstandes ist durchweg solidarisch.
mit fast allen ziehen wir am gleichen strang, auch wenn wir woanders
anpacken. der zusammenhalt ergibt sich aus der gemeinsamen arbeit, denn
mit jeder zeitungsarbeit veröffentlichst du dich auch selber, d.h. auch
wenn wir die genossInnen nicht persönlich kennen, werden uns durch die
zeitung ihre positionen und die menschen dahinter bekannter. hinter dem
'knispelkraant' haben wir lange vor dessen boykott ein kaderdenken
vermutet, weil mit der zeitung eben kaderpolitik vermittelt wird.
früher hießen die zeitungen 'Gegenwind, eschhausheft, blatt, große
freiheit', um relativ bekannte zu nennen. lauter namen, die heute vielen
nichts sagen. es waren regionale oder stadtzeitungen, die nicht allein
infos von unten oder eine plattform für diskussionen gewährleisten
wollten. die redaktionen hatten den anspruch, auch selber politik zu
machen, d.h. linien verfolgen und statt relativ neutraler dokumentation
besonders auswahl und bewertung derselben. im prinzip mußte der ganze
inhalt der zeitung diskutiert werden, egal ob er von dir selbst oder von
außen kommt. vom anspruch und arbeitsaufwand her, ist das ein großer
unterschied zu den heutigen infosammlungen. fast alle zeitungen sind
verschwunden. wegen der repression, und weil sie über jahre oft nicht das
bewirken konnten, was sie anstrebten. dazwischen gab es den versuch, daß
sich mehrere regionale redaktionen koordinieren und zusammen eine
bundesweite zeitung herstellen. es war gedacht als schutz gegen die
repression, und als versuch, über die bündelung der kräfte mehr wirkung
und verankerung in der radikalen linken zu erreichen. das konzept einer
bundesweiten autonomen zeitung, getragen von mehreren redaktionen, ist
später von der unzertrennlich' aufgegriffen worden. aber trotz der
2jährigen praxis scheint auch auch hier nicht die struktur möglich, die
das projekt tragen müßte.
die entwicklung der radi hat viel mit der geschichte anderer und den
'alten' ansätzen an zeitungsarbeit zu tun. wir haben wenig mitgemacht,
aber umso mehr beobachtet. wir halten zwar auch eine bundesweite zeitung
für notwendig, und es ist auch realistisch, daß besser viele gruppen ihre
kraft in ein projekt reinstecken, als einzeln einzugehen. aber alleinige
erwägungen der vernunft machen die praktische zusammenarbeit noch lange
nicht möglich. wir haben uns rausgehalten, weil wir nicht nur eine
bundesweite, sondern auch eine verdeckt organisierte zeitung wollten, und
die damalige diskussion ging in die entgegengesetzte richtung. darin
steckt keine wertung, weil es zu jedem ziel unterschiedliche wege geben
kann. trotzdem können sie in der praxis konkurrieren. es gibt eh nur
wenige genosslnnen, die zeitungsarbeit zu ihrem politischen schwerpunkt
machen wollen, und wenn es zu viele projekte gleichzeitig gibt, können
alle an der aufsplitterung der kräfte scheitern. das ist keine theorie,
sondern eine individuelle entscheidung die wir erlebt haben.
die vergangenheit kann in der kürze nur oberflächlich beschrieben werden,
manche mögen uns kreuzigen. es kommt uns darauf an, daß die heutigen
infosammlungen in einem zusammenhang gesehen werden.'interim' oder 'swing'
sind eine weiterentwicklung des alten stadtzeitungskonzeptes. sie fordern
eine selbständige beteiligung nicht nur ein, sondern machen sie zur
voraussetzung ihrer zeit. das ist direkt und entspricht autonomen
selbstverständnis. nicht einige spezialistinnen schaffen ein Organ für
alle und fördern bewußtsein, sondern sie bauen auf etwas vorhandenem auf.
sie schaffen die voraussetzung, die technischen möglichkeiten für ein
kommunikationsmittel, das, wenn es vorhanden ist, schon fast automatisch
von unten genutzt wird. und wenn ein großteil der inhaltlichen
verantwortung für die redaktionen wegfällt - denn es sind ja gar keine
redaktionen mehr, die sich die verantwortung für das geschreibsel anderer
reintun - dann können sie ihre kraft darauf verwenden, daß die zeitung
häufig erscheint. und dann wird sie zum forum für aktuellen austausch und
diskussionen. es ist ja so, daß die häufigkeit einer zeitung entscheidend
dafür ist, ob und wie intensiv sie genutzt werden kann.
das wort "dienstleistungsunternehmen" verstehen wir weniger als
selbstkritik, sondern als treffenden zynismus. die genossInnen machen eine
absolut notwenige arbeit, die für viele einen nutzen hat. sie stecken
unbezahlte arbeitskraft in die verwirklichung einer voraussetzung, auf der
alle aufbauen können, ohne daß bedingungen gestellt werden. ihre arbeit
vermindert die arbeit anderer, also wenn konkret ein flugi oder ein
diskussionspapier verbreitet werden soll, müssen nicht einzelne
hundertfach durch kneipen laufen, sondern es nur in einen postkasten
stecken. der umgekehrte weg wird auch erleichtert. es ist weniger
notwendig, sich auf die taz zu verlassen oder die einzelnen infos
sonstwoher zusammenzuklauben, denn du kriegst sie gebündelt und relativ
aktuell in einer zeitung. eine infosammlung können viele machen, wenn sie
sich dafür zeit nehmen. obwohl deren notwendigkeit und praktischer nutzen
für autonome strukturen offensichtlich ist, sind kaum welche dazu bereit.
stattdessen werden manchmal erwartungen z.b. gegenüber der 'interim'
formuliert, die an den absichten der genossInnen ziemlich vorbeigehen.
warum müssen die soviel mehr verantwortung übernehmen, bloß weil sie etwas
tun, was andere nicht auf die reihe kriegen? es ist doch klar, daß welche
aus dem zugeschickten inhalt auswählen, und das passiert logisch nach den
eigenen kriterien. es wird nirgendwo behauptet, daß sie für alle richtig
oder allgemeingültig sind. wenn welche anders bewerten, dann sollen sie
eine neue zeitung machen. -das kann nur konstruktiv sein, weil die
vielfalt ein bestandteil radikaler politik ist. es ist leider nicht
unüblich, daß eher die praxis anderer kritisiert und miesgemacht wird,
statt selber aktiv zu werden und es einfach besser zu machen.
das wollen wir in dem zusamenhang schon mal loswerden: im prinzip
"dienstleistung" auch für andere. in der heutigen situation kassierst du
für deinen idealismus den lohn der angst. leserInnen müssen befürchten,
daß sie ein kommunikationsmittel verlieren, aber die redaktionen autonomer
zeitungen dürfen sich über kurz oder lang auf prozesse und knast
einstellen. in derselben zeit, wo du papier schichtest, beschreibst und
versuchst, mit der verantwortung dabei klarzukommen, könntest du dir auch
einen schönen lenz machen oder im lebendigen alltag mitdiskutieren und
mitmischen. also eine "dienstleistung" wird normalerweise bezahlt, und
wenn diese motivation wegfällt, muß ein anderes interesse vorhanden sein,
mit dem soviel streß eingegangen wird. klar, es kann selbstzweck und
eigennutz sein. speziell mit der radi könntest du dich daran berauschen,
daß wir mit der macht der hohen auflage unseren senf durch die gegend
pusten, weil allein das wort 'illegal' ansehen und prestige in gewissen
kreisen einbringt.
wir würden uns wünschen, daß so manche leute ein bißchen weiterdenken, und
dabei nicht vergessen, daß eine zeitung nicht unbedingt von
machtbesessenen gemacht werden muß. vielleicht ist vorstellbar, daß aus
einer kritik u.a. am monopol und der politik der taz etwas konstruktiv
neues probiert werden könnte, das eher vertrauen als mißtrauen braucht.
welche eine zeitung machen, stehen immer auf der patte, weil eine zeitung
eben was öffentliches ist. uns persönlich wäre es recht, wenn andere den
job weitermachen, denn dieses im rampenlicht stehen, würden wir oft und
gerne gegen einen platz im publikum eintauschen. empörung beiseite, zurück
zur sachlichkeit. wir haben ja weiter oben versucht zu erklären, daß wir
von der grundsätzlichen verbundenheit aller zeitungen ausgehen, die von
unten gemacht werden und nicht gewinnorientiert funktionieren. daß einige
anarchistisch oder antiimperialistisch argumentieren, und wieder andere
antifaschismus oder klassenbewußtsein im betrieb zu ihrem schwerpunkt
machen, ist eine stärke. all diese ansätze sind in der radikalen linken
vertreten. wir denken, daß keine einzige position die alleinvertretung
beanspruchen kann. wenn du so willst, ist das eine art arbeitsteilung.
auch daß die meisten zeitungen legal und offen vertrieben werden und die
radi verdeckt, sehen wir als ergänzung. im ersten fall entsteht
gegenöffentlichkeit durch - sagen wir mal - die dokumentation
unterdrückter nachrichten und diskussionen, die anhand legaler strukturen
viele erreichen können. im zweiten fall kann offen und deutlich position
bezogen werden. das wird verboten, und deshalb sind die möglichkeiten der
verbreitung begrenzter. noch deutlicher wird die ergänzung, wenn du
wirkung und inhalt der regionalen zeitungen mit der von überregionalen
zeitungen vergleichst. erstere veröffentlichen kontinuierlich infos und
ermöglichen lebendige diskussionen. nicht wenige greifen zum stift und
schreiben ihre einschätzung auf, weil es eine zeitung gibt, die das
veröffentlicht. wenn dann z.b. 'Swing' in anderen regionen ausliegt,
können sich die dortigen genossInnen ein bild davon machen, was innerhalb
der bewegung in rhein/main abläuft und gerade diskutiert wird.PRIMA! noch
primeliger wär's, wenn jede region und bewegung ihre eigene zeitung hätte.
die radi ist erstens bundesweit und zweitens illegal. die ausgaben in
großen abständen können weder eine regionale entwicklung vermitteln, noch
in aktuelle entwicklungen eingreifen. aber wir können schwerpunktmäßig
dort weitermachen, wo das regionale oder die reine dokumentation aufhört,
bzw. auch in regionen forschen, wo es keine infosammlung gibt.
wenn z.b. tonnenweise flugblätter zu einem ereignis wie dem 1. mai in
kreuzberg erscheinen, ist es notwenig, sie zusammenzufassen und
wesentliche positionen herauszuarbeiten. erstmal geht es um die
genossInnen in der provinz und in anderen politischen bereichen, die
hauptsächlich auf die medienberichterstattung angewiesen sind, weil sie
keine eigenen zeitungen oder korrespondentInnen vor art haben. sowas
könnte auch für berlin selbst notwendig sein, wenn sich dort keiner die
mühe einer umfassenden nachbereitung macht, bzw. diese veröffentlicht.
dasselbe gilt für den hungerstreik. trotz regionaler infobüros gibt es
keine zusammenfassung der bundesweiten und internationalen
solidaritätsaktionen. wenn du dir das info der angehörigen durchließt,
entsteht das bild, der streik der gefangenen wäre allein von einer
öffentlichkeitskampagne unterstützt worden. außerdem wird allein durch die
gewichtung eine wertung des kampfes von gefangenen aus der guerilla zu
anderen gefangenen vorgenommen. wir sehen das anders. es mag sein, daß
viele direkte und militante aktionen im info deshalb fehlen, weil wegen
der repression nicht darüber berichtet werden kann. gut oder schlecht,
jedenfalls ein beispiel der ergänzung, denn in der radi ist das möglich.
es fallen uns noch eine menge politische themen ein, die versanden oder
oberflächlich bleiben, weil sich nicht weitergehend damit beschäftigt
wird. wenn ein großteil der radikalen linken von einem ereignis zum
nächsten hechtet, sollte die wiederholung von fehlern vermieden werden.
dazu ist eine genauere aufarbeitung der kämpfe notwendig. regionale
sammlungen wollen und können das nicht leisten, sie veröffentlichen das,
was vorhanden ist. das tun wir zwar auch, aber bei einigen sachen können
wir es nicht dem zufall überlassen, ob sich nun in der szene eine
auseinandersetzung entwickelt oder nicht. schließlich ist unser
blickwinkel ein anderer. wir versuchen regionale entwicklungen danach zu
beurteilen, ob sie bundesweit von bedeutung sein können. die schwerpunkte
der radi suchen wir auch unabhängig aktueller ereignisse, z.b. wenn sich
regional etwas wiederholt, was mal grundsätzlich auseinandergenommen
werden müßte. bei der nr.137 war ein schwerpunkt 'faschismus', vorher ging
es um `spitzel in der radikalen linken und widerstand. in beiden fällen
haben wir eine übersicht und zusammenfassung versucht. noch ein punkt, an
dem sich die arbeit ergänzen kann: in einigen Großstädten besteht ein
derartiges angebot an zeitungen, broschüren und flugis auch aus anderen
regionen und ländern, daß nur ein bruchteil davon überhaupt gelesen werden
kann. woanders existiert gar nix, außer der taz oder zeitweilig auch
'clockwork'. also während hier im Überfluß ausgewählt werden kann, was du
von woanders erfahren willst, besteht in dem woanders nichtmal die
möglichkeit zur auswahl. der extrem unterschiedliche informationsstand
begründet das gefalle innerhalb der radikalen linken, das zuallererst
ausgeglichen werden muß, bevor über eine gerneinsame strategie auch nur
spekuliert wird. es sei denn, sie beschränkt sich auf einen stadteil wie
kreuzberg oder auf eine region wie rhein/main.
wenn in der radi anhalte auftauchen, die auf dem politischen stand in der
provinz oder bei nicht so ganz radikalen menschen ansetzen, gibt es aus
der metropole schelte: das wissen wir doch schon lange, sagen genossInnen.
die arroganz in dieser sichtweise haben wir schon so fressen müssen, daß
wir kaum noch darauf eingehen. bedauerlich ist nur, daß es schön wäre,
wenn genosslnnen bei sich mehr wert darauf legen würden, ihre politik und
entwicklung nicht allein dem bewährten dunstkreis zugänglich zu machen.
immerhin reden viele von perspektiven mit so wertvollen aber oft
abstrakten begriffen wie 'revolutionäre basis' oder dergleichen. an dieser
stelle hätten regionale zeitungen auch für unsere arbeit eine große
bedeutung, wenn sie über die ursprüngliche region hinaus breiter verteilt
werden würden. das ist aber leider nicht der fall, denn sie entstehen und
wandern meistens nur von einer metropole in die andere, und die
überwiegende mehrheit an unbekannten zeitungen geht überhaupt nicht rum.
solang das so ist, werden in der radi immer wieder artikel oder flugis
auftauchen, die in der metropole bekannt sind, aber woanders nicht.
so, jetzt sind wir am ende. das faß ist leer. immerhin ist Sommer, und wir
hocken hier rum, voller neid auf das leben draußen. wenn es nicht so
verdammt wichtig wäre, was in diesen seiten von 5 jahren rüberkommt...
wir können uns das kaum noch vorstellen. vielleicht politrocker für die
einen, und pubertäre schwachköpfe für die anderen. zum glück sind wir
beides. aber bitte nicht vergessen, wir sprechen als eine gruppe nicht
unbedingt für alle. trotzdem hoffen wir die gemeinsame basis hingekriegt
zu haben, was meint ihr "alle"? wenn uns welche jetzt ankacken wollen -
unsere adresse ist bekannt. bitte nicht vorsichtig sein und mit balsam
blubbern, wir vetragen harte kritik ganz gut, wenn sie ehrlich ist. wir
sind auch ehrlich gespannt darauf. distanzierungen über die blume wandern
in den müll, aber wir lesen vorher umd wissen dann, warum ihr uns für
trottelInnen haltet.
ansonsten sind wir froh, wenn die struktur bis in's unermeßliche wächst.
wenn ihr wollt, bestellt die radi, beteiligt euch inhaltlich, macht eigene
zeitungen, wir werden gewinnen.