Wir dokumentieren im folgenden das Manuskript dieser Veranstaltung.
Darüberhinaus gibt es von den VeranstalterInnen das Angbot, diese Veranstaltung auch in anderen Orten vorzustellen. Bei Interesse könnt Ihr Euch bei uns melden. Wir werden Euch dann alles weitere zu den Modalitäten mitteilen.
Inhaltsverzeichnis
Die Radikal wurde 1976 als "sozialistische Zeitschrift für Westberlin" gegründet. Sie wurde als zweiwöchentlich erscheinende Zeitung konzipiert. Das Selbstverständnis der "alten" Radikal war: "Radikal ist eine unabhängige Zeitung für Westberlin. Unabhängig in dem Sinne, daß die Zeitung nicht als Sprachrohr einer bestimmten politischen Fraktion der Linken dient. Die Redaktion ist heterogen zusammengesetzt. Die verschiedensten Standpunkte der Linken sind in ihr vertreten. Über ihre praktischen Aufgaben hinaus bemüht sich die Redaktion, durch Diskusssionsprozesse zu wichtigen Fragen einen einheitlichen Standpunkt zu formulieren"(radikal Nr.18)
Diese praktischen Aufgaben sind:
Überblick über die Aktionen der Linken in Westberlin durch Kurzberichte Offenes Diskussionsforum über wichtige politische Probleme Unterstützung von Anstrengungen, Aktionseinheiten der Linken gegen die zunehmende Faschisierung zu erreichen. Unterstützung von Versuchen, alternative Lebensformen zu entwickeln. Angebot von Diensten zu praktischen Problemen: Kleinanzeigen, Beratungen, Tips Zusammenfassung aller Termine der politischen Linken in einem zentralen Veranstaltungskalender. Bei der Realisierung dieser Punkte versteht sich die Zeitung als Mittler, technischer Umsetzer und Multiplikator.
Die Redaktionssitzungen der Zeitung waren angekündigt, um den LeserInnen zu ermöglichen, vorbeizukommen. Es gab also einen theoretisch sehr offenen LeserInnen/MacherInnen-Kontakt. So ein Verhältnis ist natürlich bei der heutigen Radikal undenkbar, aber die Stellung, die die Radi zu ihren Leserinnen formuliert, ist im Prinzip 1976 die gleiche wie heute: "Wir fordern Organisationen und nichtorganisierte Genossinnen auf, aktiv mitzuarbeiten. Schickt Berichte von der Basis oder eure Meinung zu aktuellen b.z.w. theoretischen Problemen."(Nr.18, 1976) Zur aktiven Mitarbeit stellt die Radi im Zuge einer Umfrage fest: Weiter lasen wir in den bisherigen Fragebögen immer wieder bezüglich der Mitarbeit: "würde gerne mitmachen, weiß aber nicht, wie, was soll ich schreiben, kann ich das überhaupt? "Wir meinen, es soll eine Zeitung sein, die von uns für euch ist, und durch euch mit uns ist. Und deshalb finde ich die Zweifel, ob man daß überhaupt kann, nicht richtig, deshalb versuchts doch mal, kommt mal rum, seht euch die "radieschen von innen an".(Radikal Nr.18) Die Redaktion, die radieschen, bestanden aus ca. 10-25 Menschen. Dieses für heutige linke Verhältnisse relativ große Häufchen hat sich die Mühe gemacht, die Gebiete festzuschreiben, zu denen die Zeitung arbeiten will. Es sind: Frauenspezifische Probleme, DDR, Kultur, linke Gruppen, Uni, Justuiz, Prozesse, Soziales, Jugend, Gesundheitswesen, alternative Projekte, Internationales, Schule, Betrieb/Gewerkschaft. Die thematische Palette der Radi war also durchaus sehr breit angelegt und wurde in der Praxis auch einigermaßen so umgesetzt. Großen Raum, insbesondere ab 1977, nahm die Institutionalisierung der alternativen Linken ein, die zu der Zeit in ihrer Argumentation noch eine radikale bis radikaldemokratische war. Die Diskussionen um die Entstehung der Taz und der Berliner Alternativen Liste wurden sehr ausführlich begleitet. Zunehmend in den Mittelpunkt geriet auch das Thema Knast, die Prozesse gegen den 2.Juni und die beginnende Repression gegen die linksradikale Zeitungslandschaft.
1977 war auch das Jahr, in dem die Kriminalisierung der Radikal ihren Anfang nahm. Der Nachdruck des "Mescalero" Nachrufs auf den Generalbundesanwalt Buback zog im Jahr 1978 ein Verfahren wegen "Verunglimpfung des Ansehens Verstorbener" nach sich. Ergebnis: 875 DM Geldstrafe gegen den presserechtlich Verantwortlichen. Der große gesellschaftliche Druck auf die Linke, der im "Deutschen Herbst" eskalierte, hat sich auch auf die Zeitung ausgewirkt. Die RADIKAL dazu: "ganz offensichtlich hat sich der Charakter der Zeitung im Laufe des Jahres 1977 verändert. Eindeutig haben die sogenannten kopflastigen Artikel zugenommen, die Berichte von der "Basis", also von arbeitenden Gruppen, Initiativen u.s.w. abgenommen. Vorsichtig kann man dazu sagen, daß dies Ausdruck der veränderten politischen Situation, des immer größer werdenden Drucks ist, der den Öffentlichkeitsdrang vieler Genossen lähmt. Zumindest wurde dieser Eindruck auf dem letzten natinalen Treff der westdeutschen Alternativzeitungen von vielen geteilt........ Ein weiterer Aspekt ist, daß nach den Aktionen Buback/Ponto//Schleyer die Diskussion um die Frage der Gewalt und nach dem angedrohten K-Gruppen Verbot, die Diskussion um Aktionseinheit, linke Bündnisse u.s.w. zugenommen hat, was sich natürlich auch in der Radikal wiederspiegelt........ Der forcierte Diskussionsprozess hat sich nicht unbedingt positiv auf die Radikal ausgewirkt. War es in der Anfangszeit noch so, daß zu wichtigen politischen Fragen innerhalb des Kollektivs gemeinsame Standpunkte erarbeitet wurden, so drohte an der Frage Linke und Gewalt oder Aktionseinheit offensichtliche Spaltung der Redaktion. Die Gründe können nur angedeutet werden: Die angespannte Arbeitssituation und die Dominanz einiger politischer "Großköpfe" schufen ein total angespanntes Diskussionsklima: Die rasche Abfolge der Ereignisse, die Hilflosigkeit und die Ohnmacht gegenüber dem verschärften Druck des Staates ließ die einzelnen Radikalen mit ihren unterschiedlichen politischen Standpunkten mit potenzierter Kraft aufeinander prallen"(15.12-12.1.1978).
Hier, Anfang 1978, deuteten sich die Fragestellungen und Auseinandersetzungen an, die nach der Entwicklung der HausbesetzerInnenbewegung und damit den Ursprüngen der Autonomen einen Bruch in der Radikal erzeugen. In der Nr.84 vom November 1980 veröffentlichte die Radikal einen Artikel, in dem klargestellt wird, was sich aus der Zeitung schon allein dadurch ablesen ließ, daß die Unterzeile sich verändert hatte. Sie hieß jetzt: Zeitung für unkontrollierte Bewegungen in Amsterdam und Westberlin. Das Wie und Warum ließt sich dann so: "Es geht mal wieder um die Radikal, aber diesmal wollen wir euch nicht erzählen, daß wir kein Geld haben, daß kein Echo kommt, e.t.c....sondern die Radikal als Szeneblatt problematisieren und in Frage stellen. Der Bruch "sozialistische Zeitung für Westberlin" zu "Zeitung für unkontrollierte Bewegungen" deuten wir auch als Bruch mit großen Teilen der Szene und Linken. Diese Trennung schmerzt uns nicht, im Gegenteil, sie kommt reichlich spät! Wir stellen in Schlagworten fest: die Alternativbewegung ist gescheitert, sie funktioniert als ein Nebenzyklus des Kapitalismus und ist damit keinerlei Gefahr für das System. Eher schafft sie die Ideen und Konzepte, um das System über die anstehenden Krisen zu bringen. Doch genau mit diesen Krisen und Klassenkämpfen wird eine radikale Infragestellung von Staat, Gesellschaft und Produktion einhergehen. Die jetzige Linke und die Alternativbewegung werden in diesen Kämpfen eine unbedeutende Rolle spielen. Solchen Problematiken müssen wir uns in der Radikal stellen, oder anders: Ist es sinnvoll, eine Zeitung wie die Radikal zu produzieren, um sie dann wie saures Bier in den Alternativkneipen verkaufen zu müssen.........Heißt das nicht, daß die Szene nicht einmal mehr traditionelle sozialistische Ansätze interessiert, geschweige denn, die neue Stoßrichtung der Radikal, für eine autonome anarchistische Bewegung...... versuchen wir da nicht, die Zeitung bei den falschen Leuten an den Mann/Frau zu bringen?........ Wir wissen zwar "weg von der Szene", aber nicht mehr weiter. Wir wollen nicht eine Zeitung für, sondern von Schülern, Punks, Siemensarbeitern, Jobbern, Hausfrauen, Rockern, Massenarbeitern, Arbeitsemigranten - nen paar alternativen Nichtstuern, Arbeitsscheuen, Aussteigern, Kiffern, Träumern, Stadtguerilleros, wir wollen keine Avantgarde sein, sondern nur vermitteln, was wir denken und für richtig/wichtig erachten; die Zeitung nicht für jemand machen, sondern als Ausdruck von Bewegungen; wollen Multiplikator von Ansätzen zu Aufstandsbewegungen sein, ein Faktor eines Aufstandes, unkontrollierte Bewegungen, auf das es brodelt und kocht..... warum Aufstände, das zu erklären ersparen wir uns.... Kein Blatt für Leute, die dabei sind, sich einzurichten; den Kreis der Szene sprengen. Raus aus unserem gemütlichen angstvollen Ghetto; anders gesagt: Sabotage und Subversion sind überall, die Szene ist nur ein Teil davon: Schule schwänzen, krank feiern, wilde Streiks, Ladendiebstahl, Häuserkampf, Schwarzfahren....."(radikal Nr.84)
Seit dieser Zeit entwickelt sich die Radikal zu dem Sprachrohr der Autonomen Szene, zu Anfang noch hauptsächlich Westberlins und im Laufe der Ausgaben auch der ganzen BRD. Daß die Radikal diese Bedeutung erlangt hat, liegt daran, daß die Zeitung als autonomes Organ nicht nur im Inhalt der Texte, sondern auch in Sprache und Lay-Out dem Namen alle Ehre gemacht hat. Keine andere Zeitung hat die Unklarheiten der Metropolenbewegungsmilitanten so klar und präzise auf den Punkt gebracht. Die Radikal hat bedingungslos die Gedankenwelt der Autonomen in die Öffentlichkeit getragen, durch Rubriken wie die Herzschläge regionale oder lokale Aktionen und Initiativen bundesweit bekannt gemacht. Die gewachsene Bedeutung der Zeitung, bedingt unter anderem durch den Wandel von einer eher berichterstattenden Zeitung zu dem Sprachrohr einer ganzen Bewegung, rief auch den Staatsschutz auf den Plan. Die Bemühungen, die Radikal aus dem bundesdeutschen Blätterwald zu entfernen, wurden intensiver. Im Februar 1982 erhob die Staatsanwaltschaft erstmals Anklage gegen die Radikal nach |129a, "Werbung für eine terroristische Vereinigung". Ausgangspunkt ist der Abdruck von Texten der Bewegung 2.Juni. Der Kriminalisierungsversuch scheiterte, weil es den Schergen nicht gelingt, die Vereinigung 2.Juni nachzuweisen. Es kam nicht einmal zu einer Hauptverhandlung, die Klage wurde abgewiesen. Trotz dieser juristischen Schlappe für den Staatsschutz wurde das primäre Ziel, die Radikal zu zerschlagen, nicht aus den Augen verloren. Die HandverkäuferInnen der Radikal waren einer Reihe von Bespitzelungen bis hin zur offenen Observation ausgesetzt, die die Vorbereitungen für den nächsten großen Schlag bildeten. Am 1.12.82 wurden 14 Wohnungen, 2 besetzte Häuser, 3 Druckereien, 1 Verlag, 2 Buchläden, 1 Fotosetzerei sowie 1 Buchvertrieb durchsucht. Einige abgedruckte Texte der Revolutionären Zellen sollten den Tatbestand der Werbung nach |129a erfüllen. Im Juni 1983 wurden dann Benny Härlin und Michael Klöckner stellvertretend für die schon namenlose Redaktion verhaftet und nach |129a angeklagt. Damals entbrannte ein wahrer Proteststurm, getragen auch von Seiten einer linksliberalen Öffentlichkeit. Die beiden Verhafteten waren als Journalisten nicht ganz unbekannt, und so mußten sie nach 2 monatiger Isolationshaft gegen eine Kaution von 30000 DM freigelassen werden. Trotzdem wurden beide im März 1984 zu je 2 ½ Jahren Haft verurteilt, obwohl ihnen keine Beteiligung an der kriminalisierten Ausgabe nachgewiesen werden konnte. Aufgrund des unbedingten Verurteilungswillens seitens des Staates hielt es der Richter Pahlhoff für ausreichend, daß Klöckner das Konto führte und Härlin in früheren Ausgaben als V.I.S.D.P. auftauchte. Beide konnten allerdings vor dem Absitzen der Knaststrafe geschützt werden, indem sie über die Liste der Grünen in das Europaparlament gewählt wurden. Die Zeitung erscheint weiter, wenn auch unregelmäßig, aber auch die Repression geht weiter und zeigt deutlich, daß es dem Staatsschutz um die Zerschlagung der RADIKAL geht. Im April 1984 werden erneut Druckereien durchsucht, das Bankkonto gesperrt, Post beschagnahmt und eine Person beim Abhohlen der Post aus dem Postfach, das permanent bewacht wird, verhaftet. Vorübergehend stellte die taz ihre Postadresse zur Verfügung, aber auch hier folgt im Mai die Durchsuchung. Wenige Tage später stellt die RADIKAL mit der NR. 126/7 ihr erscheinen sang- und klanglos ein, ohne das die alten Redakteure dazu eine Erklärung abgeben. Aber schon einige Monate später erschien die Zeitung das erste mal aus dem "Untergrund". Im Vorwort zur Nr.128 heißt es: "So Leute, habt ihr also gedacht es wäre zu Ende mit der radikal...Habt ihr sie schon auf der Liste der von "Verfassungsorganen" totgeprügelten linken Initiativen angekreuzt und archiviert...Und jetzt zu uns: Diese Zeitung kann nur versteckt geschrieben und produziert werden..." Der Bruch von der "legalen" zur "illegalen" Radi fand auf allen Ebenen statt, nur eben nicht im Vertrieb. " Hier lag eine Struktur ungenutzt rum, du mußtest nur zugreifen." Klar war inzwischen auch, daß die RADIKAL schon längst eine bundesweite Zeitung war und daß autonome Inhalte und die Diskussion um militante Praxis sich nicht in der taz oder anderen Zeitungen wiederfinden. "Gerade in relativ stillen Zeiten, die oft zur Besinnung auf neue Werte und Strategien benutzt werden finden wir ein politisches Diskussionsforum wichtig." Mit "stillen Zeiten" ist hier die sich auflösende militante HausbesetzerInnenbewegung gemeint. "Die Zeiten in denen alles möglich schien, wenn wir nur viele sind, waren vorbei und der Glaube daran, mit Massenmilitanz auf der Straße dieses System zum kippen bringen zu können hatte sich nicht erfüllt." So ging es im wesentlichen darum, radikale Inhalte überhaupt noch öffentlich zur Diskussion zu stellen, aber auch um eine Auseinandersetzung mit bisheriger Politik und dem Suchen nach neuen Perspektiven. Der schon verbuchte Zensurerfolg des Staatsschutztes zerann und die Ermittlungen konzentrierten sich in dieser Zeit auf den Vertrieb der Zeitung, da der verdeckt organisierten Redaktion nicht beizukommen war. 1986/7 wurden dann in zwei großangelegten Durchsuchungsaktionen insgesamt über 100 Buch-, Infoläden, Zentren und Privatwohnungen durchsucht und die Nr.132 beschlagnahmt. Eine wahre Ermittlungswelle ging los, allerdings bleieen von insgesammt 192 Ermittlungsverfahren nur 38 Anklagen übrig, wobei nur überhaupt 12 zur Verhandlung kammen und lediglich 5 mit geringen Bewährungsstrafen endten. Sicher lag es aber auch nicht im Interesse des Staatsschutzes , die BRD mit einer Prozeßlawine zu überziehen, die die Gefahr einer breiteren Solidarisierung beinhaltete, ihre Absicht ist aber auch so aufgegangen: Einschüchterung und Abschreckung mittels des |129a, hier vor allem gegen die Buchläden und öffentlichen Verkaufsstellen gerichtet, mit dem Ergebnis, daß linksradikale Inhalte aus dem öffentlichen Raum verschwanden. Diese Strategie ist auch weitgehend aufgegangen, viele Läden erlagen auch aus ökonomischen Gründen der Selbstzensur oder distanzierten sich öffentlich. Trotzdem, die Zeitung erscheint weiter und neben der Redaktion wird jetzt auch das Vertriebssystem verdeckter organisiert. Obwohl die Nr.132 nach Meinung des Redaktionskollektivs die wohl am wenigsten gelesene Ausgabe ist, nicht zuletzt aufgrund ihrer Beschlagnahmung, aber auch des Zerfalls der Bewegung, des unregelmäßigen Erscheinens und all zu platter Analysen, hat die RADIKAL auch weiterhin Bedeutung innerhalb der Widerstandspresse in der autonomen Szene.
Was macht nun eigentlich inhaltlich die RADIKAL seit ihrem Erscheinen aus dem Untergrund im Jahr 1984 aus? Menschen aus dem RADIKAL-Kollektiv selbst sagen dazu: die "vermittlung und verbreitung radikaler inhalte im verhältnis zwischen theorie und praxis." Natürlich gehören dazu dann auch die "berühmten" Bau- und Bastelanleitungen mit dem Ziel, praktisches Wissen möglichst vielen zugänglich zu machen. Dabei geht es nicht nur, aber auch, um den Bereich Zeitzünder etc., sondern darüberhinaus um Klautaschen oder Piratensender. In diese Rubrik gehören ebenfalls die Informationen über das Vorgehen von Staatsschutz und Bullen, wie Tips und Tricks sich gegen Spione und Spitzel zu schützen oder Texte zur Aussageverweigerung. Es werden Anschlagserklärungen der unterschiedlichsten Gruppen dokumentiert, die sonst vielen Menschen nicht unbedingt zugänglich wären. Eine Zeitlang nutzten viele Gruppen beispielsweise ihre Anschlagserklärungen, indem sie nicht nur über den inhaltlichen Hintergrund, sondern auch ihre technische Vorgehensweise berichteten, leider ist das weitgehend aus der Mode gekommen. Zu diesem Bereich gehört auch die Rubrik OLGA alias Piefke alias Herzschläge, wo sich Kurzberichte, Erklärungen etc. aus der ganzen BRD finden und mensch sich zumindest einen Überblick verschaffen kann, was grad so los ist, weil ja eben doch nicht jedes Flugblatt aus Hintertupfingen in Büddelsdorf ankommt. Die RADIKAL selbst sagt dazu: "welche voneinander lernen und Strukturen aufbauen wollen, sollten zumindest über Papier mitkriegen, daß in einiger Entfernung evtl. dieselben Ansätze, Probleme usw. auch existieren...Sich gegenseitig wahrnehmen sollte auch eine praktische Entwicklung nach sich ziehen, wo über gemeinsame Sachen dann auch geredet wird und im besten Fall Strukturen entstehen. Damit hätte die radi natürlich herzlich wenig zu tun, es wäre allein eure Sache..." Vor allem gefüllt wird die Zeitung aber mit den Diskussionen, die innerhalb der radikalen Linken geführt werden/wurden: Auseinandersetzungen mit Sexismus und Patriarchat eben auch innerhalb der Scene, Diskussionen um Bündnispolitik und autonome Organisierung, Beiträge zu dem Verhältnis der Linken zur RAF/RZ und immer wieder die Auseinandersetzung um Strategien der Militanz als politisches Mittel. Die RADIKAL kann sicher nicht in kurzfristige Mobilisierungen eingreifen, an langfristigen Kampagnen, wie beispielsweise IWF oder WWG, hat sie aber ihren Anteil und wichtiger noch als die Mobilisierung sind die Auswertungen die innerhalb der Zeitung gemacht werden, beispielsweise zum 1.Mai in Kreuzberg. Eigentlich finden sich alle aktuellen Brennpunkte an der die autonome Bewegung beteiligt war/ist in der RADIKAL wieder ( Shell, Startbahn, Antifa...). Lange Zeit gab es in der Zeitung keine kontinuierlich nach außen sichtbare Redaktionsarbeit in Bezug auf das Veröffentlichen eigener Diskussionsbeiträge/Texte. Seit 1989 gibt es aber in der RADIKAL die Rubrik "Gegen das Vergessen". Hier wird der Versuch gemacht, sich Geschichte aus linker Position anzueignen, eine nützliche Ergänzung zu jedem Geschichtsbuch.
Im Juli `89 erschien im ID-Archiv ein Interview mit der RADIKAL.Warum
sollen wir uns also was aus den Fingern saugen, wenn es was von der
Redaktion gibt? Der folgende Block ist ausschließlich Auseinandersetzung
mit dem Interview.
Konzept ab `84:
Zitat:"radikale träumen oft von der verbreiterung der bewegung oder
revolutionärem bewußtseins. hier lag ein wesentliches mittel (die radi
nach dem auseinanderbrechen der alten redaktion) und die struktur
ungenutzt herum, du brauchtest bloß zuzugreifen."
Das Konzept der RADIKAL lässt sich ab `84 mit einer Klammer zwischen allen
Teilen der militanten Linken vergleichen. Die RADIKAL verstand sich,
seitdem sie als autonome Zeitung herauskam "von der Bewegung für die
Bewegung", die illegale Radi sieht das als Konzept, als Zeitung nicht mehr
gewährleistet, da es "die Bewegung" unter dem Konzept der Massenmilitanz
nicht mehr gibt: "damals schien alles möglich, wenn wir nur viele sind
und explodieren. heute mußt du möglichkeiten vorbereiten und aus der
erfahrung lernen, daß die spontane revolte auch über jahre nicht erreichen
konnte, daß sich wirklich wesentliche dinge ändern." Mit dem Einschlafen
der Bewegung, ist die Perspektive eingeschränkter, so daß sich der
Schwerpunkt darauf richtet zu gewährleisten, daß bestimmte Inhalte
überhaupt veröffentlicht werden.
Als Hintergrund für die Entscheidung mit der Radikal in die Illegalität zu
gehen ist das folgende Zitat vielleicht ganz brauchbar: "unsere
entwicklung läßt sich mit dem vergleichen, wie sich viele im widerstand
durch den widerstand verändern und lernen. alo erst schmeißt du steine, um
dich zu wehren und aus haß gegen schweinereien. mit der zeit wird klarer
daß die ungerechtigkeit system hat und du nicht allein betroffen
bist(...)die front zum staat wird bestandteil deines fühlens und handelns
gleichzeitig die alltägliche und politische repression. dann fängst du an
dich zusammenzutun und überlegst ob es nicht auch andere mittel als steine
gibt (...)"
Widerstand wurde immer mit Repression belegt, in Zeiten wo die Kräfte
aber nicht ausreichen trotz Repression linksradikale Inhalte offensiv zu
verbreiten, ist mensch gezwungen sich zurückzuziehen und erstmal auf
Sparflamme weiterzumachen. Die Kräfteverhältnisse sind eben nicht die
besten. Der gravierendste Einschnitt in der Geschichte der RADIKAL war
der Schritt von der legalen zur illegalen RADIKALl. Nach dem Prozess gegen
die legale RADIKAL fiel auch deren Redaktionskollektiv auseinander.
Menschen, die es wichtig fanden, daß es die RADIKAL weitergibt, setzten
sich zusammen und es entstand ein neues Konzept.
Zitat: .den einen schwebte ein rein bewußtseinsbildendes organ vor,
während andere in erster linie revolutionäre praxis vermitteln und
militantes bandenwesen dokumentieren und vorantreiben wollten." Dies wird
im Interview als nur ein Beispiel für die Bandbreite der Konzeptdiskussion
dargestellt:, "was theoretisch hätte zusammenlaufen und sich ergänzen
können, zerbrach endgültig an der frage wie die radi zu organisieren ist.
entsprechend ihren inhaltlichen vorstellungen setzten einige weiter auf
legales erscheinen, indem z.B. anschlagserklärungen weggelassen oder
ausdrücklich nur dokumentiert werden sollten. also eine läuterung nach
innen, denn genau jene inhalte würden verschwinden, die der repression den
anlaß zum ausflippen gegeben hatten. durchgesetzt hat sich schließlich die
andere fraktion(...)weil es in der nächsten zeit hauptsächlich um konkrete
arbeit ging." Damit hatte sich die neue, illegale Redaktion dafür
entschieden, die RADIKAL weiterhin mit den Inhalten zu füllen, wegen denen
sie kriminalisiert worden war
Selbsteinschätzung/Selbstverständnis der Redaktion:
Zitat: "es geht nicht alleine um inhaltliche arbeit, was normalerweise den
schwerpunkt bei jeder zeitungsarbeit ausmacht. die arbeit mit dieser
Zeitung muß verdeckt organisiert werden, damit kriminalisierter Inhalt
überhaupt veröffentlicht werden kann. Es hat Konsequenzen, wenn du sagst,
weitermachen statt annpassen und nach einer Nische suchen. Es kann
bedeuten, daß du langsam untergehst und keineR merkts. also wirst du nicht
illegal weil du bock drauf hast dich zu verstecken, sondern weil es
aufgezwungen wird."
Die RADIKAL-Gruppe,die das Interview geführt hat, analysiert den
Zusammenbruch der Bewegung als Reaktion auf die Repression. Grob verkürzt
heißt Repression gegen Bewegung für sie Spaltung in für die Herrschenden
"Gute und Schlechte". "Gut" sind die, die sich auf Reformen zurückziehen.
"Schlecht" sind die nicht reformierbaren Teile der Bewegung, so daß sie
zerstört werden sollen. Die Gruppe beschreibt das Arbeiten im öffentlichen
Raum als ständige Schere im Kopf, also nichts denken zu können, ohne die
Repression mit einzurechnen. Das Arbeiten aus der Illegalität heraus
bedeutet für sie, die eigene Schere im Kopf ablegen zu können, also die
Resignation gegenüber staatlicher Kriminalisierung zu unterlaufen.
Die Gruppe die `89 das Interview gegeben hat, versteht die RADIKAL auch
als Versuch genaue und verbindliche Strukturen zu organisieren, die von
Bewegungskonjunkturen unabhängig sind.Zitat: "das soll nicht heißen daß
bewegungen unwichtig sind, im gegenteil. in ihnen wird verkrustetes und
eingefahrenes denken aufgebrochen, und die mobilisierung geht meißt über
das traditionelle linke spektrum hinaus. aber sie werden wieder verpuffen,
wenn nicht auch erfahrungen und geschichte der kämpfe ernstgenommen werden
und strukturen den luftleeren raum füllen. es geht uns darum, die
verbreitung radikaler inhalte zu organisieren und uns auf die vermittlung
eines revolutionären bewußtseins zu konzentrieren, mit gleichzeitigem
bezug zur praxis."
Zu der Frage warum die RADIKAL, trotz des Vorwurfs der Name würde am
eigenen Mythos festhalten, diesem öffentlich nie viel entgegengesetzt hat,
legt die Gruppe ihre Positionen zu dem Wort "radikal" und damit zu ihrem
Politikverständnis dar. Zitat: "da kannst du einen ganz anderen
politischen bereich erwarten, als bei einer zeitung, die z.B.
`zwischenlösung` genannt wird "
"wir haben kein hauptwort und auch keine ausschließliche position, unter
der wir alles betrachten und einordnen. wir sehen radikale politik als
etwas lebendiges, was sich ständig verändert, und vor allem von vielen
unterschiedlichen menschen getragen wird."
das wort radikal bedeutet an der wurzel anpacken, ursachen finden,
angreifen und verändern. es bedeutet den eigenen erfahrungsbereich auch
verlassen zu können und z.b. nicht von frieden zu sprechen, während du
selbst von mord und ausbeutung profitierst. eine solche sichtweise darf
nicht in moralischer betroffenheit enden, sondern in aktiver solidarität."
"die "linke" agiert innerhalb des systems und klammert ihre persönliche
existenz an kapitalistische nischen, wärend es für radikale eine logische
konsequenz ist, innerhalb einer politischen entwicklung gejagt zu werden
und warscheinlich im knast zu landen"
Das Selbstverständnis der RADIKAL-Gruppe, die das Interview geführt hat,
fügt sich aus sehr vielen Aussagen auf ca.80 Seiten in ein Gesamtbild
zusammen und ist grob umrissen das Politikbild von "Bewegungsautonomen".
Es gibt sehr viele Grundsätze, die zum Teil ohne irgendwo hergeleitet
worden zu sein als richtig gelten und die nur praktisch umgesetzt werden
müßten.
Die Konzeption der Radikal, die ja heute aus einer verzweigten Struktur
besteht, macht allerdings klare Aussagen schwierig, und das erst recht,
wenn sich diese Struktur zum Ziel gesetzt hat, handlungsfähig zu bleiben.
Diese linksradikale Struktur aufrecht zu erhalten, könnte also als ein
wesentlicher Teil des Selbstverständnisses ausgemacht werden.
Für wen wird die Zeitschrift gemacht?
Tja das ist leider nicht so einfach, da es keine "Zielgruppe" gibt. Die
RADIKAL sagt: "wir wollen die radi als forum unterschiedlicher
linksradikaler strömungen und schwerpunkte" War es früher von der Bewegung
für die Bewegung so läßt die Interviewgruppe heute allgemeiner vermuten;
die Zeitung wird von der radikalen Linken für die radikale Linke gemacht.
Im Interview macht sie aber schon mal die Einschränkung, daß die Linke in
den Großstädten wohl nicht mehr soviel mit der Zeitung anfangen kann, da
es dort öffentliche Kommunikationsstrukturen gibt, deren Aktualität die
RADIKAL auf Grund der Abstände ihres Erscheinens nicht gewährleisten kann.
Als nächstes kommt die Einschränkung, daß diejenigen, die sich nach dem
Niedergang der Bewegung ein wenig mehr mit Theoriebildung beschäftigt
haben, nichts mehr mit der RADIKAL anfangen können, weil sie ihnen zu
platt daherkommt. Fazit ist also, daß die Zeitung für diejenigen gemacht
wird, die etwas damit anfangen können. Also Zeitung von Teilen der
radikalen Linken für Teile der radikalen Linken. Dies hört sich für
Außenstehende lapidar an, allerdings ist die Frage nach der
LeserInnenschaft doch ziemlich wichtig. Mensch halte sich vor Augen, daß
diese Gruppen mit der illegalen Zeitungsproduktion einen immens hohen
Repressionsdruck auf sich nehmen. Die Frage der LeserInnenschaft ergibt
sich aber daraus wie die RADIKAL organisiert ist, sie funktioniert nur
durch eine überregionale Struktur. Das Zeitungmachen ist also mit der
Perspektive verbunden, ein gemeinsames Diskussionsforum zu sein,
Diskussionen, Struktur und Gegenmacht zu festigen.
Wie ist die RADIKAL organisiert?
Kriterien wie Zielgruppe oder Redaktion lassen sich auf die Radikal nun
mal nicht anwenden, es geht ja nicht um Vermittlung irgendwelcher
Weisheiten, sondern um Entwicklung von revolutionärer Perspektive. Das
können nicht einige Schlaumeier für alle tun, sondern soviel wie möglich
zusammen. Die Organisierung der Zeitung läßt sich deshalb zum einen in die
praktische Arbeit, die zu erledigen ist und zum andern auf die theoretisch
damit verbundene Organisierung der revolutionären Diskussion unterteilen.
Es gibt also nicht den "Redakteur" und "die Leserin".Dementsprechend wird
auch der Inhalt mehr oder weniger von allen bestimmt, die ein Interesse
daran haben an der Entwicklung dieser radikalen Linken teilzunehmen.
In dem Interview formuliert die Gruppe das so: " der Inhalt jeder Zeitung
kommt auf unterschiedliche weise zustande. in der tendenz sind es immer
weniger artikel die von redaktionen gemacht werden. ein zunehmender teil
des inhalts kommt über die post, manchmal als fertiger artikel, manchmal
als zeitung, broschüre oder infos, die dann von einer redaktion
ausgewertet werden. alles was über die post kommt wird ernst genommen,
aber nicht alles taucht in der zeitung auf."..."im Prinzip entscheiden
mehrere gruppen über den inhalt jeder ausgabe (...) unser konzept sind
ziele und etappen, vereinfacht gesagt: wir versuchen uns so zu
organisieren, daß die repression keinen direkten einfluß auf inhalt und
struktur der radi hat. und es soll eine zeitung sein, die von möglichst
vielen für den austausch untereinander und zur diskussion genutzt wird"
(...) "alle planen und bauen mit, wobei eine arbeitsteilung selbstbestimmt
vorgenommen wird. im prinzip sollen alle alles können, damit kollektive
entscheidungen erst möglich werden."
"(...)über die auslandsadresse haben alle die möglichkeit, ihre infos und
positionen in der radi zu veröffentlichen(...) inhaltlich haben wir die
macht der entscheidung, und das ist ein knackpunkt in vielen diskussionen
auch bei anderen zeitungen." (...)aber es bleibt eine tatsache , daß
innerhalb der struktur entschieden wird, daß aber kritik von außen nicht
verpufft. eine gewähr dafür, daß die entscheidungsmacht verteilt wird und
nicht mißbraucht wird, ist unsere struktur. wenn mehrere gruppen aus
verschiedenen regionen mitbestimmen, dann geschieht das auf einer basis ,
wo alle im widerstand verwurzelt sind."
"im prinzip entscheiden mehrere gruppen über den inhalt jeder ausgabe. ein
geringerer teil wird von mehreren diskutiert, zunehmend mehr entscheiden
die einzelnen gruppen in eigener diskussion. auch das ist ein prozeß, in
dem das vertrauen zueinander wächst, weil sich gemeinsame kriterien
herausbilden."
Die RADIKAL die in der Illegalität produziert wird, muß trotz Repression
irgendwie an ihre LeserInnen kommen. Die Nummer 132 nahm der Staatsschutz
zum Anlaß, bundesweit linke Buchläden und Wohnungen von
WiederverkäuferInnen zu durchsuchen. Einige Buchläden nahmen das zum
Anlaß, sich hemmungslos von den Inhalten der Zeitung zu distanzieren. Fakt
ist daß seitdem die radi so gut wie ganz aus der Öffentlichkeit
verschwunden ist, Fakt ist aber auch, daß es bis heute immer noch eine
Struktur gibt die Verantwortung für die Zeitung übernimmt und die RADIKAL
verteilt.
"unsere verantwortung hörte an einem ziemlich eindeutigen Punkt auf. wir
machen die redaktionsarbeit und die zeitung, organisieren die produktion,
notwendige kohle und den vertrieb bis an die stelle, wo die radi in den
postämtern liegt. ab da hatten die zeitungen die illegale struktur
verlassen"
Zum Organisieren einer Zeitung gehört auch ihre Finanzierung. Diejenigen,
die sich für die direkte Arbeit an der Zeitung entschieden haben, sehen
sich immer wieder vor das Problem gestellt diese Summe zusammenzukriegen.
Früher gab es z.B. 30% Rabat für HandverkäuferInnen gab, was einige
nutzten um sich damit ihre "Stundenlöhne" aufzubessern. (Siehe "Dies ist
kein Spendenaufruf" Nr.131). "Wir brauchen für eine Produktion der Zeitung
ca. 12000 Märker". In der Ausgabe 131 wird eine LeserInnenzahl von 6000
genannt. "also es ist kein zufall, daß schon ab der nr. 133 eine
diskussion mehrerer gruppen über das konzept und selbstverständnis der
radi anfing, und darüber hinaus immer mehr genossInnen die notwendigkeit
sahen, für und in der struktur mitzudenken und verantwortung zu
übernehmen"
Themen der Radikal:
"als autonome zeitung kann die radi nicht zentralorgan einer einseitigen
politischen analyse sein. die autonome bewegung ist eben keine partei mit
statut. es gibt viele politische strömungen darin, deren zusammenhalt aus
ähnlichen erfahrungen und schlußfolgerungen entsteht (`bruch mit der
Bewegung bei gleichzeitiger Weiterentwicklung der gemachten Erfahrunge`)
genau das Gegenteil von einem manifest, das als leitfaden zur orientierung
dient. deshalb ist die diskussion untereinander so wichtig, deshalb treten
widersprüche viel deutlicher auf als in einer zentral und hierarchisch
organisierten k-gruppierung. viele sehen das als politische schwäche, wir
sind überzeugt davon daß es eine stärke ist, weil jeder mensch
widersprüche hat. wenn du sie offensiv artikulierst und angehst, gewinnst
du dich selbst und eine politische perspektive, wenn du sie zerkleinerst
verlierst du dich in der disziplin einer organisation. wir wollen die radi
als forum unterschiedlicher linksradikaler strömungen und schwerpunkte,
durch den austausch untereinander konkretisiert sich ein gemeinsames
selbstverrständnis, und anschließend können wir über eine revolutionäre
Strategie reden."(...)
" es gibt z.b. sehr viele, die vor dem bild des schwarzen chaoten
zurückschrecken, und sich selbst nie als "autonome" bezeichnen würden,
obwohl sie selbständig denken und handeln. das von den medien erzeugte
horrorbild und der mythos muß aufgeknackt werden, und das wird keineR tun
außer uns selbst. wo es getan wird , entstehen persönliche beziehungen und
es gibt politische erfolge. das ist ein schwerpunkt unserer inhaltlichen
arbeit. viele artikel genügen gehobenen ansprüchen nicht, weil sie
woanders ansetzen und aufbauen. unabhängig vom inhalt achten wir darauf,
daß dahinter immer auch die menschen erscheinen. oder wir beurteilen einen
artikel nicht allein an der aussage, sondern ob sie auch verständlich
artikuliert wird und erst so wirkung für viele hat."
Gemäß dieser Ansprüche, wie sie in der Bewegung eben zu finden sind, legen
Leute, die eine durchgängige politische Analyse für bedeutend halten,
ihren Schwerpunkt logischerweise nicht in dieses Konzept. Als Zeitung
bringt die RADIKAL aber doch Teile dieser Analysen mit in ihre Diskussion.
Die Themen der RADIKAL sind dementsprechend nicht aus einer einfach
nachvollziehbaren politischen Notwendigkeit heraus bearbeitet, sondern
oftmals nah an aktuellen Ereignissen oder dem, wo gerade viele dran sind.
Entsprechend der eher abnehmenden politischen Vielfalt der radikalen
Linken, nachdem ein Teil der früheren Linken heute Kriegspartei ist , sind
Möglichkeiten, innerhalb der radikalen Linken an verschiedenen Themen zu
arbeiten, doch stark eingeschränkt. Daher sind Themen der RADIKAL in den
letzten Jahren häufig eher nur angerissen als stringent begleitet.
Ausnahmen bilden Themenkomplexe wie "Gegen das Vergessen", oder Texte von
radikalen Frauenzusammenhängen z.B. "SexarbeiterInnen in der brd". Mit
"angerissen" meine ich die stattfindende Dokumentation dessen, was gerade
läuft mit Ansätzen eines Komentars. Obwohl Themen wie Antifa,
Kurdistan,RAF,RZ... immer Teil der Zeitung waren, gibt es kaum gemeinsam
diskutierte Einschätzungen dieser Themen, z.B. Stellung der radikalen
Linken zur PKK, oder die Einordnung von Antifa in eine politische
Perspektive.
Gesellschaftliche Funktion der Zeitschrift:
Die radi läßt sich nicht so mir nichts dir nichts in die bestehende
Presselandschaft einordnen, einfach weil es einen gravierenden Unterschied
zwischen bürgerlicher/staatstragender Presse und revolutionärer Presse
gibt. Die bürgerliche Presse betreibt Herrschaftsabsicherung, indem sie
die unumstößlichen Grundlagen der kapitalistis hen Gesellschaft, an ihre
jeweilige Klientel vermittelt. Das Verhältnis zu ihren LeserInnen ist rein
funktional. Linksradikale Strukturen bauen auf Solidarität auf, versuchen
also ohne Herrschaftsmechanismen eine Perspektive zu entwickeln. Dies
geschieht unter anderem durch Kommunikation/ gleichberechtigte Diskussion
in der linksradikalen Presse. Linksradikale Strukturen brauchen ihre
Medien, um sich zu festigen und weiterzuentwickeln. Gesellschaftlich
gesehen heißt das, eine freie Kommunikation in der kapitalistisch/
patriarchalen Wirklichkeit zu behaupten und für die Möglichkeit von
Befreiung und Gleichberechtigung Wege zu finden.
"Gerade die Repression gegen sie bzw. die angeblichen MitarbeiterInnen
und WiederverkäuferInnen ist beispielhaft für die staatliche Unterdrückung
einer freien Widerstandspresse in der BRD" (aus dem Vorwort zum Interview
vom ID-Archiv). Eine wichtige Funktion ist sicherlich, alle Möglichkeiten
des Widerstandes zur Diskussion zu stellen: "wir haben einen Prozess im
Kopf, in dem viele Aktionsformen gleichberechtigt entwickelt werden.
wesentlich ist, daß du darüber öffentlich diskutieren mußt. dies
öffentliche z.b. in der radi -allein das schon - ist ein schritt gegen die
vereinzelung und den mythos `militante aktion`".
Vorweg soll angemerkt werden, daß sich bei dieser Betrachtung lediglich
auf die seit 1984 aus den Untergrund erscheinende Zeitung bezogen wird.
Was diese Zeitung ausmacht, ist sicherlich durch das bereits Gesagte
deutlich geworden.
KONTINUITÄT - ILLEGALITÄT
Ein wichtiges Moment der Bewertung ist ihr kontinuierliches Erscheinen
seit nunmehr 19 Jahren und vor allem, daß es dieser Struktur gelungen ist,
aus der Illegalität heraus seit 11 Jahren eine Zeitung zu machen, ist
ziemlich einmalig im autonomen Bereich. Eine Zeitung, die erst dadurch
lebt, daß sich viele Menschen sowohl inhaltlich wie auch organisatorisch
an ihrer Struktur beteiligen. Der RADIKAL wurde diese Illegalität zwar
aufgezwungen, sie sagt aber dazu: "illegalität ist ein wesentlicher
bestandteil autonomer politik, denn welche das system bewußt bekämpfen
sind früher oder später vogelfrei..." und " also ist es menschen möglich
eine illegale zeitung zu machen, und wenn wir das praktisch beweisen,
können wir ganz anders behaupten, daß auch widerstand trotz repression
machbar ist". Das Funktionieren der verdeckten Zeitungsstruktur stellt
sicherlich einen unheimlichen Erfahrungsschatz dar, der auch für andere
Projekte von Wert sein kann. Genauso wie sich diese selbstorganisierte
Struktur, in der ländliche und städtische Regionen in der gesamten BRD
eingebunden sind, jederzeit für die Verbreitung von Informationen oder
Diskussionen nutzen läßt.
BEDEUTUNG
Seit Beginn der Staatsschutzaktion wird vielen Linken überhaupt erst
wieder bewußt, daß diese Zeitung noch existiert. Sicherlich hat sie für
viele Menschen, gerade in den Großstädten, auch nicht die Wichtigkeit,
weil hier noch Diskussionszusammenhänge existieren und die
Informationsbeschaffung über den Infoladen oder persönliche Kontakte kein
Problem darstellt. Allerdings gibt selbst diese Spezies zu, ab und zu mal
was interessantes in der RADIKAL zu finden. Auch die Behauptung, die
RADIKAL unterscheide sich nicht mehr von anderen Szenezeitungen, wobei oft
der Vergleich zur interim gezogen wird, soll hier demontiert werden. In
keiner anderen Zeitung finden sich Anleitungen in der Qualität wie sie in
der RADIKAL veröffentlicht sind, aber auch kontinuierliche redaktionelle
Beiträge wie beispielsweise die Serie "Gegen das Vergessen" fehlen in den
autonomen Szeneblättern.
Grundsätzlich kann eine Zeitung der autonomen Bewegung nicht besser oder
bedeutender sein als die Bewegung selbst. Zustand und Diskussionen der
autonomen Linken spiegeln sich in der RADIKAL wieder. Daran, daß ihr
Konzept schon immer war - Zeitung lebt nur von der Beteiligung - soll hier
nochmal erinnert werden: "Diskussionen werden nicht von Zeitungen gemacht,
die Diskussionen, die sich bei uns ergeben haben ihre Ansätze, Kicks im
Zusammenkommen mit anderen Leuten. Sie müssen aber auch von unseren Leser/
Innen kommen."
Daß die autonome Bewegung ihre Hochzeiten hinter sich hat gehört
mittlerweile zu den Binsenweisheiten der Linken, das heißt aber nicht, daß
mit ihrem Untergang auch die revolutionäre Idee verschwunden ist. Klar ist
in diesem Zusammenhang dann auch die zurückgegangene Auflagenstärke der
RADIKAL. Dazu kommt natürlich noch, daß mit dem Angriff auf die
Buchladenverteilerstruktur 1986 die Zeitung mit ihren Inhalten weitgehend
aus der Öffentlichkeit verschwunden ist und so auch die Möglichkeit,
radikale linke Inhalte in sie hineinzutragen, eingeschränkt wurde. Auch
das Infoladensterben Ende der 80er Jahre hat die RADIKAL überlebt, was
einmal mehr zeigt, daß der Bedarf an der Zeitung über die Archive
hinausgeht. Gerade in einer Zeit wo viele einpacken: Zeitungen geben auf,
Menschen ziehen sich ins Private zurück, bewaffnete Gruppen erklären ihre
Politik für gescheitert, hat die RADIKAL nicht nur überlebt, sondern
versucht Gegenpunkte zu setzten und Perspektiven aufzuzeigen. Als Beispiel
seien hier genannt: Ansätze aus der Antirassismus/Internationalismusarbeit
oder Interviews mit revolutionären Gruppen.
Ein Großteil der Artikel wird der Zeitung immer noch von außen
zugeschickt, zumindest für einen Teil der Autonomen muß diese Zeitung also
immer noch ein wichtiges Forum sein. So finden sich, wenn schon
kontinuierliche Diskussionen nicht geführt werden können, immer wieder
Diskussionszusammenfassungen oder Gruppen nutzen die Zeitung, um
beispielweise die Organisierungsdebatte anzuschieben. Allerdings konnte
sie aufgrund ihres Erscheinungsrythmus nie zu kurzfristigen
Mobilisierungen beitragen, langfristige Kampagnen wurden aber immer
inhaltlich begleitet.
Zum Schluß sollen noch ein paar Worte über die Mythoszuschreibung der
RADIKAL verloren werden. Die Zeitung selbst sagt dazu: "mythen werden wohl
immer bestehen im politischen kampf, denn die meisten menschen brauchen
fixpunkte und orientierungen, in gewissem sinne auch idole... endscheidend
ist wie du selber damit umgehst. also es gibt vorbilder, aus deren
erfahrungen und entschlossenheit du lernen kannst, weil du sie
gleichberechtigt als menschen siehst."
Mythisch heißt soviel wie sagenhaft, erdichtet. Daß die RADIKAL aber
nichts Erdichtetes ist, sondern eine Zeitung die nur dadurch lebt, und
zwar heute immer noch, daß viele autonome Menschen sie mittragen und -
gestalten, ist hoffentlich klargeworden. Ein Symbol für autonome
Widerstandskultur, die sie auch weiterhin zur Diskussion stellt, deren
geschichtliche Erfahrungen sie zu verarbeiten sucht und an deren
Perspektivsuche sie sich beteiligt, stellt die Zeitung mit Sicherheit dar.
Damit hat sie aber auch die Möglichkeit zu vermitteln, daß Widerstand
machbar ist und kann in einer Zeit, in der Autonome den Weg ins 21ste
Jahrhundert nicht finden, Orientierungspunkte bieten. Erst wenn sowohl
Inhalt als auch Struktur der RADIKAL als nicht lebbar oder umsetzbar
angesehen werden, verliert sie ihren Symbolwert und wird damit zum Mythos.
Um die Bedeutung der Staatsschutzangriffe auf linke Gruppen besser
einschätzen zu können, ist es sicherlich hilfreich, die allgemeinen
gesellschaftlichen Umstände, unter denen diese stattfinden, und
insbesondere die Situation der Linken etwas näher zu beleuchten.
In Anbetracht der gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre läßt
sich wohl ohne Übertreibung feststellen, daß die Realität selbst die
dunkelsten Prognosen längst eingeholt hat. Die Pogrome von Hoyerswerda und
Rostock, der Kampfeinsatz deutscher Tornados über Bosnien, die offizielle
Abwicklung der faschistischen Vergangenheit zum 50. Jahrestags des
Kriegsendes bilden einige der vorläufigen Höhepunkte der reaktionären
Entwicklung in Deutschland, die durch die Wiedervereinigung im Zuge des
Zusammenbruchs der realsozialistischen Staaten eine ganz neue Dynamik
entfalten konnte.
Das Ende der Blockkonfrontation und damit das Ende der Nachkriegsordnung
markiert insbesondere für Deutschland einen tiefen Einschnitt...oder wie
Kohl es in seiner Regierungserklärung vom 30.1.93 formulierte:
»Deutschland hat mit seiner Geschichte abgeschlossen, es kann sich künftig
offen zu seiner Weltmachtrolle bekennen und soll diese ausweiten.«
Mit dieser Aussage steht die Regierung nicht alleine da, sondern kann sich
der Unterstützung durch einen Großteil der parlamentarischen Opposition
und der Bevölkerung gewiß sein. Der nationale Konsens, der sich darin
offenbart, ist das Ergebnis einer längeren Offensive reaktionärer Kräfte,
denen es gelungen ist, daß, was mit dem Aufbruch eines Teils der
Gesellschaft Ende der 60er Jahre an fortschrittlichen Positionen in die
Gesellschaft hineingetragen wurde, wieder zurückzudrängen. Dabei spielt
die Wiedererlangung einer nationalen Identität, wie sie von der
faschistischen Neuen Rechten ebenso wie von der Wenderegierung mit ihrer
»geistig-moralischen Erneuerung« propagiert wurde, eine herausragende
Rolle. Diese wird auch durch das vermeintliche Gegenkonzept der
multikulturellen Gesellschaft, wie sie von Grünen und SPD vertreten wird,
keineswegs angekratzt, da es ihnen gar nicht darum geht, Deutschtümelei
und Rassismus anzugreifen, sondern darum, diese in profitabel verwertbare
Bahnen zu lenken.
Der Begriff der nationalen Identität knüpft in seinem inhaltlichen Kern
direkt an das völkische Verständnis von Nation an, wonach diese über das
Blut, also die gemeinsame Abstammung, definiert wird. In der völkischen
Ideologie erfüllt sich das Streben nach dem schönen und guten Leben durch
die innere wie äußere Einheit des Volkes und die Wiederverwurzelung im
heimatlichen Boden. Die Einzelnen nehmen dabei ihren schicksalsbestimmten
Platz in einer angenommenen natürlichen Hierarchie ein, die auf Führung
und Gefolgschaft basiert. Ein starker, autoritärer Staat hat die Aufgabe,
dem völkischen Prinzip Geltung zu verschaffen.
Diese Weltanschauung, die umso bizarrer wird je mehr mensch sich mit ihr
beschäftigt, stellt jedoch nicht, wie sich vielleicht vermuten ließe, das
geistige Rüstzeug einer gesellschaftlich unbedeutenden Minderheit dar,
sondern gehört traditionell zum ideologischen mainstream des deutschen
Bürgertums. Betrachten wir beispielsweise Schäubles Vision von der immer
wieder beschworenen »Schicksalsgemeinschaft« aller Deutschen, in der er
von allen Einzelnen einfordert, selbst in ihren privatesten Handlungen dem
großen Ganzen zu dienen, können wir feststellen, daß diese Denkweise heute
wieder offen zutage tritt.
Der Vollzug der inneren Einheit kommt seiner Logik nach nicht ohne
Abgrenzung aus, sei es gegen Menschen anderer Religionszugehörigkeit oder
gegen Menschen, die hier vor Verfolgung, Krieg und Hunger Zuflucht suchen.
Da das Fremde die nationale Selbstfindung untergräbt, kann sich der
deutsche Mob von Rostock oder anderswo bequem zurücklehnen und sich im
Gefühl sonnen, etwas für die Gemeinschaft getan, sozusagen eine soziale
Tat vollbracht zu haben. Sicherlich - viele Menschen distanzieren sich
nicht nur aus taktischen Gründen von den Auswüchsen rassistischer Gewalt,
sondern sind wirklich schockiert. Aber schon angesichts des neudeutschen
Lagerwesens bleibt der Schrei der Empörung aus. Daß Menschen, die vor dem
Elend in ihren Herkunftsländern hierher flüchten, unter strenger Bewachung
und unwürdigen Lebensbedingungen in Lagern zusammengepfercht, um dann
wieder abgeschoben zu werden, interessiert einfach nicht. Durch die
Abschottung der Lager vor der Öffentlichkeit, wird allerdings auch ganz
gezielt versucht, erst gar kein Interesse entstehen zu lassen. Daß
Deutschland mit ständig steigenden Rüstungsexporten, Militärhilfen oder
der wirtschaftlichen Ausplünderung anderer Länder tagtäglich weltweites
Elend mitproduziert und kräftig daran verdient, interessiert ebensowenig.
Die ideologischen Verschiebungen der letzten Jahre führen dazu, daß
Gesellschaft und deren Veränderbarkeit in abnehmendem Maß unter
Blickwinkeln wie Herrschaftsbeziehungen, Emanzipation, politische Teilhabe
oder soziale Gerechtigkeit betrachtet und analysiert werden. Daß
Vordringen einer organischen Gesellschaftsauffassung, die sich auf eine
angeblich natürliche Ordnung beruft, hat deutliche Auswirkungen auf das
gesellschaftliche Klima. Obwohl oder gerade weil immer wieder von der
Gemeinschaft die Rede ist, findet innerhalb der Gesellschaft eine
zunehmende Entsolidarisierung statt. Dort, wo der Kampf um den Erhalt
sozialer Standards schon einer Sabotage am Standort Deutschland
gleichgesetzt wird, bleibt Widerstand vereinzelt und ohne
Durchsetzungskraft. Wirtschaft und Regierung haben so leichtes Spiel,
Lohnkürzungen, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen oder die
fortschreitende Demontage des sozialen Netzes in die Tat umzusetzen.
Ebenso leicht und kaum wahrgenommen schreitet der Ausbau von
Überwachungsstaat und Repressionsapparat voran, sei es durch den Einsatz
neuer Technologien, personelle Aufstockungen oder Gesetzesverschärfungen,
die, wie im Fall der "organisierten Kriminalität", durch die abstrusesten
Bedrohungsszenarien gerechtfertigt werden. Daß dabei Lehren aus dem
Faschismus, wie die verfassungsmäßige Trennung von Polizei und
Geheimdiensten, über Bord geworfen werden, führt höchstens noch zu einem
allgemeinen Achselzucken.
Da wundert es nicht, wenn auch in anderen Politikbereichen auf altbewährte
Methoden zurückgegriffen wird. Kaum ist es Deutschland gelungen, die
Folgen der militärischen Niederlage abzustreifen und wieder als souveräne,
imperialistische Großmacht aufzutreten, kommt es beispielsweise zur
Neuauflage vergangener Volkstumspolitik. Was im Osten reibungslos
vonstatten geht, stößt im Westen allerdings auch schon mal auf
Widerspruch. So protestierten Angehörige der deutschen Minderheit in
Belgien dagegen, daß über die Hermann-Niermann-Stiftung mit dem Wissen
oder unter der Anleitung hoher Bonner Ministerialbeamter versucht wurde,
die deutschsprachige Minderheit zu separatistischen Aktivitäten
anzustacheln.
Und auch das vielleicht größte Tabu der Nachkriegszeit ist nach langer
Vorarbeit gebrochen: Der Krieg als Weiterführung der Politik mit anderen
Mitteln. Das besonders perfide daran: Der Konflikt, innerhalb dessen die
NATO mitsamt Bundeswehr ihren Angriffskrieg gegen den serbischen Teil
Bosniens führt, wurde unter maßgeblicher Beteiligung Deutschlands
geschaffen und eskaliert. Und genau hier zeigt sich wieder der nationale
Konsens, der durch die Befürwortung des Kriegseinsatzes durch Teile der
ehemaligen Friedensbewegung und frühere Linke noch zusätzlich gefestigt
wird.
Die Beschreibung der gesellschaftlichen Situation, insbesondere das letzte
Beispiel, läßt den Zustand der Linken schon erahnen. Dieser wurde mit
Schlagwörtern wie Perspektivlosigkeit, Zersplitterung, Anpassung, Rückzug
ins Private bereits desöfteren charakterisiert - und das zurecht. Die
Linke stellt heute keine gesellschaftliche Kraft dar, sie verfügt weder
über eine nennenswerte Basis in der Bevölkerung, noch über einen Einfluß
auf gesellschaftliche Diskussionen. Die Verschiebung des internationalen
Kräfteverhältnisses zugunsten des Imperialismus und die Zuspitzung der
innergesellschaftlichen Verhältnisse steht zwar durchaus im Zusammenhang
mit der Krise der Linken, kann jedoch nicht alleine dafür verantwortlich
gemacht werden. Eine Ausnahme bildet die orthodox-kommunistische DKP, für
die das Ende der realsozialistischen Staaten, also des eigenen Vorbildes,
logischerweise dramatische Folgen haben mußte und hatte. Für die anderen
Teile der Linken hat der Rollback eher dazu beigetragen, die bereits
vorhandene Desillusionierung über die Folgen der eigenen Politik und damit
das Eingeständnis des Scheiterns zu beschleunigen. Das hat trotz
vorhandener Ansätze und Versuche jedoch in der Regel nicht dazu geführt,
die Mängel und Fehler der spezifischen Theorie und Praxis linker
Organisationen und Bewegungen dermaßen aufzuarbeiten, daß daraus eine
Neubestimmung der Politik und ein neuer Anfang resultiert hätten.
Stattdessen kam es eher zur Auflösung und Spaltung bestehender Strukturen.
So hat sich der linke Flügel der Grünen, der sich aus einem Teil der
Alternativ- und ML-Bewegung der 70er Jahre zusammensetzte, nach seinem
offensichtlichen Scheitern zu größeren Teilen ganz zurückgezogen, sofern
nicht schon vorher der Schritt der Integration in den bürgerlichen Staat
vollzogen wurde.
Die noch bestehenden Überreste kommunistischer Gruppen wie der BWK haben
sich inzwischen ganz oder, wie der KB nach dessen Spaltung, mehrheitlich
der PDS angeschlossen.
Überhaupt scheint die PDS als Sammelbecken für versprengte Westlinke
herzuhalten. Als derzeit größte linke Organisation, die in Ostdeutschland
immerhin über eine Basis verfügt, bewegt sie sich jedoch so sehr im
Fahrwasser des Reformismus, daß ihr Wandel von linkssozialdemokratisch bis
nur noch sozialdemokratisch bereits absehbar ist.
Auch die autonome Bewegung ist vom allgemeinen Zerfallsprozeß nicht
verschont geblieben. Den Autonomen ist es nicht gelungen, die
gesellschaftlichen Brüche, die sich in den Kämpfen der sozialen Bewegungen
andeuteten, zu vertiefen und revolutionär zuzuspitzen. Die sich mit dem
Schwinden der sozialen Bewegungen anbahnende Krise konnte durch die
nachfolgende Kampagnenpolitik nicht gelöst, sondern höchstens verschleppt
werden, so daß sich in der Folge die autonome Szene zunehmend verkleinert
und zersplittert hat.
Eine ähnliche Entwicklung haben die Stadtguerillagruppen der RZ vollzogen,
die sich wie die Autonomen als Teil der sozialen Bewegungen begriffen und
auch ein ähnliches Konzept verfolgt haben, nämlich in etwa nach dem
Schema: Aktion, Vermittlung, Verankerung, Vermassung. Genau wie die
Autonomen gingen die RZ mit dem Ende der Bewegung und dem Scheitern des
Konzeptes dazu über, mit eigenständigen Kampagnen zu intervenieren.
Mittlerweile hat ein Teil der RZ in Hinblick auf die Hinfälligkeit des
alten Konzeptes und dem Unvermögen, sich auf einer anderen Stufe neu zu
organisieren, das Handtuch geworfen.
Auch die zweite noch bestehende Guerillagruppe, die RAF, hat ihren Kampf
inzwischen augenscheinlich eingestellt. Trotz verschiedener Kurswechsel,
vom Bezug auf die Basisbewegungen, zur Einreihung in den weltweiten
antiimperialistischen Kampf und zur Wiederbezugnahme auf die Situation
hier, ist es ihr nie gelungen, sich als Guerilla auszuweiten.
Die Antiimperialistischen Gruppen, die sich in ihren Analysen stark auf
die RAF bezogen und am gescheiterten Versuch des Aufbaus einer
antiimperialistischen Front in Westeuropa, bestehend aus Guerilla und
militantem Widerstand, beteiligt waren, haben sich, wie viele andere, zum
großen Teil ohne eine Aufarbeitung ihrer Geschichte zurückgezogen.
Keine der linken Strömungen hat es geschafft, sich in einem relevanten
Teil der Gesellschaft zu verankern, die Entwicklung von Gegenmacht
erschöpfte sich gesamtgesellschaftlich gesehen in einem Aufblitzen und
Wiederverglimmen derselben in einigen wenigen Kämpfen. In einem Land, daß
sich eh schon durch die Einebnung gesellschaftlicher Gegensätze
auszeichnete, ist es den Herrschenden gelungen, sich andeutende
gesellschaftliche Brüche nicht nur mit dem Mittel der Repression, sondern
vor allem der Integration, wiederzuzukleistern.
Trotzdem gibt es noch eine Vielzahl linker Gruppen und Projekte, die sich
den allgemeinen Auflösungstendenzen entgegenstellen und das ihnen mögliche
unternehmen, Widerstand zu leisten.
WER/WELCHE ist wovon betroffen?
Welche Anschuldigungen?
K.O.M.I.T.E.E.: Mitgliedschaft in / Unterstützung einer terroristischen
Vereinigung nach |129a. Vollendete Herbeiführung einer
Sprengstoffexplosion (Bundeswehrkaserne in Bad Freienwalde), Versuchte
Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion (Abschiebeknast in Berlin
Grünau). (Orginalton BAW)
Konstruiert wird der Vorwurf dadurch, daß die Bullen in der Nähe des
Neubaus eines Abschiebeknastes zufällig zwei Autos hopsgenommen haben, die
ihnen verdächtig vorkamen. Darin wurde eine Bombe, verschiedene
Gegenstände, über die sich Beziehungen zu konkreten Personen herstellen
ließen, und ein Warnzettel gefunden, der mit K.O.M.I.T.E.E. unterzeichnet
war. Über diesen Warnzettel wird ein Zusammenhang zu einem Anschlag von
1994 hergestellt, zu dem sich die Gruppe K.O.M.I.T.E.E. bekannt hat.
RADIKAL: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach |129.
Unterstützung einer/Werbung für eine terroristische Vereinigung nach
|129a, Steuerhinterziehung. (Orginalton BAW)
Der Aufhänger des Ermittlungsverfahren ist ein Treffen von Menschen in der
Eifel im Jahr 1993, daß angeblich der Herstellung der Zeitschrift RADIKAL
gedient haben soll. Dazu kommt der Abdruck von Bekennerschreiben
militanter Gruppen und die Tatsache, daß die RADIKAL durch ihren illegalen
Vertrieb Steuern hinterzieht. Betroffene Städte sind zur Zeit Hamburg,
Lübeck, Neumünster, Berlin, Köln, Bremen, Rendsburg. Da an verschiedenen
Punkten von der BAW versucht wird, die RADIKAL mit den anderen
Ermittlungssträngen in Verbindung zu bringen, nehmen wir an, daß sie aus
der Radikal mehr machen wollen, als sie eigentlich ist. Ihr Motto:
Terroristen, alles eine Soße.
Antiimperialistische Zellen: Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung/Unterstützung. (Orginalton BAW)
Die Ermittlungen beziehen sich einerseits auf einen Anschlag auf das
Rechtshaus der Hamburger Universität, bei denen durch die Ermittlungen
alle gefährdet sind, die an der Uni Jura studiert haben und in irgendeinem
Zusammenhang zur linken (antiimperialistischen) Szene stehen. Diese
Ermittlungen sind auf Hamburg und Umland begrenzt. Der zweite AI
Ermittlungsstrang bezieht sich auf einen Anschlag der AIZ auf ein Büro der
FDP in der Nähe von Bremen, wodurch Personen in Bremen, Essen und
Mönchengladbach betroffen sind. Als Aufhänger dieser Ermittlungen scheint
den Bullen zu genügen, daß in Bremen vor ca. einem 3/4 Jahr eine
Veranstaltung mit der Gruppe "kein Friede" aus Frankfurt war. Die
Ermittlungen in Bremen zielen auch auf die Frauen/Lesben-Zusammenhänge der
Stadt.
Rote Armee Fraktion: Mitgliedschaftliche Betätigung für eine
terroristische Vereinigung. (Orginalton BAW)
Hier lautet der Vorwurf gegen eine Frau, Nahtstellenperson zwischen
legaler und illegaler RAF zu sein. Legale RAF ist ein mittlerweile
gerichtlich bestätigtes Kunstprodukt der Bundesanwaltschaft, daß es
ermöglicht, ehemalige Gefangene der RAF und Gruppen, die sich in Aktionen
und Erklärungen positiv auf die RAF beziehen, unter Mitgliedschaft zu
kriminalisieren.
Zu dem Umfang der gesamten Aktion vom 13.6.95 verweisen wir an dieser
Stelle auf die Hamburger Broschüre "Gemeint sind wir alle", die die
gesammelten Redebeiträge der Veranstaltung vom 6.9.95 in der Roten Flora/
Hamburg enthält und sehr umfassend darüber informiert.
Erwähnen wollen wir nur, daß seit dem 13.6. vier Genossen im Knast sitzen,
die allesamt im Zusammenhang mit der RADIKAL verhaftet worden sind. Ein
weiterer Genosse aus Bremen sitzt eine fünfmonatige Beugehaft ab, weil er
sich der Bundesanwaltschaft gegenüber weigert, Angaben über einen seiner
Mitbewohner zu machen. Sieben Menschen haben sich ihrer Festnahme
entzogen, indem sie untergetaucht sind. Nach den ersten Haftprüfungen für
alle vier Gefangenen hat es mittlerweile bei dem in Lübeck einsitzenden
Andreas eine weitere Haftprüfung gegeben, die negativ ausgefallen ist. Die
Betonung bei den Gründen zur Aufrechterhaltung der Haft hat sich
allerdings verschoben. Es wurde sehr viel stärker mit der bestehenden
Fluchtgefahr und nicht mehr so sehr mit Verdunkelungsgefahr argumentiert.
Herhalten für diesen Wandel mußte die Tatsache, daß ein Mensch, der
untergetaucht ist, ähnlich gesicherte Lebensumstände hatte wie Andreas.
Die Vier, die am 13.6 erwischt worden sind, unterliegen seitdem
verschärften Haftbedingungen, was unter anderem bedeutet:
Isolierung von anderen Gefangenen
Einzelhofgang
Kontrolle der Anwältinnenpost
23 Stunden Isolation auf der Zelle
Trennscheibe bei Besuchen
Unzählige Schikanen bei der Besorgung von Dingen des täglichen Bedarfs
Es ist klar, daß neben dem Erwähnten noch eine ganze Reihe von bekannten
und unbekannten Ermittlungsverfahren laufen, die wir aber nicht einzeln
aufführen möchten. Zentrale Verfolgungsinstrumente bei dieser Aktion sind
die | 129/129a.
Das Verfahren gegen AIZ und K.O.M.I.T.E.E. sowie Teilaspekte des
Verfahrens gegen die RADIKAL werden mit dem | 129a geführt. Dieser | ist
im Laufe der Staatsschutzorgie entstanden, die die Sozialdemokratie gegen
die im Zuge des Kampfes gegen den imperialistischen Massenmord in Vietnam
entstandene bewaffneten Gruppe "Rote Armee Fraktion" losgetreten hat. Der
nach der Einführung in kurzen Intervallen immer weiter verschärfte |129a
hatte und hat die Aufgabe:
der bewaffneten und militanten Opposition durch Ausleuchtung, Bespitzelung
und Terrorisierung das politische und soziale Umfeld zu kappen.
den Betroffenen die Möglichkeiten der Verteidigung im Rahmen des
bürgerlichen Rechts zu entziehen.
die Verurteilten durch die Isolationshaft entweder politisch, körperlich
und psychisch zu brechen oder sie ersatzweise still und leise zu ermorden
bzw auf ewig aus der Öffentlichkeit zu verbannen.
Verfahren, die mit den |129/129a geführt werden, sind von Beginn an in der
Hand der hochgradig zentralisierten Bundesbehörde BAW, die das Verfahren
nach ihrem Ermessen ausweiten, einschränken, abgeben oder entgültig an
sich reißen kann. Ermittlungen werden von vorn herein nicht nach wie auch
immer gearteten rechtsstaatlichen Kriterien geführt, sondern entwickeln
sich einzig auf der Grundlage politischer Kriterien. So kann es schon mal
vorkommen, daß das BKA als weitere Bundesbehörde Anweisungen an die
Killerkomandos der GSG9 erteilt, Verfahren durch die Ermordung der
Betroffenen abzuschließen.
Sondergerichte, die in jedem Fall von 129/129a zuständig sind,
interpretieren auf der Grundlage direkter politischer Vorgaben, die in der
Regel durch die Generalbundesanwaltschaft in dem Verfahren erläutert
werden, daß vor dem Prozeß feststehende Urteil aus dem heraus, was sie
Recht nennen.
Die Verteidigung unterliegt in |129-Verfahren besonders schwerem Druck,
der die Gefahr birgt, bei unbefangener Verteidigung selber kriminalisiert
zu werden.
Die Isolationsfolter soll dann den Rest menschlicher Würde und politischer
Identität der Verurteilten zerstören.
Wer/welche dieser Waffe des Staatsterrorismus unterworfen ist, ist darauf
angewiesen, von den Staatsschutzstrategen für "unwichtig" gehalten zu
werden, um nicht für immer hinter den Mauern der Hochsicherheitstrakte zu
verschwinden. Juristischer Schutz ist für Menschen, die in diese Mühle
geraten, nur noch sehr bedingt möglich. Um so wichtiger ist deswegen die
politische Verteidigung, die im Prinzip das einzige Mittel ist, den Preis
einer Verurteilung so hoch zu treiben, daß sie unterbleibt
(kapitalistisches Prinzip des Preis/Leistungsverhältnis).
Gegen die Zeitschrift RADIKAL wurde zusätzlich zum |129a auch noch der
|129 wieder aus der Mottenkiste der Staatsschutzgesetzgebung
hervorgekramt, genau wie bei den schon länger laufenden Verfahren gegen
die Antifa-M in Göttingen. Dieser | durfte in der postfaschistischen
Gesetzgebung bleiben, weil er angeblich dazu geeignet war, die Reste
nationalsozialistischer Organisationen zu zerschlagen. Nachdem die
westlichen Siegermächte allerdings beschlossen hatten, daß diese Reste
sich auf Minister- Richter, -Generals,- und Wirtschaftsposten viel besser
machen als im Knast, durfte dieser Knüppel gegen die alten GegnerInnen des
deutschen Obrigkeitsstaates geschwungen werden: Kommunistinnen,
Pazifistinnen, Antimilitaristinnen, Gewerkschafterinnen etc. Gemeinsam war
ihnen allen, daß sie die Remilitarisierung der BRD verhindern wollten. Mit
über 120.000 Ermittlungsverfahren, weiteren 250.000 mittelbar Betroffenen
und mit dem Ergebnis von tausenden von Verurteilungen wurde der
antimilitaristischen Bewegung das Genick gebrochen und der Krieg in
Deutschland wieder ein lukratives Geschäft.
Später sahen sich dann Frauengruppen mit dem |129 konfrontiert, die
versuchten, ihr Selbstbestimmungsrecht über die Frage von Geburt oder
Nichtgeburt eines Kindes, daß ihnen derzeit wie auch heute noch durch den
|218 abgesprochen wurde, durch Abtreibungsfahrten in die Niederlande
durchzusetzen. Auch Hausbesetzerinnen wurde die Ehre zuteil.
Die RAF wurde dann als der neue Hauptfeind des Staates erkannt und
ihretwegen der neue |129a kreiert, der sich schnell zur Hauptwaffe des
Staatsschutzes gegen die revolutionäre Opposition entwickelte. Der |129
rückte dadurch weit in den Hintergrund und taucht nur noch sehr sporadisch
in der bundesdeutschen Repressionsgeschichte auf.
Wir meinen das der Grund für diese Repressionswelle in der Logik der
Verfolgungsbehörden liegt und in erster Linie eine politische Entscheidung
ist. Um eine realistische Einschätzung zu bekommen, müssen wir
verdeutlichen, für welche Politik die am 13.6. angegriffenen Projekte/
Gruppen stehen und welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sie aufweisen.
Dieses kann hier nur in groben Zügen geschehen, sollte aber unserer
Meinung nach ausreichen, um die eben gestellte Frage zu beantworten.
Die RADIKAL:
Zur RADIKAL brauchen wir jetzt nichts mehr sagen.
DIE ROTE ARMEE FRAKTION:
Sie gründete sich 1970 nach längeren Diskussionen innerhalb der 68er
Bewegung, die an ihren Grenzen gestoßen war, direkt nach der Befreiung von
Andreas Baader. Sie ist die älteste bewaffnet operierende Gruppe in der
BRD und war seit ihrem bestehen Staatsfeind Nr. 1. Sie vertritt einen
antiimperialistischen Politikansatz und ist komplett illegal organisiert,
daß meint, daß sie nicht nur aus der Illegalität heraus operiert, sondern
auch in dieser lebt. Seit vielen Jahren wird von Seiten der
Bundesanwaltschaft versucht, das Konstrukt der legalen/illegalen RAF
anzuwenden. Es wird behauptet, daß es "Nahtstellenpersonen" gibt, die
Kontakt zu Mitgliedern der "Komandoebene" haben und sich für die
"terroristische Vereinigung" RAF mitgliedschaftlich betätigen. Desweiteren
wird bei Menschen aus dem militanten Widerstand und mittlerweile auch bei
Autonomen eine Tatbeteiligung an Anschlägen der RAF konstruiert.
Aktuellstes Beispiel hierfür ist der zur Zeit stattfindende Versuch,
Menschen aus Frankfurt eine Beteiligung an dem Anschlag der RAF in
Weiterstadt anzuhängen. Der einzige Anhaltspunkt der Ermittlungen sind
Kontakte, die Menschen zum VS-Spitzel Klaus Steinmetz hatten.
Im April 1992 erklärte die RAF, daß sie bewaffnete Aktionen gegen
Repräsentanten von Staat und Wirtschaft einstellt und daß es für sie darum
geht " neue bestimmungen für eine politik herauszufinden, die tatsächliche
veränderungen für das leben der menschen heute durchsetzen kann und
langfristig den herrschenden die bestimmung über die lebensrealität ganz
entreisst." Eine konstruktive Diskussion/Auseinandersetzung über die
Weiterentwicklung der Politik hat seitdem mit der RAF nicht statt
gefunden. Die RAF hat sich nicht aufgelöst und bewies im März 1993 mit der
Sprengung des Knastes in Weiterstadt, daß sie weiterhin Handlungsfähig
ist.
Die Antiimperialistischen Zellen:
Sie meldete sich am 22.4.92 mit dem Text "22 Jahre bewaffneter Kampf der
RAF in der BRD" das erste mal zu Wort. Sie reagierte damit auf die
"rücknahme der eskalation" seitens der RAF und die Verhandlungen mit dem
Staat. Einen Monat später ging die AIZ in einem erneuten Schreiben genauer
darauf ein und kritisierte eine Reihe von politischen Aussagen der RA
Erklärung vom 10.4.92. Desweiteren erklärte sie: "Während die Herrschenden
aus dem, was sie das "Ende der RAF" nennen, das Ende des militanten
Widerstandes in der BRD schlußfolgern und dies, propagandistisch
aufbereitet, in ihren Medien verkünden lassen, ist unsere Vorgehensweise
diametral entgegengesetzt: wir wollen aus den theoretischen/praktischen
Erfahrungen der Guerilla (und das heißt eben auch: aus ihren Fehlern)
lernen und zur Weiterentwicklung von militanter Politik in diesem Land
beitragen." und "In einer Front mit denen, die im Trikont Widerstand
leisten, zusammen kämpfen!". Sie verstehen ihre Erklärungen, in denen sie
immer wieder die RAF zitieren, auch als einen Beitrag in der Diskussion
zur Weiterentwicklung militanter Politik in der BRD. Die AIZ hat in ihren
Erklärungen den Kreis derer, die durch ihre "potentiell tödliche aktionen"
bedroht sind, auf alle FunktionsträgerInnen des BRD-Imperialismus
ausgedehnt.
Das K.O.M.I.T.E.E.:
Diese militante Gruppe ist am 27.10.94 mit einem Bekennerschreiben, in dem
sie zu ihrem Brandanschlag auf das Gebäude des Verteidigungskreiskommando
852 der Bundeswehr in Bad Freienwalde Stellung bezieht, das erste Mal an
die Öffentlichkeit getreten. Dadrin nimmt sie eine klare
internationalistische undgantirassistische Position ein. Sie sagt:
"Deutschland ist Kriegspartei im Völkermord in Kurdistan - militärisch,
ökonomisch, politisch!" und analysiert die "BRD als verlängerter Arm der
Aufstandsbekämpfung in Westeuropa! " Desweiteren geht sie auf die Hetze
und Kriminalisierung von KurdInnen und das PKK-Verbot ein. Am 11.4.95
wurde die vom K.O.M.I.T.E.E. geplante Sprengung des fast fertigen
Abschiebeknasts in Grünau durch einen Zufallsfund der Bullen verhindert.
Einer, der von den Bullen beschuldigt wird, Mitglied der Gruppe das
K.O.M.I.T.E.E. zu sein, schreibt in einem "Brief aus dem Jenseits": "In
der jetzigen Situation ist der Sinn militanter Initiativen neben der
konkreten Durchsetzung von Forderungen vor allem ein propagandistischer -
aufzeigen, daß Widerstand möglich ist. Leute motiveren, sich selbst zu
engagieren."
Am 6.9.95 veröffentlichte das K.O.M.I.T.E.E.eine Erklärung zur
gescheiterten Grünau-Aktion. Als Konsequens ihrer gemachten Fehler
beendete sie ihr Projekt. Sie schrieben dazu: "Unsere Entscheidung ist
keine Absage auf militante Politikformen im Allgemeinen, sondern die
persönliche Konsequenz aus dem Debakel. Wir finden es nach wie vor wichtig
und richtig, auch mit militanten Mitteln, in die politischen und
militärischen Pläne der Herrschenden einzugreifen und ihre Projekte, wo
immer, zu benennen, anzugreifen und zu verhindern. Wir freuen uns sehr
über die Initiative des K.O.L.L.E.K.T.I.V.'s, die unser Thema aufgegriffen
haben und konsquent weitertragen.
Festzuhalten ist, daß alle am 13.6.95 angegriffenen Projekte/Gruppen
zur Fundamentalopposition in der BRD gehören,
in der Kontinuität der militanten Politikansätze der 70er und 80er Jahre
stehen,
für die Diskussion über die Aufarbeitung und Weiterentwicklung militanter
Politik ihren Beitrag leisten.
Genau diese Gemeinsamkeiten bilden die Klammer zwischen den einzelnen
Projekten und Gruppen, die am 13.6. angegriffen wurden. Die bestehenden
Unterschiede werden außer acht gelassen. Es hat für die Bundesanwaltschaft
keine Bedeutung, daß die einzelnen Gruppen/Projekte aus ihrer Analyse
heraus unterschiedliche Schlüsse für ihre Praxis ableiten. Das
Zusammenfassen dieser eigentlich voneinander unabhängigen Verfahren soll
bewirken:
daß die Solidarität mit dem vom Angriff betroffenen Menschen durch das
Auftreten von Widersprüche zu den einzelnen Gruppen, erschwert wird.
daß militante autonome Politik mit "terroristisch/kriminell" in der
Öffentlichkeit gleichgesetzt wird.
daß die RADIKAL in der Öffentlichkeit in einen organisatorischen
Zusammenhang mit anderen militanten Gruppen gebracht wird.
In diesem Verfahren soll aus dem Projekt RADIKAL mehr als eine Zeitung
gemacht werden. Dies kann durch folgendes Vorgehen der BAW geschlossen
werden:
Durch das Ermittlungsverfahren in Köln gegen eine Person, sowohl aufgrund
des RAF-Nahtstellen Konstrukts als auch der RADIKAL.
Durch das Ermittlungsverfahren in Bremen gegen zwei Personen wegen AI
Mitgliedschaft und RADIKAL.
Durch die Bekanntgabe der Bundesanwaltschaft, Disketten eines
Beschuldigten geknackt zu haben. Dort befanden sich Texte zu Kurdistan,
wodurch die BAW automatisch eine Verbindung zum K.O.M.I.T.E.E. herstellt.
Durch folgende Vorgehensweisen beim zweiten Haftprüfungstermin, die laut
Anwältin nur mit Prozessen gegen die RAF vergleichbar sind:
Der Transport des Gefangenen von Lübeck nach Hamburg erfolgte mit
zusammengeschlossenen Hand- und Fußschellen.
Der Gefangene wurde durch Begleitpersonen mit Maschinenpistolen und
kugelsichere Westen bewacht, sowie durch zusätzliche Begleitfahrzeuge.
Die Anwältin wurde durchsucht und
mit ihrem Mandanten nicht allein gelassen .
EINE ZIELGERICHTETE AKTION ?
Die Staatsschutzaktion vom 13.6. hat zum einen eine zielgerichtete
Komponente. Sie richtet sich gegen drei militant kämpfende Gruppen und das
Zeitungsprojekt RADIKAL und hatte direkt die Inhaftierung von vier und das
Untertauchen von mindestens sieben weiteren Genossen zurfolge. Der Angriff
beruht zum Großteil auf, wenn auch zufällig bzw. illegal erlangten,
kriminaltechnischen Erkenntnissen und zielt auf aktive GenossInnen der
millitanten Linken, sowie deren Strukturen.
EINE ALLGEMEIN PRÄVENTIVE AKTION ?
Jeder Staatsschutzangriff hat natürlich auch eine allgemeinpräventive
Komponente. Sie soll die Linke ganz allgemein einschüchtern und
Hilflosigkeit gegenüber dem Staat vermitteln. Er reiht sich ein in eine
Kriminalisierungsserie gegen die radikale Linke, wie z. B. gegen die
Antifa/M in Göttingen, gegen AntifaschistInnen in Passau, gegen die Antifa
in Weimar nach einer Aktion gegen die Junge Freiheit und die Ermittlungen
in Frankfurt wegen Weiterstadt. Er zielt darauf ab:
einen Organisierungs- und Diskussionsprozeß über die Erfahrungen und
Perspektiven militanter linksradikaler Politik zu verhindern, bzw. die
Strukturen, in denen dieser stattfindet zu zerschlagen.
in linksradikalen Zusammenhängen und Strukturen und in unliebsamen linken
Projekten rumzuschnüffeln, so z.B. im Bremer Frauen- und
Lesbenzusammenhang, im Informationsdienst Schleswig-Holstein und in einer
therapeutischen Praxisgemeinschaft in Bremen.
in dem Auflösungsprozeß vieler linksradikaler Gruppen nachzusetzen, ihnen
zu verdeutlichen, daß sie mit der vollen Härte des Staates konfrontiert
sind, und die grassierende Perspektivlosigkeit innerhalb der Linken zu
verschärfen.
Es geht dabei zuletzt nicht nur um die Zerschlagung schon bestehender
Strukturen. In einer gesellschaftlichen Situation, in der immer mehr
Widersprüche und soziale Konflikte produziert, aber politisch nicht gelöst
werden, soll die Linke am Eingreifen gehindert werden. Jegliche
Anknüpfungspunkte an gemachte Erfahrungen und Kontinuitäten linker
revolutionärer Politik sollen gekappt werden. Dadurch wird eine
Auseinandersetzung über unsere Inhalte, unsere Praxis und
Organisierungsansätze unmöglich gemacht. Ein Wiedererstarken der
revolutionären Linken und die daraus resultierenden Alternativen und
Handlungsmöglichkeiten zum herrschenden System werden dadurch unmöglich
gemacht.
2.) Radikal über Radikal
3.) Das Verhältnis der Linken zur RADIKAL
4.) Gesellschaftliche Situation / Situation der Linken
5.) Informationen zu den Ermittlungsverfahren
6.) Warum RAF, K.O.M.I.T.E.E., AIZ und RADIKAL zusammen?
7.) Zielgerichtet oder allgemeinpräventiv?