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Wed Dec 18 16:05:35 1996
 


Im Rahmen der Solidaritätsaktionen gegen den bundesweiten Staatsschut Angriff auf linke Projekte und Zusammenhänge (am 13.6.95) entstand eine Veranstaltung zur 'radikal'.

Wir dokumentieren im folgenden das Manuskript dieser Veranstaltung.

Darüberhinaus gibt es von den VeranstalterInnen das Angbot, diese Veranstaltung auch in anderen Orten vorzustellen. Bei Interesse könnt Ihr Euch bei uns melden. Wir werden Euch dann alles weitere zu den Modalitäten mitteilen.

Projekt ID-SH

Inhaltsverzeichnis


1) Geschichte einer Zeitschrift: Die Radikal

Die Radikal wurde 1976 als "sozialistische Zeitschrift für Westberlin" gegründet. Sie wurde als zweiwöchentlich erscheinende Zeitung konzipiert. Das Selbstverständnis der "alten" Radikal war: "Radikal ist eine unabhängige Zeitung für Westberlin. Unabhängig in dem Sinne, daß die Zeitung nicht als Sprachrohr einer bestimmten politischen Fraktion der Linken dient. Die Redaktion ist heterogen zusammengesetzt. Die verschiedensten Standpunkte der Linken sind in ihr vertreten. Über ihre praktischen Aufgaben hinaus bemüht sich die Redaktion, durch Diskusssionsprozesse zu wichtigen Fragen einen einheitlichen Standpunkt zu formulieren"(radikal Nr.18)

Diese praktischen Aufgaben sind:

Überblick über die Aktionen der Linken in Westberlin durch Kurzberichte Offenes Diskussionsforum über wichtige politische Probleme Unterstützung von Anstrengungen, Aktionseinheiten der Linken gegen die zunehmende Faschisierung zu erreichen. Unterstützung von Versuchen, alternative Lebensformen zu entwickeln. Angebot von Diensten zu praktischen Problemen: Kleinanzeigen, Beratungen, Tips Zusammenfassung aller Termine der politischen Linken in einem zentralen Veranstaltungskalender. Bei der Realisierung dieser Punkte versteht sich die Zeitung als Mittler, technischer Umsetzer und Multiplikator.

Die Redaktionssitzungen der Zeitung waren angekündigt, um den LeserInnen zu ermöglichen, vorbeizukommen. Es gab also einen theoretisch sehr offenen LeserInnen/MacherInnen-Kontakt. So ein Verhältnis ist natürlich bei der heutigen Radikal undenkbar, aber die Stellung, die die Radi zu ihren Leserinnen formuliert, ist im Prinzip 1976 die gleiche wie heute: "Wir fordern Organisationen und nichtorganisierte Genossinnen auf, aktiv mitzuarbeiten. Schickt Berichte von der Basis oder eure Meinung zu aktuellen b.z.w. theoretischen Problemen."(Nr.18, 1976) Zur aktiven Mitarbeit stellt die Radi im Zuge einer Umfrage fest: Weiter lasen wir in den bisherigen Fragebögen immer wieder bezüglich der Mitarbeit: "würde gerne mitmachen, weiß aber nicht, wie, was soll ich schreiben, kann ich das überhaupt? "Wir meinen, es soll eine Zeitung sein, die von uns für euch ist, und durch euch mit uns ist. Und deshalb finde ich die Zweifel, ob man daß überhaupt kann, nicht richtig, deshalb versuchts doch mal, kommt mal rum, seht euch die "radieschen von innen an".(Radikal Nr.18) Die Redaktion, die radieschen, bestanden aus ca. 10-25 Menschen. Dieses für heutige linke Verhältnisse relativ große Häufchen hat sich die Mühe gemacht, die Gebiete festzuschreiben, zu denen die Zeitung arbeiten will. Es sind: Frauenspezifische Probleme, DDR, Kultur, linke Gruppen, Uni, Justuiz, Prozesse, Soziales, Jugend, Gesundheitswesen, alternative Projekte, Internationales, Schule, Betrieb/Gewerkschaft. Die thematische Palette der Radi war also durchaus sehr breit angelegt und wurde in der Praxis auch einigermaßen so umgesetzt. Großen Raum, insbesondere ab 1977, nahm die Institutionalisierung der alternativen Linken ein, die zu der Zeit in ihrer Argumentation noch eine radikale bis radikaldemokratische war. Die Diskussionen um die Entstehung der Taz und der Berliner Alternativen Liste wurden sehr ausführlich begleitet. Zunehmend in den Mittelpunkt geriet auch das Thema Knast, die Prozesse gegen den 2.Juni und die beginnende Repression gegen die linksradikale Zeitungslandschaft.

1977 war auch das Jahr, in dem die Kriminalisierung der Radikal ihren Anfang nahm. Der Nachdruck des "Mescalero" Nachrufs auf den Generalbundesanwalt Buback zog im Jahr 1978 ein Verfahren wegen "Verunglimpfung des Ansehens Verstorbener" nach sich. Ergebnis: 875 DM Geldstrafe gegen den presserechtlich Verantwortlichen. Der große gesellschaftliche Druck auf die Linke, der im "Deutschen Herbst" eskalierte, hat sich auch auf die Zeitung ausgewirkt. Die RADIKAL dazu: "ganz offensichtlich hat sich der Charakter der Zeitung im Laufe des Jahres 1977 verändert. Eindeutig haben die sogenannten kopflastigen Artikel zugenommen, die Berichte von der "Basis", also von arbeitenden Gruppen, Initiativen u.s.w. abgenommen. Vorsichtig kann man dazu sagen, daß dies Ausdruck der veränderten politischen Situation, des immer größer werdenden Drucks ist, der den Öffentlichkeitsdrang vieler Genossen lähmt. Zumindest wurde dieser Eindruck auf dem letzten natinalen Treff der westdeutschen Alternativzeitungen von vielen geteilt........ Ein weiterer Aspekt ist, daß nach den Aktionen Buback/Ponto//Schleyer die Diskussion um die Frage der Gewalt und nach dem angedrohten K-Gruppen Verbot, die Diskussion um Aktionseinheit, linke Bündnisse u.s.w. zugenommen hat, was sich natürlich auch in der Radikal wiederspiegelt........ Der forcierte Diskussionsprozess hat sich nicht unbedingt positiv auf die Radikal ausgewirkt. War es in der Anfangszeit noch so, daß zu wichtigen politischen Fragen innerhalb des Kollektivs gemeinsame Standpunkte erarbeitet wurden, so drohte an der Frage Linke und Gewalt oder Aktionseinheit offensichtliche Spaltung der Redaktion. Die Gründe können nur angedeutet werden: Die angespannte Arbeitssituation und die Dominanz einiger politischer "Großköpfe" schufen ein total angespanntes Diskussionsklima: Die rasche Abfolge der Ereignisse, die Hilflosigkeit und die Ohnmacht gegenüber dem verschärften Druck des Staates ließ die einzelnen Radikalen mit ihren unterschiedlichen politischen Standpunkten mit potenzierter Kraft aufeinander prallen"(15.12-12.1.1978).

Hier, Anfang 1978, deuteten sich die Fragestellungen und Auseinandersetzungen an, die nach der Entwicklung der HausbesetzerInnenbewegung und damit den Ursprüngen der Autonomen einen Bruch in der Radikal erzeugen. In der Nr.84 vom November 1980 veröffentlichte die Radikal einen Artikel, in dem klargestellt wird, was sich aus der Zeitung schon allein dadurch ablesen ließ, daß die Unterzeile sich verändert hatte. Sie hieß jetzt: Zeitung für unkontrollierte Bewegungen in Amsterdam und Westberlin. Das Wie und Warum ließt sich dann so: "Es geht mal wieder um die Radikal, aber diesmal wollen wir euch nicht erzählen, daß wir kein Geld haben, daß kein Echo kommt, e.t.c....sondern die Radikal als Szeneblatt problematisieren und in Frage stellen. Der Bruch "sozialistische Zeitung für Westberlin" zu "Zeitung für unkontrollierte Bewegungen" deuten wir auch als Bruch mit großen Teilen der Szene und Linken. Diese Trennung schmerzt uns nicht, im Gegenteil, sie kommt reichlich spät! Wir stellen in Schlagworten fest: die Alternativbewegung ist gescheitert, sie funktioniert als ein Nebenzyklus des Kapitalismus und ist damit keinerlei Gefahr für das System. Eher schafft sie die Ideen und Konzepte, um das System über die anstehenden Krisen zu bringen. Doch genau mit diesen Krisen und Klassenkämpfen wird eine radikale Infragestellung von Staat, Gesellschaft und Produktion einhergehen. Die jetzige Linke und die Alternativbewegung werden in diesen Kämpfen eine unbedeutende Rolle spielen. Solchen Problematiken müssen wir uns in der Radikal stellen, oder anders: Ist es sinnvoll, eine Zeitung wie die Radikal zu produzieren, um sie dann wie saures Bier in den Alternativkneipen verkaufen zu müssen.........Heißt das nicht, daß die Szene nicht einmal mehr traditionelle sozialistische Ansätze interessiert, geschweige denn, die neue Stoßrichtung der Radikal, für eine autonome anarchistische Bewegung...... versuchen wir da nicht, die Zeitung bei den falschen Leuten an den Mann/Frau zu bringen?........ Wir wissen zwar "weg von der Szene", aber nicht mehr weiter. Wir wollen nicht eine Zeitung für, sondern von Schülern, Punks, Siemensarbeitern, Jobbern, Hausfrauen, Rockern, Massenarbeitern, Arbeitsemigranten - nen paar alternativen Nichtstuern, Arbeitsscheuen, Aussteigern, Kiffern, Träumern, Stadtguerilleros, wir wollen keine Avantgarde sein, sondern nur vermitteln, was wir denken und für richtig/wichtig erachten; die Zeitung nicht für jemand machen, sondern als Ausdruck von Bewegungen; wollen Multiplikator von Ansätzen zu Aufstandsbewegungen sein, ein Faktor eines Aufstandes, unkontrollierte Bewegungen, auf das es brodelt und kocht..... warum Aufstände, das zu erklären ersparen wir uns.... Kein Blatt für Leute, die dabei sind, sich einzurichten; den Kreis der Szene sprengen. Raus aus unserem gemütlichen angstvollen Ghetto; anders gesagt: Sabotage und Subversion sind überall, die Szene ist nur ein Teil davon: Schule schwänzen, krank feiern, wilde Streiks, Ladendiebstahl, Häuserkampf, Schwarzfahren....."(radikal Nr.84)

Seit dieser Zeit entwickelt sich die Radikal zu dem Sprachrohr der Autonomen Szene, zu Anfang noch hauptsächlich Westberlins und im Laufe der Ausgaben auch der ganzen BRD. Daß die Radikal diese Bedeutung erlangt hat, liegt daran, daß die Zeitung als autonomes Organ nicht nur im Inhalt der Texte, sondern auch in Sprache und Lay-Out dem Namen alle Ehre gemacht hat. Keine andere Zeitung hat die Unklarheiten der Metropolenbewegungsmilitanten so klar und präzise auf den Punkt gebracht. Die Radikal hat bedingungslos die Gedankenwelt der Autonomen in die Öffentlichkeit getragen, durch Rubriken wie die Herzschläge regionale oder lokale Aktionen und Initiativen bundesweit bekannt gemacht. Die gewachsene Bedeutung der Zeitung, bedingt unter anderem durch den Wandel von einer eher berichterstattenden Zeitung zu dem Sprachrohr einer ganzen Bewegung, rief auch den Staatsschutz auf den Plan. Die Bemühungen, die Radikal aus dem bundesdeutschen Blätterwald zu entfernen, wurden intensiver. Im Februar 1982 erhob die Staatsanwaltschaft erstmals Anklage gegen die Radikal nach |129a, "Werbung für eine terroristische Vereinigung". Ausgangspunkt ist der Abdruck von Texten der Bewegung 2.Juni. Der Kriminalisierungsversuch scheiterte, weil es den Schergen nicht gelingt, die Vereinigung 2.Juni nachzuweisen. Es kam nicht einmal zu einer Hauptverhandlung, die Klage wurde abgewiesen. Trotz dieser juristischen Schlappe für den Staatsschutz wurde das primäre Ziel, die Radikal zu zerschlagen, nicht aus den Augen verloren. Die HandverkäuferInnen der Radikal waren einer Reihe von Bespitzelungen bis hin zur offenen Observation ausgesetzt, die die Vorbereitungen für den nächsten großen Schlag bildeten. Am 1.12.82 wurden 14 Wohnungen, 2 besetzte Häuser, 3 Druckereien, 1 Verlag, 2 Buchläden, 1 Fotosetzerei sowie 1 Buchvertrieb durchsucht. Einige abgedruckte Texte der Revolutionären Zellen sollten den Tatbestand der Werbung nach |129a erfüllen. Im Juni 1983 wurden dann Benny Härlin und Michael Klöckner stellvertretend für die schon namenlose Redaktion verhaftet und nach |129a angeklagt. Damals entbrannte ein wahrer Proteststurm, getragen auch von Seiten einer linksliberalen Öffentlichkeit. Die beiden Verhafteten waren als Journalisten nicht ganz unbekannt, und so mußten sie nach 2 monatiger Isolationshaft gegen eine Kaution von 30000 DM freigelassen werden. Trotzdem wurden beide im März 1984 zu je 2 ½ Jahren Haft verurteilt, obwohl ihnen keine Beteiligung an der kriminalisierten Ausgabe nachgewiesen werden konnte. Aufgrund des unbedingten Verurteilungswillens seitens des Staates hielt es der Richter Pahlhoff für ausreichend, daß Klöckner das Konto führte und Härlin in früheren Ausgaben als V.I.S.D.P. auftauchte. Beide konnten allerdings vor dem Absitzen der Knaststrafe geschützt werden, indem sie über die Liste der Grünen in das Europaparlament gewählt wurden. Die Zeitung erscheint weiter, wenn auch unregelmäßig, aber auch die Repression geht weiter und zeigt deutlich, daß es dem Staatsschutz um die Zerschlagung der RADIKAL geht. Im April 1984 werden erneut Druckereien durchsucht, das Bankkonto gesperrt, Post beschagnahmt und eine Person beim Abhohlen der Post aus dem Postfach, das permanent bewacht wird, verhaftet. Vorübergehend stellte die taz ihre Postadresse zur Verfügung, aber auch hier folgt im Mai die Durchsuchung. Wenige Tage später stellt die RADIKAL mit der NR. 126/7 ihr erscheinen sang- und klanglos ein, ohne das die alten Redakteure dazu eine Erklärung abgeben. Aber schon einige Monate später erschien die Zeitung das erste mal aus dem "Untergrund". Im Vorwort zur Nr.128 heißt es: "So Leute, habt ihr also gedacht es wäre zu Ende mit der radikal...Habt ihr sie schon auf der Liste der von "Verfassungsorganen" totgeprügelten linken Initiativen angekreuzt und archiviert...Und jetzt zu uns: Diese Zeitung kann nur versteckt geschrieben und produziert werden..." Der Bruch von der "legalen" zur "illegalen" Radi fand auf allen Ebenen statt, nur eben nicht im Vertrieb. " Hier lag eine Struktur ungenutzt rum, du mußtest nur zugreifen." Klar war inzwischen auch, daß die RADIKAL schon längst eine bundesweite Zeitung war und daß autonome Inhalte und die Diskussion um militante Praxis sich nicht in der taz oder anderen Zeitungen wiederfinden. "Gerade in relativ stillen Zeiten, die oft zur Besinnung auf neue Werte und Strategien benutzt werden finden wir ein politisches Diskussionsforum wichtig." Mit "stillen Zeiten" ist hier die sich auflösende militante HausbesetzerInnenbewegung gemeint. "Die Zeiten in denen alles möglich schien, wenn wir nur viele sind, waren vorbei und der Glaube daran, mit Massenmilitanz auf der Straße dieses System zum kippen bringen zu können hatte sich nicht erfüllt." So ging es im wesentlichen darum, radikale Inhalte überhaupt noch öffentlich zur Diskussion zu stellen, aber auch um eine Auseinandersetzung mit bisheriger Politik und dem Suchen nach neuen Perspektiven. Der schon verbuchte Zensurerfolg des Staatsschutztes zerann und die Ermittlungen konzentrierten sich in dieser Zeit auf den Vertrieb der Zeitung, da der verdeckt organisierten Redaktion nicht beizukommen war. 1986/7 wurden dann in zwei großangelegten Durchsuchungsaktionen insgesamt über 100 Buch-, Infoläden, Zentren und Privatwohnungen durchsucht und die Nr.132 beschlagnahmt. Eine wahre Ermittlungswelle ging los, allerdings bleieen von insgesammt 192 Ermittlungsverfahren nur 38 Anklagen übrig, wobei nur überhaupt 12 zur Verhandlung kammen und lediglich 5 mit geringen Bewährungsstrafen endten. Sicher lag es aber auch nicht im Interesse des Staatsschutzes , die BRD mit einer Prozeßlawine zu überziehen, die die Gefahr einer breiteren Solidarisierung beinhaltete, ihre Absicht ist aber auch so aufgegangen: Einschüchterung und Abschreckung mittels des |129a, hier vor allem gegen die Buchläden und öffentlichen Verkaufsstellen gerichtet, mit dem Ergebnis, daß linksradikale Inhalte aus dem öffentlichen Raum verschwanden. Diese Strategie ist auch weitgehend aufgegangen, viele Läden erlagen auch aus ökonomischen Gründen der Selbstzensur oder distanzierten sich öffentlich. Trotzdem, die Zeitung erscheint weiter und neben der Redaktion wird jetzt auch das Vertriebssystem verdeckter organisiert. Obwohl die Nr.132 nach Meinung des Redaktionskollektivs die wohl am wenigsten gelesene Ausgabe ist, nicht zuletzt aufgrund ihrer Beschlagnahmung, aber auch des Zerfalls der Bewegung, des unregelmäßigen Erscheinens und all zu platter Analysen, hat die RADIKAL auch weiterhin Bedeutung innerhalb der Widerstandspresse in der autonomen Szene.

Was macht nun eigentlich inhaltlich die RADIKAL seit ihrem Erscheinen aus dem Untergrund im Jahr 1984 aus? Menschen aus dem RADIKAL-Kollektiv selbst sagen dazu: die "vermittlung und verbreitung radikaler inhalte im verhältnis zwischen theorie und praxis." Natürlich gehören dazu dann auch die "berühmten" Bau- und Bastelanleitungen mit dem Ziel, praktisches Wissen möglichst vielen zugänglich zu machen. Dabei geht es nicht nur, aber auch, um den Bereich Zeitzünder etc., sondern darüberhinaus um Klautaschen oder Piratensender. In diese Rubrik gehören ebenfalls die Informationen über das Vorgehen von Staatsschutz und Bullen, wie Tips und Tricks sich gegen Spione und Spitzel zu schützen oder Texte zur Aussageverweigerung. Es werden Anschlagserklärungen der unterschiedlichsten Gruppen dokumentiert, die sonst vielen Menschen nicht unbedingt zugänglich wären. Eine Zeitlang nutzten viele Gruppen beispielsweise ihre Anschlagserklärungen, indem sie nicht nur über den inhaltlichen Hintergrund, sondern auch ihre technische Vorgehensweise berichteten, leider ist das weitgehend aus der Mode gekommen. Zu diesem Bereich gehört auch die Rubrik OLGA alias Piefke alias Herzschläge, wo sich Kurzberichte, Erklärungen etc. aus der ganzen BRD finden und mensch sich zumindest einen Überblick verschaffen kann, was grad so los ist, weil ja eben doch nicht jedes Flugblatt aus Hintertupfingen in Büddelsdorf ankommt. Die RADIKAL selbst sagt dazu: "welche voneinander lernen und Strukturen aufbauen wollen, sollten zumindest über Papier mitkriegen, daß in einiger Entfernung evtl. dieselben Ansätze, Probleme usw. auch existieren...Sich gegenseitig wahrnehmen sollte auch eine praktische Entwicklung nach sich ziehen, wo über gemeinsame Sachen dann auch geredet wird und im besten Fall Strukturen entstehen. Damit hätte die radi natürlich herzlich wenig zu tun, es wäre allein eure Sache..." Vor allem gefüllt wird die Zeitung aber mit den Diskussionen, die innerhalb der radikalen Linken geführt werden/wurden: Auseinandersetzungen mit Sexismus und Patriarchat eben auch innerhalb der Scene, Diskussionen um Bündnispolitik und autonome Organisierung, Beiträge zu dem Verhältnis der Linken zur RAF/RZ und immer wieder die Auseinandersetzung um Strategien der Militanz als politisches Mittel. Die RADIKAL kann sicher nicht in kurzfristige Mobilisierungen eingreifen, an langfristigen Kampagnen, wie beispielsweise IWF oder WWG, hat sie aber ihren Anteil und wichtiger noch als die Mobilisierung sind die Auswertungen die innerhalb der Zeitung gemacht werden, beispielsweise zum 1.Mai in Kreuzberg. Eigentlich finden sich alle aktuellen Brennpunkte an der die autonome Bewegung beteiligt war/ist in der RADIKAL wieder ( Shell, Startbahn, Antifa...). Lange Zeit gab es in der Zeitung keine kontinuierlich nach außen sichtbare Redaktionsarbeit in Bezug auf das Veröffentlichen eigener Diskussionsbeiträge/Texte. Seit 1989 gibt es aber in der RADIKAL die Rubrik "Gegen das Vergessen". Hier wird der Versuch gemacht, sich Geschichte aus linker Position anzueignen, eine nützliche Ergänzung zu jedem Geschichtsbuch.

2.) Radikal über Radikal

Im Juli `89 erschien im ID-Archiv ein Interview mit der RADIKAL.Warum sollen wir uns also was aus den Fingern saugen, wenn es was von der Redaktion gibt? Der folgende Block ist ausschließlich Auseinandersetzung mit dem Interview. Konzept ab `84: Zitat:"radikale träumen oft von der verbreiterung der bewegung oder revolutionärem bewußtseins. hier lag ein wesentliches mittel (die radi nach dem auseinanderbrechen der alten redaktion) und die struktur ungenutzt herum, du brauchtest bloß zuzugreifen."

Das Konzept der RADIKAL lässt sich ab `84 mit einer Klammer zwischen allen Teilen der militanten Linken vergleichen. Die RADIKAL verstand sich, seitdem sie als autonome Zeitung herauskam "von der Bewegung für die Bewegung", die illegale Radi sieht das als Konzept, als Zeitung nicht mehr gewährleistet, da es "die Bewegung" unter dem Konzept der Massenmilitanz nicht mehr gibt: "damals schien alles möglich, wenn wir nur viele sind und explodieren. heute mußt du möglichkeiten vorbereiten und aus der erfahrung lernen, daß die spontane revolte auch über jahre nicht erreichen konnte, daß sich wirklich wesentliche dinge ändern." Mit dem Einschlafen der Bewegung, ist die Perspektive eingeschränkter, so daß sich der Schwerpunkt darauf richtet zu gewährleisten, daß bestimmte Inhalte überhaupt veröffentlicht werden. Als Hintergrund für die Entscheidung mit der Radikal in die Illegalität zu gehen ist das folgende Zitat vielleicht ganz brauchbar: "unsere entwicklung läßt sich mit dem vergleichen, wie sich viele im widerstand durch den widerstand verändern und lernen. alo erst schmeißt du steine, um dich zu wehren und aus haß gegen schweinereien. mit der zeit wird klarer daß die ungerechtigkeit system hat und du nicht allein betroffen bist(...)die front zum staat wird bestandteil deines fühlens und handelns gleichzeitig die alltägliche und politische repression. dann fängst du an dich zusammenzutun und überlegst ob es nicht auch andere mittel als steine gibt (...)" Widerstand wurde immer mit Repression belegt, in Zeiten wo die Kräfte aber nicht ausreichen trotz Repression linksradikale Inhalte offensiv zu verbreiten, ist mensch gezwungen sich zurückzuziehen und erstmal auf Sparflamme weiterzumachen. Die Kräfteverhältnisse sind eben nicht die besten. Der gravierendste Einschnitt in der Geschichte der RADIKAL war der Schritt von der legalen zur illegalen RADIKALl. Nach dem Prozess gegen die legale RADIKAL fiel auch deren Redaktionskollektiv auseinander. Menschen, die es wichtig fanden, daß es die RADIKAL weitergibt, setzten sich zusammen und es entstand ein neues Konzept.

Zitat: .den einen schwebte ein rein bewußtseinsbildendes organ vor, während andere in erster linie revolutionäre praxis vermitteln und militantes bandenwesen dokumentieren und vorantreiben wollten." Dies wird im Interview als nur ein Beispiel für die Bandbreite der Konzeptdiskussion dargestellt:, "was theoretisch hätte zusammenlaufen und sich ergänzen können, zerbrach endgültig an der frage wie die radi zu organisieren ist. entsprechend ihren inhaltlichen vorstellungen setzten einige weiter auf legales erscheinen, indem z.B. anschlagserklärungen weggelassen oder ausdrücklich nur dokumentiert werden sollten. also eine läuterung nach innen, denn genau jene inhalte würden verschwinden, die der repression den anlaß zum ausflippen gegeben hatten. durchgesetzt hat sich schließlich die andere fraktion(...)weil es in der nächsten zeit hauptsächlich um konkrete arbeit ging." Damit hatte sich die neue, illegale Redaktion dafür entschieden, die RADIKAL weiterhin mit den Inhalten zu füllen, wegen denen sie kriminalisiert worden war

Selbsteinschätzung/Selbstverständnis der Redaktion: Zitat: "es geht nicht alleine um inhaltliche arbeit, was normalerweise den schwerpunkt bei jeder zeitungsarbeit ausmacht. die arbeit mit dieser Zeitung muß verdeckt organisiert werden, damit kriminalisierter Inhalt überhaupt veröffentlicht werden kann. Es hat Konsequenzen, wenn du sagst, weitermachen statt annpassen und nach einer Nische suchen. Es kann bedeuten, daß du langsam untergehst und keineR merkts. also wirst du nicht illegal weil du bock drauf hast dich zu verstecken, sondern weil es aufgezwungen wird." Die RADIKAL-Gruppe,die das Interview geführt hat, analysiert den Zusammenbruch der Bewegung als Reaktion auf die Repression. Grob verkürzt heißt Repression gegen Bewegung für sie Spaltung in für die Herrschenden "Gute und Schlechte". "Gut" sind die, die sich auf Reformen zurückziehen. "Schlecht" sind die nicht reformierbaren Teile der Bewegung, so daß sie zerstört werden sollen. Die Gruppe beschreibt das Arbeiten im öffentlichen Raum als ständige Schere im Kopf, also nichts denken zu können, ohne die Repression mit einzurechnen. Das Arbeiten aus der Illegalität heraus bedeutet für sie, die eigene Schere im Kopf ablegen zu können, also die Resignation gegenüber staatlicher Kriminalisierung zu unterlaufen. Die Gruppe die `89 das Interview gegeben hat, versteht die RADIKAL auch als Versuch genaue und verbindliche Strukturen zu organisieren, die von Bewegungskonjunkturen unabhängig sind.Zitat: "das soll nicht heißen daß bewegungen unwichtig sind, im gegenteil. in ihnen wird verkrustetes und eingefahrenes denken aufgebrochen, und die mobilisierung geht meißt über das traditionelle linke spektrum hinaus. aber sie werden wieder verpuffen, wenn nicht auch erfahrungen und geschichte der kämpfe ernstgenommen werden und strukturen den luftleeren raum füllen. es geht uns darum, die verbreitung radikaler inhalte zu organisieren und uns auf die vermittlung eines revolutionären bewußtseins zu konzentrieren, mit gleichzeitigem bezug zur praxis." Zu der Frage warum die RADIKAL, trotz des Vorwurfs der Name würde am eigenen Mythos festhalten, diesem öffentlich nie viel entgegengesetzt hat, legt die Gruppe ihre Positionen zu dem Wort "radikal" und damit zu ihrem Politikverständnis dar. Zitat: "da kannst du einen ganz anderen politischen bereich erwarten, als bei einer zeitung, die z.B. `zwischenlösung` genannt wird " "wir haben kein hauptwort und auch keine ausschließliche position, unter der wir alles betrachten und einordnen. wir sehen radikale politik als etwas lebendiges, was sich ständig verändert, und vor allem von vielen unterschiedlichen menschen getragen wird." das wort radikal bedeutet an der wurzel anpacken, ursachen finden, angreifen und verändern. es bedeutet den eigenen erfahrungsbereich auch verlassen zu können und z.b. nicht von frieden zu sprechen, während du selbst von mord und ausbeutung profitierst. eine solche sichtweise darf nicht in moralischer betroffenheit enden, sondern in aktiver solidarität." "die "linke" agiert innerhalb des systems und klammert ihre persönliche existenz an kapitalistische nischen, wärend es für radikale eine logische konsequenz ist, innerhalb einer politischen entwicklung gejagt zu werden und warscheinlich im knast zu landen" Das Selbstverständnis der RADIKAL-Gruppe, die das Interview geführt hat, fügt sich aus sehr vielen Aussagen auf ca.80 Seiten in ein Gesamtbild zusammen und ist grob umrissen das Politikbild von "Bewegungsautonomen". Es gibt sehr viele Grundsätze, die zum Teil ohne irgendwo hergeleitet worden zu sein als richtig gelten und die nur praktisch umgesetzt werden müßten. Die Konzeption der Radikal, die ja heute aus einer verzweigten Struktur besteht, macht allerdings klare Aussagen schwierig, und das erst recht, wenn sich diese Struktur zum Ziel gesetzt hat, handlungsfähig zu bleiben. Diese linksradikale Struktur aufrecht zu erhalten, könnte also als ein wesentlicher Teil des Selbstverständnisses ausgemacht werden.

Für wen wird die Zeitschrift gemacht? Tja das ist leider nicht so einfach, da es keine "Zielgruppe" gibt. Die RADIKAL sagt: "wir wollen die radi als forum unterschiedlicher linksradikaler strömungen und schwerpunkte" War es früher von der Bewegung für die Bewegung so läßt die Interviewgruppe heute allgemeiner vermuten; die Zeitung wird von der radikalen Linken für die radikale Linke gemacht. Im Interview macht sie aber schon mal die Einschränkung, daß die Linke in den Großstädten wohl nicht mehr soviel mit der Zeitung anfangen kann, da es dort öffentliche Kommunikationsstrukturen gibt, deren Aktualität die RADIKAL auf Grund der Abstände ihres Erscheinens nicht gewährleisten kann. Als nächstes kommt die Einschränkung, daß diejenigen, die sich nach dem Niedergang der Bewegung ein wenig mehr mit Theoriebildung beschäftigt haben, nichts mehr mit der RADIKAL anfangen können, weil sie ihnen zu platt daherkommt. Fazit ist also, daß die Zeitung für diejenigen gemacht wird, die etwas damit anfangen können. Also Zeitung von Teilen der radikalen Linken für Teile der radikalen Linken. Dies hört sich für Außenstehende lapidar an, allerdings ist die Frage nach der LeserInnenschaft doch ziemlich wichtig. Mensch halte sich vor Augen, daß diese Gruppen mit der illegalen Zeitungsproduktion einen immens hohen Repressionsdruck auf sich nehmen. Die Frage der LeserInnenschaft ergibt sich aber daraus wie die RADIKAL organisiert ist, sie funktioniert nur durch eine überregionale Struktur. Das Zeitungmachen ist also mit der Perspektive verbunden, ein gemeinsames Diskussionsforum zu sein, Diskussionen, Struktur und Gegenmacht zu festigen.

Wie ist die RADIKAL organisiert? Kriterien wie Zielgruppe oder Redaktion lassen sich auf die Radikal nun mal nicht anwenden, es geht ja nicht um Vermittlung irgendwelcher Weisheiten, sondern um Entwicklung von revolutionärer Perspektive. Das können nicht einige Schlaumeier für alle tun, sondern soviel wie möglich zusammen. Die Organisierung der Zeitung läßt sich deshalb zum einen in die praktische Arbeit, die zu erledigen ist und zum andern auf die theoretisch damit verbundene Organisierung der revolutionären Diskussion unterteilen. Es gibt also nicht den "Redakteur" und "die Leserin".Dementsprechend wird auch der Inhalt mehr oder weniger von allen bestimmt, die ein Interesse daran haben an der Entwicklung dieser radikalen Linken teilzunehmen. In dem Interview formuliert die Gruppe das so: " der Inhalt jeder Zeitung kommt auf unterschiedliche weise zustande. in der tendenz sind es immer weniger artikel die von redaktionen gemacht werden. ein zunehmender teil des inhalts kommt über die post, manchmal als fertiger artikel, manchmal als zeitung, broschüre oder infos, die dann von einer redaktion ausgewertet werden. alles was über die post kommt wird ernst genommen, aber nicht alles taucht in der zeitung auf."..."im Prinzip entscheiden mehrere gruppen über den inhalt jeder ausgabe (...) unser konzept sind ziele und etappen, vereinfacht gesagt: wir versuchen uns so zu organisieren, daß die repression keinen direkten einfluß auf inhalt und struktur der radi hat. und es soll eine zeitung sein, die von möglichst vielen für den austausch untereinander und zur diskussion genutzt wird" (...) "alle planen und bauen mit, wobei eine arbeitsteilung selbstbestimmt vorgenommen wird. im prinzip sollen alle alles können, damit kollektive entscheidungen erst möglich werden." "(...)über die auslandsadresse haben alle die möglichkeit, ihre infos und positionen in der radi zu veröffentlichen(...) inhaltlich haben wir die macht der entscheidung, und das ist ein knackpunkt in vielen diskussionen auch bei anderen zeitungen." (...)aber es bleibt eine tatsache , daß innerhalb der struktur entschieden wird, daß aber kritik von außen nicht verpufft. eine gewähr dafür, daß die entscheidungsmacht verteilt wird und nicht mißbraucht wird, ist unsere struktur. wenn mehrere gruppen aus verschiedenen regionen mitbestimmen, dann geschieht das auf einer basis , wo alle im widerstand verwurzelt sind." "im prinzip entscheiden mehrere gruppen über den inhalt jeder ausgabe. ein geringerer teil wird von mehreren diskutiert, zunehmend mehr entscheiden die einzelnen gruppen in eigener diskussion. auch das ist ein prozeß, in dem das vertrauen zueinander wächst, weil sich gemeinsame kriterien herausbilden."

Die RADIKAL die in der Illegalität produziert wird, muß trotz Repression irgendwie an ihre LeserInnen kommen. Die Nummer 132 nahm der Staatsschutz zum Anlaß, bundesweit linke Buchläden und Wohnungen von WiederverkäuferInnen zu durchsuchen. Einige Buchläden nahmen das zum Anlaß, sich hemmungslos von den Inhalten der Zeitung zu distanzieren. Fakt ist daß seitdem die radi so gut wie ganz aus der Öffentlichkeit verschwunden ist, Fakt ist aber auch, daß es bis heute immer noch eine Struktur gibt die Verantwortung für die Zeitung übernimmt und die RADIKAL verteilt. "unsere verantwortung hörte an einem ziemlich eindeutigen Punkt auf. wir machen die redaktionsarbeit und die zeitung, organisieren die produktion, notwendige kohle und den vertrieb bis an die stelle, wo die radi in den postämtern liegt. ab da hatten die zeitungen die illegale struktur verlassen"

Zum Organisieren einer Zeitung gehört auch ihre Finanzierung. Diejenigen, die sich für die direkte Arbeit an der Zeitung entschieden haben, sehen sich immer wieder vor das Problem gestellt diese Summe zusammenzukriegen. Früher gab es z.B. 30% Rabat für HandverkäuferInnen gab, was einige nutzten um sich damit ihre "Stundenlöhne" aufzubessern. (Siehe "Dies ist kein Spendenaufruf" Nr.131). "Wir brauchen für eine Produktion der Zeitung ca. 12000 Märker". In der Ausgabe 131 wird eine LeserInnenzahl von 6000 genannt. "also es ist kein zufall, daß schon ab der nr. 133 eine diskussion mehrerer gruppen über das konzept und selbstverständnis der radi anfing, und darüber hinaus immer mehr genossInnen die notwendigkeit sahen, für und in der struktur mitzudenken und verantwortung zu übernehmen"

Themen der Radikal: "als autonome zeitung kann die radi nicht zentralorgan einer einseitigen politischen analyse sein. die autonome bewegung ist eben keine partei mit statut. es gibt viele politische strömungen darin, deren zusammenhalt aus ähnlichen erfahrungen und schlußfolgerungen entsteht (`bruch mit der Bewegung bei gleichzeitiger Weiterentwicklung der gemachten Erfahrunge`) genau das Gegenteil von einem manifest, das als leitfaden zur orientierung dient. deshalb ist die diskussion untereinander so wichtig, deshalb treten widersprüche viel deutlicher auf als in einer zentral und hierarchisch organisierten k-gruppierung. viele sehen das als politische schwäche, wir sind überzeugt davon daß es eine stärke ist, weil jeder mensch widersprüche hat. wenn du sie offensiv artikulierst und angehst, gewinnst du dich selbst und eine politische perspektive, wenn du sie zerkleinerst verlierst du dich in der disziplin einer organisation. wir wollen die radi als forum unterschiedlicher linksradikaler strömungen und schwerpunkte, durch den austausch untereinander konkretisiert sich ein gemeinsames selbstverrständnis, und anschließend können wir über eine revolutionäre Strategie reden."(...) " es gibt z.b. sehr viele, die vor dem bild des schwarzen chaoten zurückschrecken, und sich selbst nie als "autonome" bezeichnen würden, obwohl sie selbständig denken und handeln. das von den medien erzeugte horrorbild und der mythos muß aufgeknackt werden, und das wird keineR tun außer uns selbst. wo es getan wird , entstehen persönliche beziehungen und es gibt politische erfolge. das ist ein schwerpunkt unserer inhaltlichen arbeit. viele artikel genügen gehobenen ansprüchen nicht, weil sie woanders ansetzen und aufbauen. unabhängig vom inhalt achten wir darauf, daß dahinter immer auch die menschen erscheinen. oder wir beurteilen einen artikel nicht allein an der aussage, sondern ob sie auch verständlich artikuliert wird und erst so wirkung für viele hat."

Gemäß dieser Ansprüche, wie sie in der Bewegung eben zu finden sind, legen Leute, die eine durchgängige politische Analyse für bedeutend halten, ihren Schwerpunkt logischerweise nicht in dieses Konzept. Als Zeitung bringt die RADIKAL aber doch Teile dieser Analysen mit in ihre Diskussion. Die Themen der RADIKAL sind dementsprechend nicht aus einer einfach nachvollziehbaren politischen Notwendigkeit heraus bearbeitet, sondern oftmals nah an aktuellen Ereignissen oder dem, wo gerade viele dran sind. Entsprechend der eher abnehmenden politischen Vielfalt der radikalen Linken, nachdem ein Teil der früheren Linken heute Kriegspartei ist , sind Möglichkeiten, innerhalb der radikalen Linken an verschiedenen Themen zu arbeiten, doch stark eingeschränkt. Daher sind Themen der RADIKAL in den letzten Jahren häufig eher nur angerissen als stringent begleitet. Ausnahmen bilden Themenkomplexe wie "Gegen das Vergessen", oder Texte von radikalen Frauenzusammenhängen z.B. "SexarbeiterInnen in der brd". Mit "angerissen" meine ich die stattfindende Dokumentation dessen, was gerade läuft mit Ansätzen eines Komentars. Obwohl Themen wie Antifa, Kurdistan,RAF,RZ... immer Teil der Zeitung waren, gibt es kaum gemeinsam diskutierte Einschätzungen dieser Themen, z.B. Stellung der radikalen Linken zur PKK, oder die Einordnung von Antifa in eine politische Perspektive.

Gesellschaftliche Funktion der Zeitschrift: Die radi läßt sich nicht so mir nichts dir nichts in die bestehende Presselandschaft einordnen, einfach weil es einen gravierenden Unterschied zwischen bürgerlicher/staatstragender Presse und revolutionärer Presse gibt. Die bürgerliche Presse betreibt Herrschaftsabsicherung, indem sie die unumstößlichen Grundlagen der kapitalistis hen Gesellschaft, an ihre jeweilige Klientel vermittelt. Das Verhältnis zu ihren LeserInnen ist rein funktional. Linksradikale Strukturen bauen auf Solidarität auf, versuchen also ohne Herrschaftsmechanismen eine Perspektive zu entwickeln. Dies geschieht unter anderem durch Kommunikation/ gleichberechtigte Diskussion in der linksradikalen Presse. Linksradikale Strukturen brauchen ihre Medien, um sich zu festigen und weiterzuentwickeln. Gesellschaftlich gesehen heißt das, eine freie Kommunikation in der kapitalistisch/ patriarchalen Wirklichkeit zu behaupten und für die Möglichkeit von Befreiung und Gleichberechtigung Wege zu finden. "Gerade die Repression gegen sie bzw. die angeblichen MitarbeiterInnen und WiederverkäuferInnen ist beispielhaft für die staatliche Unterdrückung einer freien Widerstandspresse in der BRD" (aus dem Vorwort zum Interview vom ID-Archiv). Eine wichtige Funktion ist sicherlich, alle Möglichkeiten des Widerstandes zur Diskussion zu stellen: "wir haben einen Prozess im Kopf, in dem viele Aktionsformen gleichberechtigt entwickelt werden. wesentlich ist, daß du darüber öffentlich diskutieren mußt. dies öffentliche z.b. in der radi -allein das schon - ist ein schritt gegen die vereinzelung und den mythos `militante aktion`".

3.) Das Verhältnis der Linken zur RADIKAL

Vorweg soll angemerkt werden, daß sich bei dieser Betrachtung lediglich auf die seit 1984 aus den Untergrund erscheinende Zeitung bezogen wird. Was diese Zeitung ausmacht, ist sicherlich durch das bereits Gesagte deutlich geworden.

KONTINUITÄT - ILLEGALITÄT Ein wichtiges Moment der Bewertung ist ihr kontinuierliches Erscheinen seit nunmehr 19 Jahren und vor allem, daß es dieser Struktur gelungen ist, aus der Illegalität heraus seit 11 Jahren eine Zeitung zu machen, ist ziemlich einmalig im autonomen Bereich. Eine Zeitung, die erst dadurch lebt, daß sich viele Menschen sowohl inhaltlich wie auch organisatorisch an ihrer Struktur beteiligen. Der RADIKAL wurde diese Illegalität zwar aufgezwungen, sie sagt aber dazu: "illegalität ist ein wesentlicher bestandteil autonomer politik, denn welche das system bewußt bekämpfen sind früher oder später vogelfrei..." und " also ist es menschen möglich eine illegale zeitung zu machen, und wenn wir das praktisch beweisen, können wir ganz anders behaupten, daß auch widerstand trotz repression machbar ist". Das Funktionieren der verdeckten Zeitungsstruktur stellt sicherlich einen unheimlichen Erfahrungsschatz dar, der auch für andere Projekte von Wert sein kann. Genauso wie sich diese selbstorganisierte Struktur, in der ländliche und städtische Regionen in der gesamten BRD eingebunden sind, jederzeit für die Verbreitung von Informationen oder Diskussionen nutzen läßt.

BEDEUTUNG Seit Beginn der Staatsschutzaktion wird vielen Linken überhaupt erst wieder bewußt, daß diese Zeitung noch existiert. Sicherlich hat sie für viele Menschen, gerade in den Großstädten, auch nicht die Wichtigkeit, weil hier noch Diskussionszusammenhänge existieren und die Informationsbeschaffung über den Infoladen oder persönliche Kontakte kein Problem darstellt. Allerdings gibt selbst diese Spezies zu, ab und zu mal was interessantes in der RADIKAL zu finden. Auch die Behauptung, die RADIKAL unterscheide sich nicht mehr von anderen Szenezeitungen, wobei oft der Vergleich zur interim gezogen wird, soll hier demontiert werden. In keiner anderen Zeitung finden sich Anleitungen in der Qualität wie sie in der RADIKAL veröffentlicht sind, aber auch kontinuierliche redaktionelle Beiträge wie beispielsweise die Serie "Gegen das Vergessen" fehlen in den autonomen Szeneblättern. Grundsätzlich kann eine Zeitung der autonomen Bewegung nicht besser oder bedeutender sein als die Bewegung selbst. Zustand und Diskussionen der autonomen Linken spiegeln sich in der RADIKAL wieder. Daran, daß ihr Konzept schon immer war - Zeitung lebt nur von der Beteiligung - soll hier nochmal erinnert werden: "Diskussionen werden nicht von Zeitungen gemacht, die Diskussionen, die sich bei uns ergeben haben ihre Ansätze, Kicks im Zusammenkommen mit anderen Leuten. Sie müssen aber auch von unseren Leser/ Innen kommen."

Daß die autonome Bewegung ihre Hochzeiten hinter sich hat gehört mittlerweile zu den Binsenweisheiten der Linken, das heißt aber nicht, daß mit ihrem Untergang auch die revolutionäre Idee verschwunden ist. Klar ist in diesem Zusammenhang dann auch die zurückgegangene Auflagenstärke der RADIKAL. Dazu kommt natürlich noch, daß mit dem Angriff auf die Buchladenverteilerstruktur 1986 die Zeitung mit ihren Inhalten weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden ist und so auch die Möglichkeit, radikale linke Inhalte in sie hineinzutragen, eingeschränkt wurde. Auch das Infoladensterben Ende der 80er Jahre hat die RADIKAL überlebt, was einmal mehr zeigt, daß der Bedarf an der Zeitung über die Archive hinausgeht. Gerade in einer Zeit wo viele einpacken: Zeitungen geben auf, Menschen ziehen sich ins Private zurück, bewaffnete Gruppen erklären ihre Politik für gescheitert, hat die RADIKAL nicht nur überlebt, sondern versucht Gegenpunkte zu setzten und Perspektiven aufzuzeigen. Als Beispiel seien hier genannt: Ansätze aus der Antirassismus/Internationalismusarbeit oder Interviews mit revolutionären Gruppen. Ein Großteil der Artikel wird der Zeitung immer noch von außen zugeschickt, zumindest für einen Teil der Autonomen muß diese Zeitung also immer noch ein wichtiges Forum sein. So finden sich, wenn schon kontinuierliche Diskussionen nicht geführt werden können, immer wieder Diskussionszusammenfassungen oder Gruppen nutzen die Zeitung, um beispielweise die Organisierungsdebatte anzuschieben. Allerdings konnte sie aufgrund ihres Erscheinungsrythmus nie zu kurzfristigen Mobilisierungen beitragen, langfristige Kampagnen wurden aber immer inhaltlich begleitet. Zum Schluß sollen noch ein paar Worte über die Mythoszuschreibung der RADIKAL verloren werden. Die Zeitung selbst sagt dazu: "mythen werden wohl immer bestehen im politischen kampf, denn die meisten menschen brauchen fixpunkte und orientierungen, in gewissem sinne auch idole... endscheidend ist wie du selber damit umgehst. also es gibt vorbilder, aus deren erfahrungen und entschlossenheit du lernen kannst, weil du sie gleichberechtigt als menschen siehst." Mythisch heißt soviel wie sagenhaft, erdichtet. Daß die RADIKAL aber nichts Erdichtetes ist, sondern eine Zeitung die nur dadurch lebt, und zwar heute immer noch, daß viele autonome Menschen sie mittragen und - gestalten, ist hoffentlich klargeworden. Ein Symbol für autonome Widerstandskultur, die sie auch weiterhin zur Diskussion stellt, deren geschichtliche Erfahrungen sie zu verarbeiten sucht und an deren Perspektivsuche sie sich beteiligt, stellt die Zeitung mit Sicherheit dar. Damit hat sie aber auch die Möglichkeit zu vermitteln, daß Widerstand machbar ist und kann in einer Zeit, in der Autonome den Weg ins 21ste Jahrhundert nicht finden, Orientierungspunkte bieten. Erst wenn sowohl Inhalt als auch Struktur der RADIKAL als nicht lebbar oder umsetzbar angesehen werden, verliert sie ihren Symbolwert und wird damit zum Mythos.

4.) Gesellschaftliche Situation / Situation der Linken

Um die Bedeutung der Staatsschutzangriffe auf linke Gruppen besser einschätzen zu können, ist es sicherlich hilfreich, die allgemeinen gesellschaftlichen Umstände, unter denen diese stattfinden, und insbesondere die Situation der Linken etwas näher zu beleuchten. In Anbetracht der gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre läßt sich wohl ohne Übertreibung feststellen, daß die Realität selbst die dunkelsten Prognosen längst eingeholt hat. Die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock, der Kampfeinsatz deutscher Tornados über Bosnien, die offizielle Abwicklung der faschistischen Vergangenheit zum 50. Jahrestags des Kriegsendes bilden einige der vorläufigen Höhepunkte der reaktionären Entwicklung in Deutschland, die durch die Wiedervereinigung im Zuge des Zusammenbruchs der realsozialistischen Staaten eine ganz neue Dynamik entfalten konnte. Das Ende der Blockkonfrontation und damit das Ende der Nachkriegsordnung markiert insbesondere für Deutschland einen tiefen Einschnitt...oder wie Kohl es in seiner Regierungserklärung vom 30.1.93 formulierte: »Deutschland hat mit seiner Geschichte abgeschlossen, es kann sich künftig offen zu seiner Weltmachtrolle bekennen und soll diese ausweiten.« Mit dieser Aussage steht die Regierung nicht alleine da, sondern kann sich der Unterstützung durch einen Großteil der parlamentarischen Opposition und der Bevölkerung gewiß sein. Der nationale Konsens, der sich darin offenbart, ist das Ergebnis einer längeren Offensive reaktionärer Kräfte, denen es gelungen ist, daß, was mit dem Aufbruch eines Teils der Gesellschaft Ende der 60er Jahre an fortschrittlichen Positionen in die Gesellschaft hineingetragen wurde, wieder zurückzudrängen. Dabei spielt die Wiedererlangung einer nationalen Identität, wie sie von der faschistischen Neuen Rechten ebenso wie von der Wenderegierung mit ihrer »geistig-moralischen Erneuerung« propagiert wurde, eine herausragende Rolle. Diese wird auch durch das vermeintliche Gegenkonzept der multikulturellen Gesellschaft, wie sie von Grünen und SPD vertreten wird, keineswegs angekratzt, da es ihnen gar nicht darum geht, Deutschtümelei und Rassismus anzugreifen, sondern darum, diese in profitabel verwertbare Bahnen zu lenken. Der Begriff der nationalen Identität knüpft in seinem inhaltlichen Kern direkt an das völkische Verständnis von Nation an, wonach diese über das Blut, also die gemeinsame Abstammung, definiert wird. In der völkischen Ideologie erfüllt sich das Streben nach dem schönen und guten Leben durch die innere wie äußere Einheit des Volkes und die Wiederverwurzelung im heimatlichen Boden. Die Einzelnen nehmen dabei ihren schicksalsbestimmten Platz in einer angenommenen natürlichen Hierarchie ein, die auf Führung und Gefolgschaft basiert. Ein starker, autoritärer Staat hat die Aufgabe, dem völkischen Prinzip Geltung zu verschaffen. Diese Weltanschauung, die umso bizarrer wird je mehr mensch sich mit ihr beschäftigt, stellt jedoch nicht, wie sich vielleicht vermuten ließe, das geistige Rüstzeug einer gesellschaftlich unbedeutenden Minderheit dar, sondern gehört traditionell zum ideologischen mainstream des deutschen Bürgertums. Betrachten wir beispielsweise Schäubles Vision von der immer wieder beschworenen »Schicksalsgemeinschaft« aller Deutschen, in der er von allen Einzelnen einfordert, selbst in ihren privatesten Handlungen dem großen Ganzen zu dienen, können wir feststellen, daß diese Denkweise heute wieder offen zutage tritt. Der Vollzug der inneren Einheit kommt seiner Logik nach nicht ohne Abgrenzung aus, sei es gegen Menschen anderer Religionszugehörigkeit oder gegen Menschen, die hier vor Verfolgung, Krieg und Hunger Zuflucht suchen. Da das Fremde die nationale Selbstfindung untergräbt, kann sich der deutsche Mob von Rostock oder anderswo bequem zurücklehnen und sich im Gefühl sonnen, etwas für die Gemeinschaft getan, sozusagen eine soziale Tat vollbracht zu haben. Sicherlich - viele Menschen distanzieren sich nicht nur aus taktischen Gründen von den Auswüchsen rassistischer Gewalt, sondern sind wirklich schockiert. Aber schon angesichts des neudeutschen Lagerwesens bleibt der Schrei der Empörung aus. Daß Menschen, die vor dem Elend in ihren Herkunftsländern hierher flüchten, unter strenger Bewachung und unwürdigen Lebensbedingungen in Lagern zusammengepfercht, um dann wieder abgeschoben zu werden, interessiert einfach nicht. Durch die Abschottung der Lager vor der Öffentlichkeit, wird allerdings auch ganz gezielt versucht, erst gar kein Interesse entstehen zu lassen. Daß Deutschland mit ständig steigenden Rüstungsexporten, Militärhilfen oder der wirtschaftlichen Ausplünderung anderer Länder tagtäglich weltweites Elend mitproduziert und kräftig daran verdient, interessiert ebensowenig. Die ideologischen Verschiebungen der letzten Jahre führen dazu, daß Gesellschaft und deren Veränderbarkeit in abnehmendem Maß unter Blickwinkeln wie Herrschaftsbeziehungen, Emanzipation, politische Teilhabe oder soziale Gerechtigkeit betrachtet und analysiert werden. Daß Vordringen einer organischen Gesellschaftsauffassung, die sich auf eine angeblich natürliche Ordnung beruft, hat deutliche Auswirkungen auf das gesellschaftliche Klima. Obwohl oder gerade weil immer wieder von der Gemeinschaft die Rede ist, findet innerhalb der Gesellschaft eine zunehmende Entsolidarisierung statt. Dort, wo der Kampf um den Erhalt sozialer Standards schon einer Sabotage am Standort Deutschland gleichgesetzt wird, bleibt Widerstand vereinzelt und ohne Durchsetzungskraft. Wirtschaft und Regierung haben so leichtes Spiel, Lohnkürzungen, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen oder die fortschreitende Demontage des sozialen Netzes in die Tat umzusetzen. Ebenso leicht und kaum wahrgenommen schreitet der Ausbau von Überwachungsstaat und Repressionsapparat voran, sei es durch den Einsatz neuer Technologien, personelle Aufstockungen oder Gesetzesverschärfungen, die, wie im Fall der "organisierten Kriminalität", durch die abstrusesten Bedrohungsszenarien gerechtfertigt werden. Daß dabei Lehren aus dem Faschismus, wie die verfassungsmäßige Trennung von Polizei und Geheimdiensten, über Bord geworfen werden, führt höchstens noch zu einem allgemeinen Achselzucken. Da wundert es nicht, wenn auch in anderen Politikbereichen auf altbewährte Methoden zurückgegriffen wird. Kaum ist es Deutschland gelungen, die Folgen der militärischen Niederlage abzustreifen und wieder als souveräne, imperialistische Großmacht aufzutreten, kommt es beispielsweise zur Neuauflage vergangener Volkstumspolitik. Was im Osten reibungslos vonstatten geht, stößt im Westen allerdings auch schon mal auf Widerspruch. So protestierten Angehörige der deutschen Minderheit in Belgien dagegen, daß über die Hermann-Niermann-Stiftung mit dem Wissen oder unter der Anleitung hoher Bonner Ministerialbeamter versucht wurde, die deutschsprachige Minderheit zu separatistischen Aktivitäten anzustacheln. Und auch das vielleicht größte Tabu der Nachkriegszeit ist nach langer Vorarbeit gebrochen: Der Krieg als Weiterführung der Politik mit anderen Mitteln. Das besonders perfide daran: Der Konflikt, innerhalb dessen die NATO mitsamt Bundeswehr ihren Angriffskrieg gegen den serbischen Teil Bosniens führt, wurde unter maßgeblicher Beteiligung Deutschlands geschaffen und eskaliert. Und genau hier zeigt sich wieder der nationale Konsens, der durch die Befürwortung des Kriegseinsatzes durch Teile der ehemaligen Friedensbewegung und frühere Linke noch zusätzlich gefestigt wird. Die Beschreibung der gesellschaftlichen Situation, insbesondere das letzte Beispiel, läßt den Zustand der Linken schon erahnen. Dieser wurde mit Schlagwörtern wie Perspektivlosigkeit, Zersplitterung, Anpassung, Rückzug ins Private bereits desöfteren charakterisiert - und das zurecht. Die Linke stellt heute keine gesellschaftliche Kraft dar, sie verfügt weder über eine nennenswerte Basis in der Bevölkerung, noch über einen Einfluß auf gesellschaftliche Diskussionen. Die Verschiebung des internationalen Kräfteverhältnisses zugunsten des Imperialismus und die Zuspitzung der innergesellschaftlichen Verhältnisse steht zwar durchaus im Zusammenhang mit der Krise der Linken, kann jedoch nicht alleine dafür verantwortlich gemacht werden. Eine Ausnahme bildet die orthodox-kommunistische DKP, für die das Ende der realsozialistischen Staaten, also des eigenen Vorbildes, logischerweise dramatische Folgen haben mußte und hatte. Für die anderen Teile der Linken hat der Rollback eher dazu beigetragen, die bereits vorhandene Desillusionierung über die Folgen der eigenen Politik und damit das Eingeständnis des Scheiterns zu beschleunigen. Das hat trotz vorhandener Ansätze und Versuche jedoch in der Regel nicht dazu geführt, die Mängel und Fehler der spezifischen Theorie und Praxis linker Organisationen und Bewegungen dermaßen aufzuarbeiten, daß daraus eine Neubestimmung der Politik und ein neuer Anfang resultiert hätten. Stattdessen kam es eher zur Auflösung und Spaltung bestehender Strukturen. So hat sich der linke Flügel der Grünen, der sich aus einem Teil der Alternativ- und ML-Bewegung der 70er Jahre zusammensetzte, nach seinem offensichtlichen Scheitern zu größeren Teilen ganz zurückgezogen, sofern nicht schon vorher der Schritt der Integration in den bürgerlichen Staat vollzogen wurde. Die noch bestehenden Überreste kommunistischer Gruppen wie der BWK haben sich inzwischen ganz oder, wie der KB nach dessen Spaltung, mehrheitlich der PDS angeschlossen. Überhaupt scheint die PDS als Sammelbecken für versprengte Westlinke herzuhalten. Als derzeit größte linke Organisation, die in Ostdeutschland immerhin über eine Basis verfügt, bewegt sie sich jedoch so sehr im Fahrwasser des Reformismus, daß ihr Wandel von linkssozialdemokratisch bis nur noch sozialdemokratisch bereits absehbar ist. Auch die autonome Bewegung ist vom allgemeinen Zerfallsprozeß nicht verschont geblieben. Den Autonomen ist es nicht gelungen, die gesellschaftlichen Brüche, die sich in den Kämpfen der sozialen Bewegungen andeuteten, zu vertiefen und revolutionär zuzuspitzen. Die sich mit dem Schwinden der sozialen Bewegungen anbahnende Krise konnte durch die nachfolgende Kampagnenpolitik nicht gelöst, sondern höchstens verschleppt werden, so daß sich in der Folge die autonome Szene zunehmend verkleinert und zersplittert hat. Eine ähnliche Entwicklung haben die Stadtguerillagruppen der RZ vollzogen, die sich wie die Autonomen als Teil der sozialen Bewegungen begriffen und auch ein ähnliches Konzept verfolgt haben, nämlich in etwa nach dem Schema: Aktion, Vermittlung, Verankerung, Vermassung. Genau wie die Autonomen gingen die RZ mit dem Ende der Bewegung und dem Scheitern des Konzeptes dazu über, mit eigenständigen Kampagnen zu intervenieren. Mittlerweile hat ein Teil der RZ in Hinblick auf die Hinfälligkeit des alten Konzeptes und dem Unvermögen, sich auf einer anderen Stufe neu zu organisieren, das Handtuch geworfen. Auch die zweite noch bestehende Guerillagruppe, die RAF, hat ihren Kampf inzwischen augenscheinlich eingestellt. Trotz verschiedener Kurswechsel, vom Bezug auf die Basisbewegungen, zur Einreihung in den weltweiten antiimperialistischen Kampf und zur Wiederbezugnahme auf die Situation hier, ist es ihr nie gelungen, sich als Guerilla auszuweiten. Die Antiimperialistischen Gruppen, die sich in ihren Analysen stark auf die RAF bezogen und am gescheiterten Versuch des Aufbaus einer antiimperialistischen Front in Westeuropa, bestehend aus Guerilla und militantem Widerstand, beteiligt waren, haben sich, wie viele andere, zum großen Teil ohne eine Aufarbeitung ihrer Geschichte zurückgezogen. Keine der linken Strömungen hat es geschafft, sich in einem relevanten Teil der Gesellschaft zu verankern, die Entwicklung von Gegenmacht erschöpfte sich gesamtgesellschaftlich gesehen in einem Aufblitzen und Wiederverglimmen derselben in einigen wenigen Kämpfen. In einem Land, daß sich eh schon durch die Einebnung gesellschaftlicher Gegensätze auszeichnete, ist es den Herrschenden gelungen, sich andeutende gesellschaftliche Brüche nicht nur mit dem Mittel der Repression, sondern vor allem der Integration, wiederzuzukleistern. Trotzdem gibt es noch eine Vielzahl linker Gruppen und Projekte, die sich den allgemeinen Auflösungstendenzen entgegenstellen und das ihnen mögliche unternehmen, Widerstand zu leisten.

5.) Informationen zu den Ermittlungsverfahren

WER/WELCHE ist wovon betroffen?

Welche Anschuldigungen? K.O.M.I.T.E.E.: Mitgliedschaft in / Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach |129a. Vollendete Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion (Bundeswehrkaserne in Bad Freienwalde), Versuchte Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion (Abschiebeknast in Berlin Grünau). (Orginalton BAW) Konstruiert wird der Vorwurf dadurch, daß die Bullen in der Nähe des Neubaus eines Abschiebeknastes zufällig zwei Autos hopsgenommen haben, die ihnen verdächtig vorkamen. Darin wurde eine Bombe, verschiedene Gegenstände, über die sich Beziehungen zu konkreten Personen herstellen ließen, und ein Warnzettel gefunden, der mit K.O.M.I.T.E.E. unterzeichnet war. Über diesen Warnzettel wird ein Zusammenhang zu einem Anschlag von 1994 hergestellt, zu dem sich die Gruppe K.O.M.I.T.E.E. bekannt hat.

RADIKAL: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach |129. Unterstützung einer/Werbung für eine terroristische Vereinigung nach |129a, Steuerhinterziehung. (Orginalton BAW) Der Aufhänger des Ermittlungsverfahren ist ein Treffen von Menschen in der Eifel im Jahr 1993, daß angeblich der Herstellung der Zeitschrift RADIKAL gedient haben soll. Dazu kommt der Abdruck von Bekennerschreiben militanter Gruppen und die Tatsache, daß die RADIKAL durch ihren illegalen Vertrieb Steuern hinterzieht. Betroffene Städte sind zur Zeit Hamburg, Lübeck, Neumünster, Berlin, Köln, Bremen, Rendsburg. Da an verschiedenen Punkten von der BAW versucht wird, die RADIKAL mit den anderen Ermittlungssträngen in Verbindung zu bringen, nehmen wir an, daß sie aus der Radikal mehr machen wollen, als sie eigentlich ist. Ihr Motto: Terroristen, alles eine Soße.

Antiimperialistische Zellen: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung/Unterstützung. (Orginalton BAW) Die Ermittlungen beziehen sich einerseits auf einen Anschlag auf das Rechtshaus der Hamburger Universität, bei denen durch die Ermittlungen alle gefährdet sind, die an der Uni Jura studiert haben und in irgendeinem Zusammenhang zur linken (antiimperialistischen) Szene stehen. Diese Ermittlungen sind auf Hamburg und Umland begrenzt. Der zweite AI Ermittlungsstrang bezieht sich auf einen Anschlag der AIZ auf ein Büro der FDP in der Nähe von Bremen, wodurch Personen in Bremen, Essen und Mönchengladbach betroffen sind. Als Aufhänger dieser Ermittlungen scheint den Bullen zu genügen, daß in Bremen vor ca. einem 3/4 Jahr eine Veranstaltung mit der Gruppe "kein Friede" aus Frankfurt war. Die Ermittlungen in Bremen zielen auch auf die Frauen/Lesben-Zusammenhänge der Stadt.

Rote Armee Fraktion: Mitgliedschaftliche Betätigung für eine terroristische Vereinigung. (Orginalton BAW) Hier lautet der Vorwurf gegen eine Frau, Nahtstellenperson zwischen legaler und illegaler RAF zu sein. Legale RAF ist ein mittlerweile gerichtlich bestätigtes Kunstprodukt der Bundesanwaltschaft, daß es ermöglicht, ehemalige Gefangene der RAF und Gruppen, die sich in Aktionen und Erklärungen positiv auf die RAF beziehen, unter Mitgliedschaft zu kriminalisieren.

Zu dem Umfang der gesamten Aktion vom 13.6.95 verweisen wir an dieser Stelle auf die Hamburger Broschüre "Gemeint sind wir alle", die die gesammelten Redebeiträge der Veranstaltung vom 6.9.95 in der Roten Flora/ Hamburg enthält und sehr umfassend darüber informiert. Erwähnen wollen wir nur, daß seit dem 13.6. vier Genossen im Knast sitzen, die allesamt im Zusammenhang mit der RADIKAL verhaftet worden sind. Ein weiterer Genosse aus Bremen sitzt eine fünfmonatige Beugehaft ab, weil er sich der Bundesanwaltschaft gegenüber weigert, Angaben über einen seiner Mitbewohner zu machen. Sieben Menschen haben sich ihrer Festnahme entzogen, indem sie untergetaucht sind. Nach den ersten Haftprüfungen für alle vier Gefangenen hat es mittlerweile bei dem in Lübeck einsitzenden Andreas eine weitere Haftprüfung gegeben, die negativ ausgefallen ist. Die Betonung bei den Gründen zur Aufrechterhaltung der Haft hat sich allerdings verschoben. Es wurde sehr viel stärker mit der bestehenden Fluchtgefahr und nicht mehr so sehr mit Verdunkelungsgefahr argumentiert. Herhalten für diesen Wandel mußte die Tatsache, daß ein Mensch, der untergetaucht ist, ähnlich gesicherte Lebensumstände hatte wie Andreas. Die Vier, die am 13.6 erwischt worden sind, unterliegen seitdem verschärften Haftbedingungen, was unter anderem bedeutet: Isolierung von anderen Gefangenen Einzelhofgang Kontrolle der Anwältinnenpost 23 Stunden Isolation auf der Zelle Trennscheibe bei Besuchen Unzählige Schikanen bei der Besorgung von Dingen des täglichen Bedarfs

Es ist klar, daß neben dem Erwähnten noch eine ganze Reihe von bekannten und unbekannten Ermittlungsverfahren laufen, die wir aber nicht einzeln aufführen möchten. Zentrale Verfolgungsinstrumente bei dieser Aktion sind die | 129/129a.

Das Verfahren gegen AIZ und K.O.M.I.T.E.E. sowie Teilaspekte des Verfahrens gegen die RADIKAL werden mit dem | 129a geführt. Dieser | ist im Laufe der Staatsschutzorgie entstanden, die die Sozialdemokratie gegen die im Zuge des Kampfes gegen den imperialistischen Massenmord in Vietnam entstandene bewaffneten Gruppe "Rote Armee Fraktion" losgetreten hat. Der nach der Einführung in kurzen Intervallen immer weiter verschärfte |129a hatte und hat die Aufgabe: der bewaffneten und militanten Opposition durch Ausleuchtung, Bespitzelung und Terrorisierung das politische und soziale Umfeld zu kappen. den Betroffenen die Möglichkeiten der Verteidigung im Rahmen des bürgerlichen Rechts zu entziehen. die Verurteilten durch die Isolationshaft entweder politisch, körperlich und psychisch zu brechen oder sie ersatzweise still und leise zu ermorden bzw auf ewig aus der Öffentlichkeit zu verbannen.

Verfahren, die mit den |129/129a geführt werden, sind von Beginn an in der Hand der hochgradig zentralisierten Bundesbehörde BAW, die das Verfahren nach ihrem Ermessen ausweiten, einschränken, abgeben oder entgültig an sich reißen kann. Ermittlungen werden von vorn herein nicht nach wie auch immer gearteten rechtsstaatlichen Kriterien geführt, sondern entwickeln sich einzig auf der Grundlage politischer Kriterien. So kann es schon mal vorkommen, daß das BKA als weitere Bundesbehörde Anweisungen an die Killerkomandos der GSG9 erteilt, Verfahren durch die Ermordung der Betroffenen abzuschließen. Sondergerichte, die in jedem Fall von 129/129a zuständig sind, interpretieren auf der Grundlage direkter politischer Vorgaben, die in der Regel durch die Generalbundesanwaltschaft in dem Verfahren erläutert werden, daß vor dem Prozeß feststehende Urteil aus dem heraus, was sie Recht nennen. Die Verteidigung unterliegt in |129-Verfahren besonders schwerem Druck, der die Gefahr birgt, bei unbefangener Verteidigung selber kriminalisiert zu werden. Die Isolationsfolter soll dann den Rest menschlicher Würde und politischer Identität der Verurteilten zerstören.

Wer/welche dieser Waffe des Staatsterrorismus unterworfen ist, ist darauf angewiesen, von den Staatsschutzstrategen für "unwichtig" gehalten zu werden, um nicht für immer hinter den Mauern der Hochsicherheitstrakte zu verschwinden. Juristischer Schutz ist für Menschen, die in diese Mühle geraten, nur noch sehr bedingt möglich. Um so wichtiger ist deswegen die politische Verteidigung, die im Prinzip das einzige Mittel ist, den Preis einer Verurteilung so hoch zu treiben, daß sie unterbleibt (kapitalistisches Prinzip des Preis/Leistungsverhältnis).

Gegen die Zeitschrift RADIKAL wurde zusätzlich zum |129a auch noch der |129 wieder aus der Mottenkiste der Staatsschutzgesetzgebung hervorgekramt, genau wie bei den schon länger laufenden Verfahren gegen die Antifa-M in Göttingen. Dieser | durfte in der postfaschistischen Gesetzgebung bleiben, weil er angeblich dazu geeignet war, die Reste nationalsozialistischer Organisationen zu zerschlagen. Nachdem die westlichen Siegermächte allerdings beschlossen hatten, daß diese Reste sich auf Minister- Richter, -Generals,- und Wirtschaftsposten viel besser machen als im Knast, durfte dieser Knüppel gegen die alten GegnerInnen des deutschen Obrigkeitsstaates geschwungen werden: Kommunistinnen, Pazifistinnen, Antimilitaristinnen, Gewerkschafterinnen etc. Gemeinsam war ihnen allen, daß sie die Remilitarisierung der BRD verhindern wollten. Mit über 120.000 Ermittlungsverfahren, weiteren 250.000 mittelbar Betroffenen und mit dem Ergebnis von tausenden von Verurteilungen wurde der antimilitaristischen Bewegung das Genick gebrochen und der Krieg in Deutschland wieder ein lukratives Geschäft. Später sahen sich dann Frauengruppen mit dem |129 konfrontiert, die versuchten, ihr Selbstbestimmungsrecht über die Frage von Geburt oder Nichtgeburt eines Kindes, daß ihnen derzeit wie auch heute noch durch den |218 abgesprochen wurde, durch Abtreibungsfahrten in die Niederlande durchzusetzen. Auch Hausbesetzerinnen wurde die Ehre zuteil. Die RAF wurde dann als der neue Hauptfeind des Staates erkannt und ihretwegen der neue |129a kreiert, der sich schnell zur Hauptwaffe des Staatsschutzes gegen die revolutionäre Opposition entwickelte. Der |129 rückte dadurch weit in den Hintergrund und taucht nur noch sehr sporadisch in der bundesdeutschen Repressionsgeschichte auf.

6.) Warum RAF, K.O.M.I.T.E.E., AIZ und RADIKAL zusammen?

Wir meinen das der Grund für diese Repressionswelle in der Logik der Verfolgungsbehörden liegt und in erster Linie eine politische Entscheidung ist. Um eine realistische Einschätzung zu bekommen, müssen wir verdeutlichen, für welche Politik die am 13.6. angegriffenen Projekte/ Gruppen stehen und welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sie aufweisen. Dieses kann hier nur in groben Zügen geschehen, sollte aber unserer Meinung nach ausreichen, um die eben gestellte Frage zu beantworten.

Die RADIKAL: Zur RADIKAL brauchen wir jetzt nichts mehr sagen.

DIE ROTE ARMEE FRAKTION: Sie gründete sich 1970 nach längeren Diskussionen innerhalb der 68er Bewegung, die an ihren Grenzen gestoßen war, direkt nach der Befreiung von Andreas Baader. Sie ist die älteste bewaffnet operierende Gruppe in der BRD und war seit ihrem bestehen Staatsfeind Nr. 1. Sie vertritt einen antiimperialistischen Politikansatz und ist komplett illegal organisiert, daß meint, daß sie nicht nur aus der Illegalität heraus operiert, sondern auch in dieser lebt. Seit vielen Jahren wird von Seiten der Bundesanwaltschaft versucht, das Konstrukt der legalen/illegalen RAF anzuwenden. Es wird behauptet, daß es "Nahtstellenpersonen" gibt, die Kontakt zu Mitgliedern der "Komandoebene" haben und sich für die "terroristische Vereinigung" RAF mitgliedschaftlich betätigen. Desweiteren wird bei Menschen aus dem militanten Widerstand und mittlerweile auch bei Autonomen eine Tatbeteiligung an Anschlägen der RAF konstruiert. Aktuellstes Beispiel hierfür ist der zur Zeit stattfindende Versuch, Menschen aus Frankfurt eine Beteiligung an dem Anschlag der RAF in Weiterstadt anzuhängen. Der einzige Anhaltspunkt der Ermittlungen sind Kontakte, die Menschen zum VS-Spitzel Klaus Steinmetz hatten. Im April 1992 erklärte die RAF, daß sie bewaffnete Aktionen gegen Repräsentanten von Staat und Wirtschaft einstellt und daß es für sie darum geht " neue bestimmungen für eine politik herauszufinden, die tatsächliche veränderungen für das leben der menschen heute durchsetzen kann und langfristig den herrschenden die bestimmung über die lebensrealität ganz entreisst." Eine konstruktive Diskussion/Auseinandersetzung über die Weiterentwicklung der Politik hat seitdem mit der RAF nicht statt gefunden. Die RAF hat sich nicht aufgelöst und bewies im März 1993 mit der Sprengung des Knastes in Weiterstadt, daß sie weiterhin Handlungsfähig ist.

Die Antiimperialistischen Zellen: Sie meldete sich am 22.4.92 mit dem Text "22 Jahre bewaffneter Kampf der RAF in der BRD" das erste mal zu Wort. Sie reagierte damit auf die "rücknahme der eskalation" seitens der RAF und die Verhandlungen mit dem Staat. Einen Monat später ging die AIZ in einem erneuten Schreiben genauer darauf ein und kritisierte eine Reihe von politischen Aussagen der RA Erklärung vom 10.4.92. Desweiteren erklärte sie: "Während die Herrschenden aus dem, was sie das "Ende der RAF" nennen, das Ende des militanten Widerstandes in der BRD schlußfolgern und dies, propagandistisch aufbereitet, in ihren Medien verkünden lassen, ist unsere Vorgehensweise diametral entgegengesetzt: wir wollen aus den theoretischen/praktischen Erfahrungen der Guerilla (und das heißt eben auch: aus ihren Fehlern) lernen und zur Weiterentwicklung von militanter Politik in diesem Land beitragen." und "In einer Front mit denen, die im Trikont Widerstand leisten, zusammen kämpfen!". Sie verstehen ihre Erklärungen, in denen sie immer wieder die RAF zitieren, auch als einen Beitrag in der Diskussion zur Weiterentwicklung militanter Politik in der BRD. Die AIZ hat in ihren Erklärungen den Kreis derer, die durch ihre "potentiell tödliche aktionen" bedroht sind, auf alle FunktionsträgerInnen des BRD-Imperialismus ausgedehnt.

Das K.O.M.I.T.E.E.: Diese militante Gruppe ist am 27.10.94 mit einem Bekennerschreiben, in dem sie zu ihrem Brandanschlag auf das Gebäude des Verteidigungskreiskommando 852 der Bundeswehr in Bad Freienwalde Stellung bezieht, das erste Mal an die Öffentlichkeit getreten. Dadrin nimmt sie eine klare internationalistische undgantirassistische Position ein. Sie sagt: "Deutschland ist Kriegspartei im Völkermord in Kurdistan - militärisch, ökonomisch, politisch!" und analysiert die "BRD als verlängerter Arm der Aufstandsbekämpfung in Westeuropa! " Desweiteren geht sie auf die Hetze und Kriminalisierung von KurdInnen und das PKK-Verbot ein. Am 11.4.95 wurde die vom K.O.M.I.T.E.E. geplante Sprengung des fast fertigen Abschiebeknasts in Grünau durch einen Zufallsfund der Bullen verhindert. Einer, der von den Bullen beschuldigt wird, Mitglied der Gruppe das K.O.M.I.T.E.E. zu sein, schreibt in einem "Brief aus dem Jenseits": "In der jetzigen Situation ist der Sinn militanter Initiativen neben der konkreten Durchsetzung von Forderungen vor allem ein propagandistischer - aufzeigen, daß Widerstand möglich ist. Leute motiveren, sich selbst zu engagieren." Am 6.9.95 veröffentlichte das K.O.M.I.T.E.E.eine Erklärung zur gescheiterten Grünau-Aktion. Als Konsequens ihrer gemachten Fehler beendete sie ihr Projekt. Sie schrieben dazu: "Unsere Entscheidung ist keine Absage auf militante Politikformen im Allgemeinen, sondern die persönliche Konsequenz aus dem Debakel. Wir finden es nach wie vor wichtig und richtig, auch mit militanten Mitteln, in die politischen und militärischen Pläne der Herrschenden einzugreifen und ihre Projekte, wo immer, zu benennen, anzugreifen und zu verhindern. Wir freuen uns sehr über die Initiative des K.O.L.L.E.K.T.I.V.'s, die unser Thema aufgegriffen haben und konsquent weitertragen.

Festzuhalten ist, daß alle am 13.6.95 angegriffenen Projekte/Gruppen zur Fundamentalopposition in der BRD gehören, in der Kontinuität der militanten Politikansätze der 70er und 80er Jahre stehen, für die Diskussion über die Aufarbeitung und Weiterentwicklung militanter Politik ihren Beitrag leisten.

Genau diese Gemeinsamkeiten bilden die Klammer zwischen den einzelnen Projekten und Gruppen, die am 13.6. angegriffen wurden. Die bestehenden Unterschiede werden außer acht gelassen. Es hat für die Bundesanwaltschaft keine Bedeutung, daß die einzelnen Gruppen/Projekte aus ihrer Analyse heraus unterschiedliche Schlüsse für ihre Praxis ableiten. Das Zusammenfassen dieser eigentlich voneinander unabhängigen Verfahren soll bewirken: daß die Solidarität mit dem vom Angriff betroffenen Menschen durch das Auftreten von Widersprüche zu den einzelnen Gruppen, erschwert wird. daß militante autonome Politik mit "terroristisch/kriminell" in der Öffentlichkeit gleichgesetzt wird. daß die RADIKAL in der Öffentlichkeit in einen organisatorischen Zusammenhang mit anderen militanten Gruppen gebracht wird.

In diesem Verfahren soll aus dem Projekt RADIKAL mehr als eine Zeitung gemacht werden. Dies kann durch folgendes Vorgehen der BAW geschlossen werden: Durch das Ermittlungsverfahren in Köln gegen eine Person, sowohl aufgrund des RAF-Nahtstellen Konstrukts als auch der RADIKAL. Durch das Ermittlungsverfahren in Bremen gegen zwei Personen wegen AI Mitgliedschaft und RADIKAL. Durch die Bekanntgabe der Bundesanwaltschaft, Disketten eines Beschuldigten geknackt zu haben. Dort befanden sich Texte zu Kurdistan, wodurch die BAW automatisch eine Verbindung zum K.O.M.I.T.E.E. herstellt. Durch folgende Vorgehensweisen beim zweiten Haftprüfungstermin, die laut Anwältin nur mit Prozessen gegen die RAF vergleichbar sind:

Der Transport des Gefangenen von Lübeck nach Hamburg erfolgte mit zusammengeschlossenen Hand- und Fußschellen. Der Gefangene wurde durch Begleitpersonen mit Maschinenpistolen und kugelsichere Westen bewacht, sowie durch zusätzliche Begleitfahrzeuge. Die Anwältin wurde durchsucht und mit ihrem Mandanten nicht allein gelassen .

7.) Zielgerichtet oder allgemeinpräventiv?

EINE ZIELGERICHTETE AKTION ? Die Staatsschutzaktion vom 13.6. hat zum einen eine zielgerichtete Komponente. Sie richtet sich gegen drei militant kämpfende Gruppen und das Zeitungsprojekt RADIKAL und hatte direkt die Inhaftierung von vier und das Untertauchen von mindestens sieben weiteren Genossen zurfolge. Der Angriff beruht zum Großteil auf, wenn auch zufällig bzw. illegal erlangten, kriminaltechnischen Erkenntnissen und zielt auf aktive GenossInnen der millitanten Linken, sowie deren Strukturen.

EINE ALLGEMEIN PRÄVENTIVE AKTION ? Jeder Staatsschutzangriff hat natürlich auch eine allgemeinpräventive Komponente. Sie soll die Linke ganz allgemein einschüchtern und Hilflosigkeit gegenüber dem Staat vermitteln. Er reiht sich ein in eine Kriminalisierungsserie gegen die radikale Linke, wie z. B. gegen die Antifa/M in Göttingen, gegen AntifaschistInnen in Passau, gegen die Antifa in Weimar nach einer Aktion gegen die Junge Freiheit und die Ermittlungen in Frankfurt wegen Weiterstadt. Er zielt darauf ab: einen Organisierungs- und Diskussionsprozeß über die Erfahrungen und Perspektiven militanter linksradikaler Politik zu verhindern, bzw. die Strukturen, in denen dieser stattfindet zu zerschlagen. in linksradikalen Zusammenhängen und Strukturen und in unliebsamen linken Projekten rumzuschnüffeln, so z.B. im Bremer Frauen- und Lesbenzusammenhang, im Informationsdienst Schleswig-Holstein und in einer therapeutischen Praxisgemeinschaft in Bremen. in dem Auflösungsprozeß vieler linksradikaler Gruppen nachzusetzen, ihnen zu verdeutlichen, daß sie mit der vollen Härte des Staates konfrontiert sind, und die grassierende Perspektivlosigkeit innerhalb der Linken zu verschärfen. Es geht dabei zuletzt nicht nur um die Zerschlagung schon bestehender Strukturen. In einer gesellschaftlichen Situation, in der immer mehr Widersprüche und soziale Konflikte produziert, aber politisch nicht gelöst werden, soll die Linke am Eingreifen gehindert werden. Jegliche Anknüpfungspunkte an gemachte Erfahrungen und Kontinuitäten linker revolutionärer Politik sollen gekappt werden. Dadurch wird eine Auseinandersetzung über unsere Inhalte, unsere Praxis und Organisierungsansätze unmöglich gemacht. Ein Wiedererstarken der revolutionären Linken und die daraus resultierenden Alternativen und Handlungsmöglichkeiten zum herrschenden System werden dadurch unmöglich gemacht.

8.) Neue Qualität?

Die erste Antwort lautet: Ja! Die Kriminalisierung von Zeitungsprojekten hat lange Tradition, zielte bisher aber immer auf die Kriminalisierung einzelner Texte. Bisher gab es den Versuch noch nicht, ein Zeitungsprojekt, also das Herstellen und Vertreiben einer Zeitschrift, als eigenständige kriminelle Vereinigung zu verfolgen. Wenn es der Bundesanwaltschaft gelingen sollte, diese Konstruktion durchzubekommen, entsteht für viele linke und linksradikale Zeitungen ein bisher nicht vorhandenes Bedrohungsszenario. Jede Zeitschrift, die mehr als einmal den Mut aufbringt, Texte zu veröffentlichen, die bei den Repressionsorganen als kriminell gelten, könnte unter den Paragraphen 129 fallen. Obwohl die Begründungen in diesem Verfahren noch sehr stark auf die Organisationsform der RADIKAL, namentlich auf die Konspirativität von Redaktion, Produktion und Vertrieb abzielt, bedeutet es nicht, daß ausschließlich konspirative Zeitungen davon betroffen werden können, zumal sich das Abdrängen von Zeitungen in die Illegalität sehr leicht bewerkstelligen läßt (siehe Geschichte der radikal). Insofern hat dieses Verfahren ohne Frage eine neue Qualität.

Die zweite Antwort lautet: Ja! Genauso neu ist die konzertierte Aktion, heißt die Zusammenfassung von Ermittlungen erstmal grundverschiedener Gruppen und Zusammenhänge zu einer Fahndungs und Durchsuchungsaktion. Das gab es unseres Wissens in dieser Form noch nicht. Welchen Zweck diese Maßnahme verfolgt, ist zum Teil noch sehr spekulativ. Wir werden später noch zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Gruppen kommen, um der Frage nach dem Zweck etwas näher zu kommen. Offensichtliches Ergebnis dieser Maßnahme des Staatsschutzes ist aber, daß die Solidaritätsarbeit für die Betroffenen sich schwieriger gestaltet, als es der Fall wäre, wenn sich die Repression gegen einzelne Gruppen oder Personen richtet. Um nur ein Beispiel für die Schwierigkeiten zu nennen: Wenn z.B. der Schwerpunkt der Unterstützungsarbeit auf die RADIKAL gelegt wird, was aus der derzeitigen Situation heraus (alle 5 Gefangenen sind im Zusammenhang mit dem RADIKAL-Verfahren im Knast) und wegen der Anbindung an die Szene (es ist klar, daß eine Zeitung in der Regel eine sehr viel höhere Anbindung hat, als eine aus der Dunkelheit herraus agierende militante Gruppe), besteht die Gefahr, daß die anderen Fahndungsansätze von uns vernachlässigt oder gar vergessen werden. Dazu kommt, daß die Unterschiedlichkeit der betroffenen Politikansätze Kontroversen in der Soliarbeit hervorruft, bei denen nur sehr begrenzt die Möglichkeit besteht, sie zu lösen. Ob und wie die Schergen diese Faktoren zielgerichtet benutzt haben, ist eine Frage, auf die später noch was gesagt werden wird.

Die dritte Antwort lautet: Jein! Es hat für uns schon was von neuer Qualität, wenn Genossinnen aus der Autonomen Bewegung mit der ganzen, sehr martialischen Keule des BKA, der BAW und so weiter "behandelt" werden. Die Isolationshaft, wenn auch in abgeschwächter Form, Hubschraubertransporte, alle Anträge müssen über den Bundesrichter laufen, Zensur der Verteidigerpost, daß alles waren wir bei dem Umgang mit Gefangenen aus der autonomen Bewegung eher nicht so gewohnt. Insofern gab es schon einige Unsicherheiten, wie damit umzugehen ist und war in diesem Sinne neu.

Allerdings besteht diese Praxis schon seit über 20 Jahren, wie gesagt, in der Regel gegenüber GenossInen anderer politischer Ansätze, in der Hauptsache gegenüber der Guerrilla und allen, die mit ihr in Zusammenhang gebracht und kriminalisiert werden. Sie wird seit Mitte der 80iger Jahre auch gegen Befreiungsbewegungen, insbesondere gegen die PKK, angewandt. Hier also von neuer Qualität zu reden, wäre ein Hohn gegenüber den Gefangenen, die diese Praxis schon seit 10 oder 20 Jahren ertragen müssen, genau 10 oder 20 Jahre zuviel. Was neu sein könnte, ist das langfristige Ziel, welches hinter der Aktion vom 13.6. steckt, so wie wir es interpretiert haben: Die entgültige Zerschlagung militanter revolutionärer Politikansätze, wie sie in den 70er und 80er Jahren entwickelt wurden. Die Erfahrungen von langjährigem Widerstand gegen den bundesdeutschen Imperialismus scheint ein Faktor zu sein, den die Herrschenden entgültig aus der Welt schaffen wollen. Wir unterstellen dieser Aktion vom 13.6, daß sie das Ende des immer sehr differenzierten Vorgehens des Staatsschutzes gegen die autonome Bewegung einläutet, daß von sozialpsychologischer Verständnisheuchelei, das Einrichten alternativer Nischen (zum Beispiel Wohnprojekte) über Geld und Bewährungsstrafen bis zur Anti-Terrorgesetzgebung alle Möglichkeiten offen ließ. Der Staatsschutz eröffnet sich mit der Anwendung des | 129 auf die RADIKAL (genauso mit dem Versuch, die Antifa-M aus Göttingen nach |129 zu kriminalisieren) die Möglichkeit, klassische autonome Organisationsformen und ihre Entwicklungen vollständig mit der Anti-Terror-Gestzgebung zu bekämpfen und ihr dadurch letztendlich den Garaus zu machen. Auch und gerade in diesem Sinne verstehen wir die Zusammenlegung der Ermittlungen gegen Radikal, AIZ, Komitee und RAF.zu einer Aktion. Ob wir mit dieser Analyse richtig liegen, wird allerdings erst die Zukunft zeigen.

Die vierte Antwort lautet: Nein! Die Größe dieses Schlages gegen die radikale Linke über 8o Durchsuchungen im ganzen Bundesgebiet, fünf Verhaftete und mindestens weitere Sieben, nach denen gefahndet wird, hat natürlich erst mal einen großen Schrecken ausgelöst. Genauso groß wie das Erschrecken ist die Unsicherheit, wieweit die Verfahren noch ausgedehnt werden. Die Ermittlungen gehen ja weiter und die zur Zeit Betroffenen dürften nicht die einzigen sein, die im Zuge dieser Aktion noch Verfahren an den Hacken haben werden. Aber darin eine neue Qualität von Repression zu sehen, ist falsch. da haben dieser Staat und seine Staatsschutzorgane schon ganz andere Sachen vom Stapel gelassen. Wenige Jahre nach der staatlichen Neukonstituierung des deutschen Imperialismus 1949 wurde den deutschen Kriegsverbrechern von den westlichen Siegermächten erlaubt, wieder im Konzert der großen Ausplünderer der Welt mitzumischen, indem es der BRD gestattet wurde, eine Armee aufzubauen. Als Bedingung galt nur die Unterordnung unter die imperialistischen Interessen der USA. Im Zuge der Remilitarisierung wurde gegen den in der Bevölkerung stark verankerten Antimilitarismus, insbesondere aber gegen die KPD, eine bis heute beispiellose Kriminalisierungswelle losgetreten, unter anderem auch mit dem Instrument des |129, kriminelle Vereinigung. Neben dem bei einer antimilitaristischen Demonstration erschossenen Phillip Müller waren tausende von Menschen mit jahrelangen Knaststrafen belegt, unter anderem, weil sie es gewagt hatten, Kontakte zu Menschen und Organisationen in der DDR aufrecht zu halten oder zu suchen. Das galt derzeit als eine Art von Hochverrat. Insgesamt gab es über 125000 Ermittlungsverfahren und nochmal so viele von staatlichen Terrormaßnahmen Betroffene. Genauso entstand im sogenannten deutschen Herbst 1977 ein von oben geschürtes gesellschaftliches Klima, daß im wahrsten Sinne des Wortes mörderisch war. Der Staatsschutz nutzte die Anschläge auf das Leben von Generalbundesanwalt Buback, auf den Arbeitgeberpräsidenten Schleyer und auf Ponto dazu, zum staatlich legitimierten Mord an den Gefangenen der RAF aufzurufen und eine Repressionswelle gegen die gesamte Linke loszutreten. Das Ergebnis waren die Toten in Stammheim und eine bürgerliche Linke, die sich kaum noch traute, das Maul aufzumachen. Im Zuge der koordinierten internationalen Zusammenarbeit betreibt die BRD im Auftrag der Türkei die Jagd auf die PKK hier im Land. Nach langjähriger juristischer und politischer Vorbereitung durch 129a Prozesse und Medienkampagnen wurde letztes Jahr die PKK in der BRD verboten. Als Folge davon wurden etliche kurdische Vereine geschlossen und verboten, so daß ein großer Teil der Öffentlichkeitsarbeit zu den Verbrechen des türkischen Regimes unterbunden wurde. Öffentliche Aktionen von Kurden in der BRD sind praktisch nicht mehr denkbar, ohne daß Bullen und Presse über sie herfallen und versuchen, ihr legitimes Anliegen in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Allein schon diese drei kurzen Beispiele verbieten es, in Bezug auf Umfang und Qualität des Angriffs auf die radikale Linke vom 13.6. von einer neuen Qualität zu reden. Auch die Situation, wie sie nach den Schüssen an der Startbahn-West in Frankfurt 1987 entstanden ist, wo nach allen Regeln der Kunst des Staatsterrorismus eine ganze Bewegung aufgemischt worden ist, führen wir noch als kurzes Beispiel an, um zu widerlegen, daß es sich im Sinne der Intensität des Verfahrens beim 13.6. um eine neue Qualität handelt.

Eine Prognose, was in den nächsten Monaten und Jahren noch auf die Linke in diesem Land zukommen mag, läßt sich daraus allerdings noch nicht ableiten. Die Zeichen stehen aber durchaus auf Sturm!.

9.) Solidaritätsarbeit

Wir begreifen den Angriff vom 13.6 als einen Angriff, der in seinen Konsequenzen und Zielen die gesamte Linke und revolutionäre Linke zu interessieren hat und ein gemeinsames Verhalten erfordert. Die Soligruppen bestehen zum einen aus Beschuldigten aller Verfahren und Leuten, die in unterschiedlichsten Initiativen und Gruppen mitarbeiten oder mitgearbeitet haben. Grob gesagt aus feministischen, antifaschistischen, autonomen und antiimperialistischen Spektren. In den ersten Wochen der Soliarbeit ist uns schnell klar geworden, daß Solidarität in dieser Situation nicht von einer Übereinstimmung mit den verfolgten Strukturen abhängig gemacht werden kann. Vor allem in der Bewertung der AIZ gab und gibt es unterschiedliche Positionen. Die Forderung, eine grundlegende Kritik an der AIZ zur notwendigen Bedingung unserer Solidarität zu machen, lehnen wir ab. Solche Debatten müssen Bestandteil der allgemeinen politischen Diskussion sein. In der jetzigen Situation ist unser gemeinsamer Ausgangspunkt, daß die Solidarität mit allen verfolgten Genossen und Genossinnen nicht teilbar ist. Wir begrüßen auf alle Fälle die genaue und kritische Debatte und Auseinandersetzung. Aber die Solidaritätsarbeit kann und wird dafür nicht der geeignete Ort sein, denn die Solidaritätsgruppen sehen es als eine Aufgabe an, alle verfolgten und eingeknasteten GenossInnen zu unterstützen und einen Schutz gegen den staatlichen Angriff herzustellen. Aufgrund der Tatsache, daß im RADIKAL-Verfahren fünf Leute im Knast sitzen und der Angriff hier bisher die schwersten materiellen Auswirkungen hat, besitzt die Arbeit zu diesem Verfahren für uns eine Priorität. Aber wir sehen alle Verfahren als gleichermaßen große Bedrohung an, zumal hinter dem Zusammenpacken durch den Staatsschutz ja Sinn und Zweck stehen. Wir wollen sie nicht relativieren oder in den Hintergrund stellen. Eine klar bestimmte, politische Soliarbeit ist unter den skizzierten Bedingungen schwierig zu leisten. Auch wenn in den nächsten Monaten mit einer Verfahrenseröffnung zu rechnen ist und eine bundesweit einheitliche Kampagne absolut notwendig wäre, um der Qualität des Angriffs gerecht zu werden, können wir so etwas noch nicht anbieten. Das hat verschiedene Gründe, die sehr viel mit unserer Einschätzung des aktuellen politischen Kräfteverhältnisses zu tun haben. Eine Schwierigkeit besteht auch darin, daß die eigentlich nötige Basis politischer Solidarität - nämlich die Ausrichtung an den angegriffenen politischen Inhalten - nicht so einfach ist. Das liegt einerseits an der Unterschiedlichkeit der angegriffenen Gruppen, aber auch an der Zersplitterung und den immer punktueller werdenden theoretischen und praktischen Bezügen der linksradikalen Restgrüppchen. Auch bei der RADIKAL kann unser Ansatzpunkt für die Solidaritätsarbeit nicht ein inhaltlich klar zu bestimmendes politisches Projekt sein. Die politische Bedeutung einer Verteidigung der RADIKAL wollen wir nicht hauptsächlich an ihrem realen Wirkungsgrad, unserer Übereinstimmung mit den in ihr geführten Debatten oder den dort dokumentierten Aktionen festmachen. Es geht vielmehr darum, ein linkes Projekt zu verteidigen, daß in seiner Organisationsform, seinen inhaltlichen Diskussionen und der Haltung, militante Aktionen grundsätzlich zu befürworten, kein Frieden mit diesem System geschlossen hat und versucht, den Kampf dagegen in Form einer unzensierten Widerstandspresse mitzutragen. Wenn die BAW mit ihrem jetzigen Angriff ohne nennenswerten Widerstand zu ernten, durchkommt, bedeutet das, daß alle, die an einer linksradikalen Perspektive festhalten und dieses auch in irgendeiner Form in die Tat umsetzen, in ihrem politischen Aktionsradius noch weiter eingeschränkt werden. Wie schon gesagt wurde, gehen wir davon aus, daß die jetzige gesellschaftliche Situation von einem Kräfteverhältnis bestimmt ist, wo es dem Staat möglich ist, auf allen Ebenen linke Gegenkonzepte nicht nur zurückzudrängen, sondern für lange Zeit in die Totaldefensive zu treiben. In einer solchen Situation hat ein erfolgreicher Frontalangriff des Staates auf ein wie auch immer beschaffenes Teilprojekt der radikalen Linken schwerwiegende Konsequenzen für alle anderen. In diesem Sinne sind wir alle gemeint und es wäre fatal, die Bedeutung der BAW-Aktion zu unterschätzen. Für die Ausrichtung der Solidaritätsarbeit haben wir die Einschätzung, daß wir uns primär auf die eigenen Kräfte verlassen müssen. Weite Teile der sogenannten linksliberalen Öffentlichkeit haben sich auf einen nationalstaatstragenden Kurs einschwören lassen, so daß sie angesichts des Charakters der angegriffenen Gruppen den Staatsangriff letztendlich für legitim halten werden. Auf der Ebene der bürgerlöichen Grundrechte kann vieleicht eine kritische Grundhaltung gegenüber gewissen formen der Staatsschutzaktion erwartet werden. Aber auch da machen wir uns keine überzogenen Hoffnungen, was die Kraft und Wirkung einer Solidarität aus dieser Richtung angeht. Trotz dieser Einschätzung werden wir nichts unversucht lassen, die linksliberale Öffentlichkeit nicht nur zu informieren, sondern auch mit verschiedenen, noch zu entwickelnden Aktivitäten zu mobilisieren. Notwendig ist es, daß in der Einschätzung und Arbeit der noch bestehenden Gruppen und Zusammenhänge dieser Angriff nicht unter ferner liefen abgebucht wird und die Gefangenen damit faktisch dem Staatsschutz überlassen werden. Das gilt natürlich nicht nur für diese Verfahren. Wir haben zur Zeit noch keine genaue Bestimmung für eine Kampagne, die es spätestens bei der Anklageerhebung geben müßte. Auch die bundesweite Zusammenarbeit steckt noch in den Kinderschuhen. Außer den Knastkundgebungen gibt es bisher keine größeren, von uns vorbereiteten Aktions-und Handlungsmöglichkeiten. Begrüßenswert sind auf jeden Fall eine große Präsenz bei den Knastkundgebungen, alle Art von Kohlebeschaffungsmaßnahmen und eigene Beiträge zur Informationsverbreitung. Alle Kontakte zu Blättern und Blättchen, radiosendern, Gruppen und Projekten, die ihr nutzen könnt oder für uns nutzbar machen könnt, sind erwünscht. Es ist aber auch erwünscht, daß ihr mit eigenen Diskussionsbeiträgen und praktischen Vorschlägen in die Auseinandersetzung, wie wir die Repression stoppen können, eingreift. Es darf auch nicht vergessen werden, daß der Angriff nicht vorbei ist. Weitere Vorladungen sind zu erwarten, bei der Ausschnüffelei wurde viel gesammelt und gehortet, was auch langfristig noch verwendet werden kann. Auch das muß in allen Köpfen präsent sein.