Vorwort
Im Januar 1972 schlossen wir uns zur Bewegung 2.Juni zusammen.
Das war ein Datum, welches alle noch miteinander verband, Studenten wie
Jungproleten. Alle wußten was der 2. Juni bedeutete. Eine andere Überlegung
war dabei für uns genauso wichtig Dieses Datum wird immer darauf hinweisen,
daß sie zuerst geschossen haben! Das ist bis zum heutigen Tag so. Jedesmal
wenn jemand etwas zur Bewegung 2. Juni sagt, wird auch erwähnt, daß am 2.
Juni '67 Benno Ohnesorg von den Bullen erschossen wurde. Soweit zum Namen.
(Ralf Reinders/Ronald Fritzsch)
Am 27.2.1975 entführte ein Kommando der Bewegung 2.Juni mitten im Berliner Wahlkampf den Spitzen-Kandidaten der CDU, Peter Lorenz. Im Austausch mit Lorenz gelingt es ihnen, fünf Inhaftierte der militanten Linken, sowie zwei nach dem Tod von Holger Meins inhaftierte Demonstranten, zu befreien. Es war die spektakulärste Tat der Bewegung 2. Juni und zugleich auch schon der letzte geglückte Gefangenenaustausch der Guerilla.
Wenige Monate nach der Lorenz-Entführung nimmt die Polizei Ralf
Reinders und Ronald Fritzsch in Berlin fest. Ralf Reinders lebte zu dieser
Zeit schon fast 5 Jahre im Untergrund, Ronald Fritzsch agierte bis kurz vor
seiner Verhaftung legal, also als bis dahin unerkanntes Mitglied der
Bewegung 2. Juni. Wegen ihrer Beteiligung an der Entführung des
CDU-Spitzenpolitikers wurden Ralf Reinders und Ronald Fritzsch zu 13 Jahren
Haft verurteilt. Ronald Fritzsch wird schließlich nach fast 14 1/2 Jahren
1989, Ralf Reinders nach 15 Jahren 1990 aus der JVA Berlin-Moabit
entlassen.
Die beiden reden relativ frei von ihrer Politisierung und den illegalen
Aktionen. Nach all den Jahren im Knast tun sie das mit einer erstaunlichen
Leichtigkeit. Und sie stellen dabei vieles richtig, was prominente 2.
Juni-Aussteiger wie Bommi Baumann in ihrer Bekenntnisliteratur seit den
70er Jahren so ausgestreut haben.
Die Bewegung 2. Juni ist in Westberlin aus einer sich in der zweiten Hälfte
der 60er Jahre politisierenden Subkultur heraus entstanden. Ralf Reinders
und Ronald Fritzsch erzählen in diesem Buch von der Erstürmung der
Waldbühne beim Rolling Stones-Konzert, den Haschrebellen, der
revolutionären Aufbruchstimmung, der Zusammenarbeit und den
Auseinandersetzungen mit der etwa zeitgleich entehenden Roten Armee
Fraktion (RAF); der Skepsis, mit der die RAF den lumpenproletarischen
Hippies vom 2. Juni begegnete, und warum sie dann bald auch als die
populistische Fraktion der Guerilla denunziert wurden, eine Beschimpfung,
die sie auch heute noch schmunzelnd als Auszeichnung begreifen.
Der Populismus der Bewegung 2. Juni zielte immer darauf für Freund und
Feind einigermaßen berechenbar zu bleiben und unnötige Opfer auf beiden
Seiten zu vermeiden. Unter allen Umständen sollte vermieden werden, daß
sich die sogenannte einfache Bevölkerung vom 2. Juni bedroht fühlt, oder
sich durch Guerilla-Aktionen die Reihen des Gegners fester schließen. So
wurde die Bewegung 2. Juni zum Schrecken der Berliner Banken, ohne sich
auch nur einen Schußwechsel mit der Polizei liefern zu müssen. Bei den
Banküberfällen verteilten die Kommandos dann auch mal Süßigkeiten an die
verdatterten Kunden, um symbolisch zu demonstrieren, daß sich die Aktion
nicht gegen sie richtete.
Nun sollte aber nicht vergessen werden, daß bei aller Absicht, auch
Guerilla-Aktionen der Bewegung 2. Juni mißlangen. So starb der Bootsbauer
Erwin Belitz, als er eine Bombe des 2. Juni fand und diese ausgerechnet in
einen Schraubstock spannte, um sie dann mit Hammer und Meißel zu
bearbeiten. Der Berliner Kammergerichtspräsident Günther von Drenkmann
wurde bei einem mißglückten Entführungsversuch erschossen. Bei den
Terroristen-Jagden der 70er Jahre wurden einige Mitglieder der Bewegung
2. Juni wie Georg von Rauch, Thomas Weißbecker oder Werner Sauber von
Polizisten erschossen.
Ungeachtet der Polarisierung im Laufe der Auseinandersetzungen in den 70er
Jahren, versuchte die Bewegung 2.Juni sich und ihren antiautoritären Zielen
treu zu bleiben. So verstand man sich weiterhin eher als bewaffneter Arm
der Linken, denn als revolutionäre Avantgarde. Es ging darum, eine in
der legalen militanten Linken verankerte Gegenmacht aufzubauen, die
vermeintliche Allmacht des Staates an beispielhaften Punkten zu brechen.
Und nicht dem Glauben aufzusitzen, wie es Ralf Reinders und Ronald Fritzsch
an einer Stelle in diesem Band formulieren, mit fünf Leuten Revolution
machen zu können.
Es versteht sich von selbst, daß Ansichten, wie sie Ralf Reinders und
Ronald Fritzsch in den hier versammelten Beiträgen äußern, nicht
stellvertretend für sämtliche der ehemals Beteiligten stehen. Die
unterschiedlichen Positionen werden in den Gesprächen deutlich. Ralf
Reinders und Ronald Fritzsch arbeiten zur Zeit zusammen mit ein paar
Freundinnen und Freunden in Berlin an einer umfangreicheren Geschichte zur
Bewegung 2. Juni, sofern sie nicht gerade gezwungen sind, Lohnarbeit zu
verrichten.
Edition ID-Archiv