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Sun Jul 30 18:24:52 1995
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*D O K U M E N T A T I O N :*
Waehrend der heissen Phase des Bundestagswahlkampfes haben wir am 24.
September des letzten Jahres der Kreisgeschaeftsstelle der CDU in Siegburg
eingeheizt. Dort hatten u.a. der aussenpolitische Sprecher der Unions-
fraktion Kurt Lamers und der CDU-Generalsekretaer Peter Hintze ihre
Bueros. Diese Aktion wurde falscherweise in den Medien vielfach der
Antiimperialistischen Zelle (AIZ) zugeordnet.
Von daher erscheint es uns notwendig, die Politik der AIZ zu untersuchen
und anhand von Kritik eine Diskussion um die Weiterentwicklung militanter
Intervention einzufordern. Dieses Papier ist nicht allein fuer die AIZ
bestimmt. Wir hoffen, wir koennen damit eine Diskussion um die Zielbe-
stimmung militanter Aktionen im Kampf der radikalen Linken um Sozialismus
entfachen.
Nachdem wir anfangs den Aufbruch der AIZ richtig fanden und unseren Kampf
sowohl inhaltlich als auch zeitlich mit ihr in einen Zusammenhang gestellt
haben, wird nun doch deutlich, dass viele grundsaetzliche Fragen von der
AIZ anders beantwortet werden als von uns. Die AIZ konnte die Zaesur der
RAF im April 92 nicht nachvollziehen und sieht die eigene Politik als
Fortsetzung der alten Linie. Wir sehen hingegen in dieser Zaesur eine
Konsequenz aus der Politik der letzten 20 Jahre. Sie ist der Versuch,
Richtiges zu bewahren und Falsches zu verwerfen: eine Methode, die immer
noch grundlegender Bestandteil revolutionaerer Entwicklung ist. Die AIZ
nimmt diese Sackgasse, in der die RAF sich befand, nicht wahr und verhaelt
sich, als haette es die Notwendigkeit eines Neuanfangs nicht gegeben. Ihre
Aktionen kommen dennoch nicht ueber einen billigen Abklatsch von 20 Jahren
bewaffneter Erfahrung hinaus. Die RAF laesst vieles offen, was die Weiter-
entwicklung ihrer Politik angeht. Sie kann die Neubestimmung nicht inhalt-
lich fuellen, versucht auch nicht, diese Schwaeche, die auch die Schwaeche
der gesamten Linken ist, durch einfache Fortsetzung des offensichtlich
Gescheiterten zu vertuschen.
*- Revolutionaere Verantwortung -*
"Es ist von uns bewusst gesetzt, dass zur Erzeugung von politischem Druck
an den Orten, wo wir Aktionen durchfuehren, raeumlich und zeitlich
begrenzt eine potentiell toedliche Bedrohung entsteht." (AIZ, 13.3.95)
Revolutionaere Verantwortung heisst, die Gefaehrdung Beteiligter gegen den
politischen Nutzen abzuwaegen. Beteiligt sind in diesem Fall alle, die
verantwortliche Positionen bei dem angegriffenen Ziel haben. Die Gefaehr-
dung Unbeteiligter muss in jedem Fall ausgeschlossen werden koennen. Eine
"der Zweck heiligt die Mittel"-Skrupellosigkeit lehnen wir ab. Gezielte
Angriffe auf Personen, d.h. nicht nur die potentielle Bedrohung durch eine
Aktion, kommen fuer uns bei den derzeitigen Bedingungen in der BRD nicht
in Frage.
Wer in der BRD militant in gesellschaftliche Prozesse eingreift, ueber-
nimmt damit auch Mitverantwortung fuer politische Entwicklungen. Der Tod,
auch von Beteiligten, wuerde jegliche Versuche, militante Politik ueber
einen kleinen Kreis hinaus zu vermitteln, zerstoeren. Zumindest die Aktion
in Bremen (gegen die FDP) und in Wolfsburg (gegen den ehemaligen Staats-
sekretaer und amtierenden Vorsitzenden der deutsch-marokkanischen Freund-
schaftsgesellschaft, Volkmar Koehler) stellten bereits eine potentiell
toedliche Gefaehrdung, auch von Unbeteiligten, dar. Waere bei einer der
Aktionen jemand umgekommen, haette sowohl der unmittelbare Preis (ein
Leben) als auch der politische Preis in keinem Verhaeltnis zum politischen
Nutzen (Verankerung) gestanden.
Revolutionaere Verantwortung heisst auch, die Gefaehrdung Unbeteiligter
immer wieder sehr genau zu pruefen und die technische Ausfuehrung einer
Aktion an dieser Pruefung auszurichten. Das hat die AIZ nicht getan bzw.
ist zu einem Ergebnis gekommen, das wir nicht teilen koennen.
*- Der Angriff auf das Haus von Volkmar Koehler -*
An dem Angriff auf das Haus von Koehler haben wir aus verschiedenen
Gruenden Kritik:
- Unverhaeltnismaessigkeit der Mittel
Ein Sprengsatz kann ein wirkungsvolles Mittel sein, Logistik von einzelnen
oder einer Gesellschaft, Behoerde etc. nachhaltig zu schaedigen. An der
Fassade eines Hauses verkommt diese Waffe zu einen Symbol mit potentiell
toedlicher Bedrohung. Das Risiko, auch Unbeteiligte mit einer symbolischen
Aktion zu toeten, muss eine militante Gruppe ausschliessen koennen.
- Verankerung des Angriffs
Der Angriff ist weder in der radikalen Linken noch in der Bevoelkerung ver-
mittelbar. Auch wird er an der Politik der deutsch-marokkanischen Freund-
schaftsgesellschaft nichts aendern, er wird nicht einmal deren Machenschaf-
ten an das Licht der Oeffentlichkeit bringen. Zumindest nicht ueber das
Schreiben der AIZ hinaus. Eine Staerkung der fortschrittlichen Kraefte in
Marokko kann sich aus diesem Angriff also nicht entwickeln.
- Die Erklaerung und die militante Werbung fuer sie
Die Erklaerung mag eine gute Recherche zur Situation in Marokko sein. Sie
durchleuchtet die Freundschaftsgesellschaft und ihre Aufgaben im Krieg der
marokkanischen Regierung gegen die linke Opposition. Perspektiven fuer
eine Entwicklung sowohl in Marokko als auch hier werden jedoch nicht auf-
gezeigt. Der Sprengsatz detonierte in einem luftleeren Raum. Die einzige
Wirkung, abgesehen von Fassadenschaeden, war es, eine breite LeserInnen-
schaft fuer die Erklaerung zu finden. Durch die Ankuendigung, eine
potentiell toedliche Bedrohung darzustellen, wurde dieser PR-Effekt noch
verstaerkt.
*-Solidaritaet -*
In ihrem Schreiben zu Koehler nimmt die AIZ positiv Bezug auf Ghaddafi und
auf islamische Bewegungen. Waehrend bei letzteren die politische Ausrich-
tung genau zu untersuchen ist, ist uns eine Solidarisierung mit dem
lybischen Staat unmoeglich. Eine objektiv antiimperialistische Position,
wie Lybien sie hat, reicht nicht, wenn diese Position nicht mit elementa-
ren Grundsaetzen emanzipatorischer Politik verbunden ist. Wenn Ghaddafi im
"Gruenen Buch" z.B. schreibt, dass die Natur der Frau eine natuerliche
Rolle zugewiesen hat und "die Mutter, die auf Mutterschaft verzichtet..
..ihrer natuerlichen Rolle im Leben (widerspricht)", fehlt die Basis fuer
Solidaritaet.
Imperialismus bedeutet die wirtschaftliche und kulturelle Ausbeutung
weiter Teile der Welt durch wenige hochindustrialisierte Staaten. Dies ist
eine Form kapitalistischer Verwertung ganzer Kontinente. Ein antiimperia-
listischer Kampf, der nur die Befreiung aus imperialistischen Zwaengen zum
Ziel hat, ist dadurch aber nicht automatisch progressiv, wenn nicht die
Befreiung von Ausbeutung und Unterdrueckung des Menschen durch den
Menschen zum Ziel hat. Dazu gehoert auch die Befreiung von patriarchalen
Strukturen. Wir muessen antiimperialistische Bewegungen und Organisationen
an ihren emanzipatorischen Inhalten messen, um unseren Kampf auch mit
ihrem Kampf um weltweite Befreiung zu vereinen. Nur so kann internationale
Solidaritaet praktisch werden.
*- Die Aufgabe militanter Gruppen in der BRD -*
Die derzeitige Situation in der Linken ist durch Aufsplitterung und Zer-
fall gekennzeichnet. Die meisten Politikansaetze sind nicht ueber subjek-
tive Befreiungselemente hinausgekommen. Sie blendeten die gesellschaft-
liche Realitaet hier in der BRD aus ihrer eigenen politischen Entwicklung
heraus. Militant kaempfende Gruppen suchen nach neuen Wegen, diese gesell-
schaftliche Isolation zu durchbrechen.
Eine der zentralen Fragen revolutionaerer Politik ist die Frage nach
Verankerung. Dabei geht es um die Entwicklung sozialistischer Perspek-
tiven. Die fuer breite Teile der Bevoelkerung eine Alternative zum Kapita-
lismus darstellen koennen. Der Riss zwischen "denen da oben, die eh
machen, was sie wollen" und jenen, die sagen: "Was kann ich schon dagegen
machen?", muss genutzt werden, um den Wunsch nach Veraenderung positiv zu
fuellen. Der objektiven Schwaeche der radikalen Linken kann nur mit inhalt-
licher Staerke und einer konsequenten Politik in die Gesellschaft hinein
und raus aus dem Szene-Ghetto begegnet werden.
Die Basis fuer revolutionaere Politik koennen die Gruppen, die sich mit
Auswirkungen der jetztigen Gesellschaftsordnung beschaeftigen, bilden
(Stadtteilgruppen, Obdach- und Arbeitsloseninis, Antirassismusgruppen
etc.). Unter der Voraussetzung, dass verschiedene Kampfformen sich auf-
einander beziehen, haben militante und bewaffnete Initiativen die Moeg-
lichkeit, diesen Bewegungen den Ruecken zu staerken und Forderungen Druck
zu verleihen. Sie stellen die Allmacht des Kapitals in Frage und koennen
neben einer objektiven materiellen Schwaechung der Logistik dieses Staates
eine Staerkung von radikalen Bewegungen bewirken.
Die AIZ erfuellt keine Kriterien, an denen wir revolutionaere Gruppen
messen. Daher koennen wir sie nur auffordern, ihr Projekt aufzuloesen.
Gruppe Barbara Kistler
(Schweizer Internationalistin, von der tuerkischen Armee in Kurdistan
umgebracht)