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Wed Nov 20 23:37:53 1996
 

Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld

Nr. 11

Ende März 1996

 


Prozeßbericht Ende Februar / März 1996

Dem Termin am 4.3. waren Pressemeldungen vorangegangen, daß ein suspendierter BKA-Beamter Strafanzeige wegen Urkundenunterdrückung gestellt habe. Von ihm und nicht suspendierten, aber versetzten Beamten angefertigte Analysen aus der Zeit vor und nach Bad Kleinen, die Steinmetz` Rolle im RAF-Gefüge herausstrichen und damit dessen Weiterstadt-Beteiligung nahelegten, und die Birgit - in bislang nicht berichteter Weise -entlasteten, seien aus den BKA-Akten entfernt worden, sie selbst seien unter Druck gesetzt worden, die entsprechenden Analysen und Ergebnisse zurückzunehmen.

Die Verhandlung begann mit einer Erklärung, die sich mit diesen Prozeßberichten auseinandersetzte. Einmal stellte sie deutlich heraus, wie sehr der Vorgang erneut belege, daß Aktenmaterial nach Gutdünken der BAW den Prozeßakten beigefügt oder vorenthalten werde.

Zweitens bekräftigte sie ihre Erklärungen und Äußerungen zu Steinmetz. Dieser sei wie andere Nicht-Mitglieder in RAF-Aktionen nicht eingebunden gewesen.

Sie erinnerte an verschiedene von Sicherheitsdiensten produzierten falschen Beweismitteln, die in RAF-Verfahren eine Rolle spielten. Im Keller des V-Manns Nonne, der vom hessischen VS geführt worden war und bei dem sich das Herrhausen-Kommando einquartiert haben sollte,. seien Sprengstoffkomponenten gefunden worden. (Die V-Mann-Operation endete für die Sicherheitsdienste mit einem Fiasko: Nonne, in psychiatrischer Behandlung, bekundete, wie er und seine Aussage vom VS präpariert worden waren.)

Birgit verwies als zweites Beispiel auf ein angebliches Kassiber, das ihr Bundesanwalt Flieger im Knast vorgehalten habe und auf dem im Klartext der Termin eines Treffens aus ihrer illegalen Zeit aufgeführt war.. Klartexttermine, auf Kassibern seien für eine illegale Gruppe wie die RAF lebensgefährlich. Das Beweismittel war eine Fälschung.

Entsprechend müsse eine Fälscherwerkstatt im BKA die sog. Belastungsindizien zu Steinmetz produziert haben, die die kaltgestellten BKA-Leute - ein Analyse-Trupp - zu ihrer Bewertung von Steinmetz geführt habe.

Schließlich deutete sie den erneuten Steinmetz-Rummel und die Steinmett-Weiterstadt-Story mit ihrer "Focus"sierung in der Repression gegen das Frankfurter Wohnprojekt Fritzlarer Straße als Versuch, erstens im Frankfurter Prozeß mit der Weiterstadt-Story von der Vertuschung der Hinrichtung von Wolfgang Grams in Bad Kleinen abzulenken, zweitens Kriminalisierung gegen linke Restbestände zu organisieren und drittens aktuell den Landtagswahlkampf in Rheinland-Pfalz -wo Steinmetz geführt wurde - zu beeinflussen. (Wie schon dem damaligen Ministerpräsidenten Scharping als Kanzlerkandidat der Steinmetz-Weiterstadt-Schatten angehängt werden sollte.)

Die Anwälte griffen die BAW wegen der erneut sichtbar gewordenen Aktenmanipulation scharf an und beantragten u.a. die Beiziehung der angesprochenen Berichte und die Ladung des Anzeigenerstatters aus dem BKA-Trupp.

Bundesanwalt Hemberger kam nicht umhin, zu den Anträgen und zu den Presseberichten Stellung zu nehmen. Das BKA habe auf seine Nachfrage hin die Äußerungen des Suspendierten für substanzlos erklärt, wolle jedoch weitere Nachprüfungen vornehmen, "in sich gehen", wie Hemberger sagte. Hemberger sprach sich gegen den Ladungsantrag aus.

Während er zunächst äußerte, die angesprochenen Berichte seien ihm nicht bekannt, zog er sich später darauf zurück, er habe "Entlastendes" nicht vorenthalten. Als Anwältin Seifert die BAW der Lüge bezichtigte, kündigte Vorsitzender Schieferstein an, die Rechtsanwaltskammer über die Entgleisung zu unterrichten.

Birgits Versuch, zu den Maßnahmen gegen ihre Mitgefangene Monika Haas, für die derselbe Senat verantwortlich ist, eine Erklärung abzugeben, wurde durch gewaltsame Entfernung aus dem Gerichtssaal unterbrochen. (Die unstreitig verhandlungsunfähige Monika Haas, die an einem schweren Bandscheibenvorfall leidet, wird derzeit von Birgit gepflegt und steht unter der Drohung, gewaltsam ins Haftkrankenhaus Kassel überführt zu werden. In diesem Fall werden Birgit und Monika Haas in den Hungerstreik treten.)

Zwischenrufende Zuschauer ("Das könnt Ihr Schweine" - "Nazis" ...) waren sofort von Bullen umringt. Nach einer Unterbrechung wurde ein Zuschauer, dessen Personalien die Bullen festgestellt hatten, vom Gericht aus dem Saal verwiesen. Die Verhängung einer Ordnungsstrafe behielt sich der Senat vor.

 

Danach wurde die Zeugin Beyer vernommen. Sie hatte zusammen mit ihrem Mann 1985 ihren PKW an eine weibliche Person verkauft, die sie so beschreibt:

dunkles Haar, kräftig, untersetzt, Brillenträgerin, lückenhafte Zähne. Auf letzteres hätte sie besonders geachtet, weil sie selbst Zahntechnikerin sei. Nach ihren Angaben wurde sie damals viermal verhört und mit Lichtbildmappen und Fahndungsplakaten von gesuchten RAF-Leuten (diese hingen im Aufzug eines Polizeigebäudes und sie und ihr Mann deuteten sie in Anwesenheit eines begleitenden Polizisten) konfrontiert. Auf einem Fahnungsplakat will sie eine gewisse Ähnlichkeit mit der Frau festgestellt haben, die das Auto kaufte. Es war nicht Birgit Hogefeld. Nach den Ereignissen in Bad Kleinen begegnete ihr immer wieder, schon durch den normalen Umgang mit Presse und Fernsehen, das Bild von Birgit Hogefeld. In neuen Verhören begegnete ihr deren Bild erneut u.a. bei der Vorführung des schon mehrfach erwähnten Video-Films mit den 6 Frauen, unter denen Birgit Hogefeld war und nur eine von den 5 weiteren Frauen eine gewisse Ähnlichkeit mit Birgit Hogefeld hatte. Prompt nannte sie die beiden mit den etwas dunkleren Haaren als die Personen, die eine Ähnlichkeit mit der Autokäuferin hatten.

Längst hatte sie wohl mitgekriegt, was Polizisten, Bundesanwaltschaft und Gericht gern hören würden. Und während das Bild von der Frau, die tatsächlich das Auto vor 11 Jahren gekauft hatte, immer mehr entschwand, wurde ihr das Bild von Birgit Hogefeld immer mehr eingetrichtert, so daß sie schließlich auch bei der auf der Anklagebank sitzenden Birgit Hogefeld - im Gerichtssaal befragt - Ähnlichkeiten feststellte. Gericht und BAW konnten mit ihrer meisterhaften Zeugenmanipulation zufrieden sein. Die Schilderung, die die Zeugin vor 11 Jahren von der Autokäuferin gegeben hatte, traf in fast keinem Punkt auf Birgit Hogefeld zu und vor allem auch nicht in dem konkretesten Merkmal der lückenhaften Zähne. Die Strategie der Aufweichung dieser zentralen, harte Fakten benennenden Aussage wurde im Prozeß von Richter Klein mit der Suggestionsfrage eingeleitet, ob die Zahnlücken durch Auftragen schwarzer Farbe vorgetäuscht sein könnten.

(Zur Vernehmung des Ehemanns Beyer im Frankfurter Prozeß siehe Info 2, Seite 2.)

Am 12.3. bezeugte Birgits Zahnarzt, daß sie im sichtbaren Bereich weder Lücken noch Kronen oder Brücken hat. Die sachkundige Frage des Gerichts, ob sie Implantate habe, verneinte er. Auf so eine Frage kann nur kommen, wer meint, man könne und dürfe sich alles kaufen, und wer dabei auch das entsprechende Gehalt bezieht.

Für den 19.03. war der suspendierte BKA-ler Lange (s.o.) geladen. Seine Befragung wurde jedoch auf den 14. Mai vertagt, nachdem das Gericht den Text seiner Strafanzeige gelesen hatte - was genau sie zu dieser Entscheidung veranlaßt hat, blieb der Öffentlichkeit verborgen. Jedenfalls haben sie im Anschluß neue Prozeßtermine bis Anfang Juni festgelegt.

 


Festnahme-Bericht

Am 12.03. 1996 fuhren meine Freundin und ich zum Prozeß nach Frankfurt zum Prozeß gegen Birgit. Ich parkte meinen Wagen in einem Wohngebiet in der Nähe des Gerichtskomplexes, dann liefen wir gemeinsam zum Gerichtsgebäude in der Seilerstraße. Nachdem wir im Gerichtskomplex kurz auf der Toilette waren, gingen wir wieder hinaus zum Durchgang zur Seilerstraße.

Es war frostig kalt, aber sonnig, und da es erst 9.10 Uhr war, der Prozeß aber erst um 9.30 Uhr begann, beschlossen wir, auf die andere Straßenseite zu gehen, um uns ein wenig in der Sonne aufzuhalten. Ungefähr fünf bis acht Minuten befanden wir uns am Eingang des Parks, der sich gegenüber des Gerichtsgebäudes befindet, als zwei Uniformierte über die Straße eilten. Ich ahnte Schlimmes, weil die Menschen, die den Prozeß kontinuierlich besuchen, des öfteren von der Polizei schikaniert werden. Ich rannte weg, meine Freundin blieb stehen. Nach kurzem Sprint dachte ich, das bringt nichts, und ging normal weiter. Eine Uniformierte hielt mich am Ärmel fest und ein Uniformierter kam noch hinzu. Sie verlangten meinen Ausweis ohne Angabe des Grundes, ich sagte, daß sich mein Paß in meinem Rucksack befände. Plötzlich kam noch ein Zivi dazu, er wirkte sehr aggressiv. Ich fragte nochmals nach dem Grund der Kontrolle: ohne Erfolg und forderte, losgelassen zu werden. Der Zivile hielt mir seinen Ausweis entgegen und sagte, ich sei festgenommen, ohne mir wiederum den Grund dafür zu nennen. Dann wurde mir der Rucksack von der Schulter gezerrt. Ich rief: "Sie glauben wohl, daß Sie sich alles erlauben können !" Als Reaktion darauf sagte der Zivi, ich bekäme eine Anzeige wegen Widerstand und Beleidigung. Der Zivi legte mir Handschellen ganz eng an, warf mich fast zu Boden und zog mir dann die nach hinten gefesselten Arme schmerzhaft nach oben. Der Zivi und der Uniformierte zerrten mich zurück bis zu dem Punkt, wo meine Freundin festgehalten wurde, die Uniformierte trug meinen Rucksack. Der Polizist, der meine Freundin - ihr wurden keine Handschellen angelegt - in Schach hielt, hatte zu ihr gesagt, er wisse, wer sie sei (ohne ihren Ausweis vorher gesehen zu haben).

Dann wurden wir hintereinanderlaufend zum Knast Klapperfeld gebracht. Obwohl die Handschellen schon ganz fest angelegt waren, zerrte der Zivi an meinen Handgelenken, daß ich es vor Schmerzen kaum noch aushielt. Unser Transport wurde von den Typen beobachtet, die Birgit immer zum Prozeß karren. (Birgit war in der Zwischenzeit mit dem üblichen Sirenengeheul gebracht worden, als uns die Polizei schon in der Mangel hatte.) Ich rief, "Sie halten es wohl nicht aus, wenn man Ihnen bei Ihrem schmutzigen Handwerk zuschaut und sieht, wie Sie Birgit immer transportieren." Da schrie der Zivi zweimal: "Ihre Birgit Hogefeld ist mir ja so egal !" Kurz bevor wir am Klapperfeld eintrafen, sah unseren Transport noch der Ersa zrichter des 5. Strafsenats. Am Knasteingang angekommen, konnten wir nicht sofort hinein, weil sich im Eingangsbereich ein Filmteam aufhielt. Dann wurden wir aber an diesen Leuten vorbeigeführt, ich rief noch etwas von Prozeßöffentlichkeit und Verhinderung derer, ich konnte kaum noch reden vor Schmerzen, die der Zivi mir mit den Handschellen beifügte. Ich wurde in eine Zellen verfrachtet mit den Handschellen. Erst nach 15 Minuten wurden sie mir abgenommen. Meine Freundin wurde vor der Zelle festgehalten. Ich trat mit Wucht die ganze Zeit an die Zellentür, bis den Polizisten der Krach zuviel wurde und sie mich in eine Zelle im zweiten Stock brachten. Ungefähr um 11 Uhr kamen zwei Uniformierte und forderten meinen Autoschlüssel heraus, um meinen Wagen zu durchsuchen. Die Angabe des Grundes der Durchsuchung wurde mir verweigert, meine Anwesenheit bei der Durchsuchung wurde mir versagt. Die beiden meinten, wenn sie nichts finden würden, könnten wir gehen. Zu meiner Freundin sagten sie, wenn sie im Auto etwas fänden, hätten sie ja einen großen Fang gemacht. Ihr wurde verweigert, zu mir in die Zelle zu kommen, mit der Begründung, wenn sie im Kfz etwas fänden, könnten wir uns ja absprechen.

Um 12 Uhr holten sie mich aus der Zelle und meine Freundin und ich wurden entlassen. (Der Prozeß war übrigens zu dieser Zeit zu Ende.)

Meine (zuvor im Rucksack befindliche) Kameraausrüstung und meine Autoschlüssel konnte ich jedoch erst um 16 Uhr beim 1. Polizeirevier abholen. Vermutlich reine Repression. Der Film in der Kamera und ein original-verpackter wurden beschlagnahmt. Ich habe eine Anzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte bekommen, der Grund unserer Festnahme wurde mir nicht mitgeteilt.

 


 

Zum Stand des Verfahrens

 

Das Gericht hat bereits einige wichtige Beweisanträge der Verteidigung abgelehnt. Mit der Ablehnung der Ladung der BKA-Schriftgutachterinnen wurde deutlich, daß die Demontage dieser wackeligen und widersprüchlichen Gutachten, denen zentrale Bedeutung in der Anklagekonstruktion zukommt, um jeden Preis verhindert werden soll. Handschriftenbegutachtung ist, wie in diesem und schon in anderen Verfahren erkannt wurde, keine allein auf objektiv nachvollziehbare, empirische Kriterien beruhende Wissenschaft, weswegen üblicherweise auf die Ladung der GutachterInnen nicht verzichtet wird. Auf die hinzukommenden Besonderheiten der Gutachten in diesem Verfahren - Widersprüche zu früheren BKA-Schriftgutachten, Begutachtung von Fotokopien, keine Berücksichtigung der äußeren und inneren Umstände der Schriftverursachung, Begutachtung von jeweils nur einer Unterschrift - wurde in der Hauptverhandlung und im Info bereits mehrmals ausführlich eingegangen.

Alle diese Schriftgutachten wurden nach der Verhaftung Birgits bzw. zum Teil noch im Verlauf der Hauptverhandlung erstellt, umgeschrieben, ergänzt und so auf die Person Birgits zugeschnitten.

 

Das gleiche gilt für die "Wiedererkennungs-zeugen", denen nach Bad Kleinen erneut Bilder vorgelegt wurden, bis sie ihre vormaligen Aussagen soweit modifizierten, daß sie auf Birgit passten, wie bereits bezüglich der Autovermieter-Familie Walter/Chorfi anschaulich beschrieben. Auch bei den Zeugen zum Komplex Airbase/Pimental läßt sich dies gutachterlich belegen. Prof. Dr. M. Stadler, Leiter des Instituts für Psychologie und Kognitionsforschung an der Uni Bremen hat zu den WiedererkennungszeugInnen anhand des ihm vorgelegten Materials und der Akten in einem Gutachten nachgewiesen, daß der "Wiedererkennungsvorgang" so angelegt war, daß er mit hoher Wahrscheinlichkeit zur "Wiedererkennung" von Birgit Hogefeld führen mußte. Eine besondere Rolle spielte dabei der vom BKA gefertigte Videofilm, der heimlich gedrehte Aufnahmen von Birgit beim Hofgang zeigt, die dann jeweils von 4 Vergleichspersonen nachgeahmt wurden. Diese Vergleichspersonen sind, wie schon mehrfach erwähnt, ziemlich kräftig und drei haben hellblonde, lange Haare. Ihre schauspielerischen Talente sind eher mässig, so daß sie Nachahmungsversuche auch für völlig unbeteiligte BetrachterInnen als solche zu erkennen sind. Dazu hat Stadler einen Versuch mit StudentInnen und Verwaltungsangestellten gemacht, denen er diesen Videofilm vorführte. Die Fragestellung war: Welche der dargestellten Frauen bewegt sich original und unbeobachtet? Fast die Hälfte der BetrachterInnen deutete unter dieser Fragestellung Birgit aus. Außerdem sind die Lichtverhältnisse und die zeitliche Dauer der Aufnahmesequenzen bei Birgit anders als bei den vier Vergleichspersonen.

Hinzu kommt, daß die drei blonden Vergleichspersonen aufgrund der von den jeweiligen ZeugInnen gegebenen TäterInnenbeschreibungen völlig ausscheiden. Birgit ist die einzige Frau in dem Film, die kurze dunkle Haare hat und außerdem schlank ist. Nur eine der Vergleichspersonen hat kurze rötlich-braune Haare, aber einen eher kräftigen Körperbau.

Keiner der Zeugen im Komplex Airbase/Pimental (1985) hat bei früheren Lichtbildvorlagen Birgits Foto ausgedeutet. Relativ übereinstimmend waren aber deren Beschreibungen allgemeiner Merkmale wie kurze dunkle Haare, schlank bzw. dürr, schmales Gesicht. In dem Videofilm weist nur Birgit diese Merkmale auf, welche aber keine eindeutigen personentypischen Merkmale sind, sondern beispielsweise auf 20% der in den BKA-Bildmappen vorhandenen Fotos zutreffen, wie Stadler aufzeigte.

Weitere Fehlerquellen, die den Beweiswert der "Wiedererkennung" stark einschränken, liegen lt. Stadler in den bewußten oder unbewußten Hinweisen, die vor oder während der Vernehmung durch Polizeibeamte gegeben wurden sowie in dem Druck, unbedingt jemanden identifizieren zu müssen, dem sich die ZeugInnen mehr oder weniger stark ausgesetzt fühlten.

Eine erhebliche Einschränkung liegt in der Wiederholung der Identifizierungsversuche, die bei allen ZeugInnen mehrfach gelaufen sind, da keine/r bei den ersten Vernehmungen Birgit Hogefeld identifiziert hatte. Eine Identifizierung eines Tatverdächtigen durch einen Zeugen ist grundsätzlich nicht wiederholbar, hat auch der BGH 1961 entschieden.

Jede weitere Lichtbildvorlage, Gegenüberstellung, Videovorführung beeinflußt und überlagert die ursprüngliche Erinnerung der ZeugInnen und führt mit großer Wahrscheinlichkeit zu Falschidentifikationen, nämlich zum "Wiedererkennen" der in vorherigen Vernehmungen gesehenen Personen.

 

Der Antrag, Professor Stadler als Sachverständigen zu hören, wurde abgelehnt, da der erkennende Senat, der diese Art von Beweismittelproduktion zugelassen hat, laut Selbsteinschätzung über genügend eigenen Sachverstand verfüge.

Gerade im Komplex Airbase/Pimental, also einem Vorgang, der sich 8 Jahre vor der Festnahme von Birgit ereignete, wurde erst nach 1993 auf die Person Birgit hin ermittelt und die Zeugen erneut befragt. Eine Anklageschrift zuzulassen, in der steht, bei einer Gegenüberstellung in der Hauptverhandlung könne über den allein durch die o.g. Schriftgutachten "belegten" Autokauf hinaus möglicherweise Birgit als die Frau, die im "Western Saloon" den GI Pimental ansprach, identifiziert werden, das sagt bereits alles über jenen Sachverstand aus, den ProzeßbeobachterInnen bereits zu genüge goutieren konnten. Gegenüberstellungen im Prozeßsaal sind aufgrund ihrer Suggestivwirkung beinahe ohne jeden Beweiswert. Daß darüberhinaus der GI, der Birgit nach mehrmaliger Vorführung des Videobandes "sicher" identifizierte, 1985 bei seiner Vernehmung gesagt hatte, er könne die fragliche Frau nicht genau beschreiben, da er kurzsichtig sei und an jenem Abend seine Brille nicht dabeihatte, macht jeden Kommentar zu dem in diesem Gerichtssaal versammelten Sachverstand überflüssig.

 

Hier sei daran erinnert, daß die Beteiligung Birgits (durch den Autokauf) an der Airbase-Aktion erst kurz vor Eröffnung der Hauptverhandlung in die Anklageschrift kam - ihr direkte Beteiligung an der Erschießung Pimentals mit den o.g. Methoden in der Hauptverhandlung "nachzuweisen" soll das "lebenslänglich" und die "Schwere der Schuld" absichern, da keiner der anderen Anklagepunkte das hergibt. Hinzu kommt, daß die Pimental-Erschießung im Zusammenhang mit der Airbase-Aktion die umstrittenste Aktion der RAF war und von Birgit in mehreren Erklärungen als der größte Fehler der RAF bezeichnet wurde. Birgit, die in der Öffentlichkeit für die selbstkritische Auseinandersetzung mit RAF-Geschichte und für die Deeskalationserklärung der RAF 1992 steht, soll wegen dem "Schlimmsten, was die RAF je gemacht hat", verurteilt werden, nachdem alle Kronzeugen- und Kooperations"angebote" von ihr abgelehnt wurden.

 

Im Zusammenhang mit dem Anklagepunkt Bad Kleinen und des mit Stereothypen ("gerichtsbekannten Tatsachen") aus der 70er-Jahre-Mottenkiste agierenden Senats wurde beantragt, den Politikprofessor W. D. Narr als Sachverständigen dazu zu hören, wie die RAF-Erklärungen seit 1992 und Birgits Erklärungen zu verstehen sind und in der Öffentlichkeit auch verstanden werden.

Im April 1992 hatte die RAF erklärt: "Wir haben uns entschieden, daß wir von uns aus die Eskalation zurücknehmen. Das heißt, wir werden Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat (...) einstellen". Im Juni und August 92 haben sie ihre Entscheidung nochmals genauer erklärt. (Diese Erklärungen, die aufgrund ihres Umfangs hier nicht dokumentiert werden können, sind abgedruckt in dem 1995 beim ID-Verlag erschienen Buch "Wir haben mehr Fragen als Antworten - RAF-Diskussionen 1992-1994").

Der erkennende Senat, die BAW sowie andere Teile des Verfolgungsapparates sehen in Birgits Erklärungen eine Propagierung des bewaffneten Kampfes, die ganz besonders raffiniert und heimtückisch sein muß, da dies sonst niemand zu erkennen vermag. Auch hinter den RAF-Erklärungen verbirgt sich raffiniert und heimtückisch die "neue Strategie der Gegenmacht von unten", die von der Öffentlichkeit nicht erkannt wird, so daß der Senat mit seinem Sachverstand aus jahrzehntelanger Staatssachutzjustiz ganz allein steht. So haben sie die Anhörung des Sachverständigen Prof. W.D. Narr abgelehnt, denn entscheidend sei nicht, wie JournalistInnen/Öffentlichkeit die Erklärungen verstehen, sondern allein, wie das Gericht sie versteht. Denn nur sie als Staatsschutzsenat wissen, was tatsächlich gemeint ist. Das haben sie auch schon in dem 1993 nachgeschobenen Urteil gegen Eva Haule dokumentiert, die allein aufgrund eines ihr zugeordneten Diskussionsbeitrages zur Airbase-Aktion wegen Beteiligung an derselben zu lebenslänglich verurteilt wurde.

 

Die meisten Anträge im Zusammenhang mit der von der BAW erdachten "Verabredung, im Fall einer Festnahme zu schießen", worauf sich die Mordanklage wegen Bad Kleinen gründet, wurden abgelehnt. Seitens der Ankläger wurden sie damit kommentiert, daß in Bad Kleinen ohne Zweifel geschossen wurde, "oder wie kam sonst Newrzella zu Tode" ? "Fragen Sie das doch mal GSG 9 Nr 4", rief jemand aus dem Zuschauerraum.

 

...und Steinmetz?

Abgelehnt ist der Antrag, Steinmetz zu laden, (noch) nicht. Auf Steinmetz stützt sich die Anklageschrift an mehreren wichtigen Stellen. Steinmetz und dem, was mit ihm verknüpft ist, in trauter Einigkeit mit Gericht und Bundesanwaltschaft mit Desinteresse zu begegnen, wäre absurd. Der Einsatz des Verfassungsschutzspitzels Steinmetz hat die Ermordung von Wolfgang Grams und die Verhaftung von Birgit 1993 ermöglicht. Glaubwürdigkeit wird dem VS-Bullen und Mörder von Wolfgang durch die Ladung nicht verliehen, Er war er in Bad Kleinen und die aktuelle Operetteninszenierung in den Medien um ihn und den BKA-Mann hat unmittelbar mit dem laufenden Prozeß zu tun, allein schon wegen dem Hinweis, der in allen Zeitungen stand, es gäbe beim BKA irgendwelche Berichte, die "Birgit Hogefeld entlasten". Die Beiziehung dieser Berichte, deren inhaltliche Ergiebigkeit oder Glaubwürdigkeit wie bei allem, was aus dieser Firma kommt, klar einzuschätzen ist, wurde ebenfalls durch die Verteidigung beantragt.

Diese Berichte zu "Weiterstadt", "Bad Kleinen", "Birgit Hogefeld" und "Steinmetz" werden derzeit von der BAW dahingehend "geprüft", ob sie etwas mit dem Verfahren zu tun haben. Die letzte Verlautbarung der BAW war, sie beträfen nur andere Ermittlungen und seien vom BKA als geheim eingestuft. Vom Gericht hingegen hieß es gleichzeitig, daß, wie den Presseberichten zu entnehmen war, die fraglichen Berichte doch vernichtet worden seien und deswegen nicht beigezogen werden.

Die Verteidigung hat sich in diesem Verfahren durchgängig mit einem Gericht auseinanderzusetzen, das mit der Arroganz der Mächtigen höchst sdachverständige Gründe erfindet, warum Schriftstücke, Lichtbilder, Vernehmungsprotokolle etc., vor allem zu Bad Kleinen, aber auch zu den anderen Anklagepunkten, nicht Bestandteil der Prozeßakten sind. Beständig muß die Verteidigung auf Beiziehung fehlender Aktenteile drängen. mußte, und die RichterInnen sich keinerlei Mühe gaben, ihr offenkundiges Desinteresse zu verbergen.


Herausgeber: InfoAG zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld, Werderstr. 8, 65195 Wiesbaden, Tel: (0611/44 06 64): nur: mittwochs 19-20 und freitags: 20-21 Uhr

n Bestellungen bis 10 Exemplare bitte jeweils an regionale Vertriebsstelle, die am nächsten liegt. Bestellungen über 10 Exemplare an: Prozeßbüro B. Hogefeld, Dieffenbachstr. 33, 10967 Berlin

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Birgit Hogefeld wurde am 27. Juni 1993 bei einer groß angelegten Polizeiaktion in Bad Kleinen festgenommen. Ihr Lebensgefährte Wolfgang Grams kam dabei ums Leben. Der Bundesminister des Innern mußte zurücktreten. Der Generalbundesanwalt wurde entlassen. Zu viele Fragen insbesondere danach, wie Wolfgang Grams zu Tode kam, blieben unbeantwortet.

Seit dem 15. November 1994 wird gegen Birgit Hogefeld vor dem 5. Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt verhandelt.

Bei ihrer Festnahme war ihr vorgeworfen worden, Mitglied der RAF gewesen zu sein und sich an einem Anschlag auf den früheren Staatssekretär Tietmeyer beteiligt zu haben.

Im Januar 1994 änderte sich das: Der Haftbefehl gegen Birgit Hogefeld wurde wegen der Sprengung der JVA Weiterstadt und Mord und sechsfachem Mordversuch an Polizeibeamten in Bad Kleinen erweitert, obwohl Birgit Hogefeld die einzige war, die in Bad Kleinen nachweislich nicht geschossen hat. Ziel dieser in der Öffentlichkeit vielfach kritisierten juristischen Konstruktion ist es, die staatliche Version der Ereignisse in Bad Kleinen, daß nämlich Wolfgang Grams Selbstmord begangen hat und die eingesetzten Beamten vom Mordvorwurf freizusprechen sind, festzuschreiben und mit der Legitimation gerichtlich festgestellter Tatsachen zu versehen. Zu Bad Kleinen soll es trotz der Zeugenaussagen, die dieser Version widersprechen, keine Fragen mehr geben. Allein Birgit Hogefeld soll für die Toten in Bad Kleinen verantwortlich sein.

Nachdem sie mit dem Vorwurf des Mordes und Mordversuchs in Bad Kleinen überzogen worden war, wurde ihren Verteidigern zum selben Zeitpunkt signalisiert, dieser Anklagepunkt - und damit das lebenslängliche Urteil - könne wieder zurückgenommen werden, wenn sie zu einer Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden bereit sei. Als der Bundesanwaltschaft klar war, daß Birgit Hogefeld auf dieses Kronzeugenangebot nicht eingehen wird, tauchte dann in der Anklageschrift im März 1994 ein weiterer Mordvorwurf auf, der das Urteil mit lebenslänglicher Haft unumgänglich machen soll: Der Generalbundesanwalt warf ihr nun - fast neun Jahre nach Abschluß der Ermittlungen - erstmals vor, an einem Anschlag auf die US-Air-Base 1985 in Frankfurt und der damit im Zusammenhang stehenden Erschießung des US-Soldaten Pimental beteiligt gewesen zu sein. Bis zu diesem Zeitpunkt war in diesem Verfahren nicht Birgit Hogefeld, sondern waren andere von der Bundesanwaltschaft als Beschuldigte geführt worden. Dementsprechend wurden und werden die bisherigen Ermittlungsergebnisse nun auf Birgit Hogefeld zugespitzt: alte Gutachten werden durch neue abgelöst, die im Gegensatz zu den vorherigen jetzt zu dem Ergebnis kommen, daß Birgit Hogefeld "wahrscheinlich" Käuferin eines PKW sei; tendenziöse Videofilme werden erstellt und Zeugen zur Wiedererkennung vorgeführt; die Verteidigung wird seit Beginn des Verfahrens durch offensichtlich unvollständige Akten behindert.

Birgit Hogefeld, die sich in einer Prozeßerklärung sehr kritisch mit dem Anschlag auf die US-Air-Base und der Ermordung des US-Soldaten auseinandergesetzt hat, soll gerade mit diesem Anklagepunkt die politisch-moralische Integrität abgesprochen werden.

Es hat lange Tradition, daß Angeklagte, die der RAF zugerechnet werden oder sich ihr zurechnen, von Seiten der Justiz nur eine Antwort bekommen: lebenslänglich. Nicht erst seit der sogenannten Deeskalationserklärung der RAF vom April 1992 ist es aber an der Zeit, daß der Automatismus "lebenslänglich für RAF-Gefangene" durchbrochen wird.

Birgit Hogefeld darf nicht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden.

 

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ErstunterzeichnerInnen:

Komitee für Grundrechte und Demokratie; Bunte Hilfe, Frankfurt; Choregraphisches Tanztheater, Freiburg; Wort-Musik-Theater Köln (Tine Seebohm & Andreas Debatin); Notruf für vergewaltigte Frauen e.V., Frankfurt; Redaktion ak - analyse und kritik, Hamburg;

 

Dr.in soc. Gerontologie Ruth van Aalderen, Amsterdam; Prof. Dr. J. van Aalderen, Amsterdam; Dieter Adler, Rechtsanwalt, Hannover; Christian Arndt, Pastor, Hamburg; Andreas Bachmann, MdBü Bündnis 90/Die Grünen / GAL, Hamburg; Lothar Baier, Schriftsteller, Frankfurt; Gabi Bauer, Journalistin, Hamburg; Jutta Bilitewski, Pastorin, Hamburg; Dr. Ulrich Billerbeck, Soziologe, Frankfurt; Klaus Blancke, Rechtsanwalt, Berlin; Anwaltsbüro Bode, Magsam, Meins, Mohr, Nitschke, Hamburg; Vanessa Böttcher, Religionspädagogin, Hamburg; Rainer Bolle, Religionspädagoge, Hamburg; Ivo Bozic, Journalist, Berlin; Sabine Brandt, Patorin, Essen; Ulrike Breil, Rechtsanwältin, Dortmund; Claudia Burgsmüller, Rechtsanwältin, Wiesbaden; Eva Cerna, Tänzerin, Freiburg; Inge Czerwinske, Physiotherapeutin, Fürstenwalde; Gunter Demnig, Kunstpädagoge, Köln; Helga Dieter, Supervisorin, Frankfurt; Thomas Ebermann, Hamburg; Dr. jur. Michael Empell, Diplom-Bibliothekar und Völkerrechtler, Heidelberg

E ff - Z (nächstes Info)