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Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld

Nr. 13

August 1996

 


Prozeßbericht Juni / Juli 1996

 

Das Gericht hat im Verlauf der Beweisaufnahme und zuletzt durch die Ablehnung nahezu aller Beweisanträge der Verteidigung deutlich gemacht, daß es den in der Anklageschrift durch die Bundesanwaltschaft festgelegten Definitionen bis aufs i-Tüpfelchen folgt.

 

Vor allem die Mordanklage wegen Bad Kleinen, wo Birgit die einzige ist, die dort nachweislich nicht geschossen hat - hier ließ das Gericht nicht mal den Anschein einer Frage zu den immer absurder werdenden "offiziellen Versionen" zu., die die Grundlage der Anklage bilden.

 

Die BAW behauptet in der Anklageschrift, Wolfgang Grams habe den GSG-9-Beamten Newrzella erschossen und da in der Raf eine Verabredung gäbe, sich in einer Festnahmesituation den Weg freizuschiessen, sei Birgit dafür wegen Mordes und mehrfachen Mordversuchs zu verurteilen. Gegen diese beiden Behauptungen sprechen ebenso viele Hinweise wie gegen die absurde Selbstmordversion, die zwar auch in der Anklageschrift behauptet wird, aber im Prozeß nicht zur Sprache kommen sollte. Offensichtlichen Ungereimtheiten und Widersprüchen wurde in Frankfurt nicht nachgegangen. Die Frage, ob es eine "Verabredung zum Schießen" in der Raf gegeben habe, ist für das Gericht gar keine Frage. Jeder diesbezügliche Beweisantrag wurde mit der Begründung abgeschmettert, daß der Staatsschutzsenat über genügend eigene Sachkunde verfüge, um diesbezüglich zu einem Urteil zu kommen.. Die Tatsache, daß Birgit in Bad Kleinen keine Waffe gezogen hat, kommentierte die BAW damit, daß das in ihrer Situation Selbstmord gewesen wäre.

 

Birgit und ihre Verteidigung haben sich aus dieser Situation entschlossen, einen Beweisantrag zu stellen, der sich auf Gespräche bezieht, die Birgit mit einer Person aus dem liberal-demokratischen Spektrum vor ihrer Verhaftung geführt hat. Die Wiedergabe dieser Gespräche (siehe Abdruck des Beweisantrages) bestätigt, was Birgit wiederholt deutlich gemacht hat, nämlich daß es diese von der BAW behauptete Verabredung zum Schießen nicht gegeben hat und daß Birgits Äußerungen (auch dieser Person gegenüber) - übereinstimmend mit den 92er Erklärungen der Raf - eindeutig dahingehend sind, daß weitere Menschenleben nicht gefährdet werden sollten. In der Begründung zu diesem Beweisantrag machte Birgit auch deutlich, daß in der Festschreibung der von der Anklageschrift behaupteten Konstruktion der "Verabredung zum schießen" auch die Androhung weiterer Erschießungen bei Festnahmen steckt. Dies war für sie ein wesentliches Motiv für diesen Antrag, da sie den eventuellen Einfluß auf das Urteil gegen sie nach allen Erfahrungen mit diesem Gericht in fast zwei Jahren Hauptverhandlung als äußerst gering einschätzen muß. Der Zeuge Rechtsanwalt Ronte, der von der Person, mit der sich Birgit vor ihrer Verhaftung dreimal getroffen hatte, einen mündlichen Bericht erhielt, wurde vom Gericht und der BAW lediglich hinsichtlich der Identität der Person befragt. In mehreren Anläufen versuchten sie, dem Rechtsanwalt Identifiezierungsmerkmale zu entlocken, Namen, Wohnort, Geschlecht usw. zu ermitteln. Dies bestätigte die in dem Antrag ausgedrückte Einschätzung, nach der es für die Person nicht ratsam gewesen wäre, selbst in der Hauptverhandlung zu erscheinen.

 

Ein weiterer Antrag der Verteidigung zielte darauf ab, daß das Gericht darlegt, worauf dessen Annahme, die Raf bestünde als "Vereinigung, deren Zweck und Tätigkeit darauf gerichtet ist, Mord oder Totschlag, Straftaten gegen die persönliche Freiheit und gemeingefährliche Straftaten zu begehen... bis zum heutigen Tage" basiert. Diese Definition wurde aus Staatsschutzurteilen der 70er Jahre als "gerichtsbekannte Tatsache" eingeführt und taucht in Beschlüssen des Strafsenats gegen Birgit (z.B. gegen Interviewerlaubnis) immer wieder auf. Das Gericht lehnte es ab, dazu Stellung zu nehmen - statt dessen fragte Richter Klein, ob Birgit damit erklären wolle, daß es die Raf nicht mehr gebe. Birgits Antwort (vom 19.7.96) auf diese absurde Frage ist im Anschluß dokumentiert.

 

Die Aussagen des suspendierten BKA-Beamten Lange ergaben konkretere Hinweise auf fehlende Beweismittel (Personenschutzsender Steinmetz, das "Kassiber" von Anfang 93 und BKA-Auswertungen dazu), denen die Verteidigung durch weitere Anträge nachzugehen versuchte. Der Personenschutzsender von Steinmetz bzw. die Protokolle dazu könnten unter anderem für die Rekonstruktion der Schußabfolgen in Bad Kleinen von Bedeutung sein. Ferner dafür, von welchen Einschätzungen die Ermittlungsbehörden in den Tagen unmittelbar vor dem Zugriff in Bad Kleinen ausgingen. Bezüglich dieser Frage wurde auch beantragt, die Einsatzleiter der GSG-9 und des BKA in Bad Kleinen zu laden. Aufschlußreich wären hier auch die im BKA gefertigten Berichte zu dem "Kassiber". Bei diesem Schriftstück handelt es sich um einen einseitigen Brief, den der Verfassungsschutz im Mai 93 dem BKA (TE 11) übergeben hatte. Das BKA hatte dieses "Kassiber" inhaltlich ausgewertet und Birgit zugeordnet. Weder das "Kassiber" noch die entsprechenden BKA-Berichte befinden sich in den Verfahrensakten. Der Zeuge Lange hatte aus seiner Erinnerung die BKA-Bewertung als entlastend charakterisiert. Er hatte aber diesen Bericht nicht selbst verfaßt, konnte dazu also nicht viel sagen. Folgerichtig beantragte die Verteidigung die Ladung des Verfassers, eines weiteren Beamten aus der Arbeitsgruppe TE11. Dieser Antrag wurde wie alle anderen abgelehnt. Stereotyp begründete das Gericht, es verfüge selbst über genügend Sachverstand, und sei in Einschätzungsfragen nicht auf das BKA angewiesen. Die Frage von Rechtsanwalt Fresenius, ob sie das "Kassiber", um dessen Einschätzung es geht, denn haben, wurde von der Richterbank verneint. Aber sie verfügen wohl über genügend Sachkunde, sich auch ein Urteil über ein Schriftstück zu bilden, das ihnen gar nicht vorliegt.

 

Damit ist die Beweisaufnahme abgeschlossen.

 


Beweisantrag zur Ladung von Seiters

 

 

In der Strafsache gegen mich

beantrage ich,

den früheren Bundesminister des Inneren, Rudolf Seiters, über das Bundesinnenministerium Bonn als Zeugen zu laden.

 

Laut Zwischenbericht der Bundesregierung vom 17. 8. 1993 war Seiters in seiner damaligen Funktion als Bundesinnenminister sowohl vor dem Polizeieinsatz in Bad Kleinen, nämlich am 18., 25., und 27. Juni 1993, unmittelbar nach dem Einsatz, als auch in den darauffolgenden Tagen über den jeweiligen Sachstand detailliert unterrichtet worden.

Der Zeuge Seiters wird bekunden, daß ihm in seiner Funktion als Bundesminister des Inneren in der Zeit vom 27. 6. bis 4. 7. 1993 folgende Informationen bekannt geworden sind:

 

- daß die Kioskbesitzerin Joanna Baron angegeben hat, beobachtet zu haben, wie zwei GSG-9 Beamte an den auf dem Gleis liegenden Wolfgang Grams herangetreten sind und einer der beiden aus nächster Nähe auf dessen Kopf zielte und abdrückte;

- daß der BKA-Beamte mit der Legendierung Nr. 12 von seinem Standort auf dem Stellwerk aus beobachtet hat, daß kurz nachdem Wolfgang Grams verletzt ins Gleisbett gestürzt war, zwei Personen hinterhersprangen und sich neben Wolfgang Grams postierten, und daß diese Angabe im Widerspruch steht zu den Aussagen der GSG-9 Beamten, die schießend hinter Wolfgang Grams die Treppe hochgerannt sind. Diese hatten nämlich angegeben, sie hätten sich auf dem Bahnsteig in Deckung gebracht und seien dort minutenlang in einen kollektiven black-out gefallen;

- daß gegenüber dem "Spiegel" ein am Einsatz beteiligter Beamter, der anonym bleiben will, angab: " Die Tötung des Herrn Grams gleicht einer Exekution",

-daß in keiner der Aussagen der in Bad Kleinen eingesetzten GSG-9 und BKA-Beamten von einem Selbstmord durch Kopfschuß die Rede ist - den viele aber gesehen haben müßten, hätte er stattgefunden;

- daß bei der GSG-9 und ihr nahestehenden Polizeikreisen kursiert, ein GSG-9 Mann habe Wolfgang Grams den aufgesetzten Kopfschuß beigebracht;

-daß unmittelbar nach der Polizeiaktion das BKA, bei dem zuvor die Gesamtverantwortlichkeit für den Einsatz in Bad Kleinen lag, die Spurensicherung übernommen hat und daß im Rahmen der Ermittlungen des BKA gegen sich selbst, noch vor der Obduktion von Wolfgang Grams, wichtige Spuren vernichtet worden sind - zum Beispiel wurden seine Hände gereinigt;

- daß die Wolfgang Grams und mir zugeordneten Waffen im BKA beschossen und untersucht worden sind, wobei Projektile und Hülsen mit den spezifischen Merkmalen dieser Waffen produziert wurden - für Vergleichszwecke, wie es heißt, aber genausogut können welche davon als Austauschmaterial benutzt worden sein ;

- daß BKA-Beamte die bei der Obduktion von Michael Newrzella sichergestellten Projektile unsachgemäß dokumentiert haben, so daß eine lückenlose Überprüfung, ob es sich bei den später untersuchten Projektilen tatsächlich um diesselben handelt, nicht mehr möglich ist;

- daß auch der weitere Weg dieser Projektile so dokumentiert wurde, daß eine sichere Rekonstruktion unmöglich ist - ob also der Wissenschaftliche Dienst Zürich tatsächlich die Projektile untersucht hat, die aus dem Körper von Michael Newrzella entnommen worden sind, kann nicht mit Sicherheit geklärt werden, es ist genausogut möglich, daß dort Austauschexemplare untersucht worden sind;

- daß die Kleider, die die GSG-9 Beamten in Bad Kleinen trugen, erst nachträglich und teilweise in frisch gewaschenem Zustand abgegeben worden sind;

- daß auch die GSG-9-Waffen nicht unmittelbar nach dem Einsatz, sondern erst später sichergestellt wurden;

- daß die Fundorte der Hülsen aus der Waffe von Wolfgang Grams in krassem Widerspruch zur offiziellen Version stehen, Wolfgang Grams hätte vom Treppenabsatz aus auf Beamten geschossen. die ihm nachstürmenden GSG-9

 

Der Zeuge Seiters wird bekunden, daß er aufgrund dieser und weiterer ihm vorliegenden Informationen spätestens ab dem 3. 7. 1993 wußte,

1) daß Wolfgang Grams durch ein Mitglied der GSG-9 mit einem gezielten Schuß in den Kopf getötet worden ist und

2) daß die Wahrscheinlichkeit, daß Michael Newrzella versehentlich von einem GSG-9 Beamten erschossen worden ist, mindestens genauso hoch, wenn nicht sogar höher ist, als die Wahrscheinlichkeit, daß er von Wolfgang Grams erschossen wurde.

Der Zeuge Seiters wird außerdem bekunden, daß die Bundesregierung zum damaligen Zeitpunkt befürchtet hat, daß durch Recherchen von Journalisten und /oder undichten Stellen im Sicherheitsapparat die Hinrichtung von Wolfgang Grams und der Verdacht, daß Michael Newrzella durch ein Mitglied der GSG-9 erschossen wurde, an die Öffentlichkeit dringen.

Und daß außerdem bekannt wird, daß das BKA noch am 27. 6. 1993 daran ging, systematisch alle Spuren zu vernichten, die Aufschluß über den tatsächlichen Geschehensablauf in Bad Kleinen geben könnten.

Seiters wird bestätigen, spätestens am 4. 7. 1993 davon ausgegangen zu sein, daß die Hinrichtung von Wolfgang Grams und die nachfolgende Spurenvernichtung nicht länger geheim zu halten sind und daß er deshalb an diesem Tag in Absprache mit Bundeskanzler Kohl seinen Rücktritt eingereicht hat, um dafür die politische Verantwortung zu übernehmen.

Der Rücktritt eines Bundesministers mit der Begründung, Verantwortung für bestimmte Ereignisse zu übernehmen, ist in diesem Land ja nun wirklich kein alltäglicher Vorgang - selbst Herr Schmidbauer ist noch im Amt, trotz Plutoniumdeals.

Ausschließlich vor dem Hintergrund, daß die Bundesregierung befürchten mußte, daß die Hinrichtung von Wolfgang Grams und der Versuch ihrer Vertuschung öffentlich werden, ergibt der Rücktritt von Seiters am 4. Juli 1993 einen Sinn.

Birgit Hogefeld

 


Beweisantrag vom 23. Juni 1996

 

In der Strafsache

g e g e n

Frau Birgit Hogefeld

5 - 2 StE 2/94 - 7/94

 

wird beantragt,

Herrn Rechtsanwalt und Notar Ernst Ronte,

Kölner Str.4, Frankfurt, als Zeugen zu laden.

 

Der Zeuge wird folgendes bekunden:

 

Ich wurde am Mittwoch den 28.02.1996 von Rechtsanwalt Fresenius in seiner Eigenschaft als Verteidiger von Fr. Hogefeld gefragt, ob ich bereit sei, als Notar oder Rechtsanwalt eine Erklärung einer Person aufzunehmen, bzw. entgegenzunehmen, die ihre Personalien nicht angeben wird.

Eine notarielle Versicherung an Eides statt war unter diesen Umständen nicht zulässig.

Als Rechtsanwalt war ich bereit, mit dieser Person zu sprechen, mir anzuhören, was sie zu sagen hat und ihr Fragen zu stellen.

 

Rechtsanwalt Fresenius teilte mir mit, daß diese Person etwas zu dem Gebrauch der Schußwaffe durch Fr. Hogefeld im Falle einer Festnahme sagen könne. Die Problematik war mir allgemein bekannt, auch der gegen Frau Hogefeld erhobene Vorwurf. Rechtsanwalt Fresenius erklärte mir, daß ich gegebenenfalls als Zeuge vom Hören Sagen das aussagen solle, was mir die Person mitgeteilt habe. Ich erklärte mich bereit, diese Person zu treffen, mit ihr zu reden und ggf. als Zeuge vor dem Senat des OLG auszusagen.

 

Am 1.3.96 traf ich diese Person in Frankfurt/Main. Sie war in Begleitung von Rechtsanwalt Fresenius. Ich begann das Gespräch, welches etwa eine 3/4 Stunde dauerte. Rechtsanwalt Fresenius hat an diesem Gespräch nicht teilgenommen, konnte aber hören, was besprochen wurde.

Ich traf eine Person, die nicht bereit war, die Personalien anzugeben. Die Person berichtete mir folgendes:

In der zweiten Hälfte 1992, gegen Ende des Jahres, sei die Person (im folgenden sie) von Fr. Hogefeld morgens auf dem Weg zur Arbeit angesprochen worden. Fr. Hogefeld hat sich zu erkennen gegeben.

Fr. Hogefeld wollte sich mit der Person über die 1992 veröffentlichten Erklärungen der RAF unterhalten, um die Meinung der Person kennenzulernen. Dieses erste Gespräch war den Umständen entsprechgend kurz. Die Person hat sich zu einem Gespräch bereit erklärt, weil sie eine Gelegenheit sah, ihre Auffassung von dem Unsinn von gewalttätigen Aktionen, insbesondere Tötungsaktionen, mit Fr.Hogefeld zu diskutieren. Fr.Hogefeld habe auch ihr Vertrauen durch ihre offene Herangehensweise an dieses Thema gewonnen. Die Person verabredete sich mit ihr. Im Jahre 1993 habe man sich zweimal zu längeren Gesprächen getroffen. Das letzte Gespräch habe etwa einen Monat vor der Festnahme von Fr.Hogefeld stattgefunden.

 

Diese Gespräche befaßten sich mit den bereits erwähnten Erklärungen. Die Person habe ihren Standpunkt, daß diese Tötungsaktionen an Vertretern des Systems falsch und unsinnig seien, klipp und klar zum Ausdruck gebracht. Der von Fr. Hogefeld vertretene Standpunkt sei zu ihrer Überraschung nicht sehr weit von dem ihrigen entfernt gewesen. Fr. Hogefeld habe das ganze System des bewaffneten Kampfes in Frage gestellt. Das Gespräch insgesamt sei so offen gewesen, daß es möglich gewesen sei, daß sich zwischen ihnen Vertrauen entwickelt habe. So habe man auch eher private Probleme erörtert. Die Person erklärte, sie habe zuerst bei Fr. Hogefeld keine Waffe bemerkt. Sie seien aber bei einem der beiden Gespräche im Jahre 1993 in ein Schwimmbad gegangen und dabei habe sie bemerkt, daß Fr. Hogefeld eine Schußwaffe mit sich führte. Die Person hat Fr. Hogefeld darauf angesprochen. Sie habe Fr. Hogefeld direkt gefragt, wie sie sich im Falle einer Festnahme verhalten würde. An den genauen Wortlaut - ich bat sie, sich so genau wie möglich an diesen Teil des Gespräches zu erinnern - könne sie sich nicht mehr erinnern. Auf ihre Vorhaltungen habe Fr.Hogefeld erklärt, sie wolle kein Blutbad anrichten. Die Person habe dann gefragt, warum sie überhaupt die Waffe trage. Fr. Hogefeld habe erwidert, daß sie die Waffe zum Drohen bei sich habe. Als Beispiel habe sie hinzugefügt, bei einer Verkehrskontrolle, wenn der Polizist die Personalien überprüfe und es jetzt darauf ankomme, weiterzufahren, werde sie die Waffe vorhalten und zu dem Beamten sagen, er solle jetzt kein Held sein, sie fahre jetzt weiter. Anders würde sie sich im Falle einer Festnahme verhalten. Sie wolle keine Schießerei, bei der es Tote und Verletzte gäbe, da werde sie die Hände hochnehmen.

Dieses Gespräch hätten sie abends in ihrer/seiner Wohnung fortgesetzt. Die Person habe wegen der für sie spürbaren großen Vertraulichkeit, die sich zwischen ihnen entwickelt hatte, diesen Äußerungen von Fr. Hogefeld Glauben geschenkt.

 

Meine Frage, ob sie nicht doch habe belogen werden können, verneinte die Person. Zur Bekräftigung berichtete sie, daß Fr. Hogefeld von ihr einen Hilfsdienst erbeten habe. Dies habe sie jedoch abgelehnt. Sie sei auch nicht bereit gewesen, irgend etwas zu machen. Diese Ablehnung habe aber den Fortgang dieses Gesprächs und die Vertraulichkeit nicht gestört. Die Person habe vielmehr den Eindruck gehabt, daß Fr. Hogefeld kurz davor sei, die Waffe ganz wegzulegen.

 

Ich habe mit der Person die Möglichkeit einer Aussage durch diese persönlich diskutiert, konnte sie jedoch nicht davon überzeugen, persönlich vor dem Senat zu erscheinen.

 

Ich persönlich hatte den Eindruck, daß die Person mir selber erlebtes und nicht auswendig gelerntes berichtete. Ihr Bericht war nicht gradlinig, sondern teilweise sprunghaft und erkennbar von der zurückkehrenden Erinnerung beeinflußt. Sie berichtete mir immer mehr über sich selbst. Ich bin mir sicher, einen aufrichtigen Bericht bekommen zu haben.

 

Begründung:

 

Der Verteidigung ist die Problematik eines Zeugen vom Hören Sagen bewußt. Zum Hintergrund dieses Antrags sei folgendes ausgeführt: Die Person, also der Zeuge, hat den Unterzeichner um die Jahreswende 1995/96 kontaktieren lassen. Sie gab an, durch Presseberichte über den Anklagepunkt Bad Kleinen und die nunmehr stattfindende Beweisaufnahme zu diesem Vorgang erfahren zu haben. Dieser Vorwurf sei ihr nicht nachvollziehbar und sie sei davon ausgegangen, insoweit gebe es auch keine Verhandlung. Durch die Presseberichte über den Prozeß habe sie sich nunmehr von dem Gegenteil überzeugen müssen. Sie habe einen Rechtsanwalt aufgesucht, diesem ihre Situation, d.h. ihr Wissen geschildert.

Der Rechtsanwalt habe sie darauf hingewiesen, daß die Bundesanwaltschaft und teilweise auch die Rechtsprechung den Bereich der Unterstützung einer Vereinigung nach [[section]]129 a StGB äußerst extensiv handhabe. Von daher bestünde die Gefahr, daß sie Beschuldigte eines Ermittlungsverfahrens werden könnte. Nach gründlicher Überlegung habe sie sich entschlossen, sich dieser Gefahr auf keinen Fall auszusetzten. Es wurde von daher der im gegenständlichen Antrag zum Ausdruck kommende Weg beschritten. Gleichwohl wurde der Unterzeichner von der Person gebeten, einen entsprechenden Antrag nur dann zu stellen, wenn der Unterzeichner dies für unbedingt erforderlich erachte. Unter Berücksichtigung der Senatsentscheidungen zu den Beweisanträgen im Komplex Bad Kleinen ist dieser Zeitpunkt für den Unterzeichner nunmehr gegeben.

Der gegenständliche Antrag beleuchtet die Problematik der Verteidigung in Verfahren nach [[section]] 129 a StGB. Sämtliche Zeugen, die mit der Beschuldigten, der Mandantin, in Kontakt standen und somit als authentische Entlastungszeugen zur Verfügung stehen könnten, scheiden aufgrund der Konstruktion des [[section]]129a StGB in der Praxis für die Verteidigung aus. Jeder dieser Zeugen würde von der Bundesanwaltschaft sofort mit einem Ermittlungsverfahren nach [[section]] 129/129 a StGB überzogen. Die nunmehr 25 jährige Verfolgungspraxis der Ermittlungsbehörden im Komplex RAF ist sicherlich nicht von Zurückhaltung geprägt, eher sind - teilweise kuriose - Ausdehnungen des Unterstützungsbegriffes Erkennungszeichen dieser Praxis der Bundesanwaltschaft.

Die konkrete Gestaltung dieses Beweisantrages ist von daher kein Ausdruck der freien Entscheidung der Verteidigung, sondern Ausfluß dieser Verfolgungspraxis der Bundesanwaltschaft.

 

So ungewöhnlich dieser Weg für die Verteidigung ist, so alltäglich ist er für die Ermittlungsbehörden. Informanten, V-Leute erscheinen nicht in der Beweisaufnahme, vielmehr trägt ein Kriminalbeamter vor, was ihm von dieser anonymen Quelle aus dem Bereich der Kriminalität zugetragen wurde. Auch in diesem Verfahren werden Bestandteile der Aussagen eines Zeugen - Steinmetz - nicht nur zur Akte genommen, gesperrt und der Verteidigung verweigert; maskierten Zeugen wird die Aussagegenehmigung teilweise verweigert.

 

Zur Erheblichkeit dieses Antrages sei auf das folgende hingewiesen:

 

Die Verteidigung hat mit ihrem Beweisantrag vom 5.2.1996 (Anlage 12 zum Protokoll vom 5.2.1996) unter Beweis gestellt, daß Frau Hogefeld einem Zeugen erklärt hat, sie werde die Waffe nur als Drohmittel benutzten, einen Beamten werde sie nicht erschießen.

 

Frau Hogefeld hat in der Hauptverhandlung erklärt, sie habe eine Waffe dabeigehabt, um diese als Drohmittel einzusetzten. Sie hat darauf hingewiesen, daß gerade auch die Bewaffnung diesem Zweck folgte.

Schließlich hat der Zeuge Lang ausgeführt, nach den Erkenntnissen des Fachreferats TE 11 liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß innerhalb der RAF für den Zeitraum 1993 vom Vorliegen einer Absprache innerhalb der RAF zur Frage des Schußwaffengebrauchs ausgegangen werden kann.

Die gegenständlich beantragte Beweisaufnahme wird zu einem Ergebnis kommen, das in Übereinstimmung mit sämtlichen Zeugenaussagen steht, die zu diesem Komplex vorliegen.

 

Berthold Fresenius

Rechtsanwalt


Prozeßerklärung Birgit Hogefeld, 19. Juli 1996

 

 

Der Senat will also von mir wissen, ob es die Raf noch gibt. Völlig logisch, mir, die ich seit über 3 Jahren im Knast bin, diese Frage zu stellen. Schließlich bin ich angeklagt, der Raf auch im Knast weiter anzugehören. Und den OLG-Beschlüssen zur Verweigerung von Interviews ist zu entnehmen, wie ich auch als Gefangene den Tatbestand der mitgliedschaftlichen Tätigkeit in besagter Gruppe erfüllen könnte. Beispielsweise indem ich über die Haftbedingungen rede oder über die Zäsurentscheidung der Raf.

Daß ein Staatsschutzsenat wie dieser eine solche Entscheidung als bedrohlich empfindet, liegt auf der Hand: Existenzgefährdung. Aber selbst wenn ich wollte, ich könnte doch gar nicht am möglichen Verbandsleben einer Gruppe wie der Raf teilnehmen, Sie hindern mich doch daran. Wieso also halten Sie mich für die Beantwortung Ihrer Frage für eine 'taugliche Quelle'?

Oder anders - um was geht es bei Ihrer Frage wirklich?

Macht Ihnen die 'Flaute' im linken Spektrum und das immer schwerer zu besetzende Feindbild zu schaffen oder ist die Frage als Provokation gedacht? Wollen Sie von mir eine politische Erklärung, die Sie dann als Grundlage für Ihre abstrusen Szenarien benutzen? Wollen Sie damit die Haushaltsmittel der Sicherheitsapparate bis ins nächste Jahrtausend sichern?

Wie auch immer - vermutlich ist es von allem etwas und Sie brauchen mal wieder einen Schub für die Bedrohungsanalyse.

Wie so etwas gemacht wird, habe ich kürzlich in sehr anschaulicher Darstellung den Akten entnehmen können; und ich finde, das sollte der Öffentlichkeit nicht vorenthalten bleiben.

 

Das ganze fand im Herbst 1993 statt. Die Bundesanwaltschaft stand damals vor dem Problem, daß selbst in den verschiedenen Sicherheitsapparaten die Zahl derer, die von einer realen Gefährdung und Bedrohung durch die Raf ausgingen, immer kleiner wurde. Nicht nur, daß es 92 unsere Zäsurentscheidung gab, im Herbst 93 wurde zudem auch noch öffentlich, daß es zum Bruch zwischen der Raf und einem Teil der Gefangenen gekommen war.

Kein Wunder also, daß sich eine Behörde wie die Bundesanwaltschaft in Zugzwang sah und ein Gefährdungsszenario aus dem Hut zauberte.

 

Das ganze lief wie folgt ab:

Am 5.11.93 faxt die Bundesanwaltschaft einen sogenannten Sachstandsbericht zur 'illegalen Kommunikation' zwischen der Raf-Gefangenen X und deren Besucher Y ans BKA. Einen Tag später kommt es zu einer Besprechung, bei der den nun ermittelnden BKA-Beamten besagter Sachstandsbericht erläutert wird.

Im BKA-Protokoll heißt es dazu:

"Die Korrespondenz der X umfaßt etwa täglich einen Brief mit bis zu 10 Seiten Umfang. Die ausgewertete Gesamtmenge beläuft sich auf etwa 1000 Schriftstücke mit ca. 8 Millionen Buchstaben. Die Korrespondenzinhalte werden in einem Datensystem gespeichert und sind mehrdimensional recherchierbar."

An der Auswertung sind 6 Beamte beteiligt.

 

Zum Hintergrund:

Verschiedene Raf-Gefangene hatten gemeinsam eine Geschichte mit dem Titel: "Der lange Weg zum großen Fest" geschrieben, sie sollte das Geburtstagsgeschenk für die Mutter von X sein. Angesichts dieses Titels blitzten natürlich bei jedem Staatsschützer die roten Lampen auf und so wurde sicherheitshalber auch ein Linguist für die Analyse zu Rate gezogen. Sein Gutachten hatte solche Brisanz, daß es als VS-vertraulich eingestuft wurde.

 

Der Mann kam zu dem Ergebnis:

"Die Verknüpfung von Metaphern aus dieser Geschichte mit zunächst unabhängig davon zu sehenden Ereignissen setzt voraus, daß der genannte Personenkreis ein einheitliches Belegungsbild metaphorischer Begriffe wie 'Wildschweine, Schweine, Räuber, gebratene Gänse' verwendet. Dies setzt jedoch wiederum mit hoher Wahrscheinlichkeit entsprechende Absprachen voraus."

Desweiteren erscheint den Ermittlern suspekt, daß diese Begriffe nur in großen zeitlichen Abständen in den Briefen auftauchen. Hinzu kommt, daß auch noch Postkarten mit Motiven von Marc Chagall und van Gogh verschickt werden, bei denen "zweifelsfrei der Gedanke des - gemeinsamen - Lebens in Freiheit" zugrunde liegt.

Zwar konstatieren sie, daß ihnen die Texte der Kunstpostkarten "nicht als konspirative Informationen über konkrete Befreiungsaktionen" erscheinen. Aber: nix genaues weiß man nicht und vielleicht ist ja gerade das der Trick vom Trick.

Und so wendet sich der Bericht dann dem auffälligen Verhalten des Besuchers Y zu. Dazu heißt es:

"Verschiedene auffällige Einzelereignisse und unerklärliche Verhaltensweisen (Massieren der Füße der X beim Besuch, obgleich sie betonte, keine kalten Füße zu haben) seien bei einer Bewertung der Schriften/Kommunikation zu berücksichtigen."

 

Dann kommt der Bericht zum brisantesten Teil, nämlich zu der ominösen Zahl 11.

Y hat an X einen Strauß mit 11 Rosen geschickt, zwei Raf-Gefangene wurden an einem 11.11. verhaftet, in den Briefen geht es an einer Stelle um eine Erzählung von Peter Weiss, in der das Datum 11. November vorkommt, außerdem um die 'Elfertheorie' des Schriftstellers Ronald Schernikau.

So oft die 11 - das kann nur der Code sein!

Einer aus der Ermittlerrunde vom 6.11. meint zwar, es sei nicht auszuschließen, daß gewisse Zufälligkeiten zu Fehlinterpretationen führen können. Aber in der Gesamtschau kommen sie dann doch zu dem Ergebnis, es müsse davon ausgegangen werden, daß eine konspirative Kommunikation bestehe.

Und so heißt es dann am Ende des Protokolls:

"Die Zusammenfassung indiziert, daß eine 'Lösung der Gefangenenfrage' unmittelbar bevorstehen könnte, wobei dem Datum 11.11. eine tragende Bedeutung beigemessen werden kann."

 

Nun ist natürlich Gefahr im Verzug.

Am 8.11. kommt es zu einer Besprechung, an der Vertreter des LKA, des Innenministeriums und des Landesamtes für Verfassungsschutz eines Bundeslandes teilnehmen, sowie 4 BKA-Beamte aus verschiedenen TE-Abteilungen.

Sie kommen zu folgendem Resultat:

"Es kann nicht bestätigt oder ausgeräumt werden, daß ein subversives konspiratives Kommunikationssystem besteht, und somit kann eine wie auch immer geartete Befreiungsaktion ab sofort, möglicherweise am 11.11.93, nicht ausgeschlossen werden.

 

Dann werden die Abwehrmaßnahmen eingeleitet:

- gemeinsame Absprache mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem BKA, der Generalbundesanwaltschaft und dem Landeskriminalamt

- Erörterung des Sachverhalts in der KGT-Sitzung am selben Tag

- außerdem sollen die Bundesländer die JVA-Sicherheitschefs und die Personenschutzgruppen der K 106-Einheiten unterrichten und sie sollen Kräfte und Strukturen für den Fall einer Befreiungsaktion bereitstellen.

Alle Maßnahmen sind so abzuwickeln, daß Ursprung und Hintergrund nicht öffentlich bekannt werden.

 

Soweit zur Entstehungsgeschichte einer Gefährdungslage.

 

Wie hieß es doch: "Die Maßnahmen müssen so gestaltet werden, daß ein Bekanntwerden des Ursprungs bzw. Hintergrunds den Inhaftierten und dem Umfeld nicht möglich ist."

Entsprechend verlief für mich die Nacht vom 11. auf den 12. November 93. Das Licht war die ganze Zeit eingeschaltet und alle 15 Minuten stürmte eine Schließerin die Zelle, kam zum Bett und fragte: "Frau Hogefeld, leben Sie noch?"

Und die Schlagzeile in der TAZ vom 12. November war: "Selbstmord als letztes Fanal" oder die in der Frankfurter Rundschau, die etwas zurückhaltender formulierte: "Raf-Gefangene unter verstärkter Kontrolle - Staatsschutz befürchtet 'Kollektive Selbstmordaktion'".

 

Was war der Ausgangspunkt - um was ging es da:

um 11 Rosen und die Elfertheorie, um massierte Füße, die nicht kalt waren, um Chagall und van Gogh, um Wildschweine, Räuber und gebratene Gänse.

Da habe ich natürlich sofort meine Sonnenblumen gezählt - 10 Stück sind es -, hab ich etwa auch in Briefen diese Zahl schon benutzt? Briefe mit Zahlen - da war doch was. Ich suche die Stelle raus: "Haben Sie übrigens vorgestern auf der Männerseite der Bildzeitung den 'Frühjahrsgesundheits-Check-96' gelesen? Höchst empfehlenswert: 4 Oropax in 7 Eßlöffeln heißer Milch auflösen und in einem Zug trinken - wenn Sie jetzt kotzen, sind Sie gesund."

Scheiße, was schreibe ich auch solchen Quatsch - hört sich doch an wie Code pur. 96 - 4 - 7, na wenigstens keine 10 wie bei den Sonnenblumen; im Gegensatz zum Rest des Briefes hatte ich bei den Zahlen eine glückliche Hand.

Aber Oropax in Milch auflösen - was wird der Linguist wohl davon halten? Unterstellt er ein 'einheitliches Belegungsbild metaphorischer Begriffe' oder leitet er das ganze gleich im BKA an TE 24 weiter zwecks Prüfung der Substanz auf Sprengstoffanteile? So oder so, mit dieser Sorte Briefeschreiberei kann ich eigentlich nur eskalierte Gefährdungslagen produzieren, oder?

Und dann dieser Brief von Hubertus Janssen, ein Mann, der sich als Pfarrer ausgibt und dem dieser Senat sowieso nur schlimmstes zutraut. Schreibt dieser Mann mir in einem Brief von 'Steinen' und ich greife das als Bild in meiner Antwort auch noch auf.

Wie hieß es: "Die Korrespondenzinhalte werden in einem Datensystem gespeichert und sind mehrdimensional recherchierbar."

Und dann 'Steine' und das bei mir - ich brauche bloß die Augen zu schließen und sehe, was der Staatsschutzcomputer dazu ausspuckt: EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN blinkt es rot auf und: siehe Weiterstadt. Das Drogenprogramm weiß zu 'Steinen' natürlich auch so einiges und vermuteter Diamantenschmuggel wäre wohl noch die harmloseste Variante. Tja, 'mehrdimensional recherchiert' eben.

Jetzt kann ich eigentlich nur noch hoffen, daß es keine ins Auge springende mathematische Verbindung zwischen der Anzahl der Buchstaben in meinen Briefen und den Sonnenblumen gibt.

 

Seit einigen Jahren ist bei den Sicherheitsbehörden eine Verlagerung der Bedrohungslage von der realen auf die virtuelle Ebene festzustellen. Voraussetzung dafür ist aber immer ein irgendwie noch realer Bezugspunkt, an dem entlang das Phantasiebild aufgebaut wird. Gut, jetzt haben Sie hier noch mich, es gibt auch immer noch andere Gefangene aus der Raf, aber die gesamte Entwicklung im linken Spektrum (und das ist ja der Bereich, an dem Sie sich abarbeiten) zeigt, daß darin für Sie keine Perspektive liegt. Sie werden's erleben, irgendwann stehen Sie ohne "richtigen Feind" da, all ihre Feindphantasien müssen auf ganz wenige Menschen übertragen werden. Und dann heißt es in Beschlüssen etwa, daß die Aushändigung einer Zeitschrift mit dem 'kleinen Leitfaden zur Behinderung von Bahntransporten aller Art' an mich eine Gefährdung der Ordnung der Anstalt befürchten läßt. Aber: im Preungesheimer Knast gibt es weder Gleise noch Bahntransporte, die ich blockieren, sabotieren, sprengen oder was-weiß-ich-was könnte, und so nutzt es Ihnen nichts, sie per Beschluß dahin zu phantasieren.

 

Aber das ganze hat mich auf eine Idee gebracht, die möglicherweise eine Lösung sein könnte für die Teile der Sicherheits- und Justizapparate, die durch die Zäsur der Raf und die Entwicklung der Linken in den letzten Jahren in eine Sinn- und Identitätskrise gestürzt sind.

Folgen Sie den Zeichen der Zeit. Wagen Sie den Sprung und verlagern Sie Ihre Initiativen in den Bereich der Simulation. Der Computer-Markt bietet heute für all Ihre Phantasien und Wünsche Lösungen an. Sie können da Ihren Bahntransport in Preungesheim 10 - oder wenn Sie wollen 100 - mal am Tag entgleisen oder in die Luft sprengen lassen. Die Bundesanwaltschaft kann die gefährlichsten Gefährdungsszenarien produzieren, Feinde bekämpfen und dabei gewinnen, so oft sie nur will. Treten Sie per Simulation ins Land der unbegrenzten Schlachten ein. Nur eins - halten Sie mich bitte da raus.

 

Birgit Hogefeld

 


Kundgebung in Bad Kleinen am 29.06.1996

 

Am 29.6.96 fand in Bad Kleinen eine Kundgebung anläßlich des dritten Jahrestages (27.6.) der Ermordung von Wolfgang Grams statt. An der Kundgebung nahmen etwa 150 Leute teil. Siehe auch S. 15 !

 

Redebeitrag der VeranstalterInnen von der Roten Hilfe

 

Wir sind heute hier, um Wolfgang Grams zu gedenken, mit dem wir im Kampf um eine menschenwürdige, emanzipatorische Alternative zum kapitalistischen System verbunden sind.

 

Für uns als Rote Hilfe ist dabei nebensächlich, ob wir im einzelnen den Weg, den Wolfgang Grams gegangen ist, richtig finden oder nicht.

Für unsere Solidarität und Verbundenheit hat diese Auseinandersetzung keine Bedeutung.

 

Die gesamtpolitische Situation seit Mitte der 80-er Jahre sowohl weltweit als auch hier in der BRD hat die Linke vor unzählige neue Fragen gestellt, auf die es nur wenige Antworten gibt.

Das hat dazu geführt, daß die Linke weit davon entfernt ist, eine relevante Bewegung zu sein.

 

Nichtsdestotrotz kämpfen weiterhin Zusammenhänge gegen die heutige menschenverachtende Entwicklung, wobei es nicht nur darum geht, die Diskussion über vergangene Fehler zu führen, sondern auch nach vorne - um eine Perspektive.

 

Wolfgang Grams mußte diesen Kampf mit dem Leben bezahlen.

 

Dieser Staat hat unzählige Möglichkeiten, auf verschiedenen Ebenen linken Widerstand anzugreifen und ist auch weiterhin bereit, diese auch bis zum letzten anzuwenden.

 

Wir wollen all jene stärken, die sich trotz allem weiterhin - oder auch gerade jetzt - dem Kampf um die Freiheit der Menschen durch die Beseitigung der herrschenden Verhältnisse stellen.

Dazu gehört auch immer der Kampf gegen das Vergessen und für die eigene - wahre Geschichte.

 

...

 

"Wenn Du das eben mal gesehen hast und sagst, mensch ich hab da `n Auto gesehen, das war blau und dann kommen die anderen an und sagen, nee, das war rot das Auto. Vier, fünf Mann kommen an und sagen, dat war rot. Und denn, zuletzt, ist es auch rot, nee."

 

Mit diesen Worten beschrieb ein Bewohner von Bad Kleinen die Situation nach der Schießerei im Sommer 1993.

 

Vor zwei Tagen jährte sich die Verhaftungsaktion an diesem Bahnhof, bei der Wolfgang Grams ums Leben kam, zum dritten Mal.

 

Was damals hier wirklich passiert ist, ist bis heute noch nicht klar. Wir waren nicht dabei und wissen nur das, was uns damals aus dem Fernsehen und der Presse berichtet wurde.

 

Wir erinnern uns:

 

Die sogenannte Anti-Terror-Einheit des Bundesgrenzschutzes, GSG 9, sollte an diesem Bahnhof zwei Mitglieder der RAF festnehmen. Der Verfassungsschutzagent Klaus Steinmetz, der sich hier mit Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams verabredet hatte, hatte die beiden in eine Falle gelockt. Denn die GSG-9-Männer waren schon vor ihnen hier. Dort, in dem Aufgang zwischen den Bahnhofsgleisen, befand sich vor drei Jahren noch das Billard-Cafe, in dem sich die drei zusammensetzten. Nachdem sie das Cafe durch die Unterführung Richtung Bahnsteig _ verließen, erfolgte der "Zugriff", wie die GSG-9 so etwas nennt.

Was daraufhin geschah, führte zu einer innenpolitischen Staatskrise, wie es sie in der Geschichte der Bundesrepublik nur selten gab.

 

Wir wollen an dieser Stelle nicht noch einmal die vielen Versionen, die uns in den Tagen und Wochen danach in die Wohnzimmer geliefert wurden, wiederholen. Aber fest steht: Birgit Hogefeld wurde sofort überwältigt und festgenommen. Der VS-Mann Steinmetz wurde - zum Schein - ebenfalls festgenommen. Wolfgang Grams, der versuchte, sich seiner Verhaftung zu entziehen, flüchtete auf den Bahnsteig. Er wurde von mehreren GSG-9-Männern verfolgt. Es kam zu einer Schießerei, in deren Folge ein GSG-9-Mann getötet wurde. Wolfgang Grams stürzte, bereits schwerverletzt, auf das Gleis 4. Eine Frau, die damals auf diesem Bahnsteig als Kioskverkäuferin arbeitete, hat folgendes gesehen (und es gibt nicht den geringsten Grund, an ihrer Glaubwürdigkeit zu zweifeln) - wir zitieren - : "Dann traten zwei Beamte an den reglos daliegenden Grams heran. Der eine Beamte bückte sich und schoß mehrmals auf den Grams. Der Beamte zielte auf den Kopf und schoß, aus nächster Nähe, wenige Zentimeter vom Kopf des Grams entfernt. Dann schoß auch der zweite Beamte auf Grams, aber mehr auf den Bauch oder die Beine. Auch dieser Beamte schoß mehrmals."

Ein Beamter, der an der Aktion beteiligt war, machte gegenüber dem Magazin "Der Spiegel" eine Aussage, die sich mit dieser Beobachtung deckt - wir zitieren - : "Er lag da auf der linken Körperseite. Ein Kollege kniete auf ihm. Er hatte keine Bewegungsmöglichkeit mehr...Nach etwa ewig langen langen 20 Minuten ist dann der tödliche Schuß gefallen. Ein Kollege hat aus einer Entfernung von maximal 5 Zentimetern gefeuert."

 

Was geschah daraufhin ?

 

Großer Medienaufruhr. Der Generalbundesanwalt von Stahl erklärt, Birgit Hogefeld hätte das Feuer eröffnet und leitete mit dieser ersten Lüge eine Kette von weiteren Lügen ein. Dies kostete ihm seinen Stuhl. Innenminister Seiters tritt zurück und erklärt, er übernehme damit die politische Verantwortung. Die GSG-9 gerät unter öffentlichen Beschuß, ihre Auflösung wird in den Medien diskutiert. Die gezielte Ermordung eines Staatsgegners erinnert so manchen Journalisten und Politiker an die faschistischen Methoden der Gestapo im Nationalsozialismus. Das Bild des demokratischen Staates gerät ins Wanken.

In dieser Situation stattet Kanzler Kohl der angeschlagenen GSG-9 einen offiziellen Besuch ab und erklärt, daß die Existenz der GSG-9 für den Schutz der Republik "notwendiger sei denn je" und erklärte außerdem, daß die Medien aufhören sollen, einen "Mörder als Martyrer" darzustellen. Alles, was daraufhin folgt, dient einzig und allein dem staatlichen Ziel, die Widersprüche, die an der Verhaftungsaktion in Bad Kleinen in breiten Teilen der Gesellschaft aufgebrochen sind, zuzukleistern. Oder wie der CDU-Politiker Gerster daraufhin im Bundestag dazu sagte: "Es ist keine Frage, daß durch die Vorgänge in Bad Kleinen, die danach folgende Sprachverwirrung (was für ein Wort !) und die bis heute nicht mögliche vollständige Aufklärung vor Ort Polizei und Justiz - und ich sage bewußt: damit unser ganzes Gemeinwesen - an Ansehen verloren, ja ein Stück Schaden genommen haben. Ziel jeden Handelns muß es sein, diesen Schaden so schnell wie möglich zu begrenzen und zu mindern. Denn, wenn wir diesen Schaden nicht begrenzen, dienen wir letzten Endes den Terroristen, die den Staat, die Behörden als Unterdrückerstaat diffamieren, die den demokratisch gewählten Politikern Vertuschung vorwerfen..." Damit war die Linie klar - jeder und jede, die sich für die Aufklärung dieser Geheimdienstaktion einsetzte, sollte auf der Hut sein, will er/sie nicht mit den Folgen der Repression konfrontiert werden.

Und so wurde nach und nach demontiert. Der Spiegel-Zeuge, der ebenfalls ausgesagt hatte, daß Wolfgang Grams hingerichtet wurde, zog seine Stellungnahme zurück. Die Zeuginnenaussage der Kioskverkäuferin wurde für unglaubwürdig erklärt. Der neue Innenminister Kanther sorgte für die öffentliche Durchsetzung der Selbstmordversion. Als das immer noch kein Mensch glauben wollte, wurden eilig noch ein paar Gutachten hinterhergeschoben.

In dem allgemeinen Rummel um Wolfgang Grams wurde der tote GSG-9-Mann Newrzella in größter Eile beerdigt und damit auch die Widersprüchlichkeiten bezüglich seines Todes. Wolfgang Grams soll ihn erschossen haben - was im Nachhinein auch seinen eigenen Tod moralisch legitimieren sollte. Jedoch sprechen mehrere Indizien gegen diese Version. Newrzella, der hinter Wolfgang Grams hochgestürmt war, war von einem Schuß seitlich in die Beine und einem vorne in die Brust getroffen worden - Zielregionen, auf die Scharfschützen trainiert werden. Wolfgang Grams kann den tödlichen Schuß in die Brust nicht abgegeben haben, da er seitlich der Treppe an der Bahnsteigkante zu schießen begann. Ungereimtheiten bezüglich der Anwesenheit von Beamten in den Wohnungen über dem Bahnhofsgebäude bestätigen den Verdacht, daß von dort aus ebenfalls geschossen wurde. Wie in so vielen anderen Punkten spielten diese Indizien in den Ermittlungen keine Rolle. Die Verfahren gegen die beteiligten GSG-9-Männer wurden alle eingestellt - mangels Tatverdacht, wie das OLG Rostock sehr "glaubwürdig" begründete.

 

Im Herbst 1994 wurde der Prozeß gegen Birgit Hogefeld eröffnet. Seit 7 Jahren hatte es keine Festnahmen von RAF-Aktivisten gegeben. Dies setzte Staat und Justiz unter starken Durck: Zwar war Birgit Hogefeld schon seit fast 10 Jahren auf der Fahndungsliste, doch gab es keine konkreten Tatvorwürfe gegen sie. Nun wurde ihr in einer abstrusen Anklage unter anderem Mord und sechsfacher Mordversuch an der GSG-9 vorgeworfen, obwohl sie die einzige war, die keinen einzigen Schuß abgegeben hat. Diese Anklage beruhte lediglich auf einer angeblichen Absprache innerhalb der RAF, in Festnahmesituationen von der Schußwaffe Gebrauch zu machen. Die Anklage behauptet, Wolfgang Grams habe den GSG-9 Mann Nerzella getötet und somit sei Birgit Hogefeld mitschuldig. Dazu wird die Prozeß-Informationsgruppe aus Wiesbaden sogleich noch ausführlicher berichten. Solidarität mit Birgit Hogefeld!

 

Klaus Steinmetz hatte seit Mitte der 80-er Jahre verschiedene linke Zusammenhänge im Rhein-Main-Gebiet ausspioniert. Er teilte sein Wissen und Informationen dem Verfassungsschutz mit, dessen Interesse an den Gruppen, die der Politik der RAF nahestanden, besonders groß war. Seine Spitzelarbeit fand hier vor drei Jahren ihr schreckliches Ende. Doch die Aussagen, die er seither über verschiedene Leute aus diesen Zusammenhängen gemacht hatte, führten zu mehreren Hausdurchsuchungen, Vorladungen, Festnahmen und bis zu einem halben Jahr Beugehaft für 4 Leute. Wann diese Ernte erschöpft ist, ist zur Zeit nicht absehbar. So sind bis heute noch verschiedene Leute von Vorladungen im Zusammenhang mit Steinmetz betroffen, denen bei Nichterscheinen ebenfalls Beugehaft droht. Wir fordern die sofortige Einstellung dieser Maßnahmen.

 

Wir wollen mit dieser Kundgebung aber nicht nur Wolfgang Grams gedenken und die damalige Vertuschungspolitik der BRD in Erinnerung rufen. Denn die direkten, jetzt aktuellen Folgen aus Bad Kleinen wie der Prozeß gegen Birigt Hogefeld und die Anstrengung von Grams Eltern, die Wahrheit ans Licht zu bringen, bedürfen ebenfalls unserer Aufmerksamkeit und solidarischen Unterstützung.

Birgit Hogefeld wird seit Herbst 1994 in Frankfurt der Prozeß gemacht. Sie sieht sich neben anderen Anklagepunkten dem abstrusen Vorwurf gegenüber, einen Mord und sechsfachen Mordversuch zu verantworten zu haben, obwohl sie nachweislich nicht geschossen hat. Die Anklage beruht auf einer angeblichen Absprache innerhalb der RAF, in Festnahmesituationen von der Schußwaffe Gebrauch zu machen, und auf der Annahme, daß der GSG-9-Beamte Newrzella von Wolfgang Grams erschosen wurde, wodurch Birgit Hogefeld eine Mitverantwortung an Newrzellas Tod angelastet wird. Ebenso wird ihr eine Beteiligung am Anschlag auf die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt vorgeworfen. Ein Beamter des BKA, Dirk Lang, desen Aufgabe es seinerzeit war, Schriftstücke aus Birgit Hogefelds Rucksack auszuwerten, entlastete durch seine Aussagen im Prozeß am 14.05. Birgit Hogefeld in diesen beiden Punkten. Zudem bestätigte er vor Gericht, daß in den Untersuchungsakten von ihm selbst und von Kollegen erstellte entlastende Papiere fehlten. Lang ist bereits vom Dienst suspendiert worden. Gerade auch in dieser brisanten Phase des Prozesses dürfen wir Birgit Hogefeld nicht alleine stehen lassen.

 

Die Eltern von Wolfgang Grams bemühen sich seit Jahren, endlich Aufklärung über die tatsächlichen Ereignisse und damit über die wirkliche Todesursache ihres Sohnes zu erhalten. Sie hatten sehr schnell ein zusätzliches Gutachten erstellen lasen das die staatliche Version zutiefst in Frage stellt. Sie geben nicht auf, obwohl sie vor deutschen Gerichten bisher vollständig gescheitert sind und obwohl ihre Anwälte in ihrer Arbeit aufs äußerste behindert werden (Im November letzten Jahres war aufgeflogen, daß die Rechtsanwaltskanzlei überwacht worden war, am 14. Mai dieses Jahres wurden die Wohnung einer Mitarbeiterin und ebenfalls die Kanzlei durchsucht. Gegen die Mitarbeiterin läuft ein Ermittlungsverfahren nach [[section]] 129a. Ihr wird vorgeworfen, Nahtstellenperson zur RAF zu sein.) Die Eltern wollen nun vor den europäischen Gerichtshof ziehen. Daß sie nicht bereit sind, sich von der staatlichen Sturheit und Abwiegelungstaktik zum Schweigen und zum Resignieren bringen zu lassen und weiterhin die Wahrheit einfordern, verdient unsere Anerkennung und tatkräftige Unterstützung.

Der Staat kann bereits sehr weit gehen, wenn er seine Wahrheitsversionen durchdrücken will. Er läßt Beweismaterial verschwinden, vernichtet Spuren und verdreht Aussagen von Zeugen und Zeuginnen. Wir werden das nicht hinnehmen, sondern immer wieder den Finger auf Widersprüche und Ungereimtheiten legen und denjenigen, die im Fadenkreuz des Staates stehen, durch unsere Solidarität den Rücken stärken.

 

Redebeitag einer Prozeßbeobachterin

 

Vor drei Jahren fand hier ein spektakulärer Polizeieinsatz statt, bei dem Wolfgang Grams erschossen und Birgit Hogefeld verhaftet wurde. Ein eingesetzter GSG-9-Beamter wurde tödlich getroffen, der V-Mann Steinmetz verbrannte, wie das in diesem Jargon heißt.

In der Folge war regierungsamtlich von Desaster, Pannen usw. die Rede, Innenminister Seiters trat zurück, im BKA wurden führende Beamte versetzt, der Rechtsaußen Bundesanwalt von Stahl wurde ausgetauscht.

Und das alles, weil - wie die Bundesregierung behauptet - ein schwerverletztes Raf-Mitglied Selbstmord begangen haben soll? - Und weil er bei dem Schußwechsel zuvor den GSG-9-Polizisten Newrzella erschossen haben soll??

So steht es auch in der Anklageschrift gegen Birgit Hogefeld, die im Zusammenhang mit Bad Kleinen wegen Mord und mehrfachem Mordversuch verurteilt werden soll.

Zum Zeitpunkt der Festnahme von Birgit Hogefeld lautete der Haftbefehl gegen sie lediglich auf Mitgliedschaft in der Raf und Beteiligung an dem versuchten Anschlag auf den früheren Finanzstaatssekretär Tietmeyer.

Ende 1993 beantragte die Bundesanwaltschaft die Erweiterung des Haftbefehls wegen Mord und sechsfachem Mordversuch in Bad Kleinen und wegen der Weiterstadt-Aktion.

Kurze Zeit darauf trat der Verfassungsschutz über einen Mittelsmann an Birgits Verteidigung heran. Ihr wurde unterbreitet, daß, wenn sie Aussagen mache, die zur Verhaftung von Raf-Mitgliedern führen

1. Der Mordvorwurf wegen Bad Kleinen fallen gelassen werde und

2. Sie die Zusicherung erhielte, daß in diesem Falle bei einer Verhaftung niemand erschossen werden würde.

Das Kronzeugenangebot - das die Bundesanwaltschaft Birgit schon in der Nacht ihrer Festnahme unterbreitete - ist an sich schon skandalös, aber die Androhung weiterer Erschießungen à la Bad Kleinen, was ja der Umkehrschluß dieser Zusicherung ist, ist eine Ungeheuerlichkeit.

Birgit hat derartige Gespräche abgelehnt und bekam dann im März 1994 in der Anklageschrift einen weiteren Anklagepunkt serviert: nämlich die Beteiligung an der Aktion gegen die US-Airbase Frankfurt 1985 und an der damit zusammenhängenden Erschießung des US-Soldaten Pimental. Zu diesem Zeitpunkt - also neun Jahre nach der Aktion - taucht Birgit erstmals als Beschuldigte auf; dementsprechend wurden alte Gutachten neu geschrieben, die Zeugen erneut vernommen, ein manipulativer Videofilm erstellt und den Zeugen zwecks Wiedererkennung vorgeführt usw..

Der Prozeß gegen Birgit begann im November 1994. Zu den Anklagepunkten Tietmeyer und Airbase existierten zunächst nur BKA-Schriftgutachten, die sich auf jeweils eine Unterschrift unter einen Miet- bzw. Kaufvertrag für Autos bezogen. Diese Gutachten sind nach Birgits Verhaftung auf sie zugespitzt neu geschrieben worden. Diese Gutachten wurden durch Verlesung eingeführt, die Gutachterinnen wurden nicht geladen. Beweisanträge der Verteidigung zur Ladung der Gutachterinnen wurden abgelehnt.

So konnte die Prozeßöffentlichkeit der Verlesung von X Gutachten beiwohnen - zu jeder Unterschrift hatten die beiden BKA-Schriftgutachterinnen gleich mehrere produziert. Geladen wurden sie jedoch zu keinem.

Von den Zeugen und Zeuginnen, die im Rahmen der Ermittlungen zu diesen beiden Anklagepunkten vernommen wurden - also Autoverkäufer, -vermieter, die Soldaten, die mit Pimental in der Diskothek waren - hatte ursprünglich keine und keiner bei Lichtbildvorlagen Ähnlichkeiten mit Birgit festgestellt. Dem sollte mit einem Videofilm Abhilfe geschaffen werden. Birgit wurde beim Hofgang in Bielefeld heimlich gefilmt. Die Aufnahme wurde in fünf Sequenzen zerschnitten, wo dann jeweils noch vier weitere Frauen zu sehen sind, die versuchen, Birgits Bewegungen zu imitieren. Von diesen vier Frauen haben drei hellblonde lange Haare, alle vier haben einen kräftigen Körperbau. Allein anhand der Imitationsversuche ergibt sich mit einer Sicherheit von fast 50 %, daß diese Filmvorführung zu einem Ausdeuten von Birgit führt, da sie sich als einzige original bewegt. Dies hat Prof. Stadler, Leiter eines Instituts an der Uni Bremen, das sich mit Psychologie und Wahrnehmungsforschung befaßt, nachgewiesen. Hinzu kommt, daß alle Zeugen aus der Diskothek die fragliche Frau als schlank, kurz- und dunkelhaarig beschrieben. Und diese Beschreibung paßt in dem Film eben nur auf Birgit, lediglich eine der Vergleichspersonen hat rotbraune kurze Haare. So stellten dann von den US-Soldaten einige nach zehn Jahren folgerichtig fest, daß Birgit und die andere kurzhaarige Frau Ähnlichkeit mit der Frau von damals haben.

Aber einer ist sich auch sicher, in Birgit die Frau von damals wiederzuerkennen - ausgerechnet er hatte 1985 gesagt, er könne die Frau nicht so genau beschreiben, da er kurzsichtig sei und an dem fraglichen Abend seine Brille nicht dabei hatte...

Diese GI's wurden in der Verhandlung vom Gericht nach Details wie Augenfarbe etc. befragt, sagten sie was zur Anklageschrift passendes, machte Richter Klein ein Häkchen, paßte es nicht, wurde so lange nach Lichtverhältnissen und Abständen gefragt, bis irgendwie doch noch ein Häkchen rauskam.

Die Bundesanwaltschaft fragt meist wenig, wenn das Gericht seine Häkchen zusammen hat. Ist dann die Verteidigung mit der Befragung dran, läßt schon die Haltung einzelner Richter demonstratives Desinteresse erkennen. Es sieht dann wirklich so aus, als würden sie schlafen.

Diese offen zur Schau gestellte Ignoranz zeigt sich auch darin, daß durchgängig die Verfahrensakten - jedenfalls die, die die Verteidigung bekommt - unvollständig sind. Da fehlen Vernehmungsprotokolle, Lichtbilder sind angeblich verschwunden, oder ganze Vorgänge werden von der Bundesanwaltschaft mit Billigung des Gerichts als nicht zum Verfahren gehörig definiert.

Allein zu Weiterstadt - was ja ein Anklagepunkt gegen Birgit ist - existieren fünf weitere Aktensammlungen. Das heißt, da wird immer noch ermittelt, Zeugen befragt, Untersuchungen angestellt, jedem Fusel nachgerannt. Insofern der Fusel rot ist, findet durchaus eine Aktennachlieferung statt - die Logik ist einfach: Birgit hatte bei ihrer Festnahme eine rote Strickjacke dabei, deswegen sind 1995 aufgefundene rote Fuseln eben dann doch verfahrensrelevant. Da werden dann Gutachten nachgereicht und sogar ein BKA-Beamter geladen, der berichtet, wie er im Weiterstadt-Auto die rote Faserspur fand. Eine Spur, die identisch von jedem industriell gefertigten roten Wollprodukt erzeugt wird, so eben auch, wie das gewichtige BKA-Gutachten besagt, von der Strickjacke, die Birgit dabei hatte. Diese Faserspur, nach der zwei Jahre gefahndet wurde, ist die einzige Grundlage für eine Verurteilung von Birgit wegen der Weiterstadt-Aktion, die Zeugenvernehmungen haben trotz parallel laufender Suggestionsversuche mit einem Stimmvergleichsband, das ähnlich wie der Videofilm aufgebaut ist, nichts für eine Verurteilung Verwertbares ergeben.

 

Nach anderthalb Jahren Beweisaufnahme gibt es also:

einen kurzsichtigen Augenzeugen für den Anklagepunkt Pimental, eine rote Faserspur zu Weiterstadt und zu Tietmeyer eine Augenzeugin, die Birgit an O-Beinen erkannt haben will. Diese Zeugin hat, nachdem sie in ihren ersten Vernehmungen 1988 eine andere Frau als Automieterin beschrieben hatte, in der Zeitung gelesen, daß laut BKA Birgit Hogefeld die Automieterin sei. Da wußte sie dann nach Bad Kleinen, wen sie erkennen soll. Ihre Mutter, deren Beschreibung der fraglichen Frau auch bei der Befragung im Prozeß überhaupt nicht auf Birgit paßte, begann ihren Bericht mit dem Satz: "Also, da kam die Frau Hogefeld...".

Dazu, daß die Frau, die sie 1988 gesehen hat, blaue Augen und einen hellen Teint hatte, erklärte sie mit Blick auf die Angeklagte, daß sie ja blaue Haftschalen getragen haben könnte.

Wer nun meint, sowas wäre dem Gericht und der Bundesanwaltschaft als Beweisführung vielleicht doch zu peinlich - nein, denen ist nichts peinlich.

 

 

Die Beweisaufnahme zu Bad Kleinen wäre, wenn es nach Gericht und Bundesanwaltschaft gegangen wäre, bereits im Frühjahr abgeschlossen gewesen. Von den 142 Zeugen und Zeuginnen, die zu den Vorgängen auf dem Bahnhof von Bad Kleinen etwas ausgesagt haben, wollte das Gericht nur zwei hören: Den GSG-9-Beamten Nr. 4 und den Lokomotivführer Tannert. GSG-9-Nr.4 sollte nur dazu aussagen, wie er Birgit festgenommen hat. Alle weiteren Fragen sind vom Gericht abgeblockt worden. Dabei ist aus den widersprüchlichen Aussagen der GSG-9-Beamten nicht einmal klar, ob GSG-9-Nr.4 überhaupt derjenige war, der Birgit festgenommen hat. Der Zeuge, der vor Gericht maskiert und verkleidet erschien, mußte nicht erklären, wie er in drei Sekunden von Bahnsteig 3 / 4 die Treppe runter kam und wie das auch noch unauffällig geschehen sein soll. Und alles, was auf Bahnsteig 3 / 4 sich abspielte, war von seiner Aussagegenehmigung nicht gedeckt. Laut offizieller Version war auf Bahnsteig 3 / 4 nur er, er soll dann aufgrund einer völlig unglaubwürdigen Funkpanne den Bahnsteig verlassen haben. Daß laut AugenzeugInnen mindestens zwei bewaffnete und mit Funkgeräten ausgestattete Männer herumliefen und was deren Auftrag war, ist in Frankfurt nicht Thema.

Hier ist Birgit wegen Mordes angeklagt, obwohl sie die einzige ist, die in Bad Kleinen nachweislich nicht geschossen hat; daß sie dort festgenommen wurde, soll ausreichen. Dafür, daß Wolfgang Grams den Polizisten Newrzella erschossen hat, gibt es keinen Augenzeugen. GSG-9-Beamte gaben an, daß Wolfgang Grams auf dem Bahnsteig nicht in ihre Richtung, sondern nach links unten geschossen hat, was sie als verwirrt und unkoordiniert deuteten. Der Lokomotivführer Tannert gab an, daß er Schüsse und Gebrüll hörte, bevor er Wolfgang Grams mit einer Schußwaffe sah. Er, sowie weitere Augenzeugen, haben ausgesagt, daß die erste auf dem Bahnsteig auftauchende Person (Wolfgang Grams) erst auf dem Bahnsteig eine Waffe gezogen hat. Das heißt, daß nicht Wolfgang Grams das Feuer eröffnete, sondern seine Verfolger und daß er auch nicht in den Treppenschacht auf seine Verfolger geschossen hat. Auch die zu seiner Waffe gehörigen Hülsen, die sich ausnahmslos im Gleisbett fanden, sprechen dafür, daß er erst von dem Standort zwischen Gleis und Treppengeländer geschossen hat.

Es spricht vieles dafür, daß der tödliche Schuß auf Newrzella nicht von Wolfgang Grams kam, sondern daß Newrzella versehentlich von seinen eigenen Leuten erschossen wurde. Das würde auch erklären, warum er so schnell beerdigt wurde und warum es bezüglich der ihm entnommenen Projektile "Dokumentationslücken" gibt. Die bis heute in den Gerichtssaal in Frankfurt verlängerte Vertuschungspraxis betrifft an vielen Punkten auch die Frage, wie Newrzella ums Leben kam. So zum Beispiel, daß auf keinen Fall zur Sprache kommen soll, wieviele und welche Waffen und Munitionstypen in Bad Kleinen eingesetzt wurden, wo außer in der Unterführung noch Polizisten postiert waren und was diese taten und sahen. Daß die tödliche Schußverletzung des Newrzella von oben nach unten verläuft, läßt den Schluß zu, daß von oben geschossen wurde. Dies ist jedenfalls einleuchtender als die Version, der Beamte habe mit weit nach vorne gebeugtem Oberkörper nach dem schießenden Wolfgang Grams greifen wollen, von dem er dazu noch einige Meter weg war. Die andere Version, Wolfgang Grams habe treppabwärts auf Newrzella geschossen, ist nicht nur durch sämtliche Zeugenaussagen widerlegt, sondern schon dadurch, daß auf der Treppe keine Blutspuren waren und daß die schwere Verletzung des Newrzella nicht mehr zugelassen hätte, daß er noch die Treppe hoch bis auf den Bahnsteig läuft, um dort zusammenzubrechen. Auch bleibt festzuhalten, daß der Schuß in Newrzellas Brust starke innere Verletzungen verursachte, wie sie durch die von der GSG-9 eingesetzte "Action-Munition" entstehen. Solche Art Munition - sog. DumDum-Geschosse - ist übrigens in Kriegshandlungen geächtet.

Ferner sind in Newrzellas Körper noch Geschoßsplitter aufgefunden worden, denen bei den Untersuchungen keine weitere Aufmerksamkeit gewidmet wurde.

Außerdem wird ja behauptet, alle Schußverletzungen, die Newrzella erlitt, seien von Wolfgang Grams verursacht. Es ist aber so, daß er dreimal aus verschiedenen Richtungen, Höhen und Winkeln getroffen wurde. Also wenn, wie behauptet, Wolfgang Grams von vorne auf ihn geschossen hat, wie kann er ihn dann auch noch von der Seite in die Beine und am Gesäß getroffen haben? Und gleichzeitig soll er auch GSG-9-Nr.5 dreimal getroffen und sich anschließend selbst in den Kopf geschossen haben - und das alles in 8-10 Sekunden, solange dauerte der Schußwechsel nach offiziellen Angaben.

 

Daß das alles so nicht gewesen sein kann, ist in Frankfurt "nicht verfahrensrelevant". Für Gericht und Bundesanwaltschaft ist die offizielle Version die gültige, ganz so, wie es Kanther angeordnet hat. In der Anklageschrift steht: "Wolfgang Grams erschoß in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit der Angeschuldigten vorsätzlich den Kriminalkommissar Michael Newrzella und versuchte, weitere sechs GSG-9-Beamte zu töten. Für dieses Tatgeschehen ist die Angeschuldigte Hogefeld als Mittäterin verantwortlich". Weiter behauptet die Bundesanwaltschaft, in der Raf hätte es eine Absprache gegeben, in einer Festnahmesituation "den Fluchtweg (...) durch die Tötung von Polizeibeamten freizuschießen", so die Anklageschrift.

Birgit hat mehrmals gesagt, daß es eine solche Absprache nicht gegeben hat. Darüber hinaus erklärte die Raf 1992

"Wir haben uns entschieden, daß wir von uns aus die Eskalation zurücknehmen. Das heißt, wir werden Angriffe auf führenden Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat... einstellen". Diese eindeutige Aussage dazu, den bewaffneten Kampf in der bisherigen Form nicht mehr weiterzuführen, wurde durch die Ausführung der Weiterstadtaktion und in der Erklärung dazu bestätigt. Aber für die Staatsschutzrichter in Frankfurt steht fest, die Raf ist eine "Vereinigung, deren Zweck und deren Tätigkeit darauf gerichtet ist, Mord oder Totschlag, Straftaten gegen die persönliche Freiheit (...) und gemeingefährliche Straftaten (...) zu begehen". In dieser, von Staatsschutzurteilen seit den 70er Jahren so definierten Vereinigung würde sich Birgit bis heute betätigen, in ihren Prozeßerklärungen würde sie den bewaffneten Kampf propagieren. Das ist die Begründung, warum kein Journalist eine Interviewerlaubnis bekommt und so wird es wahrscheinlich auch in der Urteilsbegründung stehen.

Es hat lange Tradition, daß Angeklagte, die der Raf zugerechnet werden, von Seiten der Justiz stereotyp verurteilt werden: Lebenslänglich. Nicht erst seit der sogenannten Deeskalationserklärung der Raf von April 1992 ist es aber an der Zeit, daß der Automatismus "lebenslänglich für Raf-Gefangene" durchbrochen wird.

 

Was Bad Kleinen betrifft, wird die Öffentlichkeit mit immer absurderen Definitionen dessen, was dort passiert sein soll, gefüttert, Es scheint dabei aber nicht mehr darum zu gehen, ob das noch jemand glaubt.

In Frankfurt ließ die Bundesanwaltschaft dazu, daß Birgit in Bad Kleinen ihre Waffe nicht gezogen hat, verlauten, in ihrer Situation eine Waffe zu ziehen, das wäre Selbstmord gewesen. Das ist ihre Definition von Selbstmord.

Dadurch, daß Birgit wegen Bad Kleinen angeklagt ist, ist der Prozeß gegen sie die wahrscheinlich letzte Möglichkeit, Bad Kleinen öffentlich zu thematisieren.

Es ist aber bislang kaum gelungen, das Definitionsmonopol der Bundesanwaltschaft und ihres Anhangs zu durchbrechen.

 

Das liegt sicherlich auch daran, daß "wir" zu wenig diskutieren. Durch die Erklärungen der Raf seit 1992 und auch in Birgits Prozeßerklärungen, aber doch auch durch Entwicklungen in dieser Gesellschaft sind Fragen aufgeworfen, auf die es keine schnell aus der Hüfte geschossenen Antworten gibt. Ich werde hier jetzt meinen Beitrag nicht mit einer Parole beenden, die sich mehr oder weniger mühelos in die Tagesordnung einsortieren läßt - Geht nicht zur Tagesordnung über. Laßt uns die Fragen formulieren, die uns am meisten bedrängen!

 


 

Brief von Birgit Hogefeld zur Reportage in HR III zum Preungesheimer Knast

 

10.06.1996

Sehr geehrte Frau Scherenberg,

sehr geehrter Herr Stier,

 

vor kurzem haben Monika Haas und ich Ihre Reportage in Hessen III über den hiesigen Knast gesehen.

Wir finden, sie hebt sich von vielen anderen Berichten zum selben Thema positiv ab, denn es geht Ihnen ganz offensichtlich darum, die Problematik dieser schwierigen Lebenssituation einfühlsam nachzuzeichnen.

 

Gerade vor diesem Hintergrund möchte ich Ihnen einige unserer Überlegungen und Anmerkungen dazu schreiben, denn trotz Ihrer Bemühungen halte ich Ihre Reportage aus verschiedensten Gründen in weiten Teilen nicht für repräsentativ für die Realität hier. Wer sich Ihren Bericht anschaut, bekommt leicht eine falsche Vorstellung, denn der Preungesheimer Frauenknast wirkt darin wie ein Modell-Projekt, dessen Schwerpunkt daruaf liegt, gefangene Frauen auf ein eigenverantwortliches Leben außerhalb der Mauern vorzubereiten.

Dieses - wie ich meine - Trugbild kommt wohl in erster Linie dadurch zustande, daß der Eindruck vermittelt wird, dieses "Wohngruppen-Modell" (E-Haus) spiegele die hiesige Realität wider.

 

In diesem "Vorzeigemodell" (ich will hier nicht in eine Diskussion über dessen Vor- und Nachteile einsteigen, auch weil ich darüber zu wenig weiß) sind maximal 16 der erwachsenen Frauen integriert. Dagegen sind wir anderen, die in diesen beiden alten Flügeln, die Sie ja auch kennen, gefangen gehalten werden, ca 180 Frauen, und unsere - also die Regelbedingungen - sind sehr rigide und auch aus architektonischen und Platzgründen stark begrenzt.

Schon der äußere Rahmen unserer Alltagswirklichkeit hat nichts zu tun mit den großen sonnendurchfluteten Räumen aus Ihrem Bericht; wenn wir aus dem Fenster schauen wollen, müssen wir auf Schränke oder Stuhllehnen steigen, denn es gibt hier überall diese Zellenfenster knapp unter der Decke. Und unsere Küche ist eine alte Zelle, also 8 m2 klein und das für 25 Frauen und nicht für 8 wie in diesem Modellprojekt, und so ist es angesichts der unsinnigen "Einschlußzeiten", die unseren Tagesablauf entscheidend prägen, nicht möglich, uns selbst zu versorgen.

 

Unser Leben hier wird bestimmt vom Geist der "schwarzen Pädagogik" vergangener Zeiten, als man(n) noch wußte, wie mit "bösen Mädchen" umzugehen ist. Unser Alltag unterliegt in weiten Teilen der Willkür und den Launen von Schließerinnen und Schließern, von denen eine nicht geringe Zahl die Macht gegenüber uns als Kompensation für die eigene Kleinheit im zivilen Leben zu brauchen scheint.

Primat des hiesigen Strafvollzugs ist Entmündigung und Anpassung bzw. Unterwerfung und das Interesse der Anstaltsleitung ist in allererster Linie auf den reibungslosen Ablauf des Wegsperrens gerichtet.

 

Ich finde es sehr schwierig, das was das Leben hier ausmacht, für Menschen, die das alles nicht aus eigener Erfahrung kennen, nachvollziehbar zu beschreiben. Hier gibt es in der Regel nicht d i e große Schweinerei oder Brutalität, das was uns entgegenschlägt und das Leben hier zusätzlich erschwert, ist vor allem Ignoranz und Mißachtung in einer sowieso schon komplizierten Situation.

Da ging es letztes Jahr beispielsweise monatelang Tag für Tag darum, gegenüber einem Teil der SchließerInnen durchzusetzen, daß sie anzuklopfen haben, bevor sie in die Zellen kommen. Nicht einmal der Respekt vor den letzten 8 m2 Privatsphäre, die in unserem Leben übriggeblieben sind, ist hier selbstverständlich - in anderen Knästen sind solche Dinge längst Regel.

 

Aber mehr noch ist es die Summe der vielen "Kleinigkeiten", diese permanente Entmündigung, oft Dinge, die man im "normalen" Leben achselzuckend wegstecken würde, oder belächeln oder was auch immer, die jedenfalls nie ein solches Gewicht bekommen würden, wie in diesem enteigneten Knastalltag.

 

- der Schließer, der um 20:10 "Einschluß" machen und uns die Nachrichten nicht zuende sehen lassen will: "weil ich bestimme, wieviel Uhr es ist und ich sage, es ist jetzt 20:15" - eine Lachnummer, aber eben nicht nur, denn er hat die Macht, das durchzusetzen.

 

- oder: "heute sind keine zwei Stunden Hofgang, obwohl Wochenende ist ... nein, das Wetter ist schlecht und ich bestimme, ob es schlecht ist oder nicht" - es war ein warmer und trockener Tag und die Sonne schien.

 

- oder: "stimmt, Sie haben ein Anrecht auf die Aushändigung Ihrer Tageszeitung, aber wo steht, daß ich sie Ihnen nicht drei oder fünf Tage später geben darf?"

 

- oder: "Frau X, wenn Sie weiterhin so frech sind, nehme ich Ihnen nachher im Hof den Volleyball ab" - das kann er machen, wenn er will und ihm danach ist.

 

Und solche Begebenheiten, nicht einmal, sondern x-mal, Tag für Tag - Jahr für Jahr: DAS IST KNAST-WIRKLICHKEIT.

 

Von dieser Seite des Knastalltags haben Sie vermutlich nichts oder nur wenig mitbekommen. Das ist nicht Ihre Schuld, denn natürlich überlegt sich die Anstaltsleitung, wie sie ihren Knast für die Öffentlichkeit in ein positives Licht rücken kann.

So können Sie dann beispielsweise nur mit ausgesuchten Gefangenen reden bzw. eben mit bestimmten anderen nicht, nämlich mit denen, die sich trauen würden, offen über die Situation hier zu reden. Die die offen reden sind sehr wenige und das hat durchaus nachvollziehbare Gründe darin, daß hier jede, aber auch jede Lockerung oder Erleichterung der puren Willkür des Personals bzw. der Knastleitung unterliegt, denn es gibt keine festgelegten Regelungen. Wenn ich beispielsweise Ihre Reportage anschaue, dann weiß ich bei einigen Frauen ganz genau, daß sie darin nicht sagen, was sie denken, weil in nächster Zeit die Entscheidung über Straflockerungen, Ausgang oder ähnliches ansteht und sie mit dem Beitrag in Ihrem Bericht dafür Punkte sammeln wollen (und auch müssen).

Eine völlig verlogene und entwürdigende Angelegenheit, die sehr vielen bewußt ist, für die es aber durch die bereits erwähnten Grundstrukturen innerhalb dieser Ordnung keine Lösungen gibt. Und so kommen dann in solchen Reportagen Sätze von "im Knast neu eröffneten Lebensperspektiven" zustande und wenn man hier mit denselben Frauen redet, hört sich das völlig anders an.

 

Wenn Sie in den Tagen, als Ihr Bericht im Fernsehen lief, jemanden auf meiner Station nach unserem Leben hier gefragt hätten, hätte Ihnen wohl jede Frau die Geschichte von Mek und Pia erzählt. Beide sind spanisch-sprechende Frauen und können kein Deutsch, eine kommt aus sehr armen Verhältnissen in Kolumbien, die andere aus Spanien. Vor etwa zwei Monaten, in der Zeit, als beide kurz vor dem Gerichtstermin standen und die Nerven noch blanker lagen als sowieso schon, waren sie eines morgens in der Küche aneinandergeraten und haben sich geschlagen. Daraufhin wurde jede bis zum übernächsten Tag allein in ihrer Zelle eingeschlossen, beide haben seitdem ihre Arbeit verloren und kriegen für 3 Monate keine neue, dh sie haben kein Geld für Tabak oder Kaffee oder Obst oder was weiß ich was - nix eben. Vor allem Pia ging es immer schlechter, sie hat in letzter Zeit oft auch tagsüber geweint. Keine Arbeit heißt ja hier auch nicht nur kein Geld, keine Arbeit heißt auch: viele Stunden täglich allein in der Zelle eingeschlossen zu sein, nämlich die Stunden, in denen sie sonst gearbeitet hat. Für viele Frauen, auch für Pia, ist das unerträglich.

Etwa 10 Wochen nach dem Vorfall in der Küche heißt es eines freitags, daß beide als Disziplinarstrafe bis zum Montag "Einschluß" haben - das hatte also der Knast mal wieder (wir hier sind U-Gefangene) beim Gericht beantragt.

Mek und Pia sind beide fassungslos, als ihnen diese Strafe "eröffnet" wird - an die Schlägerei in der Küche kann sich schon längst niemand mehr richtig erinnern, das ist Schnee von vorgestern.

Mek tritt gegen eine Zellentür und brüllt rum, weil's einfach zu viel wird, weil schon das "Normalmaß" dieses stumpfsinnigen und entmündigenden Alltags an die Grenze des Erträglichen stößt.

Beide werden in ihren Zellen eingeschlossen.

Plötzlich Gerenne und Geschrei. Pia hat die Scheibe des Zellenfensters kaputtgehauen und sich mit einer Scherbe das Handgelenk tief aufgeschnitten. Sie wird sofort in ein Krankenhaus nach draußen gefahren, denn sie blutet sehr stark. Stunden später wird sie von Schließern zurückgebracht, sie kommen mit ihr die Treppe hoch. Pias Gesicht ist blaß, sie hat viel geweint, der Arm ist verbunden - die Wunde war im Krankenhaus genäht worden.

Die Schließer bringen Pia zu ihrer Zelle (das zerschlagene Fenster hatten sie zwischenzeitlich mit Folie zugeklebt) und schließen sie dort ein.

EINSCHLUSS BIS MONTAG - der Gerichtsbeschluß, erwirkt von der JVA Preungesheim, wird vollzogen. WOZU ?

 

Pia hat sich in dieser Zeit nicht umgebracht, wegen Suizidgefahr wurde sie nachts stündlich kontrolliert, in einer dieser Nächte haben sie die Zellenbeleuchtung bei ihr überhaupt nicht ausgeschaltet. Sie hat geweint, jede Nacht, ich habs gehört, denn sie ist in der Zelle neben mir.

 

Die Grundstruktur des Vollzugssystems ist die, daß es auf jede unserer Lebensäußerungen die aus unserer schwierigen Gesamtsituation herrühren, fast ausschließlich mit struktureller Gewalt reagiert. Das ist die einzige - ohnmächtige - Antwort, die uns hier ständig entgegenschlägt.

Ich hoffe, ich habe Ihnen ein wenig von meiner oder unserer Sicht der Situation hier vermitteln können.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Birgit Hogefeld

 

 


Ein Buch zum Prozeß:

Versuche, die Geschichte der RAF zu verstehen. Das Beispiel Birgit Hogefeld

 

Der Titel verspricht mehr, als gehalten werden kann. Denn einen wirklichen Versuch, die RAF zu verstehen, unternimmt darin nur Birgit Hogefeld in ihrer hier nachgedruckten Prozeßerklärung vom 21.7.1995 (abgedruckt auch in Info 6).

 

Der Rest: ein taz-Artikel von Gerd Rosenkranz, dessen Ziel auch hier weniger ist zu verstehen als abzuwickeln; eine Einleitung und eine Nachbetrachtung zu Birgits Prozeßerklärung von Horst-Eberhard Richter; ein Prozeßbeobachtungsbericht von Hubertus Janssen; ein Redemanuskript von Carlchristian von Braunmühl.

 

Eingeleitet wird das Büchlein durch einen Nachdruck eines taz-Artikels von Gerd Rosenkranz. Der Titel "Konfrontation statt Entspannung" sagt mehr über den Autor als über den Sachverhalt aus - er hätte gerne eine entspannte Atmosphäre, um das leidige Thema endlich begraben zu können, aber nein, die Beteiligten verhalten sich wie eh und je. Wer die Bemühungen von Birgit und ihrer Verteidigung beobachten konnte, einer ritualisierten Konfrontation aus dem Weg zu gehen, muß sich fragen, wie Rosenkranz dazu kommt, quasi "rechts gleich links" zu sehen. Das läßt auch die Frage nach seinen Quellen zu, denn außer ihm, vielleicht noch der BAW und dem Senat (verurteilt wird ja nicht nach justizieller, sondern nach politischer Überzeugung, daher: "vielleicht"), kann aufgrund der sogenannten Beweisaufnahme keineR davon ausgehen, daß Birgit an der Knastsprengung in Weiterstadt beteiligt gewesen war. Daß er die in Bad Kleinen beteiligten GSG 9-Beamten in ihren Legendierungsnummern nicht unterscheiden kann und behauptet, die Nummer 6 wäre vor Gericht erschienen, beweist seine mangelnde Sachkenntnis. Es war Nummer 4, zumindest hat die verkleidete Person dies von sich behauptet.

 

Aber zum Glück gibt die Einleitung nicht den Tenor der restlichen Beiträge wieder. Hubertus Janssen macht in seinem Beitrag deutlich, daß und wie nicht nur die Wahrheitsfindung auf der Strecke bleibt, sondern daß neben politischen Gründen auch das ganz banale Gekränktsein eines völlig unsouveränen Senats zu einer vergifteten Atmosphäre führt.

 

Horst-Eberhard Richter nähert sich Birgits Prozeßerklärung (schon von Berufs wegen) aus psychologischer Sicht. Dies vermittelt durchaus Erkenntnisse, die nicht nur in Bezug auf die RAF diskutabel sein sollten, aber in einigen Scenes bestenfalls als ketzerisch, schlimmstenfalls - um die historisch passende Formulierung zu wählen - als "Counter" wahrgenommen wurden und werden. Bei Richter wie bei von Braunmühl ist sicher das Problem da, daß ihr reales Interesse an einer Auseinandersetzung mit der RAF begrenzt war und ist. Aber von "Bürgerlichen" etwas zu erwarten, was sie weder sein wollen noch zum Ausdruck bringen können, ist ja auch unsinnig. Sie gleich auf die andere Seite der Barrikade zu verfrachten, mag das eigene Weltbild konsolidieren, führt aber in der konkreten Auseinandersetzung (sofern überhaupt gewollt) zu nichts. Es verstellt jedoch den Blick für Kritikpunkte, die auch dann berechtigt sein können, wenn das Interesse der Kritiker nicht linksradikaler Wahrnehmung und Vorstellung entspricht. - Und gerade Hubertus Janssen ist ein Beispiel für einen "Bürgerlichen", der Partei ergreift.

 

Braunmühls Frage an die RAF ist ja so falsch nicht: Wer gab euch das Recht, unseren Bruder zu erschießen? Ja, wer gibt einer Linken oder Teilen von ihr das Recht, darüber zu befinden, wer Schwein ist und damit ins Weltall gehört? Einerseits gegen die Todesstrafe zu sein - konkret Mumia -, andererseits den Abgang von Herrhausen mit Sekt zu feiern; paßt das zusammen? Offensichtlich, aber genau darüber wäre auch zu diskutieren. Wer in dieser Rezension ein Plädoyer für Gewaltlosigkeit vermutet, liegt dennoch daneben. Die Frage ist ja nicht, ob gut oder böse, sondern ob berechtigt, moralisch vertretbar und dem mit Emanzipation verbundenen Ziel einer herrschaftsfreien Gesellschaft vereinbar.

 

1972 hat die RAF den Computer in Heidelberg zerstört, mit dem die Luftwaffenbombardements in Vietnam koordiniert wurden. Dabei starben 3 GIs. Die Aktion war berechtigt, moralisch vertretbar und unterstützte die Bemühungen der meisten VietnamesInnen, die US-Armee aus Vietnam zu vertreiben. 1985 tötete die RAF einen GI, nur um an seinen Ausweis zu gelangen. Den Weg zu verstehen, warum das militärische Moment das politische überwog, überwiegen konnte, vielleicht aus historischer Sicht auch mußte, dazu können auch die mitunter psychologisierend wirkenden Gedanken Richters beitragen. Es muß ihm ja keineR in seinen Schlüssen daraus folgen.

 

Das Buch empfehlen? Eine schwierige Frage, zumal es ganz offensichtlich nicht für eine linksradikale Szene - sozusagen zur Selbstvergewisserung - geschrieben ist. Aber vielleicht ist das auch seine Stärke: es zwingt nicht dazu, vorbehaltslos zuzustimmen, es empört (ja, so etwas gibt es noch!) und frau/man kann sich darüber ärgern. Und es enthält Anregungen, die einer offenen und nicht nur innerlinken Diskussion durchaus förderlich sein könnten.

 

Ein Prozeßbesucher

 

 

 

Versuche, die Geschichte der RAF zu verstehen. .Das Beispiel Birgit Hogefeld. Beiträge von Carlchristian von Braunmühl, Birgit Hogefeld, Hubertus Janssen, Horst-Eberhard Richter und Gerd Rosenkranz. Psychosozial Verlag, Gießen 1996. 120 Seiten, 19,80 DM

ISBN 3-930096-87-0

Adresse: InfoAG zum Prozeß gegen B. Hogefeld, Werderstr. 8, 65195 Wiesbaden

Telefon nur: mittwochs 19- 20 Uhr und freitags 20-21 Uhr: 0611 / 44 06 64

Da manchmal Prozeßtermine ausfallen, ist es vor allem für Leute mit weiter Anreise sinnvoll, kurz vorher bei der InfoAG anzurufen.

 

Vertrieb:

Die Nr. 13 und 14 werden verbreitet über:

* Schleswig-Holstein: Rote Hilfe, Postfach 6444, 24125 Kiel, Tel. / Fax: 0431 75141

* Hamburg"Über den Tag hinaus" c/o: Schwarzmarkt, Kleiner Schäferkamp 46, 20357 Hamburg

* Berlin / Ex-DDR: Prozeßbüro Birgit Hogefeld, Dieffenbachstr. 33, 10967 Berlin

* NRW I: Infoladen c/o CILA, Braunschweiger Str. 23, 44145 Dortmund

* NRW II (Rheinland / südliches Ruhrgebiet): Autonome Gruppe Rheinbach c/o:

Cafe Störtebecker, Victoriastr. 2, 53879 Euskirchen

* Stuttgart: Infobüro für politische Gefangene, Mörickestr. 69, 70199 Stuttgart

* Saarland: basis, Alte Feuerwache, Am Landwehrplatz 2, 66111 Saarbrücken, Tel.: 0681 / 399990 FAX: 0681 / 34145

* Bayern: Infobüro c/o: Bücherkiste, Schlehenstr. 6, 90402 Nürnberg

 

Birgits Postadresse:

Birgit Hogefeld c/o OLG Frankfurt, 5. Strafsenat, Postfach. 60256 Frankfurt

 

Druckkosten des Info: Dringender Appell zu Spenden an:

Linke Projekte e.V., Wiesbaden, Wiesbadener Volksbank: Kto-Nr: 9 314 407, Bankleitzahl: 510 900 00

Stichwort: "InfoAG"

 

Spendenkonto:

zu Verfahren Birgit Hogefeld und Todesermittlungsverfahren z.N. Wolfgang Grams:

Sonderkonto V. Luley, "Bad Kleinen", Postbank Frankfurt, BLZ: 50010060, Kto-Nr.: 16072-603

für Birgits persönlichen Bedarf: Sonderkonto Birgit Hogefeld:

R. Limbach, Ökobank, BLZ: 50090100, Kto-Nr.: 250228

 

Hinweis zu Seiten 7 ff.: Weitere Beiträge in Bad Kleinen: von Ursel Quack zu ihrem Prozeß u.a. (abgedruckt in Angehörigen-Info Nr. 183, Juli 1996), von der Unterstützergruppe im Radikal-Verfahren und aus Lübeck zu Erfahrungen der Gegenermittlungen in Sachen "Verhafteter Betroffener" des Brandanschlags.

 

Unterschriftensammlung:

 

Insgesamt sind ca. 600 Unterschriften zusammen. Noch ist der Prozeß nicht zuende: Deswegen bitte weitersammeln!

Im Veröffentlichungsfall - z.B. durch öffentliche Präsentation mit großformatigen Kopien - werden nur Namen, keine Adressen in Umlauf gebracht.

 

ErstunterzeichnerInnen:

(Fortsetzung aus Info 12)

 

Prof. Dr. Christoph Nitz, Intendant, Nordhausen; Prof. Dr. Norman Paesch, Hamburg; Sabine Peters, Schriftstellerin; Sabine Platt, Rechtanwältin, Wiesbaden; Bernd Priebe, Erzieher, Berlin; Miriam Pulss, Krankenschwester, Quickborn; Martin Pulss, Religionspädagoge, Quickborn; Jutta Rock, Rechtsanwältin, Frankfurt; Ingrid Röseler, Vorstandsmitglied des Komitees für Grundrechte und Demokratie, Reichenbach; Dr. Birgit Sauer, Politikwissenschaftlerin, Berlin; Prof. Sebastian Scheerer, Universität Hamburg; Prof. Dr. A. Scherr, Darmstadt; Thomas Scherzberg, Rechtsanwalt, Frankfurt; Dr. Gudrun Schwarz, Sozialwissenschaflerin, Hamburg; Jürgen Schramm, Betriebsrat, Frankfurt; Reinhart Schwarz, Archivleiter, Hamburg; Alexander Schubart, Frankfurt; Dr. Thomas Seiterich-Kreuzkamp, Oberursel; Magrit Sierts, Pastorin, Hamburg; Martin Singe, Dipl.-Theologe, Köln; Dr. Ute Stöcklein, Rechtsanwältin, Nürnberg; Elke Steven, Soziologin, Köln; Christian Ströbele, Rechtsanwalt, Berlin; Sabine Tegeler, Heilpraktikerin, Berlin; Dieter Thomas und Hendrike von Sydow vom Frankfurter Fronttheater; Oliver Tolmein, Journalist, Hamburg; Susanne Uhl, MdB Bündnis 90/Die Grünen und GAL Hamburg; Bernd Umbreit, Filmemacher, Oberstenfeld; Klaus Vack, Bürgerrechtler, Sensbachtal; Karel Vanck, Choreograph, Freiburg; Monika Varain, Literaturwissenschaftlerin, Hamburg; Waltraud Verleih, Rechtsanwältin, Frankfurt; Dagmar Werner, Rechtsanwältin, Frankfurt; Gisela Wiese, Pax Christi, Hamburg; Michael Wildenhain, Schriftsteller, Berlin; Michael Wilk, Arzt, Wiesbaden; Detlef zum Winkel, Journalist, Frankfurt; Dr. Winfried Wolf, MdB; Uwe Zubel, Gewerkschaftssekretär, Hamburg.

 

Aufruf zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld KOPIEREN & UNTERSCHRIFTEN SAMMELN!

Einsenden an: InfoAG Prozeß, Werderstr. 8, 65195 Wiesbaden

Birgit Hogefeld wurde am 27. Juni 1993 bei einer groß angelegten Polizeiaktion in Bad Kleinen festgenommen. Ihr Lebensgefährte Wolfgang Grams kam dabei ums Leben. Der Bundesminister des Innern mußte zurücktreten. Der Generalbundesanwalt wurde entlassen. Zu viele Fragen insbesondere danach, wie Wolfgang Grams zu Tode kam, blieben unbeantwortet.

Seit dem 15. November 1994 wird gegen Birgit Hogefeld vor dem 5. Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt verhandelt.

Bei ihrer Festnahme war ihr vorgeworfen worden, Mitglied der RAF gewesen zu sein und sich an einem Anschlag auf den früheren Staatssekretär Tietmeyer beteiligt zu haben.

Im Januar 1994 änderte sich das: Der Haftbefehl gegen Birgit Hogefeld wurde wegen der Sprengung der JVA Weiterstadt und Mord und sechsfachem Mordversuch an Polizeibeamten in Bad Kleinen erweitert, obwohl Birgit Hogefeld die einzige war, die in Bad Kleinen nachweislich nicht geschossen hat. Ziel dieser in der Öffentlichkeit vielfach kritisierten juristischen Konstruktion ist es, die staatliche Version der Ereignisse in Bad Kleinen, daß nämlich Wolfgang Grams Selbstmord begangen hat und die eingesetzten Beamten vom Mordvorwurf freizusprechen sind, festzuschreiben und mit der Legitimation gerichtlich festgestellter Tatsachen zu versehen. Zu Bad Kleinen soll es trotz der Zeugenaussagen, die dieser Version widersprechen, keine Fragen mehr geben. Allein Birgit Hogefeld soll für die Toten in Bad Kleinen verantwortlich sein.

Nachdem sie mit dem Vorwurf des Mordes und Mordversuchs in Bad Kleinen überzogen worden war, wurde ihren Verteidigern zum selben Zeitpunkt signalisiert, dieser Anklagepunkt - und damit das lebenslängliche Urteil - könne wieder zurückgenommen werden, wenn sie zu einer Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden bereit sei. Als der Bundesanwaltschaft klar war, daß Birgit Hogefeld auf dieses Kronzeugenangebot nicht eingehen wird, tauchte dann in der Anklageschrift im März 1994 ein weiterer Mordvorwurf auf, der das Urteil mit lebenslänglicher Haft unumgänglich machen soll: Der Generalbundesanwalt warf ihr nun - fast neun Jahre nach Abschluß der Ermittlungen - erstmals vor, an einem Anschlag auf die US-Air-Base 1985 in Frankfurt und der damit im Zusammenhang stehenden Erschießung des US-Soldaten Pimental beteiligt gewesen zu sein. Bis zu diesem Zeitpunkt war in diesem Verfahren nicht Birgit Hogefeld, sondern waren andere von der Bundesanwaltschaft als Beschuldigte geführt worden. Dementsprechend wurden und werden die bisherigen Ermittlungsergebnisse nun auf Birgit Hogefeld zugespitzt: alte Gutachten werden durch neue abgelöst, die im Gegensatz zu den vorherigen jetzt zu dem Ergebnis kommen, daß Birgit Hogefeld "wahrscheinlich" Käuferin eines PKW sei; tendenziöse Videofilme werden erstellt und Zeugen zur Wiedererkennung vorgeführt; die Verteidigung wird seit Beginn des Verfahrens durch offensichtlich unvollständige Akten behindert.

Birgit Hogefeld, die sich in einer Prozeßerklärung sehr kritisch mit dem Anschlag auf die US-Air-Base und der Ermordung des US-Soldaten auseinandergesetzt hat, soll gerade mit diesem Anklagepunkt die politisch-moralische Integrität abgesprochen werden.

Es hat lange Tradition, daß Angeklagte, die der RAF zugerechnet werden oder sich ihr zurechnen, von Seiten der Justiz nur eine Antwort bekommen: lebenslänglich. Nicht erst seit der sogenannten Deeskalationserklärung der RAF vom April 1992 ist es aber an der Zeit, daß der Automatismus "lebenslänglich für RAF-Gefangene" durchbrochen wird.

Birgit Hogefeld darf nicht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden.

Name, Vorname Funktion Adresse Unterschrift