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Sun Jan 19 15:13:32 1997
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info zum prozess gegen birgit hogefeld
wiesbaden, den 1.1.1995
nummer 2
Dies ist die 2. Nummer des monatlichen Infos zum Prozess gegen Birgit
Hogefeld, Gefangene aus der RAF, der seit 15.11.1994 vor dem
Staatsschutz-Senat des OLG Frankfurt laeuft. Schwerpunkt dieser Ausgabe
ist der Bericht zum Verlauf des Prozesses. Neue Erklaerungen von Birgit
gibt es nicht. Bis jetzt haben uns auch noch keine Reaktionen bzw.
Diskussionsbeitraege zu ihren bisherigen Erklaerungen und zum Prozess
erreicht. Vielleicht war ja nur die Zeit zum Aufschreiben zu kurz?! Wir
moechten jedenfalls ausdruecklich darauf hinweisen, dass diese Diskussionen
fuer uns zum Prozess gehoeren und wir entsprechende Beitraege auch
dokumentieren wollen. Was die geplante monatliche Erscheinungsweise
angeht liegen wir ganz gut im Plan. Was dagegen noch nicht so gut laeuft,
ist der Vertrieb. Weiterhin gibt es grosse Luecken in der Verbreitung des
Infos, vor allem im Ruhrgebiet und in Hessen. Wir sind weiterhin
zuwenige, um neben der Herstellung des Infos auch die Verteilung zu
organisieren. Wir bitten deshalb alle, sich zu ueberlegen, ob sie einen
Teil der Verbreitung uebernehmen koennen (naeheres dazu in den Technics auf
der letzten Seite). info-ag
Ein ganz normales Verfahren oder ...
Zuerst einige erlaeuternde Anmerkungen, die den Verfahrensablauf
vielleicht eher begreifbar machen. Der Prozess gegen Birgit ist kein
normaler Prozess; wie in allen politischen Verfahren sind auch hier
juristische Selbstverstaendlichkeiten ausser Kraft gesetzt. Wie einer der
Anwaelte schonmal gesagt hat: Waere dies ein normales Verfahren, koennten
wir sehr optimistisch sein. Am Beispiel der Schriftgutachten wird das
sehr deutlich. Diese Schriftgutachten stellen einen der wesentlichsten
Beweise der Anklage gegen Birgit dar. Man/frau muss sich klarmachen, wie
duenn das Ganze ist - sieben Buchstaben auf Kauf/Mietvertraegen und die
teilweise noch nicht mal im Original - Diese Beweis-Kruecken sollen der
wesentliche Stuetzbalken fuer die Verurteilung werden. Bermerkenswert ist
der Umgang mit diesen wichtigen Beweisen: Die Gutachten werden eben mal
wie nebenbei zwischendurch hingenuschelt verlesen. Mit dieser Verlesung
die Befragung der Gutachter zu verbinden wurde vom Gericht abgelehnt
Eine wesentliche Stuetze fuer das Urteil sind die Richter undandere
Urteile aus den letzten Jahren politischer Justiz. Der vorsitzende
Richter Schieferstein zitiert sich hier selber; er hat auch das im
Prozess gegen Birgit als Beweis verlesene Urteil gegen Eva Haule, eine
Gefangene aus der RAF, gemacht. Als Vorsitzender des frankfurter
Staatsschutzsenats seit 10 Jahren hat er nicht nur Prozesse gegen Leute
aus der RAF gefuehrt, sondern auch Leute aus anderen linken
Zusammenhaengen hinter Gitter gebracht (z.Bsp. Startbahn). Er war auch
verantwortlich dafuer, dass Ali Jansen, Gefangener aus dem
antiimperialisitischen Widerstand, trotz seiner schweren
Asthma-Erkrankung bis zur Lebensgefahr in Haft gehalten wurde. Er wurde
erst 2 Monate vor dem reguaelren Haftende entlassen. Auch Richter Klein
ist in dem Zusammenhang kein unbeschriebenes Blatt. Abgesehen davon, dass
auch er schon seit 10 Jahren an den Urteilen des frankfurter
Staatsschutzsenates mitgebastelt hat, ist er ebensolange schon der
Zustaendige fuer die Postzensur. Er ist auch schon in anderen politischen
Prozessen durch seine rabiate Zensur-Praxis aufgefallen. Die anderen
Figuren: ebenfalls seit 10 Jahren dabei ist Kern. Die anderen beiden
BeisitzerInnen heissen Zeiher und Lange. Neben der Richterbank sitzt
rechts die Protokollantin, links ein Ersatzrichter. Die
Bundesanwaltschaft (BAW) wird vertreten durch die Staatsanwaelte
Hemberger und Phillips, erkenntlich an ihren roten Roben. Hinter diesen
sitzt der Vertreter der Nebenklage Dollmann. Er vertritt eine Frau, die
bei der Aktion der RAF gegen die US-Airbase in Frankfurt 1985 verletzt
wurde. Der Anwalt zeichnet sich durch haeufige Stellungnahmen aus, mitr
enen er das Anliegen des gesunden Volksempfindens in wortgewandter Weise
in den Gerichtssaal tragen will. Dem Gericht und der Staatsanwaltschaft
macht er gelegentlich Komplimente, bei der Verteidigung beschwert er
sich darueber, dass sie ihn ignoriere.
... ein politischer Prozess
Dass es gegen Linke eine Sondergerichtsbarkeit gibt, wird in der
Oeffentlichkeit inzwischen als normal hingenommen. Das juristische
Instrumentarium gegen Linke wurde durch die Gesetzgebung in den 60er und
70er Jahren in Stellung gebracht. Der õ 129 (Bildung, Mitgliedschaft und
Unterstuetzung einer kriminellen Vereinigung) ist noch aelter - er wurde
unter Bismarck im Zusammenhang mit den Sozialistengesetzen erfunden. In
den 50er Jahren wurden 370 000 Ermittlungsverfahren nach õ 129 gegen
KommunistInnen und WiederbewaffnungsgegnerInnen gefuehrt. Die Erweiterung
zum õ 129 a (Bildung, Mitgliedschaft und Unterstuetzung einer
terroristischen Vereinigung) dient als Mehrzweckwaffe gegen jede
radikale linke Kraft. Dabei bestimmt der Staatsschutz, was terroristisch
ist. Nach 129 a zu Knast verurteilt wurden in den 80er Jahren u.a.
Leute, die Veranstaltung zu den politischen Gefangenen gemacht oder
Flugblaetter verteilt haben, in denen ihre Zusammenlegung gefordert
wurde. 129 a bedeutet, dass allein die behauptete oder tatsaechliche
Mitgliedschaft in der RAF (oder einer anderen als terroristisch
definierten Gruppe) schon 10 Jahre Knast nach sich zieht, ohne dass
konkrete Taten nachgewiesen werden muessen. Das neueste 129 a Konstrukt,
mit dem Ursel Q. aus Saarbruecken eingeknastet wurde, heisst Gegenmacht
von unten. Der Haftbefehl, der mittlerweile ausser Vollzug gesetzt, aber
nicht aufgehoben worden ist, sagt, dass es Unterstuetzung der RAF sei, an
einer Gegenmacht von unten zu arbeiten, weil auch die RAF diese
Vorstellung formuliert hat. Belegt wird dies durch ihre Mitarbeit bei
einer Stadtteilzeitung, bei der antifaschistischen Gelbe Hand-
Initiative, ihren Briefkontakt mit politischen Gefangenen usw. Ein
anderes 129 a Konstrukt, die legale RAF, wurde in den 80er Jahren
geschaffen. Es baut auf der Behauptung auf, dass es legal lebende
Mitglieder der RAF gebe. Es ist jetzt wieder Grundlage fuer
Kriminalisierungsdrohungen gegen Linke mithilfe der Aussagen des
Verfassungsschutz-Spitzels Steinmetz.
Prozessbericht Dezember '94
Eine chronologische Berichterstattung zum Prozess ist nicht sinnvoll, da
die Beweisaufnahme sich durch eine wahrscheinlich absichtsvolle
Unstrukturiertheit auszeichnet. So wurde z.B. an einem Tag, dem 6.12.,
ein Zeuge zu einer Wohnug in Tuebingen vernommen, die 1985 von der RAF
benutzt worden sein soll. Ausserdem wurde eine BKA-Beamtin zu Birgits
Festnahme 1993 befragt. Schliesslich wurde ein Schriftgutachten zu einer
Unterschrift unter einem Auto-Mietvertrag von 1988 verlesen. Dieses
Chaos zielt vermutlich darauf ab, die Beobachtung des Prozessverlaufs zu
erschweren und so das oeffentliche Interesse am Verfahrensablauf
einzuschlaefern.
Schriftgutachten
BKA-Schriftgutachten wurden an 4 Verhandlungstagen verlesen. (am 29.11.,
am 1.12., am 6.12. und am 13.12.). Dabei dreht es sich jeweils um eine
Unterschrift auf einem Kauf- und auf einem Mietvertrag fuer Autos. Zum
Teil lagen diese den BKA-GutachterInnen nur als Kopie oder Durchschrift
vor. Dennoch wurde der Antrag der Verteidigung, die Frage der
Tauglichkeit von Kopien fuer Schriftgutachten unter Hinzuziehung der
GutachterInnen zu klaeren, was in jedem anderen Verfahren eine
juristische Selbstverstaendlichkeit waere, wie bislang jeder Antrag der
Verteidigung abgelehnt. Die Gutachten kommen jeweils nur zu einer
geringen bis mittleren Wahrscheinlichkeit. Durch ergaenzende Gutachten
wird sich dahingehend beholfen, dass die Urheberschaft durch vier andere
Frauen, nach denen im Zusammenhang RAF gefahndet wird, ausgeschlossen
wird. Dazu ist auch anzumerken, dass in den 80er Jahren nach wesentlich
mehr als 4 bzw. 5 Frauen gefahndet wurde und dass die Ermittlungsbehoerden
davon ausgingen, nicht alle zu kennen, die in der RAF organisiert sind.
Dass ein Autokauf lange S. Sternebeck zugeordnet wurde, spricht fuer
sich: S. Sternebeck war eine von denen, die sich Anfang der 80er von
der RAF getrennt hatten und in der DDR lebten. Die Verteidigung machte
die Fragwuerdigkeit der Schriftgutachten unter anderem daran deutlich,
dass es zum gleichen Schriftzug verschiedene BKA-Gutachten mit
unterschiedlichen Ergebnissen gibt, d.h. es existieren auch
BKA-Gutachten, diue diese Schriftzuege nicht Birgit zuordnen. Es ist
bemerkenswert, wie sich BKA-Gutachten bezueglich des gleichen Materials
im Laufe der Jahre wandeln, wie ein Verteidiger feststellte.
BKA-Video und Wiedererkennungszeugen
Am 29.11. wurde ein nach der Verhaftung Birgits vom BKA angefertigter
Videofilm gezeigt, den das BKA ZeugInnen vorzufuehrte, die darauf Birgit
wiedererkennen sollen. Was an dem Film sofort ins Auge faellt, ist, dass
drei der vier Vergleichspersonen sich sehr von Birgit unterscheiden. Sie
sind ziemlich kraeftig und haben blonde lange Haare.
Wiedererkennungszeugen, denen, wie sich jeweils in der Befragung
herausstellte, dieser Film vorgefuehrt worden war, waren am 6.12., am
20.12. und am 23.12. da. Am 6.12 kam der Zeuge Delor zu der tuebinger
Wohnung. Weder in seiner ersten Vernehmung 1985 noch in der Zweiten
hatte sich ein Hinweis auf Birgit ergeben. Erst in der dritten
Vernehmung 1993, nach der Verhaftung von Birgit, erkennt er sie als eine
der Personen, die haeufig in der Wohnung gewesen sein sollen. Genau das
Gleiche bei dem Zeugen Beier, der am 20.12. geladen war. Erst bei seiner
siebten (!) Vernehmung 1993 (!) erkennt er Birgit als die Frau, die 1985
ein Auto bei ihm gekauft habe. In der Hauptverhandlung deutet er wie
schon in vorherigen Vernehmungen auf S. Sternebeck, als ihm Fotos
vorgelegt werden. In diesem Zusammenhang kam es zu einem
Befangenheitsantrag gegen den beisitzenden Richter Zeiher, der bei
diesem Vorgang sein Desinteresse durch Weggucken demonstrierte. Vor der
Befragung des Zeugen Beier hatte die Verteidigung schon festgestellt,
dass (mal wieder) diverse Bilder, die dem Zeugen bei frueheren
Vernehmungen vorgelegt worden waren, in den Prozessakten fehlen. Eine
sinnvolle Befragung des Zeugen sei ohne diese Bilder nicht moeglich.Dass
der Senat den Antrag auf Verschiebung der Befragung des Zeugen Beier bis
zum Auftauchen der Bilder ablehnte, sah die Verteidigung als einen
neuerlichen Hinweis fuer die Befangenheit dieser RichterInnen.
Desweiteren hat auch dieser Zeuge den BKA-Video gesehen. Und bei einer
weiteren Lichtbildvorlage waehrend der Hauptverhandlung war das Foto von
Birgit mit einem roten Balken markiert, wie ein Anwalt empoert
feststellte.Trotz dieser Bemuehungen hat aber der Zeuge Birgit in der
Hauptverhandlung nicht als die Autokaeuferin von 1985 identifiziert.Nach
rechtsstaatlicher Logik muesste hier allerdings auch das Schriftgutachten
zu diesem Autokauf - das Birgit `mit geringer Wahrscheinlichkeitï als
Kaeuferin bezeichnet - gekippt sein. Am 23.12. gab es noch einen
Wiedererkennungszeugen, diesmal wieder zu der Wohnung in Tuebingen. Der
Zeuge Graf fiel durch unglaubliche Geschwaetzigkeit auf, die Befragung
machte allerdings deutlich, dass er kaum konkrete Erinnungen hat. Erneut
wurde deutlich, dass auch hier Bilder in den Akten fehlen. Und auch hier
haben zwischen 1985 und 1994 mindestens sechs Vernehmungen
stattgefunden. Davon erwaehnenswert ist eine, bei der der Zeuge Graf
offensichtlich an einer Observation in der stuttgarter Innenstadt
teilgenommen hat, um einen Mann (niemand von einem RAF-Fahndungsplakat)
zu identifizieren. Obwohl es moeglicherweise darauf angelegt war - auch
dieser Zeuge hat den BKA-Film gesehen - ergab seine Befragung keinen
Hinweis auf Birgit.
BKA-ZeugInnen
Ansonsten traten im Dezember noch 6 BKA-BeamtInnen als ZeugInnen in der
Hauptverhandlung auf. Am 29.11. Einer zu Sachen, die 1987 in einer
Wohnung in Frankreich gefunden wurden; am 1.12. Einer zur frueheren
Wohnung von Birgit und Wolfgang in Wiesbaden und ihrem damaligen
Arbeitsplatz; am 6.12. Eine zu Birgits Verhaftung 1993; am 15.12. zwei
zu einem PKW, der 1988 in Bonn sichergestellt wurde und am 20.12. Einer,
der Fingerabdruecke aus einem PKW ausgewertet hat (von Birgit war keiner
dabei). Die BKAlerin, die zu Birgits Verhaftung aussagte, hatte die
Aufgabe, die Sachen, die Birgit bei sich hatte, einschliesslich Kleidung,
zu asservieren. Schiefersteins erste Frage an sie war, ob die Waffe von
Birgit durchgeladen gewesen sei. Sie hat die Pistole, die Birgit
zugeordnet wird, von einem MEKiler bekommen, konnte sich aber nicht
erinnern, von wem. Sie konnte sich auch nicht erinnern, was Birgit ueber
Kopf und Gesicht hatte und wo dieses Etwas befestigt war. Immerhin wusste
sie noch, dass Birgit mit zwei Paar Handschellen gefesselt war, mit
Plastikfesseln und mit solchen zum Aufschliessen aus Metall. Die Frage,
ob ihr der Name Steinmetz etwas sagt, bejahte sie, zu jeder weiteren
Frage dazu hatte sie keine Aussagegenehmigung. Auch Fragen zur Dauer
ihres Einsatzes in Wismar und ihren weiteren Aufgaben dort beantwortete
sie nicht - keine Aussagegenehmigung.
ZuschauerInnen, Kontrollen etc.
Auch im Dezember war der Prozess immer gut besucht. Die BesucherInnen
sind vor allem junge Leute, die noch nicht so lange in politischen
Gruppen organisiert sind. Aus Frankfurt und Umgebung kommen auch einige
Unorganisierte. Menschen, die schon in den achtziger Jahren zum
antiimperialistischen Spektrum gehoerten oder die schon frueher politische
Prozesse besucht haben, sind selten da. Die Durchsuchungen bei den
Frauen sind nach wie vor unterschiedlich schikanoes. Eine Besucherin hat
beispielsweise ihre Hose aufmachen muessen und es wurde versucht, ihr die
Strumpfhose runterzuzerren. Schon vor dem Eingang stehen oft mehrere
Gruene in Kampfanzuegen und teilweise mit MGs, die auch manchmal
Taschenkontrollen durchfuehren. Weitere befinden sich massenhaft im
Prozessgebaeude, z.Bsp vor dem Raum im Keller, in den Birgit in jeder
Pause muss. Im Saal selbst sitzen vier, die mit Birgit kommen und gehen,
ausserdem noch 2-6 Zivile, darunter die Personenschuetzer der beiden
BAW-Anwaelte, und mehrere Gerichtsdiener. Auch im Zuschauerraum, der
durch eine Scheibe vom Verhandlungssaal getrennt ist, sitzen immer
Zivile. Ansonsten hat das Gebaeude eine zentrale Tuerverriegelung, ueber
die auf Knopfdruck alle Zwischentueren geschlossen werden koennen. Dies
wurde vor Prozessbeginn staendig geprobt. Birgit wird in einem Wagen ohne
Fenster zum Prozess gebracht. Dabei werden ihr die Haende auf dem Ruecken
gefesselt, sodass sie sich nicht festhalten kann, und es wird in einem
irren Tempo durch die Stadt gerast. Birgit ist davon jedesmal schlecht,
zweimal konnte die Verhandlung deswegen erst spaeter beginnen. Der Antrag
ihrer Verteidigung, die Haende - wenn schon nicht darauf verzichtet
werden kann - wenigstens vorne zu fesseln, wurde (was sonst) abgelehnt.
Im Gebaeude selbst wird sie durch einen extra angelegten Gang im Keller
gefuehrt, auch hier mit Handschellen.
ZDF-Talkshow mit Birgits Mutter und AnwaeltInnen
In einer ZDF - Talkshow am Freitag, den 18.11.94 um 22.45 Uhr konnten
die Mutter von Birgit, Marianne Hogefeld, die Anwaeltin Ursula Seifert
und Anwalt Thomas Kieseritzky darauf hinweisen, dass der Prozess gegen
Birgit Hogefeld bereits laufe, waehrend ein Ermittlungsverfahren wegen
der Erschiessung von Wolfgang Grams gegen die Polizisten immer noch nicht
eingeleitet sei. Marianne Hogefeld sagte, dass sie regelmaessig ihre
Tochter besuche, mit ihr aber nicht ueber politische Dinge reden koenne,
da sonst der Besuch sofort abgebrochen wuerde. Mit politischen Fragen
habe sie sich nicht erst seit dem Tod von Wolfgang und der Verhaftung
von Birgit befasst. Seit die beiden in den Untergrund gegangen seien,
habe sie Kontakt zur Angehoerigen-Gruppe der politischen Gefangenen
aufgenommen. Im Kontakt mit den Angehoerigen und den Gefangenen habe sie
viel ueber diesen Staat erfahren und vor allem gewusst, was auf Birgit im
Falle einer Verhaftung zukomme. Deswegen und weil sie eine positive
Einstellung zu Birgit un d ihrer politischen Arbeit hatte, habe sie auf
keinen Fall Erleichterung darueber verspueren koennen, dass die Jagd auf
ihre Tochter zu Ende sei. Aber dass es so schlimm kommen wuerde fuer ihre
Tochter - die Erschiessung ihres Freundes Wolfgang und die Isolationshaft
- hatte sie nicht voraussehen koennen und sie hatte Sorge, ob das ein
Mensch ueberhaupt aushalten koenne. Ursula Seifert und Thomas Kieseritzky
bezweifelten, dass Birgit ein faires Verfahren bekommen wuerde. Allein die
Tatsache, dass Birgit des Mordes an dem GSG-9-Beamten, der im Kugelhagel
von Bad Kleinen umgekommen war, angeklagt werde, obwohl feststehe, dass
sie nicht geschossen hat, bestaetigten die Zweifel. Gleichzeitig stelle
sich der Bundeskanzler vor seine GSG-9-Beamten und bezeichne Wolfgang
Grams in aller Oeffentlichkeit als Moerder, obwohl ueberhaupt noch nicht
feststehe, wer den GSG-9-Mann erschossen hat. Beweise, die Licht in das
Dunkel haetten bringen koennen, seien vernichtet worden, alle Gutachten,
die die vom Staat bestellten Gutachten widerlegen, wuerden nicht zur
Kenntnis genommen. Zum Schluss der Sendung versicherte Marianne ihrer
Tochter, dass sie fest zu ihr steht und rief Irmgard Moeller, die gerade
aus ihrer 22 jaehrigen Haft entlassen werden sollte, einen Gruss zu und
wuenschte ihr alles Gute. Der Moderator hat Marianne Hogefeld spaeter
mitgeteilt, dass es auf die Sendung eine Flut von Zuschriften gegeben
habe, die sich ueberwiegend positiv geaeussert haetten.
Gegenmacht von oben
Zur Veranstaltung der Jungen Welt am 15.12.94 in der berliner Volksbuehne
Die Raeume in der Volksbuehne fuer eine Soli- und Info-Veranstaltung zu
Birgits Prozess zu nutzen, fanden wir sehr gut, denn es kamen auch
andere, als die, die sowieso Zugang zu Infos darueber haben. Es waren
auch viele aus der ehemaligen DDR da. Die Junge Welt hatte gut
mobilisiert, so war der rote Salon uebervoll, und leider mussten auch
Leute aussen vor bleiben. Oliver Tolmein von der Jungen Welt machte eine
kurze Einleitung und stellte die Referenten vor: Rechtsanwalt Fresenius,
Anwalt von Birgit, und Michael, Autonomer Linker, der aus der
Frankfurter Startbahnbewegung kommt. Er kennt Birgit aus der Zeit, als
sie als legale Linke aktiv war, und heute besucht er sie im Knast.
Rechtsanwalt Fresenius schilderte in konkreten Beispielen die
Haftsituation von Birgit, wie die Isolation gegen sie angewandt wurde
und wird. Er zeigte an einzelnen Anklagepunkten, wie duenn und
konstruiert die Anklage der Justiz ist. Eine politische Anklage mit viel
heisser Luft, wo von vorneherein beabsichtigt ist, das Lebenslaenglich,
was die BRD-Justiz zum obligatorischen Urteil gegen Gefangene aus der
RAF erhebt, festzuschreiben. Er zaehlte eine Reihe von Behinderungen und
Schikanen gegen die RechtsanwaeltInnen auf, die eine Verteidigung
verunmoeglichen sollen. So das Zurueckhalten von Akten, Unterschlagen von
Beweismaterial, Unterdrueckung von Antraegen der Verteidigung usw. Michael
erzaehlte von den Auseinandersetzungen mit Birgit im Knast und von
Auseinandersetzungen, die sie damals hatten, als Birgit in der Lagalitaet
lebte, und er in der Startbahnbewegung aktiv war. So sieht er in Birgits
Entwicklung heute eine kritische Haltung zu Positionen von frueher.
Damals sei es ihr wesentlich darauf angekommen, das System anzugreifen,
zu destabilisieren, heute viel mehr, wie kann sich linke Politik in der
Gesellschaft materialisieren. Er verglich drei Widerstandsentwicklungen,
die durch Repression am Hochpunkt ihrer Mobilisierung einen schweren
Schlag erlitten, und dadurch eine tiefe Schwaeche offenlegten: die
Front-Entwicklung, wo der Staat mit duennsten Konstrukten die Bewegung
kriminalisieren konnte und etliche Aktive fuer Jahre in den Knast
steckte, die Startbahnbewegung, als nach den toedllichen Schuessen auf
Polizisten bei einer oeffentlichen Protestaktion am Bauzaun die ganze
Szene in der region kriminalisiert wurde, und wo viele zuerst belastende
Aussagen machten, und die Antifabewegung, wo hier in Berlin versucht
wurde, durch eine Mordanklage antifaschistischen Widerstand zu
kriminalisieren. Er problematisierte dabei die Gefahr zu
militaristischer Politik zu kommen, wenn die politischen Anstrengungen
an eine Grenze gestossen sind, wenn die Eskalation der Mittel ohne
Neubestimmung der Politik angewandt werden, wodurch die Bewegung
letztendlich entpolitisiert wird, und der Staat dadurch einen Hebel zur
Zerschlagung durch Kriminalisierung bekommen kann. Eine Erkenntnis von
ihm ist, dass der Staat seine Staerke nicht aus seinen Apparaten, der
Repression, Kontrolle und Gewalt zieht, sondern dass die Menschen hier
diese reaktionaeren Strukturen verinnerlichen. Deshalb sei allein der
Kampf gegen die VertreterInnen und Instititionen des Systems zu kurz.
Wesentlich sei viel mehr zu verstehen, wie es denn dazu kommt, dass die
Menschen den ganzen Dreck (Warenbeziehungen, Rassismus, Sexismus...)
aufnehmen, verinnerlichen, keinen Widerstand dagegensetzen. Trotz der
guten Beitraege und den wichtigen Fragen, die in der Veranstaltung
aufgeworfen wurden, war es eine typische Wessi-Veranstaltung, obwohl sie
ja im ehemaligen Ost-Berlin stattgefunden hat. Es wurde so ziemlich
alles vorrausgesetzt, was wir WestlerInnen so die letzten 20 Jahre an
Wissen angehaeuft haben. Es haette auf das Podium noch mindestens eine
Person gehoert (Frauen! bei sonst nur Maennern), die die Geschichte
vermitteln koennen. Es ist doch wichtig zu wissen, warum, in welcher
Situation, welchem Klima die einzelnen Aktionen der RAF stattgefunden
haben. Warum und wie ueberhaupt die RAF entstanden ist. Das ist doch
wesentlich, damit die Selbstkritik der RAF und die von Birgit ueberhaupt
verstanden werden kann. So blieb von diesem Teil seiner Ausfuehrungen
nur: die Politik der RAF war schon immer falsch, und er wusste es damals
schon und habe Recht behalten. Das wird mit dazu beigetragen haben, dass
die anschliessende Diskussion nicht so recht aufkam. Insoweit eine
verpasste Chance. Scha de.
Andere Veranstaltungen
In Wiesbaden und in Frankfurt fand jeweils eine Veranstaltung mit den
AnwaeltInnen von Birgit statt. Die anschliessenden Diskussionen verliefen
eher schleppend, obwohl auch diese Veranstaltungen relativ gut besucht
waren. Auch in Kiel fand eine Veranstaltung zum Prozess statt, von der
uns aber leider keine naeheren Informationen vorliegen. In Mainz fand
eine Veranstaltung statt, die mit 70 (vorwiegend jungen) Leuten sehr gut
besucht war. Es gab ein Referat zum Verlauf des Prozesses und Birgits
Mutter berichtete von den Haftbedingungen und ihren Besuchen bei Birgit.
Die anschliessende Diskussion war gepraegt von dem Interesse und der
Offenheit der Anwesenden.
Kommentar zum Kommentar Legendenbildung (TAZ, 10.12.94)
Es ist nicht so, dass es in der Bundesrepublik nie buergerliche
Prozessberichterstattung hoeherer Qualitaet gegeben haette. Gerhard Mauz hat
ueber Jahrzehnte im Spiegel - also umgeben von Spiegel-Schreibe und
Nachrichtenhandel - Massstaebe gesetzt (vgl. nur die erste Sammlung seiner
Arbeiten: Mauz: Die Gerechten und die Gerichteten. Frankfurt / Berlin
1968): zum Beispiel: Die Bedingungen der Zeit und eines Lebens und das
Verhalten und Handeln von Menschen in abgestuft reflektierten
Wechselbeziehungen zu sehen; zum Beispiel: die Tauglichkeit der Justiz
fuer die Eroerterung von und Auseinandersetzung mit Lebenssachverhalten je
neu und mit unterschiedlichem Ergebnis zu untersuchen; zum Beispiel:
Angeklagte in immer neuen Anlaeufen der Annaeherung zu beschreiben, das
Versuchshafte der Annaeherung kenntlich zu machen und sie abbrechen zu
koennen, wenn Respekt oder Grenzen des Verstaendnisses es gebieten. Das
diente der Wahrheitsfindung in gutem Sinn,. weil es immer auch eine
Wahrheitsfindung zur Gesellschaft und zum juristischen Instrumentarium
war. Beitrag zur Wahrheitsfindung unterstellte auch TAZ-Redakteur Arno
Widmann in einem Erlaeuterungskasten auf der Leserbriefseite der TAZ vom
22.12.1994 auch der Veroeffentlichung von Edith Kohn: Die TAZ hatte am
10. Dezember 1994 die freie Journalistin eine Entgegnung auf die
Prozesserklaerung von Birgit Hogefeld unter der Ueberschrift
Legendenbildung an hervorgehobener Stelle publizieren lassen: im Essay-
bzw. Dokumentationsteil der Seite 10. Kohn greift alles auf, was der
Staatsschutz seit Jahren auf die Muehlen der Propaganda kippt: Es gibt
keien politischen Prozese, RAF-Aktionen sind kriminelle Delikte und
gehoeren abgeurteilt wie alle anderen, die RAF-Kommandos haben viel
gemeinsam mit den suedamerikanischen Todesschwadronen, hoechstesn 200
Verblendete in der Bundesrepublik koennern der RAF etwas Politisches
abgewinnen; es gibt keine Isolationshaf t, hoechstens Haftbedingungen,
wie sie im Bereich organisierter Kriminalitaet praktiziert werden: Die
Semantik der Menschenrechtsorganisationen ist der Honig, der die jungen
Sympathisanten lockt und an dem sie haengenbleiben. Die leichthaendige
Einbeziehung psychologischer Kategorien - dieses Strandguts der
Trivialaufklaerung, das die therapeutische Linke und ihre vielen
Adressaten geschichtslos und ohnmaechtig gegnueber ihrer
gesellschaftlichen Wirklichkeit gemacht hat - dienen der Untermauerung
der bruchlos uebernommenen Staatsschutz-Positionen und lassen Wahn und
Krankheit assoziieren: Von Groessenphantasie, Verdraengung, Verleugnung ist
die Rede. ...die Beispiele aller RAF-Aussteiger zeigen, dass die Rueckkehr
in die Realitaet, das Erwachen, zu ueberleben ist lautet Kohns Schlusssatz.
Kein Wort von den Verbrechen des Imperialismus und den Schwierigkeiten,
gegen ihn aufzustehen oder ihn nur punktuell zu bremsen. Dass Birgit
Hogefeld Jean Amery liest und zitiert, stellt Kohn als unverfroren dar:
Ncht weil Kohn ihr Bewusstsein an Auschwitz entwickelt hat und daraus
ihren Blick auf die Welt herleitet, sondern weil sie gelenrt hat, alles
niederzumachen, was der affirmativen Rueckkehr in die Realitaet, der
Kronzeugenrealitaet, der alleingueltigen Realitaetstuechtigkeit a la Kohn
entgegensteht. Auschwitz ist ihr nur fuer eines gut: als Keule gegen
jene, die auch ueber Auschwitz die Massstaebe fuer Handeln und moralische
Pflichten neu dimensioniert sehen. Die Welt haette es nicht besser
gekonnt.
Und noch eins druff'
Deutschland ist nicht Chile und nicht Argentinien. Edith Kohn
verschweigt, dass gerade diese Laender Zufluchtsstaette der deutschen Nazis
nach dem verlorenen Weltkrieg waren, dass diese Laender das
Hitler-Deutschland und die BRD zum Vorbild nahmen, dass diese Laender von
deutschem Kapital und deutschen demokratischen Regierungen gehaetschelt
und gepflegt wurden, dass deutsches Geld und deutsche Waffen und Berater
die FGolterregime an der Macht halten. Die letzten Saetze in Kohns'
Artikel sprudeln von Offenbarungen. Da heisst es: Der Tag nach der
Urteilsverkuendung ist der Tag der Wahrheit. Ist es vermessen, daraus zu
schliessen, dass Edith Kohn, die Mitlaeuferin, weiss, dass der Tag der
Urteilsverkuendung der Tag der Unwahrheit ist, weiss, dass das Urteil auch
ohne Beweise feststeht, dass es von Edith Kohn schon jetzt gerechtfertigt
wird? Birgit Hogefeld, so wie sie dort sitzt im Prozess, ist Beweis
genug, so die Botschaft von Edith Kohn. Nach dieser Drohung wiederum das
schleimige Angebot ihrer Herren, diesmal praesentiert von der
Schreiberin: Dabei zeigen die Beispiele aller RAF-Aussteiger, dass die
Rueckkehr in die Realitaet, das Erwachen, zu ueberleben ist. Birgit
Hogefeld hat nichts, aber auch gar nichts mit der Person zu tun, die in
diesem Artikel zusammengeschmiert wird. Birgit Hogefeld wird sich ein
Leben im Knast, so schlimm es ist, noch eher vorstellen koennen als ein
Ueberleben in den Armen von Hemberger, Schieferstein und Co.
Naechste Prozesstermine
Einlass 9 Uhr, Beginn 9.30 Uhr
3. 1. - 10. 1. - 12. 1. - 17.1. (11Uhr) - 30.1. - 2. 2. - 7. 2. - 9. 2.
- 14. 2. - 16. 2. - 23. 2. - 2. 3. - 7. 3. - 9. 3. - 14. 3. - 21. 3. -
23. 3. - 28. 3. - 30. 3. - 4. 4. - 6. 4. - 11. 4. - 24. 4. - 27. 4.
Birgits Postadresse
Birgit Hogefeld c/o OLG Frankfurt,
5. Stafsenat, Postfach , 60256 Frankfurt/M.
Technics zum Prozess-Info
Das Prozessinfo wird in Wiesbaden gemacht. Zuschriften gehen an die
Adresse: Info-AG zum Prozess gegen Birgit Hogefeld, Werderstr. 8, 65195
Wiesbaden. Das Telefon ist mittwochs von 17 bis 19 Uhr und freitags von
18 bis 20 Uhr besetzt: 0611 / 44 06 64. Info: Ueber das Telefon kann auch
- soweit das vorher bekannt ist - erfragt werden, welche Punkte bei den
folgenden Prozessterminen anstehen. Besuchsplanungen von groesseren
BesucherInnengruppen sollten ueber das Telefon koordiniert werden. Der
Vertrieb des Prozessinfos ist bisher nur vorlaeufig organisiert. Eine
zentrale oder mehrere dezentrale Vertriebsgruppen werden noch gesucht.
Leider hat sich daran seit der ersten Ausgabe noch nicht viel geaendert.
Grosse Luecken gibt es weiterhin im Ruhrgebiet und in Hessen, ausserdem
gibt es keine organisierte Verschickung an die Gefangenen und an die
Infolaeden. Die Nr. 2 wird wie folgt verbreitet: * Schleswig-Holstein:
Rote Hilfe, Postfach 644, 24125 Kiel, tel/fax 0431/75141 * Berlin /
Ex-DDR: Prozessgruppe Birgit Hogefeld, c/o PDS Kreuzberg,
Dieffenbachstr. 33, 10967 Berlin, fax 030/6949354 * Stuttgart: Infobuero
fuer polit. Gefangene, Moerickestr. 69, 70199 Stuttgart * Saarland: basis,
Alte Feuerwache, Am Landwehrplatz 2, 66111 Saarbruecken * Bayern:
Infobuero c/o Buecherkiste, Schlehengasse 6, 90402 Nuernberg * evt. in
eurer Mailbox - schaut mal nach Ansonsten koennen wir nur auf die
regionalen Infolaeden und andere Treffpunkte hinweisen. Regionale
WeiterverteilerInnen, die auch hier in der Liste als Verteilstellen
aufgefuehrt werden wollen, koennen sich in Wiesbaden melden und erhalten
ein kopierfaehiges Exemplar. Einzelversendungen koennen von Wiesbaden aus
nicht erfolgen.
Prozess-Spendenkonto
Da sowohl die Kosten im Todesermittlungsverfahrens z. N. Wolfgang Grams
sowie die Kosten des Verfahrens gegen Birgit Hogefeld von den
Angehoerlgen alleine nicht getragen werden koennen, sind Spenden dringend
notwendig:
Sonderkonto V. Luley, Bad Kleinen
Postgiroamt Frankfurt,
BLZ 50010060, Kto.-Nr. 16072-603
Info zum Prozess gegen Birgit Hogefeld