logik der vernichtung

2. die vorgeschichte: der versuch, das handeln ulrike meinhofs als individualistisch und pathologisch zu charakterisieren


die bundesregierung versuchte - wie helmut schmidt es in einer regierungserklaerung programmatisch formuliert hatte - die gefangenen der raf als exponenten einer fundamentalopposition in der brd politisch und moralisch "auszutilgen". das konzept zu ulrike meinhof war seit ihrer zugehoerigkeit zur raf erst individualisierung und dann rueckfuehrung ihrer haltung auf geisteskrankheit.

deswegen wurde ulrike meinhfo zusaetzlichen, verschaerften massnahmen unterworfen. sie alle dienten dem ziel, ulrike meinhof in ihrer politischen identitaet zu brechen, beziehungsweise ihre politische identitaet als produkt eines psychopathologischen krankheitszustandes darzustellen.

die sonderstellung ulrike meinhofs gegenueber anderen gefangenen aus der raf lag in ihrer lebensgeschichte begruendet. der verlauf dieser geschichte war der oeffentlichkeit zu bekannt, um verfaelscht werden zu koennen und der diffamierung ulrike meinhofs zu dienen:

sie war mitglied der gegen die atombewegung in der brd gerichtete ostermarschbewegung, sie war mitglied der verbotenen kpd. sie besass in ihrer zeit als kolumnistin der zeitschrift "konkret" eine wesentliche politische autoritaet und ihre moralische integritaet konnte nicht bezweifelt werden.

ihr bruch mit der legalitaet ist aus ihrer eigenen sicht nur als kontinuitaet des widerstandes zu erklaeren, er konnte nicht als moralische verkommenheit, als banditentum, als kriminelle neigung dargestellt werden.

bereits am tag nach ihrer verhaftung wurde ulrike meinhof in das gefaengnis in koeln- ossendorf gebracht und dort in der leerstehenden frauenpsychiatrischen abteilung, einem von der uebrigen anstalt abgetrennten trakt, untergebracht. in dieser abteilung war sie nicht nur vollstaendig sozial isoliert, sondern auch von der wahrnehmung von geraeuschen und stimmen abgeschnitten. der gefaengnisleiter hat diese tatsache n einem schreiben vom 20. 12. 1972 an seinen dienstvorgesetzten mit folgenden worten zum ausdruck gebracht:

"waehrend die untersuchungsgefangene proll im maennertrakt der untersuchungsabteilung zumindest akustisch an dem leben in dieser anstalt teilnehmen kann, ist die gefangene meinhof in ihrem haftraum auch akustisch isoliert. "

ulrike meinhof wurd ein dieser totalen isolation zunaechst 237 tage - vom 15. 6. 72 bis zum 29. 2. 73 - gefangengehalten. ein zweites mal wurde sie dort vom 21. 12. 73 bis zum 3. 1. 74 und ein drittes mal zusammen mit gudrun ensslin in der zeit vom 5. 2. 74 bis zum 30. 4. 74 untergebracht. der psychologe jarmer des koelner gefaengnisses hat sich am 1. 2. 73 zu der art der inhaftierung von ulrike meinhof wie folgt geaeussert:

"die psychische belastung fuer die gefangene geht wohl erheblich ueber das mass hinaus, das bei dem vollzug der strengen einzelhaft normalerweise unumgaenglich ist. wenn die strenge einzelhaft fuer einen gefangenen erfahrungsgemaess nur begrenzte zeit ertraeglich ist, so gilt dies in besonderer weise fuer die gefangene meinhof, da diese fast vollstaendig von umweltwahrnehmungen ausgeschlossen ist. "

hoechstwahrscheinlich ging die bundesanwaltschaft davon aus, dass ulrike meinhof im toten trakt zusammenbrechen wuerde.

diesem zusammenbruch sollte ihre einweisung in eine heil- und pflegeanstalt folgen.

durch schreiben vom 4. 1. 73 an dr. goette, anstaltspsychiater, forderte die bundesanwaltschaft den gefaengnispsychiater auf, zu pruefen, ob ulrike meinhof "zur vorbereitung eines gutachtens ueber ihren geisteszustand in eine oeffentliche heil- und pflegeanstalt gebracht werden muesse. "

dieses projekt der bundesanwaltschaft wurd jedoch nicht mehr verwirklicht, da mit beginn des 1. hungerstreiks der gefangenen am 17. 1. 73 die isolation als gehirnwaescheprojekt oeffentlich thematisiert und kritisiert wurde.

die bundesanwaltschaft beschloss nunmehr untersuchungen des gehirns von ulrike meinhof. bundesanwalt zeiss beauftragte den direktor des instituts fuer gerichtliche psychologie an der universitaetsklinik in homburg/saar, prof. dr. witter, mit der erstellung eines fachpsychiatrischen gutachtens. in seinem schreiben vom 18. 4. 73 forderte der bundesanwalt dazu auf, erforderliche eingriffe unter "angabe der fuer notwendig erachteten untersuchungen" mitzuteilen.

dieses vorgehen stuetzte sich auf die falsche behauptung, dass ulrike meinhof einen gehirntumor haette. die krankengeschichte ulrike meinhofs aus dem jahre 1962 stellt fest, dass es sich nicht - wie die bundesanwaltschaft in ihrem schreiben vom 4. 1. 73 bewusst falsch darstellte - um einen tumor handelte, sondern um ein cavernom des sinus cavernosus, einem schwamm aus stark blutgefuelltem bindegewebsraeumen, wie er waehrend der schwangerschaft entstehen kann. obwohl der bundesanwaltschaft diese diagnose bekannt war, wurden die vorbereitungen zu diesen untersuchungen des gehirns von ulrike meinhof weiter voran getrieben.

die absicht, die hinter dieser anregung steckte, wurde von bundesanwalt zeiss offen ausgesprochen:"waere doch sehr peinlich, wenn sich herausstellte, dass alle diese leute einer verrueckten nachgelaufen sind. "

am 10. 5. 73 beantwortete prof. witter das schreiben der bundesanwaltschaft:

"zur weiteren klaerung des schaedel- hirn- befundes waeren nun folgende untersuchungen zweckmaessig:

1. roentgenaufnahmen des schaedels in zwei ebenen, die eine genauere lokalisation der clipse und der sonstigen roentgenologisch sichtbaren veraenderungen zulassen.

2. eine szintigraphie des gehirns. "

die von prof. witter fuer zweckmaessig gehaltenen untersuchungen wurden vom generalbundesanwalt beim ermittlungsrichter am bundesgerichtshof beantragt. durch beschluss vom 13. 7. 73 erliess der richter am bundesgerichtshof, knoblich, folgenden beschluss:

"bei der beschuldigten ulrike meinhof duerfen von einem arzt nach den regeln der aerztlichen kunst in der vollzugsanstalt roentgenaufnahmen des schaedels und eine szintigraphie des gehirns vorgenommen werden.

diese massnahmen duerfen auch gegen den willen der beschuldigten, erforderlichenfalls unter anwendung unmittelbaren zwangs und unter narkose, durchgefuehrt werden. "

diese untersuchungen scheinen, in beziehung zu dem brief der bundesanwaltschaft vom 18. april 1973 gesetzt (" . . . wenn die hinzuziehung eines neurochirurgen erforderlich sein sollte, rege ich an, von dort aus den direktor der neurochirurgischen universitaetsklinik in homburg, herrn prof. dr. loew, um seine mitwirkung zu bitten. "), einen chirurgischen eingriff vorbereitet zu haben.

erst am massiven oeffentlichen protest und dem einspruch zahlreicher aerzte scheiterte die drohende zwangsnarkotisierung und manipulation am gehirn von ulrike meinhof.

nach all diesen gescheiterten versuchen, ulrike meinhof physisch und psychisch zu brechen, gebot es die logik psychologischer kriegsfuehrung, den ideologischen kopf ulrike meinhof abzuschlagen.

nadir start
 
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Wed Apr 16 12:31:39 1997