verhinderung der aufklaerung

6. konstruktion des selbstmordmotivs


zur anstuetzung der selbstmordtheorie lancierte die bundesanwaltschaft meldungen ueber angebliche spannungen zwischen den gefangenen, die als selbstmordmotiv ulrike meinhofs fungieren sollten. bereits wenige stunden nach dem tod ulrike meinhofs liess die bundesanwaltschaft eine pressemitteilung verbreiten, die bis in die wortwahl mit meldungen aus dem jahre 1972 uebereinstimmten !

dap- meldung vom 9. 5. 1976, karlsruhe/bonn:

"zwischen ulrike meinhof und den uebrigen angeklagten im stuttgarter anarchistenprozess bestanden nach dem erkenntnissen der bundesanwaltschaft bereits wochen vor dem selbstmord der 41jaehrigen "gewisse spannungen". bundesanwalt felix kaul reagierte mit dieser feststellung am sonntag auf informationen der in bonn erscheinenden tageszeitung "die welt", die unter berufung auf vertrauliche angaben der sicherheitsbehoerden von "tiefgreifenden auseinandersetzungen" zwischen ulrike meinhof, andreas baader, jan- carl raspe und grudrun ensslin . . . sprach. kaul sprach in diesem zusammenhang von einer "gewissen entfremdung" zwischen ulrike meinhof und andreas baader. nach einem kommentar der "welt", den die zeitung der dpa uebermittelte, fuehlte sich ulrike meinhof zunehmend isoliert und bei der vorbereitung der erklaerung gudrun ensslins im prozess uebergangen, die bombenanschlaege im mai 1972 gingen auf das konto der raf. "

bis zum zeitpunkt dieser meldung konnten weder vom justizministerium, noch von der staatsanwaltschaft, noch von der anstaltsleitung erklaerungen gegeben werden, warum hier ein selbstmord vorlaege. nach auskunft der gefangenen erklaerten sowohl schreitmueller als auch henck entschieden, dass von der anstalt nichts an informationen, berichten, usw. - weder offiziell noch inoffiziell - zu dieser von der bundesanwaltschaft verbreiteten meldung von spannungen und entfremdungsprozessen innerhalb der gruppe rausgegeben worden waeren. beide sagten, dass se dies auch gar nicht gekonnt haetten, weil es dafuer keinen beleg oder hinweis gegeben haette, da diese "spannungen" nie existiert haetten.

auch dem baden- wuerttembergischen justizminister war davon nichts bekannt. so erklaerte bender auf der pressekonferenz am 10. 5. 1976:"selbst wenn es so ist, dass von spannungen gesprochen werden kann und wenn von spannungen gesprochen wurde, dann weiss ich nicht, was ich dazu erklaeren soll. ich meine, die sache waere dann fuer uns relevant, wenn aus diesen . . . spannungen sich rueckschlaege auf den freitod erlauben wuerden.

wir sehen hier aber keine logik und zusammenhang. denn wenn die spannungen da waren, und soweit sie da waren, waren sie sicher schon aelter und laenger zurueckliegender natur und haben je bisher auch nicht zu der reaktion gefuehrt, mit der wir uns heute beschaeftigen. ich sehe den logischen zusammenhang zwischen den moeglichen spannungen, von denen gesprochen worden ist, und dem, was uns heute beschaeftigt, nicht . . . " (16)

die meldungen der bundesanwaltschaft gaben die richtung der weiteren ermittlungen an:

bis zu diesem zeitpunkt waren beamte der jva nicht auf spannungen innerhalb der gruppe hin befragt worden.

renate frede hatte in ihrer ersten aussage sogar noch erklaert:"zu dem erwaehnten zeitpunkt zeigte sich frau meinhof wir jeden tag unauffaellig . . . " (17)

im widerspruch dazu behauptet sie nun:"in letzter zeit ist mir oft aufgefallen, dass frau meinhof sehr durcheinander und vergesslich war. sie ist zum beispiel oefters aus der zelle herausgekommen, hat sich dabei mit der hand an den kopf gefasst und ist wieder zurueckgegangen, da sie irgendetwas vergessen hatte. auch ist mit aufgefallen, dass sie in letzter zeit nicht oft beim gemeinsamen hofgang dabei war. meiner persoenlichen meinung nach hat sie sich etwas abgesondert. beim umschluss habe ich in letzter zeit bemerkt, dass sie von andreas baader des oefteren angeschrien wurde . . . " (18)

zu den letzten aufzeichnungen

am 12. 5. 76 "glaubt die staatsanwaltschaft, eine antwort gefunden zu haben. sie teilt mit, es seien maschinen- und hand schriftliche papiere sichergestellt worden, aus denen sich anhaltspunkte dafuer ergaben, dass zwischen ulrike meinhof und anderen mitgefangenen, vor allem gudrun ensslin, meinungsverschiedenheiten ideologischer, moeglicherweise sogar persoenlicher art bestanden.

und ein stammheimer beamter bestaetigte:"frau meinhof ist in den letzten wochen von ihren mitgefangenen oft provoziert worden. so hat sie beispielsweise haeufig nachts texte gefertigt und diese am naechsten tag andreas baader gegeben. der sagte nur "scheisse" und zerriss die aufzeichnungen. " (19)

hierauf folgte die einstellung der ermittlungsverfahren durch staatsanwalt heissler, weil der selbstmord "zweifelsfrei" vorlaege.

"aus vorgefundenen zellenzirkulationen ergibt sich jedoch, dass zwischen ihr und ihren mitgefangenen - wie dies schon in der vergangenheit bekannt war - auch in juengster zeit offenbar tiefgreifende meinungsverschiedenheiten sachlicher und persoenlicher art bestanden haben, die bei ulrike meinhof moeglicherweise eine ihren freitod mitbestimmende resignation und depression hervorgerufen haben. " (20)

dagegen meldete reuter noch am 9. 5. 76 um 11. 04h:

"staatsanwalt heissler sagt gegenueber reuter, dass ulrike meinhof nicht einen einzigen hinweis gegeben haette, dass sie versuchen wuerde, sich das leben zu nehmen . . . " heissler bedauerte, dass keine letzten aufzeichnungen hinterlassen worden waeren. so fiel ihm nur die inhaltliche widergabe der meldungen der bundesanwaltschaft vom 9. mai 1976 ein, deren aussage identisch ist mit einer falschmeldung der "stuttgarter zeitung" vom 14. 4. 1972 (??? stimmt das datum ???) ulrike meinhof habe sich nach grundlegenden meinungsverschiedenheiten von den uebrigen gruppenmitlgliedern getrennt, politisch resigniert und in voelliger isolation schluss gemacht. "

wir wissen, dass ulrike meinhof in den letzten monaten vor ihrem tode insbesondere an folgenden themen gearbeitet hat:russische oktoberrevolution, dritte internationale, geschichte der brd, geschichte der spd, funktion der brd in der imperialistischen kette.

die beitraege zu diesen themen hatte sie in einem schwarzen aktendeckel aus kunststoff aufbewahrt, den sie auch bei besuchen mit sich trug, um die schriftstuecke vor der einsicht durch den staatsschutz zu schuetzen. bei der uebergabe der unterlagen an den testamentsvollstrecker befanden sich in diesem schwarzen kunststoffdeckel keinerlei manuskripte, sondern lediglich wenige gerichtsbeschluesse und zeitungsausschnitte.

parallele:

nach dem gleichen muster wurde nach der bekanntgabe des todes von gudrun ensslin, jan- carl raspe und andreas baader die meinung verbreitet, die gefangenen haetten gegenueber bka- beamten "selbstmorddrohungen" geaeussert. die herausgabe der letzten dokumente, die allein aufschluss ueber die wirklichen gedanken der gefangenen geben koennen, wurde auch hier verweigert. die existenz von drei briefen an den chef des bundeskanzleramtes schueler, die gudrun ensslin in einem ordner abgelegt und in einem gespraech mit den beiden anstaltsgeistlichen noch am 17. 10. ausdruecklich erwaehnt hatte, wird von regierungssprecher boelling bestritten.


anmerkungen:

1) staatsanwaltsakte, schreiben der landespolizeidirektion stuttgart ii an die staatsanwaltschaft vom 9. 5. 1976

2) ebenda

3) die daktyloskopische auswertung wurde erst am 25. 6. 1976 der staatsanwaltschaft seitens des lka baden- wuerttemberg mitgeteilt;staatsanwaltsakte, schreiben des lka baden- wuerttemberg an die staatsanwaltschaft stuttgart vom 25. 6. 1976

4) staatsanwaltsakte, aus der begruendung der einstellungsverfuegung, schreiben von staatsanwalt heissler vom 10. 6. 1976

5) der justizminister des landes baden- wuerttemberg, bender, auf der pressekonferenz vom 18. 10. 1977, tonbandprotokoll

6) staatsanwaltsakte, schreiben von prof. dr. j. h. mallach an die staatsanwaltschaft vom 19. 5. 1976

7) akte zu den taetigkeiten des cia waehrend der jahre 1949- 1963, im juli 1977 veroeffentlicht, insbesondere zu den projekten "mind control" und "executive action", die experimente mit dem menschlichen gehirn (alle drogen) und die vernichtung politischer gegner bezeichnen.

8) presseerklaerung von jutta bahr- jendges vom 25. 10. 1977

9) id 202, 5. 11. 77, interview von max watts mit prof. mallach vom 26. 10. 1977

10) "der spiegel", 23. 8. 1976, s. 70

11) mitteilung der landesregierung von baden- wuerttemberg vom 26. 10. 1977

12) aus den dokumenten des internationalen komitees zur verteidungung politischer gefangener in westeuropa

13) der baden- wuerttembergische justizminister bender auf der pressekonferenz vom 10. 5. 1976, tonbandprotokoll

14) presseerklaerung von jutta bahr- jendges vom 25. 19. 1977

15) frankfurter rundschau, 16. 12. 1977

16) der baden- wuerttembergische justizminister bender auf der presseerklaerung vom 10. 5. 1976, tonbandprotokoll

17) staatsanwaltsakte, vernemhungsprotokoll vom 9. 5. 1976, schreiben der landespolizeidirektion stuttgart ii an die staatsanwaltschaft stuttgart

18) staatsanwaltsakte, vernehmungsprotokoll vom 11. 5. 1976, schreiben der kripo stuttgart, dienststelle 1

19) "stern" 21/22, 20. 5. 1976

20) staatsanwaltsakte, aus der begruendung der einstellungsverfuegung, schreiben von staatsanwalt heissler vom 10. 6. 1976

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