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Wed Apr 16 12:28:52 1997
 

Veranstaltung zum 20. Todestag von Ulrike Meinhof

am 3. Mai 1996 im Auditorium Maximum der TU Berlin


Wir danken allen, die das Gelingen der Veranstaltung möglich gemacht haben, u. a.:
Netzwerk Berlin, GAL HH, , AStA TU Berlin , Andre Brie, Verein zur Förderung von Information HH, Frauen- und Lesbenrat AStA HH, Stiftungsverband Regenbogen Bundestagsgruppe der PDS
Die Videodokumentation der Veranstaltung kann ausgeliehen werden bei: Autofocus Berlin, Eisenbahnstraße 4, 10997 Berlin, Tel.: 030/618 80 02, Fax.: 030/611 15 83


Podiumsgesräch mit Monika Berberich, Ali Jansen, Johann Kresnik, Ralf Reinders, Karl-Heinz Roth, Monika Seifert, Christan Ströbele und Klaus Wagenbach. Moderation Halina Bendkowski

Abschrift der Beiträge

(Die Beiträge wurden nur stilistisch überarbeitet. Weggelassen wurden Äußerungen, die sich auf äußere Bedingungen (z.B. schlechte Akustik, zeitliche Begrenzung usw. bezogen.)

Halina Bendkowski: Ich möchte ich Sie alle sehr herzlich begrüßen; wir sind natürlich erstaunt und erfreut, daß Sie so zahlreich erschienen sind - zum ersten Mal wieder ein Mehr-Generationen-Treffen zu einem linken Thema. Das kann uns nur erfreuen. Ich begrüße Sie also sehr herzlich und insbesondere möchte ich die vielen ehemaligen Gefangenen aus der RAF und der Bewegung 2. Juni sowohl auf dem Podium als auch im Publikum begrüßen. Wenn Sie auch nochmal klatschen könnten... (längerer Beifall, Rufe).
Auf dem Podium links außen sitzt Hans Christian Ströbele, Anwalt mehrerer RAF-Gefangener; neben ihm Johannes Kresnik, Choreograph, der in der Volksbühne Ost ein Stück über Ulrike Meinhof inszeniert hat; daneben Monika Berberich, Ex-RAF-Gefangene, 17 1/2 Jahre in Haft; daneben Monika Seifert, die sich als "alte Freundin von Ulrike Meinhof" etikettiert hat. Ich bin Halina Bendkowski; ich bin wahrscheinlich neben Johannes Kresnik die einzige, die Ulrike Meinhof nicht persönlich gekannt hat. Neben mir sitzt Ralf Reinders aus der Bewegung 2. Juni, 15 Jahre in Haft; daneben Klaus Wagenbach, der Verleger von Ulrike Meinhof und über Ulrike Mein-hof; daneben Ali Jansen, ein Ex-RAF-Gefangener, 16 Jahre in Haft; und daneben Karl-Heinz Roth; hier ist er als Buchautor aufgeführt, aber wie ich der Lektüre entnommen habe, ist er ein Zaungast und ein intimer Mitdiskutant der RAF und auch durch viele Veröffentlichungen zur neuen Strategie der Linken bekannt. So, also noch einmal, nachdem ich jetzt alle vorgestellt habe und Sie noch einmal applaudieren, dankeschön (Beifall), möchte ich ihnen gleich sagen, welche Schwierigkeiten mir mit dieser Veranstaltung entgegengekommen sind. Ich bin kritisiert worden von meinen feministischen Freundinnen, wie ich nur auf einem Podium sitzen kann und dann auch noch zu Ulrike Meinhof, wo nur drei Frauen beteiligt sind, ansonsten Männer (Beifall), weil ja Ulrike Meinhof auch eine Identifikationsfigur, eine Wegbereiterin der feministischen Bewegung war, wie wir heute der taz dank Ulrike Helwerth entnehmen konnten. Weshalb das so ist und die Besetzung des Podiums wird Monika Berberich erklären. Ich selbst möchte sagen, daß wir in einem "konkret"-typischen Dilemma sind. Oliver Tolmein hat es in der aktuellen "konkret" beschrieben: Entweder wird Ulrike Meinhof als Ikone oder als Präparat für ideologische Bewältigung verarbeitet. Wir werden diesem Dilemma wahrscheinlich auch hier nicht entgehen, und dennoch ist es wichtig, daß diejenigen, die mit Ulrike Meinhof direkt zu tun hatten, mit der Wahrheit einem journalistischen Dilemma entweichen. Im aktuellen "Freitag" von heute ist ein Gespräch mit Renate Riemeck von Marina Achenbach, die gesagt hat, ihre Verzweiflung war unser aller Verzweiflung. Ich möchte dazu sagen, daß Ulrike Meinhof ansonsten eigentlich eine Unperson ist. Sie werden vielleicht das Munzinger-Archiv kennen, was für Journalisten die Quelle ist nachzugucken, was Menschen des Zeitgeschehens zu sagen haben oder wo sie aufzufinden sind. Ulrike Meinhof ist als einzige nicht im Munzinger-Archiv existent. Die Sorge, die ihre Tochter im Spiegel-Artikel geäußert hat, daß Ulri-ke Meinhof in der Stuttgarter Zeitung damals als die "negativste Symbolfigur der BRD" gesehen worden ist, scheint absolut nicht zu stimmen, wie wir auch heute der Veranstaltung, der Quantität oder hoffentlich auch der Qualität entnehmen können (Beifall). Es gibt auch noch einen Unterschied, den ich selber bemerkt habe. Ich bin ja politisch aktiv als Feministin, und wenn ich losgehe und Plakate kleben will, dann wollen meistens die Leute die Plakate nicht, dann sagen sie, zwischen Klo und irgend so ner Kammer kann ich die Plakate aufhängen. Diesmal war es so einfach wie noch nie, die Plakate, die ja auch sehr schön geworden sind, zu hängen; auch ganz junge Leute erkannten Ulrike Meinhof sofort und hingen andere Plakate ab, die noch nicht abgelaufen waren, und ich durfte Ulrike Meinhof überall ganz prominent plakatieren. Ich denke, daß das einiges sagt zum Bedarf, sich anders mit Ulrike Meinhof auseinanderzusetzen, als es die Medien gemacht haben und wahrscheinlich auch am 9. Mai betreiben werden. Weshalb wir also mit Realität dem zuvorkommen wollen, soll jetzt Monika Berberich erklären. Danke.

Monika Berberich.: Zunächst will ich hier kurz drauf eingehen, was Halina grade sagte in Bezug auf Frauen. Wir haben eine ganze Reihe von Frauen angesprochen in der Vorbereitungsgruppe und haben eine ganze Menge von Absagen bekommen. Wir hätte auch gerne mehr Frauen hier auf dem Podium gehabt, es hat aber leider nicht geklappt. Die Absagen waren aus ganz unterschiedlichen Gründen, die wir auch alle respektiert haben, aber es war nicht so, daß wir uns nicht drum bemüht hätten. Ich find es selber auch schade, aber so ist es nun.
Ich wollte was dazu sagen, wie diese Veranstaltung überhaupt zustande gekommen ist. Die Idee kam aus der Überlegung von einigen von uns, ehemaligen Gefangenen vor allen Dingen, daß wir zu diesem 20. Todestag doch auch von uns aus, d.h. von denen, die mit Ulrike zusammen in der RAF und im Gefängnis gekämpft haben, an sie erinnern könnten; daß wir öffentlich über sie reden, mit unseren Erinnerungen, und es nicht den Medien, sei es den bürgerlichen, sei es den linken, überlassen. Wir haben ein paar Leute angesprochen und angefangen, dieseIdee zu diskutieren. Es kam sehr schnell die Frage: Ulrike ist eine von vielen Toten aus dem bewaffneten Kampf, die anderen waren auch wichtig, weshalb werden die anderen nicht erwähnt? Wo bleiben die dann? Wir haben das diskutiert, denn das ist natürlich ein Einwand. Wir haben uns trotzdem entschieden, diesen Tag zu nehmen und an Ulrike zu erinnern, zum einen, weil sie für uns, die da diskutiert haben, ganz direkt eine sehr wichtige Funktion hatte, weil sie für uns eine Orientierung war, eine große Bedeutung hatte damals in den Anfängen der RAF, und weil diese Bedeutung korrespondiert mit der Bedeutung, die sie für die gesamte Linke hatte. Wir haben uns klargemacht, daß, wenn wir hier über Ulrike reden, allen anderen nichts abgeht, daß sie dadurch nicht irgendwie in den Schatten gestellt werden; und auch, daß wir über Ulrike nur reden können, wenn wir über die Politik reden, für die sie steht - vor ihrer Entscheidung, in die RAF zu gehen, in der RAF, im Gefängnis - und auch über die Menschen reden, mit denen sie diese Politik gemacht hat, und das wollen wir hier dann auch versuchen.
Ihre Bedeutung für uns... Ulrike war diejenige in der RAF, die die längste politische Geschichte hatte; wir, die meisten, praktisch alle Anderen, sind gekommen aus der Studentenbewegung und der APO, wir haben uns darin, also Ende der 60er Jahre, politisiert. Sie hatte eine sehr viel längere Geschichte. Sie war aktiv in der Bewegung gegen die Wiederbewaffnung, also gegen die Schaffung der Bundeswehr, gegen die Atombewaffnung der Bundeswehr; sie war in der illegalen KPD; sie war weiter aktiv in der Bewegung gegen die Notstandsgesetze, im Protest gegen den Vietnamkrieg, sie hat über 10 Jahre lang als engagierte linke Journalistin gearbeitet und war bekannt, war anerkannt bis weit in bürgerliche Kreise rein; all das, diese Erfahrung hat sie mitgebracht in die RAF, als wir ange-fangen haben, und es war für uns enorm wichtig, daß sie diese Erfahrung weitergeben konnte; auch ihre moralische Integrität, die für uns einfach Orientierung und Beispiel war. Ich denke, da kann ich reden für alle, die sie damals mitgekriegt haben, Ali wird das sicher bestätigen können.
Wir waren dann bei unseren Überlegungen auch damit konfrontiert, daß über Ulrike bestimmte Bilder existieren. Ich will das kurz umreißen. Das ist einmal das absolut und schlechthin Böse, das ist das Bild von rechts, das für uns eigentlich relativ uninteressant ist; von da ist nichts anderes zu erwarten. Sie wird da abgetan als Kranke und Irre, die sich schließlich ihrem gerechten Schicksal selbst zugeführt hat. Sie ist für die radikale Linke die Ikone, die hehre Kämpferin, die Märtyrerin, die vom Staat umgebracht worden ist, die Kämpferin ohne Fehl und Tadel. Sie ist für die eher alte, eher reformistische Linke eigentlich eine der Ihren, die in die RAF reingestolpert ist, eigentlich diese Politik gar nicht wollte und dann in diesem Widerspruch, weil sie ihn nicht lösen konnte, den Ausweg gesucht hat, sich selbst zu töten. Das sind ungefähr, jetzt mal etwas vergröbert, die Klischees, die Bilder, mit denen wir konfrontiert sind. Alle, die sie kannten, wissen, daß es nicht stimmt. Die haben eine ganz andere Erinnerung; ich habe eine völlig andere Erinnerung an eine Frau, eine politische Frau, einen sehr lebendigen Menschen, mit der man streiten konnte, mit der man zusammenarbeiten konnte; wir haben uns oft gestritten, wir haben viel zusammengearbeitet; es ist fast banal, es zu sagen, ja, sie war eine von uns, und real hat das Bild, was von ihr existiert, nichts zu tun mit dem, wie sie war. Trotzdem könnten wir uns hinstellen, könnten über sämtliche Medien in der BRD das verbreiten, wie wir sie kennen - ich glaube, jeder, der das sich durch den Kopf gehen läßt, merkt es, spürt es, weiß es: Es würde nichts ändern an diesem Bild. Das Bild würde nicht mal angekratzt vermutlich. Ich denke, das ist deswegen so, weil dieses Bild im Grunde gar nicht Ulrike meint, sondern es meint eine bestimmte Politik. Sie ist da, in diesen verschiedenen Versteinerungen, diesen verschiedenen Bildern, einfach ein Symbol für eine ganz bestimmte Politik, und die Existenz dieser Versteinerungen verweist m.M.n. auf die Existenz von unausgetragenen politischen Konflikten, von dem Widerspruch zwischen dieser alten linken Politik und der Politik, die die RAF versucht hat, der bewaffneten Politik - dem ungelösten Konflikt, wo mit ihrem Tod eine Situation eingetreten ist, in der er nicht mehr lösbar war oder wo das auch nicht mehr versucht worden ist; wo andere Momente in den Vordergrund gestellt worden sind. Es ist an ihrem Tod und später auch am Tod der anderen Gefangenen in Stammheim hauptsächlich diskutiert worden, war es Mord oder Selbstmord, das hat einen enormen Stellenwert bekommen. Das ist natürlich eine wichtige Frage, ich denke aber, der Stellenwert, den sie hatte, der war falsch. Es blieb kein Raum mehr, um zu überlegen, wie war die Situation, hätte es sein können, daß sie einfach einen selbstbestimmten Schritt vollzogen hat, wie das Jan-Carl Raspe als grundsätzliche Möglichkeit ja auch kurz angedeutet hat in der allerersten Erklärung, über die nicht mehr gesprochen worden ist. Ich will das ganz klar machen, ich persönlich war damals überzeugt und bin bis heute absolut davon überzeugt, daß sie ermordet worden ist (Beifall), aber für mich hat es nicht mehr diesen Stellenwert, diese Absolutheit, d.h. ich kann mich auch mit denen an einen Tisch setzen und diskutieren, die es anders sehen, weil ich denke, wir müssen ganz anders schauen auf die Politik, die da aufgehört hat, sich auseinanderzusetzen; auf die Widersprüche, die erstarrt sind und die m.M.n. bis heute nicht gelöst sind. Ich denke, daß Ulrikes Tod eigentlich nie wirklich verarbeitet worden ist, politisch verarbeitet. Es hat keine wirkliche politische Antwort darauf gegeben, nicht von uns, also von der radikalen Linken, auch nicht von der alten Linken, von der linken Intelligenz. Es hat die persönlichen Verarbeitungen gegeben, eher schlecht als recht, aber das hat keinen politischen Ausdruck gefunden. Die Reaktion oder die Antwort der RAF war eine militärische, nämlich der Versuch bzw. die Anstrengungen, die anderen Gefangenen zu befreien, um zu verhindern, daß sie auch umgebracht werden; es war aber keine politische Antwort. Wie die hätte aussehen können, weiß ich auch nicht, das will ich hier auch nicht vorgeben, es wäre aber das, worüber zu diskutieren wäre: Was ist in diesem Moment, was ist am Tod von Ulrike auseinandergegangen, was ist falsch und in eine Richtung gelaufen, die diese mili-tärische Antwort, diese Zuspitzung in der Auseinandersetzung um diese Gefangenen möglich gemacht hat. Das wäre etwas, was ich hier zur Diskussion stellen möchte. Ich denke, wir sollten wieder drauf zurückkommen, diese Widersprüche auszugraben, zu gucken, worin be-standen sie eigentlich, und vor allen Dingen: Haben sie heute noch eine Relevanz? Denn natürlich erinnern wir uns nicht an Ulrike, weil wir nur in der Vergangenheit leben oder so zum Gedenken, sondern weil wir nach vorne wollen; weil die Verhältnisse, aus denen wir uns damals entschieden haben, sie nicht zu ertragen und zu versuchen, sie grundlegend zu verändern, weil diese Verhältnisse sich im Kern nicht verändert haben. Das kapitalistische System hat sich in seinen Grundmustern nicht verändert. Die Rahmenbedingungen sind sehr anders, das wissen wir alle: Der Zusammenbruch der sozi-alistischen Staaten usw., aber das Grundmuster: Das Kapital, das als Kapital fungieren muß mit seinen Sachzwängen und all dem, das hat sich nicht verändert. Wir wollen uns weiterhin nicht damit abfinden, und wir wollen mit all denen, die sich weiterhin nicht damit abfinden wollen, darüber in die Diskussion kommen. Deswegen haben wir ein breiteres Podium hier, deswegen haben wir breit eingeladen und hoffen, daß es möglich ist. Die Situation, wir haben das auch gesagt in den Flugblättern und Einladungen, ist so für uns: Wir gehen aus vom Scheitern der RAF, d.h. vom Scheitern des Projektes RAF, d.h. nicht nur die Letzten jetzt, die noch illegal sind, die sind gescheitert, sondern dieses ganze Projekt, wie es konzipiert war von Anfang an, nämlich sich als Stadtguerilla, als eine Metropolenguerilla zu verankern, die sich begreift als Fraktion einer linken Bewegung, die sich insgesamt zum Ziel gesetzt hat, das System umzuwälzen - dieses Konzept ist gescheitert. Das spricht nicht gegen die Einzelnen, die darin gekämpft haben, es soll auch überhaupt nichts abwerten, aber das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Es gibt revolutionäre Politik nicht mehr als relevanten Faktor; es gibt ganz viele einzelne Ansätze, Leute, GenossInnen, Gruppen, die nachdenken, die diskutieren, die wieder versuchen, etwas in Gang zu bringen. Ich denke, es gibt auch keine Reformpolitik mehr, weil in der Krise jetzt dafür eine Basis fehlt. Eine grundlegende Veränderung gegenüber der Situation des Aufbruchs Ende der 60er ist, daß wir heute keine Perspektive mehr haben. Wir hatten sie damals; wir haben uns begriffen als Teil des weltweiten antiimperialistischen Befreiungskampfes, der Befreiungskämpfe v.a. in den Ländern des Trikont mit einer besonderen Verpflichtung hier in den Metropolen. Es gab ja diesen Kampf; das gibts heute kaum noch; die meisten Befreiungskämpfe sind an ihre Grenzen gestoßen; diese Perspektive fehlt uns, wir müssen sie uns neu erarbeiten. Die Belastung einer ungeklärten, unbegriffenen Vergangenheit kann uns da nur hinderlich sein. Das ist für mich z.B. auch ein Moment, weshalb ich gesagt hab, wir machen diese Veranstaltung, wir fangen diese Diskussion an. Wir haben gesagt, es kann nur ein kleiner Anfang sein, aber wir wollen diese Geschichte uns wieder aneignen, wir wollen die alten Widersprüche klären, schauen, was ist noch da. Denn wenn die Politik, deren Ausdruck diese Widersprüche waren, gar nicht mehr existiert, wozu brauchen wir dann noch diese Bilder von Ulrike? Und ich sag mal, meine Idealvorstellung wäre, daß irgendwann alle Ulrike sehen können, wie sie wirklich war, als ein Mensch, der gekämpft hat, und nicht mehr in diesen Bildern. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, Monika Berberich. Monika Berberich hat jetzt umrissen, worum es bei dieser Diskussion gehen soll, nur es sollte auch darum gehen. Ich würde jetzt all die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hier bitten, die Widersprüche nicht nur zu beschreiben, sondern sie auch wirklich zu benennen; also nicht nur, daß es Widersprüche gab, sondern welcher Art sie waren und sind im Rückblick. Eigentlich wollte ich jetzt erst Monika Seifert drannehmen, weil sie ja diejenige ist, die sich als Freundin und nicht unbedingt als Genossin präsentiert hat; aber Monika Berberich hat mich dazu verführt, an Karl-Heinz Roth weiterzugeben, weil Karl-Heinz Roth in einem Aufsatz ganz deutlich gesagt hat, daß diese These über Mord und Selbstmord durchaus eine große Relevanz hat für die politischen Konsequenzen daraus. Wäre es möglich, daß du jetzt sprichst?

Karl-Heinz Roth: Diese Debatte hat jahrelang eine große Rolle gespielt und sie hat die Diskussionen der verschiedenen Fraktionen der illegalen und bewaffneten Linken sehr lange blockiert; ich glaube, der Linken überhaupt, nicht nur in Westdeutschland. Wir sollten vielleicht heute abend diese Frage aus diesem Grund auch erst einmal zurückstellen, weil damals Positionen gegen Positionen standen. Es gab interne Untersuchungsausschüsse der Linken, die aufzuklären versuchten, was damals 1976 geschehen war und die auch dann aufzuklären versuchten, was ein Jahr später in Stammheim pas-siert ist. Wir sollten, mein ich, zurückgehen auf die Vorgeschichte dieser Tragödie und sollten heute abend, und das wäre vielleicht ein erster Widerspruch oder eine erste kritische Bemerkung, vielleicht auch an die eigene Adresse, unsere eigene Adresse, davon ausgehen, daß der Tod, ob Ulrike nun durch die Repression, durch die Isolationshaft, also durch den Staat in den Tod getrieben wurde, also sich selbst getötet hat oder ermordet worden ist, daß der Tod zunächst einmal ein Zeichen der Niederlage war und daß diese Niederlage sich mehrfach wiederholt hat. Die bewaffnete Linke der BRD, die ja nicht nur aus der RAF bestand, hat eine Niederlage erlitten, und ich glaube, es ist wichtiger, grade in der heutigen Zusammensetzung dieser Veranstaltung über die Frage zu diskutieren: Was hat diese Niederlage bedingt, war sie unausweichlich? Welche Rolle hat der bewaffnete Kampf in den 70er Jah-ren innerhalb der Neuen Linken gespielt? Wie ist diese Rolle zu bestimmen? Und von daher glaube ich, wird es möglich sein, auf die Person Ulrike Meinhof zurückzukommen, eine integrale Person, eine enorme Persönlichkeit, die, wie Monika gesagt hat, eine längere politische Geschichte hatte als wir, die über einen politischen Pazifismus gekommen war, über eine politische Staatskritik, sich neue soziale Fragen vorgelegt hat, z.B. über Frauen in Leichtlohngruppen oder über Frauen und Jugendliche in Fürsorgeheimen, und von daher einen Sprung gemacht hat, der vielleicht heute so schwer zu erklären ist; nämlich einen Sprung von der eigenen Solidarität mit einer entdeckten neuen sozialen Konstellation von unten zur eigenen persönlichen und politischen Konsequenz. Und diese persönlichen und politischen Konsequenzen hat ein Teil von uns, die hier oben sitzen, und sicher auch Menschen, die hier im Saal sind, mit-erlebt. Und wir sollten darüber vielleicht heute abend sprechen.

Halina Bendkowski: Dankeschön, Karl-Heinz Roth (Beifall). Aber so darf das jetzt nicht weitergehen; jetzt müssen die Konsequenzen auch mal benannt werden. Aber zunächst möchte ich doch Monika Seifert bitten, als älteste Freundin von Ulrike Meinhof ihr Statement abzugeben.

Monika Seifert: Daß ich ihre älteste Freundin bin, das glaub ich nicht. Wir haben uns im Sommer 58 bei einer Konferenz der Anti-Atom-Ausschüsse kennengelernt. Witzigerweise haben wir damals uns und unsere beiden späteren Ehemänner auch gleichzeitig kennengelernt. Es ist so, daß ich, wenn ich an Ulrike gedacht habe in all den Jahren seit sie tot ist, aber eigentlich auch schon seit sie untergetaucht ist, immer ein Gefühl von jämmerlicher Ohnmacht hatte, gepaart mit Verzweiflung und auch Wut. Ihr Tod hat mich dann sehr depressiv gemacht, und daran hat sich auch in den 20 Jahren danach nichts geändert. Der ihr vorbehaltene Ort in meiner Seele blieb schwarz, nie konnte ich ihrer auch einmal heiter gedenken. Als ich gefragt wurde, ob ich hierher kommen würde, hab ich ohne nachzudenken einfach ja gesagt; und es war schon eine erste Erleichterung. Ich rede jetzt erst einmal über die persönlichen Sachen, weil ich denke, daß die mit der Politik etwas zu tun haben. Und dann hatte ich ein paar Tage später plötzlich die Idee: Was wäre eigentlich gewesen, wenn der Genosse Rodewald damals nicht die Polizei, sondern seine Freunde alarmiert hätte und wir die Ulrike festgenommen hätten; und zwar wirklich gedacht hätten, daß wir sie hindern müssen, d.h. diejenigen, die meinten, daß auch damals die RAF schon gescheitert war oder die von vornherein das für ein Unternehmen hielten, das zum Scheitern verurteilt war. Also wir hätten, find ich, das übernehmen müssen und wir habens nicht getan. Wir kamen nicht auf die Idee, daß wir notfalls auch mal unser eigenes Gefängnis machen müssen; mit Kindergärten konnten wir das ja. Es ist komisch, dieser Gedanke hat mich von dieser total depressiven Starre und der Unfähigkeit, irgendeinen Gedanken über dieses ganze Unglück hinaus zu haben... ich war wie befreit, als ich das gedacht habe. Es war vorher furchtbar. Ich hab die Ulrike z.B. nie im Gefängnis besucht. Ich war nicht dazu in der Lage, weil ich gedacht hab, da trennt uns nicht nur eine Glasscheibe, wir werden auch beide nicht wissen, was wir zueinander sagen sollen. Dieser schreckliche Zustand, der hat sich plötzlich aufgelöst, und es passierte, daß ich plötzlich ganz viel Wärme für die Ulrike empfunden habe und auch eine Leichtigkeit, die wir zwei Frauen - wir waren ja junge und ziemlich ernsthafte Frauen - selten hatten. Diese Freundschaft war persönlich, aber meistens haben wir natürlich doch über Politik geredet, und über Männer schon seltener, obwohl wir das auch gemacht haben. Und wenn ich mich frage, was es war, was mich so blockiert hatte, dann denke ich, daß wir uns alle einig waren in der Kritik der repressiven Seiten des Staates. Die RAF konfrontierte uns mit einem Aspekt der Folgen von Unterdrückung, nämlich der Gewalt, nicht nur des Staates, son-dern eben auch von Bürgern. Theoretisch waren wir uns alle einig, daß die Gewalt die Folge von von von von... ist. Aber praktisch gibt es Situationen, wo es nötig ist, Menschen möglicherweise auch einmal zu isolieren und sie vor sich oder auch uns vor ihnen zu schützen. An dieser Stelle hatte man die Praxis dann doch der Staatsmacht überlassen. Einzelne haben versucht, diese Institution, die die Staatsmacht dafür zur Verfügung hatte, zu verbessern. Das war auch eines der Dinge, die Ulrike, bevor sie untergetaucht ist, gemacht hat. Sie hat sich ganz intensiv um die Mädchen in den Heimen gekümmert. Wenn ich jetzt das beschriebene Gefühl zu analysieren versuche, denke ich, es liegt wahrscheinlich daran, daß ich mich auch erleichtert gefühlt habe, daß ich plötzlich nicht mehr das Gefühl hatte, ja, sie ist soweit weg, und ich bin hier. Das, was uns eigentlich verbindet, das konnte die 20 Jahre überhaupt nicht lebendig sein. Ich hab plötzlich gedacht: Ja, wir sind ja eigentlich wirklich am selben Problem gescheitert. Sie, indem sie diese Staatsmacht gewalttätig angegriffen hat, und ich, weil ich von dieser Gewalt - des Staates, aber auch von der der RAF - völlig handlungs- und denkunfähig war. Ich weiß nicht, aber ich vermute, daß es auch anderen Leuten so gegangen ist. Ich denk, daß dies ein unaufgearbeitetes Thema ist. Was Monika Berberich gesagt hat, die Bilder, die es über Ulrike gibt, und die so weiterleben, denk ich, das ist so, weil ganz viele Menschen genau diese Angst hatten, die damals ja wirklich geherrscht hat. Die Situation ist nicht mehr so schlimm, aber dieser Teil ist, denk ich, auch immer noch ein angstbesetzter, weil wirs nie haben aufklären können. Ich denke, daß z.B. im Moment der Prozeß gegen Monika Haas ein deutliches Beispiel dafür ist. Daß es jetzt so wenig, ich will gar nicht sagen Solidarität, sondern nur rechtsstaatlichen Protest gibt gegen das, was mit Monika Haas im Moment passiert, das führ ich auf diesen Punkt zurück; erstmal denken die Leut: Es wird schon was dran sein, wenn das alle behaupten. Aber auch wenn was dran wäre, wovon ich übrigens überzeugt bin, daß das nicht so ist, auch dann wäre das, was da passiert, immer noch ein Skandal. Daß nichts passiert, das ist doch schrecklich und zeigt mir, wie wenig wir bis jetzt geschafft haben, aus dem wirklich was zu lernen. Ich hoffe, daß es hier vielleicht einen Anschub gibt, daß wir doch versuchen können, etwas offener miteinander umzugehen und es uns vielleicht gelingen könnte, das Gewaltproblem nicht auszuklammern. Ich muß gestehen, daß ich auch Schiß hab, daß das heut abend wieder so ausgeht, daß man sich nur noch anschreit. Das Gewaltproblem ist eines der wichtigen Probleme, die dieser Starre, dieser bleiernen Zeit und diesem bleiernen Gefühl gegenüber bestanden. Was damit zu tun hat, davor sollten wir uns vielleicht nicht mehr drücken, sollten es nicht immer nur irgendjemandem hinschieben.

Halina Bendkowski: Dankeschön, Monika Seifert (Beifall). Monika Seifert hat mich auf die Idee gebracht, die Gretchenfrage zu stellen. Es ist tatsächlich so gewesen vor 20 Jahren, und wahrscheinlich sind auch deswegen so viele mobilisierbar, zu einer Veranstaltung zu Ulrike Meinhof zu kommen; nämlich damals haben sich ja alle Linken und Feministinnen die Frage gestellt: Was wäre, wenn Ulrike Meinhof vor unserer Tür stünde? Die meisten von uns haben dann das Weite gesucht, aber es gab ja welche, die die Nähe gesucht haben. Genau der Unterschied scheint mir interessant zu sein, und deswegen haben wir ja auch Ex-RAF-ler und von der Bewegung 2. Juni eingeladen, damit die uns darüber berichten. Ich war eine derjenigen, die das Weite gesucht haben, obwohl ich wohl wie 1000 andere ihre Kolumnen vorher gelesen hatte; und nach dem, wer die alles gelesen hat, muß damals die "konkret" ein Massenblatt gewesen sein, weil alle begeistert waren von ihren Kolumnen; aber dann haben Ulrike Meinhof und die RAF es m.M.n. allen Kritikern leicht gemacht. Das erste RAF-Papier, das uns, die wir etwas zögerlich waren, ob wir denn diese Gretchen-Frage überhaupt beantworten können, gleich so quasi als Sesselhuber bezeichnet hat, die nur über Solidarität palavern und angeben, uns so zu solidarisieren - mit dieser Sprache, mit diesem Duktus hat die RAF oder Ulrike Meinhof es m.M.n. sehr vielen von uns, also mir zumindest, leicht gemacht, mich wieder zu distanzieren. Wie war das aber, Ali Jansen, daß das bei dir anders war?

Ali Jansen: Naja, das war nicht anders, weil ich an diesem Papier mitgeschrieben oder mitdiskutiert hab, und deswegen konnte mich der Duktus dieses Papiers nicht entfernen; es war mit meine Arbeit. Also insofern ist die Frage ein bißchen, naja, sie geht an mir vorbei. (Unklarheit um die Frage, welches Papier.) Das erste RAF-Papier war natürlich ... (Kunzelmann jodelt im Publikum). Kunzel-mann, kannst du das vielleicht draußen machen; ich fänds besser. Oder dann sag, was du zu sagen hast, aber jetzt im Moment pfeifen ist sicher ein bißchen blöde. Also das erste RAF-Papier ist natür-lich weder 72 noch 71 geschrieben worden, sondern das, was letztendlich auch ein RAF-Papier war, ist nach der Befreiung von Andreas geschrieben worden, und in 883 hieß es: Die Rote Armee aufbauen. Ich hatte das Gefühl jetzt, du hast genau das Papier gemeint, was in 883 geschrieben worden ist. Also wie gesagt, das war unsere Diskussion damals, und das war auch die Konsequenz, die wir aus dem, ja wie soll ich sagen, Scheitern der alten Linken gezogen haben, die bis zur Selbstaufgabe legalistisch war, die die bürgerlichen Regeln und Normen zu ihren eigenen Normen gemacht hatte und die an dieser Orientierung - Verteidigung der bürgerlichen Demokratie - auch festgehalten hat, unabhängig davon festgehalten hat, als sich die Situation global und auch national sehr stark verändert hat. Die Entwicklung in Vietnam oder wo auch immer, die ist an dieser alten Linken völlig vorbeigegangen. Sie hat ihre alte Politik weitergemacht. Das war dann ja auch der Einstieg, warum sich die APO eigentlich entwickelt hat. Da war dann nicht mehr die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie angesagt, sondern Revolution, zumindest für den radikaleren Teil der APO. Im Scheitern der APO haben wir dann versucht, auch die Inhalte der APO, die uns wichtig waren, aufzunehmen und weiterzuentwickeln. (Rufe aus dem Publikum) Ja, das kann ich dann halt eben noch sagen. Also für uns wars wichtig, uns in diesem, wie soll ich sagen, internationalen Zusammenhang auch weiter zu begreifen und zu intervenieren und auch ein Organisationsmodell zu entwickeln, das zumindest vom Versuch her so war, daß jedwede Arbeitsteilung und Hierarchie aufgehoben werden sollte. Also Emanzipation und Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit - Gudrun hat das mal "tiefempfundene Freiwilligkeit" genannt - irgendwie nicht als Fernziele zu entwickeln, sondern wir wolltens direkt haben und auch leben. Gut, inwieweit wir da den Anspruch und Realität immer so zusammenbekommen haben, das ist dann noch ne andere Frage; aber genau das war für uns wichtig, und das haben wir, wie gut oder auch schlecht auch immer, in diesen ersten Papieren versucht auszudrücken.

Halina Bendkowski: Danke, Ali Jansen (Beifall). Weil ich etwas näher an die Unattraktivitäten auch der RAF ran will: Dieses Papier, von dem die Rede war, hat ja ein Avantgarde-Verständnis, was nicht nur die alte Linke, sondern auch die neue Linke eigentlich in Diskredit gebracht hat. Jetzt frag ich Ralf Reinders von der Bewegung 2. Juni, was die Differenzen zwischen Euch und der RAF waren und ob es bei euch das gleiche Avantgarde-Verständnis gegeben hat und inwieweit ihr euch da so wohl gefühlt habt, daß ihr auf den Rest der neuen Linken auch gerne verzichtet habt?

Ralf Reinders: Ich hab jetzt hier ein paar deutliche Probleme mit all dem, was hier gesagt wurde (Beifall), weil ich bin nicht von der RAF, ich bin vom 2. Juni und gehörte von Anfang an zu den schärfsten Kritikern der RAF. Es geht, find ich, hier vieles daneben. Kunzelmann bringt die Alt-68er-Stimmung in den Saal. Ist nicht schlecht. Ich finde, alles, was hier gesagt wird, ist Zeitgeschichte, ohne den Zeitgeist rüberzubringen. Ich krieg den Eindruck, als ob wir damals durchgeknallt waren, als ob wir die waren, die aus irgendwelchen merkwürdigen Situationen heraus Aktionen gemacht haben, und das war nicht so. Es kommt hier die Stimmung nicht rüber, ein-fach die optimistische Stimmung, die damals herrschte...(Beifall) Es gibt als Beispiel immer so diesen lockeren Spruch - wir saßen in Kneipen, und es kamen Leute rein, haben was getrunken, gingen wieder raus und sagten: Wir treffen uns wieder zur Revolution. Und das war vom Gefühl her genau, was die meisten Leute betraf. Ich denk, vielleicht wirds ein bißchen lang, die Differenzen zur RAF aufzuzeigen. Es ging um Punkte, daß die Bewegung 2. Juni nicht den Avantgarde-Anspruch hatte und nicht den Anspruch hatte, für die Linke oder für die 3. Welt stellvertretend Aktionen durchzuführen. Wir wollten und waren, und ich denk aus den ersten Papieren der RAF, daß es auch bei ihr so war, Teil der Linken und wollten Aktionen im Zusammenhang mit der legalen Linken durchführen. Diese Diskussionen haben damals auch stattgefunden. Stattgefunden mit Personen, die sich heute von der RAF distanzieren, die sich von uns distanzieren, die uns sehr sehr sehr nahe gestanden haben, um nicht zu sagen, mit dem linken Fuß drin, mit dem rechten in ner andern Partei. Was ich nochmal kurz ansprechen will, weil hier die Frauenfrage gestellt wurde - ich würde sagen, mir fehlt die Klassenfrage hier (Beifall), weil, hier sitzt, glaub ich, ein Arbeiter auf der Bühne, und die Bewegung 2. Juni und auch die RAF setzten sich personell ähnlich wie die Gesellschaft zusammen; beim 2. Juni war die Arbeiterklasse stärker vertreten (Gelächter, Beifall), die Reinickendorfer, von mir aus auch die Tegeler. Es ist so, ich bin mit Ulrike Meinhof ein Stück des Weges gemeinsam gegangen, als wir alle noch viele Unklarheiten hatten, als Theorien für mich und für andere nicht so wichtig waren, sondern vielmehr anstand, daß wir diese Situation in Deutschland oder den Krieg in Vietnam, diese Verbrechen, daß wir dem irgendwas entgegenstellen. Ulrike Meinhof hat mich fasziniert, weil sie eine von den Intellektuellen war, die sich entschlossen hatten, mehr zu machen als nur zu sprechen, zu reden, und dadurch, daß sie was getan hat, hatten ich und andere nicht mehr den Eindruck, daß wir als Arbeiterkinder von diesen Intellektuellen verheizt werden. Das, was uns damals teilweise belastet hat, unser Verhältnis zu Intellektuellen, war eigentlich immer das Gefühl, über Jahrzehnte: Die Intellektuellen sind abgesprungen; die aus den ärmeren Schichten standen etwas dümmer da, die hatten nicht so ne finanzielle Grundlage. Ich will auch was zu dieser Mordnacht sagen. Als ich in meiner Zelle saß und diese Nachricht gehört hab, gings mir und anderen ähnlich: Es konnte sich keiner vorstellen, daß Ulrike Selbstmord gemacht hat. Auch zu dieser Nacht denke ich, daß man nicht darüber reden kann, ohne das Klima der Angst in der Bundesrepublik zu verbreiten. Diese Angst, die draußen geherrscht hat bei Leuten, die sich auf der Straße nicht bewegen konnten, weil sie permanent kontrolliert wurden, weil ihnen und ihren Kindern Maschinenpistolen ins Auto und den Kinderwagen gehalten wurden, weil Wohnungen durchsucht wurden, weil sie einfach terrorisiert wurden; weil Besucher in den Knästen terrorisiert wurden, Anwälte teilweise nicht hinkamen, nicht zuge-lassen wurden. Und erst in diesem ganzen Klima gab es auch diese Möglichkeiten, so wird man es besser verstehen. Ich hab schon mal bei einer anderen Veranstaltung ausgeführt: Es gab nachweisbar konkrete Mordvorbereitungen an den Gefangenen, die wir mit der Lorenz-Aktion befreit haben. Diese Aussage hat der damalige Pastor Albertz bei uns im Prozeß getan und diese Aussage wird von den Medien total unterdrückt, seit nun fast einem Jahrzehnt. Die Gefangenen, die von uns befreit wurden, waren auf einem Flug nach Aden, wo ihre Freilassung gesichert war. Der Flug sollte laut Bestimmung - wer dafür die Verantwortung trägt, wissen wir nicht - in _thiopien zwischenlanden, die Maschine sollte gestürmt werden, und es sollten alle, inklusive Pfarrer Albertz, umgebracht werden. Das hat er bei uns im Prozeß ausgesagt, und wir wundern uns immer wieder, wieso nie Nachfragen kommen, oder wundern uns nicht. Ich denk, bei dem, was hier jetzt so geredet wurde, geht Ulrike, und da muß ich sie einfach wieder verteidigen, es geht einfach unter, daß sie diesen sozialrevolutionären Ansatz am Anfang hatte, daß sie sich selbst als Kommunistin begriffen hat, auch wenn heute diesen Ausdruck kaum noch jemand benutzt, und daß sie nicht nur für die Studentenbewegung stand, sondern für einen Teil der Jugendbewegung. Daß grade in den Jahren 70 - 72 wir nicht nur ganz alleine und nur isoliert dastanden, denk ich, ergaben Umfragen der Bundesregierung, wo gesagt wurde, daß 30 % der Jugendlichen bereit wären, jemand von uns aufzunehmen, wenn wir an der Tür klingeln. Und das war so. Ich hab an Türen geklingelt, andere haben an Türen geklingelt, und das waren nicht immer so die Leute, die die gro0en Worte geführt haben, die uns in die Wohnung gelassen haben; das waren oft Leute, die politisch nicht so bekannt waren, die unbe-kannt waren und die dafür teilweise in die Knäste gegangen sind. Es war auch nicht so, daß wir irgendwie das Gefühl hatten, alleine zu stehen, denn selbst in diesen komischen Studenten-Organisatio-nen, KPD und wie sie alle hießen, war die Diskussion über bewaffneten Kampf und über die Vorbereitung einer Revolution breit angelegt. Sie war oft so angelegt, daß wir zwar das Falsche tun, aber daß natürlich irgendwann die Frage des bewaffneten Widerstands auf der Tagesordnung steht. Oft wurde diskutiert, daß wir viel zu früh dran sind, wobei wir manchmal den Eindruck hatten, zu spät dran zu sein. Ich will auch noch ein bißchen sagen zu diesem Bruch, den Ali erwähnt hat, mit der Reform-Bewegung. Ich find, es ist ein bißchen diffamierend, große Teile der Linken nur als Reform-Bewegung zu bezeichnen. Die Schwierigkeit zwischen Revolution und Reform, ich denk, die hat Rosa Luxemburg schon lange dargelegt, daß es immer so ein breites Feld gibt der Betätigung zwischen revolutionären Zeiten, zwischen reformistischen Zeiten, wie man Reformen nutzt, um weiter voranzukommen; ob man sie nutzt, ob sie uns schaden. Ich finde grad in diesem Zusammenhang diesen Raum als Veranstaltungsort sehr gut, weil die Studenten hier und in Berlin schon wieder son bißchen dabei sind, sich zu formieren; und bevor sie sich richtig formiert haben, möchte ich sie nicht als reformistisch bezeichnen, sondern ihnen erst die Möglichkeit der Entwicklung geben, und dann diskutieren wir drüber (Beifall).

Halina Bendkowski: Du erinnerst mich gleich, bei wem ich mich noch zu bedanken habe für die Vorbereitungsgruppe. Der AStA hat es organisiert, daß wir hier in diesem historischen Raum wieder tagen konnten. Das ist ja der Raum, wo damals die Vietnamkonferenz stattgefunden hat. Dankeschön also dem aktuellen AStA. Jetzt möchte ich gerne Klaus Wagenbach befragen, der das Buch herausgegeben hat von Peter Brückner: Ulrike Meinhof und die deutschen Verhältnisse. Das Buch zu lesen ist übrigens sehr empfehlenswert, weil ich glaube, daß sowohl Junge als auch Alte sich nochmal an die Zeiten erinnern können, die Peter Brückner sehr dezidiert herausgearbeitet hat; Peter Brückner, das will ich zitieren, dann an Klaus Wagenbach übergeben, hat von dem Amoklauf der Abstraktion geredet. Den Menschen, die hier auf dem Podium sind, hab ich vorher angedroht: Sollten sie wieder im Amoklauf der Abstraktionen weglaufen wollen, würde ich ihnen hinterherrennen, weil das nicht geht, es bei dieser Veranstaltung dabei zu belassen. Ralf Reinders hat es aber schon sehr konkretisiert, und jetzt bitte ich um eine intellektuelle Kritik von Klaus Wagenbach dazu, um die Intellektuellen nicht zu sehr zu denunzieren.

Klaus Wagenbach: Mal sehen, ob ich dafür der Richtige bin. Was man vielleicht vorher erklären muß ist, daß Ulrike Meinhof wie auch Monika Seifert wie auch ich einer etwas älteren Generation angehörten als es damals die Studenten waren. D.h. wir hatten alle schon bestimmte politische Erfahrungen, die weit vor 1968 lagen, 1966, Erfahrungen, die z.T. noch in der Nazizeit wurzelten und besonders aber in den 50er Jahren. In den 50er Jahren, nur zur Erinnerung, waren die Studenten keineswegs links, sondern rechts, und der SDS, dem ich damals angehörte wie Ulrike auch, das war ein Häuflein von wenigen Leuten; meistens übrigens Naturwissenschaftler, die Geisteswissenschaftler kamen erst später (Heiterkeit). Während es später z.B. bei einer solchen Versammlung - ich erinnere mich sehr gut an die Vietnamveranstaltung - üblich war, daß, wenn Mikrofone ausfielen, 500 Geisteswissenschaftler fragend sich umsahen: Weiß hier jemand mit Mikrofonen Bescheid?, war das in den 50er Jahren anders. Da konnte man sofort so ein Mikrofon reparieren. Ulrike hatte in dieser Generation, der etwas älteren, eine außerordentliche Fähigkeit, das ist ja auch schon gesagt worden; nicht nur eine Formulierungfähigkeit, eine Spachfähigkeit, sondern auch eine Fähigkeit, bestimmte Sachverhalte zuzuspitzen, so auf einen Punkt hinzuführen, daß die Entscheidung erleichtert wurde. Das war ihre große Wirkung, und das war der Grund dafür, daß die Zeitschrift, in der sie schrieb, "konkret", eine gewaltige, heute ganz unvorstellbare Auflage für ein linkes Blatt von 200- bis 250.000 Exem-plaren hatte und praktisch an jedem Bahnhof, auch in Gießen an der Lahn, verkauft werden konnte. Das war wichtig für die Mobilisierung überhaupt der Linken. Sie hatte auch das Talent, nicht nur Dinge zuzuspitzen, sondern die Linke zu vereinen, sie zusammenzuführen. Es war das eigentliche Problem in der Mitte der 60er Jahre, bestimmte Dinge bekannt zu machen. Sie dürfen nicht vergessen, daß z.B. bis 1968, bis es hier in diesem Saal durchbrochen wurde, Vietnam ein vollständiges Tabu war. Einer der wenigen, der dieses Tabu durchbrochen hat, war zwei Jahre zuvor Erich Fried gewesen mit seinem Gedichtband "Und Vietnam und", und eben auch Ulrike, die schon sehr früh diesen berühmten Text geschrieben hat: "Viet-nam und die Deutschen". Das war die Vorbereitung; das Wort "Gegengewalt" taucht zum ersten Mal 1968 auf, und zwar im Zusammenhang mit der Universität. Es handelt sich um einen berühmten Text von Ulrike Meinhof über "Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren". Ich wollte Ihnen eigentlich dieses Stück vorlesen, was außerordentlich prägnant ist und die Wut und die Verärgerung der Studenten formuliert darüber, daß ihnen das Wort abgeschnitten wurde. Es war das Versprechen von Thielecke und anderen, daß die Studenten hinterher diskutieren dürften, und dann marschierten die Herren wieder raus und ließen das Orchester spielen, und die Studenten sahen sich um die Diskussion betrogen; das war ein ganz entscheidender Punkt in der Mobilisierung. Ich blieb in Kontakt mit Ulrike Meinhof. Es ging dann sehr schnell, dieser Aufsatz ist 1968, und 1970 im Mai ging sie bereits in den Untergrund. D.h. es zeigte sich in diesen zwei Jahren zweierlei: Erstens war diese Mauer offensichtlich undurchbrechbar. Sie dürfen nicht vergessen, es handelte sich um die Gesellschaft der Adenauer-Zeit, eine unbelehrbare Nazihorde, die sicher saß, ein Bürokratenpack allererster Ordnung, mit dem man überhaupt nicht reden konnte, das auch gar nicht diskutierte. Es war eine sehr schwerwiegende Erfahrung für die Studenten damals, dieses Nicht-Reden. Die älteren waren etwas gewappnet, weil sie's schon länger kannten. Es wurde von den Studenten damals im Widerspruch zu ihren Eltern, zu diesen schweigsamen Elternhäusern, eine Zivilcourage abgefordert, die sich viele heute nicht vorstellen können. Das waren diese schweigenden El-ternhäuser des sog. deutschen Wirtschaftswunders, und das forderte ein großes Maß an Zivilcourage. Diese Zivilcourage, d.h. der persönliche Mut, einzeln aufzutreten, das waren oft einzelne Studenten, einzelne Schüler, die vereinzelt kämpfen mußten und sich erst dann zu Gruppen zusammenschließen konnten, dieser Mut wurde dann abgerufen: von der KPD-ML, von den maoistischen Organisationen und in Teilen auch von der RAF. Ulrike Meinhof kam dann im Mai zu mir, am 13. Mai, einen Tag vor der Befreiung; sie hat gesagt, wir machen jetzt einen Vertrag, damit Baader rauskommt; hab ich natürlich sofort eingesehen, Gefangenenbefreiung ist immer gut (Heiterkeit, Beifall). Wir haben diesen Vertrag gemacht über die Ausführung von Baader. Trotzdem hab ich Ulrike gesagt, leider vergeblich: Geh nicht mit. Bleib das was du bist und was du kannst. Es ist mir nicht gelungen, sie zu überzeugen, und wie einige von Ihnen ja wissen, blieb ich natürlich in Kontakt mit der RAF und habe dann nochmal versucht... dies zum Gefängnis, was Monika (Sei-fert) gesagt hat; ich habe einen anderen Weg versucht, leider vergeblich. Ich hatte einen fertigen Fluchtplan; es ist mir leider nicht gelungen, sie zu überzeugen zu fliehen, und so kam es, daß sie wenige Wochen später verhaftet wurde. Wenige Wochen vor ihrer Verhaftung war ich in Hamburg noch, um sie zu überzeugen, aufzugeben. Es ist mir nicht gelungen. So, ich kann noch viel erzählen, ich hör hier mal auf...

Halina Bendkowski: Dankeschön, Klaus Wagenbach (Beifall). In dem Buch könnt ihr vieles nachlesen (Heiterkeit, Beifall), u.a. etwas, was durch ein Beispiel die Ausführungen von Klaus Wagenbach kenntlich macht. Ihr kennt alle Joachim Fest, der früher mal Panorama-Chef war; er ist später Herausgeber der FAZ gewesen und dann Hitler-Biograph. Als der 1976 eine kritische Sendung hat machen wollen zur Notstandsgesetzgebung, ist er entlassen worden wie vor ihm Kogon und Proske. Ich finde das deswegen erwähnenswert, weil das wirklich das Klima, was Klaus Wagenbach beschrieben hat, kenntlich macht.
Ich hab in einem Text von Karl-Heinz Roth gelesen, daß man mit Mythen keine revolutionäre Politik machen kann. Es werden ja die Mythen, die existieren über Ulrike Meinhofs Einstieg in die RAF, ob freiwillig oder nicht freiwillig, immer ganz nach Anschauung oder ganz nach der Person dargelegt. Es ist sehr kompliziert, irgendwie eine Form von Wahrheit da herauszudestillieren; aber das sag ich jetzt nur bei Mythen und weil Karl-Heinz Roth sagt, daß man damit keine Politik machen kann und Johann Kresnik ja mit dem Mythos Ulrike Meinhof Karriere auf einer Tanztheater-Bühne gemacht hat. Ist das erlaubt, Herr Kresnik?

Johann Kresnik: Auch wir im Theater wollten in den 60er, 70er Jahren natürlich politisch denken (Heiterkeit), aber das war nicht so einfach, da wir genau die gleichen Holzköpfe im Theater hatten, die noch von der Nazizeit übriggeblieben sind; die wollten politisch überhaupt nicht arbeiten, und uns ging der ganze Theaterbetrieb in den 60er Jahren schon ein bißchen auf die Socken. In den 70er Jahren hab ich versucht schon Theater zu machen, was ein bißchen links angehaucht ist. Es wurde sofort verboten. Die Stadt Heidelberg, die Politiker, die Parteien und der Intendant haben gesagt, es kommt nicht in Frage. Ich hatte Verbindungen zu Peter Paul Zahl, der mir ein Stück schreiben wollte - verboten. 70er Jahre, Ende 70er, 80er Jahre war das Gespräch über Bambule. Die Stadt Heidelberg hat es sofort abgelehnt, daß wir überhaupt sowas am Theater bringen. Es gelang mir erst in den 80er Jahren, drüber nachzudenken, ob wir Theater jetzt über einen Mythos Ulrike Meinhof machen können. Es war sehr schwierig. Das war eigentlich meine Antwort auf den Fall der Mauer. Auch die Stadt Bremen hat gesagt: Nein. Der Intendant hat gesagt: Nein. Darauf hab ich gesagt: Wenn ich das nicht machen darf, dann geh ich vom Theater weg von Bremen. Mit viel Widerstand ging es. "Ulrike Meinhof" hat dann im Prinzip einen sehr großen Erfolg gehabt. Was das Erstaunliche war: Nach den Vorstellungen gab es unglaublich viele Diskussionen mit Schülern, mit Studenten, mit Arbeitern, mit älteren Leuten v.a. über die gesamte RAF-Entwicklung, was da alles passiert ist. Es kam mir so etwas vor, wie ich in den 50er, 60er Jahren in die Schule ging in Österreich und nichts gehört hab von der Nazivergangenheit. Keiner von uns wußte, was eigentlich los war. Genauso kam es mir mit der RAF vor. Der Pförtner beschimpfte meine Mädchen, die Tänzerinnen, was für ein Schweinestück die da machen: Die Ulrike Meinhof mit der Kalaschnikow. Und die Mädchen kamen zu mir, da es meistens Amerikanerinnen, Engländerinnen oder Französinnen waren: Ja, warum ist denn die so gehaßt, diese Ulrike Meinhof? Bis wir dann zur Diskussion kamen, ich anfing mit Proben und sich die _lteren im Haus, im Theater, auch dafür interessierten: Was macht denn der da fürn Schweinkram? So ist eine Entwicklung entstanden, eine politische Entwicklung im Tanztheater, wie sie vielleicht Kurt Joos vor vielen Jahren, in den 30er Jahren hatte mit dem "Grünen Tisch". Und es sehen heute noch Leute nicht gerne, daß man Tanztheater oder überhaupt Theater macht, was politisch engagiert ist. Aber ich denke nicht dran, drüber nachzudenken, weil ich nämlich auch die Einstellung habe, daß Theater wie-der politischer werden muß und mitdenken muß und nicht in der Zeit stehenbleiben darf (Beifall). Ich glaube, daß dieses Stück "Ulrike Meinhof" sehr viel ausgelöst hat, genau wie dieses Stück, was ich jetzt am Schauspielhaus in Hamburg bringe, "Pasolini". "Pasolini" ist genau so gefürchtet und gehaßt von irgendwelchen Leuten. Ich weiß zwar nicht warum, er ist für mich einer der großen Schriftsteller und Denker gewesen, über seine gesamte politische Einstellung; immerhin war Pasolini einer der ersten in den 60er Jah-ren, der gesagt hat, der neue Faschismus ist der Konsum... (Halina: ...aber wir reden über Ulrike Meinhof.) Ich wollte nur etwas in die Richtung sagen, daß Pasolini gesagt hat: Der neue Faschismus ist der Konsumterror (Beifall). Und ich glaube, das Gefühl, am Theater politisch zu denken, muß weitergehen. Danke. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, Johannes Kresnik. Ja, jetzt last not least Hans Christian Ströbele; überall dabei und immer noch dabei (Hei-terkeit, Beifall), was meine absolute Hochachtung abverlangt; er gehört ja nicht zu denen, die irgendwie Schlustriche gezogen haben auf Kosten seiner selbst oder anderer. Hans Christian Ströbele, wie bist du zu den Grünen nach all den RAF-Erfahrungen gekommen? (Heiterkeit, Beifall)

Christian Ströbele: Also die Frage beantworte ich gleich am Ende. Ich will zunächst was anderes sagen. Vor 20 oder 30 Jahren war ja hier in diesem Saal vieles anders, übrigens auch die Akustik; damals konnte man sich sehr viel besser verständlich machen. Ich war immer in einer Doppelrolle und konnte wegen der Inhaftierung der Leute aus der RAF und der Bewegung 2. Juni und den anderen militanten Gruppen eigentlich bei solchen Veranstaltungen immer nur der Rechtsanwalt sein, der Verteidiger, weil die saßen ja im Gefängnis, und von mir erwartete man, daß ich nun sage, was die meinen, was die für richtig halten, wie die sich fühlen, wies ihnen geht usw.. Nun sind wir hier heute gottseidank, hat lange genug gedauert, in der Situation, daß wir die Betroffenen, die Personen, die Akteure, die Frauen und Männer selber hier auf dem Podium haben. Ich denke, das ist ein Fortschritt, aber wir sollten eben nicht vergessen: Da stehen, wenn ich das richtig zähle, etwa zwölf Namen - die gehören hier auch noch hin, auf das Podium zur Diskussion. (Beifall) Hanna Krabbe, Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar und die anderen, weil, und das ist auch meine Frage oder auch ne provozierende Frage, die ich an die, die schon hier sind, dann zu stellen habe, die ja all die Zeit nicht gestellt werden konnte, wenn ich dann meine Rolle als Anwalt heute endlich aufgeben darf. Ich will nur noch eins sagen zu der Frage, die ja auch angesprochen worden ist: Was ist in dem Gefängnis Stuttgart-Stammheim passiert, 1976, Oktober 1977? Das bin ich natürlich auch immer gefragt worden. Alle dachten, der muß das ja wissen, der kennt sich in der Justiz aus, der kennt die Richter, die Staatsanwälte, und der kennt die Gefangenen, der muß es wissen. Ich kann nur sagen: Ich weiß es auch nicht. Ich bin nur beauftragt, und das ist dann mein letzter Satz als Rechtsanwalt, von Andreas Baader zu sagen zu diesem Thema: Wenn jemand behauptet, ich bin auf der Flucht erschossen worden oder irgendeiner von uns ist auf der Flucht erschossen worden, dann glaubt das nicht. Das war der Auftrag, der mir als Anwalt von Andreas Baader gegeben worden ist, nach außen zu tragen. (Beifall) Wir haben als Rechtsanwälte, als politische Verteidiger, als politische Anwälte immer diese Doppelrolle gehabt. Ich war auch beteiligt, ja auch mit Monika Berberich, 1967, 1968 bei den vielen politischen Aktionen hier in der Stadt, hier in dem Raum auch. Ich weiß deshalb, was vielleicht die Frage erklärt, die Monika Seifert in den Raum gestellt hat: Warum haben du oder andere Ulrike Meinhof nicht festgenommen oder gehindert, das zu tun, was sie getan hat? Das erklärt sich aus der Situation von 1968/69, 1970. Wir waren der Meinung, ich auch, es gibt eine revolutionäre Situation in Berlin-West und in der Bundesrepublik. Wir waren fest dieser Auffassung, Und nicht nur die, die dann tatsächlich den militanten Kampf, den bewaffneten Kampf angefangen haben, waren der Meinung, es geht mit Demonstrationen, Sit-ins und Ähnlichem nicht mehr weiter. Da ist man an einer Grenze angelangt. Die Grenze wurde sichtbar an einer großen Demonstration am 4. November 1969, die sog. Stein-Schlacht am Tegeler Weg; da wurde deutlich, da wurde gesagt, es geht so nicht weiter, wir müssen neue Formen des Kampfes, des politischen Widerstandes entwickeln und praktizieren. Da waren sehr viele von denen, die dann einen ganz anderen Weg gegangen sind, theoretisch auch der Meinung: Man muß militant werden. Ich kenn eine ganze Reihe, die heute in ganz etablierten Stellungen sind, die damals losgefahren sind nach Holland oder nach Italien und Waffen gekauft haben, die aber die Waffen nicht benutzt haben, die nicht in militante Gruppen gegangen sind. Einige wenige, das waren, so hieß das damals, der Blues oder nachher Bewegung 2. Juni und andere Grup-pierungen und eben auch die RAF, die haben gesagt: Wir machen nicht nur Theorie, sondern wir setzen das um. Als sie dann ihre ersten Aktionen, ihre Anschläge gemacht haben, vor allen Dingen die Anschläge, die gerichtet waren gegen das amerikanische Hauptquartier der US-Armee in Frankfurt und in Heidelberg, da gab es in der damaligen, in der Neuen Linken, und ich glaube nicht nur da, auch politische Sympathien mit den Aktionen, mit den Leuten. Ausdruck davon war, daß eben Ulrike Meinhof, wenn sie angeklopft hat, nicht festgenommen worden ist von ihren politischen Freunden oder von ihren früheren oder derzeitigen Genossen, sondern daß sie auch unterstützt worden ist und andere auch. So muß man das verstehen und so kann man das eigentlich nur verstehen, weil das waren nicht in unserer Wahrnehmung damals eine Reihe von verrückten Desperados, das waren politische Menschen, das waren unsere Genossinnen und Genossen, die das gemacht haben. (Beifall) Als die dann, ein ganzer Teil von ihnen im Gefängnis gewesen sind und die Kommunikation nach außen nicht mehr möglich war, da war Ulrike Meinhof, ich hab sie in der Zeit jede Woche fast besucht in Köln-Ossendorf in dem dortigen Gefängnis, da war Ulrike Meinhof die Sensible, die Sensibelste, muß man sagen, von den Gefangenen, die als erste auf den Punkt gebracht hat, was dort mit den Gefangenen passiert, nämlich die Isolationshaft, die genauso Körper und Geist und Psyche schädigen kann oder schädigt, genauso wehtun kann wie körperliche Folter. Sie war es, die das formuliert hat, die das auf den Punkt gebracht hat, die Texte dazu geschrieben hat, die ja auch veröffentlicht worden sind. Das war meine Erfahrung mit Ulrike Meinhof auch in den Jahren danach. Die Diskussion, die danach gewesen ist, das war im Wesentlichen eine Diskussion, die sich beschränkte auf die Auseinandersetzung mit den Rechtsanwälten, weil andere Kommunikation untersagt worden ist, weil andere Kommunikation so gut wie unmöglich gewesen ist. Aber das, und jetzt komm ich dann zu meiner Frage, das ist ja nur die eine Seite der Medaille. Sicher-lich haben die staatlichen Organe, hat die Justiz, hat die Gene-ralbundesanwaltschaft, die Gerichte die Isolation angeordnet und haben es verhindert, daß eine Diskussion mit den Genossinnen und Genossen draußen möglich gewesen ist, auch über die politische Entwicklung, die reale politische Entwicklung in Deutschland, in der Welt weiter. Aber, und das, denk ich, ist auch ein großer Fehler, den man jetzt auch mal auf den Tisch legen muß und fragen muß, wie konnte es dazu kommen? - auch die Gefangenen selber, die Genossinnen und Genossen aus der RAF im Gefängnis, in den Gefängnissen haben eine Haltung an den Tag gelegt, haben sich der Diskussion, jedenfalls der offenen, der nicht voreingenommenen Diskussion verweigert. Sie haben die Leute, ihre Partner der Aus-einandersetzung, allein danach bestimmt: Wer ist für uns und wer ist gegen uns, wer unterschreibt unsere Politik mit allem, was wir machen, mit dem reden wir, mit den anderen reden wir nicht, die sind auf der anderen Seite der Barrikade. Und ich denke, das war ein ganz wesentlicher Fehler von Euch, daß ihr den Kontakt zu der Bewegung, aus der ihr gekommen wart, und der Bewegung, die euch auch ne Zeit lang getragen hat, daß ihr diesen Kontakt nicht gesucht und in einer offenen Diskussion auch andere Wege und andere Auffassungen zugelassen habt, daß ihr das nicht möglich gemacht habt. (Beifall)
Jetzt will ich mich um die letzte Frage nicht drücken, auch wenn die ein bißchen an die Seite führt. Es gab u.a. auch einen, der damals zu den ersten Leuten gehörte, die sich für den bewaffneten Kampf entschieden hatten, der aus ner bürgerlichen Existenz in den Untergrund gegangen ist, zur Waffe gegriffen hat, einer, das war ein Kollege von mir, der mit mir im Anwaltsbüro gewesen ist, der damals, und das waren die unterschiedlichen Wege, nachdem man feststellte 69, es geht nicht weiter, der gesagt hat, ihr müßt in die Institutionen gehen, ihr müßt in die Parteien gehen und müßt auch von da heraus versuchen, eine grundsätzliche Veränderung der Gesellschaft herbeizuführen. Ich bin einer von denen, der solidarisch war mit den Gefangenen, der sich für sie eingesetzt hat und auch vor allen Dingen dafür eingesetzt hat, daß sie weiterhin in dem Diskussionsprozeß mit uns Genossen gewesen sind, aber der diesen andern Weg gegangen ist, der dann in die Parteien gegangen ist und später mit bei den Grünen und bei der AL hier mitgewirkt hat.

Halina Bendkowski: Dankeschön, Hans Christian Ströbele (Beifall). Ich bin besonders dankbar, weil Hans Christian Ströbele das klare Wort ausgesprochen hat, auch an die Adresse jetzt der RAF-ler und der Bewegung 2. Juni und vielleicht Zaungästen und gesagt hat, als es dann soweit ging, daß die Entscheidung zwischen Schwein oder Mensch anstand, das war ja auch ein Begriff von euch, man zwischen Sympathie und Antipathie sich zu entscheiden hatte, daß das zum Niedergang der Linken auch geführt hat. Ich hab mich gewundert über ein Papier von Karl-Heinz Roth, der den Niedergang der Linken damit erklärt hat, was in der DDR und der Sowjetunion passiert ist. In meiner Erinnerung waren die 80er Jahre schon vorher von dem Verlust des linken Kollektivs bestimmt und das Denken über solidarische Gesellschaft verschwunden. Und deswegen, weil Karl-Heinz Roth vorhin nur so wenig Gelegenheit hatte, was zu sagen, und weil er doch als einer der Theoretiker derer gilt, die nach vorwärts gucken, und das müssen wir ja an einem solchen Abend, bitte ich ihn, jetzt was zu sagen, was die Fehler der RAF waren und all derjenigen, die dazugehörten, und zum Niedergang der Linken beigetragen haben.

Karl-Heinz Roth: Die Moderatorin stellt wirklich sehr harte Fragen, und es ist nicht leicht, eine solche Bilanz in wenigen Sätzen zu versuchen. Ich will es probieren, um die Diskussion nicht zu blockieren. Ich glaube, es hat zwei Phasen gegeben. Eine Phase, die etwa bis zur Verhaftung von Ulrike reichte, bis 1972/73 etwa, in der innerhalb des militanten Spektrums der Linken eine breite Diskussion auch in der Illegalität stattgefunden hat über strategische Wege. Ich kann hier nur an das anknüpfen, was Christian und v.a. auch Ralf gesagt haben. Wir haben damals bis 1972/73 alle an die soziale Revolution in der Welt und in Europa geglaubt. Das war keine Fiktion, wir haben nicht gesponnen. Bspw. unser Engagement gegen den Indochina-Krieg hatte ganz handfeste Hintergründe. Wir haben jahrelang, bevor Gruppen in den Untergrund gingen, Deserteure der amerikanischen Armee in ganz Europa unterstützt, die wegen des Indochina-Kriegs aus der US-Army verschwunden waren, und wir haben plötzlich den geheimen Verfolgungsapparat der US-Army kennengelernt. D.h. also, wir haben in unserem Alltag in dieser Zeit politische Erfahrungen gemacht, die uns auf der einen Seite ungeheuer nach vorne katapultiert haben und die uns auf der anderen Seite aber auch überrollt haben. Es gab also in diesem Kontext Erfahrungen, die über uns hereingestürzt sind und die nicht nur mit Indochina zu erklären sind, sondern auch bspw. mit den Entwicklungen in Indonesien oder den sozialrevolutionären Befreiungsbewegungen in Afrika, wo es völlig selbstverständlich war, daß Delegierte dieser Befreiungsbewegungen aus Angola oder sonstwo 67/68 zu uns kamen und Unterstützung einforderten, und zwar sehr handfeste Unterstützung. Es gab also ein Klima, wo wir Teil eines weltweiten Prozesses waren, und ich spreche jetzt bewußt nicht von der studentischen Seite, von Berkeley usw., die auch eine Rolle gespielt hat. Black Panthers haben uns viel mehr geprägt aus den USA, nämlich die schwarzen Deserteure der US-Army, als die amerikanische Studentenbewegung. Und in dieser Situation entstand eine Strategie-Debatte; die Stategie-Debatte der RAF ist diskutiert worden. Sie ist m.E. sehr schnell auf eine Position gegangen: antiimperialistische Positionen in der Metropole zu vertreten. Sie hat in dieser Diskussion alle Versuche blockiert, eine soziale Basis für diesen sozialrevolutionären Befreiungskampf in der BRD und in Europa selbst zu finden. Ralf Reinders hat das aus seiner Sicht für die Bewegung 2. Juni gesagt. Es gab andere Gruppierungen und andere Zusammenhänge, die zwischen, ja die wirklich zwischen den Stühlen saßen und die auch ganz andere Kontakte hatten, bspw. nach Frankreich oder v.a. nach Italien, wo es eine Studentenbewegung gegeben hatte, die sich mit einer jungen und ganz neuen Arbeiterbewegung und Technikerbewegung in Italien verbunden hatte. Und da entstanden in den Fabriken bewaffnete Gruppen, die Roten Brigaden. Es gab also viele Alternativen. Es gab das Konzept, das Gegenkonzept 2. Juni, das eine proletarische Antwort, eine Antwort der Subkultur auf die Ansprüche der RAF gab. Es gab andere Versuche, bspw. im Kontext der italienischen Erfahrungen, von den Betriebsstrukturen aus eine Guerilla aufzubauen. Es gab später, Mitte der 70er Jahre, Versuche, die Massenbewegung, soweit sie noch existierte oder neu entstand, z.B. die Anti-AKW-Bewegung, militärisch sozus. zu konsolidieren, d.h. also Operationen zu machen gegen die Infrastruktur des Nuklearkapitals, um die Massenbewegung voranzutreiben. Der Begriff ist hier noch überhaupt nicht gefallen, nämlich die Gruppierung der Revolutionären Zellen, die in diesem Kontext und in der Debatte entstand. Es gab also eine Phase der breiten geheimen Diskussion, der illegalen Diskussion. Mein politischer Zusammenhang hat mit Ulrike und anderen Genossinnen und Genossen aus der RAF knapp bis vor ihrer Verhaftung diskutiert. In dieser Situation waren die Optionen offen, und es gab eine offene Diskussion; es gab sozus. die Entwicklung unterschiedlicher Konzeptionen. Gemeinsam war, daß, und das hat Ralf formuliert, die Intellektuellen, die nur auf der verbalen Ebene bleiben wollten oder geblieben sind, nicht mehr dabei waren. D.h. also, in diesem Diskussionsprozeß erfolgte ein Umschlag. Dieser Umschlag war bedingt einmal durch die Zügellosigkeit der Repression, und durch die Tragödien in den Gruppen. Ich möchte das hier auch noch einmal ansprechen: Wir haben alle Tragödien über uns herkommen sehen. Wir kennen alle wahrscheinlich hier auf dem Podium mindestens 30 bis 50 Menschen, die umgekommen sind, die sich selbst getötet haben, die irgendwo untergegangen sind, deren Spuren sich verloren haben und über die wir teilweise bis heute nichts wissen. Auch das sollte heute abend gesagt werden, wenn wir über Ulrike Meinhof sprechen. (Beifall) Der zweite Grund, weshalb der Dialog abgebrochen ist, das war die Tatsache, daß der globale Prozeß gegen uns stand. Wir waren nicht mehr in der Lage, unter dem Zugzwang der Auseinandersetzung über illegale und bewaffnete Optionen die Veränderungen der gesellschaftlichen Prozesse zu begreifen, die seit Mitte der 70er Jahre einsetzten. Und da, glaube ich, setzt eine zweite Isolierung ein, v.a. deshalb, nachdem die Gruppen, die genau auf solche Mobilisierungsstrategien gesetzt hatten wie der 2. Juni, ihrerseits Tragödien erlebt hatten. D.h. also, die revolutionäre Euphorie, die revolutionäre Hoffnung ist verloren gegangen, und wir waren, und vor allem diejenigen, die wirklich die Schritte bis in den bewaffneten Kampf gegangen sind, in einer Situation, in der keine Möglichkeit mehr bestand, den Dialog fortzusetzen. Das ist die andere Seite. Ich glaube also, daß es zwei Ebenen gibt: Es gibt die Ebene der Diskussionsverweigerung, v.a. durch die RAF, und es gibt viele Menschen, die durch die Härte und durch die Bedingungslosigkeit, mit der die RAF seit 73/74 Unterstützung eingefordert hat, demoralisiert worden sind. Aber es gibt auch die Tatsache, daß die Optionen nicht mehr rückgängig zu machen waren, d.h. also, daß der Dialog in der Illegalität kaputt gegangen ist. Jetzt möchte ich zumindest einige Punkte diskutieren oder zumindest sozus. in Nebensätzen formulieren, die eigentlich ungelöst sind. Z.B. was vorhin kurz angedeutet wurde von Monika Seifert. Ich teile überhaupt nicht ihre Position, aber das Problem der Gewalt war ein Problem in den Debatten: Wie weit darf revolutionäre Gewalt gehen? An welchem Punkt werden die Mittel zu einer Konstellation führen, wo das Ziel zerstört wird? Ich erinnere nur an die Problematik z.B. der Flugzeugentführungen. Wer sitzt denn eigentlich in den Flugzeugen und wer saß in den Flugzeugen? Diese Diskussionen sind nicht mehr geführt worden. Es sind viele andere Diskussionen nicht mehr geführt worden, weil sie nicht mehr geführt werden konnten, denn die Genossinnen und Genossen saßen im Knast. Der Prozeß ist über sie und über uns hinweggegangen. In anderen Ländern viel dramatischer als hier; auch das sollte heute abend gesagt werden. In Italien bspw. gab es eine ganze massenhafte Bewegung zur militanten oder bewaffneten Autonomie, und 81/82 saßen zeitweise 7-8000 Genossinnen und Genossen um Knast. Nur zum Vergleich für die BRD-Situation, weil dort der bewaffnete Kampf eine viel breitere soziale Basis erobert hatte; weil er sehr viel stärker verankert war. Auch diese bewaffneten Bewegungen sind untergegangen, und es stellt sich überall die gleiche Frage: An welchem Punkt waren wir nicht mehr in der Lage, den Umschlag der gesellschaftlichen Prozesse zu definieren, der unsere revolutionä-ren Erwartungen, die akute Erwartungen waren, wie alle hier eben bestätigt haben, desavouiert hat? Warum haben wir es nicht geschafft, aus der Illegalität zu neuen Formen herauszukommen, warum sind keine neuen Formen des Dialogs entstanden? Das sind Fragen, die wir versucht haben, in den 80er Jahren zu diskutieren. Ich freue mich, daß sie heute abend zum ersten Mal vielleicht öffent-lich thematisiert werden. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, Karl Heinz Roth. Die Frage ist konkret gestellt, und jetzt bitte ich wirklich um den Versuch konkreter Antworten, und das sollen die Leute aus der RAF oder der Bewegung 2. Juni machen. Ali Jansen bitte.

Ali Jansen: Ich denke, daß wir in der Tat nach dem Tod von Ulrike nur noch tiefer in die Falle des Staates reingestolpert sind. D.h. nach dem Tod kam die Konzentration der Politik der RAF auf die Gefangenen, verstärkte sich noch mehr; diese Konzentration hats schon vorher gegeben, dazu werd ich dann gleich was sagen; da verstärkte sie sich noch mehr, und die eigentlich längst - also das kann ich von heute aus so sagen, damals hab ich das so nicht gesehen - die eigentlich längst fällige kritische Reflexion des Konzepts RAF trat dadrüber nochmal weiter in den Hintergrund. Ich denke mir, das fing nicht erst nach dem Tod von Ulrike an, sondern das fing an nach 72, als wir praktisch alle in den Knästen waren. Wir sind da mit einer Situation konfrontiert worden, in der wir -wie der Christian eben ganz treffend beschrieben hat, die erste, bei der da die Sensoren etwas empfindlicher waren oder genauer, die das mitbekommen hat, war dann Ulrike - wir sind auf jeden Fall in den Knästen mit einer Situation konfrontiert worden, in der wir, ja man kann das so sagen, um unser Leben kämpfen mußten. Wir waren in einer Art und Weise isoliert, die man sich heute so schlecht vorstellen kann. Als Beispiel nur mal: Bevor ich zum Du-schen rausgeführt wurde, wurde der ganze Knast geräumt, damit ich keine Gefangenen sah, Hausarbeiter wurden weggeschlossen, ich ging durch den ganzen Knast und habe keinen Gefangenen gesehen. Wenn in der Freistunde ein Gefangener am Fenster war und mir irgendwas zurief, wurde die Freistunde abgebrochen; das hieß, weil ich dann natürlich nicht freiwillig gegangen bin, wurde ich mit Gewalt aus dem Freistundenhof raus geholt, und weil ich nicht freiwillig gegangen bin, kam dazu auch noch zusätzlich Arrest und dieser ganze Terror. Ich denke mir, die Situation, mit der wir im Knast konfrontiert waren, ist ganz ursächlich mit dafür verantwortlich, daß wir nicht in der Lage waren und auch nicht willens waren, das Konzept RAF - also 72 wär das sowieso noch nicht möglich gewesen, aber ich denke mir, spätestens 75 hätte es eigentlich, ja späte-stens dann hätte es angestanden, das Konzept RAF einer, ja ich sag kritischen Reflexion zu unterziehen. Dazu waren wir aufgrund der Umstände und der Situation nicht in der Lage, weil wir mit uns beschäftigt waren. Und ich denke mir, da sind wir auch in die Falle des Staates reingestolpert oder reingegangen oder reingezwungen worden. Es hat sich ein Zweikampf Staat - Guerrilla entwickelt, an dem andere nur noch teilnehmen konnten dadurch, daß sie entweder ihre Sympathien zu der einen Seite oder zu der andern Seite ver-teilten; aber unmittelbar Teil dieses Kampfes sein, das war schon sehr schwierig. Gut, ich denke, daß ist das, was ich da im Moment so zu sagen kann. Monika, ich weiß nicht, wie du's siehst, ob du's ähnlich siehst oder ob du noch was anderes dazu zu sagen hast.

Monika Berberich: Ich seh das fast gleich. Wir können das aus heutiger Sicht sagen, das soll aber nicht heißen, daß es damals möglich gewesen wäre und wir es eigentlich hätten schaffen können, weil die Situation richtig beschrieben worden ist: Wir haben um unser politisches Überleben gekämpft, d.h. um unser Überleben als Sub-jekte, als politische Persönlichkeiten, und das hat den allergrößten Teil der Energie erfordert. Es war 75 die Situation, daß der Prozeß in Stammheim anfing. Dieser Prozeß ist inszeniert worden von den Gerichten, von Seiten des Staates Bundesrepublik als die Abrechnung mit der RAF, und es war absolut notwendig, dem was entgegenzusetzen und in diesem Prozeß auch deutlich zu machen, weshalb sind diese Angriffe gelaufen 72, darum gings hauptsächlich; was war die Rolle der BRD im Vietnam-Krieg? Sie war nicht unbeteiligt, sondern sie war direkt beteiligt als Hinterland für die US-Soldaten, sie hat finanziell unterstützt, es waren sogar auch Bundeswehr-Soldaten teilweise da unten. Das zu thematisieren, daran haben alle, nicht nur die Gefangenen, die direkt angeklagt waren, mitgearbeitet. Es wäre auch gar nicht möglich gewesen in der Situation, plötzlich anzufangen und zu sagen: Das war ja vielleicht doch nicht alles richtig ...Wir hätten es vielleicht unter uns machen können, aber das hätte einfach die Kapazitäten überfordert. Das wollte ich jetzt nur nochmal dazu sagen. Das soll nichts rechtfertigen. Es war eine ungeheuer schwierige Situation. Wir hatten gesagt: Es wird sich zeigen an der Praxis, ob das Konzept richtig ist; das war eine Festlegung, da haben wir uns selber auch ein bißchen die Falle gestellt wahrscheinlich, nämlich daß wir auch wollten, daß es richtig ist, und deswegen versucht haben, auch nach außen durch die verschiedenen Hungerstreiks zu mobili-sieren wiederum in diese Richtung statt, als es dann möglich war, darüber nachzudenken. Aber speziell zu der Zeit, die du genannt hat, so 75, 76 war es erstmal gar nicht möglich. Dann kam der Tod von Ulrike, wo ich denke, der hat es auch nochmal sehr erschwert; die ganze Zuspitzung dann. Es hätte bedeutet, eine Niederlage einzuräumen in einer Situation, in der wir absolut unter Druck waren. Ich denke, das war das Moment, weshalb wir da auch gar nicht anfangen konnten. Wie gesagt, was nicht heißt, daß es nicht richtig gewesen wäre. Das können wir heute sagen, und wir können heute versuchen, draus zu lernen.

Ali Jansen: Ganz kurz zur Gewaltfrage. Ich denke mir, daß man mit der Liquidation eines Menschen sehr skrupelvoll umgehen muß und daß sie nur dann legitim ist, wenn sie den revolutionären Prozeß wirklich voranbringt. Daß in der Entwicklung damit sehr oft, ich sag mal vorsichtig, fahrlässig umgegangen worden ist oder sehr ungenau, ist unbenommen. Trotzdem, die Gewaltfrage ist eine akute Frage, und wir leben hier in Gewaltverhältnissen. Auch wenn wir im Moment keine Orientierung haben, die uns überhaupt ermöglicht, von Revolution zu reden - es ist klar, daß ein revolutionärer Prozeß auch ein gewalttätiger Prozeß sein wird, auch in Zukunft. Das schließt nicht aus, daß wir mit der Gewalt sehr skrupelvoll, sehr genau umgehen müssen und genauer als es speziell in den 80er Jahren passiert ist. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön Ali Jansen und dankeschön vorher Monika Berberich. Ich denke, jetzt spricht noch Ralf Reinders, und dann eröffnen wir die Diskussion mit dem Publikum.

Ralf Reinders: Ich wollte zuerst auf die Frage von Christian eingehen. Isolation angeordnet von der Bundesanwaltschaft, von der Justiz, und ob wir die Isolation angenommen haben. Für einen großen Teil der Bewegung 2. Juni, für die Gefangenen, kann ich klar sagen: Wir haben diese Isolation nicht so angenommen. Wir hatten aber, und das darf man nicht vergessen, nicht ganz so grobe Haftbedingungen. Die alten Knäste wie Moabit haben mehr Möglichkeiten der Kommunikation mit anderen Gefangenen, und unser Ziel war es von Anfang an, die Isolation, die für uns verordnet war, zu durchbrechen, indem wir auch mit den sog. kriminellen Gefangenen zusammenkommen, weil wir für uns die Möglichkeit gesehen haben, nicht nur unsere politische Identität zu erhalten, sondern auch unsere menschliche; d.h. die menschlichen Bedürfnisse, die Gefangene, die sich nicht so politisch artikulieren können, rüberbringen, daß wir die mitleben können im Knast. Weil Knast halt immer ein Stück Leben ist, das man leben muß, zwangsverordnet, aber das man auch leben kann. Es hat, und da komm ich jetzt zu der Gewaltfrage, bei uns einen Bruch gegeben zwischen den Gefangenen, der zur Spaltung geführt hat. Konkretisiert hat er sich, und das bezieh ich jetzt wirklich nur auf die Bewegung 2. Juni erstmal, an der Flugzeugentführung nach Entebbe. Ich stand damals selbst mit auf der Liste der zu befreienden Gefangenen. Für viele, die es vielleicht nicht wissen: Es war eine Aktion palästinensischer Genossen und Genossinnen; an der Aktion waren eine Frau und ein Mann aus der RZ beteiligt. Für uns, den größten Teil der Gefangenen, haben wir Flugzeugentführungen, Aktionen gegen Unbeteiligte abgelehnt. Es kann und darf nicht sein, daß sich die Leute, mit denen wir irgendwann die Befreiung anstreben, daß die sich von uns bedroht fühlen. (Beifall) Es ist richtig, und vorhin haben ja einige gestöhnt, daß es natürlich im revolutionären Prozeß und im Kampf zu Verlusten auf beiden Seiten kommt; unser Bestreben als Organisation war immer stark darauf ausgerichtet, daß wir die Verluste auf beiden Seiten so gering wie möglich halten, und daß die Gewaltanwendung so gering wie möglich gehalten wird. Ich denk, die größten Sympathien kriegen wir immer noch, wenn wir genau das richtige Augenmaß bewahren.

Halina Bendkowski: Dankeschön, Ralf Reinders. (Beifall) Das war jetzt etwas abstrakt. Es gab auch einen Bruch unter den RAF-Gefangenen. Mit den Brüchen ist es so: Es ist notwendig, wird uns erklärt, daß man kritisch mit der Vergangenheit umgeht, aber wers dann tut, gerät vielleicht, weil er Erster ist oder Zweiter, in Gefahr, als Verräter zu gelten, innerhalb zumindest der Einschätzung von anderen. Ich möchte gerne noch denjenigen die Chance geben, die über diese Debatte sich verquert haben und würde fragen, Karl Heinz Dellwo, ob er was dazu sagen will, und damit jetzt mit dem Publikum die Debatte eröffnen. Möchtest du? (Karl-Heinz D. gibt zu erkennen, daß er nicht will.) Er möchte nicht. Dann darf jetzt Peter Rambausek sprechen, der vorhin was sagen wollte.

Peter Rambausek: Sowohl von dem Christian als auch von dem Karl Heinz Roth wurde schon wieder an einem neuen Mythos gebastelt, nämlich an dem, daß es Anfang der 70er Jahre noch diesen Optimismus gab, der uns 68 vielleicht ausgezeichnet hat. Ich möchte euch in Erinnerung rufen, daß der eigentliche Abbruch der Dialoge, nicht nur der zwischen den Spontan-Linken und den RAF- oder 2. Juni-Leuten, sondern innerhalb der Linken Ende Herbst 69 stattfand, als nämlich die verschiedenen ML-Gruppen sich gebildet haben und keine Diskussion mehr stattfand, sondern nur jede Partei ihre eigene Wahrheit sozus. an den Himmel gehangen hat und damit war die Diskussion beendet. Und die RAF war Ausdruck dieser Situation; sie war nicht mehr Ausdruck eines Bewußtseins, daß die Revolution vor der Tür steht, sondern sie war m.M.n. Ausdruck oder der letzte Versuch, noch was umzubiegen des sich schon bildenden Scheiterns der linken Bewegung. Und darum find ich eure Beiträge falsch. (Beifall)

Halina Bendkowski: Ich denke, weil jetzt nicht mehr so viel Zeit ist, daß wir die Voten sammeln und daß ihr dann darauf zusammen reagieren könnt. Bitte andere Stimmen.

Amerikanerin: Herr Roth hat impliziert, daß die RAF irgendwie besonders der GI-Bewegung, Deserteuren und dem Widerstand in der US-Armee geholfen hat und daß deswegen dieser Abbruch war. Ich will sagen, historisch gesehen haben sehr viele verschiedene Gruppierungen diese Bewegung unterstützt und die RAF hat tatsächlich diese Diskussion mit diesen Gruppen abgebrochen damals.

Halina Bendkowski: Weitere Stimmen. Ja bitte.

Mann: Ich wollt das nur mal in Zweifel ziehen. Herr Ströbele hat eben hier die Freiheit der Gefangenen gefordert, die hier oben an der Wand stehen. Ich will nur kurz daran erinnern, daß sein Parteikollege, der erste grüne Justizminister in Hessen, Rupert von Plottnitz, sagt, die Zusammenlegung oder ein Zusammenkommen von Christian Klar, Rolf Heißler, Rolf Clemens Wagner und Helmut Pohl in Schwalmstadt ist momentan nicht möglich, die Situation wird beibehalten, und er hats zynisch damit begründet, darum müßte es schon eine gesellschaftliche Bewegung geben. Das ist Ausdruck, wie die Leute, die aus der Bewegung kommen, heute ihren Haß auch immer noch genauso durchziehen. (Beifall)

Halina Bendkowski: Danke. Gibt es noch Kommentare, Fragen oder Wortmeldungen?

Frau vorne: Es ist wieder mal sehr viel zur Kritik der RAF gesagt worden, was sicher notwendig ist, und die Diskussion ist sicher darüber noch nicht beendet. Ich möchte noch mal was zur Kritik der damaligen Linken beisteuern, die schon vorhin angeschnitten wurde. Ich habe damals sehr stark erlebt, wie sehr die übrige Linke sich von den Gewalttaten der RAF sozus. in einer übereifrigen Anbiederung an den Staat distanziert hat. Ich glaube, daß das im Grunde daher kam, daß dieser Generation der damaligen Linken das Schweigen der Eltern, was vorhin Klaus Wagenbach angesprochen hat, zur Fußangel geworden ist. D.h. die relativ geringe Auseinandersetzung mit dem Faschismus zu der damaligen Zeit hat im Prinzip dazu geführt, daß diese Gewalttaten der RAF ganz selten, eigentlich fast nie in einen Zusammenhang gestellt worden sind mit den Gewalttaten des Staates, mit dem unglaublichen Gewaltpotential im Faschismus und auch in der nachfolgenden, unserer Gesellschaft nämlich, die den Faschismus ja vordergründig zwar kritisiert, aber man muß nur die Peggy-Parnaß-Protokolle gelesen haben, die ja allseits zugänglich waren, wo man lesen konnte, daß große Naziverbrecher mit 100.000en Toten auf dem Buckel freigesprochen worden sind, daß sie mit den Richtern zusammen gekungelt haben, daß keinerlei tatsächliche und wirkliche Aufarbeitung stattgefunden hat. Es wurde als Gewalttat schon gewertet, als die RAF anfing, das wissen wir alle. Der Kaufhausbrandsatz in der Nacht, das war schon Gewalttat. Und noch früher war der Farbeimer, den Teufel geschmissen hat, das war Gewalt, das wurde in der Bild-Zeitung zu einem unglaublichen Gewaltakt hochstilisiert; große Teile der Linken, die dann später sich distanziert haben, sie haben sich dadurch zu schnell von der RAF wegbewegen lassen. (Zwischenrufe zu Springer) Ich denke, es wurde zu schnell zurückgeschreckt vor diesem, was dann schließlich als Riesen-Gewalt hochstilisiert wurde. Wenn man das vergleicht mit dem, was wir heute an Gewaltpotential wieder von Rechten ha-ben, dann müßte sich eigentlich jeder, der sich damals öffentlich distanziert hat - und es gab Linke, die sich öffentlich und es wär gar nicht nötig gewesen, lauthals distanziert haben von den Gewalttaten oder angeblichen und großartigen Gewalttaten der RAF - die müssen sich heute eigentlich schämen, wenn sie mitansehen müssen, daß heute Rechte ganze Häuser, ganze Massen von Ausländern dem Tod preisgeben und das Ganze keinerlei Erwähnung oder kaum irgendeine Justiz-Folge hat. Das möchte ich zu bedenken geben. (Beifall)

Andere Frau: In einem Spiegel-Artikel äußert sich die Tochter von Ulrike Meinhof traurig oder auch traumatisch über die Abkehr ihrer Mutter von der Familie, über die Opferung ihres persönlichen Lebens für das politische Leben. Meine Frage wäre an Leute, die das auch so, in dieser Weise gegangen sind: Gibt es da Momente der Reue, wo man sagt: Warum hab ich nicht, meinetwegen, eine Familie gegründet oder mich um meine Familie gekümmert? (Große Unruhe) Warum hab ich nicht mal versucht, mich im individuellen Bereich stärker zu verwirklichen usw? War das nötig, daß ich dieses Opfer, mein persönliches Opfer, für die Politik gebracht habe?

Halina Bendkowski: Dankeschön. Ja, bitte.

Anderer Mann: Eine Frage, verbunden mit ner These, und zwar möchte ich fragen, was ihr mit dieser Veranstaltung wolltet und jetzt wollt, da ich meine, es ist eine Vermengung passiert zwischen Aufarbeitung einer politischen Diskussion der Strategie, die passierte, und der Person Ulrike Meinhof. Ich fand das jetzt ein Sammel-surium von Aussagen, das sehr unstrukturiert war von verschiedenen Seiten. Ich denke, die Vermengung können wir nicht machen. Einmal gehts um Geschichtsschreibung, zum andern eben um Politik, um praktische. Und das ist die Frage, was soll diese Veranstaltung. Ihr habts ein stückweit beantwortet, also Ulrike Meinhof als Sym-bol, d.h. machen Verhältnisse oder Personen Geschichte? Und es geht auch um eine Geschichtsschreibung. Wir wissen alle, wenn wir Akademiker sind, nicht Naturwissenschaftler (Halina: Die sind ja auch Akademiker!) ja aber Naturwissenschaftler haben nicht mit Geschichte und mit gesellschaftlichen Verhältnissen so stark, direkt zu tun - daß es immer von herrschenden und von anderen Seiten zwei verschiedene Wahrheiten gibt, und ich denke, wenn es heißt, 20. Todestag von Ulrike Meinhof, daß es darum geht, Geschichtsschrei-bung auch von dieser Seite zu betreiben. Das fehlte mir eben neben dem Sammelsurium. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön. Wenn jetzt nicht noch ganz nötig irgendwelche Anfragen und Kommentare sind, dann sollten wir das zurück ans Po-dium geben. Jede Person auf dem Podium soll die Fragen beantwor-ten, to whom it concerns, also was sie betrifft, und nicht zu allem was sagen. Monika Berberich, bitte.

Monika Berberich: Weil das angesprochen worden ist von dir, Ulrikes Rolle als Mutter, das schwingt ja sicher bei allen im Raum mit. Viele werden diesen Spiegel-Artikel gelesen haben; ich weiß, daß es sehr sehr viele Reaktionen darauf gegeben hat, nicht nur die offiziellen Briefe im Spiegel: Ich benutz einfach mal die Gelegenheit, um ein bißchen genauer die Situation zu schildern, wie sie damals war, als Ulrike in den Untergrund ging und sich von diesen Kindern getrennt hat. Ich denke, es werden viele hier sein, die ganz konkret darüber was wissen wollen, auch um die Frage zu beantworten, die ja immer wieder mal im Raum stand: Warum mußte Andreas Baader denn befreit werden? Es war die Situation: In der Phase, wo Genossinnen und Genossen sich zusammengefunden hatten, um die Aufnahme des bewaffneten Kampfes zu diskutieren, und auch konkret anzugehen, ist Andreas verhaftet worden. D.h. es gab eine Gruppe, es war kein lockerer Haufen, der nur so diskutiert hat, wie das manchmal gesagt worden ist; es war aber noch nicht so, daß es irgendeine Strategie gegeben hätte oder eine konkrete Vorstellung. Es ist sehr viel diskutiert worden. In der Situation ist Andreas verhaftet worden. Es ist sehr schnell nach der Verhaftung darüber diskutiert worden, ob und wie er befreit werden soll. Der Grund war, das ist in der ersten sog. RAF-Zeitung 1971 genauer erläutert worden: Er hätte noch fast zwei Jahre sitzen müssen, und die Einschätzung war, daß es sehr schwierig sein würde, ohne ihn tatsächlich diese Gruppe aufzubauen. Das mag jetzt, aus heutiger Sicht, vielen absurd vorkommen: Wie kann das sein, daß es an einem Menschen hängt? Es hing auch nicht an einem Menschen, aber man muß sich halt vorstellen, wir sind aus ganz ganz unterschiedlichen Zusammenhängen gekommen mit unterschiedlichen Politisierungen, hatten erstmal nicht mehr als unsere Entschlossenheit aus unseren Erfahrungen, das jetzt anzupacken, weil wirs für richtig hielten. Das war aber auch schon fast alles. Jeder, der versucht, eine Gruppe zu organisieren, weiß, was da an Problemen auftritt, an persönlichen Problemen, an Widersprüchen und und. Andreas hatte die Fähigkeit, auf eine Weise zwischen Leuten zu vermitteln, die es möglich gemacht hat, emanzipativ damit umzugehen, es nach vorne zu lösen und nicht sich in irgendwelchem Hickhack auseinanderzusetzen. Das war der Grund, warum die Gruppe beschlossen hat, ihn zu befreien. Es gab eine Reihe von Überlegungen dazu; Ulrike war Teil dieser Auseinandersetzung, sie hat sich an allen Diskussionen beteiligt. Es gab einen ganz konkreten Plan, der ohne Einsatz von Waffen hätte laufen sollen, per Trick; ich denke, es hätte geklappt; es war aber dran gebunden, daß Andreas in Moabit blieb, wo er zu der Zeit noch war. Er ist dann nach Tegel verlegt worden und damit war dieser Plan erledigt. Damit ist die Variante in den Vordergrund gerückt, die dann letztendlich auch durchgeführt worden ist, nämlich, ihn mit einem Scheinvertrag als Buchautor zu bestimmen, ein Buch, das er zusammen mit Ulrike schreibt, und ihm dafür eine Ausführung zu beantragen in dieses Institut in Dahlem, wo er dann befreit worden ist. Der Plan sah vor, daß Ulrike dabei ist zunächst, daß sie dann weggeht, daß sie etwa eine halbe Stunde oder länger weg ist und dann erst die Leute kommen, die Andreas rausholen. Das war nicht, weil sie nicht in den Untergrund gehen wollte; ihr war sehr klar, daß diese Aktion Untergrund bedeuten konnte, darauf hatte sie sich vorbereitet. Was nicht klar war, und das ist ganz wesentlich, war, was daraus folgen würde, weil überhaupt nicht vorgesehen war, daß auf Menschen geschossen wird. Klar - diejenigen, die Andreas rausgeholt haben, hatten Schußwaffen dabei, um zu bedrohen, vielleicht auch um einen Warnschuß abzugeben. Es war aber total diskutiert und eine total klare Sache: Es soll nicht auf Menschen geschossen werden, weil allen klar war, daß das ein politisches Desaster sein würde, wenn das passieren würde. Geplant war also, daß Ulrike vorher weggeht und erstmal offen ist, ob sie beteiligt ist - sie wollte dann mit den Kindern in Urlaub gehen, nicht mehr greifbar sein und gucken, was passiert, weils unnötig war abzutauchen in einem Moment, wo du noch nicht gesucht wirst. Das war für uns immer so, daß wir solange wie möglich legal geblieben sind. Ich war z.B. in dieser ersten Phase nie illegal in dem Sinne, daß ich nicht meine Pappe noch gehabt hätte; ich hatte auch eine andere, ich war nicht abgetaucht, aber ich war trotzdem zu dem Zeitpunkt, wo ich verhaftet worden bin, bei der Gruppe. Das war auch möglich damals. Noch ein Detail, das den Umgang mit Gewalt beleuchtet, das find ich ganz wichtig: Der Plan war fertig, und es waren nur Frauen, nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil die Gruppe zum Großteil aus Frauen bestand zu dem Zeitpunkt, die die Befreiung durchführen sollten. Dann gabs nochmal die _berlegung: Moment, wenn da Frauen reingehen und da sind zwei Beamte zur Bewachung - da wars nicht wie heute, wo man ständig im Fernsehen Frauen mit Knarre in der Hand sieht, das war überhaupt nicht so - und die nehmen das einfach nicht ernst, und damit mußte man rechnen, was macht man dann? Es sollte nicht geschossen werden, deswegen kam die _berlegung: Nehmen wir noch einen Mann mit dazu, dann schüchtert das eher ein, dann merken die, daß es ernst gemeint ist. Und daß dieser Mann dann geschossen hat, das war nicht vorherzusehen, das war für uns alle ganz furchtbar, also kann ich nur so sagen. Natürlich kann man sagen: Wenn ihr mit Waffen reingeht und so, aber es sollte so nicht laufen. Das andere war, daß einen Tag vorher von der Knastleitung gesagt worden ist, daß Ulrike drinbleiben muß. Sobald sie raus-geht, wird Andreas weggebracht, d.h. sie mußte die ganze Zeit dabeibleiben und ist dann mit den anderen weg, und das hat auch bedeutet, daß die Kinder sehr schnell aus Berlin weggebracht worden sind. Es war auch nicht vorgesehen, daß sie sich ständig von den Kindern trennt, sondern eben in der ursprünglichen Planung hat sie damit gerechnet, daß sie sie relativ bald wiedersehen kann, daß sie sie auch immer wiedersehen kann. Da kann man auch nicht zugrunde legen, was heute Stand der Fahndung ist. Es war damals möglich, daß Gudrun Enßlin mit ner falschen Pappe Andreas Baader im Knast besucht hat. Das waren unsere Ausgangspositionen. Von daher war es nicht so absurd wie es heute scheinen mag, daß sie auch mit den Kindern noch weiter hätte zusammenkommen können. Noch ein Wort dazu: Es war damals voll in der Diskussion, und es gab sehr viele Frauen, ich hab das jetzt inzwischen noch mehrfach mitgekriegt, die sich von ihren Kindern getrennt haben, teilweise vorübergehend, teilweise dauernd, weil es ungeheur schwer war, politische Arbeit und mit Kindern zusammenzuleben zu verbinden.

Halina Bendkowski: Danke sehr. Ich glaub, sie hat es jetzt hinreichend historisch und mental beantwortet. (Beifall) Ich möchte gerne, daß jede Person auf dem Podium nur noch ganz kurz zu den Anfragen Stellung nimmt, und zwar dazu, was Peter Rambausek am Anfang gesagt hat, also quasi gegen die rasenden Monologe der einzelnen linken Gruppierungen, wo es keine Kommunikation mehr gab, und daß die RAF Ausdruck dessen war; und diese Frau hier vorne hat gesagt, daß ein Teil der Schuld der Linken in ihrer übereifrigen Distanzierung liegt.Ich bitte Sie, das kunstvoll miteinander zu verbinden und dann die Veranstaltung auch wirklich zu beenden. Karl Heinz Roth, bitte fang an.

Karl Heinz Roth: Leider nur in Stichworten: Es gab - und dabei bleibe ich - bis 1972 noch eine Diskussion, eine sehr harte Diskussion, und von sozialrevolutionärer oder anarchistischer Seite wurden damals die RAF-Genossinnen und Genossen ja schon als "Leninisten mit der Knarre" kritisiert. D.h. die Diskussion war da, aber sie war noch offen. Ich glaube, daß der Prozeß der Bildung neostalinistischer, neoleninistischer und sonstiger Parteiorganisationen, den wir hier heute abend überhaupt nicht diskutiert haben, sicher im Zusammenhang mit dieser Diskussion steht, aber die Diskussion auf dieser Ebene nicht so beeinflußt hat. Das wäre ein zweites großes Thema - die Geschichte und die Entstehungsgeschichte der KPD-Gruppen Anfang der 70er Jahre. Zum Zweiten: Es haben sich sicher sehr viele Linke voreilig distanziert. Auch dazu wäre sehr viel zu sagen und haben wir damals auch sehr viel Kritisches gesagt und auch getan. Nur - ich kann leider nur in Stichworten reden - wir können nicht in der Auseinandersetzung mit dem Staat oder gar noch mit Rechtsextremisten Gleiches mit Gleichem vergelten (Beifall). Die Mittel sind ein Teil unseres Ziels. Wir dürfen die sozialrevolutionäre Befreiung, die soziale Befreiung der Menschen nicht durch das Mittel diskreditieren. Das ist das große Problem. (Beifall) Ganz kurz zu einem Punkt, der zuletzt angesprochen war, da ich selber professioneller Historiker bin: Geschichte und Politik gehören zusammen, aber auch nicht. Wir können im Augenblick, in der jetzigen Situation, wo noch Prozesse laufen, wo Genossinnen und Genossen im Knast sind, wo viele Dinge noch nicht benannt werden können, noch keine Geschichte von unten schreiben. Wir müssen aber diese Geschichte von unten vorbereiten, und das ist eine sehr wichtige Aufgabe, das sollte hier mit herüberkommen, daß wir alle unsere Erinnerung sammeln, daß wir Material sammeln und daß wir die Enteignung unserer Geschichte durch die Medien nicht zulassen. Das war ja Sinn dieser Veranstaltung. (Beifall)

Halina Bendkowski: Ali Jansen!

Ali Jansen: Sicher war die Gründung der verschiedenen KPD-ML oder -AO-Gruppen und was es da sonst noch an Gruppen gab, ein Moment des Scheiterns der Studentenbewegung. Wie weit sie jetzt diese Nicht-kommunikation beeinflußt hat oder nicht, vermag ich nicht zu sagen. Es hat aber durchaus auch Diskussionen mit K-Gruppen, Mit-gliedern und auch z.T. nicht nur individuellen Mitgliedern, son-dern auch von den Organisationen mit uns gegeben hat. Das muß man dann auch mal irgendwie zur Ehrenrettung dieser Organisationen sagen. Von denen ist nicht nur die Kommunikation von vorn bis hinten verweigert worden. Gut, das wars.

Halina Bendkowski: Dankeschön, Ali Jansen. Außer der Reihe laß ich Sie noch einmal ganz kurz dran.

Frau vorne: Mein Eindruck ist, daß ein großes Bedürfnis besteht, diese Diskussion zu vertiefen und zu verlängern. Da das nun heute nicht geht, würde ich den Vorschlag machen, an die Veranstalter oder an uns alle, ob nicht eine längere Tagung zu diesem Thema günstig wäre, z.B. vielleicht zur Volksuni oder an irgend einem anderen Ort, vielleicht auch hier, wo sich viel breiter noch und viel intensiver mit diesen Problemen beschäftigt werden kann. Ich glaube, eine Aufarbeitung dieser Geschichte ist sehr notwendig. Und die Zahlen hier zeigen das auch, und auch die am 1. Mai, wo sehr sehr viele zu linken Parolen auf die Straße gegangen sind. Ich glaube, daß die Linke hierzulande ihren Kopf wieder erhebt momentan. Aus diesem Grunde möchte ich gerne, daß diese Geschichte lang und tief und intensiv aufgearbeitet werden kann. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, ein guter Vorschlag. Ich denke, er wird aufgegriffen werden. Das soll ein Anfang sein. Klaus Wagenbach!

Klaus Wagenbach: Ich stimme Karl Heinz Roth zu, wenn er sagt, wir dürfen uns unsere eigene Geschichte nicht enteignen lassen, und natürlich zählt die RAF zur linken Geschichte. Das einzige, was mir einfällt jetzt, ist, Ihnen etwas zu dieser Geschichte beizutragen. Ich lese Ihnen einfach neun Sätze vor, die ich vor 20 Jahren am Grab von Ulrike gesprochen habe, und Sie sehen daraus vielleicht ein Stück Verzweiflung und auch ein Stück eines Versuchs, die Linke zusammenzuführen:
Ulrikes _berlegungen, die von den Betroffenen ausgingen, vom tatsächlichen Elend, nicht von der theoretischen Entfremdung, und da waren es die Randgruppen, die in den Blick gerieten, die Eingesperrten, die Fürsorgezöglinge, die Weggelaufenen und Durchgedrehten. Ulrike Meinhof nahm damit sehr früh etwas wahr, was wir heute erst zu begreifen beginnen, die psychischen Kosten des Kapitalismus, die innere Verelendung. Ulrike Meinhof war eine der klarsten Kritikerinnen des Kapitalismus in der Bundesrepublik. Diejenigen, die ihre Taten als Anarchistin kritisieren, sind fast stets diejenigen, die sie in den Jahren zuvor als Kritikerin bekämpften und lächerlich machten; das wollen wir nicht vergessen. Es sind unsere Verhältnisse, die wir nicht vergessen wollen. Ulrike starb am 8. Mai. An diesem Tag wurde vor 31 Jahren der Krieg beendet. An die-sem Tag eröffneten die Christdemokraten den diesjährigen Bundestags-Wahlkampf mit der Parole "Freiheit oder Sozialismus". Wir sagen mit Rosa Luxemburg und Ulrike Meinhof: "Freiheit und Sozialismus". (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, Klaus Wagenbach. Wir haben wider Erwarten doch noch ein paar Minuten mehr Zeit...

Ralf Reinders: Dann machen wir weiter. Ich will die Frage beantworten, was mit solchen Veranstaltungen bezweckt wird. Als die Leute hier an mich herangetreten sind, ob ich teilnehme, hab ich ja gesagt, weil ich denke, daß ein Teil unserer Geschichte verteidigt werden muß, selbst wenn Personen dabei sind, zu denen ich kritisch stand; daß es nicht gelingen darf, daß Ulrike Meinhof von bürgerlichen Kräften zurückgezogen wird, sie Ulrike für sich beanspruchen können, weil sie war Teil des Aufbruchs damals und so soll es stehenbleiben. (Beifall) Der andere Teil ist...(Zwischenruf: Das solle jetzt diskutiert werden). Wir könnens diskutieren, ich denke, dieses Podium, die Zusammensetzung dieses Podiums kanns teilweise; hier sitzen Leute, die jahrelang nicht miteinander gesprochen haben, jetzt wieder miteinander reden (Beifall). Das gleiche gilt im Publikum. (Gelächter, Beifall) Die Frage, die kurz im Raum stand, über Reue: Es gibt Leute, die bei uns reuig abgetreten sind. Es wird immer Leute geben, die nach vielen Jahren andere Überlegungen haben, andere Wege gehen. Ich denk, für uns - und so wars für mich auch im Knast die ganze Zeit - ist entscheidend, wie sauber wir rauskommen, und entscheidend ist, daß wir mit solchen Veranstaltungen dazu beitragen, daß es wieder weitergeht und daß der Optimismus von damals eventuell zurückkehrt. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, Ralf Reinders. Monika Seifert!

Monika Seifert: Also ich finds außerordentlich schwierig, weil ich die-se Diskussion als sehr disparat empfunden habe, jetzt was anderes zu sagen. Vielleicht sollte ich zum Schluß doch noch mal sagen, daß dieses Auseinanderfallen der Diskussionszusammenhänge, und da würd ich dir recht geben, früher anfing; und diese Art von Gewalt, die da sich gegenseitig angetan worden ist, die lebt einfach weiter. Ich fürchte, wenn es länger hier dauern würde, daß es auch passieren würde. Ich weiß auch nicht, wie man das eigentlich än-dern kann. Dieses Gefühl, man weiß es wie es richtig ist, das sich so schnell einstellt, wenn man der Meinung ist, daß man jetzt schon das Richtige gefunden hat. Ich weiß es nicht, aber ich empfinde es als bedrückend, weil das wirklich Gewaltformen sind, wie da miteinander kommuniziert wird. Ich bin ganz im Gegensatz zu den meisten, die hier auf diesem Podium sitzen, der Meinung, daß ich das nie vertreten hab, aber daß es nach dem Scheitern dessen, was wir in den letzten 20 Jahren erlebt haben, für mich eine Frage ist, die schwierig ist zu diskutieren, aber ich würd sie gerne mit den Leuten diskutieren, aber dazu muß es irgendwie die Möglichkeit geben zu sagen: Ja gut, wir sind alle infiziert, auf die ohnmächtige Art oder auf die gewaltätige. Das sind nur zwei Seiten der Medaille. Ich empfinde, daß diese ohnmächtige Seite doch sehr ta-buiert wird. Es wird dann zwar gesagt, wir sind gescheitert, aber wenn ich ganz ehrlich bin, fühlen tu ich das im Moment nicht. Ich hab eher das Gefühl, das muß man jetzt sagen... (Intervention einer Frau aus dem Publikum).

Halina Bendkowski(zu der Frau): Das letzte war nicht zu verstehen. Am Anfang hast du gesagt, daß die Jüngeren wie Du nur von dieser Ohnmachtsseite erfahren hatten und daß man das in Psychotherapien erörtern könnte; daß es jetzt darauf ankam und richtig war, den Aufbruchscharakter dieser Zeit auch mitzubekommen, ja? Also der Vorschlag von der Frau hier, der ist natürlich absolut aufzugreifen. Ihr Jungen sollt das organisieren, eine Veranstaltung, die länger ist und mehr Zeit bietet. (Heiterkeit) Jetzt dankeschön, Monika Seifert. Monika Berberich, bitte kurz!

Monika Berberich: Ich find auch, daß ein bißchen disparat diskutiert worden ist. Wahrscheinlich ist es gar nicht anders möglich, wenn nach so langer Zeit sich so viele verschiedene Leute zusammensetzen. Ich finde es schon einen großen Erfolg, daß es so gelaufen ist. Ich kann zum Schluß nur sagen: Ich gehe aus, immer noch, von der Lernfähigkeit der Menschen, von unserer Lernfähigkeit und davon, daß sich das Bedürfnis nach mehr Menschlichkeit, mehr Gerechtigkeit, nach einer Gesellschaft, die das möglich macht, durchsetzen wird, auch wenn es lange dauern wird und noch harte Kämpfe erfordert. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, Monika Berberich. Johann Kresnik!

Johann Kresnik: Also grundsätzlich, ich bin gegen jede Gewalt! (Bei-fall, Pfiffe). Da helfen auch die Buhrufe nichts. Ich kann nichts dafür, aber wenn unschuldige Menschen irgendwo zu Tode kommen, durch irgendwelche Demonstrationen, irgendwas...(Beifall, Zurufe). Also, ein Chauffeur, der umkommt beim Attentat, ist unschuldig für mich. (Beifall) Aber ich bin der gleichen Meinung, was da schon anklang und auch rückwärts anklang, daß wir viel zu wenig Zeit haben, sowas zu diskutieren. Es müßte wirklich politisch darüber geredet werden. Auch ich, der, der von dieser Zeit kommt, steh öfters noch ganz im Unklaren, weil ich gar nicht weiß, was ist da eigentlich so richtig passiert? Ich kann nur sehen, was heute da für eine Entwicklung ist. Und ich glaube, am Theater ist es sehr wichtig, daß auch Figuren, die ja für mich im Zusammenhang mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht stehen, wichtige Leute, diskutiert werden und auch Stücke darüber von Schriftstellern gemacht werden. Ich glaube, das muß ein großer Beitrag von uns werden, wenn wir alles aufarbeiten wollen einmal. Und das Jahrtausend ist bald vorbei. Danke! (Heiterkeit, Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, Johann Kresnik. Hans-Christian Ströbele!

Christian Ströbele: Diese Veranstaltung war einfach notwendig, weil wir solche Daten wie den 9. Mai 1976 und den 18. Oktober 1977, das ist der Todestag von Andreas Baader, Gudrun Enßlin und Jan Carl Raspe in Stammheim, nicht den Medien überlassen dürfen, sondern weil wir informieren müssen, möglichst authentisch informieren müssen über das, was geschehen ist und was die Hintergründe dieses Geschehens gewesen sind. Vorhin ist hier in den Raum gestellt worden die Behauptung, sag ich mal zu Rambausek, daß 1970 bereits die APO, die Neue Linke, in die K-Gruppen abgewandert ist und die RAF sowas ähnliches gewesen ist. Ich will jetzt hier keine Geschichtsdiskussion anfangen am Ende, aber das ist nicht richtig! 1970, 1971, 1972 hat es neben diesen K-Gruppen, diesen leninistischen, maoistischen Gruppierungen, eine sehr starke undogmatische Neue Linke gegeben, die 1.000e, 5.000, 10.000 allein in Berlin auf die Straße gebracht hat und die solidarisch gewesen ist (Beifall), die weit-gehend solidarisch gewesen ist in Wort und Schrift mit den politi-schen Ansätzen, von denen auch die RAF gekommen ist. Das dürfen wir nicht vergessen. Und ich frage mich, wenn wir nicht nur Geschichtsaufarbeitung machen wollen, wie's jetzt weitergeht, was wir heute für Schlußfolgerungen draus ziehen. Versuchen wir uns doch mal vorzustellen, wir haben hier ja authentische Vertreter auch der RAF am Tisch und noch ne ganze Reihe zusätzlich im Saal: Was hätte denn Ulrike Meinhof, was hätten die andern, die sich damals zu dem bewaffneten Kampf entschlossen haben, was hätten die in unserer Situation hier heute getan? Ich denke, die große undogmatische Neue Linke 1971/72, die kann man sich heute noch als Vorbild nehmen, wenn man sich fragt etwa, ob die NATO-Tagung, die Anfang Juni hier in Berlin stattfinden soll, oder das große Spek-takel des ersten öffentlichen Gelöbnisses der Bundeswehr, ob das hier in Berlin so einfach über die Bühne gehen kann und alle schweigen dazu. (Beifall) Das wäre 1972 hier nicht möglich gewe-sen! Auch sicherlich aus zahlreichen anderen Gründen. Aber auch deshalb, weil das die undogmatische Neue Linke nicht zugelassen hätte damals. Und ich denke, das sollten wir uns als Beispiel nehmen, und da haben wir einen Auftrag auch für die nahe Zukunft, außer Bildungsveranstaltungen auch noch was konkretes zu machen. (Beifall).

Halina Bendkowski: Noch einmal kurz Peter Rambausek.

Peter Rambausek: Ich finde das demagogisch. (Beifall, Pfiffe) Ich war selbst Teil dieser undogmatischen Linken, und natürlich waren wir noch viele, aber wenn wir aus der Geschichte lernen wollen, dann müßten wir begreifen, daß sowohl die K-Gruppen als auch die RAF Organisationsformen sind, die auch wir mitbestimmt haben, und wir müssen uns doch fragen, was ist innerhalb der Linken falsch gelaufen. Es war doch der Anfang des Auseinandergehens. Da retten uns auch nicht diese paar Aktionen, die wir gemacht haben, noch, daß die Tagung und jene Tagung und was weiß ich was nicht stattgefunden hat. Ergebnis ist, daß der Dialog unter Genossen, die ehemals zusammengearbeitet haben, daß dieser Dialog abgebrochen wurde; daß z.B.dadurch, daß die Parteien sich gebildet haben, die Basisgrup-pen kaputtgegangen sind, daß also der Teil, den der Ralf gemeint hat, wo wir Zugang zur Arbeiterklasse hatten, verloren gegangen ist; da kann man nicht sagen: Wir waren doch noch so stark. Also darum gehts doch gar nicht. Es geht darum, daß das der Anfang des Endes war. Und daß es jetzt vielleicht neu beginnen wird und wenn wir den Neubeginn nicht wieder so haben wollen, dann müssen wir das mitbedenken. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, Peter Rambausek. Ich danke Ihnen jetzt erstmal auf jeden Fall allen hier auf dem Podium und Ihnen im Publikum, daß sie gekommen sind. Ich denke, man muß daran erinnern...die Linke hat alles falsch gemacht hat, wenn es sie nicht mehr gibt. Wenn das der Auftakt heute zu einer Veranstaltung ist, sich der Linken und gar der revolutionären Linken so zu erinnern wie das hier getan worden ist, also wenn es wieder einen Verstand dafür gibt, daß es nötig ist und notwendig ist, gegen das Rechte, was existiert, etwas Linkes wieder zu entwickeln, dann war es gut. Dann haben wir es gerne gemacht, und ich hoffe, daß Sie die Staffel weiter tragen. Und Sie haben Gelegenheit dazu eben nicht nur in Psychotherapien, sondern bei all den Veranstaltungen, die demnächst vonnöten sind. Ich danke Ihnen allen, auf Wiedersehen, guten Abend. (Beifall, Aufbruchslärm)