Brief von Hans-Joachim Klein1 an den Spiegel Mai 1977
Sicher werden Sie es (neben anderem) sicherlich ungewöhnlich finden, daß diesem Schreiben als Anlage ein Revolver, Kaliber 0,38 nebst Munition etc. beigefügt ist. Noch dazu von einem der zu Gewalttaten jeglicher Art fähig ist und deshalb doch sein Handwerkszeug nicht aus den Händen geben sollte.
Ich werde kurz erklären, warum ich an Sie schreibe und gar
einem Mitarbeiter von Ihnen eine Waffe ins Haus schicke.
Als ich mich von der schweren Schußverletzung die ich in Wien während der
Besetzung der OPEC2-Zentrale3 erhielt wieder einigermaßen erholt hatte,
bekam ich auch erstmals einen genaueren Überblick über das, was sich dort
alles ereignet hatte.
So z.B.: daß in Wien nicht nur ein getöteter irakischer Sicherheitsbeamter
von uns zurückgelassen wurde, sondern zwei weitere Menschen dort ihr Leben
lassen mußten. Wie sich herausstellen sollte ohne jeglichen Grund, völlig
sinnlos.
In einer späteren Diskussion, in der ein Fazit über die Wien-Geschichte
gezogen wurde, kamen mir dann die ersten Zweifel, was ich da mache und
weiter machen soll.
Die Argumentationen von Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern des damaligen
Kommandos über das Warum zum Tod dieser drei Menschen waren
gekennzeichnet von Zynik und Gefühllosigkeit. Sie waren schlicht und
einfach menschenverachtend. Es waren jedoch nicht die ersten falschen Töne,
die mir da am Ohr klangen.
Was ich in nur einem einzigen Monat da so hörte, erzählt bekam und auch
selber erlebte und wie man weiterhin gedachte, Revolutionäre Gewalt zu
praktizieren die als Endziel ja eine gerechtere und humanere Welt
versprach und dabei zu Mitteln und Methoden griff, für die ich früher auf
die Straße gegangen wäre, brachte mich zum Kotzen und vor allem zum
Nachdenken.
Und im Februar 1976 faßte ich den Entschluß, mich so schnell wie möglich
aus dieser Art von Politik die nicht meine war und sein konnte
zurückzuziehen. Nun könnte der Spiegel (und nicht nur der) pfiffig wie er
ist, die Frage stellen, warum macht er das erst jetzt. Ganz einfach!
Die Damen und Herren der Guerilla hätten mich wohl kaum dabei unterstützt
und Unterstützung brauch ich eben nunmal dafür. Immerhin suchen mich ja
noch die Bullen (inzwischen nicht nur die) aller Herren Länder, und wo die
mich hin haben wollen, will ich aber nicht.
Mich so einfach irgendwo niederzulassen, geht auch nicht so ohne weiteres,
und überhaupt lebt der Mensch nicht nur von Luft und Liebe. Und mir meinen
weiteren Lebensunterhalt mit dem Revolver verdienen wollte ich ja nun auch
nicht; ich hab genug angestellt.
In der Westdeutschen Wanzenrepublik bei befreundeten Genossen anzurufen
oder zu schreiben, ging wegen dieser netten kleinen Tierchen auch
nicht.
Also mußte ich warten, bis mir jemand über den Weg lief
Wie gesagt, der Jemand ist mir endlich über den Weg gelaufen, und zwar zu
einem Zeitpunkt, wo meine ehemaligen Kollegen nicht mehr so recht an die
Problematik meiner Verletzung glaubten.
Man wollte, daß ich wieder ins Geschäft einsteige und deshalb mit dem
Genesungsurlaub Schluß mache. Nun, aus dem Jemand sind viele Jemand
geworden und die helfen mir auch ein wenig. Ich habe den ehemaligen
Kollegen gesagt, daß sie in Zukunft ohne mich auskommen müssen und wurde
natürlich dafür massiv unter Druck gesetzt und bekam u.a. zu hören, daß ich
zuviel wisse, vor allem im Internationalen Rahmen und es wurde versucht,
mich mit einer obskuren Begründung in ein arabisches Land zu lotsen, aus
dem ich wohl nicht mehr herausgekommen wäre ...
Mit den Jemanden, die mir helfen, habe ich natürlich auch Gespräche
geführt. Und ich habe erzählt, was die an Wahnsinns-Aktionen noch
geplant haben oder an denen sie gerade dran sind.
Ich faßte den zweiten guten Entschluß nach Wien. Ich kaufte mir eine
Schreibmaschine, ging zurück in meine Wohnung und brachte alles zu Papier.
Ich meinte und meine, daß die legale Linke (und auch andere) ein Recht
darauf hätten zu wissen, warum ich in Wien dabei war und was westdeutsche
(und internationale; das kann man nicht mehr voneinander trennen) Guerilla
unter Revolutionärer Politik verstehen. Und wie sie das in die Praxis
umsetzen.
Der Stapel Papier, der jetzt von mir und meinen Erfahrungen im nationalen
wie im internationalen Guerilla-Theater und zwar hinter deren Kulissen
vorliegt, soll außer einem tiefen Einblick auch etwas wichtiges erreichen.
Nämlich den Genossen, die sich bestimmt unter Stadt-Guerilla was ganz
anderes vorgestellt haben als es tatsächlich betrieben wird, die aber damit
spekulieren, da mitzumachen, den Sprung in den Untergrund zu ersparen.
Denn, wenn man noch einen Funken politischer Sensibiltät und politisches
Selbstverständnis besitzt, wird man, sobald da eingetaucht, kotzelend
wieder rausspringen.
So, jetzt komme ich dazu, warum ich Sie bzw. den Spiegel4 bemühe: Wir
wollen zwei Morde verhindern!
Ist ja nicht ganz ungefährlich, das zu veröffentlichen. Die Guerilla aller
Art wird da was dagegen haben. Nicht nur, weil da einige Aktionen
verhindert werden, die Wahnsinn sind, sondern weil es ihnen bestimmt
politisch ne Menge Minuspunkte einbringen wird, daß da ein Ehemaliger, der
ausgestiegen ist, seine Schnauze nicht hält, und ein Fazit seiner
Erfahrungen zieht.
Die zwei, die umgebracht werden sollen, damit die Logistik der
Revolutionären Zelle wieder stimmt, sind zum einen: der Galinski von der
jüdischen Gemeinde in West-Berlin Der Andere ist der Leiter der
jüdischen Gemeinde in Ffm.
Die sollen beide erschossen werden und zwar in allernächster Zeit. Die
Vorbereitungen laufen dazu auf Hochtouren. Viele werden mich bestimmt als
Verräter beschimpfen. Ich kann es nicht ändern. Ich habe niemanden
verraten, sondern nur was verhindert, von dem ich meine, daß es ne
Wahnsinnstat ist.
Was die Guerilla dazu meinen wird, ist mir klar: Die wird suchen, nach
mir.
Vollständiger Abdruck in
Spiegel Nr. 20/1977