Interview mit Hans-Joachim Klein in der Liberation Oktober 1978
Liberation6 (L): Wie bist du ihnen (den Revolutionären Zellen)
beigetreten?
Klein (K): Böse7 war es, der mir das vorgeschlagen hat.
L: Wer war Böse?
K: Er ist zusammen mit seiner Freundin Brigitte Kuhlmann8 während der
berüchtigten Entebbe-Operation gestorben. Er war damals der Chef der
Revolutionären Zellen. Ich kannte ihn seit langem. Er war ein recht
bekanntes Gesicht in den linksradikalen Kreisen Frankfurts. Wir arbeiteten
zusammen in der Roten Hilfe.
L: Von diesem Zeitpunkt an hast du ein Doppelleben geführt?
K.: Ja. Man hat mich in alle Guerillaangelegenheiten eingeführt:
Sicherheit, Kode, Waffen. Ich habe gelernt, Papiere zu fälschen. Und in der
restlichen Zeit setzte ich mein Leben als Mitglied der Roten Hilfe fort.
Und ich wurde mit meinen Äußerungen für die Guerilla etwas zurückhaltender,
wie mir Böse empfohlen hatte.
L: Und dann?
K.: Gab es den Tod von Holger Meins. Mich hat das Ausklinken lassen: jetzt
mußte mit der Ohnmacht des Legalismus Schluß gemacht werden. Trotzdem mußte
ich noch etwas warten. Die Zeit war für mich noch nicht gekommen. Das
Attentat auf Drenkmann nach dem Tod von Meins hat mich begeistert. Für
einen Teil der Linken war es dagegen bestürzend. Dieser Mord hatte glatt
die Kampagne zum Stillstand gebracht, die der Tod von Holger ausgelöst
hatte. Lange Zeit habe ich dieses schreckliche Autopsiephoto von Holger mit
mir herumgetragen, um meinem Haß nicht abflauen zu lassen.
L: Wann bist du in den Untergrund gegangen?
K: Eigentlich nie. Ich bin erst durch die Gewalt der Umstände nach Wien
untergetaucht. Es war meine erste Aktion. Ich war schwer verletzt erkannt
worden: im Krankenhaus hatten sie Zeit genug, um mich zu fotografieren und
mir die Fingerabdrücke abzunehmen, während ich in der Narkose lag. Ich kann
mich nur dunkel daran erinnern. Eigentlich aber hatte ich nach Frankfurt
zurückkehren wollen.
L: Du wolltest nicht in den Untergrund gehen?
K: Nein. Ich war der einzige vom ganzen Kommando, der maskiert war. So war
es abgemacht: Ich sollte bis zum Schluß unerkannt bleiben. In Wien
angekommen bin ich Anfang Dezember zusammen mit Bonni- Böse, dem Chef der
Revolutionären Zellen-:
L: Wieviele wart ihr in Wien?
K: Sechs, die an der Operation teilnahmen. Die Anderen sind nach und nach
gekommen. Zuerst Carlos. Dann vier Mitglieder der RZ, die nicht direkt am
Kommando beteiligt waren, die sich aber mit dem Ausspähen der Örtlichkeiten
und der Beschaffung von Informationen beschäftigten. Dann sind die vier
anderen gekommen: Das Pseudonym der drei Männer war Halid, Jussif und
Josef, und es gab eine Frau, Nada-. Vor ihrer Ankunft gab es eine erste
Diskussion mit Bonni und Carlos, um einen Überblick über die Situation des
palästinensischen Widerstands zu bekommen. Dann über die Einzelheiten der
Operation. Dabei habe ich erfahren, daß die Idee bezüglich Wien Haddad von
einem arabischen Staatschef vorgeschlagen worden war und daß die internen-
Informationen, die man uns versprochen hatte, aus der gleichen Quelle
kamen.
L: Welches Ziel hatte die Operation?
K: Es ging nicht um Geld, wie behauptet worden ist. Es ging darum, jeden
einzelnen Opec-Minister dazu zu zwingen, vor seiner Freilassung in seinem
Herkunftsland eine Unterstützungserklärung zugunsten der palästinensischen
Sache abzugeben.
L: Das war alles?
K: Nein, man hatte auch vor, zwei Minister hinzurichten: Amouzegar, den
Iraner und Jamani, den Saudier.
L: Warst du damit einverstanden?
K: Was Amouzegar betrifft, hatte ich keine Probleme. Ich konnte mir schon
vorher die Freude vorstellen, die die Nachricht vom Tod dieses
Dreckschweins bei Millionen von Persern hervorgerufen hätte. Man braucht
nur ein Zehntel von dem zu lesen, was über die Folterkammern des Savak9
veröffentlicht worden ist, um davon überzeugt zu sein. Bei Jamani war das
anders. So sehr mir Amouzegar ein Begriff war, so wenig der andere. Also
hat Carlos die Rolle Saudi-Arabiens erläutert, aber das ist trotzdem
ziemlich abstrakt für mich geblieben.
Dann hat er die Taktik erklärt, wenn wir die Geiseln in der Hand hätten.
Das beschränkte sich einfach darauf: wer Widerstand leistet, muß umgelegt
werden. Das gleiche galt für jeden, der zu fliehen versuchte oder
hysterisch wurde. Ebenso bei jedem Mitglied des Kommandos, das den Befehl
verweigern sollte und die Operation in Gefahr bringen könnte. Das war ein
bißchen viel für mich. Ich hatte den Eindruck, als wüßte er nicht, daß man
sich mit der Waffe auch darauf beschränken kann, jemanden zu verletzen. Ich
habe angefangen zu schreien und erklären, daß ich kein Killer sei. Daß ich
durchaus schießen wolle, wenn das notwendig würde, daß das aber nicht
automatisch auch heißt, eine hysterische Geisel umzubringen.
Also hat Carlos angefangen, nochmal zu erklären. Daß dies eine Frage des
Überlebens wäre. Eine militärische und politische Notwendigkeit.
L.: Und hast du auch geschossen?
K: Zweimal, auf ein Telefon. Da war eine Sekretärin, die versuchte dauernd
zu telefonieren. Ich versuchte, ihr klarzumachen, sie solle damit aufhören,
aber ich wollte kein Wort Deutsch sprechen. Ich habe ihr gesagt: Finish,
dann habe ich das Telefon zerschossen. Das hat sie aber nicht davon
abgehalten. Sie hat zu dem Telefon daneben gegriffen.
L: Da gab es bereits Tote.
K: Ja, einen drinnen, ein Libyer. Und dann am Eingang einen Iraker und
einen alten österreichischen Bullen.
L: Wann bist du verletzt worden?
K: Etwas später kam eine Gruppe von österreichischen Scharfschützen von
unten herauf und die schossen wie wild um sich. Zusammen mit Josef, der auf
der anderen Seite stand, haben wir zurückgeschossen. Als ich ein neues
Magazin einlegen wollte, hat mich ein Querschläger getroffen. Ein Schlag in
den Bauch, einen in die Schulter und einen auf die Pistole. Josef hat
Carlos zu Hilfe gerufen. Der kam, brüllte irgendetwas und Josef hat eine
der Granaten nach unten geworden. Danach hat das Ganze aufgehört.
L: Wann hast du den Entschluß gefaßt, die Guerilla zu verlassen?
K: Nach Wien führte das Vertrauen, das ich mir durch die Teilnahme am
Kommando erworben hatte, dazu, daß ich eine Menge Dinge erfuhr. Alles, was
man mir im Verlauf weniger Wochen erzählte, ließ die Vorstellungen, an die
ich bisher unerschütterlich geglaubt hatte, in sich zusammenfallen.
Das begann so um den Monat Februar 76: Nach der Opec-Operation hatten wir
in einem arabischen Land eine Sitzung mit Waddi Haddad, wo Bilanz gezogen
wurde. Die Diskussion ging um die drei Toten in Wien. Drei Tote, die für
mich drei Morde sind. Es gab nur einen einzigen Grund zu schießen, das war
das mit dem Libyer. Kaum war Carlos reingekommen, hat der Libyer ihm die
Pistole, eine Beretta entrissen. Wie sich hinterher rausgestellt hat, haben
die Libyer zunächst geglaubt, es wäre eine israelische Kommandoaktion.
Das Magazin ist rausgefallen und Carlos fand Zeit, eine andere Pistole zu
ziehen, und ihm in die Schulter zu schießen. Er war bewegungsunfähig: wenn
du eine 9mm Parabellum aus 50 cm Entfernung abkriegst, hast du andere
Sorgen. Carlos hat das Magazin in die Beretta zurückgeschoben und
buchstäblich auf den Libyer leergeschossen.
L: Das war ein Schock für dich?
K: Die Rechtfertigungen hatten wirklich nichts zu tun mit der Vorstellung,
die ich mir von der Linken und von der Politik mache. Es war unnötig, ihn
zu töten und wenn er es gewollt hätte, hätte er dazu nicht das ganze
Magazin gebraucht.
L: Hast du lange gezögert, bevor du die Entscheidung getroffen hast, die
Guerilla zu verlassen?
K: Nein, nicht lange. Das einzige Problem war, daß ich das nicht alleine
machen konnte. Du mußt dir vorstellen, was das bedeutet. Erstmal wirst du
von den Bullen gesucht. Und zwar von jeder Art Bullen. Die Operation in
Wien ist eine der bedeutensten der letzten Jahre gewesen und die Deutschen
haben pro Kopf DM 50.000 ausgesetzt. Aber Carlos und Haddad sagten, daß der
saudi-arabische Geheimdienst eine Million Dollar auf unsere Köpfe
ausgesetzt hätte. Darüberhinaus riskierte ich, als ich die Guerilla
verließ, auch diese auf den Fersen zu haben. Ich hatte genug Sachen
mitgekriegt, so daß sie mir nicht nur Gutes wollten.
L: Hast du von dem Moment an, wo dein Entschluß, die Guerilla zu verlassen
gefaßt war, konkrete Drohungen erhalten?
K: Ich konnte mich nicht unentwegt hinter meinen Verletzungen verstecken.
Vor allem, da es mir nach einigen Monaten ziemlich gut ging. Die anderen
hatten mich während der Ausbildungsstunden im Lager laufen und springen
sehen. Ich habe versucht, Zeit zu gewinnen, indem ich Aktionsvorschläge
machte. Ich habe sogar vorgeschlagen, Caroline von Monaco zu entführen.
Aber das hat alles nicht gereicht. Ich fand mich wieder mit ihnen zusammen
in Europa, wo sie Operationen vorbereiten wollten. Zum Schluß wollten sie,
daß ich in ein anderes europäisches Land gehen sollte, um eine Reihe von
Dingen zu machen. Ich habe mich geweigert. Ich habe gesagt: Ich mache
nicht mehr mit, und gründe jetzt meine eigene Guerillagruppe. Die Leute
vom 2. Juni, die auch da waren, haben etwas davon mitgekriegt und sind
mißtrauisch geworden. Sie haben gesagt, daß ich nicht aufhören könne. Ich
wüßte zuviel, vor allem im internationalen Rahmen. Das sind Worte, die ich
nicht zu vergessen bereit bin.
Die Drohung war konkret. Ich war bereits in Europa und sie wollten, daß ich
sofort in das arabische Land zurückkehre, aus dem wir kamen. Sie haben
immer wieder darauf bestanden, indem sie sagten, es sei ein Befehl. Ich
habe mich geweigert. Ich wußte aber, ohne Erlaubnis würde ich nicht
rauskommen.
L: Wann bist du Carlos das erste Mal begegnet?
K: Welchem Carlos? Ich habe nie einen Carlos gekannt, der Name ist reine
Erfindung. Der, der Carlos genannt wird, existiert, aber er heißt Wladimir
Ilitsch Sanchez. Wie gesagt, er hatte noch zwei Decknamen, Johnny und
Salem. Wilfried Böse hat das eines Tages in Paris erfunden, als er sich in
der Wohnung von Sanchez aufgehalten hat. Er hat der Polizei Geschichten
erzählt. Daß er gekommen ist, um jemanden namens Carlos zu treffen und daß
dieser Carlos ihn beauftragt hat, mit bewaffneten Bewegungen im Baskenland
Kontakt aufzunehmen. Aber das war alles falsch, Böse wurde ausgeliefert und
in Deutschland wieder freigelassen.
L: Mit der Zeit ist er (Carlos) ein Mythos geworden. Wie hat er darüber
gedacht?
K: Die Presse hat einen Mythos aus ihm gemacht. Er hat etwas gesagt, das
mir richtig scheint: je mehr man von mir spricht, desto gefährlicher
erscheine ich. Umso besser für mich.
L: Und was macht er jetzt?
K: Soviel ich weiß, nichts mehr. Er hat's kurz nach Entebbe hingeworfen.
Auf seine Initiative hin hat in Wien im Dezember 75 der zweite Teil der
Operation nicht stattgefunden. Er hat das mit einer arabischen Regierung
ausgehandelt, die ihm wahrscheinlich Schutz zugesichert hat, als er
aufhörte. Und ihn außerdem mit Geld versorgt hat.
L: Ist bekannt, daß er aufgehört hat?
K: Ja, alle wurden davon unterrichtet, auch Haddad.
L: Und was dachten sie (die westdeutsche Guerilla) über Kritik, die die
westdeutsche Linke an der Guerilla übte?
K: Ich erinnere mich manchmal an einen Kongreß in Frankfurt
(Antirepressionskongreß10 organisiert vom SB). Joschka Fischer (einer der
Wortführer der Frankfurter Spontis) hat an die Guerilla gerichtet erklärt:
Genossen laßt die Gewehre fallen und greift wieder zu den Steinen. Sie
sind vor Lachen gestorben. Ihnen war es scheißegal, was die Linke gemacht
hat. Da gibt es das Beispiel mit der Bombe gegen den Vorsitzenden der
Anwaltskammer mitten in einer Justizkampagne. Das hat alles blockiert.
L: Du sagst, daß einige Leute der Revolutionären Zellen in ein
palästinensisches Lager gekommen sind, um dort eine militärische Ausbildung
zu machen. Worüber diskutierten sie?
K: Über ihre Aktionen gegen Fahrscheinautomaten des öffentlichen
Nahverkehrs.
Es gab in Deutschland eine große Kampagne der RZ's gegen die Tariferhöhung
und die Einführung von Fahrschein-Automaten.
L: Darüber diskutierten sie?
K: Ja, es gab im Lager eine große Debatte über die Perspektiven der
Aktion.
L: Einerseits Fahrscheinautomaten, andererseits große internationale
Aktionen, das unterscheidet sich wie Tag und Nacht. Der kleine Handwerker
und die große Industrie.
K: Sowas gab es immer. Das war der kleine Krämer in Böse. Einmal
diskutierte man über ein Projekt, Sparbücher und Scheckbücher zu fälschen.
Diese Geschichte mit den Sparbüchern hat die Typen ein Jahr lang
beschäftigt. Dazu muß gesagt werden, daß es zwei Sektionen der RZ gab, die
deutsche und die internationale.
L: Und zwischen beiden gab es keine Auseinandersetzungen?
K: Nach dem Tod von Böse und Kuhlmann wollte der Rest der internationalen
Sektion eine Vergeltungsaktion auf einem Flughafen machen, wo sie eine
Lücke im Sicherheitssystem entdeckt hatten. Aber der Spezialist, den sie
dafür gebraucht hätten, arbeitete zu dieser Zeit in der deutschen Sektion.
Und mitten in den Vorbereitungen hat der Typ, den sie gerufen hatten, das
Waffenversteck der internationalen Sektion geklaut. Es blieben keine mehr
übrig. Das Schlimme war, daß auch Waffen dabei waren, die für andere
Gruppen bestimmt waren. Es wurden etliche Drohungen losgelassen, besonders
von Carlos, und die Typen haben alles zurückgebracht. Die Geschichte war
vorbei, als die andere Guerilla-Gruppe selbst alles zurückgeklaut hatte.
Das ist verrückt, was?
L: Du hast, wenn auch in begrenztem Maße, Kontakt mit den drei deutschen
Bewegungen der Guerilla gehabt: der RAF, dem 2. Juni, der ein bißchen
weniger bekannt ist, und den Revoltuionären Zellen, die merkwürdigerweise
fast unbekannt sind und die in Deutschland allmählich entdeckt werden. Man
weiß nur durch die Lektüre ihrer Texte, daß sie anarchistischer sind als
die anderen, ideologisch mehr an die spontaneistische Bewegung gebunden.
Hast du wichtige Differenzen bemerkt, die die Existenz von drei Gruppen
rechtfertigen könnten?
K: Es gibt sie, aber ich kann nicht viel darüber sagen. Wenn man die
Verluste, die der 2. Juni und die RAF erlitten haben, anguckt, wäre es
logisch, wenn die drei Bewegungen sich vereinigen würden.
Das Problem, das dauernd wieder aufs Tapet gebracht ist, ist die Beziehung
der Revolutionären Zellen zum Untergrund. Die RZ's sind nicht dafür,
systematisch in den Untergrund zu gehen. Das merkst du erst, wenn du dazu
gezwungen bist. Während die anderen daraus ein Prinzip machen. Sie griffen
immer die RZ's an, wenn es gemeinsame Diskussionen gab und warfen ihnen
vor, daß sie sich eine Hintertür offenhielten.
Vollständiger Abdruck in Liberation Nr. 1450 bis 1454, Oktober 1978