Revolutionärer Zorn Nr. 4 Januar 1978
Die Rechtspresse jubelte, die bürgerlichen und sozialdemokratischen
Zeitungen wetteiferten mit Rechtfertigungen des an sich bedauerlichen-
Vorfalls. Scheidemann1 verteidigte die Untat, Ebert2 schwieg dazu und
Gustav Noske3 ließ erkennen, daß er mit dem Ergebnis zufrieden warDie
Ermordung der beiden Sozialistenführer war tatsächlich der Beginn einer
Entwicklung, die in den Massenvernichtungslagern ihren Höhepunkt erreichte,
aber noch keineswegs abgeschlossen ist, sondern in abgeschwächter Form
weiterwirkt. Die Bluttat, zu einer von der Geschichtsschreibung schamhaft
verschwiegenen, weil allen beteiligten peinlichen Konterrevolution sollte
nicht allein das noch schwache Häuflein Spartakisten treffen, vielmehr die
Revolution selbst
(Bernd Engelmann4 / Ermordung Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht5)
Nach über 50 Jahren
wieder die Sozialdemokratie, wieder ein noch schwaches Häuflein von Sozialrevolutionären. Doch die Geschichte wiederholt sich nicht. Diesmal keine aufgeputschte, gröhlende, mordende Soldateska, sondern das Innenministerium selbst, die Hinrichtungen in eigens dafür konstruierten Todestrakten, als Zeugen nur sie selbst, die Medien sprungbereit, in millionenfacher Auflage aus den Ermordeten die Täter zu machen. Am Ende werden die Mauern der Hinrichtungsstätte eingerissen, um ein für allemal alle Untersuchungen, alle Nachforschungen unter einem Steinhaufen zu begraben.
Doch die Ermordeten lassen sich nicht begraben
Rosa und Karl
das sind heute noch die lebendigsten Menschen, die dieses Volk jemals
hervorgebracht hat, Ulrike6, Halimeh7, Gudrun8, Ingrid9, Holger10,
Wilfried11, Andreas12 und Jan13 gehören bestimmt dazu.
Das wissen wir, doch das macht unseren Schmerz nicht geringer. Wir werden
jedoch nicht an ihm ersticken, sondern aus unserer Hoffnung und unserem
Schmerz heraus weiterkämpfen. Nicht verzweifelt und blindwütig, das hieße,
wir hätten uns Illusionen gemacht, hätten uns den Kampf in den Metropolen
einfacher vorgestellt, den Feind weniger blutrünstig als in der Dritten
Welt hieße, wir hätten zwar My Lai14, Attica15, Tel Saatar16 für möglich
gehalten, nicht aber ein Massaker in Stammheim (Warum, weil es dort Gelbe,
Schwarze, Braune waren, hier aber Weiße?)
Wir werden mit unseren Waffen, den Waffen der Unterdrückten, weiterkämpfen
und das sind unsere Utopie, unsere List, Phantasie und Ausdauer, unsere
Kollektivität und Kontinuität.
Jeder, der wissen will, weiß was das bedeutet
Und wir, wir schrecken zurück vor der Mordthese, die wie auch immer im Detail eine verdammt ernste Konsequenz hätte. Denn es ist nicht egal auch wenn wir wissen, daß Selbstmord eine Form von Mord ist was geschah. Mord
das hieße, daß es in der BRD zumindest gegenüber bestimmten Gruppen offenen Faschismus gibt und das heißt, daß wir endgültig und absolut nicht so weiterleben können wie bisher. (Pflasterstrand)
Selten ist so ehrlich formuliert worden, daß die Wahrheit-wissen-wollen sich nach den Konsequenzen richtet, die dieses Wissen für einen selbst mit sich bringt. Anders gesagt
Es klammern sich
deshalb so viele Linke und Liberale in der BRD (in gespenstischem Gegensatz
zur ganzen übrigen Welt) an die staatlich verordnete Selbstmordthese, weil
die Wahrheit von ihnen verlangen würde endgültig und absolut nicht mehr so
weiterzuleben wie bisher.
Dieser enge Zusammenhang von Wahrheit-wissen-wollen und Pflicht zum
Widerstand scheint wieder einmal von vielen ganz in der verbrecherischen
Tradition ihrer Väter gelöst zu werden, die auch von nichts was gewußt
haben wollen und heute 50 Millionen Kriegstote und 6 Millionen KZ-Opfer
mitzuverantworten haben.
Weiter ist in diesem Zitat von der Möglichkeit des offenen Faschismus
zumindest bestimmten Gruppen gegenüber die Rede. Doch Faschismus ist nie
punktuell, in Teilbereichen nur praktizierbar, sondern als grundsätzliche
Lösungsstrategie gegenüber allen gesellschaftlichen Widersprüchen
vorhanden. Stammheim und Mogadischu17, das ist das Grundmuster, das den
Alltag in der BRD strukturiert. Denn nach dem gleichen Muster, mit dem
Mogadischu erledigt wurde, werden die Umweltkämpfer erledigt mit
Tricks, Lügen, Krisenstabsmethoden und Overkill-Programm, um den Weg in den
Öko-Faschismus frei zu machen. Läßt sich auf diesem Weg keine
Zwangsbefriedung erreichen, dann werden die Schweine weiter eskalieren, und
das kalkuliert die physische und psychische Vernichtung der Widerstand
Leistenden ein. Die Vernichtungsstrategie gegen die bewaffneten Kämpfer
kann keiner mehr als Teilstrategie begreifen, das hieße, die Verfolgten und
Ermordeten an anderen Fronten in diesem Land stillschweigend zu
begraben.
Den Druck, was tun zu müssen, haben viele Genossen erfahren und
ausgesprochen in den letzten Wochen aber eine Antwort geben zu wollen,
aus dem Re-agieren raus zu kommen, ist schon nicht mehr Sache von
allen.
Da sind die Verzweiflungstrategen, die, je schlimmer es wird, sich umso
verbissener an ihre bisherigen Zusammenhänge klammern. Das Festhalten an
bisherigen Formen und Perspektiven politischer Arbeit muß da schon zum
Rückzug werden, wo nur auf alten Positionen beharrt wird. Vielen Genossen
geht das Trotzdem und wie bisher Weitermachen zu leicht, zu schnell
über die Lippen. Es reicht nicht, das Weitermachen, das Nicht-Aufgeben zu
beteuern, weil keine Genossin und kein Genosse wie bisher weitermachen
kann, weil wir jeden Tag so viel mehr und so viel neue, andere Phantasie,
Kraft und Wut brauchen.
Die Bewegungen an anderen europäischen Ländern haben auf die Morde in
Stammheim, Stadelheim, Mogadischu massenhaft geantwortet. Wer jedoch die
Demonstrationen in Italien, Frankreich und Griechenland etc. zum Anlaß
nimmt, um an ihnen zu beweisen, daß in der BRD nichts mehr laufen kann,
also auch nichts möglich ist, der lügt, weil er die Brände bei Ford (250
Mill. Schaden), bei Merck und Adler, die Bomben in den Gerichten von
Kaiserslautern und Hannover verschweigt. Die Haltung, in Italien jeden
Molli zu zählen, in der BRD bei Großbrandstiftung in imperialistischen
Konzernen die staatliche Selbstentzündungsversion zu kolportieren, hat die
Funktion, sich damit selbst beweisen zu können, hier gehe nichts mehr und
damit für die eigene Untätigkeit entschuldigt zu sein.
Doch diese Aktionen lassen sich nicht mit dem Geschwätz und der Beschwörung
von der totalen Einkreisung vom Tisch wischen. Daß es relativ wenige waren,
das liegt nicht ausschließlich an den Bedingungen, sondern vor allem an
euch selber. Hört auf zu heulen, es hat doch gerade erst angefangen.
Dieser Artikel wurde vor der Schleyer-Entführung, vor den Massakern in Mogadischu und Stammheim geschrieben. Wir haben ihn absichtlich nicht mehr überarbeitet, da er kaum 10 Wochen alt eindringlich dokumentiert, daß wir in Zeiten leben, in denen die Schreckensnachrichten täglich, ja stündlich eintreffen. Ingrid Schubert ermordet Klaus Croissant18 in die deutsche Vernichtungsmacht ausgeliefert Atomkraftwerke werden weitergebaut die Schutzhaft der Nazis wieder eingeführt. So bewahrheitet sich bitter, daß dies kein schleichender Prozeß ist, das war noch nie die Gangart des Faschismus und ebenso bitter, daß wir in einem Land leben, in dem sich die Menschen mit antifaschistischem Widerstand schwerer tun als irgendwo sonst.
Denn wir gehen nicht unter in Niederlagen, aber in Kämpfen, die wir nicht kämpfen
Unsere Kenntnis des neuen Faschismus ist noch nicht abgeschlossen, sie beginnt langsam Gestalt anzunehmen, wenn man an seinen Ursprung zurückgeht (André Glucksmann)19
Die Repression in der BRD ist längst kein innerdeutsches Problem mehr. In Frankreich arbeiten Komitees Gegen ein Europa unter deutsch/amerikanischer Vorherrschaft; die italienischen Genossen haben den Kampf gegen die Germanizziazione20 auf ihre Fahnen geschrieben; in Paris, Marseille, Rom, Madrid, Athen gehen deutsche Niederlassungen in Flammen auf; in den Schweizer Alpen wird Springers Fluchtburg eingeäschert; das Russell-Tribunal klagt nach dem amerikanischen Völkermordprogamm in Vietnam, den Gorilla-Diktaturen21 in Brasilien und Chile das Modell Deutschland an; Stammheim ist weltweit zum Synonym für Vernichtungshaft und weiße Folter geworden, Berufsverbote, Todesschuß und Ausrottung des linken Sumpfes zu internationalen Begriffen für bundesdeutsche Innenpolitik.
Griechenland wird durch den Fall Pohle22 in seine größte
innenpolitische Krise gestürzt, seit die USA die Junta gegen das
Karamanlis-Regime austauschte. Die unverschämte, erpresserische Arroganz
der BRD-Macht, die ihre ökonomische Zuchtrute EG ins Spiel bringt,
entfacht eine antifaschistische Volksbewegung gegen den BRD-Imperialismus
und das Karamanlis23-Regime als dessen Vollzugsorgan. So wird der Fall
Pohle dort zum Kristallisationspunkt einer noch aus der Juntazeit total
zersplitterten Linken,der endlich wieder gemeinsame Diskussionen und
Strategie möglich macht.
Doch von alledem wird in der BRD wenig wahrgenommen. Im Kernland des
europäischen Imperialismus ist eine erschreckende Lähmung der
oppositionellen Kräfte festzustellen, die mit wenigen Ausnahmen überhaupt
noch nicht thematisiert haben, was andernorts die europäische Linke bereits
konkret bekämpft: die United States of Europe unter deutsch-amerikanischer
Vorherrschaft.
Die United States of Europe das ist nicht das Europa der Arbeiter, ein
Europa, das unabhängig sein sollte, gleichzeitig von den USA und der
Sowjetunion (Vigier24) die USE, das ist das Europa der Bosse und
Bullen.
Seit langem war die Entwicklung der wichtigsten Produktivkräfte in Gefahr,
im zu engen Rahmen des alten Nationalstaates zu ersticken. Vor allem im
Fall Deutschland war dies eindeutig bewiesen. Nach dem zweimaligen
Scheitern einer gewaltsamen Expansion nach dem Osten, versuchen heute die
Produktivkräfte Westdeutschlands, sich durch Expansion nach dem Westen
einen Weg aus ihren engen Nationalgrenzen heraus zu bahnen Der größere
Markt ermöglicht größere Produktionseinheiten, größere Kapitalballungen,
größere Rationalittät in der Auswahl der Produktionsstätten und der
Transportmittel. (Mandel25, EWG-USA, S. 41)
Dieser Beschreibung der europäischen Wirtschaftsintegration muß hinzugefügt
werden, daß sie auf der Grundlage einer in großem Umfang vollzogenen
amerikanisch-europäischen Konzernintegration erfolgte und daher im
wesentlichen nicht als konkurrierender Zusammenschluß gegenüber dem
US-Kapital zu verstehen ist, sondern als die Organisationsebene des
transnationalen Kapitals im europäischen Raum.
Der hohe Grad der ökonomischen Verfügungsgewalt des transnationalen
Kapitals über Europa verlangt nach einer Entsprechung im politischen
Bereich, d.h. eine Zentralisierung der politischen Entscheidungen. Die FAZ
nennt das In Europa wieder Staat machen. Ein Europa, das endlich mit
einer Stimme spricht, das bedeutet die schnellstmögliche Beseitigung der
dieser Zentralisierung hinderlichen Restbestände nationaler
Souveränitäten.
Souverän sind sie (die europäischen Staaten) nicht mehr in einem
politischen, sondern nur noch in einem abstrakten völkerrechtlichen Sinne
Mittlerweile sind andere Organsiationen entstanden z.B. die Organisation
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, und die
Notenbankkonferenzen für die Steuerung des internationalen Wirtschafts- und
Währungssystems oder der Gemeinsame Markt für die Sicherheit des Handels
und der Arbeitsplätze in Europa Aber wichtiger ist wohl, daß es den
Staaten mittlerer Größe schwerer fällt, sich so rücksichtslos wie die
meisten europäischen Kleinstaaten ihren Mangel an Bedeutung einzugestehen.
Sie sind noch nicht ganz entmachtet Aber daneben ist eine neue
transnationale Souveränität auf Teilgebieten entstanden, die noch darauf
wartet, beschrieben zu werden. Haben die großen multinationalen
Gesellschaften daran ihren Anteil? (FAZ 4.11.75)
Eine rhetorische Frage, denn sie ist bereits präzise beantwortet worden:
Träger dieser neuen transnationalen Souveränität sind die Systeme der USA
und der BRD. Im Zug der weltweiten Offensive des transnationalen Kapitals
versuchen diese beiden Zentren, ökonomische und politische Suprastrukturen
aufzubauen oder haben sie bereits aufgebaut, in die sich die anderen
Staaten so schnell wie möglich integrieren wollen bzw. müssen. In diesem
Rahmen ist die EG, ein Marshallplan für Südeuropa (Brandt25a) zu
verstehen als die Zentralisierung der politischen Gewalt mittels Auflösung
der nationalen Souveränitäten durch Bildung eines europäischen
Supranationalstaates unter bundesdeutscher Regie. Die jeweiligen
Statthalter für dieses Geschäft sind bereits auch in den Peripherieländern
erfolgreich aufgebaut und zum Teil schon durchgedrückt worden:
Karamanlis, Echevit26, die Gebrüder Soares27 & Suarez28, Gonzales29 (PSOE)
nicht zu vergessen:
die sozialistische Internationale als ideologischer Kopf
die ökonomische Erpressung durch den deutsch-amerikanischen Imperialismus als Integrationsinstrument
das Modell Deutschland als europäische Innenpolitik.
Die hier knapp angedeuteten europäischen Strategien des multinationalen Kapitals und ihrer sozialdemokratischen Statthalter (wenn die Bourgeoisie heute auf die Sozialdemokratie setzt, dann deshalb, weil sie von ihr erwartet, daß sie in diesem entscheidenden Umstrukturierungsprozeß die Arbeiter besser kontrollieren kann; (in Italien kommt der KP dieselbe Funktion zu) sind nur auf dem Hintergrund einer gigantischen Umstrukturierung des Weltmarktes, die sich in den letzten 10 Jahren vollzogen hat, zu verstehen. Wir müssen uns daher mit diesem Umstrukturierungsprozeß näher befassen, obwohl die Einheitlichkeit dessen, was sich in Europa abspielt, darunter leidet.
Schlechte Geschäfte?
Die ganze Welt soll das amerikanische System übernehmen,
das seinerseits nur überleben kann, wenn es Weltsystem wird. (Truman30
1947)
Mit Beginn der 70er Jahre traten in den westlichen Industrienationen
krisenhafte Erscheinungen auf, die sich von denen normaler zyklischer
Krisen qualitativ unterscheiden.
Es geht diesmal für das multinationale Kapital nicht nur darum, im Rahmen einer Krise eine weitere Intensivierung der Arbeit, eine Aushöhlung der Reallöhne, die Disziplinierung der Arbeiter und Angestellten zu erzwingen und durch die Aufsaugung schwächerer Kapitalfraktionen eine größere Kapitalkonzentration zu erreichen. Diesmal geht es um mehr
Das
Kapital kündigt das Ende einer Aera an, die es zur Revision seiner Pläne
und Strategien zwinge der radikalsten und schmerzhaftesten seit
Menschengedenken (Business International, Januar 1977)
Die Wirtschaftswoche jubelt: das wird man mit Fug und Recht eine neue
industrielle Revolution nennen müssen (WiWo31 25, 1977). Und die OECD
spricht von einem Übergang vom konsumorientierten Wachstum der
Nachkriegszeit zu einem Modell mit Schwergewicht auf der Verbesserung und
Erweiterung der ökonomische Basis. (OECD Economic Outlook, 19.1.76)
Als Hauptwerkzeuge, um die Veränderung herbeizuführen, werden in Bezug auf
die westlichen Industrieländer hohe Arbeitslosenquoten, verringerte
Reallöhne und sinkender Lebensstandard genannt.
Es geht also in Wirklichkeit nicht um eine Krise des transnationalen
Kapitals. Im Gegenteil: die meisten Unternehmen weisen in ihren
Geschäftsberichten nach, daß sie gerade in den Rezessionsjahren der
westlichen Industriestaaten weltweit sehr erfolgreich gearbeitet
haben.
Die Krise der nationalen Ökonomien Europas, der USA und Japans gehen einher
mit einer merklichen Verbesserung und Erweiterung der ökonomischen Basis
des nationalen Kapitals, das 1984, wenn nicht gar früher (WiWo 25,1977)
die erste Phase der weltweiten Umstrukturierung abgeschlossen haben
wird.
Der Schlüssel für dieses Erfolgsrezept liegt offensichtlich nicht mehr in
den klassischen Industrienationen Westeuropa und der USA, denn die
Inlandsinvestitionen in diesen Ländern stagnieren oder gehen zurück, wie in
den BRD und Japan, bei einer gleichzeitigen Expansion der
Auslandsinvestitionen in den Ländern Asiens, Afrikas und
Lateinamerikas.
Das große Fressen
Der Schlüssel für die neue imperialistische Invasion in die Länder der 3. Welt liegt in der Entwicklung einer neuen internationalen Arbeitsteilung, die sich von der bisherigen qualitativ unterscheidet. Wurden bislang darunter die Metropolen als Industriezentren, die jeweiligen Peripherieländer (Europa
Portugal, Spanien, Irland usw.) als Produktionsstätten für arbeitsintensive Produktion und die 3. Welt als Rohstofflieferant verstanden, so macht die neue internationale Arbeitsteilung mit dieser Borniertheit Schluß. Produktionsanlagen werden zunehmend dorthin verlagert, wo sie nach dem Kapitalverwertungsgesetz am rentabelsten sind. Und rentabel sind in den Metropolen aufgrund der hohen organischen Zusammensetzung des Kapitals (= vereinfacht gesagt, der Wert der Produktionsmittel und der Wert der Arbeitskraft, d.h. die Gesamtsumme der Arbeitslöhne) in diesen Ländern nur noch in begrenzten Bereichen. Der Hauptgeschäftsführer des DIHT, Broicher, nennt diese Bereiche, mit der dem Kapital eigenen Perversion Die Bereiche der intelligenten Produktion.
Die volle Subsumierung der 3. Welt unter das multinationale Kapital als mögliche Produktionsstätten ist jedoch an Voraussetzungen geknüpft, die sich erst Ende der 60er Jahre voll realisierten
Erstens hat sich im Laufe der Zeit in den Entwicklungsländern ein
praktisch unerschöpfliches Potential disponibler Arbeitskräfte
herausgebildet. Diese Arbeitskraft ist sehr billig, kann praktisch alle
Stunden des Jahres zur Produktion mobilisiert werden (Schicht-, Nacht- und
Feiertagsarbeit), kann in vielen Fällen nach kurzer Anlernung eine
Arbeitsproduktivität entwickeln, die derjenigen in vergleichbaren
Produktionen der traditionellen Industrieländer entspricht, kann schneller
ausgelaugt werden, da Ersatz jederzeit leicht beschaffbar ist und kann
schließlich angesichts des großen Überangebots arbeitssuchender Menschen
sehr spezifisch ausgewählt werden (nach Alter, Geschlecht, Qualifikation,
Disziplin usw.).
Zweitens erlaubt eine hinreichend weit getriebene Fragmentierung des
Produktionsprozesses, daß die meisten dieser Fragmente von niedrig
qualizifierter Arbeitskraft (im Sinne von kurzen Anlernzeiten) ausgeführt
werden können.
Drittens ermöglicht die Entwicklung der Transport- und
Kommunikationstechnologie in vielen Fällen, Voll- oder Teilfertigungen an
beliebigen Standorten weltweit vornehmen zu lassen, ohne daß dies durch
Transport- oder Steuerprobleme technisch, organisatorisch oder kostenmäßig
unmöglich gemacht würde. (Fröbel/Heinrichs/Kreye: Die neue internationale
Arbeitsteilung, S. 30)32
Konkret heißt das: Das multinationale Kapital hat sich die Möglichkeit
geschaffen, Massen- und Standardgüter, also nicht nur arbeitsintensive,
sondern auch rohstoff-, energie- und pollutions- (= umweltbelastend) und
kapitalintensive Produktionen in den Ländern der 3.Welt herstellen zu
lassen, indem es vornehmlich sehr junge Frauen für 10 bis 20 % des Lohns
der Industrieländer kurzfristig auspresst, um sie dann wieder durch
frische Kräfte ersetzen zu lassen. Angesichts dieser gigantischen
Profitraten fallen Transportkosten nicht wesentlich ins Gewicht. Es lohnt
sich z.B. für die bundesdeutsche Autoindustrie, Getriebe in Brasilien,
Einspritzpumpen in Indien und elektronische Bauelemente in Singapur und
Malaysia herstellen zu lassen.
So ist auch der Welthandel im Wesentlichen nicht mehr Warenaustausch
zwischen Volkswirtschaften, sondern zu einem Warenaustausch zwischen
Unternehmen geworden.
Die meisten Nationen des Erdballs werden durch die internationale
Arbeitsteilung ökonomisch wie ökologisch zu abhängigen Monokulturen. Jede
nationalstaatliche Krisentheorie setzt sich heute der Lächerlichkeit aus,
indem sie die Abhängigkeit vom Weltmarkt ignoriert. Die durch das
transnationale Kapital vollzogene Angleichung der herkömmlichen
nationalstaatlichen Krisen-Zyklen ist so gut wie abgeschlossen.
Überproduktion und Unterkonsumtion treten gleichzeitig auf. Die
dominierenden Zentralmächte des Weltmarktes (USA, UdSSR, Europa, Japan,
OPEC etc.) stehen nun vor einer ähnlichen Situation wie ehedem der
Nationalstaat. Wollen sie nicht von vorneherein aus dem Kreis derer
herausfallen, die die letzten globalen Deals mitbestimmen, die für das
Überleben der historisch gewachsenen industriellen Struktur notwendig sind,
sind sie gezwungen, weiterhin mitzupokern. (Schehl, Vor uns die Sintflut?
S. 43)33
Und die US-Konzerne sind entschlossen, die letzten globalen Deals
mitzubestimmen: mit einem 2/3 Anteil an allen Auslandsinvestitionen und
Produktionsverlagerungen halten sie die Spitzenposition bei dieser neuen
imperialistischen Invasion in die Länder Asiens, Afrikas und
Lateinamerikas. Insgesamt haben sich die Auslandsbeteilungsverhältnisse der
multinationalen Konzerne in den unterentwickelt gehaltenen Ländern seit
Ende der 60er Jahre vervierfacht und die Zahl der Beschäftigten ist um 505
% gewachsen. Diese Daten sind jedoch nur als Vorboten dieser neuen
Entwicklung zu werten. Die Möglichkeit, die 3.Welt nicht nur als
Rohstofflieferanten auszupressen, sondern auf ihrem Rücken eine nie
gekannte Kapitalverwertung zu realisieren, diese Möglichkeit gerinnt
aufgrund der dem Kapital eigenen Gesetzmäßigkeit zur absoluten
Notwendigkeit.
Zur angeblichen Ausbeutung von unterentwickelten Ländern: Kritiker machen
sich selten die Mühe zu erwähnen, welche Folgen die Nichtbeschäftigung
dieses Arbeitskräftepotentials haben würde. Es ist eine Tatsache, daß uns
unterentwickelte Länder nicht den Vorwurf der Ausbeutung machen, sondern
sich vielmehr darüber beklagen, daß wir sie hinsichtlich unserer
Investitionen vernachlässigt hätten Zu angeblichen Einschränkungen der
Souveränität von Ländern durch die Multis: man kann nicht vollkommene
nationale Souveränität haben und gleichzeitig auch die Interessen der
Nation bestmöglich vertreten. Natürlich transferieren die Multis Waren,
Kapital und Technologie so uneingeschränkt über die Grenzen, wie es ihnen
möglich ist. Aber dadurch bringen sie den Ländern tatsächlichen Nutzen,
indem sie Waren zu niedrigeren Preisen anbieten können. (David
Rockefeller34, Handelsblatt 29.7.75)
Leben und sterben lassen
Verbesserte Lebensbedingungen sind zu einer Grundhaltung aller Menschen auf der Welt geworden, der ärmsten eingeschlossen. Solche Erwartungen müssen heute offensichtlich enttäuscht werden. (Business International, Januar 1977)
Für die Massen der 3.Welt bedeutet die Entwicklung eines Weltmarktes für Arbeitskräfte und Produktionsstandorte nicht weniger Elend, weniger Hunger. Ebensowenig ist die Entwicklung einer eigenen Industrie als Voraussetzung für nationale Eigenständigkeit zu erwarten. Im Gegenteil, in der Entwicklung zur Unterentwicklung (A.G.Frank) wird nur ein neues Kapitel aufgeschlagen.
1. Die neue internationale Arbeitsteilung führt zu einer
weiteren Integration der 3.Welt in den kapitalistischen Weltmarkt, denn
die partielle exportorientierte Industrialisierung Asiens, Afrikas und
Lateinamerikas hält diese Länder hinsichtlich Technologie, Ausrüstung,
Mangagement-Techniken, vor allem jedoch bezüglich Verfügungsgewalt in einem
nie gekannten Ausmaß abhängig. (Fröbel/Heinrichs/Kreye).
Was es bedeutet, vom internationalen Kapital partiell industrialisiert zu
werden, belegen folgende Daten: zwischen 1961 und 1970 investierten z.B.
die USA 3,2 Milliarden Dollar in Lateinamerika, zogen aber 10,6 Milliarden
Dollar an Gewinn ab. Von den gesamten Gewinnen blieb noch ein gehöriger
Batzen, nämlich 3 Milliarden Dollar, um reinvestiert zu werden. Die
US-Konzernmütter entzogen in diesem Zeitraum allein den in
Entwicklungsländern produzierenden Töchtern durchschnittlich 70% der
Nettogewinne.
Noch deutlicher wird die Funktion des kapitalistischen Weltmarktes, wenn
wir uns vor Augen halten, was aus der 3.Welt herausgepreßt wird und was als
Entwicklungshilfe zurückfließt.
Terms of Trade:35 Die Industriegüter steigen ständig im Preis, während die
Erlöse für Rohstoffe niedrig gehalten werden, bzw. so stark schwanken, daß
der internationale Spekulantensumpf dabei jährlich Milliarden
herausschlägt. Ein Beispiel aus Tansania: Der Kostenvoranschlag für eine
Fleischfabrik stieg in den letzten 2 Jahren von 1,8 auf 7,1 Millionen
Dollar. Präsident Nyerere:36 Für uns heißt das real also unter
Berücksichtigung der damaligen und jetzigen Sisalpreise daß eine Fabrik,
die ursprünglich 7.000 t Sisal kosten sollte, jetzt fast 24.000 t Sisal
kostet.
2. Durch die weltweite Kapitalisierung der Landwirtschaft werden die
letzten Bereiche der Selbstversorgung zerstört, das hungernde
Landproletariat wird in die Städte getrieben. Eine gigantische Verslumung
der 3.Welt ist die Folge. Mexiko-City wird z.B. in 20 Jahren 30 Millionen
Einwohner haben, 80 % davon werden in Slums vegetieren. Doch Slumbewohner
rechnen noch nicht zu den Ärmsten. Das sind die 250 Millionen Obdachlosen
in der 3.Welt.
Die damit einhergehende Zerstörung von Kultur- und Sozialzusammenhängen
ganzer Völker und Stämme ist so verheerend und irreparabel, daß z.B.
Indianerstämme in Brasilien sich angesichts einer solchen Zukunft
entschlossen haben, lieber zu sterben, als solchermaßen
zwangs-zivilisiert zu leben. Sie töten alle Neugeborenen. Am
eindringlichsten berichtet Frantz Fanon37 über die schweren psychischen
Deformationen der Verdammten dieser Erde. Darüberhinaus bedeuten die
erzwungenen zivilisatorischen Lebensbedingungen Tod und Krankheit für
viele Menschen in der 3.Welt:
Nestle tötet Babies oder die Zerstörung der psycho-somatischen Heilkunde
der alten Kulturen, die zu einer neuen, zusätzlichen, krankmachenden
Abhängigkeit von den Pharmakonzernen führt.
3. Hunger- und Durstkatastrophen wie in den Sahelländern Biafra, Äthiopien
etc. werden durch die Ver-Wüstung der Welt immer häufiger. Dabei handelt es
sich nicht um Naturereignisse, sondern um ökonomisch bedingte ökologische
Krisen, verursacht durch den Raubbau an der Natur, der Forcierung der
Monokulturen. So leben heute mehr Menschen denn je, nämlich 1,7 Milliarden,
ohne ausreichendes Trinkwasser, 2 Milliarden Menschen sind
unterernährt.
Susan George spricht vom Hunger als Bombengeschäft, das vor allem die
USA, als das größte Zentrum von Agrarmacht in der Welt beherrschen: Manche
ihrer weniger behutsamen Sprecher, wie z.B. der frühere
Landwirtschaftsminister Butz, zögern nicht, die Nahrung als Waffe-, als
mächtiges Werkzeug in unserem Verhandlungskoffer- zu bezeichnen. Inzwischen
erklärt der CIA (insgeheim gegenüber seinem amtlichen Publikum), daß eine
zunehmende Getreideverknappung Washington in Bezug auf das Schicksal der
bedürftigen Massen buchstäblich eine Macht über Leben und Tod in die Hand
geben könnte. Genau das ist aus Nahrung geworden: eine Profitquelle, ein
Werkzeug zur wirtschaftlichen und politischen Beherrschung und ein Mittel,
eine wirksame Vorherrschaft über die Welt insgesamt zu gewährleisten.
(Susan George, Wie die andren sterben. Die wahren Ursachen des
Welthungers.)38
Das Max-Planck-Institut kommt deshalb in seiner Untersuchung über die neue
internationale Arbeitsteilung zu dem Schluß: Unter diesen Umständen kann
man sich kaum der Schlußfolgerung entziehen, daß nicht organisierte
politische Aktion auf der Tagesordnung einer Welt steht, die vom Prozeß
weltweiter Verwertung und Akkumulation des Kapitals bestimmt ist, sondern
Hungerrevolten, soziales Aufbegehren und Krieg in vielen Teilen der
Welt.
Rolf Pohle bringt dies in seiner Rede vor dem Athener Areopag39 auf den
Begriff: Wir befinden uns mitten im 3.Weltkrieg.
4. Ein anderes Integrationsinstrument ist die Kreditvergabe durch den
Internationalen Währungsfond. Eine frühere Mitarbeiterin dieser
Organisation, Ceryl Payer, schreibt in ihrem Buch The Dept Trap (Die
Schuldenfalle): Der IWF ist heutzutage die mächtigste supranationale
Regierung. Die Reserven, die er kontrolliert und die Macht, sich in die
inneren Angelegenheiten eines Landes zu mischen, geben ihm einen Einfluß,
von dem die Vereinigten Staaten nur träumen können.
Durch die ständige Auspowerung der unterentwickelt gehaltenen Länder müssen
diese immer neue Kredite zur Tilgung der alten aufnehmen. Ihre Verschuldung
bei den imperialistischen Staaten wächst ins Unermessliche. 1980 werden
Länder wie Ägypten, Indien, Brasilien, Mexiko, Peru die Hälfte ihrer
Exporterlöse allein zur Schuldentilgung aufbringen müssen. Das bedeutet
aber die absolute Ruinierung der Volkswirtschaften dieser Länder, von den
damit verbundenen politischen Pressionen ganz zu schweigen. Chile und
Portugal sind als Erinnerung noch frisch. Das Alltagsgeschäft der
wirtschaftlichen Erpressung ist es jedoch, solchen Entwicklungen schon im
Vorfeld die Luft abzuschnüren.
5. Die gigantische Verschuldung der 3.Welt ist auch eine Bedrohung für den
Weltmarkt und damit für die imperialistischen Staaten selbst: Der nächsten
Finanzkrise vom Typ des New Yorker Debakels werden wir in diesem Jahr in
den Entwicklungsländern gegenüberstehen, die ihre riesigen, kurzfristig
fälligen Kredite nicht mehr zurückzahlen können. (Der Spiegel, 1976). Um
dieses Debakel zu vermeiden, werden ständig neue Konferenzen und
Kommissionen von den OPEC-Staaten ins Leben gerufen, zuletzt der
Nord-Süd-Dialog und die Brandt-Kommission.40 Gerade diese Konferenzen
belegen jedoch am deutlichsten, daß es keine Lösungen gibt. Die
unterentwickelt gehaltenen Völker brauchen ein Moratorium, d.h. eine
Stundung bzw. Tilgung ihrer Schulden, um sich zumindest vorübergehend von
den Folgen ihrer Ausbeutung zu erholen, eine Ausbeutung, die ständig droht
zu einem Kollaps des Weltmarktes zu führen. Doch das transnationale Kapital
muß wachsen, um nicht unterzugehen. Es kann auch nicht vorübergehend das
Wachstum drosseln also auf Schuldeneintreibung verzichten. Das ist ein
antagonistischer, ein unlösbarer Widerspruch. So erläßt es 3 Milliarden
Dollar der 200 Millarden Verschuldung, um sie 1980 auf 250 Milliarden zu
treiben. Der dem Kapital innewohnende Verwertungszwang produziert ständig
und in immer größerem Ausmaß die Bedingungen für den unausweichlichen
Zusammenbruch dieses Systems.
Die heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Nationen und zwischen den
Nationen aufgrund der enttäuschten Erwartungen der Massen können Revolution
und Krieg zur Folge haben. (Business International, Januar 1977)
Die Möglichkeit, auf dem Rücken der 3.Welt eine nie gekannte
Kapitalverwertung zu realisieren, treibt das transnationale Kapital auf der
Jagd nach den jeweils profitabelsten Standorten um die ganze Welt.
Standorte werden mit einer bislang unbekannten Geschwindigkeit entstehen
und niedergehen. Das Kapital, das heute von einer Region angezogen wird,
mag morgen wieder verschwinden, um möglicherweise übermorgen wieder
zurückzukehren. (Fröbel/Heinrichs/Kreye, S. 39).
Ein Beispiel dafür ist im europäischen Raum Irland. Ursprünglich angelockt
durch gewaltige staatliche Vergünstigungen, niedrigste Löhne und eine große
industrielle Reservearmee, beginnt das transnationale Kapital, das in
Irland 80 % der Produktion beherrschte, bereits wieder abzuwandern. Eine
Heuschreckenplage, die über ein Land herfällt, um es kahl zu fressen,
nannte das Murteira, der Wirtschaftsminister des portugiesischen
Revolutionsrates. Eine Region ist ausgeschöpft, die nächste steht auf der
Tagesordnung. Für die Nationen, insbesondere für die 3. Welt, entsteht ein
irrsinniger Zwang zur Konkurrenz, um dem transnationalen Kapital die
jeweils besten Verwertungsbedingungen zu garantieren.
Die Internationale der Menschenfresser
In der Auflistung optimaler Verwertungsbedingungen steht an erster Stelle die politische Stabilität eines Landes. Als politisch stabile Länder gelten in Lateinamerika Brasilien, in Afrika Nigeria und Zaire (das durch die jüngste Intervention Frankreichs und Marokkos re-stabilisiert wurde), am Golf der Iran und im Fernen Osten Indonesien. Sie werden als Subimperialisten in ihren Regionen aufgebaut und sollen die politische und ökonomische Aufspaltung des 3.Welt-Blocks vorantreiben politisch, indem sie helfen, Linksregierungen in ihrer Zone einzukreisen; ökonomisch, indem sie die Spaltung in eine 3. und eine 4.Welt betreiben, die Abspaltung der wichtigen Öl- und Rohstoffländer, mit denen wir eine Zusammenarbeit anstreben, von den Habenichtsen, den Almosenempfängern, die vorerst keiner haben will, wie es das Auswärtige Amt ausdrückt.
Die reichen Minderheiten dieser subimperialistischen Länder
verwenden einen erheblichen Anteil ihres Reichtums darauf, den Militär-
und Polizeiapparat zur Festigung der eigenen Herrschaft auszubauen. Sieht
man einmal von den Fällen ab, wo das Militär zum Träger revolutionärer
Veränderungen wird, verschlechtert sich durch einen hohen Militäretat die
Chance der Armen automatisch, zu ihrem Recht zu kommen. (Bösse/Kürschner,
Kontinente im Klassenkampf, S. 56)
Linksregierungen werden systematisch de-stabilisiert eine Wortschöpfung
Kissingers41 für die Zerschlagung revolutionärer Prozesse wie in Portugal
oder Chile. Die Strategie der Destabilisierung ist eine Antwort des
US-Imperialismus auf seine Niederlage in Indochina und bedeutet, daß vor
allem die Methoden der verdeckten Intervention wesentlich erweitert und
ausgefeilt wurden. Dazu zählt vorrangig:
1. die wirtschaftliche Ruinierung eines Landes durch den Totalentzug von
Krediten. Robert NcNamara ist als Präsident der Weltbank der Garant für die
Kontinuität einer Vernichtungsstrategie mit allen Mitteln.
2. Eine Vietnamisierung der betroffenen Ländern ist wenn möglich
einer direkten Intervention der imperialistischen Mächte vorzuziehen. Das
bedeutet den rechtzeitigen Aufbau und die umfassende Unterstützung der
konterrevolutionären Kräfte in diesen Ländern. Das grausamste Beispiel ist
hierfür der Libanon. Da wird eine Handvoll faschistischer Christen und ein
Heer von Söldnern aus aller Welt zur Liquidierung des
Palästinenser-Problems mit amerikanischen und israelischen Waffen
aufgerüstet. Die syrische Armee sorgt für den nötigen Rückhalt, wenn das
nicht ausreicht, interveniert die israelische Armee. Der 4. Akt dieses
Völkermordprogrammes besteht darin, daß die USA vermittelnd eingreifen,
um die Überlebenden dieses ehemaligen Millionenvolkes in
Homeland-Reservaten zusammenzupferchen, wie sie es mit den Indianern
gemacht haben.
Die blutigen Spuren dieser Vietnamisierungsstrategie überziehen die ganze
Welt: ein Beispiel hierfür ist nicht nur der Putsch in Chile, auch die
Gorilla-Diktaturen in ganz Lateinamerika mit ihren AAA-Kommandos42, in
Angola die FNLA/UNITA43, das blutige Chaos in Äthiopien, in Portugal die
ELP, in der Westsahara die marokkanischen Vernichtungsfeldzüge gegen die
Polisario44, die indonesische Ausrottungstrategie gegenüber der Fretilin45
in Osttimor beweisen dies.
3. Ein Arrangement mit den Befreiungsbewegungen, die kurz vor dem Sieg
stehen. Diese Strategie gilt für das ganze südliche Afrika, wo entweder
schon alles gelaufen ist, wie in Namibia, oder absehbar ist, daß sich die
weißen Diktaturen nicht mehr lange halten können. In diesem Fall soll die
Pression auf die verfaulten Rassendiktaturen Schlimmeres verhüten. Dazu
die ZEIT46 (41/1977) über die Pläne der ehemaligen Entwicklungsministerin
Marie Schlei: Sie setzt auf die Befreiungsbewegungen, nicht zuletzt mit
dem Hintergedanken, einer Radikalisierung entgegenzuwirken. Wer weiß
denn, wie lange irgendein Regime bleibt? Wir müssen langfristige Politik
machen, auch im eigenen Interesse, dehalb habe ich Mosambique Hilfe
zugesagt und auch den Führern der rhodesischen Befreiungsbewegungen für die
Zeit nach der Befreiung von Zimbabwe.
Wie die Zeit nach der Befreiung von Zimbabwe aussehen wird, darf jedoch
keinesfalls dem Volk von Zimbabwe überlassen werden. Die rechtzeitige
Kontaktaufnahme und Schulung der Kader dieser Länder liegt auch im
Interesse der Industrienationen. (Bundesministerium für
Entwicklungshilfe)
4. Die Aufteilung der 3.Welt zwischen den Supermächten. Sie ist im Rahmen
der vollen Integration der Sowjetunion in den Weltmarkt Ende der 60er Jahre
erfolgt.
In seiner Washingtoner Rede vor den großen Haien des amerikanischen
Kapitals am 19.6.73 rechtfertigte Breschnew47 dies ideologisch als Triumph
der wissenschaftlich-technischen Revolution: Diese Fortschritte, die nicht
unterdrückt werden können erfordern eine immer breitere internationale
Arbeitsteilung Die Sowjetunion ist inzwischen auf Gedeih und Verderb auf
den Weltmarkt angewiesen, dem sie obendrein noch in Form reichhaltiger
Energie- und Rohstoffe gehörig Tribut zollen muß. (Schehl, Vor uns die
Sintflut?)
Dieses Zusammen-Wirtschaften läßt die Verteilungskriege der früheren
Jahre nicht mehr opportun erscheinen. Entwicklungsländer, die der
Einflußsphäre der UdSSR zuzuordnen sind, gehen dem Weltmarkt nicht mehr
verloren. Und auch China sucht neuerdings dringend den Anschluß. Im Zuge
der Koexistenz hat eine Aufteilung der 3.Welt stattgefunden und findet
weiter statt, die Lateinamerika wieder zum totalen Hinterhof der USA zu
machen versucht, Afrika zwischen den westlichen Imperalisten und den
östlichen aufteilen will und in Asien sich die Macht mit China dritteln
muß.
Diese Aussage kann in ihrer Knappheit nichts als sehr grobe Tendenzen
beschreiben. Sie ist notgedrungen undifferenziert, d.h. sie unterschlägt
die Widersprüche, die zwischen den Supermächten nach wie vor bestehen und
unterschlägt den Widerstand der Massen der 3. Welt, der der Realisierung
dieser Absichten entgegensteht.
Unbestreitbar bleibt jedoch, daß so etwas wie anerkannte Einflußzonen
bestehen und auf dieser Grundlage gab die Trilaterale Kommission48 (USA,
Westeuropa und Japan) schon Anfang der 70er Jahre unter ihrem damaligen
Direktor Brezinski die Parole aus, der Ost-West-Konflikt sei absolut dem
Nord-Süd-Konkflikt unterzuordnen.
Und nicht umsonst baute das Rockefeller-Institut vor 7 Jahren eine
Mannschaft für die Präsidentschaftswahlen aus den Mitgliedern dieser
Kommission auf.
Sie leiten heute als Sichterheitsberater (Brezinski), als Vizepräsident
(Mondale), im Pentagon (Brown), im Außenministerium (Vance) und im
Schatzamt (Blumenthal) diese neue imperialistische Offensive der USA. Auch
Präsident Carter ist das direkte Produkt dieser 7jährigen Arbeit des
Rockefeller-Instituts, doch bei ihm ging es mehr ums Image Südstaatler,
sozial, ehrbar, fromm, als um konkrete Qualifikationen. Kein Wunder, daß
die erste außenpolitische Offensive dieser Regierung nach einigem
Vorgeplänkel im Verein mit der UdSSR, die Zwangsbefriedung des Nahen Ostens
auf Kosten des palästinensischen Volkes ist.
Versucht man, ein Fazit zu ziehen, dann sind die ideologischen und
politischen Differenzen, die die 50er und 60er Jahre beherrschten,
weitgehend in den Hintergrund getreten. Das multinationale Kapital setzt
mehr denn je auf die selbstregulierenden Kräfte des Weltmarktes
(McNamara49). Die Anarchie der Produktion (Marx) zum Weltsystem erhoben
zwingt jedem Land das Chaos kapitalistischer Verwertungslogik auf. Die
revolutionären Prozesse in einer Reihe der Länder der 3.Welt werden dabei
zerrieben zwischen Schuldenfalle und politischer Erpressung, zwischen
partieller exportorientierter Industrialisierung und weiterer
Massenverelendung, zwischen Integration in den Weltmarkt und der
Vernichtung der eigenen Volkswirtschaften.
Allzu lange war der Blick, vor allem der europäischen Linken,
ausschließlich auf die Politik der Befreiungsbewegungen gerichtet. Dem Sieg
der Revolution folgte die Entttäuschung über das Danach auf dem Fuße
(vgl. Kuba, Kambodscha, Vietnam). Der Versuch einer bewußten revolutionären
Konstitution einer Gesellschaft ist nicht allein eine Frage der Politik,
der Kulturrevolution, sondern setzt die Verfügungsgewalt über seine
ökonomischen Bedingungen voraus. Die Eroberung der Verfügungsgewalt seiner
ökonomischen Bedingungen setzt wiederum für ein Volk die Möglichkeit des
Austauschs mit anderen, gleichen Volkswirtschaften voraus. Sozialismus in
einem Land ist weniger denn je möglich. Die Befriedigung der Bedürfnisse
der Menschen in der 3.Welt ist nur durch eine totale Dissoziierung
(Abkoppelung) vom Weltmarkt (Senghaas) zu erreichen. An dessen Stelle
müssen regionale Zusammenschlüsse treten, die einen Austausch garantieren,
der auf gleichwertiger Arbeitsteilung beruht.
Versuche dieser Art gab es zwischen Kuba, Chile und anderen
lateinamerikanischen Staaten, vgl. die Konferenz der OLAS50 in Havanna
1967; sowie zwischen arabischen Staaten: Libyen versuchte es vergeblich mit
Ägypten und Tunesien und versucht es wieder mit Algerien, Marokko und
Mauretanien.
Wir können an dieser Stelle nicht auf die Schwierigkeiten der 3.Welt,
Zusammenschlüsse zu realisieren und sich vom kapitalistischen Weltmarkt
abzukoppeln, eingehen. Wir stellen nur fest, daß allein auf diesem Weg der
Aufbau revolutionärer, sozialistischer Gesellschaften möglich ist, die
die Industrialisierung an den Bedürfnissen der Menschen orientieren,
Produktionsverhältnisse schaffen, in denen nicht die Menschen die Maschinen bedienen, sondern umgekehrt
eine Landwirtschaft nach den ökologischen Gegebenheiten ausrichten, ohne Raubbau an Natur und ohne Einrichtung von Monokulturen
eine Rohstoffverwertung betreiben, die sich an den Gesetzen des Energie-Haushaltes der Natur orientiert und die nicht eine ökologische Katastrophe vorprogrammiert
die Herrschaft des Menschen über den Menschen abschaffen.