nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Sun Nov  7 16:09:22 1999
 

Revolutionärer Zorn Nr. 6 Januar 1981

Wir stimmen mit der Bewegung 2. Juni darin überein, daß wir eine Populäre Guerilla wollen! Eine Guerilla, deren Aktionen verstanden werden, die die Sympathie des Volkes genießt und die perspektivisch breit unterstützt wird, ohne deshalb opportunistisch zu werden. Prinzip unserer Aktionen ist es deshalb, daß sie ausgehen von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, an denen wir beteiligt sind, daß sie an den dort geführten politischen Auseinandersetzungen anknüpfen, daß sie unter der Fragestellung bringen sie die Bewegung weiter bzw. verschärfen sie die Widersprüche eindeutig bestimmbar sein müssen.

Orientieren wir unsere Aktionen nicht an dieser Maxime, führen sie in die Isolation und tragen zum Entsolidarisierungsprozeß bei. Auch deshalb ist es für uns wichtig, entsprechend unseren persönlichen Möglichkeiten in legalen Gruppen mitzuarbeiten. Gerade dadurch erhalten wir die Rückkoppelung unserer Aktionen, können wir Fehler in unserer Einschätzung korrigieren und unsere Politik nach außen vertreten.
Darüberhinaus gibt es Aktionen, die primär aus unseren eigenen Zusammenhängen bestimmt sind, z.B. Geldbeschaffung oder auf einer anderen Ebene die Bestrafung von besonders schweinischen Richtern und Zwangsverteidigern, um Gefangene zu schützen.

Angriffe gegen zentrale staatliche Institutionen halten wir zur Zeit für politisch unmöglich

wir können die Machtfrage nicht stellen! Wir führen keinen Krieg! Wir stehen vielmehr immer noch am Anfang eines langwierigen, mühseligen Kampfes um die Köpfe der Menschen nicht in irgendeiner militärischen Etappe um einen militärischen Sieg! Wir bezeichnen dies als Defensivstrategie wenngleich der Kampf für uns durchaus offensiv sein kann. Angesichts der immer schneller voranschreitenden Zerstörung unserer Lebensgrundlagen geht es erst einmal darum, den Wahnsinn zu behindern, vielleicht zu stoppen (z.B. beim Atomprogramm). Es gilt, Aktionsmöglichkeiten zu finden, die Teil der Lösung des Problems sind (konkret z.B. den Bau eines AKWs zu behindern), aber auch ein Schritt weiter um die Köpfe der Menschen. Auf dem Weg dorthin wird jedoch nur eine kämpfende Linke Anziehungspunkt für die deklassierten Teile des Volkes sein können, nicht eine sozialarbeiterische, die objektiv nur neue Formen der Staatsloyalität erschließt. Wir müssen in unseren Aktionen an der Unzufriedenheit, der Wut, der vermeintlichen Ohnmacht der Menschen ansetzen. Viele von ihnen haben schon längst im Herzen mit diesem Staat gebrochen, trauen sich nur keine eigenen Schritte zu. Dies kann z.B. heissen, die kleinen Feinde des Volkes (Werkschützer, Meister, Ärzte, Wohnungsmakler, Hausbesitzer, Bullen, Ämterbürokraten usw.) nicht nur propagandistisch, sondern ganz persönlich anzugreifen und ihnen ihr Handwerk zu legen.Protest ist, wenn ich sage

das und das paßt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, daß das, was mir nicht paßt, nicht länger geschieht. (Ulrike 19681)

Das heißt, nicht nur darüber zu informieren und zu lamentierten, wieviele Betriebe am Atomgeschäft beteiligt sind, sondern auch dafür zu sorgen, daß hin und wieder einer davon in Schutt und Asche fällt. Dies muß auch heißen, daß mal eine Baumaschine, ein Abrißkran, ein Konstruktionsbüro oder ein Materiallager in Flammen aufgeht. Das Land gehört den Landbesitzern. Warum? Wegen der Magie. Die Leute beten die Urkunden in den Regierungsbüros an und sie würden niemals wagen, ein Stück Land zu beanspruchen, solange die Urkunden sagen, daß es jemandem gehört. Das ist ein Headtrip, Mann! eine Art Magie und du mußt die gegensätzliche Magie anwenden, um den Bann zu lösen. Du mußt Schockbehandlung anwenden, um die Kommandokette aufzubrechen und zu desorganisieren, jene vom Verstand geschmiedeten Handschellen. Die Menschen müssen außer sich geraten, bevor sie zu ihren Sinnen kommen können. Sie können die Erde nicht mehr fühlen, nicht berühren, nicht riechen, Mann, solange die Fesseln in ihrem eigenen Gehirn sie davon abhalten zu erkennen, daß die Erde niemandem gehört. Wenn dir der Begriff Magie nicht paßt, nenn es Gegenkonditionierung. Den Trip, den die Gesellschaft uns angedreht hat, heißt es durch unseren eigenen Trip abzulösen. (Illuminatus2).

legal illegal scheißegal

heißt die Parole, die ein neues Bewußtsein von Recht und Unrecht auslöst. Dazu gehört Klauen, Plündern, Schwarzfahren, Häuserbesetzen, Volksstrom benutzen, Krankfeiern. Was wir brauchen, müssen wir uns nehmen. Kampfformen, die die Herrschenden treffen, ihnen schaden, sie lächerlich machen, Strukturen aufdecken und lahmlegen, sind Schritte organisierten Handelns. Eine in diesem Sinne linksradikale Politik beinhaltet die Überzeugung, daß eine gesellschaftliche Veränderung in der BRD auch hier über ein revolutionäres Subjekt zustandegebracht wird. Es ist gerade die Funktion der Guerilla, bei der Entwicklung dieses Subjektes mitzuwirken. Die Guerilla schafft es, diesem Kampf durch ihre über den Massenwiderstand hinausgehende Organisation eine Kontinuität zu verleihen, ihn immer wieder zu eskalieren oder auch zurückzunehmen, durch eigenen Initiativen das Kampfniveau zu heben, neue Kampfformen, Kampfziele anzubieten, immer größere Teile des Volkes in diesen Kampf einzubinden .

Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um!

Wir haben im Revolutionären Zorn Nr. 4 gesagt

Bei Strafe des Untergangs bleibt dem legalen Widerstand in der BRD heute nur eines

die Praxis und die Technik des verdeckten Kampfes sich massenhaft so schnell wie möglich anzueignen. Wir sehen nach drei weiteren Jahren Schmidtscher3 Führung diese These bestätigt. Überall dort, wo linke Gruppen den Rahmen des Debattierklubs verlassen, tatsächlich den vorprogrammierten Ablauf verzögern, schlägt die Staatsgewalt zu. So geschehen zuletzt bei der Gorleben-Räumung, am 6. Mai in Bremen4 und in einer Reihe von Städten beim Häuserkampf. Es wurde überall dort deutlich ist die Bewegung nicht in der Lage, die Taktik des Kampfes zu ändern, verharrt sie (wie z.B. in der Reihe Brokdorf Grohnde Kalkar) auf der Ebene der offenen massenhaften Konfrontation mit den Bullen, scheitert sie an deren militärischen Überlegenheit. Deshalb gilt es, die Technik des bewaffneten Kampfes zu erlernen. Die Entwicklung illegaler Kampfformen wird oft mißverstanden. Es handelt sich hierbei um eine Methode, die viele Abstufungen kennt und dadurch massenhaft nachmachbar ist. Es ist eine Ebene des Kampfes, auf der die notwendigen politischen und militärischen Erfahrungen gemacht werden können, auf der man/frau sich selbst kennenlernen kann, auf der aber auch die Entscheidung getroffen werden kann, diesen Kampf bewaffnet zu führen. Das heißt zunächst ganz praktisch

die Aneignung von Wissen z.B. über den Bau und die Funktionsweise von Brand- und Sprengsätzen. Über das Fälschen von Papieren aller Art, über die Herstellung und Verbreitung der eigenen Propaganda (Zeitung, Flugblätter, Sender). Das bedeutet das strikte Einhalten von Sicherheitsmaßnahmen zum Selbstschutz (beim Quatschen, bei Treffen). Und schließlich den Aufbau eines logistischen Rahmens, der über die momentanen Anforderungen hinausgeht (Materialdepots, Untertauchmöglichkeiten). Es ist gefährlich, ohne dieses Wissen loszuziehen, irgendeine Aktion zu machen und zu hoffen, daß alles gutgeht.

Zur Frage

wie sich organisieren

Wir meinen nicht, daß es richtig ist, die militanten Genoss/innen aus allen möglichen Bereichen herauszuziehen und gesondert zu organisieren. Vielmehr geht es gerade darum, in möglichst vielen Bereichen diese Kampfformen innerhalb der bestehenden Gruppen zu erlernen und anzuwenden. Dies bedeutet schließlich auch die Parole

Schafft viele revolutionäre Zellen

Sie ist politisch richtig, weil sie auf Autonomie, Eigeninitiative und Verankerung baut und sie ist aus Gründen der Sicherheit richtig, weil nur eine Organisation, die auf selbständig operierenden Gruppen basiert, in diesem Überwachungsstaat die Chance hat, nicht aufgerollt und zerschlagen zu werden.

Viva 8 Jahre RZ!

Woran arbeiten Sie? wurde Herr K.

gefragt. Herr K. antwortete

Ich habe viel Mühe, ich bereite meinen nächsten
Irrtum vor. (Brecht)

Wir wissen, daß es für uns keine Garantie gibt, die gesteckten Ziele zu erreichen. Wir wissen aber auch, daß es in Anbetracht aller Ängste, aller Schwierigkeiten, aller Widersprüche für die Unterdrückten keine andere Möglichkeit zum Leben gab und geben wird, als zu kämpfen. Zu kämpfen mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Und das sind beileibe nicht nur die militärischen, aber ohne sie haben wir keine Chance ! Was bringts ?, die beliebte Frage der Null-Bock-Einbringer, hat das optimistische alles verändert sich, wenn du es veränderst längst abgelöst. Das buchhalterische Abwägen von Kosten/Nutzen wird zum handlungsbestimmenden oder besser handlungsverhindernden politischen Bekenntnis. Da kommt die Versichertenmentalität derjenigen zum Vorschein, die aufgrund ihres langen Marsches durch die Institutionen oder zu sich selbst allemal mehr zu verlieren haben als ihre Ketten. Sicherlich müssen alle, die die Entscheidung für unsere Art zu kämpfen oder ähnliche Kampfformen unterstützen und entwickeln wollen, neben dem allgemeinen Für und Wider auch ihre persönlichen Lebensbedingungen berücksichtigen. Nur sollten bei diesem Abwägen zwei Punkte beachtet werden

1. Mein Leben gehört nur mir allein. Aber es wird nicht von mir bestimmt, die Lebensbedingungen bestimmen andere. Den Kampf um meine Selbstbestimmung führe ich mit anderen. Ich kann ihn auch nur gemeinsam mit anderen gewinnen. Deshalb kann ich auch die Frage des Nutzens meines Handelns nicht allein von mir her bestimmen. Selbstverständlich hat sich für mich ganz persönlich der Kampf nicht gelohnt, wenn ich dabei sterbe. Selbstverständlich lohnen sich viele Jahre Knast aufgrund einer schiefgegangenen Aktion nicht. Die Frage nach dem Nutzen läßt sich nur dann richtig beantworten, wenn ich dabei das Ergebnis für den gemeinsamen Kampf sehe und berücksichtige. 2. Die inhaltlichen Schwerpunkte dieses Kampfes um meine Selbstbestimmungen setzen andere. Es ist eben nicht so, daß uns der Staat in Ruhe ließe, wenn wir ihn ließen.
Die AKWs werden gebaut, wenn wir das nicht verhindern. Unsere Stadtviertel werden wegsaniert, wenn wir uns nicht dagegen wehren. Die Ausplünderung der 3. Welt führt zu Verteilungskriegen und weiterer Verelendung des größten Teils der Erdbevölkerung, wenn wir mit unserem Kampf gegen den Imperialismus hier bei uns nicht endlich ernstmachen. Nein, nicht einmal der Olivenanbau in Griechenland garantiert ein gesichertes Überleben.
Indem wir die Vereinzelung des Einzelnen in der kollektiven revolutionräen Praxis aufzuheben versuchen, werden sowohl die objektiven Bedingungen, als auch das Verhalten der Menschen untereinander verändert. Wir durchbrechen den Teufelskreis, in dem sich die zerstörerischen Bedingungen in der Selbstzerstörung bzw. gegenseitiger Zerstörung des Einzelnen fortsetzen und sich somit neu immer neu stabilisieren.

Der Wind dreht sich die Zeichen stehen auf Sturm

Es ist eine Binsenwahrheit, daß die Guerilla jeden Fehler doppelt und dreifach bezahlt. Jeder Irrtum, der ihr unterläuft, jede Entscheidung für eine falsche Aktionsform schlägt auf sie zurück und zwar in einem Maße, daß es ihre politische und organisatorische Existenz bedroht. Eigene Unzulänglichkeiten Unachtsamkeit, Großspurigkeit, Eitelkeit, Selbstüberschätzung können schnell zu Fallstricken eines Zusammenhangs werden, der klandestin agiert. Schon kurze Momente von Gedankenlosigkeit, von Unaufmerksamkeit, von mangelnder Konzentration genügen, um sich den Bullen preiszugeben. Unerfahrenheit oder die Kehrseite Routine, übertriebene Vorsicht wie überhebliche Selbstsicherheit können der Grund sein, daß man unbewußt die eigene oder die Sicherheit, das Leben, die Gesundheit anderer Militanter riskiert. Da sich bewaffnete Politik nicht in Planspielen durchexerzieren läßt, sondern sich immer und unmittelbar in der Konfrontation mit der Realität bewähren muß, ist es ein Kampf auf des Messers Schneide.

Wir haben in der Vergangenheit Fehler gemacht und dafür einstecken müssen. Daß wir uns deshalb seit einiger Zeit zurückgezogen haben, ist nicht nur dem BKA nicht entgangen. Es ist jedoch Propaganda der Bullen, wenn sie sich heute hinstellen und behaupten, sie wären uns mit ihren Computern, mit Rasterfahndung und Spezialeinheiten auf die Schliche gekommen. Sie brauchen diese Lüge, nicht nur um sich selbst und der ganzen Welt gegenüber den Aufwand zu legitimieren, den sie betreiben, sondern vor allem, um zu demonstrieren

ein Konzept bewaffneten Widerstands, der sich in autonomen Kernen organisiert, hat in den Metropolen keine Chance. Es verfängt sich über kurz oder lang in den Netzen, die der sozialtechnokratische Überwachungsstaat ausgeworfen hat. Keine Frage, die Technologie politischer Kontrollen, die sie in den 70er Jahren als Waffe gegen den realen wie den potentiellen inneren Feind geschmiedet haben, hat die Bedingungen der Organisierung von Illegalität verändert, hat sie zunächst erschwert. Aber sie hat bestehende Ansätze weder zunichte noch ihre Verbreitung unmöglich gemacht. Selbst das dichteste Netz besteht bekanntlich aus Löchern. Nein, die Rückschläge, die wir erlitten haben, brauchen sich die Bullen wahrlich nicht als ihre Erfolge ans Revers zu heften. Sie sind vielmehr dem Umstand geschuldet, daß wir in diesem Land begonnen haben,in dem selbst die historische Realität eines bewaffneten Antifaschismus dem Vergessen preisgegeben wurde, weil nicht sein kann, was nicht sein darf; in dem es galt und gilt, bewaffneten Widerstand erstmal denkbar und praktizierbar zu machen. Mangelnde Erfahrung sowie unsere eigenen Unzulänglichkeiten als Subjekte, die ihre Identität und Freiheit im Kampf um ein menschenwürdiges Leben aufgehoben sehen und doch zugleich als Kinder dieser jämmerlichen Gesellschaft mit ihrem Dreck behaftet sind, waren in den zurückliegenden Jahren immer auch eine Quelle von Fehlern, die den Bullen ihre Arbeit erleichtert haben. Die Fähigkeit zu Selbstkritik, der Mut, scheinbare Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten immer wieder in Frage zu stellen, also Leben statt Erstarrung sind deshalb grundlegende Bedingungen eigenen Überlebens.
Nicht zuletzt deshalb zielte der Angriff jener antiterroristischen Kreise, die sich hinter dem geläuterten Horst Mahler5 und einem reuigen Hans-Joachim Klein verschanzen, auch darauf, die Guerilla auf das Gleis der Dementis zu zwingen und ihr um jeden Preis die Ebene der Kritik und Selbstkritik zu verbauen. Von Leuten, für die am Anfang der Rückkehr in die Menschlichkeit6 die Wiederherstellung des Dialogs mit der Macht steht, kann man schlecht erwarten, daß sie im gleichen Atemzug die ernstgemeinte Auseinandersetzung mit den subersiven Teilen der Bewegung suchen. Sie können die Realität bewaffneten Widerstands nur denunziatorisch bewältigen. Die Anekdoten aus der Unterwelt, die Gerüchte, die widerlichen Phantasien und Projektionen, der ganze Dreck, der dort gleich kübelweise ausgeschüttet wird, zeichnet nicht nur ein Bild von der Menschlichkeit, die sie meinen. Daß mit der Heftigkeit zur Sache gegangen wird, verrät zugleich das politische Kalkül des Angriffs. Die Behauptung eigendynamischer Entwicklungen innerhalb der Guerilla, die sich quasi mit Naturgewalt hinter ihrem Rücken Geltung verschaffen, zielt darauf, Lernprozesse überhaupt zu verhindern. Wenn der einzelne Militante wie die Gruppe als ganze immer nur Opfer übermächtiger Strukturen sind, kann Erfahrung nichts anderes als Selbstbetrug sein. Weil sich diese ehemaligen Häuptlinge der APO der Aufgabe verschrieben haben, alles zu bekämpfen, was sich nicht in die tugendhaften Pfade der Re-Institutionalisierung und Selbstgettosierung der Bewegung in den Alternativen einzwängen lassen will, ist ihnen schon die Fähigkeit der Selbstkritik ein Dorn im Auge. Sie wissen: nicht daß man Fehler macht, ist der Fehler, sondern, daß man sie nicht beizeiten erkennt. Eigene Fehler zu begreifen, beinhaltet auch immer die Möglichkeit, gestärkt aus den Rückschlägen hervorzugehen. Die Vermittlung von Erfahrungen in die Bewegungen hinein, heißt zugleich, daß sie in kommenden Auseinandersetzungen Ausgangspunkt eines Schrittes nach vorn werden können.
Das ist der Grund, warum wir diese Zeitung machen. Wir wollen Erfahrungen weitergeben an Gruppen, an Genoss/inn/en, die ihre eigene Praxis in der Kontinuität autonomen Widerstandes definieren, die begriffen haben, daß der revolutionäre Kampf viele Gesichter hat und die willkürliche Trennung von legalen und illegalen Aktionsformen nur eine Erfindung von Leuten ist, die uns ein Faustpfand aus der Hand nehmen wollen. Dabei lassen wir uns bewußt nicht auf die Ebene der Diskussion ein, wie sie uns aus Westberlin und Frankfurt7 oft genug vorgegeben worden ist. Wer darauf hofft, sollte nicht weiterlesen. Dementis können nicht das Mittel sein, mit dem Linke ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen. Wir haben uns lange genug mit dem falschen Adressaten beschäftigt, nicht nur, weil wir fälscherweise das, was diese Szene mit Hilfe der von ihr kontrollierten Meinungskonzerne (ID, Pflasterstrand, TAZ) verbreitet hat, mit dem Stand und der Tendenz der Bewegung insgesamt verwechselt haben, sondern auch, weil wir den Anpassungsprozeß von Leuten nicht wahrhaben wollten, mit denen uns wichtige Etappen in der Geschichte der Revolte verbinden. Daß wir darüber auf einem Auge blind geworden sind für neue Ansätze von Subversivität, für andere militante Kerne, die sich fernab von dieser Scene und davon unberührt gebildet und ausgebreitet haben, sollte ihr einziger Erfolg gewesen ein.

Die Kritik aus der Guerilla an die Guerilla

Verläßt jemand ein Komitee, eine Bürgerinitiative, so wird darum in der Regel kein Aufhebens gemacht. Und selbst wer sich auf Zeit oder Dauer auf sein gutbürgerliches Altenteil zurückzieht, kann mit wohlwollendem Verständnis rechnen. Wegbleiben als eine Form der Vermittlung politischer Entscheidung ist gang und gäbe. Wo früher Maos Thesen gegen den Liberalismus8 diskutiert wurden, ist heute gewissermaßen als Antizipation des Kommunismus Marx'9 jeder nach seinen Bedürfnissen in die gute Stube eingezogen. Darin eine Rückeroberung individueller Freiheit gegen fremdbestimmten Inventionismus von annodunnemal zu sehen, dazu bedarf es allerdings einer guten Portion Gehirnakrobatik. Was Beliebigkeit und Unverbindlichkeit bestenfalls signalisieren, ist ein erschreckendes Maß an Gleichgültigkeit, ist die Auflösung von Solidarität. Dennoch mißt dieselbe Linke, die für sich Freizügigkeit beansprucht und entsprechend lax miteinander verkehrt, mit zweierlei Maß, wenn sie den bewaffneten Gruppen ihre Dissidenten unter die Nase reibt. Das Recht auf Fehler scheint ein Privileg derer, die nicht einmal mehr Fehler machten. Der Austritt auf der Guerilla dient als Bestätigung der eigenen Abgrenzung, der Aussteiger wird funktionalisiert als Personifizierung der eigenen Vorbehalte. Wenn er will, kann er Triumphe feiern, weil er den scheinbaren Niedergang des bewaffneten Kampfes repräsentiert. Wir haben mehr als einmal gesagt, daß die Entscheidung für die Guerilla nicht unwiderruflich sein kann. Würden wir die RZ als den Zwangsverband zusammenschustern, als der er denunziert wird, wären wir allemal längst aufgerieben. Unsere Stärke ist die Identität jedes einzelnen. Ohne den Willen, etwas zu tun, wird sich nichts tun. Subjektivität und das beinhaltet auch Freiwilligkeit ist die treibende Kraft des Ganzen und nicht etwa autoritärer Druck, Terror nach innen oder gar Erpressung.

Unsere Krise der letzten Jahre hat sich am sichtbarsten gerade darin niedergeschlagen, daß einzelne Militante den RZ den Rücken gekehrt haben. Nicht Leute wie Klein, die ihren Abgang in Szene setzen mußten, sondern Genoss/inn/en, für die einstige Perspektiven fragwürdig geworden waren, denen die Folgen eigenen Handels über den Kopf gewachsenen sind, die in die Mühle der inneren Widersprüche geraten sind und davon überrollt zu werden drohten. Jeder dieser Austritte hat einen erheblichen Rückschlag bedeutet

politisch, weil jede/r Genoss/in weniger uns objektiv schwächt, zumal die Entwicklung illegaler Strukturen noch in den Kinderschuhen steckt; emotional, weil die Zeit und die Bedingungen der gemeinsamen Organisierung Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer Gruppe entstehen lassen, die nicht von einem Tag auf den anderen zu ersetzen sind; moralisch, weil jede Trennung zugleich eine grundsätzliche Infragestellung beinhaltet, die den Rest in den eigenen Überzeugungen verunsichert. Die Einwände eines Menschen, mit dem man über Jahre gemeinsam gekämpft hat und der plötzlich eine Sackgasse sieht, wo man selbst meint auf dem richtigen Weg zu sein, lassen sich nicht ad acta legen, als wäre nichts geschehen. Die Kritik an der Guerilla aus der Guerilla hat ein eigenes Gewicht. Sie bedeutet immer auch, daß wir noch weit entfernt davon sind, interne Widersprüche als Moment der Entwicklung zu handhaben, anstatt von ihnen aufgefressen zu werden.
Wir wollen uns im folgenden vor allem an zwei Positionen orientieren, die innerhalb dieser Diskussionsprozesse eine Rolle gespielt haben. Von der einen Seite wurde gesagt, daß zwischen der radikalen Zielsetzung bewaffneten Widerstands und seiner tagtäglichen Realität ein Bruch bestehe. Während der Kampf im Zusammenhang der bewaffneten Gruppen immer auch als Prozess der Befreiung zum selbstbewußten Menschen beschrieben worden sei, diktieren die Regeln der Klandestinität den Militanten eine Lebensweise, die eben diesen Prozeß blockiert. Die subjektive Radikalisierung scheitere an den realen Sachzwängen. Damit entfalle aber ein Moment, das wir selbst zur absoluten Maxime erhoben hätten. Wenn die Kollektivität nicht entsteht, die entscheidenden Rückhalt dafür bildet, daß sich der einzelnen in diesem Kampf riskiert, wird die Guerilla auf Dauer ihre Militanten verschleißen.
Die zweite Position stellt die behauptete Effizienz der Politik der RZ in Frage. Jede unserer Aktionen habe lediglich die Bedingungen der nachfolgenden Aktionen erschwert, bis schließlich gar nichts mehr gehe. Bewaffneter Widerstand sei zwar legitim, weil jeder das Recht hat, auf die Zerstörung seiner Lebensbedingungen durch die kapitalistischen Produktions- und Machtverhältnisse mit dem Bedürfnis nach Destruktion zu reagieren.
Man bleibt entweder terrorisiert oder wird selbst terroristisch (Sartre)10
Aber dieser Widerstand habe keine Perspektive von Sieg. Es sei Selbstbetrug, wenn die Guerilla ihrer Praxis den Anstrich von Strategie verleiht. Deshalb kann jeder nur mit sich selbst abmachen, ob er die persönlichen Folgen eines ingesamt aussichtslosen Kampfes in Kauf zu nehmen bereit ist oder sich lieber der andauernden Unterdrückung und Erniedrigung zu entziehen versucht, indem er sich einen Platz in einem der Reservate der Alternativkultur sichert.

Zersetzung macht stark

Haben also doch all diejenigen recht, die schon seit langem unken, daß es sich bei der Darstellung der Guerilla eher um eine harmonisierende Legendenbildung als um Realität handelt ? Sind die zitierten Positionen nicht beredtes Zeugnis dafür, daß die Guerilla lediglich am eigenen Mythos bastelt, um ihre innere Aufweichung zu kaschieren?

Wir bleiben dabei

NEIN. Dennoch hat es in unserer Geschichte Erfahrungen gegeben, die Frage der Individualität im Kampf um die Erneuerung der Gesellschaft ebenso wie das Problem der politischen Wirksamkeit einer Praxis bewaffneten Kampfes anders weniger glatt, weniger unangreifbar zu diskutieren.
Es scheint eine verkehrte Relation zwischen der tatsächlichen Stärke von Bewegungen und ihren jeweiligen Zielprojektionen zu geben. Je weniger greifbar die Zukunft ist, desto plastischer wird sie ideell vorweggenommen. Wo sich Resignation breitmacht, wuchern gleichzeitig wilde Phantasien von einer befreiten Gesellschaft. Die Parallelität zwischen realem politischen Bedeutungsverlust und der Hochkonjunktur alternativer Lebensentwürfe ist frappierend. Ob damit auch um politische Glaubwürdigkeit im Volk gewetteifert wird, sei dahingestellt. Vorrang hat sicherlich der Wunsch, sich im kleinen schon jetzt und unmitttelbar zu nehmen, was man machtpolitisch weder kurz- noch langfristig je zu kriegen scheint. In dem Bemühen, jene konstruktiven Modelle einer nachrevolutionären Periode zu entwerfen und diese womöglich schon heute in Taschenformat zu leben, ist jedoch eine Bestimmung des historischen Prozesses unter den Teppich gekehrt worden, die für das Selbstverständnis der autonomen Linken ursprünglich fundamental war: daß Revolution Zersetzung heißt, daß sich der Bruch mit der Gesellschaft in der radikalen Negation der kapitalistischen Verwertung im umfassenden Sinne vollzieht.
Die erste positive Zielsetzung ist die Negation des Bestehenden (Marcuse)11
Das Warenverhältnis hat die Verkehrsformen der bürgerlichen Gesellschaft, ihre Einrichtungen, ihre Technologien, ihre Moral derart durchtränkt, daß ein Kompromiß ausgeschlossen ist. Wiederaneignung ist gleichbedeutend mit Verweigerung, mit Sabotage, mit Destruktion, während Konstuktivität, Vermittlung, Institutionen Attribute der Macht sind. Es galt als Zeichen der Stärke, daß sich die Linke nicht hat zwingen lassen, ihre Wünsche und Träume in festgeschriebene Programme umzumünzen, die als Produkte des kolonisierten Kopfes lediglich Zeugnis der zugerichteten Engstirnigkeit und Verkümmerung hätten sein können. Die Aufforderung zur Produktivität Kritik solle, bitte schön, doch auch mal positiv sein wurde belächelt und zurückgewiesen als Versuch, uns die Flügel schon bei den ersten Flugversuchen zu stutzen. Die Autonomie der Bewegung basierte darauf, daß sie destruktiv war; das Verlangen nach einem konstruktiven Beitrag galt als reformistisch, als Initiative von oben, um die neuen Impulse einzusacken und zum Motor kapitalistischer Entwicklung umzuformen. Nicht zufällig wurde macht kaputt was euch kaputt macht zur perspektivischen Losung: Die Hoffung auf eine abstrakte Zukunft realisierte sich in notorischer Feindseligkeit gegen die greifbare und daher angreifbare Gegenwart. Gegen die Totalität der Macht gibt es nur ein Mittel die totale Verweigerung. Das radikale Bedürfnis nach Freiheit kann sich nur als militantes Bedürfnis gegen den herrschenden Machtkomplex wirklich Luft verschaffen. (Dutschke).12 Dieser Begriff von Revolution als Zersetzungsprozeß richtet sich gleichermaßen gegen das Individuum selbst, das die als falsch begriffene Welt attackiert, um wieder Geschichte zu werden. Die Unfähigkeit zum Kompromiß mit der Gesellschaft spart den Menschen nicht aus, der als Kind eben jeder Gesellschaft immer auch ihr Opfer ist. Er kann zu dem, was er ist, nur durch die radikale Negation dessen werden, was aus ihm gemacht worden ist. Identitätsfindung heißt, die Nabelschnüre zur eigenen Herkunft zu kappen; heißt, mit den kompensatorischen Gegenleistungen zu brechen, die diese Gesellschaft aufzubieten hat; heißt, entschiedene Zurückweisung von sozialer Anerkennung, von Belohnung und Bereicherung, von falschen Sicherheiten, von fremdbestimmter Bedürfnisbefriedigung, von Teilhabe an den unteren Gliederungen des Machtgefüges.
Die Radikalisierung der eigenen Person geht zunächst einmal damit einher, daß einem sämtliche Felle davonschwimmen. Wer den bestellten Boden aus guten Gründen verläßt, kann dennoch nicht darauf vertrauen, daß er unmittelbar und sofort gepflügtes Neuland betritt.
Die Attraktivität der Alternativbewegung bestand zum guten Teil darin, daß sie so tut, als verwirkliche sich der Bruch mit der Gesellschaft in der Herstellung einer neuen Positivität. Statt an der Revolution festzuhalten, bietet sie ihren Anhängern einen Hort der Zuflucht, worin vermeintliche Negation des Alten und Entwurf des Neuen eine beschauliche Synthese eingehen. Ihr Versprechen auf einen radikalen Wandel der Lebensverhältnisse löst sie durch kontinuierliche Andersartigkeit ein, als wäre es mit der Reduktion der Differenz auf's Etikett bereits getan. Das vage Gefühl der Unzufriedenheit kanalisiert sie, indem sie modelliert, wie es besser sein könnte. Sie spannt die Austeiger in ihre Zukunftsprojekte ein, ohne ihnen eine Chance zu lassen, Rache zu üben für die erlittene Ausbeutung, Erniedrigung, Beleidigung und Unterdrückung, indem man die Verhältnisse zerstört, worin man der Gestoßene war. Der Verzicht auf Rache, dem keine Revolution vorausging, bedeutet, daß man die Unterdrücker gewähren läßt, wenn man sich ihnen durch Flucht entziehen kann. (Pohrt).13 Indem sich die Alternativen als Fluchthelfer des sich radikalisierenden Individuums anbieten, reproduzieren sie jedoch exakt die Verhältnisse, denen ihre Mitglieder eigentlich zu entkommen versuchten. Die Normen der Andersartigkeit sind nur Variaten der herrschenden Regeln. Nicht umsonst wird heute von den Geschäftsführern14 der Alternativbewegung gewarnt, die die Leistungsgesellschaft hinten herum wieder einführen, nicht umsonst spekulieren einige ihrer Wortführer auf finanzielle Unterstützung aus der Staatskassen, wenn sie die entlastende Funktion der Alternativprojekte für den Arbeitsmarkt ebenso anpreisen, wie die dort realisierte Herausbildung eines neuen Produzententyps; nicht umsonst feiern Selbstausbeutung und Unterwerfung unter die Gesetze der Ökonomie gerade dort fröhliche Urstände, wo sie in einem verbalen Kraftakt für null und nichtig erklärt worden waren. Sachzwänge bleiben Sachzwänge, auch wenn ihnen das Wörtchen Alternativ vorangestellt wird. Um Mißverständnissen vorzubeugen: nicht, daß die Umwälzung des Alltagslebens schon heute beansprucht wird, greifen wir an. Wofür aber dieser Anspruch verabsolutiert und losgelöst wird von der prinzipiellen Feindseligkeit gegen die kapitalistische Kultur, wo der Rückzug auf die gettoisierte Selbstgefälligkeit als allein seligmachende Alternative zum militanten Angriff gegen den herrschenden Machtblock gehandelt wird, bleibt unter'm Strich bestenfalls die lebensreformerische Marotte des radikalisierten Individuums, das auf halber Strecke stehen bleibt und in Zukunft seine Kaputtheit auf Kosten des noch Schwächeren kultivieren und tätscheln wird.
Die Guerilla braucht sich diesen Vorwurf nicht machen zu lassen. Sie hat an dem Zusammenhang zwischen revolutionärem Kampf und Wiederaneignung von Identität festgehalten, als allerorten der Marsch zum Rückzug in die Kleingruppe und die abgeschottete Innerlichkeit geblasen wurde. Dennoch ist die Proklamation des neuen Menschen durch die Guerilla nicht frei von einem ähnlichen Mechanismus. Wo sich im Grunde erstmal ein Meer von Unsicherheiten, von Infragestellung und Absage auftut, wird dem sogleich die harmonisierende Version eines kämpfenden Kollektivs übergestülpt, dessen Militante allein schon durch die Entscheidung für den bewaffneten Widerstand alle Attribute des zukünftigen Mitglieds einer befreiten Gesellschaft auf sich vereinigen. Gleichsam als Entschädigung für den äußeren Druck wird die vollzogene Befreiung in den Binnenstrukturen suggeriert. Der emanzipierte Kämpfer, der frei von Leistungsdruck, Konkurrenz und Aggressivität liebevoll und zärtlich mit seinesgleichen verkehrt, ist das uneingelöste Versprechen, das die Guerilla gibt, um den inneren Schweinehund totzukriegen, der den entgangenen Privilegien einer bürgerlichen Existenz nachtrauert. Obwohl der negatorische Prozeß noch in vollem Gange ist, wird schon wieder an der Herstellung einer positiven Alternative gestrickt, damit der Sturz nicht allzu tief ist. Daß so Helden gezeugt und Gräben zur legalen Linken gezogen werden, ist nur die eine Seite. Die Person des Kämpfers wird so sehr ins Unvorstellbare transzendiert, daß die eigene Existenz zu einem Häufchen Elend verkümmert und man/frau besser Reißaus nimmt. Zugleich funktioniert die Proklamation des Subjekts nach innen als Selbstansporn: wenn sich die objektiven Bedingungen verschlechtern, muß das revolutionäre Individuum die Kastanien aus dem Feuer holen. Für Zweifel ist keine Zeit.
Innere Widersprüche sind ein Hemmschuh in der Erfüllung der Verantwortung für die Geschichte. Der Wille des Einzelnen wird zum ausschließlichen Motor gesellschaftlicher Dynamik, koste es, was es wolle. Und es kostet: selbst die ständige Beteuerung, daß sich in der Guerilla der neue Mensch verwirklicht, kann auf Dauer nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich dabei um einen widersprüchlichen, um einen schmerzlichen Prozeß handelt. Wird dieser Prozeß negiert, werden falsche Hoffnungen geweckt und genährt, deren Nichteinlösung allmählich an die Substanz geht. Was in der oben skizzierten Kritik an der RZ auch zum Ausdruck kommt, ist die enttäuschte Erwartung, daß die Entscheidung für den bewaffneten Kampf entlohnt wird, sei es nur in Form des sichtbaren politischen Erfolgs, sei es als Wiederherstellung der verlorengegangenen Menschlichkeit in den eigenen Reihen und zwar hier und heute.
Gemessen an den landläufigen Vorstellungen hat der Alltag eines Guerilleros wenig Heroisches.
Im Gegenteil: seine Entscheidung nötigt dem Militanten ein Doppelleben auf, das voller Widersprüchlichkeiten steckt. Seine sichtbare Identität ist nicht immer seine wirkliche Identität und seine wirkliche Identität unterliegt dem Vorbehalt, möglichst nicht sichtbar zu werden. Wo sich die Guerilla als Organisation in dem strukturellen Widerspruch bewegt zwischen der politischen Notwendigkeit, sich zu öffnen, um Teil der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu sein (und zu bleiben) und dem taktischen Zwang, sich abzuschotten, um sich vor Unterwanderung und Aufdeckung zu schützen, steht der Einzelne in dem Konflikt, die Radikalität seiner Entscheidung tagtäglich leben zu wollen und sich andererseits aus Gründen der Abschirmung immer wieder zurücknehmen zu müssen. Obwohl sich der illegale Zusammenhang aufgrund seiner eigenen Logik nicht mit Halbheiten zufrieden geben darf, sondern um Offenheit, Initiative und vorbehaltlose Solidarität kämpfen muß, kommen die tatsächlichen Bedingungen von Klandestinität und Illegalität der Entwicklung derartiger Verhaltensweisen immer wieder in die Quere. Kollektivität besteht oft nur in dem Bewußtsein, Gruppe zu sein und weniger in der erfahrbaren, fühlbaren Praxis. Dies umso mehr, als die direkten Aktionen nur einen verschwindend geringen Anteil an der generellen Praxis der Organisierung von bewaffnetem Widerstand haben. Es wäre naiv, die Guerilla auf die Momente ihrer praktischen Wirksamkeit reduzieren zu wollen, auch wenn sie sich erst darin verwirklicht. Und alle Mystifikationen und Idealisierungen, jegliches Flair von Abenteuerlust, müssen verblassen vor dem Hintergrund der tatsächlichen Relationen. Jede Intervention beruht auf einer Reihe von Vorarbeiten Bewegungen, Qualifikationen, Untersuchungen, Absicherungen, die für sich selbst genommen in den seltensten Fällen den globalen Ansprüchen genügen. Es ist als isolierte Tätigkeit wahrlich nichts Revolutionäres, einen Transport zu machen oder Informationen zu sammeln oder eine Unterkunft zu organisieren oder Kilometer um Kilometer zu fressen, zu warten und wieder und wieder miteinander zu diskutieren, auch wenn jede dieser Aktivitäten unverzichtbares Glied einer ganzen Kette von Voraussetzungen ist, ohne deren Bewerkstelligung wir vielleicht einzelne Aktionen zustande gebracht, aber mit Sicherheit nicht eine gewisse Kontinuität bewaffneten Widerstandes gewährleistet hätten.
Keine Frage, die Widersprüche, die aus der Entscheidung für den gewaffneten Kampf folgen, zehren an der Identität. Die notwendige Zurücknahme der eigenen Person hier, die geforderte und doch nur ungenügend beanspruchte Totalität dort hinterläßt das Gefühl der Zerissenheit. Und dennoch wäre es eine Illusion zu hoffen, diese Widersprüche wären nach der einen oder anderen Seite hin befriedigend auflösbar, statt Kontrast gäbe es Harmonie. Ihnen entgehen kann nur, wer den Rückzug antritt und damit Widersprüche ganz anderer Qualität auf sich lädt: nämlich, statt gegen Unterdrückung und Ausbeutung zu kämpfen, von ihnen zu profitieren, statt Feind der herrschenden Verhältnisse plötzlich deren Nutznießer zu sein. Widersprüche bewußt aushalten, sie flexibel zu handhaben und sie nicht leugnen oder verdrängen, kann hingegen ein Moment der Stärke, der Kraft werden. Sie sind unmittelbarer Ausdruck jenes Zersetzungsprozesses, den gerade der Metropolenmensch auf sich nehmen muß. Daß dieser Prozeß schmerzlich ist, ist klar. Er ist Konsequenz der Situation des Revolutionärs in den Zentren, wo die Entwicklung von Radikalität einer Gratwanderung gleicht. Stets auf der Kippe zur Kumpanei mit der Macht, ist er darauf angewiesen, unerbittlich gegen sich selbst zu sein, an seiner Moral festzuhalten und alle Strukturen von Macht, die sich in ihn hinein verlängern, energisch zu bekämpfen. Wer Angst kennt bzw. sich eingesteht, weiß was gemeint ist, weiß, daß die Überwindung von Angst ein gewaltiger Akt der Befreiung ist, der nicht nur das Handeln, sondern auch das Denken aus der Umklammerung fremder Infiltration löst. Zu Recht kritisiert die AUTONOMIE, daß sowohl in der Legitimation der unbedingten Militanz als auch in der großen Geste der Ohnmacht, die sich selbst gewaltfrei nennt, Fragmente von Angst in Politik übersetzt werden. So wirkt Herrschaft selbst in den Köpfen derer nach, die eben diese Herrschaft doch mit ihrer ganzen Person durchbrechen wollten. Und wo die Erzeugung von Ohnmacht, die Demonstration der eigenen Nichtigkeit nicht ausreicht, treten andere Mechanismen auf den Plan, die diese Gesellschaft nach wie vor zusammenhalten. Die Rückversicherungstrategien, die den Marsch durch die Institutionen ebenso begleiten wie den Rückzug in die alternative Subkultur, sind ein Beleg dafür, daß die Kompensation- und Korruptionsangebote der Gesellschaft selbst unter gestandenen Linken noch lange nicht ihre Wirkung verloren haben. Wer kennt nicht den Lehrer, der sich für den Schulstress statt mit einer Bombe mit einer mehrwöchigen Erholungsreise auf den Spuren des europäischen Kolonialismus revanchiert, um sie dem nachsetzenden neokolonialen Massentourismus zu erschliessen; oder den genervten Sozialarbeiter, der Stück für Stück seine einstige Sperrmüllkultur durch skandinavisches Teak plus compact disc ersetzt und auf diese Weise doppelt reinfällt, anstatt sich gegen seine Funktionalisierung als Sozialkontrolleur zur Wehr zu setzen; oder den Prediger des biologischen Anbaus, der erst Befreiung durch Armut im selbstgewählten Reservat versprochen hat und nun die Früchte des Verzichts ernten will, indem er die menschlichen Beziehungen zu seinem eigenen Vorteil erneut kommerzialisiert. Konsum, Karriere, Prestige, Geld sind Verlockungen der Macht, die den Menschen an den globalen Schuldzusammenhang imperialistischer Strategie ketten sollen, deren Gegenpol auf Vernichtungskriegen, Hungersnöten, unsäglicher Armut basiert.
Wenn wir sagen, daß Freiheit nur möglich ist in der Entscheidung gegen das herrschende System, so schließt das auch Kompromißlosigkeit gegenüber den verinnerlichten Gewaltverhältnissen ein.
Befreiung ist immer auch Kampf gegen die Unterwanderung des Subjekts durch die Macht, die den Menschen bis in das Innerste seiner physischen und psychischen Strukturen geformt und deformiert hat. Das vorweggenommene Reich der Freiheit, das die Guerilla sein wollte, bleibt erst einmal ein harmonisierendes Zukunftsgemälde. Vor uns liegt ein langer Weg der Zersetzung, der Destruktion, des wirklichen Bruchs mit der Gesellschaft, auf dem jeder Versuch des frühzeitigen Glättens eher ein Schritt zurück, als einen Schritt voran bedeutet.
Es sollte klar sein, daß mit so verstandener Befreiung weder individuelle Kraftmeierei noch ein gruppeninterner, quasi therapeutischer Akt gemeint sein kann. Wenn wir Kampf sagen, so ist Befreiung implizit als Element sozialer Prozesse definiert. Und das schließt die ständige Wechselwirkung zwischen kämpfender Gruppe und Massenbewegung ein. Nur im gegenseitigen Austausch kann die Persönlichkeit des revolutionären Militanten Gestalt annehmen, die mit der Vielfalt der Wirklichkeit noch vermittelt ist. Wo dieser innere Kontakt wegfällt, läuft die Guerilla Gefahr, daß sie den sich befreienden Menschen schnell zum reinen Kämpfer verselbständigt und die moralische Identität, die sie sich aneignet, unhistorisch bleibt und sich auf den inneren Gruppenzusammenhang beschränkt. (Roth)
Der Ausstieg einzelner Genoss/inn/en aus den RZ erklärt sich auch aus diesem Zusammenhang. Nicht zufällig entsteht die Kritik unter den Eindruck des deutschen Herbstes 1977, der ja nicht nur eine Demonstration des tatsächlichen Gewaltpotentials deutscher Rechtsstaatlichkeit war, sondern zugleich den drohenden Bruch zwischen Massenbewegung und bewaffneten Gruppen endgültig zu besiegeln schien. Signale waren allerdings schon lange gesetzt:

Denunziation und Ausgrenzung

Mit Denunziation und Ausgrenzung hatte die Linke von wenigen Ausnahmen abgesehen auf die ersten Aktionen der RAF reagiert, obwohl sich in ihnen wenigstens anfangs vor allem ihr eigenes Dilemma widerspiegelte

was sollte der Phase moralischen Protests folgen, dessen politische Kraft sich abgenutzt hatte? Daß Ulrike durch Verrat aus den Reihen der nunmehr verbeamteten Linken (Rodewald15) ans Messer geliefert werden konnte, ohne daß es zum Eklat kam, eindrucksvoller hätte sich der moralische Verfall nicht inszenieren lassen. Selbst die Solidarität mit den Opfern, die erst den Tod von Holger Meins16 brauchte, um von der Wirklichkeit der Isolationsfolter in BRD-Knästen überzeugt zu sein, stand auf tönernen Füßen; schon einen Tag später in Berlin war der Richter Drenkmann17 erschossen worden erwies sich, was sie auch war, nämlich Instrument der Spaltung. Und als schließlich auch noch die radikale Frankfurter Spontiscene18 nach dem Tod von Ulrike 1976 entsetzt vor dem zurückschrak, was ihre eigene Militanz zur Folge haben könnte, drehte sie den Spieß kurzerhand um und münzte ihre Niederlage in einen Generalaufwasch mit den bewaffneten Gruppen um

Wir fordern sie von hier aus auf, Schluß zu machen mit dem Todestrip, runterzukommen von ihrer bewaffneten Selbstisolation, die Bomben wegzulegen und die Steine und einen Widerstand, der ein anderes Leben meint, wieder aufzunehmen. (Joschka Fischer19 1976). Wo die Fürsprecher eines so verstandenen Widerstandes mittlerweile geendet sind, ist bekannt. Mit Steinen, die zum Werfen gedacht waren, frieden sie heute ihr anderes Leben ein.

Vom solidarisch gemeinten Appell bis zur versuchten Erpressung war es nicht mehr weit. Im Herbst 1977 formierte sich, was bis dahin noch Tendenz war, zur gnadenlosen Offensive gegen den Terrorismus. Es schien, als würde sich diese Linke unter dem Klima der Hemmungslosigkeit selbst die letzten Skrupel vom Halse schaffen. Die Ventile waren geöffnet, endlich konnte man sich ungezügelt Luft verschaffen. Da krochen einstige SPD'ler, die die Früchte des großen Runs auf die akademischen Planstellen nicht leichtfertig auf's Spiel setzen wollten, gleich scharenweise vor dem staatlichen Gewaltanspruch zu Kreuze und boten sich der Obrigkeit an, in die Bewegung zurückzukehren, um die Wurzeln der Subversivität von unten aufzurollen. Da häuften sich die erbärmlichen Gesten der Untertänigkeit, wurden Ergebenheitsadressen und Loyalitätsbekundungen gleich zu Hauf produziert, galt der Kniefall vor der Staatsgewalt als Zeichen der Humanität angesichts des Schrecken, den der Versuch der Gefangenenbefreiung verbreitete. Kaum einer, der um seinen Ruf zu fürchten brauchte, wenn er wie selbstverständlich zur politischen Isolierung oder gar persönlichen Denunziation der Organisationen und Militanten des bewaffneten Widerstands anstiftete. Nicht nur der Lange Marsch20 sah sich in dieser Situation (und danach) berufen, aus dem Innern der Linken heraus eine ihrer Fraktionen zum Abschuß freizugeben und sich zum Teil des staatlichen Programms der Terroristenvernichtung zu erklären. Herbst 1977 die letzten Schranken, wenn schon nicht der Solidarität, so doch der moralischen Integrität waren gefallen. Die Kluft zwischen der legalen Linken und den bewaffneten Gruppen war unversöhnlich geworden, der politische Bruch schlug in unverholene Feindseligkeit um. Es ist nicht an uns, den Anteil der legalen Linken an dieser Entwicklung aufzuzeigen. Die notwendige Selbstbesinnung ist sie sich selbst wie anderen schuldig geblieben.

Herbst 1977 Bruch zwischen der legalen und bewaffneten Linken

Wir selbst nahmen die Herausforderung an und erklärten, nicht länger Teil dieser Linken zu sein. Wir vollzogen den Bruch, indem wir über die Verkommenheit des Legalismus herfielen und uns in der absoluten Notwendigkeit des beschleunigten Aufbaus illegaler Strukturen bestärkt sahen. Der Wirksamkeit anderer Formen des Widerstands als der des bewaffneten Kampfes schien angesichts der Toten von Stammheim jeglicher Boden entzogen zu sein. Daß wir uns mit dieser Verarbeitung des Geschehens selbst den Boden unter den Füßen wegziehen würden, daß wir im Begriff waren, Guerilla als eine von vielen Methoden des politischen Kampfes zu verabsolutieren, ist uns erst geraume Zeit später bewußt geworden. Denn in der Anerkennung des endgültigen Bruches zwischen legaler Linken und bewaffneten Gruppen lag zugleich das Eingeständnis des vorläufigen Scheiterns eines Konzeptes, in dem das Verhältnis zu den autonomen Bewegungen, zu den Massenkämpfen, zu den legalen politischen Kernen von Beginn an einen zentralen Stellenwert hatte. Die entstandene Kluft war auch ein Signal, daß wir uns mehr und mehr an den realen Prozessen vorbeigemogelt hatten und an Ideen und Hoffnungen festhielten, die durch den tatsächlichen Verlauf der 70iger Jahre zur Fiktion geworden waren.

1973, als eine Revolutionäre Zelle erstmals namentlich Verantwortung für Aktionen übernahm, hatten wir uns am Ausgangspunkt eines neues Aufschwungs von Massenbewegungen geglaubt, die die verschiedenen Sektoren der Gesellschaft erfassen würde. Anzeichen gab es zur Genüge

die Streikwelle, die auf Fabriken wie Hoesch, Mannesmann, John Deere, Klöckner usw. überschwappte, signalisierte eine für deutsche Verhältnisse neue Qualität in den Kampfzielen und -formen, an den Fabriktoren der Kölner Ford-Werke kristallisierten sich die Umrisse einer sich autonom organisierenden, multinationalen Arbeiterklasse heraus. Gleichzeitig gärte es in den Stadtteilen. Die Jugendbewegung hatte mit dem Kampf für selbstverwaltete Jugendzentren wieder ein verbindendes politisches Motiv gefunden, das bis in die kleinsten Provinzstädte widerhallte. In den Hausbesetzungen kam der radikale Wille zum Durchbruch, sich tatsächlich zu nehmen, was wir brauchten. Mit dem Schwarzfahren, dem Ladenklau, dem Krankfeiern wurden andere Formen des Widerstandes als eminent politisch entdeckt, die bis dahin lediglich privaten Charakter hatten. Zur gleichen Zeit entwickelte sich im rasanten Tempo mit der Frauenbewegung eine neue gesellschaftliche Kraft, die vor 1975 in der Kampagne gegen den § 218 ihren Höhepunkt als überregionale Bewegung erlebte. Und nicht nur die nationalen, sondern auch die internationalen Geschehnisse in der ersten Hälfte des Jahrzehnts gaben Anlaß zu Optimismus. Vietnam, Kambodscha, Griechenland, Angola, Mosambik, Spanien, Portugal stehen in dieser Periode als Namen für eine siegreiche Perspektive antiimperialistischer oder antifaschistischer Befreiungsbewegungen. Selbst in Chile schien mit dem MIR eine politische/militärische Kraft heranzuwachsen, die stark genug sein würde, um die blutige Pinochet-Diktatur wieder zu stürzen. Diese Aussicht auf die bevorstehende Phase von Massenkämpfen neuen Inhalts koppelte sich mit unseren eigenen Erfahrungen. Wir wußten:
Politik innerhalb der Normen formaler Demokratie blieb ohnmächtige Politik. All jene Vorstellungen, die auf eine lange Phase von Aufklärung und Propaganda bauten, ohne gleichzeitig Aktionsebenen zu definieren, standen stets an der Schwelle zur Vereinnahmung.
Der repressive Staatsapparat hatte dazugelernt und war darauf eingerichtet, den Massenwiderstand in die Grenzen seiner Handlungsmöglichkeiten zu verweisen. Klandestinität war eine Basis gegen Repression.
Subjektivität, der Wille zum revolutionären Handeln, kann Berge versetzen.
Das Unvorstellbare galt nicht mehr. Die Praxis der RAF, aber auch etlicher anderer subversiver Kerne, hatte mit einem Tabu aufgeräumt, das in diesem Land eine lange Tradition hat. Die Organisation revolutionärer Gewalt gegen den totalitären Gewaltanspruch des Staates in allen seinen Formen war wieder richtig und möglich.
Vor diesem Hintergrund entstand ein Konzept bewaffneten Kampfes, in dem die Stärkung der Masseninitiative durch klandestin operierende, autonom und dezentral organisierte Gruppen der erste Schritt eines langwierigen Angriffs auf die Macht sein sollte. Was wir wollen, ist die Gegenmacht in kleinen Kernen organisieren, die autonom in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen arbeiten, kämpfen, intervenieren, schützen, die Teil von der politischen Massenarbeit sind. Wenn wir ganz viele Kerne sind, ist die Stoßrichtung für die Stadtguerilla als Massenperspektive geschaffen. (Revolutionärer Zorn Nr. 1).
Die Kriterien, denen eine solche Praxis unterlag, nämlich Orientierung an gesellschaftlichen Konflikten, Vermittelbarkeit von Aktionen, Nachmachbarkeit, Verteidigung erkämpften Gegenmilieus, zeigen, worum es uns schon damals ging: um das Bewußtsein der Menschen, um die Zerstörung des Gefühls der Ohnmacht, um Überwindung der Hoffnungslosigkeit, also um den Kampf gegen jene spezifische Form der Verelendung, wie sie für die Metropole charakteristisch ist.
Rückblickend ist es leicht, hinter dieser Sorte von optimister Vorausschau auch Naivität gegenüber der tatsächliche Bewegung revolutionärer Prozesse zu vermuten. Unter dem Einfluß von Gruppen wie der Gauche Proletarienne21, The Black Panther Party22, den Tupamaros23, der IRA24, der ETA25 und dem Schwarzen September26, deren Stärke vor allem darauf beruht, daß sie sich auf ein zentrales, das Volk vereinendes politisches Motiv berufen können, hatten wir sicherlich die Hindernisse unterschätzt, die der Herausbildung einer Massenguerilla im Wege standen. Und auch die Hoffnung, die Klassenbewegung wäre einmal ins Rollen gekommen aus sich heraus fähig zu Kontinuität, erwies sich als Illusion. Weder sollten sich die verschiedenen Bewegungen in jener Gradlinigkeit fortentwickeln, die wir unterstellt hatten, noch sprang aus der Initiative einer Handvoll Kämpfer der Funke über, der den Steppenbrand hätte entfachen sollen. Die Zeichen für die Vermassbarkeit illegaler Politik standen fürs erste schlecht.
Der Zerfall der Bewegung erwies sich als unaufhaltsam. Die sozialliberale Einkreisung der Jugendrevolte von oben zeigte erste Wirkung:
Während sie der Mehrheit der mittelständigen Schichten des Massenprotestes mittels Amnestie und Hochschulreform einen Weg zurück offengehalten hatten, um sich so langfristig deren Fähigkeiten zu sichern, präsentierte sie sich eine Etage tiefer von ihrer rüderen Seite. Mit Bullenrazzien und einstweiligen Verhaftungen machte sie allen verfrühten Hoffnungen darauf, daß die eroberten Freiräume (wie das Georg-von-Rauch-Haus)27 schon Bastionen einer neuen Gesellschaft seien, ein rasches Ende. An die Stelle der radikalen Utopie, die Phantasie, Selbstbestimmung, Entschlossenheit bedeutet hatte, trat nüchterne Realpolitik, in deren Folge die Auflösung der Einheit der Bewegung ihre verklärende Bemäntelung erfuhr. Die neuen/alten Organisationen hatten sich zu Instrumenten des Angriffs auf die antiautoritären Inhalte und Verhaltensweisen der Revolte entwickelt, der Prolet war zur Waffe geworden, mit der Aufsässigkeit und Anpassungsverweigerung zurechtgewiesen wurden. Mit der rückwärtsgewandten Selbstproletarisierung des studentischen Teils der 68er-Generation waren Disziplin, Opferbereitschaft, Geduld ebenso in die Scene zurückgekehrt wie Monogamie und der FaM-gon-Schnitt. Die langfristigen Früchte mühseliger Aufbauarbeit wurden verrissen, während die Orientierung am unmittelbaren Erfolg, eine der entscheidenden Triebfedern der APO, als kleinbürgerlich denunziert wurde. Entdeckt war der Teilbereich, die Abteilung in der Fabrik, die Gewerkschaftsgruppe, der Straßenzug, eine Schule, ein Jugendheim, eine Obdachlosensiedlung. Aber über die Behauptung, daß es Widerstand nur durch seine Teilbereiche gibt, geriet in Vergessenheit, daß diese nur durch den gesamten Widerstand bestehen und überleben können. Der jeweilige Erfahrungsbereich wurde so zum Nabel der Welt, die selektive Wahrnehmung zum Fundus, aus dem die gesamte Weisheit gelöffelt wurde.
Natürlich können das nur grobe Kennlinien sein. Dennoch markieren sie eines: die objektive Entwicklung hatte einer Praxis bewaffneten Widerstands teilweise den Boden entzogen, der Bezugpunkt, der Adressat unserer Politik die Jugendrevolte hatte sich in die Basisprojekte aufgelöst und darüber fundamentale Elemente des ursprünglichen Selbstverständnisses preisgegeben, ein gemeinsamer Nenner, Voraussetzungen des inneren Kontaktes zwischen Guerilla und Bewegung, existierte nicht mehr. Für uns, die wir ungeachtet dessen an dem Ziel einer Massenguerilla festhielten, bedeutete dieser Prozeß zweierlei:
1. Mit der Zersplitterung der Bewegung reduzierte sich die Bedeutung gesellschaftlicher Konflikte, in denen die Linke präsent war, auf Auseinandersetzungen, die nur in den seltensten Fällen wenigstens lokale Ausmaße erreichten. Ob nun die Forderung nach einer Klimaanlage in einer Fabrik oder die Propaganda gegen ein Sanierungsprojekt in einem Stadtteil oder Ärger über einen besonders miesen Vermieter all diese Aktivitäten wurden nicht mehr als Teil eines Ganzen begriffen, sondern waren Ausdruck weitgehend isolierter und gruppenspezifischer Interessen. Da es hunderte solcher Konflikte gab, mußten Aktionen zwangsläufig einen gewissen Grad an Beliebigkeit haben. Die typische Auseinandersetzung, innerhalb derer bewaffnete Politik ihre Funktionen und konkrete Wirksamkeit hätte faktisch unter Beweis stellen können, war eine leere Wunschvorstellung. Da theoretische Verpflichtung und praktische Möglichkeiten ohnehin in einem disproportionalen Verhältnis standen, stieg die Tendenz, auf symbolische Interventionen auszuweichen. Benennbare konkrete Zielsetzungen gerieten in den Hintergrund, während das Argument, es ging um den Nachweis, daß illegaler Widerstand in diesem Land überhaupt möglich ist, zunehmend an Gewicht gewann. Kontinuität entwickelten wir nicht am einzelnen Fall, sondern anhand der Tatsache, daß es von Zeit zu Zeit und hier wie dort überhaupt mal wieder brannte und krachte. Erschwerend wirkte sich aus, daß eine personelle Verbindung zu den verschiedensten Gruppen und Initiativen unter den gegebenen Bedingungen nahezu ausgeschlossen war, wir folglich mehr und mehr von Diskussionen abgeschnitten und auf indirekte Informationen, also Zeitungen, Flugblätter, Zuträger angewiesen waren, um die Objekte, die Zielrichtung, die Form und den Zeitpunkt von Aktionen zu bestimmen. Klar, daß sich damit das Risiko erhöhte, ungenau, abstrakt, unverständlich zu bleiben. Und selbst in den Fällen, wo Aktionen der Guerilla Erfolg hatten, wo sie auf Zustimmung und Sympathie stießen, also populär waren, zogen wir nur selten die richtigen Schlußfolgerungen. Fixiert auf eine nicht existente Einheit der Bewegung liefen wir dem falschen Adressaten hinterher, statt zu registrieren, in welchen Teilen der Gesellschaft bewaffnete Politik tatsächlich Hoffnungen und Kraft freisetzen konnte. Die einseitige Ausrichtung am Stand von Bewegungen, ohne gleichzeitig den sozialen Bezugspunkt der eigenen Praxis zu definieren, hatte zur Folge, daß wir die tatsächliche Bedeutung solcher Aktionen wie die gegen Kaußen, das Verteilen von Fahrscheinen und Sozialscheinen etc. nur selten angemessen zu werten wußten.
2. Als Folge dieser Schwierigkeiten wie aber auch als Kritik an dem Zerfall der Linken, der sich mit erschreckender Ignoranz und Gleichgültigkeit gegenüber gesellschaftlichen Prozessen paarte, die sich jenseits der eigenen Unmittelbarkeit durchsetzten, veränderte sich die Stoßrichtung unserer Aktionen. Statt sich an dem zu orientieren, was die Bewegungen machten, gingen wir dazu über, die Bewegungen an dem orientierten zu wollen, was wir für politisch brisant und notwendig hielten. Durch eine exemplarische Praxis sollten verlorengegangene Inhalte wieder ins Bewußtsein gerückt, frühere Gemeinsamkeiten wieder benannt werden. Die Kampagne gegen die Fahrpreiserhöhungen in verschiedenen Städten der BRD und Westberlin steht für den Versuch, die Linke dadurch zu remobilisieren, daß an alte Traditionen angeknüpft und zugleich die Möglichkeit der Wiederaufnahme dieser Traditionen mittels neuer, nämlich illegaler Methoden demonstriert wurde. Gleiches galt für die internationalistischen wie für die staatsfeindlichen Aktionen mit ihnen sollte jene antiimperialistische und antiinstitutionelle Dimension des Massenprotestes wieder in Erinnerung gerufen werden, die die Linke auf dem Marsch an die Basis weitgehend hinter sich gelassen hatte.
Mit der Veränderung der Stoßrichtung unserer Aktionen änderte sich unter der Hand auch das organisatorische Selbstverständnis. Wir begriffen uns zunehmend weniger als integrierter Teil einer Bewegung, ohne jedoch gleichzeitig zu reflektieren, daß wir uns unmerklich in der Rolle der selbsternannten Avantgarde wiederfanden. Die Enttäuschung über die Entwicklung der Linken verschaffte sich Raum in einem uneingestandenen globalen Führungsanspruch gegenüber eben dieser Linken. Das ursprüngliche Selbstverständnis endlich Subjekt sein zu wollen in diesem Kampf anstatt andere in den jeweiligen Bereichen agitieren zu müssen und können (Revolutionärer Zorn 1) geriet in den Hintergrund angesichts der als vordringlich empfundenen Aufgabe, die Kontinuität der Bewegung gerade in den Zeiten ihrer Zersplitterung aufrechtzuerhalten. Fortan ging es deshalb weniger darum, innerhalb der Aktivitäten der Linken zu wirken, als auf die Linke einzuwirken; in der Tendenz wurde die eigene Linie zur einzigen Linie, wurden die Aktionen zu Appellen, die Erklärungen zu Vorwürfen; aus Vielfalt drohte Unvereinbarkeit zu werden, aus Differenzen Gegensätzlichkeiten, aus unterschiedlichen Prioritäten Rangstufen in einer Hierarchie politischer Wertigkeit. So trugen die internen Prozesse aus sich heraus zu jener Auseinanderentwicklung von Bewegung und illegaler Gruppe bei, die im Herbst 77 ihren einstweiligen Höhepunkt erreichte.
Gerade in einem Land wie der BRD einem Land mit ohnehin nur schwach entwickelter Klassen- und Massenbewegung kann ein solcher Auseinanderfall bedeuten, daß die Guerilla buchstäblich auf dem Trockenen sitzt. Zu keinem Zeitpunkt war die Kluft zwischen legaler und illegaler Linken größer und für die Herrschenden somit die Gelegenheit günstiger, der Guerilla mit integrativen wie repressiven Maßnahmen das Wasser abzugraben, das deren politische, moralische und logistische Existenzbedingung ist. Kein Wunder also, daß sich der heimliche Innenminister Herold28 gerade in dieser Situation eines Kitson29 erinnerte und einen neuen Akzent in der Terrorismus-Bekämpfung setzte: nun gelte es, das terroristische Umfeld lahmzulegen, den Sumpf auszutrocknen, um dann in einem zweiten Schritt die auf sich gestellten illegalen Kerne endgültig abzuräumen. Wir können hier nur bruchstückhaft beschreiben, in welche Sackgasse eine Gruppe zu geraten droht, die das Problem ihrer Basis vernachlässigt.
Als eine Tendenz innerhalb der Bewegung lebt die Guerilla vom wechselseitigen Austausch mit dieser und zwar in einem wesentlich umfassenderen Sinn als dem der bloßen materiellen Unterstützung. Die Basis in der Linken gibt dem Einzelnen den notwendigen moralischen Rückhalt, wie sie der Gruppe insgesamt erst ihren perspektivischen Zweck verleiht. Zerbricht dieser Zusammenhang, so reduziert sich der Kampf um ein menschenwürdiges Leben schnell auf einen Kampf um's nackte Überleben. Die Organisation, ursprünglich nur Mittel zum Zweck, rückt in den Mittelpunkt; ihrem Erhalt wird alles andere nachgeordnet:
(1) Die Sorgfalt und Verantwortung gegenüber jedem einzelnen Militanten werden dem Zwang zur Reproduktion geopfert. Durch persönlichen Einsatz muß er wettmachen, was die Struktur nicht mehr gewährleistet. Es mag paradox klingen, ist in der Tendenz aber dennoch real: bei dem Versuch zu überleben, geht die Gruppe das Risiko ein, ihre letzten Kräfte zu verschleißen.
(2) An die Stelle von Kontinuität, Zeichen der Stärke einer Guerilla, treten sporadische Anschläge oder das große Schweigen, da ihre Kräfte durch den Zwang zur Selbstversorgung zunehmend anderweitig gebunden sind. Das Dilemma gipfelt in der gleichermaßen falschen Alternative, daß politische Aktionen entweder gänzlich abgeblasen werden, um den Bestand der Gruppe zu sichern oder aber quasi als Ausgleich zur fehlenden Kontinuität das Spektakel gesucht wird.
(3) Obwohl die Lösung des Dilemmas wesentlich von der Überwindung des Bruchs mit der Bewegung abhängt, tendiert die Gruppe zum entgegengesetzten Extrem: sie sondert sich ab, nicht nur weil ihr nun die Zeit für den inneren Kontakt fehlt, sondern auch, weil sich aus der Not heraus der eigene Maßstab verschiebt. Alles, was läuft, wird daran gemessen, ob es der eigenen Gruppe zugute kommt oder nicht. Das linke Spektrum wird in zwei Lager geteilt: wer uns hilft, ist Freund; wer uns Unterstützung versagt, ein Gegner. Da sie über den eigenen Horizont kaum noch hinausschaut, verliert die Gruppe mit der Zeit den Sinn für tatsächliche politische Entwicklungen und damit überhaupt die Möglichkeit, ihre Isolierung zu überwinden. Die zwangsläufige Folge sind Ausweichmanöver:

die fehlende politische Unterstützung wird durch den Versuch einer technischen Spezialisierung ausgeglichen;

dem Verschleiß an Kräften folgt die Auflösung der autonomen und dezentralen Strukturen, um als zentralisierte Gruppe überhaupt noch handlungsfähig zu sein;

angewiesen auf Unterstützung geht die Gruppe Bündnisse ein und riskiert dabei den Verlust ihrer Autonomie, gerade weil sie in der Regel ein Produkt der Schwäche sind.


aus: Die Fruechte des Zorns
Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionaeren Zellen und der Roten Zora
ID-Archiv im IISG/ Amsterdam (Hg.)
ISBN: 3-89408-023-X
[Inhaltsverzeichnis]