Beethoven gegen MacDonald April 83
Zum Unterschied zwischen Antiamerikanismus und Antiimperialismus!
Die Anschläge faschistischer Gruppen in amerikanischen Wohnvierteln und gegen einzelne amerikanische Offiziere und Soldaten im Raum Frankfurt in der 2. Jahreshälfte 1982 sind vom Staatsschutz zunächst unserer tatsächlichen Verantwortung und nach der Festnahme der Hepp-Gruppe1 von linken Reformisten unserer moralischen Verantworung zugeschoben worden.
Den Vogel abgeschossen hat dabei einmal mehr eine Kommentatorin
der TAZ, die sich beim BKA für die Verhaftung der Faschisten bedankt, weil
sie nun nicht mehr befürchten muß, Gruppen der bewaffneten Linken könnten
für diese Aktionen verantwortlich sein. Zuzutrauen wären ihrer Meinung nach
der Guerilla solche oder ähnliche Aktionen jedoch allemal.
Die Zeitung RADIKAL, wenn auch mit ganz anderem Interesse, nimmt die Bomben
der Faschisten zum Anlaß, um eine Diskussion über Grenzfälle irgendwo
zwischen RZ, Verfassungschutz und Faschoszu eröffnen und kritisiert in ein
und demselben Zusammenhang Schiefheiten und Schludrigkeiten bei Aktionen,
die durchaus aus unserer Bewegung' kommen.
So notwendig gerade zum jetzigen Zeitpunkt eine Auseinandersetzung über
Ziele und Organisation bewaffneter linker Politik auch ist
antiamerikanische Anschläge faschistischer Gruppen sind dafür der falsche
Diskussionshintergrund! Die Desorientierung und Unsicherheit über diese
Anschläge lassen sich nicht damit erklären, daß ein diffuser Aktionismus
oder Leichtfertigkeit in der Politik der bewaffneten und militanten
Linken dafür die Voraussetzungen geschaffen haben. Einzelne in ihrer
Zielsetzung, Durch- und technischen Ausführung zweifelhafte Anschläge, die
es z.T. im Zusammenhang mit Räumungen besetzter Häuser in Berlin gegeben
hat, sind nicht in einem Zusammenhang mit der Anschlagsserie der Faschisten
diskutierbar. Wer dies miteinander vermengt und politisch verwurstet, setzt
sich nicht nur achtlos über die unterschiedlichen politischen Beweggründe
für diese Aktionen hinweg. Verhindert wird dadurch vor allem, daß die
tatsächlichen Gründe benannt werden, die jene Desorientierung verursacht
haben: ein auch in der deutschen Linken latent verbreiteter
Antiamerikanismus, eine desinteressierte Leichtfertigkeit, mit der die
Entwicklungsprozesse im faschistischen Spektrum und die tatsächlichen
Berührungspunkte zwischen faschistischen Aktionen und geheimdienstlichen
Operationen übergangen werden: trotz des Blutbades in München 1980, trotz
Bologna2, trotz der Mordkampagnen gegen Arbeitsemigranten oder einzelne
Juden.
Jenseits einer moralischen Wertung der Aktionen der Hepp-Gruppe hätte
spätestens mit den Bombenanschlägen auf einzelne Angehörige der US-Armee
klar werden müssen, daß sie sich auf einer Welle des Antiamerikanismus
bewegen, den wir ablehnen und als politische Konzeption bekämpfen.
Es ist böswillig, zu unterstellen, daß die gegen das US-Militär, gegen
militärische Einrichtungen, NATO-Logistik, Kommunikationsanlagen oder
US-Multis gerichteten Anschläge der Revolutionären Zellen, der RAF und
zahlreicher autonomer Gruppen auf einer vergleichbaren oder gar ähnlichen
Linie des Antiamerikanismus operiert oder diesen begünstig hätten.
Fast ohne Ausnahme waren diese Aktionen antiimperialistisch bestimmt und
bargen damit in sich die Chance, die Risse und Widersprüche innerhalb der
amerikanischen Armee zu vertiefen, den Widerstand der nationalen und
rassischen Minderheiten zu stützten. Wir haben Offizierskasinos angegriffen
und keine Mannschaftsmessen und Supermärkte. Gegen Filialen der US-Multis
wurden Bomben gezündet, ohne daß dabei auch nur einer der kleinen deutschen
oder amerikanischen Angestellten zu Schaden gekommen wäre. Immer wieder war
das Hauptquartier der US-Armee in Frankfurt das Ziel von Anschlägen,
richteten sich Aktionen gegen militärische Treibstoffdepots, nicht aber
gegen Tankstellen in amerikanischen Wohngebieten. Schließlich haben wir
nicht ohne Grund die Europa-Reise Reagans und den NATO-Gipfel zum Anlaß
einer Serie von Aktionen genommen und nicht etwa ein Konzert von Sammy
Davis jr. oder die Verlängerung der Laufzeit von Dallas. Die jüngsten
Anschläge gegen SEL in Düsseldorf und IBM in Reutlingen lassen keinen
Zweifel, worin der Unterschied besteht.
Wer unsere Praxis wie unsere politischen Stellungnahmen verfolgt hat, weiß,
daß wir eine diffuse, gegen Teile des Volkes gerichtete Politik, daß wir
Terrorismus ablehnen. Die Strategien der Spannung und des Blutbades sind
das Terrain von faschistischen Gruppierungen oder von Geheimdiensten, für
die Menschen ohnehin nur Schachfiguren sind, die gezogen und geschlagen,
für einen lausigen Vorteil geopfert werden können. Sie nutzen die Angst der
Bevölkerung für ihre auf institutionellen Einfluß oder auf institutionelle
Veränderung zielende Politik.
Wir begreifen uns dagegen als Teil einer schwachen sozialrevolutionären
und antiimperialistischen Strömung in der BRD und Westberlin, zu deren
Ausbreitung und politischer und militärischer Stabilisierung wir auch
weiterhin beitragen werden. Unser langer Kampf um Befreiung kommt von unten
und spielt nicht mit dem Leben von Menschen, weder unserer eigenen
Genossinnen und Genossen noch dem anderer Menschen. Und wir bewegen uns
noch immer in einem frühen Stadium dieses Prozesses, in dem wesentlich ein
Kampf um die Köpfe und Gefühle der Menschen geführt wird, aber eben kein
Krieg!
Daß wir in diesem Kampf ebenso wie die Rechten und Bullen Waffen und
Sprengstoff benutzen, darf nicht zu dem Schluß führen, dies sei alles ein-
und dasselbe!
Wir haben umgekehrt noch nie unterstellt, daß die Verwendung von
Schreibmaschinen aus dem Hause IBM verantwortlich für den manchmal
haarsträubenden Inhalt der TAZ oder anderer linker Zeitungen ist. Waffen
und Sprengstoff, Druck- und Schreibmaschinen, Fotos und Musikinstrumente
können Mittel unseres Kampfes sein: es kommt darauf an, wie wir sie
einsetzen und welche Inhalte damit verbunden sind.
Die politische Verantwortung für die Verunsicherung darüber, wo die Urheber
der antiamerikanischen Anschläge anzusiedeln sind, liegt nicht bei uns oder
anderen Gruppen der bewaffneten Linken. Nicht wir, sondern insbesondere
Teile der Friedensbewegung ergehen sich in einem diffusen Nationalismus,
verbreiten den Unsinn von der BRD als einem besetzten Land, machen die
Perspektive eines wiedererwachten deutschen Patriotismus schmackhaft und
verlassen den Boden linker Politik, wenn sie die Frage der
Raketenstationierung zur Frage nationaler Identität hochstilisieren. Die
Grenzen zwischen Antiimperialismus und Mobilisierung antiamerikanischer
Ressentiments müssen zwangsläufig zerfließen, wenn die Matadore der
Friedensbewegung ihren Protest gegen Nachrüstung und Pershing II darauf
stützen, daß sie an das deutsche Ehrgefühl gegen quasi koloniale
Unterjochung appellieren.
Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob wir MacDonald als einen
US-Ernährungskonzern begreifen, der Maßstäbe für die Organisation
arbeitsintensiver Niedriglohnarbeit wie auch weltweites Agro-Business
gesetzt hat oder aber als Ausdruck einer wie auch immer verstandenen
Yankee-Kultur. Wer Coca-Cola hier schon fast als Völkermord und
Haupterscheinungsform eines kulturellen Imperialismus ausmacht und auf
eine Stufe stellt mit der Unterstützung fast aller Militärdiktaturen durch
die US-Regierung, beraubt sich selbst der Möglichkeit, den faschistischen
Ursprung nationalistischer oder antiamerikanischer Aktionen zu
begreifen.
Der politische Skandal besteht nicht darin, daß die Faschisten diese auch
in der Friedenbewegung geläufige Position in militärische Aktion umgemünzt
haben. Der Skandal besteht darin, daß es diese Position überhaupt gibt und
daß sie unter Ausgrenzung und Bekämpfung sozialrevolutionärer und
antiimperialistischer Positionen von linken Reformisten jeglicher
Schattierung, vom Unterschriftenkartell über die TAZ bis zu den Grünen
durchgesetzt werden konnte und die Bündnisfähigkeit der Friedensbewegung
damit bis hin zu nationalistischen oder faschistischen Positionen teils
bewußt, teils naiv betrieben wurde.3
Der Übergang faschistischer Gruppen von antisemitischen Aktionen und Terror
gegen Arbeitsemigranten und Asylanten hin zu antiamerikanischen Anschlägen
ist dabei nur auf den ersten Blick überraschend. Sie operieren dabei in
erster Linie auf derselben Linie von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.
Hitlers Satz, daß in einer einzigen Symphonie von Beethoven mehr Kultur
liegt, als ganz Amerika bisher zusammengebracht hat, bringt all die
dumpfen Gefühle und Aversionen auf den Begriff, die sich heute im Feldzug
gegen Amerikanismen in der deutschen Sprache oder vor 25 Jahren in der
Verteufelung von Blue Jeans oder Negermusik Luft verschafft haben. An
diese Tradition knüpfen die faschistischen Gruppen an. Michael Kühnen4 zur
Bedeutung des Antiamerikanismus innerhalb der Rechten: Es ist historisch
betrachtet eine alte Strömung, denn wir haben den Zweiten Weltkrieg
bekanntlich gegen die USA wie gegen die SU führen müssen. Das ist die alte
Geschichte der europäischen Mitte (!), die sich eben gegen raumfremde
Mächte in OST und WEST wendet. Und im Augenblick ist für uns das Problem
des West-Imperialismus noch stärker als das des Ost-Imperialismus. Heute
hat es über diesen historischen Aspekt hinaus noch den Gesichtpunkt des
Verfalls unserer Kultur, unserer Sprache, unserer Musik, die aus Amerika
bei uns importiert worden ist und das lehnen wir entschieden ab. Ich
erinnere an die Drogendinge. Es handelt sich darum, daß alles, wogegen wir
kämpfen, im Grunde mit dem Stichwort Amerikanismus durchaus identifiziert
werden kann.
Ohne die Zielsetzung der Rechten hier genauer diskutieren zu können die
Programmatik: europäische Blockbildung unter deutscher Hegemonie ist
offensichtlich und deutet auf eine Zunahme antiamerikanischer Aktionen hin,
die von ihrer Anlage her auch in Zukunft an bewährte Muster anknüpfen
werden. Ausländerhatz und Fremdenfeindlichkeit, die Aussonderung und
Verfolgung all dessen, was anders ist, sind in der BRD nach wie vor tief
verankerte Motive, die die Faschisten in ihr Kalkül einbeziehen. Gerade im
Rhein-Main-Gebiet, in den Städten und Gemeinden, in denen US-Truppen
stationiert sind, gibt es gegen amerikanische Soldaten, vor allem gegen
Farbige, rassistische Gefühle wie anderswo gegen Türken und Araber.
Noch nie seit dem 30jährigen Krieg habe die Stadt eine solche
Verunsicherung erlebt: Raub, Mord, Vergewaltigungen tags und nachts ... Die
Altstadt der Kreisstadt Friedberg sei ziviles Übungsgelände für unsere
besoffenen, randalierenden und Frauen vergewaltigenden amerikanischen
Beschützer. Dieses dumpfe Schüren von Angst mit seinen rassistischen
Komponenten wie viele Kneipen sind z.B. off-limits für farbige
US-Soldaten ist die Basis antiamerikanischer Aktionen. Umso bedauerlicher
ist es, daß wir dieses Zitat der TAZ vom 8.4.1982 unter dem Titel Ja zum
Antiamerikanismus entnehmen konnten.
Diese Entwicklungen im faschistischen Lager vollziehen sich parallel zu
Veränderungen im Staatsapparat, wie sie sich nicht zuletzt in den Wahlen
vom 6. März bestätigt haben. In dieser Situation stehen keine Massaker auf
der Tagesordnung, wie der Anschlag auf das Oktoberfest 1980, der als
Höhepunkt einer ausgetüftelten Kampagne mehrerer Geheimdienste die
Unfähigkeit der damals von der sozialliberalen Koalition kontrollierten
Sicherheitsapparate demonstrieren und damit die Wahl von Strauß zum Kanzler
begünstigen sollte (siehe Revolutionärer Zorn 6).
Heute werden vielmehr verstärkt Anstrengungen unternommen, den legalen wie
illegalen Widerstand zu diskreditieren, durch die Vermischung
antiamerikanischer mit antiimperialistischen Anschlägen zur Verwässerung
und Desorientierung der Ziele linker bewaffneter Politik beizutragen,
polizeikontrollierte terroristische Gruppen aufzubauen, die in unserem oder
anderem Namen operieren bzw. jegliche Verantwortung ablehnen. So haben z.B.
die Propagandisten des Bullenapparates versucht, uns die Anschläge der
faschistischen Gruppen anzuhängen, obwohl die Staatsschutzabteilungen vom
ersten Moment an Bescheid wußten, daß wir es nicht waren.
Mehr als eigenartig ist auch, daß ausgerechnet Odfried Hepp5, der in Beirut
angeblich durch Lager der Falange6 und der PLO ging, der durch eine
schwierige Operation des BND zurück in die BRD geholt wurde, der der
Hauptbelastungszeuge gegen den Wehrsport-Hoffmann ist, der selbst mit
einer lächerlichen Strafe davongekommen ist, die er nicht einmal zur Hälfte
absitzen mußte, Hauptinitiator dieser Gruppe gewesen sein soll.
Ausgerechnet er ist der einzige, der sich der Verhaftung rechtzeitig
entziehen konnte.
Das Interesse des Staatsschutzes an faschistischen Gruppen und ihren
Aktionen sowie ihrer Begünstigung durch Teile des Sicherheitsapparats heißt
aber noch lange nicht, daß der Staatsschutz sie auch tatsächlich
inszeniert. Die Behauptung jener angeblichen RZ, die da meint, hinter den
Counter-Anschlägen ohnehin zu professionell für den Standard der RZ
nun gleich die Bundesanwaltschaft ausmachen zu müssen, unter deren
operativer Leitung der BND und das BKA in den amerikanischen Wohnvierteln
zugeschlagen hätten, halten wir für baren Unsinn.
1. Wissen wir nicht, was an einem umgebauten Lichtdruckschalter und einer
Unkraut-Ex-Mischung zu professionell sein soll;
2. leugnet eine solche Konstruktion die eigenständige Existenz
faschistischer Gruppen und trägt somit dazu bei, daß eine
Auseinandersetzung über deren Positionen wie schon nach München
innerhalb der Linken nicht stattfindet;
3. unterstellt eine solche Behauptung die Transformation
institutionalisierter Herrschaft und verrechtlicher Gewalt hin zur
Entwicklung eines staatlich inszenierten Terrorismus eine Entwicklung,
die wir zwar für den Einzelfall nicht ausschliessen und auch grundsätzlich
für möglich halten, für die es aber im Moment überhaupt keine Anhaltspunkte
gibt. Eine solche Entwicklung mit der Gefährlichkeit der RZ oder der
Guerilla Diffusa zu begründen, ist Ausdruck maßloser
Selbstüberschätzung.
Gerade die CDU/FDP-Regierung wird keine Gelegenheit verstreichen lassen, um
die Glaubwürdigkeit legalen wie illegalen Widerstands zu untergraben und
durch eine Zunahme repressiver Maßnahmen zusätzlich in die Zange zu nehmen.
Die verschleppten Ermittlungen gegen die Hepp-Gruppe sind ein
Paradebeispiel, die polizeilichen Angriffe auf die Radikal und den
Atom-Express7 dessen Kehrseite: wo Desorientierung angesagt ist, müssen die
Kanäle gestopft werden, die sich noch um Klärung bemühen.
Wir können faschistische Aktionen nicht verhindern. Wir können uns aber um
eine Präzisierung unserer politischen Positionen und Eindeutigkeit unserer
Praxis bemühen. Dies setzt allerdings in anderen Teilen der Linken die
Bereitschaft und Fähigkeit zur Auseinandersetzung um ihre und unsere
Politik voraus.
In diesem Sinne Frohe Ostern 1983!