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Sun Nov 7 16:09:23 1999
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Tendenz für die internationale soziale Revolution Mai
1992
Wir sind eine Gruppe aus dem Organisationszusammenhang der
Revolutionären Zellen. Die Veröffentlichung einer weiteren Gruppe der RZ
zum Tod von Gerd Albartus zwingt uns, öffentlich etwas zu sagen, obwohl wir
das wegen der unzureichenden Informationen nicht beabsichtigten.
Darüberhinaus werden wir kurz auf das Papier einer anderen
RZ-Gruppe eingehen, die den bewaffneten Kampf aufgeben will.
Inzwischen dürfte deutlich geworden sein, daß es innerhalb der RZ
verschiedene Tendenzen gibt. In dieser und anderen Veröffentlichung werden
wir uns deshalb durch einen Namenszusatz kenntlich machen.
Das Papier zum Tod von Gerd wurde gegen unseren Willen mit dem Gesamtnamen
RZ unterzeichnet. In vorausgehenden Diskussionen hatten wir deutlich
gemacht, daß dieses Papier nicht unserer Haltung und unserer Praxis zum
internationalen Befreiungskampf entspricht. Der Nachruf auf Gerd wird
mißbraucht zu einem selbstherrlichen Rundumschlag auf Kosten der kämpfenden
Völker im Trikont. Mit der gleichen fehlenden Gewissenhaftigkeit werden die
Umstände seines Todes angedeutet. Die verantwortliche Organisation wird
nicht genauer charakterisiert; das leistet Spekulationen Vorschub, die dem
palästinensischen Widerstand nur schaden können. Es handelt sich um eine
sehr kleine Organisation, die auf der rein militärischen Ebene kämpft und
die sich selber dem internationalen antiimperialistischen Befreiungskampf
zurechnet.
Wir lehnen eine Zusammenarbeit mit dieser Organisation ab, da die
Stoßrichtung ihrer Aktionen oftmals zu ungezielt oder falsch ist und der
Kampf auf der politischen Ebene vernachlässigt wird. Wir haben nur vage
Andeutungen darüber, weshalb die betreffende Organisation an der
Zuverlässigkeit von Gerd zweifelte, aber Gerd wußte, worauf er sich
einließ. Er kannte die Erfordernisse des zugespitzten militärischen
Kampfes. Die Zusammenarbeit mit dieser Organisation verstand er als seinen
Beitrag zum Kampf der unterdrückten Völker gegen ihr Elend und ihre
politische Unterdrückung. Für ihn war es eine Alternative zu der
Selbstzufriedenheit vieler Menschen auch vieler Linken in den
Metropolen.
In diesem Sinne teilen wir die Kritik von Gerd, die der politischen Haltung
der Nachrufschreiber widerspricht. Internationale Solidarität bedeutet
aktives und kritisches Miteinander der Kämpfenden und nicht arrogante
Besserwisserei, die die konkreten und historisch gewachsenen
Kampfbedingungen der Befreiungsbewegungen und der unterdrückten Klassen gar
nicht mehr zur Kenntnis nimmt.
In der öffentlichen Diskussion über den Nachruf gab es einige Beiträge, die
wichtige Kritikpunkte aufgriffen, auf die wir uns beziehen: im
Arbeiterkampf vom 13.1.92 die Stellungnahme Fragen und Anmerkungen zum
RZ-Papier und das Papier Ich geh weg, ich geh weg, ... und such was
Neues32, unterschrieben mit 3. Februar 92.
Die revolutionären Befreiungskämpfe in den Drei Kontinenten die immer
auch Kämpfe um soziale Befreiung sind, die wir besonders unterstützen
finden in den verschiedenen Ländern unter spezifischen Bedingungen statt.
Unsere Analyse dieser Kämpfe und die Solidarität mit ihnen berücksichtigt
die objektiven Bedingungen sowohl in Hinsicht auf die jahrhundertelange
koloniale Ausplünderung und Zerstörung, als auch in Hinsicht auf die
aktuelle Ausbeutungs- und Unterdrückungsstrategie des Imperialismus. Die
beschränkte Orientierung ausschließlich auf den hiesigen Sozialprozess in
den Metropolen, ohne ihn in seinen internationalen Zusammenhang zu stellen,
fördert neokoloniale Denk- und Handlungsweisen.
Wer sich von den Kämpfen in den Drei Kontinenten entsolidarisiert, steht
damit auf der gleichen Seite der Barrikade wie jene Kräfte, die sowohl
offen wie verdeckt ökonomisch, militärisch und nicht zuletzt psychologisch
Krieg gegen alle Völker des Trikonts führen, die sich den unmittelbarsten
Formen der imperialistischen Zerstörungsgewalt widersetzen. Solidarität
bedeutet auch immer kritische Solidarität untereinander. Nur so wird ein
gemeinsamer revolutionärer Entwicklungsprozeß der internationalistischen
Kräfte ermöglicht.
Mit der Entführung der Air-France-Maschine nach Entebbe (1976) auf dem Flug
Tel Aviv Paris sollten 53 gefangene Genossinnen und Genossen aus Knästen
in Israel, der BRD, Kenia, der Schweiz und Frankreich durch den Austausch
von Geiseln befreit werden. Von diesen fünf Staaten waren nur Passagiere
aus Israel und Frankreich an Bord. Diese Passagiere mit israelischer sowie
französischer Staatsbürgerschaft sowie die französische Crew wurden als
Geiseln festgehalten, alle anderen aus ganz anderen Ländern entlassen. Eine
Auswahl von Jüdinnen und Juden hat es nicht gegeben. Indem die Verfasser
des Nachrufs in völlig unkritischer Weise die bürgerliche Medienpropaganda
(Selektion von Juden ...) zur Wahrheit erklären, zeigt sich nicht nur
ihre politische Unreife, sondern auch ein unsägliches Mißtrauen gegenüber
den eigenen beteiligten GenossInnen.
In einer politischen Bewertung der Aktion einer auch in unseren Augen
problematischen Flugzeugentführung müssen die Existenzbedingungen des
palästinensischen Volkes berücksichtigt werden. In Stichworten: Leben unter
israelischer Besatzung oder als Flüchtlinge, Erfahrung von Massakern (in
Palästina, Libanon) bis hin zum Völkermord (Jordanien 1970). Vor der
Entführungsaktion wurden etwa 6.000 EinwohnerInnen des Flüchtlingslagers
Tel-Al-Zaatar in Beirut von christlichen, faschistischen Milizen mit
Unterstützung der syrischen Armee ermordet; Israel verstärkte dabei seine
ständigen Luft- und Raketenangriffe gegen die palästinensischen
Flüchtlingslager. Die Weltöffentlichkeit schwieg. Der palästinensische
Widerstand befand sich im Kriegszustand mit Israel. Die Entführung des aus
Israel kommenden Flugzeugs und das Festhalten der Geiseln sollte als
Druckmittel gegen die israelische und französische Regierung benutzt
werden.
Die Aufkündigung der Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand
aufgrund der Kritik an dieser Aktion, ohne Berücksichtigung der damaligen
Bedingungen, steht in einem schiefen Licht, denn im palästinensischen
Widerstand fand anschließend eine Selbstkritik der Aktionsform
Flugzeugentführung statt. Militärische Aktionsformen dieser Art wurden
allgemein von den politischen Organisationen nicht mehr angewandt, weil die
Entführung beliebiger Menschen aus den imperialistischen Staaten verwischt,
daß der Befreiungskampf gegen die herrschenden Klassen und Militärapparate
dieser Länder gerichtet ist.
Die Existenz eines rassistischen Staates Israel bedeutet die Verweigerung
des Existenzrechtes für die PalästinenserInnen. Die Aufrechterhaltung eines
solchen Systems, das mit den reaktionärsten Diktaturen auf der ganzen Welt
zusammenarbeitet, kann keine Lösung sein. Eine Lösung kann nur eine
Revolution herbeiführen, die allen Menschen eine gleichwertige Existenz
erkämpft. Der palästinensische Widerstand hat dieses Ziel schon vor
Jahrzehnten formuliert.
Zum Papier einer anderen Gruppe der RZ, die die Aufgabe
des bewaffneten Kampfes befürwortet
Die Ursache für die Krise der RZ und die Krise bewaffneter
Politik sehen wir in entscheidenden Punkten anders als ihr.
1. Die Frage der Macht und revolutionärer Gegenmacht:
Die bewaffnete Propaganda, die als Opposition bestimmte Mißstände aufzeigt,
bestimmte zu sehr die Politik der RZ. Um die Frage, wie revolutionäre
Gegenmacht entwickelt werden kann, wurde sich stets herumgedrückt. Diese
Position ist anscheinend unangreifbar: Schlaglichter werden auf bestimmte
Probleme geworfen und es der so benannten Öffentlichkeit überlassen, sie
aufzugreifen oder nicht. Das kann zu einem Ritual erstarren, an dem sich
nichts mehr bewegt, weder persönlich noch gesellschaftlich. Es wird keine
Verantwortung übernommen für die Weiterentwicklung eines politischen
Prozesses, bei dem es darum geht, die Macht der Unterdrücker zunächst
einzuschränken, später in entwickelteren Kämpfen Vieler sie zu zerschlagen,
um eine klassenlose und antipatriarchale Gesellschaft zu ermöglichen.
Wer dies wirklich zum Ziel hat, sich aber nicht die Kernfrage stellt, wie
die Macht erobert werden kann, ist ein/e Träumer/in, der/die an den
bestehenden Verhältnissen kleben bleibt. Wichtig ist doch die
Auseinandersetzung darüber, wie Gegenmacht positiv entwickelt werden kann,
wie dem Machtmißbrauch entgegengewirkt werden kann. Das erreichen wir
nicht, wenn die Frage der Macht überhaupt zum Tabu gemacht wird. Wie sollen
wir wie ihr schreibt Entwicklung von mehr Selbstbestimmung erreichen,
wenn nicht durch die Entwicklung von Gegenmacht ? Geschenkt wird uns nichts
außer den Spielwiesen, den Nischen die uns korrumpieren sollen. Gerade
die Erfahrungen aus Chile 197333 und Spanien 1936-3934 sollten uns lehren,
wie die internationale Bourgeoisie mit unseren Träumen und unserer
Selbstbestimmung umspringt, wenn wir den Herrschenden keine Grenzen
setzen und das heißt: politisch und militärisch.
2. Zum Wechselverhältnis zwischen Guerilla und Bewegung:
Ihr beschreibt das Koordinatensystem, in dem sich die RZ bewegt haben, als
sehr gradlinigen Weg: Bewaffnete Opposition Vermittlung Verankerung
Vermassung. Das ist ein enormer Anspruch, denn gesellschaftliche Prozesse
laufen nicht so in einer geraden Reihe ab. Ihr legt dies als Meßlatte an
und konstatiert dann das Scheitern bewaffneter Politik. Das heißt: die
Bestätigung der Richtigkeit wäre eine massenhafte Aufnahme der politischen
Anregung der RZ gewesen. Das ist eine starke Vereinfachung.
Entgegen eurer ausdrücklichen Willenserklärung formuliert ihr hier einen
klaren pädagogischen Avantgardeanspruch. Ihr erhebt den bewaffneten
Zeigefinger und erwartet, daß das Thema von der Öffentlichkeit aufgegriffen
wird. Wir meinen, daß das die Menschen jeweils selber entscheiden müssen
und andersherum die Guerilla an den Reaktionen überprüfen kann, ob ihre
Erwartungen realistisch waren oder nicht. Sich von der Reaktion der
Öffentlichkeit derart abhängig zu machen, ist ein Kennzeichen
reformistischer bewaffneter Politik, die selbst nicht strategisch politisch
eingreifen will. Ebenso wichtig ist naütrlich, daß dies auf der anderen
Seite nicht zum abgehobenen Privatkrieg zwischen Guerilla und Staat
führen darf.
Es gibt auch gesellschaftliche Situationen, wo die Guerilla nicht tiefer in
die unterdrückten Klassen wirken kann, weil der politische Prozeß
stagniert. Hierfür sind viele Faktoren verantwortlich. Es bedeutet für uns
jedoch keineswegs, daß bewaffnete Politik überflüssig wird, sondern sie
kann verstärkt Aufgaben übernehmen, die nicht auf unmittelbare
Aufmerksamkeit zielen, sondern im Hinblick auf eine langfristige
Entwicklung und zukünftige Kämpfe andere Schwerpunkte setzen. Die
revolutionären bewaffneten Kräfte aufzugeben heißt, den revolutionären
Kampf abzuschreiben, weil dieser mal mehr, mal weniger auf diese Kraft
angewiesen ist. Die Guerilla sichert und erweitert das politische
Terrain.
Anstatt als Konsequenz aus der wenig aufrüttelnden Flüchtlings-Kampagne zu
schließen, Guerilla sei gescheitert, sollten die einzelnen Gesichtspunkte
genauer unter die Lupe genommen werden. Die Forderung nach offenen
Grenzen setzt nicht an der Ursache des Problems an, sondern an den
Auswirkungen, nämlich die Migrationsbewegung in den Metropolen. Sie muß
daher mit einer gleichzeitigen konsequenten antiimperialistischen Politik
des Angriffs auf die Urheber des Elends der Völker der Drei Kontinente
verknüpft werden. Sonst kann die Forderung hier gesellschaftlich gar nicht
greifen oder geht in die falsche Richtung. Die Vorstellung von Millionen
von EinwanderInnen löst bei vielen Menschen hier zumindest Besorgnis aus
und bietet sozialen Sprengstoff in Richtung Ausgrenzung und Ausländerhaß.
Diese Forderung muß mit einer realistischen Vorstellung verbunden werden,
wie der Imperialismus zu bekämpfen ist und wie die Existenzbedingungen der
Menschen in den Drei Kontinenten verändert werden können. Nur an Humanismus
und Mitleid zu appellieren ist keine revolutionäre Politik, zeigt keine
Lösung gesellschaftlicher Probleme auf.
Was den Anspruch betrifft, dieses Thema mit sozialen Problemen hier zu
verknüpfen: Gerade dieses Thema ist nur sehr schwer mit sozialen Problemen
im Herzen der Bestie zu verknüpfen. Natürlich setzt es trotzdem an einem
richtigen Punkt an, nämlich der Hunger- und Ausrottungspolitik der
Imperialisten im Trikont, dem wir nicht tatenlos zusehen dürfen, sollten
wir nicht jegliche moralische und revolutionäre Legitimation verlieren. Die
Flüchtlings-Kampagne blieb ohne breiteren revolutionären Rahmen und
Einbettung doch eine ein-Punkt-Politik, trotz anderer Absicht. Der
Unterschied, der die Sache nicht gerade vereinfachte, war lediglich, daß
sich diesmal nicht auf eine vorhandene Bewegung bezogen wurde, sondern die
Erwartung da war, daß sie entstehen würde.
Ein weiterer Fehler unserer gesamten Politik in Bezug auf die Bewegungen
war unserer Meinung nach außerdem der ausschließliche Bezug auf die
linksradikale Szenerie. Diese war in den letzten 10 Jahren jedoch
gesellschaftlich kaum relevant, sondern fristet ein größtenteils
selbstgewähltes Ghettodasein, von dem keine soziale Außenwirkung ausging.
Dies aufzuarbeiten und zu verändern, ist eine wesentliche Aufgabe.
3. Der Zusammenbruch des Realsozialismus und die Auswirkungen auf die Linke
hier:
Der Zusammenbruch ist doch nicht d e r Punkt, an dem die Linke niederging.
Sie war doch schon längst vorher an ihre Grenzen angelangt, auf die
zwangsläufig erst einmal ein Rückzug erfolgt, um die Fehler und Mängel
aufzuarbeiten und um den neuen Anlauf entwickeln zu können. Es ist
besonders bitter, daß das alles zugleich mit dem vorläufigen
triumphierenden Siegeszug des Imperialismus über Trikont und Osteuropa
zusammenfällt; aber was nützt es, darüber zu klagen.
Die neue Weltordnung ist rissig und die Zukunft stellt an uns neue
Anforderungen. Strategie und Taktik bewaffneter Politik weiterzuentwickeln,
steht auf der Tagesordnung, nicht das Aufgeben.
Die persönliche Entscheidung Einzelner oder einzelner Gruppen, bewaffnete
Politik aufzugeben und sich im offenen Rahmen zu betätigen, akzeptieren wir
selbstverständlich. Diese Politik aber aus strategischen berlegungen zu
verwerfen, halten wir für falsch.
aus:
Die Fruechte des Zorns
Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionaeren Zellen und
der Roten Zora
ID-Archiv im IISG/ Amsterdam (Hg.)
ISBN: 3-89408-023-X
[Inhaltsverzeichnis]