Revolutionärer Zorn Nr. 1 Mai 1975
Stockholm1
wie geht es weiter?
Unsere Genossen Ulrich Wessel2 und Siegfried Hausner3 sind tot. Die anderen des Kommandos Holger Meins sitzen im Gefängnis, die Liste ist noch länger geworden. Partei- und Regierungsvertreter, die Bullen jubeln über ihren Sieg. Was ist los mit dieser Niederlage? Was soll jetzt überhaupt geschehen, um die Gefangenen rauszuholen, um weiterzukämpfen? Läßt uns, die revolutionäre Linke, der Tod der beiden und inzwischen auch der Tod des Genossen Werner Sauber4 so unberührt, wie es Holgers Tod für große Teile der Linken doch letztendlich gewesen ist?
Verschiedene Umstände haben bewirkt, daß die Herrschenden nach
Stockholm sich in einem triumphalistischen Geschrei ergehen konnten, wie es
schon längere Zeit nicht mehr zu hören war. Die Genossen vom Kommando
Holger Meins haben versucht, die Bedingungen zu schaffen für eine Befreiung
der politischen Gefangenen.
Klar war, daß eine Aktion ähnlich der Lorenzentführung5 nicht ausgereicht
hätte; wichtigere und mehr Leute zu entführen, ist jedoch mit den
gegenwärtig zur Verfügung stehenden Mitteln kaum möglich, so daß ihre
offene Besetzung der deutschen Botschaft eine richtige Aktion war. Dennoch
ist der Versuch mißglückt. Der Druck hat nicht ausgereicht.
Gefangengenommen waren nur deutsche Beamte, nur kleine Lichter (bis auf
den Botschafter selbst vielleicht) und alles spielte sich im Ausland, nicht
im direkten Verantwortungsbereich der BRD-Regierung ab. Es war also
leichter für diese Regierung, den Forderungen nicht nachzugeben, als es
hätte sein müssen. Der Umstand, daß zudem alle Geiseln nach der Sprengung
entkamen, paßte in dieses Konzept, es konnte als Erfolg der eingeschlagenen
Taktik ausgegeben werden. Und Maihofer6 und Konsorten brüsten sich damit,
daß sie diesmal nicht den Kürzeren gezogen haben: Der Trick, Hubschrauber
bei den deutschen Knästen in Wartestellung zu bringen, habe die Terroristen
via Fernsehen getäuscht und den Stockholmer Behörden Zeit gegeben für ihre
Vorbereitungen zum Sturm auf das Gebäude; die Terroristen seien Randfiguren
gewesen, unerfahren, unsicher, Dilettanten.
Nun gut, Herr Maihofer, nicht nur aus Fürstenfeldbruck7 haben wir gelernt,
wir lernen auch aus der Bullentaktik im Fall Lorenz und aus Stockholm! Die
Bande Großer Krisenstab (GKS)8 hat keinen Anlaß zu triumphieren!
Klar ist, daß jetzt ein anderer Druck erzeugt werden muß, um unsere
Genossen rauszuholen, klar ist, daß nicht die Sorge um Menschenleben die
Handlungen der Politiker bestimmt, sondern ganz andere taktische und
strategische berlegungen, genau wie sie auf unsere Kampfformen, -orte und
-zeitpunkte gezwungen werden zu reagieren.
Wie nach der Ermordung von Holger Meins9 kann die GKS-Bande sicher sein:
wir ziehen die Konsequenzen. Die Stadtguerilla wird wie den Tod Holgers
auch die Genossen Ulrich Wessel, Siegfried Hausner, Werner Sauber rächen,
sie wird jeden Versuch machen, die Gefangenen zu befreien, weil das ein von
ihrer Existenz untrennbarer Teil ist:
Nicht zulassen, daß das heuchlerische Mordgeschrei anhalten kann,
angesichts der massiven und tödlichen Gewalt, die in allen denkbaren Formen
täglich gegen Menschen angewandt wird.
Nicht zulassen, daß die Vertreter dieser Ordnung unsere Genossen ermorden
und sich dann in ihren Villen und Bungalows zufrieden schlafen legen
können.
Nicht zulassen, daß die gefangenen Kämpfer jahrelang mit schweinischen
Methoden, die sich nur ein Ärztestand wie in diesem Land und eine solche
Justiz ausdenken können, kaputtgemacht werden.
Die Verantwortlichen, die Nutznießer dieses Systems überall angreifen, zur
Rechenschaft ziehen, die Mechanismen ihres Unterdrückungsinstrumentariums
überall unterbrechen und zerstören. Ihrer erdrückenden bermacht setzen wir
den revolutionären Guerillakrieg entgegen: seine Taktik und Strategie
werden für unsere Verhältnisse und von unseren Verhältnissen
weiterentwickelt, aufbauend auf der Praxis und Theorie der Genossen in
vielen Ländern der Welt.
Die Vorgehensweise des Staates wird von manchen Leuten, die vor Zeiten
selbst den Anspruch hatten, linke Radikale zu sein, inzwischen nahezu
gebilligt. Das geht von DKP-SEW-Kreisen inzwischen über Wallraff10 bis zu
den Führern des Sozialistischen Büros11, die schon mehr oder minder offen
selbst nach den Bullen rufen. Von denen soll hier allerdings nicht die Rede
sein, sondern von den anderen, die sich zwar auf der gleichen Seite
fühlen wie wir, aber ihre Probleme sich nicht klarmachen und mit Mauern und
Abwehrtricks sich in eine vermeintliche Sicherheit bringen. Ihr Verhältnis
zu Aktionen wie der Lorenzentführung oder der Stockholmer Besetzung
unterscheidet sich zudem nicht prinzipiell davon, wie sie andere radikale
Widerstandsaktionen erleben: als etwas ihnen äußerliches, sie nicht
betreffendes; da wird gewertet, klassifiziert, Zensuren werden ausgeteilt,
wie bei einem Fußballspiel im Fernsehen. Gewinnt der Favorit, entwickelt
sich eine Art sportlicher Begeisterung für die Besseren, an Niederlagen
wird man kann es kaum anders nennen herumgemäkelt, selbst wenn es
sich dabei um den Tod von Genossen handelt. Sie begreifen nicht, daß es
ihre Genossen sind, sie haben immer noch nicht den endgültigen
Trennungsstrich gezogen zwischen sich und dem in tausenderlei Formen
auftretenden und sie vereinnahmenden Herrschaftssystem.
Deshalb fehlen die Betroffenheit, der Haß auf diese Verhältnisse, ein
Gefühl dafür, was der Guerillero eigentlich macht, wenn er solche Aktionen
durchführt. Dieses Unberührtsein hängt auch zusammen mit ihrer
gefühlstötenden, untätigen Ratlosigkeit. Sie sehen zwar auch, was ist,
wissen aber angeblich aus ihren bisherigen Erfahrungen, daß sie nichts
machen können; sie verbrämen das in der Regel, bringen z.B. Kritik, die
einen nur staunen lassen kann (das SPK12 war schon immer etwas verrückt!
oder sagen, wie die Aktion viel besser und richtiger hätte gemacht werden
können! Dann macht es doch bitte, Genossen!) oder sie flüchten sich in
verschiedenste Auswege von Freiraum-Gebilden13 für sich und ihre
insider-groups bis zur Scheinpoiltik in ihren Parteien und Büros. Oder ganz
ohne Ausweg: Sie verdrängen die Reste in sich, die aufgrund eines diffusen
Betroffenseins noch rebellieren wollen, mit vielerlei Tricks, um ihr
Selbstverständnis noch aufrecht erhalten zu können. Dieses Linkssein
täuscht jedoch nur noch einige Zeit darüber hinweg, daß man darüberhinaus
nichts mehr am Hut hat.
Warum können sie nichts machen? Weil sich in vielen Arbeitsansätzen
zeigt, daß die Trennung zwischen Politik und einem selbst nicht läuft,
daß das Politikmachen immer wieder hinauslief auf: andere auffordern,
agitieren, belehren, daß sie doch was machen sollten. Agitation,
Information ist natürlich richtig, aber warum versuchen alle, sich selbst
rauszuhalten? Haben Angst, sich selbst als Teil des vom System kaputt
gemachten Volkes zu betrachten?
Horst Mahler14 (der frühe natürlich) hat es vor Gericht mal so gesagt: ...
Die einzige Anklage, die ich gelten lasse, ist die, daß wir dafür zuwenig
getan haben; daß wir zulange gezögert und nicht unser Bestes gegeben haben;
daß wir zuviel geredet und zuwenig gehandelt haben; daß wir zulange
versucht haben, die Falschen vom Richtigen zu überzeugen, statt das
Richtige selbst zu tun.
Es wird geredet und gewartet: daß andere das Richtige tun. Widerstand,
Kampf gegen das Herrschaftssystem sind jedoch Prozesse, in den vielfältigen
Bereichen entwickeln sich Inhalte, Methoden, Bewußtsein vielfältig,
ungleichzeitig usw.
Doch warum sollen wir warten? Oder Ihr? Und worauf? Der schöne Satz Wer
seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein? gilt nämlich! Gilt
für uns wie für alle, die aus ihren Einsichten, Erfahrungen, bewußt
erlebten Veränderungen beginnen, Konsequenzen für's Verhalten, für's
Handeln zu ziehen.
Die Stadtguerilla bei uns ist jetzt und auf absehbare Zeit eine Minderheit
und ihr Kampf ist äußerst langwierig und schwierig, die Entwicklung zur
Stadtteilguerilla, Schul- und Universitätsguerilla, zur autonomen Guerilla
von Frauen zur Guerilla also als Massenperspektive geht nicht von heute
auf morgen. Doch deshalb ist sie nicht falsch!
Wir können natürlich nicht im Rahmen dieses Beitrages die ganze Vielfalt in
Theorie und Praxis der ganzen Linken umfassend behandeln, das kann nur
durch weitere Beiträge von uns im Laufe der Diskussion und durch unser
Verhalten und unsere Praxis geschehen. Doch unabhängig von allen
Differenzierungen ist eines klar:
An der Frage der bewaffneten Aktion, der subjektiven Teilnahme am
revolutionären Kampf, der umfassenden Verwirklichung des Konzepts
Guerillakrieg werden immer wieder und deutlicher Polarisierungen
stattfinden zwischen denen, die erst mal abwarten wollen, die ein bißchen
wollen statt alles, die den Weg des Reformismus gehen, die den Schritt
nicht riskieren, tatsächlich zu kämpfen und die Revolution zu wollen und
den anderen, die sehen, daß ihnen nichts freiwillig gegeben wird, daß
Geschenke immer neue, raffiniertere Unterdrückung und Entfremdung mit
sich bringen, die erleben, wie das System der Herrschaft die Menschen immer
mehr kaputtmacht, wie es seinen menschenverachtenden täglichen Terror
ausübt, eiskalt und ohne zu zögern, wenn es um die Absicherung ihrer
Herrschaft geht und die daraus lernen:
Sich selbst zur Wehr zu setzen! Zusammen mit allen anderen, die ihre Lage
zu erkennen beginnen, die Beseitigung dieser Verhältnisse mit aller
Phantasie, Liebe und Gewalt in die eigenen Hände zu nehmen.
RZ Anschlagstafel 1973 1975
Die Aktionen der Revolutionären Zelle lassen sich in drei Bereiche unterteilen
- antiimperialistische Aktionen, Aktionen gegen die Beteiligung der USA, ITT am Putsch in Chile, gegen die chilenischen Faschisten in der BRD und Westberlin;
- Aktionen gegen die Filialen und Komplizen des Zionismus in der BRD;
- Aktionen, die den Kämpfen von Arbeitern, Jugendlichen, Frauen weiterhelfen sollen, die ihre Feinde bestrafen und angreifen.
16.11.73 Anschlag auf ITT in Berlin wegen der Beteiligung des US-Konzerns am Putsch in Chile15.
17.11.73 Anschlag auf ITT in Nürnberg.
01.05.74 Brandanschlag auf das Auto von Peter Sötje in Berlin. Sötje ist für den Abriß des Jugendzentrums Putte mitverantwortlich.
14.06.74 Anschlag auf das während der Fußballweltmeisterschaft stark bewachte Generalkonsulat von Chile in Westberlin.
Sept. 74 Anschlag auf die Maschinenfabrik Korf in Mannheim, die zu 3/4 im Besitz der Zionisten ist.
Sept. 74 Anschlag auf das EL-AL16-Büro in Frankfurt wegen der Völkermordstrategie der Zionisten gegenüber den Palästinensern.
16.11.74 Brandanschlag auf den BMW des Geschäftsführers der Krone-Werke während einer Betriebsversammlung vor der Kongreßhalle in Berlin.
03.03.75 Brandanschlag auf den Bamberger Dom wegen der schmutzigen Rolle der Kirche bei der Unterdrückung der Frauen.
04.03.75 Anschlag von Frauen der Revolutionären Zelle auf das vom Bundesgrenzschutz bewachte Bundesverfassungsgericht wegen des Abtreibungsverbots.
29.04.75 Anschlag auf die Ausländerpolizei in Westberlin zum 1. Mai.
30.04.75 Anschlag auf das Gebäude der Landesvertretungen von BDI, BDA, IHK in Mainz zum 1. Mai.
30.04.75 Anschlag auf das Gebäude der IHK in Ludwigshafen zum 1. Mai. P>Die Aufzählung unserer Aktionen bleibt unvollständig, bezieht man sich nicht auch auf die zahlreichen Aktionen und Kämpfe anderer Gruppen zur Unterstützung der Befreiungsbewegungen.
Wenn wir ITT-Niederlassungen in der BRD angreifen, steht das
in einer Reihe mit Angriffen in der Schweiz, Italien, Spanien, den USA und
zahlreichen anderen Ländern gegen einen multinationalen Konzern, der an der
direkten Unterdrückung und Ausrottung hunderttausender Menschen in Chile
beteiligt ist, die eher ein Recht auf Leben haben als die Schweine, die das
Volk ausbeuten.
Die Unterstützung des MIR17 heißt, wie es die Genossen in Mailand, die das
Lager der Face Standard ansteckten, sagten: Gegen ITT, gegen alle
Unternehmen ist der Kampf mit dem Gewehr eine grundsätzliche
Entscheidung.
Das heißt auch, daß der bewaffnete Kampf nicht nur in Chile politisch
richtig ist. Wer sich heute mit dem Kampf des chilenischen Volkes
solidarisiert, muß den antiimperialistischen Kampf im eigenen Land führen,
muß der Vernichtungsmaschinerie des Kapitals überall, auch in der BRD, den
Widerstand des Volkes entgegensetzen. Wer sich in der BRD und Westberlin
zufrieden gibt mit der Arbeit des Chilekomitees, der Unterstützung
chilenischer Revolutionäre, Aktionen gegen Konzerte, Botschaftsauftritte,
Fußballspiele, Geldsammlungen, der Propaganda gegen die Militärdiktatur
alles notwendige und nützliche Formen der Solidarität , ohne eine
Perspektive des Kampfes gegen den US-Imperialismus, der bewaffneten
Bekämpfung der chilenischen Faschisten in der ganzen Welt zu entwickeln,
bleibt hilflos und handelt zynisch gegenüber den Erfahrungen von Chile. In
der BRD und Westberlin ist es z.B. nötig, daß die Repräsentanten und
Marionetten der faschistischen Militärdiktatur in ihren Villen,
Botschaften, Handelsvertretungen nicht mehr ruhig schlafen können.
Unsere Anschläge auf Korf und das staatliche israelische
Reisebüro sind Ausdruck unserer Solidarität mit dem palästinensischen Volk
im Kampf gegen den Zionismus. Seit München 1972, wo die Palästinenser klar
gemacht haben, daß die Bourgeoisie ihre Spiele18 nicht als Kraft durch
Freude verkaufen kann, als die gesamte Presse auf die Lügen und den Dreck
der Bullen eingeflippt sind, als sich die freie Presse als Bullen-Presse
erwiesen hat, hat die gesamte Linke in der BRD es nicht mehr
fertiggebracht, einen Ton zum Völkermord an den Palästinensern über die
Lippen zu bringen. Die furchtbaren Verbrechen des deutschen Faschismus an
den Juden dürfen uns nicht die Augen verschließen vor dem
Ausrottungsfeldzug der Zionisten in Palästina. Die Zionisten haben
unheilvolle Lehren aus ihrer Verfolgung gezogen; sie haben gut gelernt und
verfolgen, unterdrücken, vertreiben, beuten die Palästinenser und Araber
heute aus, wie sie einst selbst verfolgt wurden.
Daß die Ausländerpolizei in bewährter deutscher Tradition mit der
Geheimpolizei faschistischer und vom Militär regierter Länder
zusammenarbeitet, ist nicht erst seit dem Verbot von GUPS und GUPA19
bekannt. Bevorzugt werden Patrioten, antifaschistische Kämpfer und
Revolutionäre abgeschoben, die in ihren Heimatländern mit dem Tod oder
langjährigen Freiheitsstrafen bedroht sind. Oder sie schaut untätig zu,
wenn sich die Geheimdienste solcher Länder auf dem Boden der BRD tummeln
und breitmachen, um hier fortzusetzen, was sie im eigenen Land
praktizieren: die Ausrottung des Widerstandes, der sich gegen die
Unmenschlichkeit und Unterdrückung wendet. Widerstand auf allen Ebenen, in
allen Bereichen, mit allen Mitteln, ist die einzige Möglichkeit, Mensch zu
bleiben, Mensch zu werden.
Widerstand heißt nicht, den Kopf unter den Arm zu packen, die Knarre in die
Hand und loszurennen. Widerstand heißt auch nicht, nur links zu sein, an
der Revolution teilnehmen zu wollen und die Dreckarbeit den anderen, der
Guerilla zu überlassen. Widerstand heißt: über jede Form des Reformismus,
der Arschkriecherei und des Anbiederns an dieses System hinauszugehen. Das
fängt an, wo man lebt und arbeitet. Am Arbeitsplatz, wo man sich durch
Maschinen-Ausfälle gegen die Arbeitshetze wehren kann, geht über kleinere
und größere Brände bei Firmen, über Streiks, Fabrikbesetzungen,
Demonstrationen über Angriffe auf die Institutionen der gegen das Volk
Regierenden und der Unterdrücker bis hin zu Bestrafungs-, Rache- und
Befreiungsaktionen.
Widerstand gegen dieses System der Unmenschlichkeit heißt, sich zu
organisieren, den eigenen Lebensbereich zu verändern, zu lernen, sich als
handelndes Subjekt zu begreifen, Phantasie und Kampfkraft zu
entwickeln.
Wenn die Frauen der Revolutionären Zellen das Verfassungsgericht
angegriffen haben, tun wir das, um uns gegen die Verfassung dieses
imperialistischen Staates zu schützen, um gegen dieses Schandurteil der
Klassenjustiz, gegen die Heuchelei von Pfaffen und Kurpfuschern vorzugehen.
Andererseits wollen wir der Frauenbewegung zeigen, daß
Selbsterfahrungsgruppen, Frauenläden, Selbsthilfe (Abtreibung) usw. nicht
genügen, daß Ärzte, Pfaffen, notorische Chauvinisten nicht länger ihr
Unwesen treiben dürfen.
Auch im Kampf für selbstverwaltete Jugendzentren, bei revolutionärer Arbeit
in den Fabriken stellen sich diese Fragen. In diesem Zusammenhang haben wir
das Auto des Bezirksstadtrates Sötje in Berlin verbrannt, der für den Abriß
des Jugendzentrums Putte mitverantwortlich war. Auch der Geschäftsführer
der Krone-Werke hatte für seine Verantwortung für die Arbeitshetze, die
zahlreichen Arbeitsunfälle in diesem Betrieb einen Totalverlust an seinem
BMW zu beklagen.
Diese Vergeltungs- und Bestrafungsaktionen haben nur dann einen Sinn, wenn
sie nicht vereinzelt bleiben, wenn sie sich häufen, nachgemacht werden,
wenn überall Autos, Villen, Flugzeuge, Gemäldesammlungen brennen, wenn
Antreiber verprügelt werden, Politiker sich nicht mehr in ihre
Wahlbezirke trauen können. Jeder Direktor, Geschäftsführer, Spekulant,
Pfaffe, jeder Faschist, Berufsverboterlasser, jedes Bürokratenschwein muß
damit rechnen, persönlich bestraft, zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Erst bei einer Vervielfachung dieser Aktionen werden sie ihre erzieherische
Wirkung haben, dann geben sie den Forderungen der Arbeiter, Jugendlichen,
Frauen, Nachdruck.
Es ist eine unserer Perspektiven, umfassender und offensiver in
Massenkämpfe einzugreifen, nicht nur zu bestrafen, uns mehr oder weniger
formal auf Bewegungen zu beziehen, sondern mit unseren Aktionen direkten
Nutzen zu bringen, Vorteile zu verschaffen. Dies ist allerdings sehr
schwierig, setzt eine umfassende Logistik voraus, die erst von uns und/oder
anderen aufgebaut werden muß.
Wir wollen zum Schluß noch auf Aktionen gegen Justiz, Bullen, für die
Befreiung der gefangenen Revolutionäre eingehen. Andere
Stadtguerilla-Gruppen haben hauptsächlich solche Aktionen durchgeführt. Sie
finden unter sehr ungünstigen Kräfteverhältnissen statt, es ist allein eine
Auseinandersetzung zwischen dem Staat und uns. Die Hetze ist hier relativ
leicht, die Aktionen isolieren uns objektiv.
Die Befreiung der Genossen im Knast bleibt trotzdem eine dringende
Notwendigkeit. Die Vernichtungshaft20 ist keine Erfindung, sondern
Wirklichkeit. Wir brauchen die Genossen in Freiheit, nicht als Märtyrer
hinter Gittern. Deswegen werden auch wir alles versuchen, die gefangenen
Revolutionäre zu befreien.
Stockholm ... führt zum Faschismus?
Oft wird der revolutionären Linken vorgeworfen, durch ihre Aktionen trage sie zur Faschisierung der Gesellschaft bei, spiele den Reaktionären in die Hände, biete einen Vorwand zum Abbau demokratischer Rechte.
So undifferenziert und z.T. kindisch diese Angriffe sind, so undifferenziert war meist unsere Antwort. Wachsender Widerstand, zunehmende Kämpfe provozieren eben Krise und Unterdrückung. Das ist klar und richtig
wer dies nicht anerkennt, der Unterdrückung nicht standhalten
will, gehört nicht zum revolutionären Lager.
Im Folgenden sollen stärker diejenigen Widersprüche analysiert werden, die nicht allein bundesrepublikanische Ursachen haben, jedoch Strategie und Taktik der Bourgeoisie bestimmen und sich in verstärkter Repression auswirken. Auch lassen sich für die BRD und Westberlin die Folgen der zunehmenden Arbeiterkämpfe, der Unruhen in den Stadtteilen und auf dem Lande, unter den Jugendlichen, Frauen, Ausländern auf das Gefüge der herrschenden Klassen und Parteien nicht in der Alternative Faschismus oder Revolution fassen.
Der repressive Apparat, der gegen uns aufgefahren wird, das
Ausmaß der Bespitzelung, Einschüchterung, Terrorisierung, die sich
ausbreitende Angst unter den Oppositionellen und Revolutionären, stehen in
keinem Verhältnis zur Schwäche unserer Gruppen, zur relativen Schwäche der
Arbeiterbewegung in der BRD und Westberlin.
Der Staat ist vielmehr dabei und in diesem Ziel sind sich die Parteien
einig alle revolutionären und nicht reformistischen Ansätze restlos zu
eliminieren, da wo nötig, Leute einzusperren, Organisationen aufzulösen.
Dies betrifft keineswegs allein nur Guerilla-Gruppen, sondern auch
kämpferische Gruppen in den Betrieben, Stadtteilen, Universitäten, autonome
Frauen- und Ausländergruppen.
Die Atempause für die Kommunisten in der BRD und Westberlin ist vorüber. Es
wird wieder zu einer Kampf- und Existenzfrage, seine Meinung zu äußern,
Marxist zu sein, Flugblätter zu verteilen; es ist wieder gefährlich, Staat,
Parteien, Justiz zu kritisieren, sich zu nehmen, was einem sowieso schon
gehört. Kommunistische Politik ist notwendig (auch) illegal.
Der Staat kehrt wieder zurück zu den Formen der Totalrepression
marxistischen Denkens und Handelns, die seit 1933 bis zur Mitte der 60er
Jahre üblich war.
Vermutlich der Klassencharakter der antiimperialistischen Bewegung in den
60er Jahren, die sich zu großen Teilen aus dem Nachwuchs der herrschenden
Klasse zusammensetzte, die Abkehr vom Sozialismus sowjetischer und
DDR-Prägung, der bis dahin besonders verfolgt wurde, sowie vor allem die
Krise der politischen und wirtschaftlichen Konzepte der
Herrschaftssicherung haben uns von 1966/67 bis 1972 Möglichkeiten einer
politischen Praxis geboten, die vorher illegal waren und illegal
organisiert werden mußten und die seit 1972 wieder zunehmend
illegalisiert werden. Diese Schonfrist wurde auch ermöglicht durch die
Ablösung der aufgebrauchten CDU/CSU durch eine SPD, der wir mit unserer
Mobilisierung in den 60ern einerseits ihre Wahlsiege besorgten und die
dadurch andererseits die Möglichkeit besaß, zu zeigen, wie sie es schaffte,
ohne größere Loyalitätseinbrüche auftretende Krisen zu bewältigen.
Politische und wirtschaftliche Krise in Europa ...
SPD/FDP in der Regierungsverantwortung21 organisierten die Gewalt, als sie begriffen, daß Teile der revolutionären Bewegung nicht in die Dynamik des Reformismus einzuspannen waren. Sie verstanden besser als die CDU, daß zunehmend gesellschaftliche Widersprüche auftreten und bewußt werden würden, daß ein berschwappen der Arbeiterkämpfe in anderen europäischen Ländern auf die BRD nicht zu verhindern sei. Wenn schon wirtschaftliche und politische Krisen, soll ihnen zumindest die revolutionäre Spitze abgebrochen werden, bei gleichzeitigen Zugeständnissen, Reformen und Verbesserungen.
Die Situation in anderen europäischen Ländern
in Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, Griechenland, Irland, England, der Pariser Mai22 waren Lehrstücke für die Bourgeoisie. Sie lernte, daß man nicht zögern darf, die Guerilla, die revolutionäre Bewegung bereits im ngsstadium zu zersetzen, zu infiltrieren, zu zerstören. Das heißt
die spezifische Taktik des Staatsapparates leitet sich nicht allein aus der
BRD-Situation ab, sondern aus der Entwicklung im übrigen
Europa.
Die Kräfteverschiebungen im Jahr 1974: der Sturz des Faschismus in
Griechenland23, die Dauerkrise in Italien, eine in den nächsten Jahren
abzusehende Ablösung des Faschismus in Spanien, der Sieg des Volkes in
Portugal24 mit einer radikal-reformistischen Regierung, die drohende
Regierungsübernahme in Frankreich durch Sozialisten/Kommunisten, die
Niederlage des englischen Imperialismus in Nord-Irland25 müssen SPD/FDP in
ihrer Repressionspolitik bestärken. Sie sehen ihre Felle
davonschwimmen!
Im Gefolge der Machtverschiebung in Europa und der Welt hat sich die
ökonomische Krise des Imperialismus vertieft und ergreift beschleunigt auch
die sog. stabilen Länder wie z.B. die BRD. Immer schneller folgen
Konjunkturzyklen, Auf- und Abschwung aufeinander. Die Arbeitslosigkeit
nimmt zu und pendelt sich bei 1 Million ein, einer noch vor kurzem
unfaßbaren Höhe. Die Geldinflation frißt die Lohnzugeständnisse an die
Arbeiter auf: sie ist die Folge der staatlichen Versuche, mit Subventionen
die Krise des Kapitalismus nicht in Form von noch mehr Konkursen, noch mehr
Stillegungen, noch mehr Arbeitslosigkeit auftreten zu lassen. Die
steigenden Rohstoffkosten in der Folge nationalistischer (meist
nationalistisch-reaktionärer) Veränderungen in der Dritten Welt setzen
die Konzerne zusätzlich unter Druck, auch wenn im Moment etwa an der sog.
Ölkrise26 noch kräftig verdient wird.
Insgesamt verengen die ökonomischen Schwierigkeiten den reformistischen
Spielraum, vermindern die Möglichkeit der Befriedung der Arbeiterbewegung
durch wirkliche Zugeständnisse und damit der Isolierung revolutionärer
Politik.
In dieser Periode der Instabilität und Krise, des Zerfalls der NATO27,
eines Zuwachses der revolutionären Kräfte im Mittelmeerraum, aber auch im
übrigen Europa, gewinnt die politische, wirtschaftliche und militärische
Stärke des westdeutschen Imperialismus besondere Bedeutung. Die BRD ist in
Europa das stärkste Glied in der Kette. Instabilität, politische Krise in
Westdeutschland könnten verheerende Folgewirkungen für den Kapitalismus im
Westen haben. Der bundesrepublikanische Imperialismus kann seine Ordnungs-
und Leitfunktion nur erfüllen, wenn er sich den Rücken freihält von
sozialen Unruhen im eigenen Land. Das erklärt die unverhältnismäßige
Reaktion und Repression gegenüber der Linken!
... sind die Ursachen der Repression in der BRD!
Unsere Aktionen liefern keinen Vorwand für diese Repressionen, erst die Hetze des Staates und der Meinungskonzerne bewerkstelligen das. Notfalls benutzt der Staat beliebige Situationen und schafft sich selbst die Vorwände. Es müssen nicht Bomben sein oder Entführungen, es kann auch der Fordstreik28 sein oder die Bewegung in Wyhl29, die Bonner Rathausbesetzung30 der KPD, die 3,7 % des KBW im Rathaus zu Heidelberg, die Chile-Veranstaltung des Sozialistischen Büros.
1951 wurde die Bereitschaftspolizei der BRD aufgestellt wegen
der ständigen Drohungen der KPD. Die Notstandsgesetze31 wurden erlassen,
ohne Vorwand, weil man für den Notfall vorsorgen muß. Verfassungsschutz,
Polizei, Bundesgrenzschutz wurden seit 1969 erheblich verstärkt, der Etat
des Bundeskriminalamtes (BKA) zwischen 1969 und 1974 verzehnfacht, als
Reaktion auf die antiimperialistische Bewegung, die seit 1969 wieder
aufgeflammten Arbeiterkämpfe und die Stadtguerilla-Gruppen.
Die chilenische Organisation MIR hat diese Situation als anhaltende Krise
bezeichnet. Eine anhaltende Krise, weil sie weder in die eine noch in die
andere Richtung schnell lösbar wäre. Der Franzose Poulantzas32 sagt: Aber
ich glaube nicht, daß das Problem heute in Westeuropa heißt: Faschismus
oder Revolution. Das Dilemma besteht vielmehr und das sieht man ganz klar
hier in Frankreich in der Alternative zwischen einer neuen Form des
autoritären Staates- oder einer sozialdemokratischen Lösung-. Die
politische Krise ist noch nicht so reif und so weit fortgeschritten, daß
die Alternative Faschismus oder Revolution lautet. Poulantzas nimmt unter
den gegenwärtigen Bedingungen eine ausgedehnte Periode der Instabilität mit
aufeinanderfolgenden bürgerlichen Regierungen, mit wechselnden Koalitionen
und wechselnden innerparteilichen Kräfteverhältnissen zwischen links und
rechts an usw. Das Hauptcharakteristikum des Faschismus, eine militante
Massenbewegung, ist nirgends in Sicht, auch nicht in Italien.33 Das
schließt staatsfaschistische Entwicklungen nicht aus und die Anwendung
polizeistaatlicher und faschistischer Methoden. Dies kann jedoch nie zur
Niederlage einer entfalteten revolutionären Bewegung führen, wohl zu ihrer
Schwächung, Defensive, zeitweiligen Zurückdrängung.
Die anhaltende Krise drückt sich in der BRD bisher politisch in einer für
uns nicht günstigen Weise aus (z.B. Wahlen). Aber die scheinbar festgefügte
Parteienstruktur, in der sich 25 Jahre lang nichts tat, ist in Bewegung
geraten. Die Identifikation der Bürger mit ihrer Partei, sei es SPD,
FDP, CDU/CSU, ist geringer geworden. Für sie ist die revolutionäre Linke
noch keine Alternative, aber in gewissem Maße haben sie das Vertrauen in
die bürgerlichen Parteien verloren. Die Fortentwicklung des
Vertrauensverlustes zum revolutionären Bruch ist möglich. Gerade in der
wirtschaftlichen Krise, ohne eine wirklich bedeutende revolutionäre Kraft,
haben die Kämpfe in den Betrieben erheblich zugenommen, wenn auch noch
nicht allgemein.
Die internationale Situation und die besondere Notwendigkeit einer
politisch und auch wirtschaftlich stabilen BRD deuten darauf hin, daß die
anhaltende Krise mit einer autoritären Lösung beantwortet wird. In diesem
Zusammenhang ist die starke Repression zu verstehen, die sich noch
vorrangig gegen die Linke richtet und nicht gegen das gesamte Volk.
Die Kämpfe der Arbeiter in der BRD sind noch sehr vereinzelt, wenn sie auch
zunehmen. Die Aktionen der Stadtguerilla und der übrigen revolutionären
Linken sind ein Versuch, diese Krise aufrecht zu erhalten, eine Alternative
aufzubauen, die ökonomische Krise in eine politische zu verwandeln. Wir
machen uns keine Illusionen über die Dauer dieses Prozesses, aber wir
müssen und können ihn beschleunigen, nur gewaltsam kann er aufgelöst
werden.