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Aktion gegen die A+B-Stelle für Roma + Sinti, Köln (November 89)

Uneingeschränktes Bleiberecht für Sinti und Roma!

Als im April 1919 bewaffnete Arbeiter der Münchner Räterepublik das Polizeipräsidium besetzten, da flogen zusammen mit den Akten der politischen Polizei auch tausende von Zigeuner-Personalakten aus den Fenstern und gingen im Hof in Flammen auf. Die revolutionären Arbeiter vernichteten die Aktenbestände der bereits 1899 in Bayern eingerichteten Zigeunerzentrale, die mit den damals verfügbaren modernsten Polizeimethoden und in Zusammenarbeit mit den staatlichen Behörden im ganzen Reich das Ziel einer zentralisierten und totalen Registrierung und Überwachung der in Deutschland lebenden Sinti und Roma verfolgte.

Die Episode wirft ein Licht auf die Tradition, in der die Kölner Sozial- und Ordnungsbehörden siebzig Jahre später eine Zigeunerdatei über alle in Köln lebenden heimatlosen Roma angelegt haben. Seit 1986 wurden im Rahmen des sogenannten Kölner Modells der Roma-Betreuung umfangreiche Daten gesammelt, die sämtliche Lebensbereiche der Kölner Roma erfassen. Im Zusammenspiel von Ordnungs- und Sozialbehörden, Staatsanwaltschaft, Polizei und Justiz diente das Material nicht nur dazu, im tagtäglichen Kleinkrieg von Kontrolle, Diskriminierung und Terrorisierung den Roma das Überleben so schwer wie möglich zu machen. Es begründet heute die Forderung und Androhung der Abschiebung gegen Roma-Familien durch die Kölner Sozialbehörde und das Ausländeramt.

Wir sehen den Skandal dieses Vorgangs nicht in dem einen oder anderen Verstoß gegen den Datenschutz, vielmehr in der Normalität und Kontinuität der rassistischen Sondererfassung und Sonderbehandlung, der die Roma immer noch ausgesetzt sind.

Wer sich auch nur im Ansatz mit der Geschichte der Verfolgung von Sinti und Roma in Deutschland beschäftigt, dem erscheint die fast bruchlose Kontinuität unfaßbar, mit der die gleichen Institutionen der Verfolgung unter wechselnden Namen, aber mit den immer gleichen Methoden, Inhalten und Personal den sozialen Krieg gegen die Zigeuner organisierten, um durch Zwangsassimilierung, Kriminalisierung, Vertreibung und die schließliche Vernichtung im Nationalsozialmus ihre Lebensgrundlage und Lebensweise zu zerstören. Das Instrumentarium der lückenlosen Ausforschung, Überwachung und Sozialkontrolle war dabei immer Basis und Vorausetzung für alle weiteren staatlichen Maßnahmen zur Drangsalierung, die im Völkermord an einer halben Million Sinti und Roma ihren Höhepunkt fand.

Die Bestände der Münchener Zigeunerzentrale, deren Akten den revolutionären Arbeitern in die Hände gefallen waren, wurden nach Niederschlagung der Räterepublik schnell wieder aufgebaut. Ihre Tätigkeit läßt sich bis in den Nationalsozialismus weiterverfolgen, wo sie durch Erlaß Himmlers35 in die Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens als Teil des Reichskriminalpolizeiamtes und des Reichssicherheitshauptamtes überführt wurde. Die Aufgaben der modernisierten und neustrukturierten Reichszentrale bleiben dieselben. Der Bruch, den der NS markiert, liegt darin, daß er der alltäglichen verwaltungsmäßigen Repression den Vernichtungswillen hinzufügte, der die Sinti und Roma in die Gaskammern und vor die Gewehrläufe der Einsatzgruppen36 in den besetzten Gebieten zwang. Gleichzeitig stellte der NS die bisherige rassistische Verfolgung durch die Verstaatlichung der Rassentheorie und Rassenforschung auf eine wissenschaftliche Grundlage.

Zum wichtigsten Instrument der Verfolgung der Zigeuner im NS wurde die Rassenhygienische und erbbiologische Forschungsstelle des Dr. Ritter, die ab 1937 im Auftrag und mit Unterstützung des Reichssicherheitshauptamtes die Rassische Erforschung und Selektion der Sinti und Roma vorantrieb. Die Gutachten und Empfehlungen des Rassenhygieneinstituts bstimmten richtungsweisend alle staatlichen Maßnahmen der Ausgrenzung, Umsiedlung, Deportationen, Ghettoisierung, Zwangssterilisierung und am Ende den Völkermord an Sinti und Roma. Der weitgehende Abschluß der wissenschaftlichen Erfassung und rassischen Begutachtung und die darauf aufbauenden Empfehlungen bildeten die Datenbasis für Himmlers Auschwitz-Erlaß, mit dem die systematische Deportation der deutschen und europäischen Sinti und Roma in die Vernichtungslager begann.

Das Instrumentarium und Personal der Zigeuner-Verfolgung überlebte den NS beinahe bruchlos. Der Geist der Ausmerze bestimmte auch nach 1945 das Vorgehen gegen die Sinti und Roma in Deutschland. Schon 1953 wurde in Bayern die Landfahrerzentrale beim LKA unter Leitung von Josef Eichberger im RSHA der hauptverantwortliche Organisator von Zigeuner-Deportationen eingerichtet. Sie arbeitete auf der gesetzlichen Grundlage der von den Alliierten bis dahin aufgehobenen Landfahrerordnung, mit der die überlebenden Sinti und Roma nun wieder sondererfaßt und -behandelt wurden.

Teile der NS-Zigeunerakten, die die Unterlagen zur Planung und Durchführung des Völkermordes an Sinti und Roma bildeten, gelangten in den Besitz der gerade eingerichteten Landfahrerzentrale. Sie dienten der Reorganisation des polizeilichen Überwachungssystems auf der Basis der Erkenntnisse der nazistischen Zigeunerforschung. Gleichzeitig stellt das LKA in München den Ritter-Schülern NS-Rasseakten als empirisches Material für ihre wissenschaftlichen Abhandlungen zum Zigeunerproblem zur Verfügung. Aus diesem Personal rekrutierten bis in die 70er Jahre das Bundesinnenministerium und das Bundesgesundheitsministerium ihre Berater in Zigeunerfragen. Die bayrische Landfahrerzentrale wurde zwar 1970 offiziell aufgelöst. Die polizeiliche Überwachung und Verfolgung der Sinti und Romas speist sich aber noch bis heute aus dem Material, Methoden und Inhalten der Zigeunerexperten jener Tage. Ihr Wissen ist für die Herrschenden umso wichtiger, als im Zuge der sozialen und politischen Veränderungen in Europa die Anwesenheit von Sinti und Roma in der BRD wieder aktuell wird.

In den letzten Jahren kamen sie besonders aus den südosteuropäischen Ländern auf der Flucht vor staatlich betriebener und geduldeter Verelendung, Verfolgung, Diskriminierung und Vertreibung. In den nächsten Jahren erwarten die europäischen Sozial- und Bevölkerungsplaner im Zuge der Herstellung des Großraums Europas den Zuzug weiterer Zigeunergruppen aus den Südregionen der EG. Sie wollen in ihnen diejenige europäischen Bevölkerungsgruppe ausgemacht haben, die am schnellsten wächst und aufgrund ihrer Mobilität auf der Flucht vor Arbeitslosigkeit und Verelendung am ehesten in den reicheren Norden drängt. Offen und unverhohlen wird deshalb auch die gegenwärtige Politik der Vertreibung südosteuropäischer Sinti und Roma mit der Furcht vor dem Nachzug vieler Tausend begründet, wenn den bereits Ansässigen erst ein Bleiberecht eingeräumt wird.

So schändlich die rassistische Behandlung der Sinti und Roma in den Ländern des real existierenden Sozialismus auch ist, der Teufelskreis aus Verelendung, Vertreibung und Flucht ist für sie im freien Westen nicht aufgebrochen. Nur die wenigsten von ihnen besitzen hier einen gesicherten Aufenthaltsstatus. Für die meisten ist das Leben in polizeilich überwachten Lagern und auf Stellplätzen, miserable Existenzbedingungen, ständige Schikanen durch Behörden und Bevölkerung und die Unklarheit über das weitere Schicksal Realität. Unbemerkt von der Öffentlichkeit versuchen die Ausländerbehörden seit Jahren, die hierher geflohenen Sinti und Roma wieder loszuwerden. Die Abschiebungen wurden z.B. in Hamburg und NRW immer nur für kurze Zeit und nur unter dem Druck und durch den Widerstand der Betroffenen und ihrer Unterstützer ausgesetzt, während anderswo weiter abgeschoben wurde.

Eingekeilt in die Alternative: Zwangsassimilierung oder Vertreibung setzen die Behörden Sinti und Roma sozialpädagogischen und polizeilichen Sondermaßnahmen aus, bei denen die Betreuung oft zur Vollzugshilfe für Polizei und Abschiebungen wird. Dabei ist von vornherein klar, daß nur wenige auf einen gesicherten Aufenthalt hoffen können. Das Bleiberecht ist an kaum erfüllbare und im Ermessen der Behörden stehende Kriterien der Zwangsintegration und -assimilierung gekoppelt, mit dem die Verantwortlichen über ein Selektionsinstrument und ein abgestuftes System der Hierarchisierung und Kontrolle verfügen, das darüber entscheidet, wer bleiben darf und wer nicht. Im Wissen um die Langlebigkeit einmal erhobener Daten (NS-Akten wurden noch in den 80er Jahren EDV-isiert) haben wir uns in den Besitz von Aktenbeständen der Kölner Anlauf- und Beratungsstelle für ethnische Minderheiten gebracht. Wir haben gleichzeitig der Forderung der Roma und ihrer Unterstützer nach Schließung der Projekte des Kölner Modells Nachdruck verliehen, indem wir die Räumlichkeiten und das zurückgebliebene Material in Flammen gesetzt haben.

Die A+B-Stelle, dem Kölner Ordnungsamt unterstellt, ist eines der beiden Projekte, in dem die Ausforschung der Roma organisiert wurde. In rund 80 Ordnern wurden hier Sozialdaten über Lebensgewohnheiten, Personen und Familienstrukturen der Kölner Roma festgehalten. Aus dem gesammelten Material haben sich Polizei und Ausländerbehörden bedient und ihre Informationen im Kleinkrieg gegen die Roma bezogen. Seit Anfang August steht die Androhung der Abschiebung durch die Kölner Ausländerbehörden im Raum: begründet und legitimiert mit den Erkenntnissen der A+B-Stelle.

Es erübrigt sich fast, darauf hinzuweisen, daß das Asylrecht als Teil des Instrumentariums der Ausgrenzung und Abschottung gegen Sinti und Roma funktioniert: ohne jede Aussicht auf Erfolg und entgegen den realen Gründen und Ursachen, die sie zur Flucht aus den Herkunftsländern veranlaßt haben, durchlaufen Sinti und Roma das Anerkennungsverfahren als politisch Verfolgte. Danach steht ihr Aufenthalt zur Disposition der Ausländerbehörden. Wenn die Abschiebungsmaßnahmen gegen Sinti und Roma in den nächsten Wochen wieder aufgenommen werden, dann wird ein gespenstisches Szenario wahr: die Züge in die Freiheit37, mit denen die DDR-Bürger in die BRD gelangen, kreuzen sich an den Grenzen nach Osteuropa mit den Deportationszügen, die Sinti und Roma in die verelendeten Regionen Europas transportieren.

Das restriktive Asylrecht und die ethnisch-völkisch legitimierten Aufenthaltstitel der Staatsbürgerschaft erweisen sich denn einmal mehr als selektives Instrument der Einwanderungskontrolle in den Händen der Herrschenden, die Flüchtlinge entlang rassistischer und nationalistischer Kriterien spalten und entscheiden, wem die Segnungen der westlichen Freiheit und Demokratie zustehen und wem nicht. Was bedeutet Freizügigkeit für die Arbeitsemigranten aus Nicht-EG-Ländern, für die vom Giftgas vertriebenen Kurden oder diejenigen, die in den Hunger- und Bürgerkriegsregionen ums nackte Überleben kämpfen?

Die Ausgrenzung und Abschottung der Elendsflüchtlinge und die großzügige Aufnahme der DDR-Bürger sind nur ein scheinbarer Widerspruch: Beide sind Manövriermasse in den Planungen von Staat und Kapital, mit dem der Wohlstand der imperialistischen Metropolen gegen die Ansprüche der Armen gesichert und gleichzeitig durch Einordnung der Menschen in die Hierarchie der Ausbeutung erst geschaffen wird.

Im sozial- und bevölkerungspolitischen Kalkül der Herrschenden eignen sich die gut ausgebildeten Facharbeiter aus der DDR, die seitenlang in den Spalten der Bild-Zeitung vom Kapital angeheuert werden, allemal besser zur Sanierung der Sozial- und Rentenversicherungen als die Armut aus den verelendeten Regionen der Welt, die diffamiert werden, sich nur in der BRD aus dem Sozial- und Arbeitsamt der Welt bedienen zu wollen. Daß die Flüchtlinge aus den Ländern der Dritten Welt, die trotz aller Abschottung den Weg hierhergefunden haben, dem Arbeitszwang durch illegale Beschäftigungen und den neuesten staatlichen Planungen zur Vernutzung am untersten Ende der Ausbeutungshierarchie ausgesetzt werden, steht hierzu nicht im Widerspruch.

In einer Situation der nationalistischen Begeisterung und Besoffenheit, in der die Träume großdeutscher und das heißt imperialistischer Lösungen wieder ernsthaft erwogen werden, wird es darauf ankommen, den sozialen Widerstand zu rekonstruieren. Den Widerstand gegen die Umstrukturierungsmaßnahmen, mit denen die Sozialplaner den globalen Klassenwiderspruch unsichtbar machen sollen. Diesem Ziel dient die Verwandlung Europas in eine Festung gegen Armutsflüchtlinge genauso wie die rassistische Hierarchisierung und Selektion der Flüchtlinge und Einwanderer durch Verteilung von Wohnraum, Arbeit und Sozialleistungen. Es wird notwendig sein, der rassistischen und nationalistischen Mobilisierung und Besetzung der Flüchtlings- und Ausländerthematik durch staatliche und rechtsradikale Abgrenzungs- und Abschottungspopulisten Aktionen entgegenzusetzen, die diejenigen zum Anknüpfungspunkt nehmen, deren Existenz und Überleben hier und in den Drittweltländern in Frage gestellt wird.

Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Nationen, sondern zwischen oben und unten!

Aktion gegen die Zigeunerdatei der Kölner A+B-Stelle (November 89)

Mit unserer Aktion gegen die Anlauf und Beratungsstelle für ethnische Minderheiten in Köln haben wir der öffentlich erhobenen Forderung der Roma und ihrer Unterstützergruppen nach Schließung der städtischen Roma-Projekte Nachdruck verliehen.

In dieser Stelle wurden im Rahmen des Kölner Modells der Roma-Betreuung umfangreiche Daten gesammelt, die sämtliche Lebensbereiche der Kölner Roma erfassen.

Bevor zwei von uns hinterlassene Brandsätze das Projekt in Flammen aufgehen ließen, haben wir umfangreiches Material mitgenommen. Nach unserem Aktenstudium hat sich unsere Einschätzung, daß es sich bei der Kölner A+B-Stelle um eine der umfangreichsten Zigeuerdateien in der BRD handelt, bestätigt.

Wir haben uns entschlossen, einen kleinen, aber wesentlichen Teil der geklauten Aktenberge zu dokumentieren und zu veröffentlichen, um exemplarisch deutlich zu machen, wie unter dem sozialarbeiterischen Mäntelchen der Betreuung von Flüchtlingen eine Sondererfassungsstelle zur Registrierung, Kontrolle und Aussonderung von Roma und Sinti eingerichtet wurde. Innerhalb eines Jahres gelang es den Schreibtischtätern in der Kölner Liebigstraße, sämtliche in Köln lebende Roma + Sinti zu erfassen.

Das vorgefundene Material besteht im wesentlichen aus der eigentlichen Datei und aus einer umfangreichen Sammlung verwaltungsinterner Strategie- und Konzeptionspapiere, der Korrespondenz der beteiligten Behörden und den Tagesprotokollen der Sozialbullen über den gesamten Lebensbereich der Roma.

Die Zigeunerdatei besteht aus drei verschiedenen Erfassungsformen:

Personalakten: Die rund tausend personenbezogenen Handakten, von denen wir nur einen Teil mitnehmen konnten, beinhalten im wesentlichen Fotokopien von Ausweispapieren, Lichtbildern. In Beratungs-Protokollen werden die jeweiligen Familienzusammenhänge festgehalten. Außerdem sind in den Akten verschiedene Recherchen bei anderen Ämtern, z.B. Wohnungsämtern und Justizbehörden gesammelt.

Personenkartei: Diese rund tausend Karteikarten beinhalten den Namen, die Geburtsdaten sowie die Angehörigen. Daneben wurden sämtliche straffällig gewordenen Romakinder mit Datum und Delikt erfaßt.

Ausweiskopien:Zusätzlich wurden alle Ausweise, die an diejenigen Roma und Sinti, die auf dem Schiffhof37a leben und eine befristete Aufenthaltserlaubnis haben, ausgegeben worden sind, fotokopiert und gesammelt. Diese Ausweise enthalten ebenfalls alle ein Lichtbild.

Aus den gefundenen Unterlagen geht hervor, daß folgende Personen die Hauptverantwortlichen für die Errichtung der Landfahrerzentrale sind:

Rossa, Oberstadtdirektor

Kappius, Beigeordneter Ordnungsbehörden

Ruschmeiner, Beigeordneter Soziales

Häger, Leiter Amt für öffentliche Ordnung (32)

Arntz, Stellv. Leiter Amt für öffentl. Ordnung (32)

Hohn, Leiter der Ausländerabteilung (323)

Luhr, Ausländeramt (323)

Weber, Asylgruppe Ausländerabteilung (323)

Spital, Leiter der A+B-Stelle (320/2)

Pyro, A+B-Stelle (320)

Delens, A+B-Stelle (320)

(A+B-Stelle steht für Anlauf- und Beratungsstelle für ethnische Minderheiten.)

Nachdem seit Mitte der achtziger Jahre immer Roma und Sinti nach Köln kamen, haben die Verantwortlichen der Ordnungs- und Sozialbehörden nach Wegen gesucht, wie sie sich diese Leute wieder vom Hals schaffen können, bzw. wie sie einen weiteren Zuzug unterbinden können. In diesem Zusammenhang hat ein von der Verwaltung eingerichteter Arbeitskreis (AKEM) in Zusammenarbeit mit Zigeuner-Spezialisten aus dem Caritasverband ein Konzept entwicket, den Zuzug von Roma und Sinti zu verhindern und einen kleinen Teil der in Köln lebenden Familien zu integrieren. Neben dem Roma-Kinderprojekt ist die Anlauf- und Beratungsstelle die zentrale Stelle in diesem Projekt. Die Verantwortlichen verkaufen das ganze Projekt als Hilfe für die Betroffenen, die Praxis sieht jedoch anders aus.

Wie wir aus den Unterlagen rekonstruieren konnten, besteht die alltägliche Praxis im wesentlichen darin

in Zusammenarbeit mit den Bullen, der Presse und dem Jugendamt die Romakinder als Kriminelle zu stigmatisieren;

den Bullen, Ausländer- und Sozialbehörden Hilfestellung für die Identifizierung von Roma und Sinti zu geben;

das soziale Geflecht und die Zusammenhänge zu entschlüsseln (Sippenforschung);

es findet ein permanenter Datenaustausch aller mit den Roma und Sinti befaßten Behörden statt, vom Ausländerzentralregister bis zu den Mitarbeitern eines privaten Wachdienstes auf dem Stellplatz;

die untersten Chargen der Macht, die für die unmittelbare Überwachung und Kontrolle zuständig sind, sind die wichtigsten Informationsbeschaffer an der Basis, die sämtliche Lebensäußerungen dokumentieren und für die Behörden relevante Informationen weitergeben;

dazu hat die Adlerwache (priv. Wachschutz) im Tag- und Nachtdienst den Stellplatz der vorübergehend geduldeten Roma und Sinti überwacht und diese Informationen an die A+B-Stelle weitergegeben;

und die Sozialwachtel Delens akribisch Tagebuch über alle Lebensäußerungen geführt;

die Errichtung kontrollierter Lagerplätze und Asylheime ist wesentliche Bedingung für die lückenlose Überwachung und Kontrolle. Es sind die Bewährungslager für all diejenigen Roma und Sinti, die integrationsbereit sind;

die weitere Kontrolle der integrationswilligen Roma wird durch Patenschaften gewährleistet;

nach dem Prinzip Teile und Herrsche werden Widersprüche zwischen den Familien geschürt und einzelne kooperationsbereite Familien funktionalisiert;

bestürzt haben wir festgestellt, wie weit die Unterstützergruppen in das Gesamtkonzept mit einbezogen werden.

Die in der A+B-Stelle entwendeten Akten sind in der von der Berliner Zeitschrift Interim unter dem Titel Interdoku im Dezember 1991 in Auszügen veröffentlich. Gleichzeitig gibt es eine umfassende Dokumentation von Akten zu zentralen Anlauf- und Beratungsstellen ethnischer Minderheiten- von den Revolutionären Zellen selbst.

Aktion gegen die Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Hamburg (November 89)

Wer erinnert sich nicht an die Demonstration der Roma und Sinti vor dem Rathaus am 2. Oktober. Die Polizei hatte das Klinkerwerk in Neuengamme geräumt, und die Busse waren von der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) zum Abtransport bereitgestellt. Aber die Roma zogen mit ihrer Habe die 35 km zum Rathausplatz. Knüppelnde Polizei schlug dort auf Frauen und Kinder ein. Es gab eine Sitzblockade, Decken und Nahrung wurde benötigt. Während der erste Lastwagen aus der Hafenstraße mit Decken und Matratzen eintraf, äußerte sich SPD-Sozialsenator Ortwin Runde Erstens seien alle Decken an die Übersiedler aus der DDR ausgegeben worden. Und selbst, wenn er welche hätte, er würde sie den Zigeunern nicht geben.

Das Zusammenspiel zwischen Runde und Hackmann38 hat in der Asylfrage und in Bezug auf die Roma und Sinti Tradition. Die Senatsvorlage zur Entscheidung über die Behandlung der Roma und Sinti wurde im August in der BAGS erarbeitet. Sie wurde in der Innenbehörde verschärft und von beiden verantwortlichen Senatoren vorgelegt. Nach dieser Vorlage sollten nur etwa 150 Roma und Sinti, die bereits 4 Jahre in Hamburg leben, bleiben dürfen, während alle übrigen zur Abschiebung freigegeben werden.

Mit diesen 150 sollte nach dem Kölner Modell verfahren werden: 5jährige Bewährungszeit mit intensiver sozialarbeiterischer Kontrolle, Integration durch Arbeit und kulturelle Anpassung. In der Kölner Erfassungsstelle für Roma und Sinti wurden Spitzelberichte der Sozialbürokratie gesammelt und an das Ausländeramt weitergebeben. Das ermöglichte einen kontinuierlichen Selektionsprozess durch Abschiebung. Dieser Erfassungsstelle galt der Anschlag in Köln.

Am 9. November wurden von vielen eine günstige Entscheidung des Hamburger Senats zum Bleiberecht für Roma und Sinti erwartet. In Wirklichkeit war die Entscheidung schon längst gefallen. Der Senat zog es vor, das Echo auf die offene DDR-Grenze auszunutzen und das Thema aus den Schlagzeilen zu nehmen. Stillschweigend wird nach dem sozialdemokratischen Selektionsmodell verfahren:

Auf der Innenministerkonferenz brüstete sich Innensenator Hackmann, daß zwar die CDU/CSU schärfere Gesetze fordere, jedoch kein Bundesland über eine so effiziente Abschiebepolitik verfüge wie Hamburg. Die Abschiebepolitik wurde auf der Grundlage der BAGS-Vorlage schon ab Anfang September in die Tat umgesetzt.

Die Öffnung der Grenze für die Trabi-Kolonnen und die Umarmungsszenen auf der Mauer haben ihr Gegenstück in der rassistischen Selektion von Flüchtlingen. Wer nicht deutschen Bluts ist, wird abgeschoben oder kommt zur Bewährung und Assimilation ins Lager.

Roma und Sinti sind ein in Europa lebendes Volk ohne Grenzen. Schon immer waren sie Zielpunkt rassistischer Ideologie und der Vernichtung und Deportation ausgesetzt. Aber gegen den staatlichen Rassismus sozialdemokratischer Machart gibt es im Schatten der deutschen Frage zum ersten Mal wieder die Hoffnung, daß das faktische Bleiberecht für Flüchtlinge von vielen Menschen durchgesetzt wird. Wir fühlen uns mit all denen, die Roma und Sinti heute unterbringen, herzlich verbunden.

Unser Anschlag auf die BAGS (Abteilung Grundsatzfragen für Ausländerpolitik) gilt der Behörde, die für die sozialdemokratische Lösung des Zigeunerproblems in Hamburg verantwortlich ist.

Fehlgeschlagener Anschlag gegen das Amt für öffentliche Ordnung, Köln (Mai 90)

Wir haben am 5.5. das Amt für öffentliche Ordnung in Köln mit einem Sprengsatz angegriffen. Der Big Bang blieb aus. Die Aktion ist fehlgeschlagen.

Wir bedauern diesen Fehlschlag sehr, weil das Amt für öffentliche Ordnung das administrative Zentrum des Vorgehens gegen ImmigrantInnen, Flüchtlinge und die in Köln ansässige Roma-Bevölkerung ist. Geplant war unsere Aktion als militante Antwort auf die bundesweite Großrazzia gegen Roma von Anfang April.

Die Polizeiaktion von April zielte auf die Einschüchterung der Roma-Bevölkerung, auf Spaltung der Unterstützerbewegung und beackerte nicht zuletzt das gesunde Volksempfinden, indem die Verantwortlichen ein Klima schaffen, das weitere Repressionsmaßnahmen bis hin zur Deportation der Roma in ihre Heimatländer zuläßt. Was die Betroffenen dort erwartet, läßt sich leicht erahnen, wenn die nationalistischen Pogromaufrufe etwa in Rumänien, der Tschechoslowakei oder Jugoslawien nur zur Kenntnis genommen werden.

Wir beziehen uns mit unserer Aktion gleichzeitig auf den Widerstand gegen das neue alte Ausländerrecht, das beim Amt für öffentliche Ordnung täglich gegen ImmigrantInnen und Flüchtlinge exekutiert wird. Mit dem neuen Ausländergesetz haben sich die Herrschenden ein Instrument geschaffen, das die Abschottung vor weiterer Zuwanderung perfektioniert, die Ausgrenzung der Nichtdeutschen fortschreibt, den Anpassungsdruck erhöht und alle Mittel zu ihrer Vertreibung bereitstellt.

Weg mit dem rassistischen und sexistischen Ausländerrecht!

Schluß mit der Terrorisierung der Roma!

Bleiberecht! Grenzen auf für alle!

Aktion gegen die Staatskanzlei und das Ministerium für Arbeit und Soziales, Düsseldorf (Januar 91)

Rassistische und sexistische Angriffe gegen Roma in Osteuropa

Die Unterdrückung der Roma in den osteuropäischen Staaten hat eine lange Geschichte. Sie wurde in den 45 Jahren des Realen Sozialismus keineswegs aufgeknackt. Im Gegenteil, rassistische und sexistische Politik von oben sorgten zum einen dafür, daß die Roma auch weiterhin diejenigen waren, denen es wirtschaftlich am schlechtesten ging, zum anderen trug sie sicher nicht dazu bei, dieses Gedankengut in den Köpfen der Menschen zu verändern. Durch die Entwicklung der letzten Jahre, der immer stärkeren kapitalistischen Durchdringung dieser Staaten, spitzte sich für die Roma die Situation noch mehr zu. Sie trifft die wirtschaftliche Lage am härtesten. In ganz Jugoslawien, z.B. besonders im Kosovo, droht den Roma die wirtschaftliche Existenzvernichtung, die Lebenshaltungskosten haben sich dort innerhalb eines Jahres versiebenfacht, während der Reallohn nur um 6 % stieg, die Preissteigerung z.B. bei Brot ist 655 %, bei Zucker 1608 %. Die Arbeitslosenqote unter den Roma liegt bei ca. 90 % (Statistiken gibt es nicht), Krankenversicherungen sind für die Familien unerschwinglich. In Schultka, jenem Ghetto bei Skopje, in das die nordrhein-westfälische Landesregierung 1.400 Roma auf freiwilliger Basis reintegrieren will, leben 40.000 bis 50.000 Roma oft ganze Familien in Hütten aus Lehm und Blech, ohne Wasser, Strom, Heizung und Kanalisation.

Doch wenn wir von Migrationsbewegungen reden, mit denen die neu entstehende osteuropäische Armutsbevölkerung, ihrer Lebensgrundlage beraubt, nach Überlebensmöglichkeiten in Westeuropa sucht, dann stellt dies im Zusammenhang mit den Roma nur einen Teil der Gründe dar, die sie dazu zwingt, hierher zu kommen. Zunehmend sind sie in ihren Herkunftsländern mit sowohl staatlich betriebenem oder geduldetem Rassismus wie auch mit Pogromen von Seiten nationalistisch gesinnter Teile der Bevölkerung konfrontiert und die Roma-Frauen mit permantenten brutalen sexistischen Angriffen.

Ich war gerade draußen, um Wasser zuholen, und als ich zurückkam, sah ich, wie meine beiden Töchter von den Polizisten vergewaltigt wurden. Wir haben es wieder den Behörden gemeldet. Sie sagten: Ach, ihr Zigeuner, immer das gleiche mit euch.

Meine Kinder, die noch in Jugoslawien sind, und ich telefonieren oft zusammen. Sie flehen mich an, auch nach Deutschland kommen zu dürfen. Sie sagen mir jedesmal, daß die Lage in Jugoslawien noch viel schlimmer geworden ist. Meine Tochter hat mir am Telefon gesagt: ganz egal, welcher Mazedone oder Polizist vorbeikommt, ich muß mit ihm schlafen ...

(Aus einem Gesprächsprotokoll der Roma-Union mit einer Frau aus Skopje, Mazedonien.)

Von solchen Angriffen berichten fast alle Roma-Frauen, die aus Jugoslawien kommen. Welchen, die schon einmal hier in der BRD waren, einen Asylantrag stellten und dann wieder abgeschoben wurden, droht der Tod. Sie werden direkt am Ankunftsflughafen von den Bullen abgeholt und in den Knast gesteckt. Von einigen ist seither nichts mehr bekannt, sie haben sich seit ihrer Abschiebung nicht mehr gemeldet ...

In Bulgarien wurden 1954 knapp 200 Kulturvereinigungen einer antifaschistischen Romaorganisation geschlossen, zahlreiche Roma wurden als soziale Parasiten in Lager eingewiesen und umgebracht. In den letzten Jahren wurden viele Romadörfer zerstört, die BewohnerInnen getrennt und in Wohnblocks untergebracht. Als 1989 die bulgarischen TürkInnen in die Türkei vertrieben wurden, befanden sich unter ihnen zahlreiche Roma. Sie wurden von den türkischen Behörden sofort wieder zurückgeschickt.

In der Tschechoslowakei wurden tausende Roma-Frauen zwangssterilisiert. Oft direkt nach einer Geburt, ohne ihr Wissen, schon gar nicht mit ihrem Einverständnis wurden sie in den örtlichen Krankenhäusern sterilisiert.

Unabhängig davon wurden viele durch die Ausnutzung ihrer Situation, dem wirtschaftlichen Überlebensdruck, zur Sterilisation gebracht. Seit 1966 existiert in der CSFR ein Gesetz, das Frauen die Sterilisation möglich macht. Sie müssen zum Zeitpunkt der Operation mindestens 35 Jahre alt sein und schon 3 Kinder zur Welt gebracht haben ... Dieses Gesetz wurde 1986 modifiziert. Seither können sich Frauen ab 18 Jahren sterilisieren lassen und bekommen dafür bis zum 25.000 Kronen (ungefähr das zehnfache eines guten Monatsgehaltes). Roma-Frauen erhalten mehr Geld als Nicht-Roma. Und je jünger die Frauen, je weniger Kinder sie bereits haben (plötzlich interessieren die 3 Kinder niemanden mehr), umso höher ist die Geldsumme, die sie erhalten. Diese direkten oder indirekten Zwangssterilisationen sind nichts anderes als rassistische Bevökerungspolitik mit dem Ziel, die Roma langfristig auszurotten.

In Rumänien agiert die faschistische Organisation Vatra Romaneasca mit stillschweigender Unterstützung der neuen Regierung offen gegen die Roma. Sie rief schon zum blutigen Kampf gegen die Zigeuner auf. Auch in Ceausescus39 Zeiten waren sie in Rumänien massiver Repression ausgesetzt. Zugunsten agro-industrieller Zentren wurden u.a. auch Roma aus ihren Häusern gezwungen, die Häuser zerstört und die Familien umgesetzt oder ihrem Schicksal überlassen. Die Behörden Ceausescus führten jahrelang Übergriffe gegen Roma aus und verschleppten sie zur Zwangsarbeit ins Donaudelta, wo sie wie Angehörige anderer Nationalitäten starben.

Dies waren nur einzelne Beispiele, die verdeutlichen sollen, wie die Roma in ihren Herkunftsländern mit rassistisch/sexistischer Unterdrückung konfrontiert sind. In der Hoffnung, diesen Angriffen zu entgehen, kommen sie nach Deutschland, in ein Land, in dem vor fünfzig Jahren ungefähr eine halbe Million ihrer Eltern und Großeltern von den Nazis ermordet wurden. Um geplanten Abschiebungen zu widerstehen, haben in Hamburg vor 2 Jahren Romafamilien ein ehemaliges KZ, die Stätte dieser Vernichtung besetzt. Und heute entscheiden saubere deutsche Beamte über die Zumutbarkeit einer Rückführung, entscheiden deutsche Männer darüber, ob sich Roma-Frauen von Männern in ihren Herkunftsländern bedroht fühlen oder nicht. Sorgen wir dafür, daß diese Schreibtischtäter ihre Drecksarbeit nicht ungestört durchziehen können und vor allem dafür, daß Abschiebungen verhindert werden.

Vor nahezu einem Jahr haben Roma mit einem Bettelmarsch von über tausend Menschen zu Fuß durch NRW gegen ihre rassistische Unterdrückung und Verfolgung protestiert. Diese wochenlange Demonstration sollte ihrer Forderung nach einem Bleiberecht Nachdruck verleihen. Ende Januar 90 brachen die Roma den Marsch ab, nachdem ihnen die Regierung Rau zugesichert hatte, daß alle bleiben könnten, die in einem neuen Aufenthaltsverfahren ihre de-facto-Staatenlosigkeit glaubhaft machen können. Obwohl diese Vereinbarung bereits an selektive Kriterien und Bedingungen (u.a. Integrationsbereitschaft, längerer Aufenthalt) gebunden war, schien sie doch den Roma ein Bleiberecht zu sichern.

Mit dem Kabinettsbeschluß vom 4.12.90 hat die Regierung Rau40 die Vereinbarung endgültig gekippt und jede Hoffnung auf ein Bleiberecht, zumindest für einen Teil der hierher geflüchteten Roma, zunichte gemacht. Der Skandal eines als neue Flüchtlingspolitik etikettierten Deportationsprogramms ist nicht der Wortbruch eines Ministers. Die jetzt unmittelbar bevorstehende Abschiebung der Roma, die am Bettelmarsch teilgenommen haben, ist nur ein Teil eines umfassenden Programms, das darauf aus ist, NRW (und später auch die gesamte BRD) zigeunerfrei zu machen. Das Abschiebeprogramm, dem nach Ablauf der Asylverfahren nach und nach alle 5.000 Roma aus NRW unterworfen werden sollen, wird flankiert von einer sozialpolitischen Offensive, mit der die Roma rausgeekelt werden sollen.

Die neue Flüchtlingspolitik der SPD-Landesregierung ist die administrative Umsetzung und Verallgemeinerung einer gezielt rassistischen Politik im letzten Jahr, die die nationalistische Stimmung in Großdeutschland gegen die aus Osteuropa geflohenen Roma bündelt und sozialpolitisch mit Ausgrenzung und Druck gegen sie durchsetzt.

Im Sommer waren es die Sozialverwaltungen der Städte, die aktiv als kämpfende Verwaltung das Instrumentarium zur Vertreibung der Roma erprobten. Streichungen von Sozialhilfe, Zelt- und Containerlager, Naturalienzuweisung waren die Mittel, mit denen die Zigeunerfrage sozialtechnisch inszeniert wurde und den Boden bereitete, mit der verhetzte Bürger und bezahlte Schlägertrupps gegen die Roma mobilisiert wurden. In diesen Wochen und Monaten zeigte das sich wiedervereinigte Deutschland seine rassistische Fratze.

Was zunächst als Einzelmaßnahme exekutiert wurde, faßte das Ministerium für Arbeit-, Gesundheit- und Sozialordnung (MAGS) und die Staatskanzlei auf Betreiben der flüchtlingsfeindlichen Forderungen kommunaler Verwaltungsspitzen in einem Katalog repressiver Sozialmaßnahmen zusammen, mit denen das Leben der Roma und der Flüchtligen insgesamt unerträglich gemacht wird. Beide Institutionen fungieren in diesem Prozeß als die Planungszentren einer endgültigen Bereinigung der Zigeunerfrage in NRW. Sie bestimmen und geben die Systematik vor, mit der die Sozialverwaltungen und Ausländerbehörden den politischen Druck umsetzen, um die Vertreibung der Roma durchzusetzen.

Während das MAGS die Speerspitze der sozialpolitischen Abschreckung darstellt, wurde im Kabinett und in der Staatskanzlei das Rückführungsprojekt nach Jugoslawien ausgeheckt. Wieder einmal tut sich die SPD mit einer verschärften Abschottungspolitik hervor und übernimmt die Vorreiterrolle. Erinnert sei hier an die sozialdemokratischen Bemühungen von 1987, das Berliner Loch durch einen Kreditvertrag mit der DDR zu stopfen. Und auch diesmal ist es als Kernpunkt wieder ein Kreditvertrag, heute mit der jugoslawischen Regierung, der Massendeportation von mehreren tausend Roma nach Skopje möglich machen soll. Zwar wird das Reintegrationsprogramm mit Millionenbeträgen flankiert, die jedoch in einem ökonomischen Nutzenkalkül mit den hier entstehenden Kosten aufgerechnet werden und die darüber hinwegtäuschen sollen, daß die Roma gegen ihren Willen in die gleiche Not- und Verfolgungssituation zurückgebracht werden, aus der sie geflohen sind. Es bedeutet einen grenzenlosen Zynismus, die Roma in ein Land zu schicken, das sich in einem unübersehbaren Auflösungsprozeß befindet und in dem die Verfolgung von ethnischen Minderheiten sich in rassistischen Pogromen und staatlich betriebenen oder geduldeten Zwangsmaßnahmen entlädt.

Als Kern des Rückführungsprogramms bleibt der brutale Wille, sich der Flüchtlinge, die vor Armut und Verfolgung geflohen sind, zu entledigen und die Verarmungsprozesse in Osteuropa hier in den reichen Metropolen unsichtbar zu machen. Der Staat weiß sich mit einem Großteil der Metropolenbevölkerung in Übereinstimmung, den Wohlstand zusammengeraubt durch die Ausbeutung überall in der Welt gegen die heranrückenden Armen zu sichern.

Das sich neu formierende Westeuropa hat in den letzten Jahren das Abschottungsinstrumentarium entwickelt und vervollkommnet, um sich von den Flüchtlingsbewegungen aus dem Trikont in die imperialistischen Metropolen abzukoppeln. Durch die Zerrüttung der osteuropäischen Ökonomien, denen der imperialistische Zugriff und die Einführung der kapitalistischen Marktökonomie den Todesstoß versetzt hat, wird Westeuropa mit einer neu entstehenden Armutsbevölkerung konfrontiert. Die politischen Planungstrategen der westeuropäischen Metropolen arbeiten fieberhaft an Konzepten, die Verarmungsprozesse im Zuge der imperialistischen Durchdringung Osteuropas nicht in den Metropolen sichtbar werden zu lassen. Zwei Strategien lassen sich heute ausmachen:

Die Grenzen zwischen Arm und Reich werden dichtgemacht. So wie italienisches Militär die Masseneinwanderung aus Nordafrika verhindern soll, läßt die österreichische Regierung die Grenzen zu Osteuropa militärisch sichern, sperren die CSFR und Polen ihre Grenzen nach Osten, nachdem sie sie dem Westen geöffnet haben.

Gleichzeitig dient die Stabilisierung der ost- und südosteuropäischen Reformstaaten im Zuge einer neu konzipierten europäischen Großraumpolitik sowohl der hierarchischen und selektiven Zurichtung, Vernutzung und Ausbeutung als auch der Schaffung eines politischen und ökonomischen Schutzwalls gegen die unkontrollierte Migrationsbewegung, mit der die neu entstehende osteuropäische Armutsbevölkerung, ihrer Lebensgrundlage beraubt, nach Überlebensmöglichkeiten in Westeuropa sucht.

Dabei stehen die Roma als der absolut unverwertbare Bettel der Straße im Zentrum der Angriffe, zumal sie ihr Lebensrecht hier nicht als Bittsteller vortragen, sondern offensiv einklagen und einfordern. Gleichzeitig ist es ihr mittlerweile über zehnjähriger zäher Kampf, der die Herrschenden mit einer sich formierenden Flüchtlingsgruppe konfrontiert. In vielen provokativen Aktionen und politischer Praxis haben die Roma an Kampferfahrung gewonnen, der Bedeutung und Gewicht für alle Flüchtlinge in der BRD zukommt, und gerade dies ist es, was die Herrschenden nun zur raschen und endgültigen Zerschlagung des Romawiderstands treibt. Schon jetzt haben hunderte von Roma-Familien aufgrund der sozialpolitischen Angriffe das Land verlassen, teils haben sie sich freiwillig abschieben lassen oder sind untergetaucht. Inzwischen hat sich das Ausmaß der rassistischen Verfolgung und Drangsalierung der Roma in NRW derart zugespitzt, daß in den kommenden Wochen mit dem Beginn von Massenabschiebungen gerechnet werden muß. Der Widerstand gegen diese Maßnahmen formiert sich.

Wir haben heute am Sitz der Düsseldorfer Staatskanzlei und des Arbeits- und Sozialministeriums einen Sprengsatz gezündet. Wir begreifen diese Aktion gegen die politische Schaltzentrale der Vertreibungspolitik gegen die Roma als Unterstützung eines Kampfes gegen die anstehenden Massendeportationen. Wir verstehen diese Aktion als einen Beitrag, die Verantwortlichen zu treffen und als Aufforderung, auf allen Ebenen Druck zu schaffen und praktische Widerstandsformen zu entwickeln, die das Vertreibungsprogramm blockieren und verunmöglichen. Die Massendeportationen müssen verhindert werden.

Wir haben in den letzten Jahren gelernt, daß der Rassismus eine wesentliche Säule imperialistischer Herrschaft ist.

Eine Linke, die ihre gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit durchbrechen will, muß in einer umfassenden antirassistischen Mobilisierung den Widerstand von Flüchtlingen und ImmigrantInnen aufgreifen und unterstützen. Nur so ist es möglich, einen politischen Gegenpol gegen die Politik der Herrschenden zu bilden, die sich endgültig von der blutigen Geschichte Deutschlands abkoppeln.

Die Verankerung antirassistischer Initiativen ist eine Voraussetzung für eine Widerstandsperspektive gegen das imperialistische Großdeutschland.

In Gefahr und größer Not

bringt der Mittelweg den Tod!!!


aus: Die Fruechte des Zorns
Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionaeren Zellen und der Roten Zora
ID-Archiv im IISG/ Amsterdam (Hg.)
ISBN: 3-89408-023-X
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