Was ist das Patriarchat? Diskussionstext der Revolutionären Zellen von 1989
Südafrikanische Geschlechtsordnung oder
das Verschwinden der schwarzen Frauen
Man sagt, die schwarzen Frauen seien dreifach unterdrückt
als Schwarze, als Arbeiterinnen und als Frauen. Damit sind sie abgehakt und erledigt. Der breite Strom der Analysen wälzt sich über sie hinweg und begräbt sie unter sich. Man muß schon mit den Fingernägeln im Boden kratzen, um sie zerhauen und mineralisiert als Salz der Erde wiederzufinden oder gönnerhaft als Töchter Afrikas. Nährstoff oder Männerschöpfung, auf jeden Fall immer ohne ein Selbst. An ihrem Verschwinden arbeitet nicht nur der weiße Mann, sondern auch der schwarze.
Beginnen wir mit der südafrikanischen Raumordnung, die primär
eine Geschlechtsordnung ist. Die berüchtigten Reservate sind vor allem
Frauenlager, in die vier Millionen schwarze Frauen eingeschlossen sind mit
ihren Kindern, mit deportierten Alten und abgeschobenen Arbeitsinvaliden,
deren umfassende Versorgung man ihnen wie selbstverständlich aufzwingt und
deren existenzielles Überleben sie unter den extremsten Bedingungen zu
erarbeiten haben. So ernährt der überwiegende Teil der Reservatsfrauen
ausschließlich und allein ihren jeweiligen Familienzusammenhang und bleibt
doch lebenslänglich unmündig, eine paradoxe Definition, die sie jedoch
sehr real unter die permanente Vormundschaft von Männern, oft ihrer eigenen
Söhne zwingt. Diese gezielte Abwertung macht sie gleichzeitig zu absolut
Mittellosen, denen in der Regel weder das bearbeitete Land, das besorgte
Haus, noch das versorgte Vieh gehören, nicht einmal der eigene Lohn. Denn
nach den alten Stammeskodices41 des schwarzen Mannes heißt Frausein nicht
ganz Mensch sein, ein Zustand der Inferiorität42, der alle Rechte
auslöscht, mit Ausnahme des Rechts auf die notwendige Nahrung und die
Kleider am Leibe.
Dieser bestürzend phallokratische Kodex ist bezeichnenderweise der einzige,
den das patriarchale SA-Regime aus dem komplexen Sittengeflecht einstmals
autochthoner43 Stammesverbände herausgeschnitten hat, um ihn heute hämisch
als Banturecht oder Natal44-Code den gewaltsam zerstörten und
zerrissenen schwarzen Lebenszusammenhängen in den Reservaten juristisch
aufzuzwingen. In diesem perfiden45 Akt soll nicht unbedingt der schwarze
Mann mit der Sklavin bestochen werden, vielmehr enthüllt sich darin die
Essenz46 des rassistischen Kapitalismus. Es wird offenbar, daß er sich mit
exzessiver Gewalt einen absolut entrechteten und unendlich aussaugbaren
Nährboden an schwarzen Frauenkörpern und schwarzer Frauenarbeit schaffen
will, um sie als unentgoltenen Energietransfer und primären Lebensstoff
seiner Maschinerie einzuspeisen. Das drückt der Wille zur Deportation und
Internierung perspektivisch aller schwarzen Frauen als Nichtwert aus. Die
Internierung als Geschlechtsperspektive, die mit den Mitteln der
Separation, des Einschlusses und der vollständigen weiblichen Enteignung
das maßloseste aller Ausbeutungsverhältnisse konzipiert, um schwarzer
Frauenarbeit den puren und nackten Extraprofit abzupressen.
Dafür sprechen die rigorosen Zuzugssperren und das beständig enger
geknüpfte Schleppnetz an Ausweisungserlassen, das sich über den Frauen der
städtischen Ghettos zusammenzieht. Indem sie durch Heirat grundsätzlich ihr
eigenständiges Aufenthaltsrecht verlieren, es sei denn, sie nehmen sich
einen Mann aus dem gleichen Bezirk, wird de facto ein Verbot schwarzer
Familiengründungen durchgesetzt, das als Instrument der Bevölkerungspolitik
beispiellos ist. Desgleichen ziehen eine Scheidung oder Verwitwung die
Deportation der Frau nach sich, ebenso wie die gleichermaßen vage wie
allumfassende Abstempelung als Faule Bantu. Faulheit ist die generelle
Sprachregelung des SA-Regimes für die diversesten Tatbestände: etwa dafür,
keine Lohnarbeit zu haben, es zu wagen, eine Stelle abzulehnen oder diese
oft zu wechseln, sich zu organisieren oder gar zu streiken.
Das führt uns auf das Terrain der Frauenlohnarbeit und damit direkt zur
zentralen Figur des Arbeitsverwalters. In kafkaesker Allmacht47 und Willkür
kann er eine Arbeitserlaubnis erteilen, verweigern oder widerrufen und
damit automatisch die Ausweisung anordnen. Es liegt jedoch wesentlich im
Charakter der den schwarzen Frauen aufgezwungenen Arbeiten, der es den
wenigsten ermöglicht, ihre Existenz in Südafrika zu legalisieren. Eine
zehnjährige Dauerbeschäftigung beim gleichen Arbeitgeber kann kaum eine von
ihnen nachweisen, was sie zu Illegalen in ihrem eigenen Land macht.
So schlägt sich ein Teil der Frauen als Händlerinnen und Marktfrauen, als
Zeitungsverkäuferinnen und bierbrauende Skokian queens48, als
Prostituierte, Ladendiebinnen und Einbrecherinnen durch. Der Kleinhandel
ist jedoch nicht unbedingt Ausdruck neuer weiblicher Privilegien. Vielmehr
ist er die einzige Tätigkeit, bei der man kein Anfangskapital oder Eignung,
Geld, festen Wohnsitz oder Schutz braucht. (B.Kossodo) Diese
Voraussetzungen schaffen allerdings die nötige Beweglichkeit in der
Illegalität, das gilt im Besonderen für die wachsende Anzahl junger Frauen,
die sich gezielt und zunehmend professioneller von Ladendiebstählen und
Einbrüchen ernähren. Etliche junge Frauen mit meist ganz günstigen
Zukunftsaussichten (!) sind der Trunksucht verfallen und führen das Leben
ständiger Gesetzesbrecherinnen, klagt bestürzt die christliche
Sozialarbeiterin Kuzwayo.49
Schwarze Frauenlohnarbeit wird im System der weißen männlichen Suprematie50
radikal entwertet; jedenfalls wird ein schwarzer Mann doppelt und dreifach
so hoch veranschlagt und ein weißer gar mehr als zwanzigfach. Eine winzige
städtische Minderheit schwarzer Frauen arbeitet als Lehrerin,
Krankenschwester, Sekretärin oder Verkäuferin die uns nur allzu
vertrauten phallokratischen Spiegelungen der Vexierbilder51 von der
domestizierten52 Frau. Zwischen zehn und zwanzig Prozent, genauer will das
offensichtlich niemand wissen, müssen sich zu ebenso abscheulichen wie
normativen Konditionen in den border industries verdingen, einer
südafrikanischen Version freier Produktionszonen mit ihren berüchtigen
Sonderkonditionen und Entrechtungen der Arbeitskraft. Die borders
entspringen jüngsten Kapitalstrategien, die darauf drängen, zu
extraordinären53 Profiten die Reservatsarmut abzuschöpfen. Einem eiseren
Kordon gleich schlingen sie sich um die Reservatsränder, um aus ihnen
schwarze Frauenlohnarbeit herauszupressen für ihre Klitschen, die auf
Textil, Nahrungsmittel, Schuhe, Getränke und Tabak zugeschnitten sind.
Orte, an denen jedes Arbeitsrecht außer Kraft gesetzt wird, die keinen
Mindestlohn kennen, an denen mit einem Entgelt abgespeist wird, das die
juristisch gezogene Armutsgrenze drastisch unterschreitet, um die Armut
jenseits der Armut zu verwerten.
Die miserabelste und verhaßteste aller Arbeiten aber bleibt unverändert die
Feldarbeit, insbesondere in der Form, in der sie Frauen zugemutet wird. Bar
jeder nennenswerten technischen Hilfsmittel wird sie zur schweren,
erschöpfenden, endlosen Knochenarbeit, die nur allzuoft in minderwertigen
Naturalien vergütet wird. Tagelöhnerinnen und Saisonarbeiterinnen, gebückt,
zerschunden und extremsten Witterungen ausgesetzt, mit Kindern im
Schlepptau, die unentgeltlich mithelfen müssen, diese steinharte Realität
enthüllt den galligen Kern des Mythos, Frauen seien der Natur und der Erde
näher; wahrhaft im Schweiße ihres Angesichts und gekrümmt unter einer
unerträglichen Arbeitslast. Die stürmische Industrialisierung der
Landwirtschaft, die rigoros die schwarzen Kleinpächter von ihren Parzellen
fegt und männliche Landarbeit entschieden ausdünnt und technisiert, saugt
sich gleichzeitig ein riesiges Quantum an schwarzen Frauenkörpern ein, aus
denen sie den Stoff extrahiert54, um Mann und Maschine zu finanzieren.
Daher sind die beiden Phänomene kein Widerspruch, sondern die Fermente55
ein und derselben Dynamik. Je mehr die harte Kompontente der Feldarbeit zur
spezifischen Frauenarbeit gerinnt, desto nachhaltiger verschwindet sie aus
der gesellschaftlichen und analytischen Wahrnehmung. Wie alles, was Frauen
berühren.
Gänzlich ohne Schatten ist das schwarze Frauenheer, das täglich in den
weißen Herrschaftshäusern verschwindet. Im selben Augenblick, in dem es die
Schwelle überschreitet, wird es buchstäblich verschlungen, verliert jede
körperliche Substanz und menschliche Präsenz. Die Heilige Familie des
SA-Patriarchats gruppiert sich um die Arbeit des schwarzen Weiberpersonals
in einer Weise, die zwanghaft und mühelos aus den schwarzen Körpern
absolute Leerstellen macht und aus den Seelen totes Inventar ohne
Eigennamen. Der Dynamik des Herrn-und-Magd-Verhältnisses wohnt, so Hegel56,
das stete Bemühen inne, das Bewußtsein der Magd auszulöschen. Insofern
entschlüsselt sich das Paradox, daß ausgerechnet die Wesen, die auf
gesellschaftspolitischem Territorium am radikalsten entwertet und
entschlossensten separiert werden, wiederum dem allerprivatesten, intimsten
und geheiligsten Bereich der weißen Herrschaften einverleibt und
gezwungen werden, deren gesamte Reproduktion zu erarbeiten. Eben als
bewußlose Kreaturen, deren Blick nichts bedeutet.
Domestic service ist eine totale Institution, sagt Nobengazi Kota.
Hausarbeit ist lückenlos, ohne zeitliche Konturierungen, ohne Freiraum,
ohne einen Ort des Rückzugs, den jede menschliche Identität erheischt.
Hausarbeiterinnen bewegen sich ununterbrochen, vollständig isoliert und
stetig überwacht in einem fremden und feindlichen Orbit, der nach keinen
Regeln funktioniert, außer denen der Willkür der Herrschaft.
Die Hausfrau wird als der schlimmste Dienstherr im Land verurteilt. Sie
läßt ihre Angestellten in der Woche durchschnittlich zweiundsiebzig Stunden
arbeiten und bezahlt ihnen, was sie nach dem Kolonialwarenhändler, dem
Metzger usw. gerade noch aus ihrer Haushaltskasse herausquetschen kann.
Obwohl es sich hier um eine alte Klage schwarzer Dienstboten aus den USA
handelt und darin zu Unrecht den weißen Hausfrauen die ausschließliche
Schuld an der historischen und totalen Institution Hausarbeit angelastet
wird, spiegeln sich darin sehr genau die Arbeitsbedingungen der über
achthunderttausend maids im heutigen Südafrika wider, insbesondere die der
sleeping-in-domestics. Maid gleich Mädchen, gleich pejorativer57
Stempel des Herrn auf der Magd, auf schwarze Frauen aller Altersstufen, den
überwiegend alleinigen Ernährerinnen der durchschnittlich sieben Menschen,
die an ihnen hängen. Einige unter ihnen kommen über achtzig Wochenstunden,
eine grenzenlose Arbeitswüste ohne Absicherungen, ohne Kranken-, Sozial-
und Altersversicherung. Werden sie ernstlich krank oder alt, berichtet
Ellen Kuzwayo, enden sie oft in den Durchgangslagern für völlig mittellose
Schwarze auf dem Weg in die Deportation.
Die Internierung als weibliche Geschlechtsperspektive ist das schärfste
Instrument des SA-Regimes in Bezug auf schwarze Frauenarbeits- und
Bevölkerungspolitik. Ihre maßlose Vernutzung in border industries und
Feldarbeit geschieht bereits weitgehend aus den Reservaten heraus. Die
Hausarbeit in den weißen Herrschaftshäusern ist in sich selbst ein
Isolationsgefängnis, das viele Frauen obendrein in die Zementzellen der
Dienstbotenquartiere bannt. Selbst die weibliche Population der schwarzen
Ghettos, sogenannte Paragraph-Zehner-Frauen mit verbrieftem
Aufenthaltsrecht haben keinen sicheren Stand mehr. Immer engere und
raffiniertere Abschieberaster höhlen ihren Anspruch aus und sieben rigoros
nach einer spezifischen Form der Verwertbarkeit. Man will unbedingt und
ausschließlich ein bestimmtes Kontingent an jungen, kinderlosen,
unverheirateten, fleißigen, unorganisierten Mädchen-Frauen, also einen
absolut ephemeren Zustand weiblicher Arbeitskraft, in den das nachträgliche
Verschwinden bereits eingebaut ist.
Mit der Deportation gerade des Geschlechtes aus Südafrika, das die schwarze
Gattung produziert und reproduziert, soll mit aller Macht eine
einschneidende Dezimierung der autochthonen Bevölkerung erreicht werden.
Zwei Drittel der schwarzen Frauen sind bereits durch die systematische
Ruinierung ihrer Lebenszusammenhänge alleinstehend. Die verheiratete
Minderheit lebt zumindest in den Reservaten ein Witwenleben, in dem einmal
im Jahr der Mann in ewiger Migration als Besucher vorbeikommt; wenn er noch
kommt.
Die radikale Separation der Geschlechter soll primär einen gravierenden
Rückgang der Geburten erzwingen und generell das Aufwachsen neuer schwarzer
Generationen blockieren. Bereits heute sterben in den Reservaten siebenmal
mehr Neugeborene als in den Ghettos. Unter den toten Säuglingen sind
wiederum über zwanzig Prozent mehr weibliche als männliche, weil ein
strikter traditioneller Herrschaftskodex verlangt, daß speziell in Notlagen
in das männliche Prinzip die letzten Frauenenergien vorgeschossen werden.
In dieser Todeslogik, in der der regierungsamtlich definierte überflüssige
Anhang mit allen Mitteln dezimiert werden soll, ist die Abtreibung
selbstverständlich verboten, weil schwarzen Frauen ihr Körper keinesfalls
selbst gehören darf und mit diesem Verbot der erstrebte Zwang zur
Sterilisation wächst. Es gibt weltweit ein wahrhaft grausames Repertoir an
staatlichen Geburtenkontrollen und Bevölkerungspolitik. Für die minutiös
ausgearbeitete und gewaltsam durchgesetzte Internierung von Frauen kennen
wir keinen Vergleich. Sie ist beispiellos.
Indes, schwarze Frauen verschwinden in den Reservaten nicht allein durch
die Tatsache, daß sie dort eingeschlossen werden. Unsichtbar und der
gesellschaftlichen Wahrnehmung vollständig entzogen werden sie durch ihre
Arbeit: Frauenarbeit, was nicht Frauenlohnarbeit meint. Lohnarbeit wird
auch in ihren niedrigsten Positionen registriert, gemessen und bewertet.
Sie erscheint auf dem Arbeitsmarkt und verleiht ihrem Träger eine gewisse
Relevanz. Die Produktion der Gattung im umfassensten Sinne dagegen
vollzieht sich in einem absoluten jahrtausendealten Dunkel; sie erscheint
nicht als Arbeit, sondern als Fluch. Im gängigen Koordinatenkreuz der
Politökonomie wird dieses Phänomen fälschlicherweise mit
vorkapitalistisch übersetzt. Durch die Erhaltung des vorkapitalistischen
Sektors, aus dem männliche Arbeit in zunehmendem Maße abgezogen wurde und
in dem Frauen dominieren sollten, wurde die Aneignung von Arbeit zu
unglaublich niedrigen Kosten möglich. Kosten, die in der Regel vom
Kapitalisten mitgetragen werden, wurden ausschließlich vom
vorkapitalistischen Sektor aufgebracht. Im Klartext: Frauen sorgen für das,
was anderswo Arbeitslosenversichung, Pensionskasse, Erziehung und
Heranbildung neuer Arbeitskräfte, Gesundheitsfürsorge und Krankengeld
genannt wird. (Ivy Matsepe).
Damit ist Frauenarbeit zwar immer noch nicht erschöpfend definiert. Allein
es fällt ins Auge, daß die genannten Versorgungssysteme grundsätzlich und
immer von Frauen geleistet werden, wobei einzig das Ausmaß historisch
variiert. Vorkapitalistisch ist das beileibe nicht, im Gegenteil. Es ist
der Gipfel kapitalistischer Rationalität, ein immer größeres Heer
menschlicher Arbeitskraft zunichte, zu Nichtwert zu machen, weil die
Verwertungsmaschine ein stetig wachsendes Quantum an unentgoltenen
Arbeitsleistungen erheischt. Bezeichnenderweise spricht man in diesem
Kontext von einer Verweiblichung der Arbeit, denn die restlose, absolut
unentgeltliche Aussaugung von Frauenarbeit ist das Ursprungsmodell für den
totalen Extraprofit. Wir begreifen, daß der Sexismus die Matrix58 für den
Rassismus ist.
Und so greift denn auch das SA-Regime in seiner Frauenpolitik nicht auf die
reichhaltigen vorkapitalistischen Lebens- und Produktionszusammenhänge der
schwarzen Stämme zurück, sondern eliminiert sie gnadenlos und unendlich
gewaltsam. Die Reservate sind gewaltsame kapitalistische Neuschöpfungen und
in ihrer Struktur ebenso modern wie vernichtend. Durch sie wird gezielt der
Zusammenhang von Produktion und Reproduktion zerrissen nicht nur
räumlich, sondern auch in Bezug auf die Wertabschöpfung; denn durch die
radikale Negation der Reproduktionskosten lassen sich exorbitante Profite
extrahieren.
Das Verschwinden aller Frauen
oder Was ist das Patriarchat?
Die Frage bleibt, warum läßt sich die Reproduktion der Gattung so radikal negieren? Und warum das Geschlecht, das sie verkörpert? Erinnern wir uns
Frauen sorgen für das, was anderswo
Arbeitslosenversicherung, Pensionskasse, Erziehung und Heranbildung neuer
Arbeitskräfte, Gesundheitsfürsorge und Krankengeld genannt wird. Wir haben
diese Aufstellung moniert, weil sie und das ist kein Zufall den
springenden Punkt nicht enthält Frauen produzieren die
Gattung.
Dieser unabweisbaren biologischen Tatsache ist, soweit wir wissen, niemals die erforderliche analytische Aufmerksamkeit zuteil geworden, weil sie sich dem linken, männlichen Gleichheitsgedanken widersetzt und eine unauflösliche Geschlechtsdifferenz schafft. Allein Simone de Beauvoir59 hat es unternommen, dieses brisante Faktum den Biologisten zu entreissen, die daraus die ewige Apologie60 des Patriarchats schmieden. Sie schreibt und wir fassen zusammen
Wie der Mann ist die
Frau ihr Leib; aber ihr Leib ist etwas anders als sie. Von der Pubertät bis
zur Menopause ist sie der Schauplatz eines Ablaufs, der sich in ihr
vollzieht, ohne sie zu betreffen. Tatsächlich besteht bei dem Kreislauf der
Menstruation keinerlei individuelle Zweckhaftigkeit, warum sie auch
mancherorts der Fluch- genannt wird. Wahr daran ist, daß die Frau
unablässig die Leistung der Schwangerschaft andeutungsweise vollzieht in
monatlichem Blut und Schmerzen. In den Schwangerschaftsperioden von einem
anderen bewohnt, das sich von ihrer Substanz nährt, ist sie gleichzeitig
sie selbst und ein anderes. Eine ermüdende Leistung, die den ganzen
Organismus erschüttert und für die Frau keinen privaten Vorteil bietet. Im
Gegenteil. Der Konflikt zwischen Art und Individuum, der bei der
Niederkunft manchmal zum Drama wird, gibt dem weiblichen Körper eine
bedenkliche Anfälligkeit. Man sagt gern, die Frauen hätten Krankheiten im
Leibe-; wahr ist, daß sie ein fremdes Element in sich tragen die Gattung,
die an ihnen zehrt. Eine Gattung, in der Kinder noch lange nach dem Stillen
unfähig bleiben, selber für ihre Bedürfnisse zu sorgen.
So endet die Körperarbeit der Frau nicht an den inneren Grenzen ihres
Leibes; die Abnabelung allein macht aus dem Neugeborenen keineswegs ein
unabhängiges, lebensfähiges Geschöpf. Diese eigentümliche Hinfälligkeit der
menschlichen Gattung erzwingt ein komplexes Versorgungsystem, und
tatsächlich produziert das weibliche Geschlecht, indem es die neue
Generation hervorbringt, die Sicherung der alten. Art und Ausmaß dieser
Belastung sind allerdings keine Naturkonstanten, in ihnen spiegeln sich
bereits die historischen und Machtverhältnisse. Ein Frauenleben muß nicht
eine ununterbrochene Kette ruinöser Schwangerschaften unter den
schlechtesten Lebensbedingungen und extremem körperlichem Verschleiß sein.
Das ist bereits die Übersetzung einer biologischen Determinante61 ins
Gesellschaftliche. Und der Bereich des Historischen und der Macht beginnt
dort, wo über das spezifisch weibliche Vermögen der Gattungsproduktion ein
gesellschaftliches Arbeitsverhältnis gestülpt wird. Ein gesellschaftliches
Arbeitsverhältnis, das den gesamten Bereich menschlicher Reproduktion dem
Geschlecht aufzwingt und es darin versklavt. In diesem Gewaltakt sieht
Hegel süffisant das subjektive Element beim Manne, während das Weib in die
Art eingeschlossen bleibt. Dieses Einschließen des Weibes in die Art
entspringt weder ihrer Natur noch einem Mythos, vielmehr etwas steinhart
Konkretem und Männergemachtem: der Erzwingung unendlicher Arbeitsleistungen
von der Frau an der Nahrung, der Kleidung, der Behausung, der Hygiene, der
Gesundheit, der Krankheit, der Kindheit und am Alter, kurz der gesamten
Gesellschaftsarbeit; die ironischerwiese als private erscheint. Wie ist das
möglicht? Von der Körperarbeit, in die die unaufhebbare Differenz der
Geschlechter eingeschrieben ist, ist der Mann, außer des flüchtigen Moments
des Koitus, vollkommen frei. Eine zwiespältige Freiheit, weil frei vom
Vermögen und frei von der Last der Gattungsproduktion. Diesen Überschuß in
der Körperökonomie, dieses Surplus62 an individuellem und
geschlechtskollektivem Spielraum benutzt der Mann, um das gesellschaftliche
Terrain zu besetzen und daraus einen Machtraum zu formieren, aus dem er das
Geschlecht mit Eigenschaften gewaltsam vertreibt und unter das Joch der
Gesellschaftsarbeit zwingt. In diesem ersten historischen
Zwangsarbeitsverhältnis enthüllt sich das hegelsche subjektive Moment beim
Manne als seine gewaltsam durchgesetzte Befreiung von jeglicher
Gesellschaftsarbeit, um frei zu sein für Arbeiten, die seine Machträume
erweitern; während das Weib in die Art eingeschlossen bleibt, insofern es
gewaltsam aus den öffentlichen Machträumen vertrieben und in den Untergrund
einer unendlichen Vernutzung in der Gesellschaftsarbeit eingeschlossen
wird. Daher ist es möglich, daß ein ganzes Geschlecht seit Menschengedenken
nicht als gesellschaftliches erscheint. Daher verschwinden die Frauen.
Der Akt der gesellschaftlichen Vernichtung der Frauen ist allerdings ein
doppelter: der Zwang, der aus Gesellschaftsarbeit unsichtbare Frauenarbeit
macht, setzt sich fort in der radikalen Entwertung dieser Arbeit. Indem der
Mann beides Frauen und die ihnen ins Fleisch gebrannte Arbeit in den
Orkus verbannt wie Eurydike63, nach der er nicht zurückblicken darf,
planiert er sich die Operationsbasis für ein gesamtgesellschaftliches
Herrschaftsmodell, das Arbeit ausdrücklich immer als Unterwerfung und
Ausbeutung organisiert und in die Geschichte hineinstaffelt als Sklaverei,
Leibeigenschaft bis zur kapitalistischen Mehrwertabpressung, ohne seinen
Ursprung preiszugeben: den Extraprofit, den er aus Frauen zieht. Ein Raub,
der nicht als solcher erscheint und daher auch nie die Analyse
beschäftigte. Denn Frauenarbeit und damit ist nicht Frauenlohnarbeit
gemeint, ist flüssig, sie gerinnt nicht zur festen Form, sie
vergegenständlicht sich in keinem Produkt, das sich austauschen läßt.
Insofern läßt sie sich nicht in Beziehung setzen, nicht messen, bleibt
unermeßlich und ohne Maß ist wiederum kein Vergleich möglich, einem
Äquivalent jeder Boden entzogen. Eine Arbeit indes, die kein Äquivalent64
kennt, schafft keinen Wert, weil sie sich nicht darin ausdrückt. Sie ist
wertlos und macht die Abschöpfung eines Mehrwertes unmöglich. Der dennoch
aus ihr gezogene Gewinn entzieht sich jeglicher Akkumulation. Wir sehen:
Frauenarbeit schafft keinen Wert, aus ihr lassen sich auch keine
akkumulierbaren Profite extrapolieren65 und ist dennoch unendliche
gesellschaftliche Arbeit.
Natürlich bleibt sie sich in ihrer Form nicht gleich, sondern ist
gravierenden historischen und gesellschaftlichen Veränderungen unterworfen.
Indes bergen sämtliche Erscheinungsformen, in die Frauenarbeit gepreßt
wird, in sich denselben harten Kern: ihre Substanz und ihre Trägerin sind
bis zur Unkenntlichkeit entwertet. Dieser radikalen Negation begegnen wir
in allen Ideologiesystemen, Arbeitsanalysen und Werttheorien. Sie ist aus
dem gesamten Herrschaftskomplex kategorialer Diskurse66 gestrichen und
ausradiert. Und was dort nicht existent ist, ist auch gesellschaftlich
ausgelöscht, weil systematisch seine Artikulation blockiert wird.
Ein Geschlecht, das sich in nichts symbolisieren und sich keine
gesellschaftliche Repräsentation schaffen kann, ist ein Geschlecht, das
nicht eins ist, sagt Luce Irigaray.67 Denn der Mensch ist nicht eine
natürliche Art, sondern eine historische Idee. Und die historische Idee
kennt bis heute nur den Mann. Signifikant68 wird das an allen gängigen
Revolutionstheorien mit ihrem Gleichheitsversprechen, das in Wahrheit eine
Drohung ist. Denn was bedeutet es anderes, als daß die unaufhebbare
Geschlechtsdifferenz noch entschlossener negiert wird, eine Negation, die
nur über die vollständige Einebnung der Frau gelingen kann. Über die
eingeebnete Frau gedenkt der Mann sich seiner Fesseln zu entledigen und vom
Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit seiner dritten zu
schreiten, als Maß aller Dinge. Die Differenz wird in der Ökonomie des
Gleichen, des Einen, ein und desselben vernichtet, und in allergrößter
Allgemeinheit in den selbstrepräsentativen Systemen des männlichen Subjekts
ausgelöscht. (Irigaray)
Wir verstehen nun, daß der Geschlechterantagonimus eine absolut andere
Dimension hat als der Klassenantagonimsus. Mehr noch, daß sich bei der
Gleichsetzung bewußt die männliche Suprematie in alle Ewigkeit
festzuschreiben gedenkt; indem mit Vorsatz die existentielle Mehrarbeit der
Frau unterschlagen wird, die fortbesteht jenseits aller
Herrschaftsverhältnisse. Klassenantagonismen tragen zumindest
perspektivisch die Möglichkeit ihrer Aufhebung in sich. Es existiert keine
historische Gesetzmäßigkeit, keine Unabänderlichkeit, die den Menschen
zwingt, den Menschen auszubeuten. Unabänderlich indes ist allein die
Tatsache, daß beide Geschlechter niemals gleich sein werden. Niemals wird
der Mann das Maß aller Dinge sein, es sei denn, er vernichtet das weibliche
Geschlecht mit dem ihm innewohnenden Vermögen. Dieses Verlangen verbirgt
sich in seinem ebenso aggressiven wie obsessiven69 Bemühen, mit den Mitteln
der technologischen Reproduktion die geschlechtsspezifische Divergenz70 zu
annullieren, sich einzuverleiben, damit sich endlich die lebendige Frau
erübrige. Wozu, fragt er sich, hat er die Götter gestürzt, wenn nicht in
dem Verlangen, auf Erden der Eine und Einzige zu sein?
Hier entdecken wir eine bestürzende Kohärenz,71 die den revolutionären Mann
einschließt: eine Kohärenz, die alle seine Gegenentwürfe durchzieht.
Nachdem er seine Götter und ihr unhaltbares Jenseits offiziell verworfen
hat, um sich selbst zu schaffen, läßt er in seinen revolutionären Utopien
behende die alten zähen und penetranten Paradiese im Diesseits wieder
auferstehen, denn sein Reich ist ja von dieser Welt. Wir blicken in das
gleiche Gedankengebäude, nur der Besitzer hat gewechselt. Der revolutionäre
Mann verkündet pathetisch das Reich der Freiheit, der Gleichheit, das Ende
aller Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Das Ende der
Frauenausbeutung durch den Mann kann er damit unmöglich meinen, denn dieses
Ende zerreißt alle bisherigen Revolutionsentwürfe als Makulatur72, entlarvt
sie als das, was sie sind: männliche linke Herrschaftsidyllen. Das Ende der
Frauenausbeutung bedeutet das Ende der Möglichkeiten, aus der
existentiellen Mehrarbeit der Frauen Männermacht zu schlagen. Die Macht
ohne Macht das ist das Ende des historischen Mannes.
fett
In chinesischen Legenden steht geschrieben, daß große Meister in ihre Bilder hineingehen und verschwunden sind. Die Frau ist kein großer Meister. Deshalb wird ihr Verschwinden nie vollkommen sein. Sie taucht wieder auf, beschäftigt wie sie ist, mit dem Verschwinden.