Revolutionärer Zorn Nr. 5 Praxis Sondernummer (1987)
Mit dieser Nummer des Revolutionären Zorns wollen wir grundlegende Erfahrungen und Techniken vermitteln. Sie könnten für all diejenigen von Bedeutung sein, die sich entschlossen haben, den revolutionären Kleinkrieg in den Metropolen aufzunehmen. Vorausgesetzt wird nichts als ein klarer Kopf und der Wille zum Widerstand.
Die Beschreibungen sind so einfach wie möglich, damit auch
vermeintlich unpraktische Genossen/innen mit etwas Übung alles nachbauen
können. Alle müssen alles können. Man kann also ohne großartige
Beschaffungsaktionen, Logistik usw. allein, zu zweit, zu dritt ... mit dem
Widerstand anfangen.
Es gibt da Gerede von Leuten, die so tun, als wüßten sie was (agit 88a)1,
daß man dazu mindestens 10 Mann (!) braucht mit 3 klandestinen Wohnungen in
der BRD, 5 Ausweichwohnungen, 5 Garagen, nen Haufen Kontakte im Ausland
usw. Das ist absoluter Quatsch!
Dabei kann nur zweierlei rauskommen: entweder sie kommen vor lauter
Logistik aufbauen nie zu Aktionen, oder die Bullen schnappen sie weg, weil
sie sich genauso verhalten, wie's im Fahndungsraster steht.
Andere erzählten, der erste Schritt wäre die Illegalität und der zweite in
die Bank. Das ist genauso idiotisch. In die Illegalität geht man erst dann,
wenn man absolut muß. Die BRD ist viel zu gut durchorganisiert, als daß
sich hier der Kampf aus der Illegalität heraus führen ließe.
Und in ne Bank geht man nur, wenn klar ist, daß Geld für eine Aktion
gebraucht wird, und das Geld sich nicht anderweitig auftreiben läßt. Die
Bank ist nicht Grundbedingung für Aktionen überhaupt.
Das Prinzip, viele selbständige Widerstandszellen zu gründen, ist richtig,
weil das gewährleistet, daß jede Zelle ihre eigene Politik macht, daß sich
die vielfältigsten Intitiativen und Kampagnen entwickeln, und weil es für
die Bullen keine Methode gibt, diese Struktur aufzurollen. Man kann dafür
keine Fahndungsraster aufstellen, das einzige, was einem das Kreuz brechen
kann, ist ein dicker Fehler oder ein gottverdammter Zufall.
Also viel Spaß und paßt gut auch euch auf!
Wir haben den folgenden Artikel für diese Nummer gründlich überarbeitet und
in wesentlichen Punkten ergänzt.
Schafft viele Revolutionäre Zellen!
Viele fühlen sich angesprochen, wissen jedoch nicht so recht, wie sie die Sache anfangen sollen und hoffen deshalb weiter, daß sie eines Tages einen Kontakt kriegen, der sie dann mehr oder weniger an die Hand nimmt. Dieser Erwartung ist zwar begreiflich, aber trotzdem falsch.
Falsch deshalb, weil sie impliziert, mitmachen zu können, nicht
selber initiativ und verantwortlich sein zu müssen. Der bewaffnete Kampf
kann niemals ein Auftragsverhältnis sein. Jeder muß das, was er tut, selber
gewollt, entwickelt, vorangetrieben haben, sonst kann er unmöglich die
Konsequenzen seines Handelns, insbesondere Niederlagen verkraften. Deshalb
sind wir kein Verein, dem man beitreten kann.
Wir haben aber seit Jahren in unzähligen Aktionen, Erklärungen und Analysen
den Rahmen unserer Politik so eindeutig abgesteckt, daß jemand, der sich
mit dieser Politik identifiziert, nicht auf einen persönlichen Kontakt
angewiesen ist, um selbst eine Zelle gründen zu können. Wir haben kein
Patent auf diesen Namen und auf diese Politik. Wir haben nur damit
angefangen. Weitermachen werden wir alle gemeinsam.
Das Risiko ist uns voll bewußt: wir können nicht ausschließen, daß
irgendwelche politischen Hornochsen für eine total bescheuerte Aktion
unseren Namen mißbrauchen. Von den Bullen wollen wir erst gar nicht reden.
Dagegen hilft nur eine ungeheure Intensivierung der politischen Diskussion,
eine glasklare, für jeden durchschaubare und nachvollziehbare Politik.
Wir müssen erreichen, daß jeder selbst entscheiden kann, ob diese oder jene
Aktion, diese oder jene Erklärung der Politik der RZ entspricht oder nicht
ohne auf die Bestätigung oder das Dementi eines nicht vorhandenen ZKs zu
warten. Das wird auch auf die Dauer die Waffen der Counter-Insurgency
stumpf machen.
Wir wissen, daß das Konzept, viele selbständige Zellen zu schaffen, eine
langwierige und anstrengende Angelegenheit ist. Doch es ist richtig, weil
es auf der Eigeninitiative und der Eigenverantwortlichkeit der Militanten
aufbaut, Funktionalisierung verhindert, Arbeitsteilung entgegenwirkt und
optimal sicher ist: die Bullen beißen sich schon seit Jahren erfolglos die
Zähne daran aus.
Und noch ein Wort zu dem ekelhaften Begriff Sympathisanten.2 Es gibt sie
nicht, sie sind eine Erfindung des Staatsapparates, der zu suggerieren
versucht, es gäbe oben die Akteure und unten die Claqueure
(Beifallklatscher).
Der Widerstand fängt nicht beim Bombenlegen an. Er kennt tausend Ebenen.
Deshalb können individuelle kleine Gruppen etc., die unabhängig voneinander
operieren, sich daran beteiligten, aktiv werden, weil nicht für jede Aktion
viele Leute und connections (Verbindungen) notwendig sind.
Die wichtigste Praxis einer Zelle ist politische Diskussion. Nur eine
Gruppe, in der eingestandene und verdrängte Ängste, Spannungen in den
Beziehungen untereinander ausdiskutiert werden, die ständig die Entwicklung
in der eigenen Region, in der BRD, in Europa analysiert, die am Libanon
lernt, die kurz gesagt in einem kollektiven Diskussionsprozeß daran
arbeitet, die Zersplitterung von privat und politisch, von innen und
außen aufzuheben, wird ein Ganzes. Sie wird zu einer revolutionären
politischen Praxis fähig.
Wir kennen Leute, die sich zusammengeschmissen haben, um Aktionen zu
machen, und nie über technische Diskussion rausgekommen sind. Das geht auf
Dauer nicht gut. Es führt entweder zu Aktionismus, in den meisten Fällen
jedoch sind die Leute nach kurzer Zeit gefrustet wieder
auseinandergelaufen. Ohne eine kontinuierliche, umfassende politische
Diskussion läßt sich keine revolutionäre Identität entwickeln und auf die
Dauer keine Praxis machen.
Die Vorstellung, daß sich Widerstand ernsthaft in losen Haufen mit mehr
oder weniger zufälliger Zusammensetzung praktizieren läßt, ist eine
Behauptung von Maihofer.3 Trotzdem ist mancher darauf reingefallen.
Ihr müßt euch gegenseitig wirklich kennen, ihr müßt euch absolut vertrauen
können und in langen, ausführlichen Diskussionen eure politischen
Vorstellungen und Erfahrungen vereinheitlichen. Entscheidend ist, daß ihr
dabei nie Leute unter moralischen oder gar physischen Druck setzt, das kann
nur schief gehen und verdammt gefährlich werden. Manche verwechseln dieses
Prinzip mit windelweicher Liberalität. Wir kommen weder mit einer Zwangs-
noch mit einer Krankenhausmentalität weiter. Wenn wir beides meiden wie die
Pest, sind wir auf dem richtigen Weg, zu uns selbst, innerhalb der Zellen
und zu unserer Umgebung ein befreiendes, liebevolles und förderndes ein
revolutionäres Verhältnis zu entwickeln.
Die wichtigste Eigenschaft eines Revolutionärs ist die absolute
Genauigkeit. Man muß sie sich als verschlampte Linke und verschlampter
Linker meist unter großen Anstrengungen und gegenseitiger Kontrolle wieder
draufschaffen. Denn der erste Fehler wird leicht zum letzten. Diese
Tatsache ist kein Grund zur Panik, sondern zur gründlichen Diskussion,
genauer Planung, absoluter Sorgfalt in der Durchführung und im Umgang mit
gefährlichem Material.
Grundsätzlich ist es richtig und nützlich, sich im Laufe der Zeit (neben
den Aktionen) Grundkenntnisse (einfache Lehrgänge erstellen) in Chemie,
Physik, Elektrotechnik, Fototechnik, Fälschen, Senderbau, Spurensicherung
und neueste Fahndungsmethoden anzueignen, sich gegenseitig vermitteln und
unter die Leute bringen.
Bereitet man eine Aktion vor, so muß man immer von den schlechtesten
Bedingungen ausgehen, d.h. jede Eventualität mit einkalkulieren. Die ganze
Geschichte immer wieder durchspielen, bis sie nicht 100 %, sondern 1000 %
sitzt. Bei der Vorbereitung gilt: so wenig Bewegung wie möglich so viel
wie nötig sie muß und kann durch präzise Planung ersetzt werden. Das gilt
für alle Aktionen, denn es gibt keine großen und kleinen im Sinne von viel
oder wenig Vorbereitungen.
Erst wenn die Geschichte steht, wird das Material eingekauft, in
verschiedenen Kaufhäusern. Nichts, auch kein Stromkabel oder Tesaband, aus
eurem normalen Hausvorrat gebrauchen. Alle Reste vor der Aktion vernichten.
Alle Wohnungen vor der Aktion cleanen. Wenn ein Ding vorher gefunden wird
oder nicht hochgeht, muß das benutzte Werkzeug vernichtet werden, weil
seine Merkmale auch an dem Brand- oder Sprengsatz zu finden sind.
Wenn ihr euch ans Bauen macht, dann räumt erst mal die Bude gründlich auf.
Zuerst für einen sauberen, übersichtlichen Arbeitsplatz sorgen, z.B. auch
Fußboden, Teppich mit Zeitung o.ä. auslegen, sich viel Zeit und Ruhe
nehmen, immer Sicherheitsvorkehrungen einbauen (Kontrollämpchen, Schalter)
und immer wieder zwischendurch kontrollieren.
Verwendet nie brennbares oder explosives Material, das ihr nicht genau
kennt. Verwendet nie Sprengmaterial, das ihr von irgendjemand bekommt, ohne
daß ihr wißt, wie man damit umgehen muß. Es gibt da riesige
Unterschiede.
Wenn ihr neue, brennbare oder explosive Mischungen ausprobieren wollt, dann
immer nur in allerkleinsten Mengen. Und laßt die Finger weg von Rezepten
wie im Kochbuch.
Wer ein Material oder eine Waffe nicht absolut beherrscht, d.h. vor allem
auch äußerst sorgfältig damit umgeht, bringt sich und andere damit um,
bevor er dem Feind schaden kann.
Genauigkeit in der Praxis ist wohl jedem einsichtig, wird aber trotzdem
immer wieder vernachlässigt. Vor allem von Anfängern, weil sie die
Gefährlichkeit der Materie unterschätzen; manchmal aber auch von alten
Hasen, weils hundertmal gutgegangen ist und die Aufmerksamkeit
nachläßt.
Die politische Erklärung einer Aktion soll sie in ihrer Zielsetzung und
Größenordnung erklären und nicht auf einem Stück Papier nachträglich
aufmöbeln. So geschehen in Düsseldorf, wo Genossen nem Zwangsverteidiger
die Karre angesteckt haben, was ja zu begrüßen ist. Sie haben das auch gut
vermittelt, zum Schluß aber noch schnell mit Liquidierung gedroht. Sowas
ist 1. die Sprache des terroristischen Staates; 2. fängt man mit der
Liquidierung nicht bei kleinen Zwangsverteidigern an; 3. spricht man
keine Drohung aus, die man nicht hundertprozentig einlösen kann, weil man
dadurch unglaubwürdig wird sich selber zum Maulhelden degradiert; und 4.
droht man nicht vorher, wenn man wirklich was vorhat, weil man es meistens
nicht mehr durchführen kann.
Wenn man anfängt, sollte man sich keine komplizierten oder politisch schwer
vermittelbaren Aktionen vornehmen. Je eindeutiger, desto besser. Eine
Aktion muß aus sich heraus verstanden werden. Muß man sie erst groß
erklären, steht sie auf viel zu schwachen Beinen, um sich gegen die Staats-
und Medienhetze durchzusetzen. Denn die kommt immer schlimmer als man sich
denkt. Wichtig ist also nicht, was man sich in seinem Hinterkopf bei der
Sache gedacht hat, sondern ob die Absicht durch die Aktion selber
vermittelt wird. Die Bullen- und Medienhetze hat das Ziel, die Aktionen und
politische Konzeption des bewaffneten Kampfes so zu verzerren und zu
entstellen, daß sich keiner darin wiedererkennen soll, sich damit
identifizieren kann (z.B. da werden dann aus Fahrscheinkontrolleuren
harmlose Trambahnfahrer). Wer das nicht einkalkuliert und dem nicht durch
den eindeutigen Charakter der Aktion entgegenarbeitet, erkennt oft seine
eigenen Handlungen nicht wieder, wenn sie, von der psychologischen
Kriegsführung bearbeitet, der Öffentlichkeit präsentiert werden. Am
besten, man legt sich ein dickes Fell zu.
Viele Genossen sagen, die Erklärungen seien oftmals besser als die Aktionen
selbst. Dabei sitzen sie ihrem kolonisierten Kopf auf. Denn wie ihnen
Aktionen erscheinen, wird mit von den Hetz- und Verdrehungsmöglichkeiten
der psychologischen Kriegsführung bestimmt. Das richtige Begreifen einer
Aktion muß sich also erst durch diese Gehirnwäsche durcharbeiten. Wem diese
Anstrengung zu groß ist, wird nie seine Plastikhaut los, die
undurchdringlich gegenüber Erfahrungen geworden ist und nur noch an
Inszenierungen glaubt.
Die Erklärungen sind deshalb leichter zugänglich, weil wir darin
unverfälscht zu Wort kommen, Mißverständnisse dadurch ausgeschaltet werden.
Doch auch da ist der Feind nicht untätig, indem er einzelne Sätze aus dem
Zusammenhang reißt, dadurch ihren Sinn entstellt, die Leute verwirrt,
deshalb muß jeder einzelne Satz in ner Erklärung, für sich genommen,
eindeutig sein, auf Hetzmöglichkeiten abgeklopft werden.
Der schlimmste Feind des Revolutionärs ist die Naivität. Naiv ist es, den
Gegner in seiner Niederträchtigkeit zu unterschätzen; auf seine biedere
Maske in den Metropolen hereinzufallen, zu glauben, er kenne noch letzte
rechtliche und moralische Schranken. Carlos Marighella4 nennt diese
Fiktion, an die sich mancher trotz besseren Wissens klammert, die Sünde der
Unerfahrenheit.
Wir wollen hier noch einmal als Zusammenfassung und Erweiterung des bisher Gesagten seine Sieben Sünden der Stadtguerilla in Erinnerung rufen, weil man sie sich nicht oft und genau genug einprägen kann
1. die erste Sünde der Stadtguerilla ist die Unerfahrenheit.
Der von dieser Sünde verblendete Stadtguerilla hält den Feind für dumm,
unterschätzt seine Intelligenz, sieht alles einfach an und hinterläßt
infolgedessen Spuren, die zu seinem Verderben führen können.
Aus Unerfahrenheit kann der Stadtguerilla auch die Kräfte des Feindes
überschätzen und sie für größer halten, als sie in Wirklichkeit sind. Wenn
er sich von dieser Annahme narren läßt, wird er eingeschüchtert und bleibt
unsicher und unentschieden, gelähmt und mutlos.
2. Die zweite Sünde des Stadtguerilla ist das Prahlen mit den Aktionen, die
er ausgeführt hat und das Ausposaunen in alle vier Himmelsrichtungen.
3. Die dritte Sünde des Stadtguerilla ist die Eitelkeit. Der eingebildete
Stadtguerilla versucht, die Probleme der Revolution mit Aktionen zu lösen,
ohne sich um die Anfänge und Entwicklung der Massenbewegung zu
kümmern.
4. Die vierte Sünde der Stadtguerilla besteht darin, daß er seine Stärke
überschätzt und Projekte in Angriff nimmt, für die es ihm an Kraft und der
erforderlichen Infrastruktur fehlt.
5. Die fünfte Sünde des Stadtguerilla ist überstürztes Handeln. Der
Stadtguerilla, der diese Sünde begeht, verliert die Geduld, wird nervös,
kann nicht gelassen abwarten und stürzt sich besinnungslos in die Aktion,
wobei er fürchterliche Rückschläge erleidet.
6. Die sechste Sünde des Stadtguerilla ist der Angriff auf den Feind, wenn
er am zornigsten ist.
7. Die siebte Sünde des Stadtguerilla ist mangelnde Planung der Dinge und
improvisiertes Handeln.