Prozeßerklärung Hermann Feilings September 1980
Während die Fußballweltmeisterschaft 1978 in Argentinien in der Nähe vom Folterzentrum zu Ende kam und die Bundesregierung zynisch die Aufnahme von 500 argentinischen politischen Gefangenen versprach, explodierte mir ein Sprengsatz zu Haus. Er war für das argentische Konsulat in München bestimmt. Ich verlor durch den Unfall beide Augen und Beine. Bis heute hat die Bundesrepublik 20 freigelassene argentinische Gefangene aufgenomen und micht klagt man wie ich gehört habe vor Gericht an. Mir und 2 mitangeklagten Frauen wird vorgeworfen, Mitglied der Revolutionären Zellen zu sein. In dem geplanten Prozeß soll die Sinnlosigkeit linksradikalen militanten Widerstands vorgeführt werden. Wenn ich auch durch den Unfall nochmals erfahren mußte, welches Risiko mit diesem Kampf verbunden ist, so weiß ich auch, daß meine Ankläger, die diesen Widerstand am liebsten nach Kabul schicken würden, eine ganz andere Gewalt verteidigen
20.000 Tote forderte der Militärputsch in kurzer Zeit in Argentinien. Heute sind argentinische Gruppen und Berater in Bolivien dem putschenden Militär behilflich. Die deutsche Kernkraftwerksunion betreibt Atomgeschäfte mit Argentinien, und die Bundesregierung segnet den Verkauf von Panzerwagen durch Hentschel (Kassel) an die argentinische Armee ab.
Der Terror der Gorillas3 ist im Sinne internationaler
Konzerninteressen. Aber auf der Tabelle, die Börsenkurse anzeigt, wird Blut
nie sichtbar. Die blutige Verfolgung des Widerstandes in Ländern
Lateinamerikas ist Bedingung einer Wirtschaftspolitik, die für die Masse
der Bevölkerung ökonomischer Völkermord heißt und den Konzernen die Türen
öffnet.
Diese Politik wird vom Weltwährungsfonds durchgesetzt, indem er Kredite an
solche politischen Bedingungen bindet, die in Peru z.B. dazu führen, daß
109 von 1.000 Kindern sterben, bevor sie gehen können. Argentinien ist e i
n Beispiel für imperialistische Barbarei, betrieben durch die reichen
Länder des Westens. Die Bundesrepublik ist in diesem System eine Metropole,
und hier zu leben heißt für jeden, sowohl Opfer als auch Mitschuldiger zu
sein in einem System, das jährlich Millionen Hungertote fordert.denn wir
leben hier nicht nur i n diesen Strukturen, wir leben auch von ihnen.
Antiimperialistische Politik heißt Aussbrechen aus diesem Status von halb
Opfer, halb Mitschuldiger, heißt nicht mehr ein Teil des Problems zu sein,
sondern Teil von dessen Lösung.
Es geht nicht um Bewunderung ferner Befreiungsbewegungen, sondern um die
Erkenntnis, daß der Angriff auf Institutionen ausländischer Terrorregimes
Teil unseres eigenen Befreiungskampfes ist. Zur Zeit wachsender
Kriegsdrohungen wird die Notwendigkeit einer antiimperialistischen Bewegung
immer deutlicher, um eine existenzielle Bedrohung abzuwehren.
Die Bundesregierung nimmt als NATO-Mitglied in Kauf, daß ganz Westeuropa
bei einem Atomkrieg in Schutt und Asche gelegt wird und läßt zu, daß das
Land zum Waffenarsenal der NATO geworden ist. Wir sitzen hier quasi auf den
Atombomben. Es gab und gibt ja auch in der Bundesrepublik Soziale
Bewegungen, z.B. Anti-AKW-Initiativen, Frauenbewegung und
Fahrpreiskampagnen, die nicht gering geschätzt werden können.
Der Aufbau eines staatlichen Unterdrückungsapparates angefangen bei der
materiellen und personellen Aufrüstung der Polizei bis hin zur Errichtung
von Hochsicherheitstrakten will verhindern, daß aus Revolten langfristig
sozialrevolutionäre Bewegungen werden. RZs haben sich an den
Auseinandersetzungen beteiligt, indem sie über Demonstrationen und
Bauplatzbesetzungen gegen AKWs usw. hinaus, Möglichkeiten des Kämpfens
zeigten. Ich finde diese Ideen richtig, hatte jedoch am 23. Juni 78 den
genannten Unfall. Damit geriet ich beim Widerstand gegen die Verhältnisse
in Argentinien selbst quasi in argentinische Zustände. Polizei und
Bundesanwaltschaft sahen in meinem Zustand die Chance, außerhalb von
jeglicher Kontrolle ihr Problem RZ angehen zu können.
Die Vernehmung lebensgefährlich Verletzter ist eigentlich gesetzlich
verboten. Aber was tut's? Die beteiligten staatlichen Organe haben in ihrer
Bekämpfung von Revolutionären schon längst die Gesetze, die ihre Macht
beschränken, praktisch auf die Müllhalde geworfen. Die Morde in Stammheim4,
die Situation von Günter Sonnenberg5, der 2. Juni-Prozeß in Berlin6 zeigen
die Brutalisierung der Operationen gegen eine Fundamentalopposition, wenn
sie nicht lieb ist und sagt, daß sie es nicht wieder tun will. Was die
Bundesanwaltschaft bewegte und bewegt, ist einem Zitat von Bundesanwalt
Harms zu entnehmen: Wir haben 70 Anschläge aufzuklären und keiner will's
gewesen sein.
Den derart jahrelang frustrierten Fahndern kam mein lebensgefährlicher
Zustand, die Traumatisierung nach der Erblindung, meine völlige Hilfs- und
Orientierungslosigkeit gerade richtig. 1.300 Seiten Vernehmungsprotokolle,
die von mir stammen sollen, sind Ergebnis dieser Situation. Da werden dann
auch Personen aus meiner damaligen phantastischen Traumwelt in
RZ-Zusammenhänge gebracht, bzw. es werden Personen belastet, die ich nie
kannte. Um den Vernehmungen ihre Fragwürdigkeit zu nehmen, feierten dann
die Staatsschützer in bezug auf mich in der ihnen zur Verfügung stehenden
Presse große Siege über RZs, die sie real nie erzielt haben. Im Spiegel
avancierte ich gar zum Mittelpunkt von Ereignissen, die vom Knallfrosch
bis zum Hijacking (Spiegel 34/78) reichen.
Diese angeblichen Vernehmungsprotokolle sind für mich das Ergebnis einer
Behandlung, die den Namen Folter verdient. Ich halte es für aberwitzig,
Angaben daraus zu verwenden.
aus: Kölner Stadtrevue, 1980
Nachtrag
Die in diesem Buch versammelten Texte scheinen mir auch heute wichtig. Es kann zwar nicht darum gehen, eine eindeutige Perspektive zu benennen, aber auch nicht darum, alles für null und nichtig zu erklären. Ich will, daß die Diskussion weitergeht, und verfolge sie.
Gerade anhand der Ereignisse um Gerd Albartus konnte erkannt
werden, daß es eine Tendenz zum Verdrängen immer wieder gibt. Jedenfalls
gab es wohl eine Reihe von Leuten, die über seinen Tod schon früher
Bescheid wußten, und eine offene Diskussion scheint erst jetzt möglich.
Zusätzlich finde ich wichtig, wie es in diesem Buch geschieht, daß Gedanken
und Geschehnisse von früher nicht einfach vergessen werden. Auch wenn es
bestimmt Leute gibt, die auf der Entwicklungsstufe der späten 70er Jahre
stehengeblieben sind.
Hermann Feiling
August 1992