Die Bewegung gegen die Startbahn West August 1983
Dieses Papier ist das vorläufige Ergebnis unserer Aufarbeitung des Kampfes gegen die Startbahn 18 West.
Wir haben diese Untersuchung versucht, weil wir es wichtig
finden, die Gründe für die Entwicklung von Kämpfen, ihren Siegen und
Niederlagen herauszufinden und auf den Begriff zu bringen, um Konsequenzen
daraus ziehen und damit arbeiten zu können.
Für die bevorstehenden Auseinandersetzungen um das AKW Wyhl, die WAA in
Dragahn1 etc. ist es wichtig, daß die Startbahn-Bewegung ihre Erfahrungen
zusammenfaßt und weitergibt. Denn gerade der Konflikt um die Startbahn war
der erste, in dem die Herrschenden ihre Interessen trotz riesiger
Mobilisierung und massenhafter Radikalisierung militärisch durchgesetzt
haben. Die Erfahrungen, die hier gemacht wurden, konnten in Wyhl und in
Dragahn/Gorleben so noch gar nicht gemacht werden. Wir beanspruchen mit
unserem Beitrag weder Vollständigkeit noch absolute Richtigkeit. Es geht
uns vielmehr darum, einen Diskussions- und Aufarbeitungsprozess in der
Bewegung in Gang zu setzen und diese Diskussionen auch öffentlich
(schriftlich) zu führen.
Daß das Papier Einschätzungen enthält, die viele provozieren und manche als
zu hart oder gar unerhört empfinden werden, ist uns klar. Andererseits ist
dies unumgänglich, weil das Ziel offene und radikale Diskussion über den
und nicht Glorifizierung und Beweihräucherung des Widerstands heißt. Die
Linke hat es bisher nie geschafft, gekämpfte Kämpfe gründlich und genau zu
analysieren, um aus den gemachten Fehlern überhaupt lernen zu können.
Dieses Manko muß schleunigst aufgehoben werden.
Praktisch könnten wir uns vorstellen, aus den Ergebnissen einer Vielzahl
von Diskussionen eine Broschüre oder ein Buch zu machen. Ein
Buch/Broschüre, das/die erscheint, weil so viel gedacht und geredet worden
ist. Und keine Diskussionen, die geführt werden, weil was veröffentlicht
werden soll.
Es wäre an der Zeit, eine eigene Geschichtsschreibung zu entwickeln, die
weniger die Repressions- als vielmehr die Widerstandserfahrungen, Erfolge
wie Niederlagen vermittelt. Eine Geschichtsschreibung der Bewegung selbst,
die das nicht mehr den mehr oder weniger Professionellen und in der Regel
Außenstehenden überläßt.
In vielen Bereichen und Gruppen sind wir natürlich nicht drin, kennen uns
nicht aus (v.a. in solchen, die nicht unbedingt im Rampenlicht stehen) und
können deshalb nicht einschätzen, was dort läuft und wie. Viele positive
Ansätze haben wir aus diesem Grund nicht mitgekriegt und konnten deshalb
auch nicht in unsere Einschätzung einfließen. Es wäre gut, wenn sich gerade
auch die Gruppen und Leute mal äußern würden, die heute noch aktiv gegen
die Startbahn kämpfen und mal darstellen würden, wie sie das Ganze
betrachten.
Die Verhinderung eines Großprojektes könnte ein wichtiges Etappenziel eines
langfristig angelegten Kampfes sein, das durch seine Signalwirkung die
Perspektive von Widerstand, gegen die Resignation und Ohnmacht, verbreitert
und stärkt. Das Gefühl, doch nichts ändern zu können, letzten Endes immer
der Verlierer zu sein, hält viele Leute davon ab, sich beharrlich zu
wehren.
Um den Startbahnkomplex unter diesen Voraussetzungen wenigstens im
Nachhinein zu untersuchen, ist natürlich die erste Frage, um was für ein
Projekt es sich überhaupt handelt. In welchem politischen, ökonomischen und
militärischen Kontext steht es, ist es seitens der Herrschenden aufgebbar
oder nicht?
Die Bewegung selbst haben wir primär unter dem Gesichtspunkt betrachtet,
wann es in ihrer Entwicklung eine Stärke gab, die weiterentwickelt es
möglich gemacht hätte, das Projekt zu kippen oder wenigstens erheblich zu
verzögern. Was hätte besser oder anders gemacht werden können, wie war die
Bewegung zusammengesetzt, welche vorhandenen bzw. fehlenden politischen
Strukturen sind evtl. Ursache ihres Scheiterns?
Für die Frage nach den Entwicklungsmöglichkeiten und Perspektiven einer
regionalen Bewegung ist es von zentraler Bedeutung, wie es eigentlich um
die radikale Linke in der Region ausschaut. Beschränken wir uns dabei auf
Frankfurt, weil Kapitalmetropole dieser Region und Ende der 60er / Anfang
der 70er eine Hochburg der linksradikalen Bewegung. Daß die Situation der
autonomen Szene hier weit weniger rosig ist, als es außerhalb vielleicht
scheinen mag, hat einen historischen Hintergrund, den wir notgedrungen
kurz anreißen wollen.
Das Volksbegehren2 war für die überregionale Mobilisierung ein wichtiger
Faktor. Welche Funktion kam ihm regional zu?
Bürgerinitiativen prägen die AKW- und Umweltbewegung, ebenso die
Friedensbewegung. Für eine Einschätzung ihrer Taktik und
Konfliktbereitschaft, wie für die Frage nach möglichen Bündnispartnern
ist es unverzichtbar, zu wissen, mit wem mensch es dabei zu tun hat, was
deren Hintergrund und ihre Perspektiven sind.
Die Startbahnbewegung ist initiiert und hauptsächlich getragen von der
ansässigen Bevölkerung. Was sind die lokalen Voraussetzungen und welche
Folgen hat das Projekt für die dort Lebenden?
Unser Engagement im Konflikt war relativ groß und kontinuierlich: wie
haben wir unsere Beteiligung am Kampf gegen die Startbahn gesehen, was
finden wir in Nachhinein richtig, was falsch und kritikwürdig?
Im Anschluß daran folgt dann noch der Versuch einer Auseinandersetzung mit
der Karry3-Aktion.
Der weitaus überwiegende Teil des Papiers ist bereits über ein halbes Jahr
alt und deshalb teilweise nicht mehr auf dem neusten Stand. (August
1983)
Die Startbahn West und andere Großprojekte
Die Startbahn West ist Anfang der 60er Jahre auf dem Höhepunkt des sog. Wirtschaftswunders projektiert worden. Die Nachkriegsära mit dem Wieder- sprich Neuaufbau des durch den 2. Weltkrieg zerstörten Kapitals und insbesondere seiner Infrastruktur war abgeschlossen. Die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt der 20er und 30er Jahre war durch Faschismus und Krieg zunächst zerschlagen und paralysiert, während und nach dem Krieg (Ausländische Zwangsarbeiter Flüchtlingsströme aus dem Osten süd- und südosteuropäische Arbeitsemigranten) wieder neu zusammengesetzt und das westdeutsche Kapital auf einer technologisch höheren Stufe neu strukturiert worden. Der darin begründete langanhaltende Boom Mitte der 50er bis Mitte der 60er ermöglichte dem in der BRD investierten Kapital hohe Profitraten und dementsprechend vor allem in den deutschen Facharbeiter- und Angestelltenschichten breite Schichten von Konsum und gesellschaftlichem Konsens auszubauen.
Aufgabe staatlicher Wirtschaftspolitik war, die Bedingungen
dieser Entwicklung möglichst lange fortzuschreiben. Nach der Depression
Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre hatte der englische Ökonom John Maynard
Keynes4 die nach ihm benannte Wirtschaftspolitik (Keynsianismus)
entwickelt, die ein gewisses Maß sozialer und wirtschaftlicher Stabilität
in den kapitalistischen Metropolen sichern sollte.
Der Keynsianismus mittlerweile offiziell längst zu Grabe getragen
bestimmte entscheidend die Richtung der damaligen Wirtschaftpolitik.
Er beinhaltet u.a. eine staatliche Geldpolitik, die bspw. durch Senkung des
Zinsniveaus Investionsanreize schaffte wie durch Erhöhung der Geldmenge
eine flexible, d.h. konfliktmindernde Lohnpolitik ermöglichte (staatliche
Reallohnsenkung durch Inflation). Des weiteren die Ausweitung eines
künstlichen, weil ausschließlich durch staatliche Nachfrage geschaffenen
Marktes. Die dafür notwendigen Gelder treibt der Staat über
Teilenteignungen (Steuern und Abgaben) sowie über Kredite
(Staatsverschuldung) ein. Die zentralen Bereiche dieses durch staatlichen
Konsum geschaffenen Marktes sind die Rüstungs- und die Bauindustrie.
Der Bausektor beinhaltet vor allem den Ausbau einer Infrastruktur, die zwei
Nutznießer hat: das Kapital und das Militär (Nato).
In diesen Zusammenhang gehören sämtliche Ende der 50er/Anfang der 60er
entworfenen Großprojekte, von denen die Startbahn eines unter vielen ist.
So stammen aus dieser Zeit allein im Bereich Luftverkehr folgende
Projekte:
Flughafen Hamburg-Kaltenkirchen
Norddeutscher Großflughafen bei Bremerhaven
Dritter Verkehrsflughafen für Nordrhein-Westfalen bei Drensteinfurt
Flughafen Rhein-Main 2 zwischen Mainz und Kaiserslautern
Flughafen Stuttgart-München zwischen Ulm und Augsburg
Flughafen Stuttgart 2
Flughafen München 2 bei Erding.5
Von diesem gigantischen Flughafenausbaukonzept der 60er Jahre ist die Startbahn neben dem noch offenen München 2 als einzige übriggeblieben. Hinzugekommen sind in der jüngsten Zeit allerdings neue Ausbaupläne (z.B. Hannover und Bremen), die mit der Startbahn eines gemeinsam haben
die Einbringung in die aktuelle Nato-Strategie (dazu später). Dieselbe Gemeinsamkeit besteht mit allen anderen sog. zivilen Großprojekten aus jener Zeit, die allein unter ökonomischen Gesichtspunkten ein totaler Flop sind, aber dennoch mit ins Unermeßliche steigenden Milliardensummen hochgezogen werden.
Dazu gehören unter anderem (und kann jeweils nur kurz und thesenartig angerissen werden)
Der Rhein-Main-Donau-Kanal
Bis zu seiner Fertigstellung soll er nach offiziellen Angaben noch (!) 4,5 Milliarden DM verschlingen. Ein Projekt, an dem ökonomisch nur die bayrische Landesregierung und selbstredend die Bauindustrie ein Interesse haben kann. Für die bayr. Landesregierung bedeutet es Anbindung des traditionell extrem strukturschwachen Gebietes zwischen Regensburg und Passau (Bayr. Wald) an einen Schiffahrtsweg, der sich dann vom Rotterdamer Hafen über das Ruhrgebiet, die Rhein-Main-Region, das Industriedreieck Nürnberg/Erlangen/Fürth durch Österreich (Linz/Wien), die Tschechoslowakei (Bratislava), Ungarn (Budapest), Jugoslawien (Belgrad), entlang der rumänisch-bulgarischen Grenze (Bukarest und Sofia) bis ins Schwarze Meer erstreckt (zusätzliche Anliegerstaaten UdSSR und Türkei).
Forcieren würde dies eine Industrialisierung des bisherigen
Feriengebiets Bayrischer Wald. Attraktiv für's Kapital ist dieser als
bedingt durch traditionell hohe Arbeitslosenzahlen, Heimarbeit etc.
ausgesprochene Billiglohnregion. Nach der Wende vom letzten Oktober und
dem kurz darauf gefällten Entschluß, den Kanal fertigzustelen, hat der
BMW-Konzern prompt reagiert und Regensburg (an der Donau) zum Standort für
ein schon länger geplantes neues Zweigwerk bestimmt.
National gesehen wird die Fertigstellung des Kanals allerdings erhebliche
wirtschaftliche Folgen für den Hamburger Hafen (zugunsten von Rotterdam)
und für die sowieso schon defizitäre Bundesbahn haben, die, um
konkurrenzfähig zu bleiben (das ist nun mal die immanente Logik), ihre
Frachttarife senken müßte. Welche darüber hinausgehende Funktion hat also
dieser keiner gesamtstaatlichen ökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse
standhaltende Kanal, außer Unsummen an Geldern in die Bauindustrie zu
verpulvern?
Der ehemalige Bayr. Innenminister Tandler hat's in aller Offenheit
angedeutet: der Kanal könne im Kriegsfall als Aufmarsch- und
Versorgungslinie dienen. Was die Aufmarschlinie betrifft: der Kanal (als 25
m tiefe und bis zu 290 m breite Betonrinne) deckt mit und als Verlängerung
der Donau die gesamte deutsch-tschechoslowakische Grenze (zwischen Bamberg
und Passau) in einer Entfernung von minimal 35 km und maximal 120 km
Luftlinie ab.
Darüberhinaus drängt sich geradezu auf, daß der Kanal Bestandteil einer
Vorverlegung der 1. atomaren Verteidigungslinie ist. Dies vor allem im
Zusammenhang mit dem Master Restationing Plan (MRP), der eine Verlegung
der in der Rhein-Main-Region stationierten US-Truppen in nordöstlicher
Richtung zur DDR-Grenze hin beinhaltet. Der neue Verlauf dieser Linie wäre
dann die Achse aus folgenden zumeist Stationierungsorten von Bundeswehr und
(vorwiegend) US-Truppen:
Mühldorf Ohu(AKW)/Landshut Rottenburg Kelheim(Mündung Donau/Kanal; in
unmittelbarer Nähe A-Waffenlager) Nürnburg (massierte US-Präsenz;
zahlreiche Depots) Grafenrheinfeld(AKW)/Schweinfurt Bad Kissingen
Wildflecken(geplanter US-Standort im Rahmen von MRP)/Gersfeld Fulda (u.a.
Chemical Detachment) Schlitz (geplanter US-Standort auf dem Eisenberg im
Rahmen von MRP) Fulda Gap (Fulda Senke) Hattenbach (Ground Zero =
0-Punkt = Aufschlagspunkt der A-Bombe)/Bad Hersfeld Schwarzenborn
Borken(geplantes AKW/Schnittpunkt mit nördlichem Teil der
Linie)/Homberg.
Unweit westlich dieser Linie befinden sich die im Rahmen von MRP gerade
fertiggestellten bwz. noch im Bau befindlichen hessischen Munitionsdepots
(Alsberg, Gundhelm, Gieseler Forst, Grebenhain, Ottrau).
Das Großklinikum Aachen
Nach Angaben eines Krankenkassen-Direktors wurde bewußt mit falschen Zahlen operiert, um den Bau dieses größten Klinikums der Welt inmitten der Unikliniken Köln, Düsseldorf und jenseits der Grenze Maastricht, Lüttich und Heerlen durchzusetzen. Das Ganze ist dermaßen gigantisch angelegt worden, daß es unter dem eigenen Gewicht schon 10 cm in den Boden gesunken ist. Kostensteigerung
von 632 Millionen auf 2 Milliarden. Inbetriebnahme
nicht absehbar. Betrachtet mensch das
Klinikum unter militärischen Gesichtpunkten, so fällt v.a. dessen
geographische Lage in den Blick Aachen als westlichste Stadt und auf der
mittleren Achse der BRD hinter dem Industrie- und Militärzentrum Ruhrgebiet
und ca. 60 km Luftlinie hinter der Rhein-Rhone-Linie, der 2. atomaren
Verteidigungslinie der Nato, gelegen. In einem Radius von 130 km befindet
sich das gesamte Ruhrgebiet einschließlich Dortmund, fernerhin die Linie
Koblenz Siegen Trier. In einem Radius von etwa 300 km befindet sich im
Norden die Linie Oldenburg Bremen Hannover, östlich die Grenze zur DDR
und südlich die Linie Würzburg Stuttgart Freiburg (darin also auch die
gesamte Rhein-Main-Region und die Pfalz/Saarland).
Das Atomprogramm
das nicht nach Kriterien von gesellschaftlichem Bedarf und Wirtschaftlichkeit funktioniert, sondern sich danach bestimmt, welche Energieform für die Betreiber und Erbauer am profitabelsten ist. Da bei der Atomenergie der Staat nahezu die ganzen Forschungs-, Entwicklungs-, Bau- und Entsorgungskosten trägt, sind die AKWs für die Betreiber durchaus profitabler als jedes andere Kraftwerk und ermöglichen billige Stromtarife für die automatisierten Großfabriken (die Otto Normalverbraucher durch entsprechend hohe ausgleichen darf). Ein Ingenieur aus Trier hat am Beispiel Biblis A mal errechnet, daß der Reaktor 29 Jahre störungsfrei laufen müßte, um die allein für seinen Bau verbrauchte Energie wieder zu erzeugen.
So waren auch die Energiekonzerne bei den bis Herbst 81 in Kalkar verbauten 5 Milliarden Mark nur mit ganzen 41 Millionen dabei. (Historischer) Hintergrund der staatlichen Forcierung und Finanzierung des Atomprogramms sind hier ebenfalls v.a. militärische Interessen
die deutsche Option auf die A-Bombe (Plutoniumerzeugung) und der Aufbau von regional geschlossenen Teilverteidigungswirtschaften (dazu ausführlichst
Autonomie Neue Folge, Nr. 4/5).
Der zivile Teil des Frankfurter Flughafens
ist heute der mit Abstand größte der BRD, der zweitgrößte Europas und seit 1980 der größte Frachtflughafen Europas (vor London mit insgesamt 3 Flughäfen). Hinzu kommt die im südlichen Bereich des Flughafens gelegene Air-Base der US-Army mit dem größten Terminal des Militärischen Lufttransportkommandos (Military Airlift Command) mit jährlich ca. 500.000 Passagieren und dem größten Frachtflughafen der Army außerhalb der USA (1980 ca. 66.000 t); die Air-Base ist damit der zweitgrößte Frachtflughafen in der BRD vor Köln (1980
52.000 t) und München (1980
39.000 t).
Bereits 1955 hatte Frankfurt mit (angesichts der heutigen
Zahlen) bescheidenen 833.000 Verkehrseinheiten (VE) 33,9 % aller VE in der
BRD an sich gezogen. Ursächlich dafür waren zunächst der unmittelbar nach
Kriegsende erfolgte Ausbau des Flughafens durch die Yanks. Insofern ist er
vergleichbar mit dem Düsseldorfer Flughafen, dessen relative
Spitzenstellung sich daraus erklärt, daß er ebenfalls nach 45 von den
britischen Streitkräften in Betrieb genommen und den neuen Erfordernissen
angepaßt wurde.
Die Benutzung des Frankfurter Flughafens durch die Air-Force in Verbindung
mit der Konzentration der US-Streitkräfte in der Rhein-Main-Region
prädestinierte Frankfurt von Anfang an als Knotenpunkt nicht nur der
militärischen, sondern aller Interkontinentalflüge. Ein zweiter
wesentlicher Punkt war die wirtschaftsgeographische Lage des Frankfurter
Raums, wo sich zahlreiche Nord-Süd- und Ost-West-Verkehrsachsen bündeln.
Das Frankfurter Kreuz als Schnittpunkt dieser Verkehrsachsen und der
direkt anliegende Flughafen bilden militärisch und ökonomisch eine
infrastrukturelle Einheit, die als solche bereits im 3. Reich konzipiert
und gebaut worden war. (Der von den Nazis betriebene Autobahnausbau incl.
Frankfurter Kreuz und seine militärischen Hintergründe sind weitgehend
bekannt. Weniger dagegen, daß der Frankfurter Flughafen sich bis 1936 am
Rebstock (nahe Messegelände) befand und die ersten Rodungen für den
heutigen Flughafen 1934 begannen. Die auch heute an der Startbahn West
beteiligte Stuttgarter Baufirma Züblin benutzte übrigens für den Anfang der
40er erfolgten weiteren Ausbau des Flughafens Frauen aus dem KZ
Natzweiler-Struthof, für das am Flughafengelände extra eine Außenstelle
errichtet wurde.)
Aufgrund dieser Gegebenheiten war es nur logisch, daß die Deutsche
Lufthansa nach ihrem Wiederaufbau 1955 zwecks optimaler Kostendeckung
Frankfurt zu ihrem Zentralflughafen bestimmte (Ausgangs- und Endpunkt ihres
Interkontinentalverkehrs; Bestimmung der anderen westdeutschen Flughäfen
als Zubringer für die Zusammenführung der Langstreckenverbindungen in
Frankfurt). So beträgt der Anteil der Lufthansa an den in Frankfurt
erbrachten Verkehrsleistungen 52 %. Da die BRD-Flughäfen für ausländische
Fluggesellschaften nur in dem Maß attraktiv sind, wie das dort angebotene
Abfertigungs- und Frachtumschlagsvolumen bereits von der Lufthansa genutzt
wird, bedeutete diese Entscheidung eine doppelte Konzentration des
internationalen Luftverkehrs auf Frankfurt. Dies führte dazu, daß sich die
in Frankfurt umgeschlagenen VE von 1955 bis 1974 verzwanzigfachten (1974 :
16.361.00 VE = 44 % aller VE in der BRD).
Im gleichen Zeitraum (1959) wurde die Air-Base im Rahmen der Nato-Planungen
zum zentralen Luftstützpunkt für die Logistik der US-Army in Europa
bestimmt. Dieser Nachfrage kam der in öffentlicher Hand befindliche
Konzern FAG (Aktionäre: Land Hessen 45 %, Stadt Frankfurt 29 %, BRD 26 %)
mit der Erweiterung der beiden Start- und Landebahnen auf 3.600 bis 3.900 m
(19591965) und der Beantragung einer 3. Startbahn 1965 nach.
Der nächste Konzentrationsschub erfolgte Anfang der 70er mit der sog.
Ölkrise. Die Verringerung der Nachfrageexpansion Ende der 60er und die
Auslieferung der (schon Jahre vorher bestellten) Großraumflugzeuge Anfang
der 70er hatten bereits zu einem Kapazitätsüberhang bei den
Fluggesellschaften geführt. Die 1973 inszenierte Ölkrise als Beginn der
dann seit 74 in den transnationalen Konzernen geschaffenen Dauerkrise in
den kapitalistischen Metropolen bedeuteten für den Luftverkehr rapide
steigende Treibstoffpreise bei gleichzeitigem tendenziellen Rückgang der
Massennachfrage. (Deren Zielsetzungen sind: 1. die Um- und Neuverteilung
der gesellschaftlich produzierten Mehrwertmassen zwecks Maximierung der
eigenen Profitraten. 2. Angriff auf die Masseneinkommen und die Revolten
und Kämpfe der multinationalen Massenarbeiter und Jugendlichen in den
westlichen Metropolen. Darüber gewaltsame Durchsetzung einer neuen
Arbeitsmoral und der Niedriglohnarbeit zur Wiederherstellung hoher
Mehrwert- und Profitraten.)
Um die daraus entstehenden Einbußen aufzufangen, war die Folge eine erneute
Konzentration der Beförderungsleistungen auf die Knotenpunkte der
internationalen Verkehrsräume und damit auf Frankfurt. Der den Gesetzen
kapitalistischer Konzentration und Monopolisierung unterliegende
Luftverkehr bündelt die Verkehrsströme zu gigantischen
Konzentrationspunkten.
Das Zentrum ist rentabler, saugt dadurch immer mehr an sich, wird immer
größer, was wiederum seine Rentabilität und Attraktivität (z.B. kürzere
Bodenzeiten, Anschlüsse in alle Welt) steigert usw. Das hat zur Folge, daß
Frankfurt selbst beim heutigen allgemeinen Rückgang des Flugverkehrs die
geringsten Einbußen bzw. sogar noch ein leichtes Plus zu verzeichnen
hat.
Die Air-Base
ist nicht den US-Luftstreitkräften in Europa (US Air Force Europe USAFE Hauptquartier
Ramstein), sondern direkt dem Military Airlift Command (MAC) unterstellt. Sämliche US-Flughäfen in Europa beziehen den Teil ihres Nachschubs, der per Luftfracht befördert wird, über Frankfurt. (aus Flughafen-Nachrichten der FAG).
1980 landeten auf Rhein-Main von den strategischen Transportern
im Schnitt täglich ca. 10 Starlifter und 23 Galaxies (größtes
Transportflugzeug der Welt). Außerdem jede Menge Turbopropmaschinen vom Typ
Herkules, die für den taktischen Lufttransport innerhalb des europäischen
Kommandobereichs eingesetzt werden. Im Jahresdurchschnitt 1980 machte das
74 % aller Flugbewegungen auf Rhein-Main.
Neben der Verteilerfunktion des Nachschubs für Europa hat die Air-Base die
Funktion einer interkontinentalen Luftbrücke für Waffen und Truppen nach
Nahost, Asien und Afrika. Beispiele sind die Libanon-Besetzung 1959, der
Vietnam-Krieg, drei Nahost-Kriege, die gescheiterte Iran-Intervention,
Manöver in Ägypten (Big Lift, Reforger). So wurde auch während der
Libanon-Invasion im Sommer 82 eine erhebliche Zunahme der Militärflüge
beobachtet. Hinzu kommen wird in Zukunft Transport der und Nachschub für
die offensichtlich in der Türkei vorgesehene Stationierung der Schnellen
Eingreiftruppe.6 Darüber, wie über die im Rahmen der Nato-Aufrüstung
geplanten Maßnahmen wird sich der Anteil der von der Air-Base in Beschlag
genommenen Kapazität des Flughafens ganz erheblich erhöhen.
Aber selbst wenn sich der bisherige Anteil des militärischen Flugverkehrs
dadurch verdoppeln würde (was reichlich hochgegriffen erscheint), würde
dies die 3. Startbahn nicht unbedingt erforderlich machen vorausgesetzt,
die FAG wäre bereit, den Privatflugverkehr, der immerhin 5 % der
Gesamtflugbewegungen ausmacht, entscheidend zu reduzieren (mit dieser
Begründung wurde vor Jahren der in der Nähe von Rhein-Main liegende
Kleinflughafen Egelsbach ausgebaut).
Was sind dann die eigentlichen Hintergründe der Startbahn?
Der Charakter des Frankfurter Flughafens als ziviler und militärischer deutet bereits darauf hin
Kapital- und Militärinteressen. Der zivile Teil lebt vom militärischen und umgekehrt.
Wie vorher bereits ausgeführt, machte die militärstrategische Bestimmung Frankfurts durch die US-Besatzer den zivilen Teil des Flughafens zu dem, was er heute ist. So konnte 1955 selbst gegen den Widerstand der damaligen Adenauer-Regierung, die Köln bevorzugte, die Lufthansa-Basis in Frankfurt durchgesetzt werden.
Daß Frankfurt im Gegensatz zu anderen westdeutschen und europäischen Flughäfen kein bzw. nur ein bedingtes Nachtflugverbot hat, ist ebenfalls eine Folge seiner militärischen Nutzung.
Umgekehrt profitiert der militärische Sektor davon, daß
im Spannungsfall alle zivilen Anlagen und Einrichtungen beschlagnahmt werden können (d.h. die 15- und incl. Startbahn über 20fache Kapazität seines heutigen Bedarfs in Reserve hat).
sich aufgrund des dualen Charakters des Flughafens v.a. die mit zivilen Maschinen getätigten militärischen von den rein zivilen nicht bzw. nur schwer unterscheiden lassen.
Das bestehende Frankfurter Parallelbahnsystem (Nord- und Südbahn mit einem Abstand von 503 m) kann nicht unabhängig voneinander betrieben werden. Das heißt, es kann auf beiden Bahnen gleichzeitig entweder nur gelandet oder nur gestartet werden (aus Sicherheitsgründen beträgt der Mindestabstand von unabhängig voneinander betriebenen Parallelbahnen 1.500 m). Die im Bau befindliche Startbahn West kann dagegen unabhängig von diesen betrieben werden.
Nur
aufgrund der jeweils einzuhaltenden Mindestabstände
zwischen aufeinanderfolgenden Flugzeugen ist die Startkapazität generell
höher als die Landekapazität. Andererseits ist die Startbahn der Name
sagt's schon angeblich eine reine Startbahn. D.h. auf ihr darf
jedenfalls nach Planfeststellungsbeschluß nicht gelandet werden (was
allerdings technisch möglich ist). Hinzu kommt, daß sich der zivile
Verkehrsablauf jeweils in vier tägliche Start- und Landespitzen einteilt.
In diesen Verkehrsspitzen wird die maximale Landekapazität unter
Instrumentenflugbedingungen fast immer erreicht und meist überschritten.
Gerade dieser Wechsel von Start- und Landespitzen ist Voraussetzung dafür,
daß schnelle Umstiegverbindungen, minimale Bodenzeiten und maximale
Auslastung der Flugzeuge (d.h. die Attraktivität des Frankfurter
Flughafens) erreicht werden. In diesen Spitzen beträgt die
Kapazitätsteigerung durch eine neue Startbahn etwa 6 %.
Eine erheblich über diese 6 % hinausgehende Kapazitätssteigerung ist
dagegen nur außerhalb der Landespitzen möglich. Mit Fertigstellung der
Startbahn hätte die FAG also die Möglichkeit, selbst bei steigendem
Zivilflugverkehr auch die in die (relativ kurzen) Spitzenzeiten fallenden
Militärflüge besser zu verkraften und außerhalb derer den Militärs große
Kapazitäten zur Verfügung zu stellen.
Die eigentliche Funktion der Startbahn wird klarer, wenn mensch sie in
Zusammenhang mit den anderen laufenden und geplanten baulichen Maßnahmen am
Flughafen sieht. Diese bestehen nahezu ausschließlich in einem nur
gigantisch zu nennenden Ausbau der Frachtkapazitäten:
Das am Kopf der Startbahn gelegene neue Frachtzentrum schafft allein in der
1. (von insgesamt 3!) Ausbaustufen eine Jahreskapazität von 1,5 Mio. t.
Zusammen mit dem 1971 in Betrieb genommenen Frachthof 3 bedeutet dies schon
eine Jahreskapazität von 1,8 Mio t. Das ist fast das dreifache (!) der 1980
umgeschlagenen Fracht (642.850 t). Was bedeutet das? Einmal, daß die FAG
(einschließlich Lufthansa) in der Steigerung des Frachtumschlags (und nicht
der Passagierzahlen) ihre wirtschaftliche Zukunft sieht. (Die geplante
weltweite Einführung elektronischer Fernkommunikationsmittel
Fernkopierer, Video-Konferenzen etc. würde einem weiteren Anstieg der
Geschäftsreisen als zentralem Faktor für die Zahl der Fluggäste
zumindest enge Grenzen setzen.) Die Schaffung derartiger Kapazitäten (auch
ohne die bisher nur geplanten Ausbaustufen 2 und 3) rechtfertigt dies
allein aber nicht.
Eine Antwort darauf gibt das 1981 von den USA und der BRD unterzeichnete
Abkommen Wartime Host Nation Support (Unterbringung durch Aufnahmestaaten
in Krisenzeiten). Nach Aussagen des US-Generals Jim Allen vor dem
Verteidigungsausschuß des amerikanischen Repräsentantenhauses sichert es
den Yanks im Krisenfall den Zugang und die Nutzung aller Einrichtungen des
zivilen Teils des Rhein-Main-Flughafens in Frankfurt, eingeschlossen der
Bodenfahrzeuge, der Frachtanlagen und anderer Flughafenausrüstungen (zit.
nach Stern vom 18.2.82). Dem liegen die seit langem bestehenden
Nato-Planungen zugrunde, im Krisenfall sechs zusätzliche US-Divisionen in
die BRD zu verlegen. Das sind 600.000 Mann plus 1.000 Kampfflugzeuge. Der
Umschlagplatz für diese sechs Divisionen ist natürlich Rhein-Main. Daraus
erklärt sich der Umbau im großen Stil (Stern vom 18.2.82).
In diesem Krisenfall ist die Startbahn selbstverständlich keine reine
Startbahn mehr, sondern auch Landebahn. Als Start- und Landebahn bewirkt
sich aber im Verhältnis zum bestehenden Parallelbahnsystem eine
Kapazitätssteigerung von 75 % (Das hört sich erstmal unlogisch an, beruht
aber auf folgendem: Eine Start- und Landebahn hat unter
Instrumentenflugbedingungen eine Kapazität von 30 Flugbewegungen pro
Stunde. Da die bestehenden 2 Bahnen wegen ihres geringen Abstands
betriebstechnisch nur wie eine Bahn benutzt werden können, wobei jedoch
weil zwei Bahnen bei Starts eine Rollphase 50 Sek. und bei Landungen
die Abrollphase 23 Sek. eingespart werden kann, haben sie eine
Kapazität von zusammen 40 Flugbewegungen/Stunde. Weil die Startbahn von den
beiden anderen Bahnen unabhängig betrieben werden kann, erhöht sie als
Start- und Landebahn die Gesamtkapazität von jetzt 40 auf 70
Bewegungen/Stunde.)
In diesem Zusammenhang ist auch der in den 70er Jahren forcierte
Autobahnbau und -ausbau rund um das Frankfurter Kreuz incl. Flughafen zu
sehen.
Wartime Host Nation Support beinhaltet weiterhin den Bau von 1.000
Munitionsdepots und Nachschublagern (Kosten ca. 1,2 Mrd.), in denen Waffen
und Geräte für die sechs US-Divisionen eingelagert werden sollen.
Inhaltlich dazu gehört ferner der Master Restationing Plan, die
nord-östliche Verlagung der im Rhein-Main-Gebiet stationierten
US-Truppen.
Dies erklärt sowohl den geplanten Ausbau der B 3 zur B 3a (Paralle zur E 4)
von Frankfurt aus nach Norden (Friedberg/Butzbach) wie den Ausbau der
bereits bis Gelnhausen fertiggestellten B 40 zur A 66 von Frankfurt aus
nach Osten (Fulda/Rhön). Ein Teil der Depots sollen entlang dieser beiden
Verkehrsführungen gelegt werden.
In diesem Zusammenhang muß auch die Bedeutung des Autobahnnetzes rund um
den Frankfurter Flughafen als mögliche Start- und Landebahnen v.a. für
Kampfflugzeuge und die Turbopropmaschinen erwähnt werden.
Ohne die Startbahn und den laufenden Ausbau der Frachtkapazitäten würde es
im sog. Krisen- oder Spannungsfall auf Rhein-Main nur noch einen sehr
eingeschränkten Zivilverkehr geben. D.h. der Konzern FAG müßte für einen
unbefristeten und möglicherweise sehr langen Zeitraum ganz erhebliche
Anteile seines Umsatzes den Konkurrenten abtreten, was seine
Monopolstellung rapide untergraben könnte. (Unter diesem Aspekt ist wohl
die von Karry im Dezember 80 geäußerte Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit
der FAG zur Startbahnfrage zu verstehen, daß sie der Bedeutung dieser
Sache nicht entsprochen habe. Es sei schließlich nicht Aufgabe des Landes
Hessen, die unternehmerischen Fragen und Positionen des Flughafens in der
Öffentlichkeit auszutragen.) Als nationaler Ausweichflughafen für den
Zivilverkehr war bislang wohl der Kölner Flughafen vorgesehen, der als
einziger der westdeutschen Flughäfen aufgrund seiner
wirtschaftsgeographischen Lage in Verbindung mit den für Großraumflugzeuge
erforderlichen Bahnen und modernsten Abfertigungseinrichtungen bei
gleichzeitig brachliegenden Kapazitäten (Auslastung unter 40 %) eine
Alternative zu Frankfurt darstellt.
Die Startbahn 18 West von vorneherein ausschließlich als reines US/NATO-Projekt zu thematisieren, bewirkt nur zwangsläufig falsche Schematisierungen und unsinnige wie unfruchtbare Auseinandersetzungen. Wie bei nahezu allen Projekten, wo die Interessen des ökonomischen und des militärischen Sektors zusammenkommen, führt auch hier jede auf ein (absolutes) Entweder-Oder reduzierte Fragestellung in die Sackgasse. Wichtig für die Perspektiven des Widerstandes ist vielmehr, den für ein Projekt dominierenden der beiden Sektoren herauszupuzzeln. Und das aus zwei Gründen
1. Um den hinter dem Projekt stehenden Machtblock konkreter
zu machen, auf seine Schwachstellen und Angreifbarkeit hin abzuklopfen,
dessen schwächstes Glied wie den eigentlichen Gegner kennenzulernen und zu
benennen.
2. Um herauszufinden, ob überhaupt und wenn, unter welchen Bedingungen und
Voraussetzungen ein Projekt zu kippen ist: ob es zu ver- oder nur zu
behindern ist und mit welchen Perspektiven für die Bewegung.
Wie wir gesehen haben, ist der militärische Sektor mehr Anlaß denn Grund
des Startbahnbaus. Anlaß, weil sich sein Anteil an der Gesamtkapazität des
Flughafens erhöhen wird und im angesichts der aggressiven
imperialistischen NATO-Politik absehbaren Krisenfall große Teile der
bestehenden Kapazitäten beschlagnahmen wird. Andererseits braucht die NATO
die Startbahn nicht um jeden Preis, umso mehr aber die FAG, will sie nicht
einer von den Militärs verursachten Aushöhlung ihrer Monopolstellung
tatenlos zusehen. Wenn wir FAG sagen, meinen wir damit immer auch den
Magistrat der Stadt Frankfurt und die Regierung des Landes Hessen als
Anteilseigner der FAG, wie politisch Verantwortliche für die
kapitalistische Infrastruktur der Region. Der Frankfurter Flughafen ist
aufgrund seiner Dienstleistungsfunktion für das in der Region
konzentrierte Kapital der größte Wirtschaftsfaktor in Hessen und darum
mit ursächlich für die Kapitalkonzentration im Rhein-Main-Gebiet. Was den
Haushalt der Stadt Frankfurt angeht, steht und fällt dieser da er sich
im wesentlichen über Gewerbesteuereinnahmen finanziert mit der Bedeutung
seines Flughafens.
Unbestimmter als bei diesem Trio sind dagegen die Interessen der Lufthansa am Bau der Startbahn. So reichte auch die Palette ihrer Äußerungen bezüglich der Notwendigkeit des Startbahnbaus von Nein, Jein, Ja bis hin zur Drohung, bei Nichtbau Kapazitäten zugunsten des geplanten Großflughafens München 2 im Erdinger Moos abzuziehen. Klar ist einerseits, daß sie im besagten Krisenfall sowohl einen Teil ihrer Luftflotte, als auch ihrer Frankfurter Frachtkapazitäten (1980
750.000 t bei einem
Bedarf von etwa 330.000 t) für militärische Transporte zur Verfügung
stellen muß. Andererseits ist für sie als Airline Bau oder Nichtbau der
Startbahn aufgrund ihrer Mobilität viel weniger existenziell als für die
standortgebundene FAG.
Eindeutig sind die Interessen der letzten im Bunde, wenn sie auch mit der
Startbahn an sich recht wenig zu tun hat: die Bauindustrie. An nahezu jeder
Schweinerei beteiligt (AKWs, Munitionsdepots, Wohn-Knäste usw.), ist sie
gleichzeitig in der Regel das schwächste Glied in der Kette, weil überall
präsent und nur bedingt (am Bau, aber nicht am Projekt selbst)
interessiert. Damit auch überall Angriffspunkt, ob im Baskenland (AKW
Lemoniz, das mittlerweile keine Baufirma mehr fertig bauen will), in
Brokdorf oder auf der Startbahn.
Auf der Seite der politisch für den Bau Verantwortlichen, der hessischen
Landesregierung, bis Herbst 82 bestehend aus SPD/FDP-Koalition, gab es zwar
nicht in Bezug auf den Bau, dafür umso mehr aber in Bezug auf die
Vorgehensweise tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten (das gleiche gilt
für das Atomprogramm). Diese resultierten aus der traditionellen
Integrationsrolle (gerade) der (südhessischen) SPD. So stimmten auf dem
Parteitag im November 1980 in Gießen-Allensdorf noch ca. 80 % der
südhessischen Delegierten gegen die Startbahn. Ein Abfallprodukt dieses
Parteitages wie der Auseinandersetzungen in den unteren Gliederungen der
Partei war z.B. das Kasperle-Hearing im hessischen Landtag vom Februar 81.
Umso eindeutiger und bestimmter dagegen das Vorgehen der FDP,
personalisiert und kristallisiert in ihrer politischen Leitfigur
Karry.
Wenn wir zuvor die Startbahn als ein aufgrund der immer weitergehenden
Vereinnahmung des Flughafens durch die NATO für die FAG existenziell
wichtiges Projekt bestimmt haben, wird klar, daß es für diese im Prinzip
nicht aufgebbar ist. Hinzu kommt, daß hier der bei dem Atomprogramm evtl.
noch vorhandene Spielraum in der Standortfrage von vorneherein
wegfällt.
Was heißt nun im Prinzip nicht aufgebbar? Für uns heißt das nicht, daß
ein Projekt überhaupt nicht zu verhindern ist, sondern nur unter bestimmten
Bedingungen. Daß es in der Bewegung entweder gelingt, über einen langen (!)
Zeitraum die Region unregierbar zu machen, damit die Herrschenden vor die
Alternative stellt, das Projekt entweder fallen zu lassen oder eine
qualitativ neue Stufe von Unterdrückung und somit politischer
Herrschaftsform zu beschreiten. Oder das ist zwar kein Gegensatz, aber
auch nicht unbedingt dasselbe die Bewegung bzw. Teile von ihr entfalten
ein qualitatives und quantitatives Ausmaß an Militanz und Angriffen auf die
Betreiber, daß das Projekt nicht durchziehbar ist. (Bsp.:
ETA/Lemoniz).
Hopp, Hopp, Hopp, Startbahn Stopp!
Die Startbahn 18 West ist nicht verhindert worden. Heute, über eineinhalb Jahre nach der Rodung des gesamten für die Startbahn benötigten Geländes, ist ihr Bau mit der Betonierung der Pisten und der Fertigstellung des Tunnels an der Okrifteler Straße zwar zunächst eine Tatsache. Fakt ist aber auch, daß die Bewegung gegen die Startbahn trotz der allmählichen Vollendung des umkämpften Projekts nicht totzukriegen ist. Ein harter Kern von einigen Tausend tummelt sich noch immer an Sonntagnachmittagen (und nicht nur dann) rund ums Baugelände und sorgt nun bereits über eineinhalb Jahre dafür, daß Bullen und FAG-Werkschützer nicht zur Ruhe kommen.
Dieser positive Aspekt kann jedoch nicht darüber
hinwegtäuschen, daß die Bewegung nicht nur zahlenmäßig sehr geschrumpft
ist. Die Startbahnbewegung war (und ist) in ihrer vielschichtigen
Zusammensetzung eine äußerst breite, viele verschiedene Bevölkerungsgruppen
umfassende Bewegung. Gleichzeitig war dadurch ihre politische Bestimmung
außer der Feindschaft dem Projekt gegenüber aber undefiniert.
Ins Leben gerufen von Teilen des ansässigen Besitzbürgertums, das
einerseits um die Lebensqualität in der Region, andererseits um den Wert
des eigenen Haus- und Grundeigentums fürchtete, wurde sie Sammelbecken der
unterschiedlichsten Motivationen und Gruppen:
Naturschutz, Erhaltung des Waldes und damit eines wichtigen
Naherholungsgebietes
Wahnsinn von Großprojekten und der damit verbundenen ökologischen
Zerstörungen ganz allgemein also als ökologisches Bewußtsein, das über
die eigene, unmittelbare Lebenssituation hinausgeht (Hintergrund v.a.
AKW-Bewegung)
mit zunehmender Konkretisierung des Projekts und sich abzeichnendem
Durchsetzungswillen der Landesregierung gegen den Protest der betroffenen
Bevölkerung, Infragestellung der Entscheidungsstrukturen sowie der
dazugehörigen politischen (militärischen) und ökonomischen Kriterien
antiimperialistische Momente auf dem NATO-Hintergrund der Startbahn
(KP-Tradition in Mörfelden)
vor allem überregional durch das Volksbegehren: Die Entdeckung des
verfassungsrechtlich verankerten demokratischen (Mitsprache-)Rechts des
Volkes verbunden mit dem Wunsch, es anzuwenden bzw. durchzusetzen (siehe
auch die in der Folge entstandenen Initiativen zur Durchsetzung von
Volksbegehren in Bayern und NRW)
politische Gruppierungen aller Schattierungen: von den Jusos, den
Spontis, den Autonomen der verschiedenen Städte, die zum Teil ideologisch
mit den Anti-US-Imps verwandt sind, bis hin zu den Grünen
unzufriedene, revoltierende Jugendliche, für die die Startbahn Symbol
einer feindlichen, kaputtmachenden Umwelt und Gesellschaft war und ist, der
Widerstand gegen die Startbahn damit Ausdruck einer wenn auch diffus
umfassenden Ablehnung der bestehenden Verhältnisse.
Diese Pluralität ist ebenso charakteristisch für die Bewegung, wie das sich im Verlauf des Konflikts entwickelnde umfassende Spektrum von Kampfformen. Daß es weitgehend bei einem sich akzeptierenden Nebeneinander geblieben ist, ist das politische Manko. Es ist nicht gelungen und auch kaum versucht wurden von der Duldung der Vielfalt zu einer politischen Auseinandersetzung und Verbindung der verschiedenen Teile und Strömungen zu kommen.
Es stellt sich heute die Frage, was angesichts der selten
breiten Mobilisierung und Einbindung in den Konflikt an politischem
Bewußtsein und Verhalten bei den Betroffenen übriggeblieben bzw.
entwickelt worden ist.
Ein großer Teil der Bewegung hat sich nachdem er nach dem November 81
schon halb den Rückzug angetreten hatte mit der Ablehnung des
Volksbegehrens im Januar 82 endgültig resignativ zurückgezogen. Mit dem
faktischen Bauvollzug im Laufe des Jahres 82 bröckelten weiter Leute ab;
auch die Linken wandten sich mehr und mehr anderen Themen zu.
Bei den übriggebliebenen, nach wie vor Mobilisierten, relativierte sich die
Gewalt-Freiheits-Frage weiter jedenfalls ideell. Ein nicht unbeachtlicher
Teil ging zu organisierten, militanten Angriffen auf Betreiber, Mauer,
Gerätschaft und Kontrollorganen über, was öffentlich kaum durchkommt wegen
einer vor etlichen Monaten von den Bullen verhängten
Nachrichtensperre.
Dieser Radikalisierung, die in dieser Form sicher nur für
bestimmte Gruppen in Frage kommt, stehen auf der traditionellen
politischen, für die Bevölkerung aber immer noch bedeutsamen Ebene, negativ
die regionalen Ergebnisse der Landtags- und Bundestagswahlen im September
1982 und im März 1983 gegenüber.
Sept. 82 März 83
Startbahnwahlkreis Groß-Gerau:
SPD 39,6 % 41,8 %
CDU 39,1 % 42,5 %
Grüne 18,2 % 8,0 %
FDP 2,0 % 7,0 %
Mörfelden-Walldorf
SPD 27,8 % 38,7 %
CDU 34,4 % 36,4 %
Grüne 33,4 % 16,? %
FDP 2,1 % 7,6 %
DKP 2,3 %
Die Rechnung der Grünen, die darauf setzten, daß sich das Protestpotential der Startbahnbewegung mit ein bißchen Engagement (so z.B. einige üble Schein- und Propagandablockaden im Wahlkampf beim dafür günstig gelegenen Beginn der Betonierung) in viele Wählerstimmen ummünzen ließe, ist nicht aufgegangen. Eine Erfahrung,die schon die KPF machen mußte, als sie nach der Revolte im Mai 687 durch von ihr ausgehandelte hochprozentige Lohnerhöhungen glaubte, bei den von ihr betriebenen Neuwahlen massiv Wähleranteile kassieren zu können und dabei eine ordentliche Pleite erlebte. Es ist vielmehr anzunehmen, daß gerade die immer noch mehr oder weniger Aktiven trotz z.T. bestehender Differenzen ihr Kreuz bei den Grünen gemacht haben.
Daß viele, viel zu viele, in der einen oder anderen Form wieder zur Resignation des Alltags zurückgekehrt sind, hätte in dem Maß sicher nicht stattgefunden, wenn in den entscheidenden Phasen die Bewegung in der Lage gewesen wäre, entschlossener und offensiver vorzugehen, ihre Größe und Breite in politische Stärke umzuwandeln und damit wenigstens anzudeuten, daß Schritte in Richtung Veränderung durchaus eine reale Perspektive haben.
Um hier substanziellen sozialrevolutionären Widerstand zu
organisieren, ist es eine Voraussetzung, die bestehenden Ansätze
dahingehend zu entwickeln und zu intensivieren. Das Kippen eines
Großprojektes wie die Startbahn könnte eine wichtige Etappe in die Richtung
sein, den Herrschenden mehr als etwas Nervenaufreiben zu bescheren und das
Machtgefüge gründlich durcheinanderzubringen.
Es genügt nicht, das festzustellen. Es genügt auch nicht, z.B. Keine
Startbahn West zu fordern, ohne zu überlegen, ob und wie sich dieses Ziel
erreichen läßt. Wir wollen uns wenigstens im Nachhinein fragen, wie es
möglich gewesen wäre und woran es gescheitert ist.