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Die Bewegung gegen die Startbahn West August 1983

Dieses Papier ist das vorläufige Ergebnis unserer Aufarbeitung des Kampfes gegen die Startbahn 18 West.

Wir haben diese Untersuchung versucht, weil wir es wichtig finden, die Gründe für die Entwicklung von Kämpfen, ihren Siegen und Niederlagen herauszufinden und auf den Begriff zu bringen, um Konsequenzen daraus ziehen und damit arbeiten zu können. Für die bevorstehenden Auseinandersetzungen um das AKW Wyhl, die WAA in Dragahn1 etc. ist es wichtig, daß die Startbahn-Bewegung ihre Erfahrungen zusammenfaßt und weitergibt. Denn gerade der Konflikt um die Startbahn war der erste, in dem die Herrschenden ihre Interessen trotz riesiger Mobilisierung und massenhafter Radikalisierung militärisch durchgesetzt haben. Die Erfahrungen, die hier gemacht wurden, konnten in Wyhl und in Dragahn/Gorleben so noch gar nicht gemacht werden. Wir beanspruchen mit unserem Beitrag weder Vollständigkeit noch absolute Richtigkeit. Es geht uns vielmehr darum, einen Diskussions- und Aufarbeitungsprozess in der Bewegung in Gang zu setzen und diese Diskussionen auch öffentlich (schriftlich) zu führen.
Daß das Papier Einschätzungen enthält, die viele provozieren und manche als zu hart oder gar unerhört empfinden werden, ist uns klar. Andererseits ist dies unumgänglich, weil das Ziel offene und radikale Diskussion über den und nicht Glorifizierung und Beweihräucherung des Widerstands heißt. Die Linke hat es bisher nie geschafft, gekämpfte Kämpfe gründlich und genau zu analysieren, um aus den gemachten Fehlern überhaupt lernen zu können. Dieses Manko muß schleunigst aufgehoben werden.
Praktisch könnten wir uns vorstellen, aus den Ergebnissen einer Vielzahl von Diskussionen eine Broschüre oder ein Buch zu machen. Ein Buch/Broschüre, das/die erscheint, weil so viel gedacht und geredet worden ist. Und keine Diskussionen, die geführt werden, weil was veröffentlicht werden soll.
Es wäre an der Zeit, eine eigene Geschichtsschreibung zu entwickeln, die weniger die Repressions- als vielmehr die Widerstandserfahrungen, Erfolge wie Niederlagen vermittelt. Eine Geschichtsschreibung der Bewegung selbst, die das nicht mehr den mehr oder weniger Professionellen und in der Regel Außenstehenden überläßt.
In vielen Bereichen und Gruppen sind wir natürlich nicht drin, kennen uns nicht aus (v.a. in solchen, die nicht unbedingt im Rampenlicht stehen) und können deshalb nicht einschätzen, was dort läuft und wie. Viele positive Ansätze haben wir aus diesem Grund nicht mitgekriegt und konnten deshalb auch nicht in unsere Einschätzung einfließen. Es wäre gut, wenn sich gerade auch die Gruppen und Leute mal äußern würden, die heute noch aktiv gegen die Startbahn kämpfen und mal darstellen würden, wie sie das Ganze betrachten.
Die Verhinderung eines Großprojektes könnte ein wichtiges Etappenziel eines langfristig angelegten Kampfes sein, das durch seine Signalwirkung die Perspektive von Widerstand, gegen die Resignation und Ohnmacht, verbreitert und stärkt. Das Gefühl, doch nichts ändern zu können, letzten Endes immer der Verlierer zu sein, hält viele Leute davon ab, sich beharrlich zu wehren.
Um den Startbahnkomplex unter diesen Voraussetzungen wenigstens im Nachhinein zu untersuchen, ist natürlich die erste Frage, um was für ein Projekt es sich überhaupt handelt. In welchem politischen, ökonomischen und militärischen Kontext steht es, ist es seitens der Herrschenden aufgebbar oder nicht?
Die Bewegung selbst haben wir primär unter dem Gesichtspunkt betrachtet, wann es in ihrer Entwicklung eine Stärke gab, die weiterentwickelt es möglich gemacht hätte, das Projekt zu kippen oder wenigstens erheblich zu verzögern. Was hätte besser oder anders gemacht werden können, wie war die Bewegung zusammengesetzt, welche vorhandenen bzw. fehlenden politischen Strukturen sind evtl. Ursache ihres Scheiterns?
Für die Frage nach den Entwicklungsmöglichkeiten und Perspektiven einer regionalen Bewegung ist es von zentraler Bedeutung, wie es eigentlich um die radikale Linke in der Region ausschaut. Beschränken wir uns dabei auf Frankfurt, weil Kapitalmetropole dieser Region und Ende der 60er / Anfang der 70er eine Hochburg der linksradikalen Bewegung. Daß die Situation der autonomen Szene hier weit weniger rosig ist, als es außerhalb vielleicht scheinen mag, hat einen historischen Hintergrund, den wir notgedrungen kurz anreißen wollen.
Das Volksbegehren2 war für die überregionale Mobilisierung ein wichtiger Faktor. Welche Funktion kam ihm regional zu?
Bürgerinitiativen prägen die AKW- und Umweltbewegung, ebenso die Friedensbewegung. Für eine Einschätzung ihrer Taktik und Konfliktbereitschaft, wie für die Frage nach möglichen Bündnispartnern ist es unverzichtbar, zu wissen, mit wem mensch es dabei zu tun hat, was deren Hintergrund und ihre Perspektiven sind.
Die Startbahnbewegung ist initiiert und hauptsächlich getragen von der ansässigen Bevölkerung. Was sind die lokalen Voraussetzungen und welche Folgen hat das Projekt für die dort Lebenden?
Unser Engagement im Konflikt war relativ groß und kontinuierlich: wie haben wir unsere Beteiligung am Kampf gegen die Startbahn gesehen, was finden wir in Nachhinein richtig, was falsch und kritikwürdig?
Im Anschluß daran folgt dann noch der Versuch einer Auseinandersetzung mit der Karry3-Aktion.
Der weitaus überwiegende Teil des Papiers ist bereits über ein halbes Jahr alt und deshalb teilweise nicht mehr auf dem neusten Stand. (August 1983)

Die Startbahn West und andere Großprojekte

Die Startbahn West ist Anfang der 60er Jahre auf dem Höhepunkt des sog. Wirtschaftswunders projektiert worden. Die Nachkriegsära mit dem Wieder- sprich Neuaufbau des durch den 2. Weltkrieg zerstörten Kapitals und insbesondere seiner Infrastruktur war abgeschlossen. Die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt der 20er und 30er Jahre war durch Faschismus und Krieg zunächst zerschlagen und paralysiert, während und nach dem Krieg (Ausländische Zwangsarbeiter Flüchtlingsströme aus dem Osten süd- und südosteuropäische Arbeitsemigranten) wieder neu zusammengesetzt und das westdeutsche Kapital auf einer technologisch höheren Stufe neu strukturiert worden. Der darin begründete langanhaltende Boom Mitte der 50er bis Mitte der 60er ermöglichte dem in der BRD investierten Kapital hohe Profitraten und dementsprechend vor allem in den deutschen Facharbeiter- und Angestelltenschichten breite Schichten von Konsum und gesellschaftlichem Konsens auszubauen.

Aufgabe staatlicher Wirtschaftspolitik war, die Bedingungen dieser Entwicklung möglichst lange fortzuschreiben. Nach der Depression Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre hatte der englische Ökonom John Maynard Keynes4 die nach ihm benannte Wirtschaftspolitik (Keynsianismus) entwickelt, die ein gewisses Maß sozialer und wirtschaftlicher Stabilität in den kapitalistischen Metropolen sichern sollte. Der Keynsianismus mittlerweile offiziell längst zu Grabe getragen bestimmte entscheidend die Richtung der damaligen Wirtschaftpolitik.
Er beinhaltet u.a. eine staatliche Geldpolitik, die bspw. durch Senkung des Zinsniveaus Investionsanreize schaffte wie durch Erhöhung der Geldmenge eine flexible, d.h. konfliktmindernde Lohnpolitik ermöglichte (staatliche Reallohnsenkung durch Inflation). Des weiteren die Ausweitung eines künstlichen, weil ausschließlich durch staatliche Nachfrage geschaffenen Marktes. Die dafür notwendigen Gelder treibt der Staat über Teilenteignungen (Steuern und Abgaben) sowie über Kredite (Staatsverschuldung) ein. Die zentralen Bereiche dieses durch staatlichen Konsum geschaffenen Marktes sind die Rüstungs- und die Bauindustrie. Der Bausektor beinhaltet vor allem den Ausbau einer Infrastruktur, die zwei Nutznießer hat: das Kapital und das Militär (Nato).
In diesen Zusammenhang gehören sämtliche Ende der 50er/Anfang der 60er entworfenen Großprojekte, von denen die Startbahn eines unter vielen ist. So stammen aus dieser Zeit allein im Bereich Luftverkehr folgende Projekte:

Flughafen Hamburg-Kaltenkirchen

Norddeutscher Großflughafen bei Bremerhaven

Dritter Verkehrsflughafen für Nordrhein-Westfalen bei Drensteinfurt

Flughafen Rhein-Main 2 zwischen Mainz und Kaiserslautern

Flughafen Stuttgart-München zwischen Ulm und Augsburg

Flughafen Stuttgart 2

Flughafen München 2 bei Erding.5

Von diesem gigantischen Flughafenausbaukonzept der 60er Jahre ist die Startbahn neben dem noch offenen München 2 als einzige übriggeblieben. Hinzugekommen sind in der jüngsten Zeit allerdings neue Ausbaupläne (z.B. Hannover und Bremen), die mit der Startbahn eines gemeinsam haben

die Einbringung in die aktuelle Nato-Strategie (dazu später). Dieselbe Gemeinsamkeit besteht mit allen anderen sog. zivilen Großprojekten aus jener Zeit, die allein unter ökonomischen Gesichtspunkten ein totaler Flop sind, aber dennoch mit ins Unermeßliche steigenden Milliardensummen hochgezogen werden.

Dazu gehören unter anderem (und kann jeweils nur kurz und thesenartig angerissen werden)

Der Rhein-Main-Donau-Kanal

Bis zu seiner Fertigstellung soll er nach offiziellen Angaben noch (!) 4,5 Milliarden DM verschlingen. Ein Projekt, an dem ökonomisch nur die bayrische Landesregierung und selbstredend die Bauindustrie ein Interesse haben kann. Für die bayr. Landesregierung bedeutet es Anbindung des traditionell extrem strukturschwachen Gebietes zwischen Regensburg und Passau (Bayr. Wald) an einen Schiffahrtsweg, der sich dann vom Rotterdamer Hafen über das Ruhrgebiet, die Rhein-Main-Region, das Industriedreieck Nürnberg/Erlangen/Fürth durch Österreich (Linz/Wien), die Tschechoslowakei (Bratislava), Ungarn (Budapest), Jugoslawien (Belgrad), entlang der rumänisch-bulgarischen Grenze (Bukarest und Sofia) bis ins Schwarze Meer erstreckt (zusätzliche Anliegerstaaten UdSSR und Türkei).

Forcieren würde dies eine Industrialisierung des bisherigen Feriengebiets Bayrischer Wald. Attraktiv für's Kapital ist dieser als bedingt durch traditionell hohe Arbeitslosenzahlen, Heimarbeit etc. ausgesprochene Billiglohnregion. Nach der Wende vom letzten Oktober und dem kurz darauf gefällten Entschluß, den Kanal fertigzustelen, hat der BMW-Konzern prompt reagiert und Regensburg (an der Donau) zum Standort für ein schon länger geplantes neues Zweigwerk bestimmt. National gesehen wird die Fertigstellung des Kanals allerdings erhebliche wirtschaftliche Folgen für den Hamburger Hafen (zugunsten von Rotterdam) und für die sowieso schon defizitäre Bundesbahn haben, die, um konkurrenzfähig zu bleiben (das ist nun mal die immanente Logik), ihre Frachttarife senken müßte. Welche darüber hinausgehende Funktion hat also dieser keiner gesamtstaatlichen ökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse standhaltende Kanal, außer Unsummen an Geldern in die Bauindustrie zu verpulvern?
Der ehemalige Bayr. Innenminister Tandler hat's in aller Offenheit angedeutet: der Kanal könne im Kriegsfall als Aufmarsch- und Versorgungslinie dienen. Was die Aufmarschlinie betrifft: der Kanal (als 25 m tiefe und bis zu 290 m breite Betonrinne) deckt mit und als Verlängerung der Donau die gesamte deutsch-tschechoslowakische Grenze (zwischen Bamberg und Passau) in einer Entfernung von minimal 35 km und maximal 120 km Luftlinie ab.
Darüberhinaus drängt sich geradezu auf, daß der Kanal Bestandteil einer Vorverlegung der 1. atomaren Verteidigungslinie ist. Dies vor allem im Zusammenhang mit dem Master Restationing Plan (MRP), der eine Verlegung der in der Rhein-Main-Region stationierten US-Truppen in nordöstlicher Richtung zur DDR-Grenze hin beinhaltet. Der neue Verlauf dieser Linie wäre dann die Achse aus folgenden zumeist Stationierungsorten von Bundeswehr und (vorwiegend) US-Truppen:
Mühldorf Ohu(AKW)/Landshut Rottenburg Kelheim(Mündung Donau/Kanal; in unmittelbarer Nähe A-Waffenlager) Nürnburg (massierte US-Präsenz; zahlreiche Depots) Grafenrheinfeld(AKW)/Schweinfurt Bad Kissingen Wildflecken(geplanter US-Standort im Rahmen von MRP)/Gersfeld Fulda (u.a. Chemical Detachment) Schlitz (geplanter US-Standort auf dem Eisenberg im Rahmen von MRP) Fulda Gap (Fulda Senke) Hattenbach (Ground Zero = 0-Punkt = Aufschlagspunkt der A-Bombe)/Bad Hersfeld Schwarzenborn Borken(geplantes AKW/Schnittpunkt mit nördlichem Teil der Linie)/Homberg.
Unweit westlich dieser Linie befinden sich die im Rahmen von MRP gerade fertiggestellten bwz. noch im Bau befindlichen hessischen Munitionsdepots (Alsberg, Gundhelm, Gieseler Forst, Grebenhain, Ottrau).

Das Großklinikum Aachen

Nach Angaben eines Krankenkassen-Direktors wurde bewußt mit falschen Zahlen operiert, um den Bau dieses größten Klinikums der Welt inmitten der Unikliniken Köln, Düsseldorf und jenseits der Grenze Maastricht, Lüttich und Heerlen durchzusetzen. Das Ganze ist dermaßen gigantisch angelegt worden, daß es unter dem eigenen Gewicht schon 10 cm in den Boden gesunken ist. Kostensteigerung

von 632 Millionen auf 2 Milliarden. Inbetriebnahme

nicht absehbar. Betrachtet mensch das Klinikum unter militärischen Gesichtpunkten, so fällt v.a. dessen geographische Lage in den Blick Aachen als westlichste Stadt und auf der mittleren Achse der BRD hinter dem Industrie- und Militärzentrum Ruhrgebiet und ca. 60 km Luftlinie hinter der Rhein-Rhone-Linie, der 2. atomaren Verteidigungslinie der Nato, gelegen. In einem Radius von 130 km befindet sich das gesamte Ruhrgebiet einschließlich Dortmund, fernerhin die Linie Koblenz Siegen Trier. In einem Radius von etwa 300 km befindet sich im Norden die Linie Oldenburg Bremen Hannover, östlich die Grenze zur DDR und südlich die Linie Würzburg Stuttgart Freiburg (darin also auch die gesamte Rhein-Main-Region und die Pfalz/Saarland).

Das Atomprogramm

das nicht nach Kriterien von gesellschaftlichem Bedarf und Wirtschaftlichkeit funktioniert, sondern sich danach bestimmt, welche Energieform für die Betreiber und Erbauer am profitabelsten ist. Da bei der Atomenergie der Staat nahezu die ganzen Forschungs-, Entwicklungs-, Bau- und Entsorgungskosten trägt, sind die AKWs für die Betreiber durchaus profitabler als jedes andere Kraftwerk und ermöglichen billige Stromtarife für die automatisierten Großfabriken (die Otto Normalverbraucher durch entsprechend hohe ausgleichen darf). Ein Ingenieur aus Trier hat am Beispiel Biblis A mal errechnet, daß der Reaktor 29 Jahre störungsfrei laufen müßte, um die allein für seinen Bau verbrauchte Energie wieder zu erzeugen.

So waren auch die Energiekonzerne bei den bis Herbst 81 in Kalkar verbauten 5 Milliarden Mark nur mit ganzen 41 Millionen dabei. (Historischer) Hintergrund der staatlichen Forcierung und Finanzierung des Atomprogramms sind hier ebenfalls v.a. militärische Interessen

die deutsche Option auf die A-Bombe (Plutoniumerzeugung) und der Aufbau von regional geschlossenen Teilverteidigungswirtschaften (dazu ausführlichst

Autonomie Neue Folge, Nr. 4/5).

Der zivile Teil des Frankfurter Flughafens

ist heute der mit Abstand größte der BRD, der zweitgrößte Europas und seit 1980 der größte Frachtflughafen Europas (vor London mit insgesamt 3 Flughäfen). Hinzu kommt die im südlichen Bereich des Flughafens gelegene Air-Base der US-Army mit dem größten Terminal des Militärischen Lufttransportkommandos (Military Airlift Command) mit jährlich ca. 500.000 Passagieren und dem größten Frachtflughafen der Army außerhalb der USA (1980 ca. 66.000 t); die Air-Base ist damit der zweitgrößte Frachtflughafen in der BRD vor Köln (1980

52.000 t) und München (1980

39.000 t).

Bereits 1955 hatte Frankfurt mit (angesichts der heutigen Zahlen) bescheidenen 833.000 Verkehrseinheiten (VE) 33,9 % aller VE in der BRD an sich gezogen. Ursächlich dafür waren zunächst der unmittelbar nach Kriegsende erfolgte Ausbau des Flughafens durch die Yanks. Insofern ist er vergleichbar mit dem Düsseldorfer Flughafen, dessen relative Spitzenstellung sich daraus erklärt, daß er ebenfalls nach 45 von den britischen Streitkräften in Betrieb genommen und den neuen Erfordernissen angepaßt wurde. Die Benutzung des Frankfurter Flughafens durch die Air-Force in Verbindung mit der Konzentration der US-Streitkräfte in der Rhein-Main-Region prädestinierte Frankfurt von Anfang an als Knotenpunkt nicht nur der militärischen, sondern aller Interkontinentalflüge. Ein zweiter wesentlicher Punkt war die wirtschaftsgeographische Lage des Frankfurter Raums, wo sich zahlreiche Nord-Süd- und Ost-West-Verkehrsachsen bündeln. Das Frankfurter Kreuz als Schnittpunkt dieser Verkehrsachsen und der direkt anliegende Flughafen bilden militärisch und ökonomisch eine infrastrukturelle Einheit, die als solche bereits im 3. Reich konzipiert und gebaut worden war. (Der von den Nazis betriebene Autobahnausbau incl. Frankfurter Kreuz und seine militärischen Hintergründe sind weitgehend bekannt. Weniger dagegen, daß der Frankfurter Flughafen sich bis 1936 am Rebstock (nahe Messegelände) befand und die ersten Rodungen für den heutigen Flughafen 1934 begannen. Die auch heute an der Startbahn West beteiligte Stuttgarter Baufirma Züblin benutzte übrigens für den Anfang der 40er erfolgten weiteren Ausbau des Flughafens Frauen aus dem KZ Natzweiler-Struthof, für das am Flughafengelände extra eine Außenstelle errichtet wurde.)
Aufgrund dieser Gegebenheiten war es nur logisch, daß die Deutsche Lufthansa nach ihrem Wiederaufbau 1955 zwecks optimaler Kostendeckung Frankfurt zu ihrem Zentralflughafen bestimmte (Ausgangs- und Endpunkt ihres Interkontinentalverkehrs; Bestimmung der anderen westdeutschen Flughäfen als Zubringer für die Zusammenführung der Langstreckenverbindungen in Frankfurt). So beträgt der Anteil der Lufthansa an den in Frankfurt erbrachten Verkehrsleistungen 52 %. Da die BRD-Flughäfen für ausländische Fluggesellschaften nur in dem Maß attraktiv sind, wie das dort angebotene Abfertigungs- und Frachtumschlagsvolumen bereits von der Lufthansa genutzt wird, bedeutete diese Entscheidung eine doppelte Konzentration des internationalen Luftverkehrs auf Frankfurt. Dies führte dazu, daß sich die in Frankfurt umgeschlagenen VE von 1955 bis 1974 verzwanzigfachten (1974 : 16.361.00 VE = 44 % aller VE in der BRD).
Im gleichen Zeitraum (1959) wurde die Air-Base im Rahmen der Nato-Planungen zum zentralen Luftstützpunkt für die Logistik der US-Army in Europa bestimmt. Dieser Nachfrage kam der in öffentlicher Hand befindliche Konzern FAG (Aktionäre: Land Hessen 45 %, Stadt Frankfurt 29 %, BRD 26 %) mit der Erweiterung der beiden Start- und Landebahnen auf 3.600 bis 3.900 m (19591965) und der Beantragung einer 3. Startbahn 1965 nach.
Der nächste Konzentrationsschub erfolgte Anfang der 70er mit der sog. Ölkrise. Die Verringerung der Nachfrageexpansion Ende der 60er und die Auslieferung der (schon Jahre vorher bestellten) Großraumflugzeuge Anfang der 70er hatten bereits zu einem Kapazitätsüberhang bei den Fluggesellschaften geführt. Die 1973 inszenierte Ölkrise als Beginn der dann seit 74 in den transnationalen Konzernen geschaffenen Dauerkrise in den kapitalistischen Metropolen bedeuteten für den Luftverkehr rapide steigende Treibstoffpreise bei gleichzeitigem tendenziellen Rückgang der Massennachfrage. (Deren Zielsetzungen sind: 1. die Um- und Neuverteilung der gesellschaftlich produzierten Mehrwertmassen zwecks Maximierung der eigenen Profitraten. 2. Angriff auf die Masseneinkommen und die Revolten und Kämpfe der multinationalen Massenarbeiter und Jugendlichen in den westlichen Metropolen. Darüber gewaltsame Durchsetzung einer neuen Arbeitsmoral und der Niedriglohnarbeit zur Wiederherstellung hoher Mehrwert- und Profitraten.)
Um die daraus entstehenden Einbußen aufzufangen, war die Folge eine erneute Konzentration der Beförderungsleistungen auf die Knotenpunkte der internationalen Verkehrsräume und damit auf Frankfurt. Der den Gesetzen kapitalistischer Konzentration und Monopolisierung unterliegende Luftverkehr bündelt die Verkehrsströme zu gigantischen Konzentrationspunkten.
Das Zentrum ist rentabler, saugt dadurch immer mehr an sich, wird immer größer, was wiederum seine Rentabilität und Attraktivität (z.B. kürzere Bodenzeiten, Anschlüsse in alle Welt) steigert usw. Das hat zur Folge, daß Frankfurt selbst beim heutigen allgemeinen Rückgang des Flugverkehrs die geringsten Einbußen bzw. sogar noch ein leichtes Plus zu verzeichnen hat.

Die Air-Base

ist nicht den US-Luftstreitkräften in Europa (US Air Force Europe USAFE Hauptquartier

Ramstein), sondern direkt dem Military Airlift Command (MAC) unterstellt. Sämliche US-Flughäfen in Europa beziehen den Teil ihres Nachschubs, der per Luftfracht befördert wird, über Frankfurt. (aus Flughafen-Nachrichten der FAG).

1980 landeten auf Rhein-Main von den strategischen Transportern im Schnitt täglich ca. 10 Starlifter und 23 Galaxies (größtes Transportflugzeug der Welt). Außerdem jede Menge Turbopropmaschinen vom Typ Herkules, die für den taktischen Lufttransport innerhalb des europäischen Kommandobereichs eingesetzt werden. Im Jahresdurchschnitt 1980 machte das 74 % aller Flugbewegungen auf Rhein-Main. Neben der Verteilerfunktion des Nachschubs für Europa hat die Air-Base die Funktion einer interkontinentalen Luftbrücke für Waffen und Truppen nach Nahost, Asien und Afrika. Beispiele sind die Libanon-Besetzung 1959, der Vietnam-Krieg, drei Nahost-Kriege, die gescheiterte Iran-Intervention, Manöver in Ägypten (Big Lift, Reforger). So wurde auch während der Libanon-Invasion im Sommer 82 eine erhebliche Zunahme der Militärflüge beobachtet. Hinzu kommen wird in Zukunft Transport der und Nachschub für die offensichtlich in der Türkei vorgesehene Stationierung der Schnellen Eingreiftruppe.6 Darüber, wie über die im Rahmen der Nato-Aufrüstung geplanten Maßnahmen wird sich der Anteil der von der Air-Base in Beschlag genommenen Kapazität des Flughafens ganz erheblich erhöhen.
Aber selbst wenn sich der bisherige Anteil des militärischen Flugverkehrs dadurch verdoppeln würde (was reichlich hochgegriffen erscheint), würde dies die 3. Startbahn nicht unbedingt erforderlich machen vorausgesetzt, die FAG wäre bereit, den Privatflugverkehr, der immerhin 5 % der Gesamtflugbewegungen ausmacht, entscheidend zu reduzieren (mit dieser Begründung wurde vor Jahren der in der Nähe von Rhein-Main liegende Kleinflughafen Egelsbach ausgebaut).

Was sind dann die eigentlichen Hintergründe der Startbahn?

Der Charakter des Frankfurter Flughafens als ziviler und militärischer deutet bereits darauf hin

Kapital- und Militärinteressen. Der zivile Teil lebt vom militärischen und umgekehrt.

Wie vorher bereits ausgeführt, machte die militärstrategische Bestimmung Frankfurts durch die US-Besatzer den zivilen Teil des Flughafens zu dem, was er heute ist. So konnte 1955 selbst gegen den Widerstand der damaligen Adenauer-Regierung, die Köln bevorzugte, die Lufthansa-Basis in Frankfurt durchgesetzt werden.

Daß Frankfurt im Gegensatz zu anderen westdeutschen und europäischen Flughäfen kein bzw. nur ein bedingtes Nachtflugverbot hat, ist ebenfalls eine Folge seiner militärischen Nutzung.

Umgekehrt profitiert der militärische Sektor davon, daß

im Spannungsfall alle zivilen Anlagen und Einrichtungen beschlagnahmt werden können (d.h. die 15- und incl. Startbahn über 20fache Kapazität seines heutigen Bedarfs in Reserve hat).

sich aufgrund des dualen Charakters des Flughafens v.a. die mit zivilen Maschinen getätigten militärischen von den rein zivilen nicht bzw. nur schwer unterscheiden lassen.

Das bestehende Frankfurter Parallelbahnsystem (Nord- und Südbahn mit einem Abstand von 503 m) kann nicht unabhängig voneinander betrieben werden. Das heißt, es kann auf beiden Bahnen gleichzeitig entweder nur gelandet oder nur gestartet werden (aus Sicherheitsgründen beträgt der Mindestabstand von unabhängig voneinander betriebenen Parallelbahnen 1.500 m). Die im Bau befindliche Startbahn West kann dagegen unabhängig von diesen betrieben werden.

Nur

aufgrund der jeweils einzuhaltenden Mindestabstände zwischen aufeinanderfolgenden Flugzeugen ist die Startkapazität generell höher als die Landekapazität. Andererseits ist die Startbahn der Name sagt's schon angeblich eine reine Startbahn. D.h. auf ihr darf jedenfalls nach Planfeststellungsbeschluß nicht gelandet werden (was allerdings technisch möglich ist). Hinzu kommt, daß sich der zivile Verkehrsablauf jeweils in vier tägliche Start- und Landespitzen einteilt. In diesen Verkehrsspitzen wird die maximale Landekapazität unter Instrumentenflugbedingungen fast immer erreicht und meist überschritten. Gerade dieser Wechsel von Start- und Landespitzen ist Voraussetzung dafür, daß schnelle Umstiegverbindungen, minimale Bodenzeiten und maximale Auslastung der Flugzeuge (d.h. die Attraktivität des Frankfurter Flughafens) erreicht werden. In diesen Spitzen beträgt die Kapazitätsteigerung durch eine neue Startbahn etwa 6 %. Eine erheblich über diese 6 % hinausgehende Kapazitätssteigerung ist dagegen nur außerhalb der Landespitzen möglich. Mit Fertigstellung der Startbahn hätte die FAG also die Möglichkeit, selbst bei steigendem Zivilflugverkehr auch die in die (relativ kurzen) Spitzenzeiten fallenden Militärflüge besser zu verkraften und außerhalb derer den Militärs große Kapazitäten zur Verfügung zu stellen.
Die eigentliche Funktion der Startbahn wird klarer, wenn mensch sie in Zusammenhang mit den anderen laufenden und geplanten baulichen Maßnahmen am Flughafen sieht. Diese bestehen nahezu ausschließlich in einem nur gigantisch zu nennenden Ausbau der Frachtkapazitäten:
Das am Kopf der Startbahn gelegene neue Frachtzentrum schafft allein in der 1. (von insgesamt 3!) Ausbaustufen eine Jahreskapazität von 1,5 Mio. t. Zusammen mit dem 1971 in Betrieb genommenen Frachthof 3 bedeutet dies schon eine Jahreskapazität von 1,8 Mio t. Das ist fast das dreifache (!) der 1980 umgeschlagenen Fracht (642.850 t). Was bedeutet das? Einmal, daß die FAG (einschließlich Lufthansa) in der Steigerung des Frachtumschlags (und nicht der Passagierzahlen) ihre wirtschaftliche Zukunft sieht. (Die geplante weltweite Einführung elektronischer Fernkommunikationsmittel Fernkopierer, Video-Konferenzen etc. würde einem weiteren Anstieg der Geschäftsreisen als zentralem Faktor für die Zahl der Fluggäste zumindest enge Grenzen setzen.) Die Schaffung derartiger Kapazitäten (auch ohne die bisher nur geplanten Ausbaustufen 2 und 3) rechtfertigt dies allein aber nicht.
Eine Antwort darauf gibt das 1981 von den USA und der BRD unterzeichnete Abkommen Wartime Host Nation Support (Unterbringung durch Aufnahmestaaten in Krisenzeiten). Nach Aussagen des US-Generals Jim Allen vor dem Verteidigungsausschuß des amerikanischen Repräsentantenhauses sichert es den Yanks im Krisenfall den Zugang und die Nutzung aller Einrichtungen des zivilen Teils des Rhein-Main-Flughafens in Frankfurt, eingeschlossen der Bodenfahrzeuge, der Frachtanlagen und anderer Flughafenausrüstungen (zit. nach Stern vom 18.2.82). Dem liegen die seit langem bestehenden Nato-Planungen zugrunde, im Krisenfall sechs zusätzliche US-Divisionen in die BRD zu verlegen. Das sind 600.000 Mann plus 1.000 Kampfflugzeuge. Der Umschlagplatz für diese sechs Divisionen ist natürlich Rhein-Main. Daraus erklärt sich der Umbau im großen Stil (Stern vom 18.2.82).
In diesem Krisenfall ist die Startbahn selbstverständlich keine reine Startbahn mehr, sondern auch Landebahn. Als Start- und Landebahn bewirkt sich aber im Verhältnis zum bestehenden Parallelbahnsystem eine Kapazitätssteigerung von 75 % (Das hört sich erstmal unlogisch an, beruht aber auf folgendem: Eine Start- und Landebahn hat unter Instrumentenflugbedingungen eine Kapazität von 30 Flugbewegungen pro Stunde. Da die bestehenden 2 Bahnen wegen ihres geringen Abstands betriebstechnisch nur wie eine Bahn benutzt werden können, wobei jedoch weil zwei Bahnen bei Starts eine Rollphase 50 Sek. und bei Landungen die Abrollphase 23 Sek. eingespart werden kann, haben sie eine Kapazität von zusammen 40 Flugbewegungen/Stunde. Weil die Startbahn von den beiden anderen Bahnen unabhängig betrieben werden kann, erhöht sie als Start- und Landebahn die Gesamtkapazität von jetzt 40 auf 70 Bewegungen/Stunde.)
In diesem Zusammenhang ist auch der in den 70er Jahren forcierte Autobahnbau und -ausbau rund um das Frankfurter Kreuz incl. Flughafen zu sehen.
Wartime Host Nation Support beinhaltet weiterhin den Bau von 1.000 Munitionsdepots und Nachschublagern (Kosten ca. 1,2 Mrd.), in denen Waffen und Geräte für die sechs US-Divisionen eingelagert werden sollen.
Inhaltlich dazu gehört ferner der Master Restationing Plan, die nord-östliche Verlagung der im Rhein-Main-Gebiet stationierten US-Truppen.
Dies erklärt sowohl den geplanten Ausbau der B 3 zur B 3a (Paralle zur E 4) von Frankfurt aus nach Norden (Friedberg/Butzbach) wie den Ausbau der bereits bis Gelnhausen fertiggestellten B 40 zur A 66 von Frankfurt aus nach Osten (Fulda/Rhön). Ein Teil der Depots sollen entlang dieser beiden Verkehrsführungen gelegt werden.
In diesem Zusammenhang muß auch die Bedeutung des Autobahnnetzes rund um den Frankfurter Flughafen als mögliche Start- und Landebahnen v.a. für Kampfflugzeuge und die Turbopropmaschinen erwähnt werden.
Ohne die Startbahn und den laufenden Ausbau der Frachtkapazitäten würde es im sog. Krisen- oder Spannungsfall auf Rhein-Main nur noch einen sehr eingeschränkten Zivilverkehr geben. D.h. der Konzern FAG müßte für einen unbefristeten und möglicherweise sehr langen Zeitraum ganz erhebliche Anteile seines Umsatzes den Konkurrenten abtreten, was seine Monopolstellung rapide untergraben könnte. (Unter diesem Aspekt ist wohl die von Karry im Dezember 80 geäußerte Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit der FAG zur Startbahnfrage zu verstehen, daß sie der Bedeutung dieser Sache nicht entsprochen habe. Es sei schließlich nicht Aufgabe des Landes Hessen, die unternehmerischen Fragen und Positionen des Flughafens in der Öffentlichkeit auszutragen.) Als nationaler Ausweichflughafen für den Zivilverkehr war bislang wohl der Kölner Flughafen vorgesehen, der als einziger der westdeutschen Flughäfen aufgrund seiner wirtschaftsgeographischen Lage in Verbindung mit den für Großraumflugzeuge erforderlichen Bahnen und modernsten Abfertigungseinrichtungen bei gleichzeitig brachliegenden Kapazitäten (Auslastung unter 40 %) eine Alternative zu Frankfurt darstellt.

Die Startbahn 18 West von vorneherein ausschließlich als reines US/NATO-Projekt zu thematisieren, bewirkt nur zwangsläufig falsche Schematisierungen und unsinnige wie unfruchtbare Auseinandersetzungen. Wie bei nahezu allen Projekten, wo die Interessen des ökonomischen und des militärischen Sektors zusammenkommen, führt auch hier jede auf ein (absolutes) Entweder-Oder reduzierte Fragestellung in die Sackgasse. Wichtig für die Perspektiven des Widerstandes ist vielmehr, den für ein Projekt dominierenden der beiden Sektoren herauszupuzzeln. Und das aus zwei Gründen

1. Um den hinter dem Projekt stehenden Machtblock konkreter zu machen, auf seine Schwachstellen und Angreifbarkeit hin abzuklopfen, dessen schwächstes Glied wie den eigentlichen Gegner kennenzulernen und zu benennen. 2. Um herauszufinden, ob überhaupt und wenn, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen ein Projekt zu kippen ist: ob es zu ver- oder nur zu behindern ist und mit welchen Perspektiven für die Bewegung.
Wie wir gesehen haben, ist der militärische Sektor mehr Anlaß denn Grund des Startbahnbaus. Anlaß, weil sich sein Anteil an der Gesamtkapazität des Flughafens erhöhen wird und im angesichts der aggressiven imperialistischen NATO-Politik absehbaren Krisenfall große Teile der bestehenden Kapazitäten beschlagnahmen wird. Andererseits braucht die NATO die Startbahn nicht um jeden Preis, umso mehr aber die FAG, will sie nicht einer von den Militärs verursachten Aushöhlung ihrer Monopolstellung tatenlos zusehen. Wenn wir FAG sagen, meinen wir damit immer auch den Magistrat der Stadt Frankfurt und die Regierung des Landes Hessen als Anteilseigner der FAG, wie politisch Verantwortliche für die kapitalistische Infrastruktur der Region. Der Frankfurter Flughafen ist aufgrund seiner Dienstleistungsfunktion für das in der Region konzentrierte Kapital der größte Wirtschaftsfaktor in Hessen und darum mit ursächlich für die Kapitalkonzentration im Rhein-Main-Gebiet. Was den Haushalt der Stadt Frankfurt angeht, steht und fällt dieser da er sich im wesentlichen über Gewerbesteuereinnahmen finanziert mit der Bedeutung seines Flughafens.

Unbestimmter als bei diesem Trio sind dagegen die Interessen der Lufthansa am Bau der Startbahn. So reichte auch die Palette ihrer Äußerungen bezüglich der Notwendigkeit des Startbahnbaus von Nein, Jein, Ja bis hin zur Drohung, bei Nichtbau Kapazitäten zugunsten des geplanten Großflughafens München 2 im Erdinger Moos abzuziehen. Klar ist einerseits, daß sie im besagten Krisenfall sowohl einen Teil ihrer Luftflotte, als auch ihrer Frankfurter Frachtkapazitäten (1980

750.000 t bei einem Bedarf von etwa 330.000 t) für militärische Transporte zur Verfügung stellen muß. Andererseits ist für sie als Airline Bau oder Nichtbau der Startbahn aufgrund ihrer Mobilität viel weniger existenziell als für die standortgebundene FAG. Eindeutig sind die Interessen der letzten im Bunde, wenn sie auch mit der Startbahn an sich recht wenig zu tun hat: die Bauindustrie. An nahezu jeder Schweinerei beteiligt (AKWs, Munitionsdepots, Wohn-Knäste usw.), ist sie gleichzeitig in der Regel das schwächste Glied in der Kette, weil überall präsent und nur bedingt (am Bau, aber nicht am Projekt selbst) interessiert. Damit auch überall Angriffspunkt, ob im Baskenland (AKW Lemoniz, das mittlerweile keine Baufirma mehr fertig bauen will), in Brokdorf oder auf der Startbahn.
Auf der Seite der politisch für den Bau Verantwortlichen, der hessischen Landesregierung, bis Herbst 82 bestehend aus SPD/FDP-Koalition, gab es zwar nicht in Bezug auf den Bau, dafür umso mehr aber in Bezug auf die Vorgehensweise tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten (das gleiche gilt für das Atomprogramm). Diese resultierten aus der traditionellen Integrationsrolle (gerade) der (südhessischen) SPD. So stimmten auf dem Parteitag im November 1980 in Gießen-Allensdorf noch ca. 80 % der südhessischen Delegierten gegen die Startbahn. Ein Abfallprodukt dieses Parteitages wie der Auseinandersetzungen in den unteren Gliederungen der Partei war z.B. das Kasperle-Hearing im hessischen Landtag vom Februar 81. Umso eindeutiger und bestimmter dagegen das Vorgehen der FDP, personalisiert und kristallisiert in ihrer politischen Leitfigur Karry.
Wenn wir zuvor die Startbahn als ein aufgrund der immer weitergehenden Vereinnahmung des Flughafens durch die NATO für die FAG existenziell wichtiges Projekt bestimmt haben, wird klar, daß es für diese im Prinzip nicht aufgebbar ist. Hinzu kommt, daß hier der bei dem Atomprogramm evtl. noch vorhandene Spielraum in der Standortfrage von vorneherein wegfällt.
Was heißt nun im Prinzip nicht aufgebbar? Für uns heißt das nicht, daß ein Projekt überhaupt nicht zu verhindern ist, sondern nur unter bestimmten Bedingungen. Daß es in der Bewegung entweder gelingt, über einen langen (!) Zeitraum die Region unregierbar zu machen, damit die Herrschenden vor die Alternative stellt, das Projekt entweder fallen zu lassen oder eine qualitativ neue Stufe von Unterdrückung und somit politischer Herrschaftsform zu beschreiten. Oder das ist zwar kein Gegensatz, aber auch nicht unbedingt dasselbe die Bewegung bzw. Teile von ihr entfalten ein qualitatives und quantitatives Ausmaß an Militanz und Angriffen auf die Betreiber, daß das Projekt nicht durchziehbar ist. (Bsp.: ETA/Lemoniz).

Hopp, Hopp, Hopp, Startbahn Stopp!

Die Startbahn 18 West ist nicht verhindert worden. Heute, über eineinhalb Jahre nach der Rodung des gesamten für die Startbahn benötigten Geländes, ist ihr Bau mit der Betonierung der Pisten und der Fertigstellung des Tunnels an der Okrifteler Straße zwar zunächst eine Tatsache. Fakt ist aber auch, daß die Bewegung gegen die Startbahn trotz der allmählichen Vollendung des umkämpften Projekts nicht totzukriegen ist. Ein harter Kern von einigen Tausend tummelt sich noch immer an Sonntagnachmittagen (und nicht nur dann) rund ums Baugelände und sorgt nun bereits über eineinhalb Jahre dafür, daß Bullen und FAG-Werkschützer nicht zur Ruhe kommen.

Dieser positive Aspekt kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Bewegung nicht nur zahlenmäßig sehr geschrumpft ist. Die Startbahnbewegung war (und ist) in ihrer vielschichtigen Zusammensetzung eine äußerst breite, viele verschiedene Bevölkerungsgruppen umfassende Bewegung. Gleichzeitig war dadurch ihre politische Bestimmung außer der Feindschaft dem Projekt gegenüber aber undefiniert. Ins Leben gerufen von Teilen des ansässigen Besitzbürgertums, das einerseits um die Lebensqualität in der Region, andererseits um den Wert des eigenen Haus- und Grundeigentums fürchtete, wurde sie Sammelbecken der unterschiedlichsten Motivationen und Gruppen:
Naturschutz, Erhaltung des Waldes und damit eines wichtigen Naherholungsgebietes
Wahnsinn von Großprojekten und der damit verbundenen ökologischen Zerstörungen ganz allgemein also als ökologisches Bewußtsein, das über die eigene, unmittelbare Lebenssituation hinausgeht (Hintergrund v.a. AKW-Bewegung)
mit zunehmender Konkretisierung des Projekts und sich abzeichnendem Durchsetzungswillen der Landesregierung gegen den Protest der betroffenen Bevölkerung, Infragestellung der Entscheidungsstrukturen sowie der dazugehörigen politischen (militärischen) und ökonomischen Kriterien
antiimperialistische Momente auf dem NATO-Hintergrund der Startbahn (KP-Tradition in Mörfelden)
vor allem überregional durch das Volksbegehren: Die Entdeckung des verfassungsrechtlich verankerten demokratischen (Mitsprache-)Rechts des Volkes verbunden mit dem Wunsch, es anzuwenden bzw. durchzusetzen (siehe auch die in der Folge entstandenen Initiativen zur Durchsetzung von Volksbegehren in Bayern und NRW)
politische Gruppierungen aller Schattierungen: von den Jusos, den Spontis, den Autonomen der verschiedenen Städte, die zum Teil ideologisch mit den Anti-US-Imps verwandt sind, bis hin zu den Grünen
unzufriedene, revoltierende Jugendliche, für die die Startbahn Symbol einer feindlichen, kaputtmachenden Umwelt und Gesellschaft war und ist, der Widerstand gegen die Startbahn damit Ausdruck einer wenn auch diffus umfassenden Ablehnung der bestehenden Verhältnisse.

Diese Pluralität ist ebenso charakteristisch für die Bewegung, wie das sich im Verlauf des Konflikts entwickelnde umfassende Spektrum von Kampfformen. Daß es weitgehend bei einem sich akzeptierenden Nebeneinander geblieben ist, ist das politische Manko. Es ist nicht gelungen und auch kaum versucht wurden von der Duldung der Vielfalt zu einer politischen Auseinandersetzung und Verbindung der verschiedenen Teile und Strömungen zu kommen.

Es stellt sich heute die Frage, was angesichts der selten breiten Mobilisierung und Einbindung in den Konflikt an politischem Bewußtsein und Verhalten bei den Betroffenen übriggeblieben bzw. entwickelt worden ist. Ein großer Teil der Bewegung hat sich nachdem er nach dem November 81 schon halb den Rückzug angetreten hatte mit der Ablehnung des Volksbegehrens im Januar 82 endgültig resignativ zurückgezogen. Mit dem faktischen Bauvollzug im Laufe des Jahres 82 bröckelten weiter Leute ab; auch die Linken wandten sich mehr und mehr anderen Themen zu.
Bei den übriggebliebenen, nach wie vor Mobilisierten, relativierte sich die Gewalt-Freiheits-Frage weiter jedenfalls ideell. Ein nicht unbeachtlicher Teil ging zu organisierten, militanten Angriffen auf Betreiber, Mauer, Gerätschaft und Kontrollorganen über, was öffentlich kaum durchkommt wegen einer vor etlichen Monaten von den Bullen verhängten Nachrichtensperre.

Dieser Radikalisierung, die in dieser Form sicher nur für bestimmte Gruppen in Frage kommt, stehen auf der traditionellen politischen, für die Bevölkerung aber immer noch bedeutsamen Ebene, negativ die regionalen Ergebnisse der Landtags- und Bundestagswahlen im September 1982 und im März 1983 gegenüber. Sept. 82 März 83
Startbahnwahlkreis Groß-Gerau:
SPD 39,6 % 41,8 %
CDU 39,1 % 42,5 %
Grüne 18,2 % 8,0 %
FDP 2,0 % 7,0 %

Mörfelden-Walldorf
SPD 27,8 % 38,7 %
CDU 34,4 % 36,4 %
Grüne 33,4 % 16,? %
FDP 2,1 % 7,6 %
DKP 2,3 %

Die Rechnung der Grünen, die darauf setzten, daß sich das Protestpotential der Startbahnbewegung mit ein bißchen Engagement (so z.B. einige üble Schein- und Propagandablockaden im Wahlkampf beim dafür günstig gelegenen Beginn der Betonierung) in viele Wählerstimmen ummünzen ließe, ist nicht aufgegangen. Eine Erfahrung,die schon die KPF machen mußte, als sie nach der Revolte im Mai 687 durch von ihr ausgehandelte hochprozentige Lohnerhöhungen glaubte, bei den von ihr betriebenen Neuwahlen massiv Wähleranteile kassieren zu können und dabei eine ordentliche Pleite erlebte. Es ist vielmehr anzunehmen, daß gerade die immer noch mehr oder weniger Aktiven trotz z.T. bestehender Differenzen ihr Kreuz bei den Grünen gemacht haben.

Daß viele, viel zu viele, in der einen oder anderen Form wieder zur Resignation des Alltags zurückgekehrt sind, hätte in dem Maß sicher nicht stattgefunden, wenn in den entscheidenden Phasen die Bewegung in der Lage gewesen wäre, entschlossener und offensiver vorzugehen, ihre Größe und Breite in politische Stärke umzuwandeln und damit wenigstens anzudeuten, daß Schritte in Richtung Veränderung durchaus eine reale Perspektive haben.

Um hier substanziellen sozialrevolutionären Widerstand zu organisieren, ist es eine Voraussetzung, die bestehenden Ansätze dahingehend zu entwickeln und zu intensivieren. Das Kippen eines Großprojektes wie die Startbahn könnte eine wichtige Etappe in die Richtung sein, den Herrschenden mehr als etwas Nervenaufreiben zu bescheren und das Machtgefüge gründlich durcheinanderzubringen. Es genügt nicht, das festzustellen. Es genügt auch nicht, z.B. Keine Startbahn West zu fordern, ohne zu überlegen, ob und wie sich dieses Ziel erreichen läßt. Wir wollen uns wenigstens im Nachhinein fragen, wie es möglich gewesen wäre und woran es gescheitert ist.


aus: Die Fruechte des Zorns
Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionaeren Zellen und der Roten Zora
ID-Archiv im IISG/ Amsterdam (Hg.)
ISBN: 3-89408-023-X
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