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Die Bewegung gegen die Startbahn West August 1983

Die nun folgende Chronologie der Ereignisse vom Oktober und November 1981 hielten wir für notwendig, um einen zusammenhängenden Überblick über die Hochphase der Bewegung zu geben. Einerseits liegt das alles schon länger zurück, andererseits ist das Wissen um den konkreten Ablauf Bedingung für eine Analyse und Diskussion. Den Oktober haben wir grob skizziert, die erste Novemberhälfte detailliert dargestellt.

5.10.

Nach Auslösung der Alarmkette wird das bereits im November 80 gerodete und für die Untertunnelung der Okrifteler Straße (über die die Startbahn hinwegführt) benötigte 7-Hektar-Gelände von mehreren tausend Leuten besetzt.

6.10.

Der am späten Vormittag aufmarschierte Bullenapparat, der sich noch an die Spielregeln (Pflasterstrand) des gewaltfreien Widerstands hält, zieht sich nach mehrstündigen, ergebnislosen Räumungsversuchen unverrichteter Dinge wieder zurück.

7.10.

Als sich im Lauf der Nacht bis zum Mittag die Reihen der Platzbesetzer auf max. 1.000 gelichtet haben, gelingt den Bullen immer noch relativ soft die Räumung. Gegen Abend, als immer mehr Menschen sich an den Absperrungen im Wald versammeln, gibt es die ersten massiven Knüppeleinsätze.

11.10.

Der blutige Sonntag

Nach einer Demonstration von über 10.000 zum Mitte der Woche geräumten Gelände mit anschließendem Gottesdienst und Anbuddeln der inzwischen aufgestellten Mauer, bekommen die BGS-Einheiten Knüppel frei. Unterschiedslos wird auf alles geschlagen, was sich bewegt, ob jung oder alt, Mann , Frau oder Kind.

12. 31.10.

Mit immensen Arbeitseinsätzen wird das Hüttendorf befestigt und die Zufahrtswege verbarrikadiert. In der letzten Woche beginnt die FAG mit der Untertunnelung. Auf dem Flughafengelände werden große Bullenverbände zusammengezogen.

1.11.

Auf den Beginn der Untertunnelungsarbeiten und die für einen der nächsten zwei Tage erwartete Hüttendorfräumung reagiert die Bewegung mit den ersten massiven Angriffen auf die Mauer um das 7 ha-Gelände.

2.11.

Gegen 9 Uhr zur gleichen Zeit findet in Wiesbaden eine seit langem anberaumte Pressekonferenz der BI zum Volksbegehren statt überrennen die SEKs aus den verschiedenen Bundesländern das schlafende Hüttendorf; die Rodung von Baulos 1 beginnt. Trotz aller Hinweise hatte der dafür zuständige KO (Koordinationsausschuß; Spahn, Treber, Martin u.a.) keinen Alarm ausgelöst

die in den vergangenen Wochen errichteten Befestigungen und Barrikaden waren damit für die Katz. Hinter den eingenommenen Wällen verschanzen sich nun die Bullen. Von hier aus starten die SEKs den ganzen Tag über ihre Knüppelorgien gegen die in den Wald strömenden Menschen.

2.5.11.

An diesem und in den folgenden Tagen erlebt die Region eine noch nie dagewesene Mobilisierung, deren Zentren der Wald und die Frankfurter City sind. Hinzu kommen Solidaritätsdemos und -aktionen in der ganzen BRD, ja selbst in Rom.

in Darmstadt demonstrieren bspw. täglich bis zu 5.000 pro Demo, in Frankfurt bis zu 10.000

in den Wald strömen über den ganzen Tag verteilt bis zu 18.000 Menschen

Schulstreiks und Bahnhofsblockaden in Frankfurt, Rüsselsheim, Groß-Gerau und Darmstadt

2./3.11.

In dieser Nacht läßt eine RZ eine Funkfeuereinrichtung des Flughafens in Flammen aufgehen (Schaden ca. 400.000 DM); in Frankfurt werden 156 Banken entglast und ein Bagger angesteckt; in Darmstadt fliegt ein Molli auf's Kennedy-Haus.

3.11.

In Mörfelden demonstrieren abends 8.500 Leute. In der Frankfurter Rohrbachstraße wird gegen Mitternacht eine Demo von ca. 1.500 Leuten von süddeutschen SEKs (sog. Todesschwadrone) überfallen. Als die in Panik geratenen Leute in angrenzende Wohnungen und Häuser flüchten, dringen die Bullen auch dort ein. Kurz darauf brennt im Frankfurter Westend eine Filiale der Deutschen Bank vollständig aus.

4.11.

Ruhe gab es auch am Mittwoch (erst recht) nicht. Schon mittags zogen fast 3.000 Leute von der Uni vor den Frankfurter Römer.8 Aus Sachsenhausen kamen ein paar hundert streikender Schüler dazu. Die Ereignisse der letzten Nacht wurden besprochen, eine kurze Kaffeepause eingelegt, um am Nachmittag dann durch die Innenstadt zum Hessischen Rundfunk zu ziehen. Über 10.000 Demonstranten wollten dort eine Live-Diskussion zwischen Startbahngegnern und der Politikerriege Börner9, Gries10, Dregger11 erreichen. Ein paar hundert von ihnen ignorierten die locker verschlossenen Glastüren und hielten das Hauptgebäude des HR für eine halbe Stunde besetzt (Taz vom 6.11.81)

5.11.

Die BI kündigt für Samstag die Besetzung von Baulos 1 an.

6.11.

Um 4 Uhr früh beginnen die Bullen das am 3.11.begonnene 2. Hüttendorf zu räumen. Noch während die Räumung im Gange ist, detoniert wegen der Rodung des Waldes durch österreichische Holzfäller vor dem österreichischen Generalkonsulat in Frankfurt eine Bombe (RZ); im Westend brennt die Filiale der Stadtsparkasse aus. Vormittags demonstrieren einige tausend Schüler (FR) sowohl in Rüsselsheim als auch in Frankfurt. Nachmittags und abends in Frankfurt 15.000 (mit anschließendem ersten Open-Air-Konzert auf der Hauptwache), 3.000 in Offenbach, mehrere Hundert in Heusenstamm, Neu-Isenburg, Langen und Bad Nauheim. In Friedberg wird das Büro des SPD-Unterbezirks Wetterau besetzt, in Kassel besetzen 300 Leute das Redaktionsgebäude der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen. Die Gewerkschaft der Polizei verteilt ein Flugblatt unter dem Titel Wir haben die Schnauze voll und kündigt eine eigene Demonstration für den Dezember an. Der südhessische SPD-Vorsitzende und stellvertretende Landesvorsitzende Görlach schlägt eine Dialogpause spätestens für den Zeitpunkt vor, zu dem der Antrag für das Volksbegehren vor dem hessischen Staatsgerichtshof verhandelt werde. Begründung Damit die gewalttätigen Auseinandersetzungen wieder in friedliche Bahnen gelenkt werden. Zwischen den KO-Mitgliedern Spahn und Martin und dem Polizeidirektor Vogel und dessen Stellvertreter Wetzel findet abends eine mysteriöse Unterredung unter acht Augen bzgl. der bevorstehenden Platzbesetzung statt. Als Taxi benutzen Spahn und Martin einen Streifenwagen. Zitat aus einem Papier Martins vom 11.11.

Wir haben in diesem Gespräch Vogel und Wetzel von unserer Aktion unterrichtet ...

7.11.81 Der Nacktensamstag

Trotz geringer Mobilisierung (-szeit) ziehen 3040.000 in den Wald, von denen der Großteil für eine Konfrontation mit den ca. 4.000 Bullen auf Baulos 1 gerüstet ist. (Zeitgleich laufen in mehreren westdeutschen Städten Solidaritätsdemos, so z.B. 4.000 in Stuttgart, wo der Hauptbahnhof lahmgelegt und der Busbahnhof des Flughafens besetzt wird, in Freiburg sind es ebenfalls 3.000 bis 4.000, in Michelstadt/ Odenwald wird das FDP-Büro besetzt.)

Gemäß einem (angeblichen) Beschluß des erweiterten KO vom Vorabend überqueren 5060 nackte BI'ler als Spitze eines Keils, den die Massen bilden sollen, ungehindert auf Teppichen den Natodraht. Hinter den Nackten schließen sich sofort die Ketten von Bullen und BI-Ordnern, die einen jenseits, die anderen diesseits der Absperrung. Der größte Teil der Nackten in von diesem Verlauf ebenso überrascht wie die Menschen auf der anderen Seite des Zauns. Die unruhige Menge wird in Schach gehalten, indem der Nackte Jürgen Martin sich und seine Leidensgenossen über Bullenlautsprecher (!) zu Geiseln erklärt, deren Leib und Leben in Gefahr sei, wenn die Menge keine Ruhe halte (O-Ton). Die diesseits des Natodrahts postierten Ordner erklären jede/n zum Provokateur, der/die an diesem rumhantieren. Präsentiert wird dann die Forderung nach einem Gespräch mit Innenminister Gries, die auch alsbald erfüllt wird, da Gries offensichtlich in räumlicher Nähe bereits auf diese Forderung wartet.
Derweil wird an den Flanken von Baulos 1 der Mauerbau ungehindert vorangetrieben.
Als es bereits dunkelt, werden die Verhandlungsergebnisse der 5-köpfigen Nackten-Delegation mit dem Minister bekanntgegeben, als großer politischer Sieg verkauft und die Scheiße brüllenden, seit Stunden ausharrenden Leute aufgefordert, nach Hause zu gehen. Eine Wasserwerfer-Besatzung bringt die Situation auf den Begriff, indem sie über Lautsprecher die Bundesliga-Ergebnisse verkündet. Niedergeschlagen bis wütend ziehen die Zehntausenden aus dem Wald, der kurz darauf leergefegt wie selten zuvor ist. Auf der Nachhausefahrt wird das Frankfurter Kreuz durch an die 100 quergestellte Pkw's blockiert. Auch die Strecke Frankfurt-Darmstadt wird durch mit Warnblinkern fahrende Wagen, die zeitweilig stehen bleiben, total verstopft. Ähnliches ereignet sich auf den Autobahnen Richtung Würzburg und Köln.
Am frühen Abend fliegt in den Vorgarten eines leitenden FAZ-Redakteurs in der Frankfurter Nordweststadt ein Molli.
8.11.

Mehrere hundert Leute statten in Bickenbach den dort wohnenden Ministern Hoffie und Schneider einen Besuch ab. Der SPD-Unterbezirks-Parteitag in Wiesbaden fordert die Einstellung aller Bauarbeiten bis zur Entscheidung des Staatsgerichtshofs. Der Vorsitzende dieses Unterbezirks und Pro-Startbahn-Landtagsabgeordnete Frank Breucker wird wie folgt zitiert

Die Startbahn ist politisch nicht mehr durchsetzbar und so wie es jetzt aussieht, stehen wir das nicht durch (FR vom 9.11.81)

9.11.

Der DGB-Landesvorstand (dessen Vorsitzender Richert in Personalunion auch das Amt des Landesvorsitzenden der SPD auf sich vereinigt) schlägt eine Atempause vor. Bis zur Entscheidung des Staatsgerichtshofs sollen alle Bauarbeiten und Demos eingestellt werden.

In den Städten der Region flaut die Bewegung in dieser Woche rapide ab. So sind auf der täglichen Frankfurter 17-Uhr-Demo nur noch etwa 1.500 Leute im Gegensatz zu den 15.000 vom Freitag. 10.11.

Die Sonderkommission Karry veranstaltet eine bundesweite Razzia mit Schwerpunkt Frankfurt. Offensichtliches Ziel

in die aufgebrochenen Kontroversen um den Samstag mit einer Aktion gegen die Militanten in den Städten einzugreifen, um diese einzuschüchtern und von den aufgebrachten und radikalisierten Bürgern der Region zu isolieren.

Willy Brandt und Volker Hauff12 reisen nach Wiesbaden, um die ins Wanken geratene SPD-Landtagsfraktion wieder auf Linie zu bringen. Zeitgleich findet eine Kabinettsitzung statt, auf der ein Moratorium abgelehnt wird. 11.11.81

Abends findet die erste VV (ca. 800 Teilnehmer) seit Samstag statt. Der KO kommt mit seiner öffentlichen Selbstkritik und dem Verweis auf die Gefahr einer Spaltung der Kritik der Bewegung zum Teil zuvor. Weitgehender Konsens ist, daß die Pleite vom Samstag so nicht stehen bleiben kann. Deshalb beschließt die VV, der Landesregierung für Sonntag, 12.30 Uhr, ein Ultimatum für einen Baustopp zu setzen, andernfalls werde der Platz besetzt.

12.11.81

Die abends tagende Delegiertenversammlung schmeißt den VV-Beschluß dergestalt um, daß bei Beibehaltung des Ultimatums die angedrohte Platzbesetzung durch eine Blockade des Terminals ersetzt wird.

14.11.81

In Wiesbaden findet die seit Monaten terminierte Abgabe der Unterschriftenlisten für das Volksbegehren im Rahmen einer Massendemonstration statt, an der zwischen 120.000 und 150.000 Menschen teilnehmen. Diese Demonstration spiegelt das gesamte Protestpotential der Startbahn-Bewegung wieder (Kirche, Gewerkschaften, Naturschutzverbände, Parteijugend etc.)

Auf der Abschlußkundgebung verkündet Alexander Schubart13 das Ultimatum in Gestalt des Delegiertenversammlung-Beschlusses vom 12.11. (Flughafenblockade); dafür bekommt er im Januar 83 vom hessischen Staatsschutzsenat 2 Jahre auf Bewährung wegen Nötigung eines Verfassungsorgans. Für den VV-Beschluß (Platzbesetzung) mobilisiert dagegen niemand! In Berlin (3.000) und Bremen (600) laufen Solidaritätsdemos.
15.1.82

Nach Ablauf des Ultimatums sind zwischen 15.000 und 20.000 draußen, der Großteil am Flughafen. Da der Flughafen von Bullen und FAG-Werkschutz abgeriegelt ist, verlagern sich die Auseinandersetzungen immer mehr auf die angrenzende Autobahn, die damit ebenfalls im Umkreis von 50 Kilometern dicht ist. Zeitgleich läuft einige Kilometer entfernt, der Sturm von ca. 35.000, darunter viele Bürger gegen die inzwischen fertiggestellte Mauer von Baulos 1, die dabei zwar erheblich beschädigt, aber nicht überwunden wird.

Abends gibt's am Ortseingang von Walldorf Putz mit 2 Hundertschaften, als Walldorfer und Mörfeldener die zur Sperrung der Okriftler Straße verwendeten Container abräumen. 16./17.11.81

In Bezug auf die Auseinandersetzungen am Flughafen (demgegenüber werden die Auseinandersetzungen an der Mauer kaum erwähnt) überschlagen sich die Berichte und Kommentare in den Medien in ihrem Gegeifere. In diesen Chor reihen sich die BI-Sprecher ein und distanzieren sich im Nachhinein von dem Kuckucksei, das sie selbst gelegt haben

Leo Spahn distanziert sich von dem Ablauf der Flughafenbockade als Sache irgendwelcher Angereister, klammert aber die Aktionen an der Mauer ausdrücklich aus seiner Distanzierung aus; als Grund mutmaßt die FR wohl nicht zu Unrecht

An den gewaltsamen Auseinandersetzungen an der Mauer beteiligten sich erstmals auch zahlreiche ältere Bürger vor allem aus dem Raum Mörfelden-Walldorf (FR v. 16.11.81)

Gegenüber DPA erklärt A. Schubart

Vielleicht sei der Aufruf zur Flughafenblockade das falsche Mittel gewesen. Doch ohne den Aufruf wäre es zu noch größeren Auseinandersetzungen an der Mauer gekommen. So habe der Plan für einen Totaldurchbruch bestanden (zitiert nach Frankfurter Rundschau am Abend vom 16.11.81). Und

Mir ging es darum, den zu erwartenden ganz großen Ramba-Zamba zu kanalisieren. (Spiegel vom 23.11.81)

Wir gehen nicht unter in Niederlagen ...

Die Bewegung, die sich zwischen dem 2.11. und 6.11. sowohl im Wald wie auf den Straßen und Plätzen der Region vor allem in Frankfurt in einer nahezu ununterbrochenen 24stündigen Mobilität artikulierte und präsentierte, war weitgehend spontan, unorganisiert und vielschichtig zusammengesetzt. Der Startbahnkonflikt hatte als Aufhänger lange unterdrückte und kanalisierte Gefühle und Energien freigesetzt, die so bunt und vielfältig waren wie die Bewegung. Das machte sie nicht nur unberechenbar und schwer kontrollierbar für die Bullen, sondern auch für jeden Führungsanspruch.

Während noch Gerichte tagen, die Kirche verhandelt und das Volksbegehren jetzt erst so richtig in Hochform läuft, hat ein plötzlicher und unerwartet harter Angriff der Staatsgewalt dieses Gefüge noch mehr durcheinandergebracht. Der Angriff hat eine massenhafte Mobilisierung bewirkt. Die Eigendynamik der Aktivitäten eilt den BIs weit voraus und ist zum kleinen Teil von ihnen initiiert geschweige denn unter ihrer Kontrolle. War für viele vorher nicht mal klar, was denn aktiv- und gewaltfrei- sein sollte, wächst urwüchsig und massenhaft die Bereitschaft, sich zu wehren-. Wehren aus Selbstschutz, sich die Kommandotruppen mit Stockwürfen vom Hals zu halten, Polizei- und Baufahrzeuge unschädlich zu machen. Es herrscht eine Stimmung, die das Demolieren von Banken und Reisebüros immer mehr zur Verlockung macht, weil die Demos sowieso verboten und brachial zusammengeschlagen werden. Polizeiwaffen und Elitesoldaten lassen keinerlei Chance zur Gegenwehr in Form einer Straßenschlacht zu. Das sehen jetzt auch die Alten, die Kommunalpolitiker, die Pfarrer, befragte Gemeindearbeiter von Walldorf, ihr Bürgermeister vor einer Straßensperre und Hausfrauen. Eine Gruppe älterer Frauen aus Walldorf, die nach Diskussion mit einer Gruppe Jugendlicher Scheißebeutel abfüllen

Sie werfen nur, wenn die Kommandos ausbrechen. Wir können ihnen keine besseren Mittel geben, sie müssen sich schützen- und Sowas ist doch harmlos gegen diese Chaoten-, gemeint sind die Beamten der Polizei. Die Bevölkerung radikalisiert sich zunehmend. Da fällt oft das Wort von in die Luft sprengen-, einige Jungen fangen an und viele überlegen herausragende Punkte des Wahnsinns (Flughafeneinrichtungen und Baumaschinen) zu zerstören, abzufackeln, mit dem Gefühl, wir haben wenig Chancen, aber wir können auch nicht anders, um uns selbst zu behaupten. (Burg, Taz v. 6.11.81) In der Geschichte der Startbahn-Bewegung sehen wir die erste Novemberhälfte 81 als die Phase an, in der sich entschied, ob die Bewegung eine Stärke entwickelt, die eine Verhinderung der Startbahn in Aussicht stellt, in der Lage ist, zumindest punktuell die Machtfrage zu stellen und die Herrschenden zu einem Zugeständnis zu zwingen.
Um diese Stärke zu gewinnen, hätte die quantitative Ausdehnung dieser Tage in qualitative Stabilität und Kontinuität umschlagen müssen, um ihre Anziehungskraft und ihren Wirkungsgrad zu erhöhen. Das ist nicht geschehn. Im Gegenteil war die Bewegung nie wieder so attraktiv wie zu diesem Zeitpunkt.
Die für den 7.11. (kurzfristig) angesetzte Platzbesetzung macht die Zähmung der im Aufwind befindlichen und außer Rand und Band zu geraten drohenden Bewegung für die Erhaltung des Führungsanspruches der BI (bzw. ihres Führungskreises) selbst um den Preis der Demobilisierung notwendig.
Die Bewegung bot wegen ihres unorganisierten Charakters bei entsprechender Regie die idealen Voraussetzungen für die Wiedergewinnung der Kontrolle und politischen Hegemonie. Die Initiative über den Ablauf konnte nur gesichert werden, indem die Demonstration der nackten Gewaltlosigkeit als Spitze des nachfolgenden Sturms auf den Platz verkauft und als medienwirksames Spektakel zugleich inszeniert wurde; alles weitere war dann nur noch das Problem einer dramaturgischen Regie, in der BI und Bullen ihren gleichberechtigten Part hatten.
Das gleiche Spiel setzte sich in der darauffolgenden Woche fort, wenn auch mit stark reduzierter Massenmobilisierung und in variierter Form.
Der Führungsanspruch war zwar am 7.11. behauptet worden, gesichert war er, angesichts der heftigen Emotionen und Reaktionen auf die Niederlage aber keineswegs. Der Plenums-Beschluß vom 11.11. war ein eindeutiger und unter den gegebenen Bedingungen schlagartige Demobilisierung nach dem 7.11., Ausbleiben neuer dezentraler Aktionen und Aktionsformen politisch einzig richtiger Beschluß, die Manifestationsoffensive auf der sog. politischen Schiene (Volksbegehren) über die Massendemonstration in Wiesbaden am 14. mit einer Wiederbelebung und -aufnahme der praktischen Offensive am 15. zu verbinden.
Diese konnte nur auf dem Bauplatz erfolgen.
Zum einen, weil der Kampf nur dort wieder aufgenommen werden konnte, wo er zuvor sein vorläufiges Ende gefunden hatte; den 7.11. mit einem erneuten, aber zielstrebigen und komromißlosen Platzbesetzungsversuch praktisch aufzuheben und soweit überhaupt möglich mit all seinen fatalen Folgen auszuradieren. Daß er damit in starkem Maße den von den AKW-Kämpfen her bekannten Charakter einer ersten Entscheidungsschlacht annehmen würde, war dabei unumgänglich. Zum anderen, weil aufgrund der fortschreitenden Rodungs- und Bauarbeiten die Konfrontation vorrangig dort angedroht werden mußte, wo der Kern des Konflikts lag (und zudem von der bürgerlichen Presse am wenigsten ausschlachtbar war); und der lag nun mal im Wald und nicht am Terminal. (Um nicht zum wiederholten Mal diesbezüglich mißverstanden zu werden, wollen wir hier klarstellen, daß unser damaliger wie heutiger Verweis auf den Wald als Knackpunkt des Widerstandes nicht im geringsten meint, andere Widerstandsebenen und Angriffspunkte rausfallen zu lassen. Im Gegenteil: Flughafenblockaden und noch mehr hätten im Idealfall jeden Tag stattfinden können und müssen. Wenn wir mehr gewesen wären, auch am 15., aber als Unterstützung und nicht Ersatz für eine Bauplatzbesetzung.)
Der Plenumsbeschluß, über die Teilnehmenden hinaus nicht öffentlich bekanntgegeben, wurde mißachtet jedenfalls nicht dafür moblisiert. Auch nicht von den Linksradikalen, die zum Großteil auch dem von Schubart verkündeten Aufruf zum Flughafen folgten und so wenn auch unbewußt und ungewollt an der nun endgültigen Demobilisierung der autonomen Massenbewegung mitwirkten.
Damit war genauso endgültig die Initiative an die Herrschenden abgegeben worden, die von nun an das Heft in der Hand behielten. Die Chance, die Startbahn wenn auch vorläufig und befristet politisch nicht durchsetzbar zu machen, war vertan.

... sondern in Kämpfen, die wir nicht kämpfen

Dafür, daß der so mobilen und breiten Massenbewegung der ersten Novemberwoche nach dem Nacktensamstag der Atem stockte, sehen wir verschiedene Gründe als ausschlaggebend an

1. Konkret

Der Ablauf des Samstag und dessen demoralisierende Wirkung. Wesentlich war dabei nicht, daß das eigentliche Ziel, die Platzbesetzung, nicht erreicht wurde, sondern was da und wie es ablief. Das Gefühl, total verarscht und verschaukelt worden zu sein, die Unfähigkeit und Hilflosigkeit, den Teufelskreis aus Verarschung auf der einen (eigenen) und Verhöhnung auf der anderen (Bullen) Seite zu sprengen, erlebt zu haben, war den Kids und den Alten, dem Militanten wie dem Bürger weitgehend gemeinsam. Das trifft ins Mark und lähmt, ist um ein Vielfaches schlimmer als es jede noch so harte und körperlich schmerzhafte Niederlage bei einem realen Besetzungsversuch hätte sein können. Das ist der Unterschied zwischen militärischer und politischer Niederlage, der da zum Tragen gekommen ist. In den Tagen zuvor waren sowohl barbarische Prügel von den Bullen wie auch die schmerzliche, aber punktuelle Niederlage der Hüttendorfräumung, in deren Befestigungen und Verteidigungswällen immerhin wochenlange Arbeit und 'ne Menge Hoffnung steckte, ein- und weggepackt worden. Beides hatte nicht zu Resignation und Demobilisierung geführt, sondern das genaue Gegenteil zur Folge. Die für diesen Tag vorgesehene Platzbesetzung hatte nicht den Charakter einer Entscheidungsschlacht, mit der alles steht oder fällt. Es war aus der Entwicklung der vorherigen Tage klar, daß sie ansteht. Das Fatale war, daß aus den eigenen Reihen der Versuch, die gewonnene Stärke der Bewegung auf die Probe zu stellen, vereitelt wurde, ihr quasi von innen heraus die Spitze genommen wurde.
2. Die Quantität der Bewegung ist nicht in Qualität umgeschlagen. Ihre einzige Stärke war ihre Größe und Mobilität. Eine darüber hinausgehende Zielgerichtetheit fehlte ihr. In der Woche vor dem 7.11. sind keine massenhaft durchführbaren Aktionsformen gegen die politischen und vor allem ökonomischen Strukturen der Betreiber gefunden und erprobt worden, die den Druck auf die Herrschenden insgesamt noch verstärkt hätten. Aktionen, die der Bewegung über das Wir sind Zehntausende hinaus ein eigenständiges politisches Gewicht und Selbstbewußtsein hätte geben können und als Folge dessen eine Perspektive aufgezeigt hätten, an die nach dem Einbruch vom Wochenende hätte angeknüpft werden können.
Die unzähligen Demos und Umzüge, für die die tägliche Frankfurter 17-Uhr-Demo exemplarisch war, blieben real darauf beschränkt, allein durch ihre Summe wie darüber, daß irgendwo, gleich welche Uhrzeit, immer was lief, die Bullen permanent auf Trab zu halten und so langsam aber sicher physisch zu verschleißen (was im übrigen so manchen amoklaufenden Bullen erklärt).
Darüberhinausgehende Aktionen wie z.B. Blockaden von FAG-freundlichen Zeitungen, in der Stadt ansässigen Startbahn-Baufirmen, Besuch von Fluggesellschaften, FAG-Aufsichtsräten etc. oder auch das Einbeziehen des Betriebsgeländes von Großbetrieben in Demorouten fanden dagegen so gut wie nicht statt.
An Vorschlägen in dieser Richtung hat es zwar nicht unbedingt gefehlt (FAZ-Blockade, Flughafenblockade, Hausbesuch bei Wallmann14 usw.). Versuche, wie z.B. die Besetzung des Hessischen Rundfunk konnten jedoch vor allem von den zu diesen Anlässen in ausreichender Zahl anwesenden Alt-Spontis (u.a. ASTA) und immer mit Megaphonen ausgerüsteten KB'lern meist erfolgreich abgebogen werden.
Im Gegensatz dazu hat es unseres Wissens nicht mal Versuche gegeben, zeitlich parallel zu den Demos oder unabhängig davon größere Gruppenaktionen gegen die Betreiber- und Kapitalstrukturen in der Stadt zu unternehmen. Damit meinen wir weniger irgendwelche hit and run-Geschichten, sondern Aktionen wie beispielsweise die Holzfällerblockade in Eppertshausen während Baulos 2 (dort hatten etwa 70 Leute morgens die österreichischen Holzfäller für ca. 4 Stunden am Verlassen ihrer Unterkünfte gehindert).
Wir denken, daß es wichtig gewesen wäre, wenn seitens organisierter und bewußter größerer Gruppen solche Aktionen vorbereitet gewesen wären, um die Ratlosigkeit in bestimmten Situationen durch Benennung und Umsetzung eines konkreten Ziels aufzuheben. Bei einem guten Timing und der Bekanntgabe auf den Demos wären das gute Gelegenheiten gewesen, Impulse zu geben und große Teile der Demo dorthin zu mobilisieren. Die Bereitschaft eines Gutteils unterstellt, hätten so die Abwiegeleien unterlaufen werden können. Die haben nämlich nur dann eine Chance, wenn die Alternativen voller wenns und abers bzw. vielleichts stecken, nicht aber, wenn sie sich real anbieten.
Notwendig und sinnvoll wären auch vielfältige Gruppenaktionen in verschiedener Form zur Blockade des Flughafens gewesen und zwar so oft wie möglich. Hier hätte die Bewegung Punkte auf ökonomischem Gebiet (Fluggesellschaften) gegen die FAG sammeln können.
Eine ganz anders gelagerte Kampfform wäre gewesen, den in den Großbetrieben der Region z.T. breit vorhandenen Protest gegen die Startbahn in Aktionen im Betrieb umzusetzen. Ein Beispiel, wo diese Voraussetzungen vorlagen und sich von hier hätten ausdehnen können, ist Opel/Rüsselsheim. Von den dort rund 35.000 Beschäftigten lebt ein gutes Drittel im direkten Umland des Flughafens. Während und nach der Räumung des Hüttendorfes gingen die spontanen Krankmeldungen und Urlaubsgesuche in die Tausende. Viele hatten, als sie von der Räumung erfuhren, Arbeit Arbeit sein lassen und sind raus in den Wald. Es wurde zwar von Streik geredet, initiativ wurde aber niemand abgesehen davon, daß massenhaftes Krankfeiern auch 'ne Art von, allerdings passivem, Streik sind. Außerdem hätte es nicht unbedingt ein vielleicht zu riskanter Streik(versuch) sein müssen, denn mit massiver bzw. gut geplanter Sabotage hätte der Laden auch stillgestanden.

Dies als Beispiel für einen Ansatz, den wir als sehr wesentlich erachten und an dem weitergedacht werden müßte. Einerseits, um in aktuellen Konflikten den ökonomischen und politischen Druck zu erhöhen, andererseits, um die Kampfplätze zu verlagern und politisch-inhaltlich zu erweitern. Den Konflikt in die Produktionsstätten tragen.

Auch wenn die oben genannten Punkte nur angerissen und unvollständig sind, zeigen sie doch wo(ran) es gehängt hat, daß die Quantität der Bewegung nicht in eine ihr angemessenen Qualität umgeschlagen ist.

Die gebrochene Geschichte der Linken in der Region und, damit zusammenhängend, nicht vorhandene Strukturen bilden die wesentliche Ursache für diese Mängel. In vielen Situationen wäre es gerade auf die Existenz einer verbindlichen (nicht straffen) Organisierung der radikalen Linken angekommen, die bereit und in der Lage ist, zu intervenieren so am 7.11., danach und überhaupt in den beschriebenen Situationen. Alles darauf zu reduzieren und damit auf sich beruhen lassen, wäre einfach, aber falsch. Es gibt eine Menge ausgebliebener Antworten auf die allzeit vorhandenen Schwierigkeiten und Probleme der Startbahn-Bewegung, die vielleicht oft gedacht, aber kaum ernsthaft und zielstrebig diskutiert, geschweige denn versucht worden sind. 1. Ein Problem der Linken ist, daß ihre Politik von größeren Teilen der Bevölkerung isoliert ist, aus ihrem Ghetto nicht rauskommt und zum Teil auch wenig dafür tut.
Im Startbahn-Konflikt war es die Bevölkerung, die durch ihren Protest die Linke erst mobil machte. Anstatt hier aber die politische Initiative zu ergreifen, versteckte mensch sich hinter dem angeblich nicht genug entwickelten Bewußtsein der sog. Bürger (Beispiel: Air-Base-Demo 4.12. die dann in der Frankfurter Innenstadt stattfand : von den Veranstaltern wurde vorher absolute Gewaltlosigkeit festgelegt. Begründung: Gewalt könnte die Bürger abschrecken, sich mit dem Aspekt Nato-Startbahn zu beschäftigen). Von Anfang an wurde allzu ängstlich auf die vielschichtige Zusammensetzung der Bewegung gestarrt, ganz bestimmte Bürger mit dem Bürger von dem erstere immerzu redeten verwechselt; ein Bürger, den es nie gab und auch heute nicht gibt. Orientiert wurde sich (deshalb?) zumeist an einem vorgegebenen Minimalkonsens, der zwar nicht verbal, dafür aber praktisch als statischer und nicht permanent offensiv in Frage zu stellender und veränderbarer angegangen wurde.
2. Der Begriff der Gewaltfreiheit ist nie politisch und offensiv diskutiert worden. Von den ideologischen Propagandisten der Gewaltfreiheit ist sie immer legalistisch begriffen und betrieben worden (was in der Friedensbewegung wieder deutlich wird). Das hätte frühzeitig Gegenstand von Auseinandersetzungen sein müssen unter den Parolen: Statt Minimalkonsens gegenseitige Tolerierung der real unterschiedlichen Aktionsformen; gegen Vereinnahmung und Dominanz der Bewegung durch die legalistische Tendenz.
Damit hätten diejenigen, die Gewaltfreiheit als praktische Kampfform begreifen, von denen, die den Begriff benutzten, um die Bewegung symbolisch, gesetzestreu und kontrollierbar zu halten, getrennt und dazu gebracht werden können, sich selbst aktiv einzubringen.
3. Die Frage der Spaltung wurde ausgenommen die Führungsriege, die damit keimende Kontroversen einzudämmen suchte nie thematisiert. Spaltung thematisieren heißt keineswegs, auf sie hinzuarbeiten. Es geht einfach um die Offenheit und Offensivität in der Diskussion.
So sind weder Worte und Taten der BI-Führung politisch angegriffen worden (und da hätte es eine Menge Punkte gegeben), noch sind Strategie und Praxis des Widerstands politisch offensiv angegangen worden und wenn darüber eine Spaltung als Klärungsprozeß risikiert worden wäre. Das hätte allerdings genaue und inhaltlich klare Diskussionen, sowie die Übernahme von Verantwortung erfordert. Statt dessen wurde Verantwortlichkeit von den Radikalen zu weiten Teilen genauso delegiert wie vom Bürger und lieber der vorgegebene Platz im vorgegebenen Rahmen eingenommen (Diese fehlende Verantwortlichkeit setzt sich bis heute fort in der Verdrängung einer Auseinandersetzung und Aufarbeitung der gemachten Erfahrungen.).

Frankfurter K(r)ämpfe

Daß der Bewegung ein Katalysator fehlte, der in bestimmten Situationen die Initiative ergreift, Entwicklungen unterstützt, beschleunigt und zu ihrer Festigung beiträgt, haben wir zur Genüge beschrieben.

Den Linksradikalen der Region ist es nicht gelungen, diese Funktion zu übernehmen. Sie haben es auch kaum versucht oder konnten es nicht (objektiv gesehen). Die politische Praxis zeichnete sich vor allem durch plakative Verbalradikalität aus, die Militanz theoretisch für sich beanspruchte. Die Einlösung dieses Anspruchs bereitete enorme Probleme, was sich im Verlauf der Auseinandersetzungen in einer höchstens ansatzweisen Umsetzung ausdrückte. Ersatzweise wurde die sich draußen unabhängig entwickelnde Militanz verbal für sich vereinnahmt.
Die seit November 81 traditionellen sonntäglichen Angriffe auf die Mauer neben den nächtlichen Mauerknackereien und Anschlägen auf Baufahrzeuge und Lichtmasten wurden von Beginn an fast ausschließlich von den Jugendlichen aus der Region getragen, unterstützt von den Alten, die diese durch ihre Anwesenheit sowie durch Feindaufklärung und Kurierdienste deckten.
Die Autonomen aus den Städten hinkten da immer ziemlich hinterher. Und nicht nur das, sie ließen die lokale Bewegung, die nur zu einem geringen Teil von den örtlichen BIs repräsentiert wurde auch auf sich allein gestellt.
Daraus, daß am 7.11. (sag bloß eine/r, wir hätten da 'nen Fimmel) eine Intervention gegen die inszenierte Niederlage nicht möglich war, kann mensch niemandem einen Vorwurf machen. Daß das, wie vorherige Linkereien der BI-Spitze und noch folgende, politisch nicht aufgearbeitet wurde und Gegenstand härterer Kontroversen war, schon. Wir halten jedenfalls nichts von taktischen Bündnissen bzw. Anbiedereien, bei denen andauernd beide Augen und Ohren zugedrückt werden müssen. (Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende).
Das Vorgehen auf der politisch-organisatorischen Ebene war geprägt von der Fixierung auf und die Anpassung an den offiziellen BI-Apparat. Die Linksradikalen bildeten z.T. dessen Linke Fraktion. Hintergrund davon ist u.a. das dominierende politische Interesse, die eigenen Inhalte im wesentlichen unter dem Stichwort NATO-Startbahn zusammenzufassen zum Hauptbestandteil der offiziellen Anti-Startbahn-Propaganda machen zu wollen.
Auch im Verhältnis zur Bewegung beschränkte sich die Radikalität allzu oft auf den Versuch, antiimperialistische Inhalte zu vermitteln und zu verbreitern, als ob das Verhältnis von Bewußtsein und Kampf ein lineares und nicht ein dialektisches wäre. Ganz davon abgesehen, daß der propagierte Antiimperialismus ein verkürzter, weil inhaltlich reduziert auf die jungen Nationalstaaten und national-staatlichen Befreiungsbewegungen der 3.Welt und faktisch losgelöst von der Klassenfrage in den Metropolen war und ist (und damit im übrigen auch immer der Gefahr unterliegt, mit dem u.a. in der Friedensbewegung vorhandenen neuen Nationalismus konform zu gehen und zum puren Anti-Amerikanismus zu verkommen.).
Die linksradikale Scene in der Region kann nur auf eine sehr kurze Geschichte und Erfahrung zurückblicken. Nicht vorhandene Strukturen und das Politikverständnis, das wir eben versucht haben zu beschreiben und kritisieren, führen wir zu einem Großteil darauf zurück, weil die politische Sozialisierung von Menschen letztlich doch weitgehend von ihrem Umfeld und den daraus resultierenden Anstößen wie Beschränkungen abhängig ist.
Der nun folgende Versuch einer Analyse soll einerseits diese Tatsache begründen, aber vor allem auch ein Anstoß sein, mit diesem Manko anders umzugehen.
Nach der Auflösung des SDS15 hatten sich 69/70 in Frankfurt eine Menge Initiativen und Gruppen gebildet, die die Ausweitung ins soziale Terrain unternahmen (v.a. Lehrlingsgruppen, Stadtteil- und Betriebsgruppen). Die über Untersuchungsarbeit und den daraus formulierten praktischen Schritten auch zum Hebel der Kämpfe Anfang der 70er wurden.
Die Orientierung lief über die italienischen (Arbeiter-)Kämpfe und die in diesen entwicklte Klassenanalyse: Die Bestimmung des Massenarbeiters als der Arbeitersektion, die aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke wie ihrer aus der objektiven Stellung im Produktionsprozeß folgenden antagonistischen Beziehung zur kapitalistischen Technologie (Fließband) tendenziell Motor des revolutionären Prozesses ist; weiterhin die Ausweitung und Übertragung der antagonistischen Massenarbeiterforderung nach Lohn als Einkommen (Mehr Lohn weniger Arbeit) auf die Stadt: Häuser besetzen die Miete nicht bezahlen; darüber Vereinheitlichung der Kämpfe in den Fabriken und in der Region.
Praktisch wurde dieser Ansatz in einer mehrjährigen Betriebsarbeit bei Opel Rüsselsheim (RK Revolutionärer Kampf) und dem Frankfurter Häuserkampf (70-74). Ausgangspunkt des sozial vielschichtig zusammengesetzten Häuserkampfs war die Umstrukturierung des Frankfurter Westends zur Niederlassung des Finanzkapitals (Banken und Versicherungen).
Durch Teilabriß bzw. Zerstörung von bewohnten Häusern und bewaffnete Schlägertrupps der Spekulanten sollten die Bewohner vertrieben werden. Parallel zu einer Reihe von Hausbesetzungen (seit 1970) liefen ab 1971 die Mietstreiks v.a. der italienischen und türkischen Emigranten (1973 mehr als 300 Familien).
Die angestrebte soziale Ausweitung blieb (aus Gründen, die einer genaueren Untersuchung bedürfen) gleichwohl beschränkt bzw. entwickelte sich sogar zurück. Ein wichtiger Punkt war sicherlich, daß sich die Tendenz der Selbstghettoisierung in den besetzten Häusern immer stärker durchsetzte. Das aber provozierte und ermöglichte auch das staatliche Roll-Back.
Auch der Betriebsinterventionismus war vorwiegend eine zeitlich befristete Perspektive und behielt die akademische Karriere in der Hinterhand.
Nachdem, zeitlich parallel zu den Fabrikkämpfen, spätestens Ende 73 der Häuserkampf seinen offensiven Charakter verloren hatte und sich immer mehr defensiv orientierte, bedeutete die monatelange Fixierung auf die Verteidigung des Blocks Bockenheimer/Schuhmannstraße (4 Häuser) und die dann doch im Februar 74 erfolgte Räumung zwangsläufig dessen Ende.
Die Unfähigkeit bzw. fehlende Bereitschaft zur politischen Aufarbeitung der Fehler und Niederlagen produzierte und verfestigte die zunehmende Perspektivlosigkeit. Daran vermochten auch die massiven Nulltarif-Kämpfe im Mai 1974 nichts zu ändern. Der Abräume der Roten Hilfe im Dezember 1974 folgte im gleichen Krisenwinter die weitgehende Selbstauflösung der RK-Betriebsgruppe im Rahmen der von Opel verfügten Entlassungen (und Einstellungsstops) über die Mitnahme hoher Abfindungen. Während ab 75 noch Reste der Scene im Zusammenhang mit spanischen und italienischen Emigranten versuchten, durch den Aufbau von Stadtteilzentren und Betriebsgruppen in zwei Frankfurter Arbeitervierteln politische Kontinuität zu sichern, begann bereits auf der anderen Seite der noch zaghafte Aufbau des alternativen Ghettos, der sog. Politik in erster Person (Zentralität des eigenen Bauches) und ihres Sprachrohres Pflasterstrand.
War der Molli-Angriff auf das spanische Konsulat16 im Frühjahr 75 noch Ausdruck zwar brüchiger, aber noch relativ intakter Strukturen organisierter Massenmilitanz, konnte ein Jahr später im Mai 76 davon keine Rede mehr sein. Wut und Haß über den Stammheimer Mord (Ulrike Meinhof) brachte zwar 2.000 Leute und Unmassen Mollis auf Frankfurts Straßen, die gemeinsame politische Identität aber war inzwischen endgültig Reminiszenz und keine Realität mehr.
Die Verhaftung von Teilen des RKs wegen versuchten Mordes (auf der Meinhof-Demo wurde ein Bulle durch einen Molli schwer verletzt) war für den mittlerweile überwiegenden Teil der Scene der letzte Kick, den Rückzug ins Privat-Alternative geschlossen und politisch propagierend anzutreten. Gerade letzteres macht das Spezifische der Frankfurter Situation aus. Der alte Zusammenhang marschierte geschlossen in den Schoß des Staates zurück und hockt heute im Bundestag.
Das war aber nur die eine Seite der Medaille. Die zweite war, daß alle, die diesen Gleichschritt nicht mitvollzogen, von nun an ausgegrenzt wurden. Neben der Distanzierung von neuen militanten Zusammenhängen wurde eine Anti-Guerilla-Kampagne forciert, die im Frühjahr 1977 mit der Klein-Klein-Kampagne, der offenen Bespitzelung und Denunziationsdrohung von Teilen der Scene ihren traurigen Höhepunkt erreichte.
In diesem Kontext bewirkten die Ereignisse vom Herbst 77, dabei insbesondere die Entführung der Lufthansamaschine Landshut17, ein Ausmaß an politischer Desorientierung, das für die Frankfurter Linke personell und inhaltlich einen Bruch der sozialrevolutionären Kontinuität beinhaltete.
Ein Bruch, mit dessen Folgen und Auswirkungen die sich seit 79 zaghaft formierende autonome Scene im Grunde bis heute konfrontiert ist. Er ermöglichte einerseits eine qualitativ neue Dominanz der alternativen Nischen-Politik in der Stadt. Andererseits konnte jeder autonome Ansatz nur explizit gegen diese entwickelt werden. Er war zudem jederzeit praktisch in der Zange zwischen staatlicher Macht auf der einen und im Pflasterstrand betriebener Entsolidarisierung auf der anderen Seite (zahlreiche Hausbesetzungsversuche 79/80).
Der Bruch von 77, die völlig neue Zusammensetzung der Scene danach und die reformistische Counter-Politik der Alt-Spontis (Integration und Entsolidarisierung) bildeten den besonderen Hintergrund, auf dem die alten Fehler neu, schneller und schärfer wiederholt wurden: Statt Verbreiterung ins soziale Terrain das Rotieren im eigenen Saft, der Aufbau eines eigenen Ghettos (Indercity Nied). Das waren dann auch die z.T. selbstproduzierten Voraussetzungen für die staatliche Einkreisung und Zerschlagung. Diese wurde markiert durch die Staatsschutzaktion gegen den Schwarzen Block18 am 28.7.81, die weniger die Scene an sich als vielmehr deren (präventive) Zerschlagung im Hinblick auf die unmittelbar bevorstehende Zuspitzung des Konflikts um die Startbahn West zum Ziel hatte.
Eine andere Folge der Frankfurter Verhältnisse war, daß sich quasi als radikaler Gegenpol zu den Alternativen eine neo-stalinistische Variante von Anti-Imperialismus relativ breit entfalten und Einfluß nehmen konnte.

Januskopf Volksbegehren

Das Volksbegehren schaffte eine breite Öffentlichkeit für den regionalen Konflikt Startbahn, landes-, wenn nicht bundesweit, bildete einen Legitimationsrahmen vor allem für die bürgerlichen Schichten und löste damit einen wichtigen Mobilisierungseffekt aus.

Als vorgebliche Möglichkeit, im Rahmen der Verfassung den Willen des Volkes durchzusetzen, hat es bei vielen Illusionen ausgelöst. Die Illusion und den Wunsch, quasi kampflos per Unterschrift und Stimmabgabe was dem Urnengang ja sehr verwandt ist gegen die Machtpolitik des Staates zu intervenieren. Daß in dieser Legalitätstreue und -abhängigkeit, die durchaus im Sinne der Erfinder war, deutliche Grenzen liegen, hat sich mit den Reaktionen auf die Ablehnung des Volksbegehrens gezeigt. Daß es schließlich so glatt, und ohne auf die Moratoriumsforderung einzugehen, abgebügelt werden konnte, lag daran, daß sich der Druck der Straße nicht weiter vergrößert und fortentwickelt hatte. (Die das VB unterstützenden Gruppen und Vereinigungen hatten sie von vornherein klargestellt. So hatte der Vorsitzende des hessischen BUND Sander nochmals am 14.11.1981 öffentlich erklärt, daß seine Organisation nach einem negativen Votum des Staatsgerichtshofes aus der Anti-Startbahn-Kampagne aussteigen werde FAZ vom 16.11.81)
Es ist nach wie vor wichtig festzuhalten, welche politischen Funktionen dem Volksbegehren andernfalls zugekommen wären. Die Äußerungen von führenden Mitgliedern der hessischen SPD und des DGB hatten die Tendenz bereits angedeutet: Befriedung der Region über ein Junktim: Baustopp Demostopp bis zur Entscheidung des Staatsgerichtshofes über die Nicht-Zulässigkeit des Volksbegehrens. Diese wäre dann wohl nicht ganz so billig, sondern mit ordentlichen Verhandlungen und dem ganzen sonstigen Brimborium über die Bühne gegangen.
Ob die Bewegung sich dann damit tatsächlich hätte befrieden lassen, wäre natürlich eine andere Frage gewesen.
Die zwar nicht von der Bewegung aufgestellte, aber dennoch von ihr getragenen Forderung Moratorium während das Volksbegehren läuft, wäre zur selbstgestellten Falle geworden, indem die Frage des Widerstands/Protests von der Entscheidung eines Gerichts abhängig gemacht worden wäre.
Das Gegeneinanderausspielen des sog. legalen und des Widerstandsbeins bei der Bewegung hatte sich mit der starken Fixierung der BI auf das Volksbegehren geradezu angeboten.
Die Landesregierung praktizierte das selbst auf symbolischer Ebene, was sich am Beispiel der Hüttendorfräumungen illustrieren läßt. (Die Räumung des 1. Hüttendorfes am 2.11. fand zeitgleich zu einer langfristig angesetzten Pressekonferenz der BI zum VB in der Landeshauptstadt Wiesbaden statt; der Räumung des 3. Hüttendorfs am 25.11. folgte die für den gleichen Morgen anberaumte Regierungserklärung von Börner, in der er die Verfassungswidrigkeit des VB verkündete. Die Räumungen des 2. und 4. Hüttendorfes am 6.11. bzw. 26.1. standen dagegen im Zusammenhang mit den jeweils unmittelbar bevorstehenden Bauplatzbesetzungsterminen.)
Unter diesem Aspekt wurde das Volksbegehren von keinem Teil der Bewegung problematisiert, von uns auch nicht. Die Entscheidungsstrukturen (politische Justiz), die über dieses auf dem Papier stehende Recht zu befinden haben, sind in der Kampagne nie in Frage gestellt worden. Es liegt in der Sache selbst begründet, wenn das von den Initiatoren und Trägern des Volksbegehrens nicht zu erwarten war.


aus: Die Fruechte des Zorns
Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionaeren Zellen und der Roten Zora
ID-Archiv im IISG/ Amsterdam (Hg.)
ISBN: 3-89408-023-X
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