Die Bewegung gegen die Startbahn West August 1983
Die BIs und die Neue Deutsche Welle
Die BI ist die offizielle politische Organisation und damit auch das Sprachrohr der Bewegung gewesen. Dies, obwohl große Teile weder politisch noch personell dort repräsentiert waren und sind. Auch die aktive lokale und regionale Bevölkerung nicht in dem Maße, wie das Wort Bürgerinitiative vermuten läßt.
Ihr Führungskreis behielt in entscheidenden Situationen die
Federführung der Anti-Startbahn-Politik weitgehend in der Hand.
Demgegenüber war die Bewegung trotz der Verselbständigung ihrer Aktivitäten
nicht in der Lage, die politischen und praktischen Schritte selbst zu
bestimmen, vor allem, weil es ihr an Organisierung und der dazugehörigen
zumindest punktuellen Klarheit und Erfahrung mangelte.
Wenn auch in BIs generell Angehörige nahezu aller Gesellschaftsschichten
vertreten sind, werden sie auch die BIs gegen die Startbahn öffentlich
von besser gebildeten Teilen der Mittelklasse dominiert.
Die verschiedenen Gruppen der Mittelschichten (mittlere Angestellte,
Beamte, Selbständige und freiberuflich Tätige) sind in den letzten
Jahrzehnten von der wachsenden Kapitalkonzentration sowie der reelen
Subsumtion weiter Lebensbereiche unter die Logik des Kapitals direkt
getroffen worden. Dem alten Mittelstand wurde durch die industrielle
Großproduktion von Gebrauchsgütern zunehmend die Existenzgrundlage
entzogen, viele Selbständige wurden und werden lohnabhängig.
Verwaltungs- und Bürotätigkeiten sind permantenter Standarisierung und
Rationalisierung unterworfen und durch diese Entqualifizierung mehr und
mehr austauschbar. Die Angleichung des Angestelltenstatus an den des
Arbeiters bringt steigende Entfremdung und gleichzeitig die Bedrohung durch
Arbeitslosigkeit mit sich.
Akademische Berufsstände (Lehrer, Pfarrer, Rechtsanwälte usw.) haben
zusätzlich durch die Verbreitung von Bildung und akademischer Ausbildung
an gesellschaftlicher Anerkennung eingebüßt.
Diese Deklassierungsprozesse der Mittelschichten sind begleitet vom Verlust
traditioneller Privilegien sowie dem Entzug von
Identifizierungsmöglichkeiten, deren zwangsläufige Folge die
Infragestellung des gesellschaftlichen Wertesystems ist.
Diesen wachsenden Identitätsverlusten wird durch die Suche nach neuen
Betätigungsfeldern entgegenzuwirken versucht. In ihnen muß einerseits die
entstandenen Kritik an den gesellschaftlichen Spielregeln und Auswüchsen
zum Ausdruck kommen (Von der Startbahn-BI im Frühjahr 82 formuliertes
Selbstverständnis: über den Umweltschutz/Startbahn hinausgehend Kampf um
Demokratie gegen Staats- und Behördenwillkür). Gleichzeitig wird hier
die Möglichkeit erblickt, dem verlorengegangenen Selbstbild von der eigenen
gesellschaftlichen Rolle wieder Inhalt und Wert zu verleihen.
Charakteristisch für den alten Mittelstand war eine ausgeprägt konservative Grundhaltung, die den sog. Fortschritt zu Recht als Angriff auf den eigenen Status wertete. Nachdem die Deklassierung in Form ökonomischer und technologischer Umwälzung weit fortgeschritten ist, ist die Grundeinstellung der neuen Mittelschichten notgedrungen kritischer Natur.
Diese Kritik ist aus der Klassenlage erklärbar nicht grundlegend. Sie stellt also nicht die Grundlagen und die Daseinsberechtigung des Systems überhaupt in Frage, sondern ist in ihren Prinzipien eher konservativ geblieben. Letztlich zielt sie auf die Restrukturierung gesellschaftlicher Verhältnisse ab, unter denen der Mittelklasse wieder Funktion und Einfluß zukommt. Technologiefeindlichkeit ist ein Element ihrer Politik, weil mit der technologischen Entwicklung der Zerfall des individuellen Status vorprogrammiert ist. Dementsprechend sind ihr Terrain die oppositionellen alternativen Umweltschutzinitiativen, -parteien etc. (Zwei zusätzliche Aspekte für das Umweltschutzengagement der Mittelklasse
1. Die Konsumbedürfnisse der Mittelklasse sind
(über)befriedigt. 2. Die technologischen Umwälzungen im Angestelltensektor,
die damit verbundene Monotonisierung und Standardisierung der
Arbeitsbedingungen haben die Belastungen in den psychischen Bereich
verlagert. Der Reproduktionsbereich Natur wird damit wieder interessanter
und wichtiger.)
Daß die Antwort auf die überall in den Metropolen stattfindenden
Deklassierungsprozesse speziell in den deutschen Mittelschichten in dieser
Form und Breite ausfallen, dürfte zweierlei zum Hintergrund haben:
Zum einen das niedrige Niveau der Klassenkämpfe in der BRD, das keine
Anknüpfungspunkte bietet, die real erfahrene Deklassierung vom
Klassenstandpunkt aus zu begreifen und anzugehen.
Wesentlicher aber dürfte in diesem Zusammenhang die politische Liquidierung
des Arbeiterreformismus in den 50er Jahren sein (KPD-Verbot). So
existiert hier im Gegensatz v.a. zu Frankreich und Italien keine derartige
politische und gewerkschaftliche Organisation, die Bezugspunkt und
Sammelbecken der deklassierten Mittelschichten sein könnte.
Im Gegenteil gibt es mittlerweile jede Menge ehemaliger K-Grüppler, die in
der grünen Umweltschutz- und Friedensbewegung auch in der
Startbahnbewegung eine neue Heimstatt gefunden haben, nachdem sich die
Träume einer neuen Perspektive als Arbeiterführer als Luftschlösser
erwiesen hatten. Daß die Kritik der Fabrikgesellschaft eigentlich nicht zu
ihrem ideologischen Inventar gehört (AKWs und Fabriken in Arbeiterhand!)
ist dafür kein Hinderungsgrund.
Reden, Erklären und Belehren sind Fähigkeiten, die Angehörige der neuen
Mittelschichten in der Regel erlernt haben. Gleichzeitig sind es
Fähigkeiten, die in der Arbeit politischer Gruppen gefragt sind, nicht
zuletzt, weil die meisten Leute nicht ohne weiteres darüber verfügen. Eine
andere erlernte Fähigkeit ist die des Triebaufschubs. Das heißt, Denk-
und Verhaltensweisen zu entwickeln, die den persönlichen Einsatz nicht an
kurzfristig erreich- und sichtbaren Ergebnissen orientieren, sondern
langfristig kalkuliert auf ein Ziel hinarbeiten.
Damit sind jene geradezu prädestiniert, profilierte oder profilierende
Positionen innerhalb von Gruppen, Initiativen, Bewegungen einzunehmen
nicht nur wegen der ihnen eigenen Dynamik, sondern auch aufgrund der Ängste
und Bequemlichkeit der anderen.
Entsprechend den gesellschaftlichen Normen und Kriterien ist die
Identitätsfindung gekoppelt an aus der Masse herausragenden Positionen und
Funktionen. Es ist also keinesfalls damit getan, anonymes Mitglied einer
x-beliebigen Bewegung zu werden.
Dem beschriebenen Selbstverständnis folgend sind Bewegungen und BIs platt
ausgedrückt mehr oder weniger Mittel zum persönlichen Zweck. Die
Initiativen sind die Basis, auf der eine Profilierung erst möglich wird,
die erstarkte Bewegung ist Verhandlungsmasse gegenüber den
Herrschenden.
Um als Verhandlungspartner und damit als Machtfaktor mit dem Druckmittel
Masse in der Hinterhand anerkannt zu werden, muß der Beweis für die
Ausübung der Kontrolle über die Bewegung angetreten werden. Denn nur wer
sie in der Hand hat, ist in der Lage, sie am Überkochen zu hindern und
später zu integrieren. (Ein Beispiel war das von Grünen und SPD betriebene
Landtagshearing zum Startbahnkonflikt, das wie's ganz unverblümt hieß
der Befriedung der Region dienen sollte. Das war im übrigen auch eine
realpolitische Version der von den Grünen im Wahlkampf aufgestellten
Forderung nach Zurücknahme der Startbahn, die sich mittlerweile
Überdenken der Startbahn schreibt.)
In diesem Sinne gehört die Propagierung des gewaltfreien Widerstands zum
taktischen Handwerkszeug, das notwendig gewordene oder von der Bewegung
geforderte praktische Schritte im symbolischen und (quasi-)legalen Bereich
ansiedelt und eingrenzt.
Dieser politische Hintergrund ist nahezu allen Bewegungspolitikern
gemeinsam, wiewohl es Unterschiede in den individuellen Perspektiven der
einzelnen Figuren gibt. Unterschiedliches Engagement und Formen,
Vorgehensweisen, (in bestimmten Situationen) voneinander abweichende
Positionen und Äußerungen sind Ausdruck ihrer verschiedenen
Ambitionen.
Und damit konkret zum Startbahnkonflikt. Da sind auf der einen Seite der
sicher auch überregional bekannte Leo Spahn sowie der mehr intern agierende
Jürgen Martin, auf der anderen Alexander Schubart und Dirk Treber.
Treber und Schubart gehörten beide zu den Hauptbetreibern des VB. Als
Jurist und Radikaldemokrat hatte Schubart diese Möglichkeit ausgegraben
und war dessen Initiator.
Wie sich im Nachhinein beweis, war das VB als langfristige
Mobilisierungskampagne für die Landtagswahlen angelegt. Wäre das VB nicht
vom Staatsgerichtshof abgelehnt worden, hätte die 2. Stufe, in der die
Unterschriften von 20 % der Wahlberechtigten nötig sind, im unmittelbaren
Vorfeld der Landtagwahlen stattgefunden. Selbst um nur einen Teil der
erforderlichen 800.000 Unterschriften, die dann nicht mehr gesammelt,
sondern binnen 2 Wochen individuell auf den kommunalen Ämtern geleistet
werden müssen, zusammenzubekommen, wäre eine wahnsinnige Mobilisierung
notwendig gewesen. Dies hätte anschließend in eine Stimmabgabe für eine
Grüne, Bunte oder Alternative Liste münden sollen. Nachdem durch das Urteil
des Staatsgerichtshofs ein dicker Strich durch diese Rechnung gemacht
worden war, ging unverzüglich das Hick-Hack um die Form der aktiven
Wahlbeteiligung los. Daß am Ende der Soziologe Treber, eine eher farblose
Figur, Spitzenkandidat der Grünen wurde, hatte er sicherlich seinem
Wohnsitz Mörfelden und der Parteimitgliedschaft, aber auch der Taktiererei
Schubarts bezüglich der Gründung einer Alternativen Liste, in der alle
oppositionellen Parteien und Organisationen eine Heimstatt finden sollten,
zu verdanken. Die Weigerung der Grünen, sich an einer Alternativen/Bunten
Liste zu beteiligen, macht ihren mittlerweile entwickelten Machtanspruch
deutlich, ihren Alleinvertretungsanspruch, Bewegungen für sich zu
vereinnahmen und damit jedenfalls versuchsweise auch zu integrieren und
befrieden.
Daß es Schubart letztlich um mehr als die eigene Kandidatur auf einer von
den Grünen bestimmten und angebotenen offenen Liste ging, hat vielerlei
Gründe. Einerseits ist es natürlich eine Machtfrage. Andererseits spricht
seine eigene politische Herkunft und Geschichte gegen eine Reduzierung auf
Umweltschutz und Raketenstationierung. Er war langjähriges SPD-Mitglied und
Juso-Vorsitzender und wurde seinerzeit dort rausgeschmissen, weil er bei
den Landtagswahlen 78 für die GLH, die noch ein breiteres politisches
Spektrum repräsentierte, kandidiert hatte. Zudem dürfte darüberhinaus ein
solcher Schritt bei seinen Freunden vom KB, die mit ihm das VB betrieben,
auf wenig Gegenliebe gestoßen sein.
Genauso vehement wie sich die beiden für's sog. parlamentarische Bein
einsetzten, warfen sich die beiden anderen gegen eine Wahlaussage, die
durch die Hintertür doch zustande kam (Wählt keine Startbahn-Parteien!),
ins Zeug. Was im Dämmerlicht noch wie ein Eintreten für eine gestandene
ausschließlich außerparlamentarische Widerstandbewegung aussehen kann,
entpuppt sich bei besserer Beleuchtung als Fehleinschätzung.
Spahn war früher Gewerkschafter und an der Akademie der Arbeit beschäftigt
gewesen. Seither betreibt er eine Kneipe in Kelsterbach. Auffallend an
seinem Verhalten war, daß er mit Distanzierungen von Militanz immer sehr
schnell bei der Hand war. Im Gegensatz dazu aber in Situationen, in denen
sich die Bürger radikalisierten mit denen er die Erfahrung gemacht
hat, daß sie nicht doof sind(Spahn) es immer verstanden hat, öffentlich
dafür Verständnis zu heucheln. Er sah sich selbst wohl als Sprecher der
gemäßigten Teile der regionalen Bewegung, was auf dem Hintergrund
kommunalpolitischer Ambitionen verständlich ist (es wurde das Gerücht
gehandelt, er wolle Bürgermeister seiner Gemeinde werden). Heute hat er
sich weitgehend zurückgezogen.
Anders als Jürgen Martin, Lehrer von Beruf und ein so eingefleischter
Sozialdemokrat, daß er sich nicht nur nicht dazu durchringen konnte, die
SPD zu verlassen, sondern das Verbleiben in der Partei auch als politische
Position bezieht. Was eine selbstredende Erklärung für die Ablehnung einer
Wahlteilnahme in Grün oder Alternativ ist. Als im März 83 die Wiederwahl
des Bürgermeisters von Mörfelden-Walldorf Brehl (SPD) auf der Kippe stand,
da er auf die Stimmen der Grünen-Bürger-Liste angewiesen war, war Martin
derjenige, der erfolgreich vermittelte. Die GBL hatte Brehl zuvor wegen
dessen Zustimmung zur Kleinen Trasse die Unterstützung verweigert.
Martin war so gut wie bei jeder Schweinerei dabei und war und ist in den
Gremien der BI stark engagiert. Er versteht sich darauf, in hektischer
Aktivität Probleme zu benennen und aufzugreifen, was seine Reden und
Schritte mit einem Hauch der Vertrauenswürdigkeit umgibt, um sie dann
gnadenlos zu verdrehen und mit seinen reformistischen Inhalten zu
verrühren.
Der Lohn der Partei für diesen selbstlosen Einsatz steht bislang noch
aus.
Die Startbahn-Bewegung steht und fällt mit dem Protest und Widerstand der unmittelbar ansässigen Bevölkerung. (Grundsätzlich ist es eine Überlegung wert, inwieweit dies eine Voraussetzung für die Stabilität und Kontinuität des Kampfes gegen technologische Großprojekte ist).
Weil dies nur im Zusammenhang mit der Situation und den Bedingungen sowie dem Ausmaß an Betroffenheit zu verstehen ist, nun folgend ein Abriß über
regionale Voraussetzungen und Folgen.
Die Mitte der 70er Jahre fusionierte Doppelstadt Mörfelden-Walldorf war und ist bis heute das Zentrum des Widerstands (von allen Anliegergemeinden ist M.-W. die am nächsten zur Startbahn liegende).
Die Struktur der Stadt ist geprägt von ihrer Lage im industriellen Ballungsraum Rhein-Main
zentral gelegen, aber dennoch im
Grünen, ist sie in den letzten beiden Jahrzehnten Wohnstadt für die
Stadtflüchtigen bzw. die, wegen der in der Rhein-Main-Region konzentrierten
Unternehmen, hier Zugezogenen geworden. In beiden Orten zusammen hat sich
die Einwohnerzahl zwischen 1960 und 1980 nahezu verdoppelt.
In beiden Orten, insbesondere in Mörfelden, können die Einheimischen trotz
des massiven Zuzugs und der damit verbundenen Veränderung der lokalen
Strukturen auf gewachsene soziale Bindungen zurückgreifen, wegen der durch
die Verwurzelung gegebenen Immobilität, eine wichtige Voraussetzung des
lokalen Widerstands.
Mörfelden-Walldorf befindet sich im Einzugsgebiet der Metropolen Frankfurt,
des Rhein-Main-Flughafens (20 % der hier lebenden Erwerbstätigen sind dort
beschäftigt), der Opel-Werke Rüsselsheim, der Caltex-Raffinerie Raunheim
(die in der Einflugschneise des Flughafens liegt und demnächst geschlossen
wird) und bedingt auch der Farbwerke Hoechst. Dies soll nicht nur der
Information halber gesagt sein, sondern auch im Zusammenhang mit der von
FAG und Landesregierung benutzten Argumentation der
Arbeitsplatzbeschaffung bzw. der Drohung mit der Vernichtung von
Arbeitsplätzen in Fall einer Verhinderung der Startbahn. Besonders die
Verbindung zu den Opel-Werken und zum Flughafen selbst dürfte die Ablehnung
dieser Argumente begründen. So haben einerseits die Arbeiter der
Automobilindustrie ausgeprägte persönliche Erfahrungen mit der
Rationalisierung von und an Arbeitsplätzen; andererseits die am Flughafen
Beschäftigten genügend Einblick in den Arbeitsablauf im
Flugbetrieb/Abfertigung etc., um sich davon wenig beeindrucken zu
lassen.
Umso tiefgreifender sind die jahrzehntelangen Erfahrungen der
Alteingesessenen mit den Begleiterscheinungen und Belastungen des
Flughafens. Dabei steht, was die alltäglichen Lebensbedingungen angeht, der
höllische Lärm mit der zu Beginn der 60er Jahre losgehenden Umrüstung der
Zivilflugzeuge auf Strahlantrieb an erster Stelle, denn er bestimmt
jegliche Lebensäußerung.
Eine andere Begleiterscheinung ist der von den startenden und landenden
Maschinen über Wald- und Wohngebieten abgegebene Kerosinregen.
Darüberhinaus ist der Flughafen permanenter Auslöser von
Grundwasserverseuchungen. Um nur zwei bekanntgewordene Fälle
herauszugreifen: 1. Leck in den Kerosinleitungen am Flughafen, das erst
sehr spät bemerkt wurde und aus dem mehrere Millionen Liter ins Erdreich
versickerten. Spuren von Kerosin wurden daraufhin in Grundwasserbrunnen von
Frankfurt gefunden. 2. Die Lufthansa verwendet (giftiges) Tri- und
Tetrachloräthylen zum Reinigen ihrer Motorenteile. Das Gift wurde über die
Kanalisation abgelassen und gelangte wiederum durch ein Leck ins Erdreich.
Das Zeug ist allerdings nicht nur hochgiftig, sondern auch wasserunlöslich!
Die natürliche Auswaschung dauert laut Gutachten 420 Jahre (FR vom
1.12.82). Lebensgefährliche Konzentrationen befinden sich demnach heute und
auch weiterhin im Grundwasser.
Die Startbahn West ist nur eine Fortsetzung der seit dem 2. Weltkrieg
permanenten Ausdehung des Flughafens, die Stück für Stück die
Lebensgrundlagen in der Umgebung angreift und allmählich zerstört. Seit
1945 sind im Rhein-Main-Gebiet 4.300 Hektar (= 8.600 Fußballfelder) Wald
gerodet worden; 1.500 ha hat davon allein der Flughafen in Beschlag
genommen und zwar ohne Startbahn, die nochmal 300 ha gefressen hat.
Die Startbahn West war somit für die Anwohner schon im Planungsstadium
nicht nur abstrakt, sondern sinnlich vorstellbar. Die Erweiterungspläne der
FAG, die vorläufig in der Startbahn enden, wurden nach ihrem Bekanntwerden
1961 von den Gemeindevertretern aller betroffenen Ortschaften abgelehnt.
Diese waren sozusagen der Anfang der nun 20 Jahre währenden Kontroverse.
Der Protest gegen diese Pläne wurde lange Zeit von honorigen Bürgern wie
dem berühmt-berüchtigten Pfarrer Oeser getragen und betrieben. Er bewegte
sich bekanntlich bis Ende der 70er auch ausschließlich auf juristischer und
gemeindeparlamentarischer Petitionsebene. Die Ablehnung durch sämtliche
lokalen Parteienverbände, Gemeinde- und Kreisparlamente, die Kirche und die
Vereine bot einen Legitimationsansatz für nahezu jeden Bürger.
Weniger bekannt, aber dafür umso wichtiger für Entwicklung und Ausdauer des
Widerstands, ist die im Roten Mörfelden überlieferte und bestehende
Tradition von Widerstand.
Das Problem dabei ist, wie immer, wenn es um Widerstandsgeschichte geht
daß es darüber kaum eine Geschichtsschreibung gibt. So existierten auch
hier kaum authentische Überlieferungen, abgesehen von solchen
Darstellungen, die vor allem den Nazi-Faschismus betreffend vom
fragwürdigen KPD/DKP-Parteistandpunkt geprägt und zensiert sind. Wir wollen
trotzdem ein paar Fakten zur Parteigeschichte angeben, weil sie zumindst
Indiz für die lokalen politischen Verhältnisse und Kämpfe sind.
Seit Gründung der KPD im Jahr 1919 war Mörfelden eine Domäne dieser Partei.
Ein Grund dafür, warum die Nazis bis 1933 hier keine öffentlichen
Auftritte wagten. 1931 wählten die Einwohner Mörfeldens einen
kommunistischen Bürgermeister, dessen Sozialpolitik (Umverteilung der
Gemeindegelder auf die Armen) zu massivem Eingreifen der übergeordneten
Behörden (Kreis- und Landesregierung) führte. Sie endete schließlich mit
der Absetzung dieses Bürgermeisters, die nur unter massiver Bullenbesetzung
des Ortes gegen den tatkräftigen Widerstand der Einwohner durchgesetzt
werden konnte.
Mit dem Verbot von KPD und SPD 1933 waren auch die Mörfeldener verstärkt
der Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt. Über 100 landeten im KZ oder
Zuchthaus.
Neben dem illegalen Weiterbestehen der KPD gab es auch im eher
nazistischen Walldorf Ansätze zur Organisierung eines
Massenselbstschutzes, einer antifaschistischen Vereinigung, die sich zum
Schutz vor Angriffen der Nazis bildete. Es kam des öfteren zu
handgreiflichen Auseinandersetzungen mit der SA19, teilweise auch zu
Entwaffnungen.
Dieser Tradition gemäß war in den 50er Jahren die Bewegung gegen
Remilitarisierung und Atomwaffen auch in Mörfelden präsent. Die heutige DKP
verfügt dort über eine relativ große Anhängerschaft (sie hatte z.b. bei den
Kommunalwahlen 1981 einen Stimmenanteil von 13,8 %).
Die Folgen
des Startbahnbaus sind für die ohnehin arg gebeutelte Rhein-Main-Region vor allem in ökologischer Hinsicht verheerend. Der größte und letzte zusammenhängende Wald im Ballungsraum Rhein-Main (mit 500.000 Menschen im 15km-Radius) wird als unersetzbare Naherholungsmöglichkeit kaputtgemacht (einerseits durch die Zerschneidung, andererseits durch den Lärm). Vor allem für die unmittelbaren Anliegergemeinden wird die ohnehin vorhandene Lärmbelästigung erheblich zunehmen. Der BI-Spezialist Hajo Lebuser berechnete eine Zunahme von 30 % für den gesamten südlichen Flughafenraum, für Mörfelden-Walldorf eine Verdrei- bis Vervierfachung des Lärms (4 mal mehr Vorbeiflüge).
Eine geschlosse, großflächige Waldfläche beeinflußt die
Bodenverhältnisse, den Wasserhaushalt, das regionale Klima und die
Luftqualität. Sie ist Lebensraum für Pflanzen und Tiere.
Die Zerstörung dieses Waldgebietes wird eine Verschlechterung sowohl des
regionalen Klimas als auch der Luftqualität, was vor allem für Frankfurt
bedeutsam ist, nach sich ziehen. Durch den Bau der Startbahn sinkt der
Grundwasserspiegel von ehemals 0,4 m auf geschätzt durchschnittlich 1,5 m.
Ein für die Rhein-Main-Region wichtiges Grundwassersammelgebiet wird damit
weitgehend verkleinert bzw. zerstört.
Das hat vor allem eine verstärkte Belastung der
Trinkwassergewinnungsgebiete Vogelsberg (der schon Versteppungsanzeichen
aufweist) und Ried (wo 1976 der Grundwasserspeigel auf 9 m abgesenkt wurde
und dessen Sanierung etwa 200 Mio. DM kosten wird) zur Folge. Als
zusätzliche Trinkwasserreservoire sollen die Ernstbachtalsperre im Taunus
und die Haferlohrtalsperre im Spessart in den Boden gestampft werden. Die
bereits begonnene Kinzigtalsperre bei Steinau kann dagegen nicht mehr
weitergebaut werden, weil die Bergflanke in die Kinzig rutscht und bleibt
nun als Investitionsruine stehen.
Ganz davon abgesehen ist das Gebiet durch die Ausdehnung des Flughafens
einer wachsenden Grundwasserverseuchung ausgesetzt.
Die Zerschneidung des Mönchbruchwalds entzieht zahllosen und seltenden
Pflanzen- und Tierarten die Lebensgrundlage. Schlimm ist das nicht nur aus
ästhetischen und naturschützerischen Gründen, sondern weil Pflanzen und
Tiere als Bioindikatoren auch die Lebensbedingungen der Menschen
anzeigen.
So wollen sie uns von den Massen abspalten. fett
Geht nicht, die sind wir selber.
So wollen sie uns zu Verbrechern stempeln.
Stimmt auch, dann brechen wir durch.
So wollen sie uns dem Gesindel gleichstellen.
Gesindel hält den Kopf unters Knie. Wir nie.
(Christian Geissler Wird Zeit, daß wir leben)20
Unseren praktischen und schriftlichen Beiträgen lagen grob umrissen folgende Zielsetzungen zugrunde
1. In Bezug auf das Projekt Startbahn leitete sich unsere Perspektive aus den bereits analysierten Sachverhalten ab
auf der einen
Seite ein Projekt, das als im Prinzip nicht aufgebbar benannt wurde. Auf
der anderen, der Bewegungsseite, zwar ein für die Verhältnisse in diesem
Land ungemein starkes örtliches Widerstandspotential wie ein starker
reformistischer Block, aber kein autonomer Zusammenhang, der als Träger
einer radikalen Massenlinie in Frage kam. Von daher lag für uns das
perspektivische Schwergewicht zunächst auf der BEhinderung und nicht
VERhinderung des Startbahnbaus. Dies jedoch unter dem langfristigen Aspekt,
daß eine Behinderung bei einem gewissen qualitativen und quantitativen
Stand und einer auf Jahre angelegten Kontinuität selbst nach Vollendung des
Baus noch in eine Verhinderung umschlagen kann.
2. Im Hinblick auf die Bewegung die Vermassung von Sabotage, aktiven und
militanten Aktionsformen mit durchsetzen und darüber eine möglichst breit
und langfristig angelegte Kontinuität aufbauen und sichern helfen, damit
sich
3. auf der Basis eines breiten kontinuierlichen Widerstands die
Widerstandsperspektive über die Startbahn hinaus entwickelt und erweitert.
Mit dem Nahziel: Kippen des aktuellen hessischen Atomprogramms (v.a. WAA);
und langfristig: entlang den strategischen Linien der kapitalistischen
Restrukturierung Entwicklung einer starken sozialrevolutionären und
antiimperialistischen Bewegung.
Mit der Zuspitzung des politischen Klimas im Startbahnkonflikt Mitte
Oktober 81 haben wir versucht, durch eine relativ kontinuierliche
Propaganda der Tat die Verbreiterung militanter Kampfformen in Gang zu
setzen bzw. überhaupt zu thematisieren. Das ist theoretisch und mit
verbalen Appellen allein unmöglich und zwar in jeder Hinsicht.
Daß wir uns bei den Angriffen schwerpunktmäßig auf die beteiligten
Baufirmen konzentrierten, hatte verschiedene Gründe: Sie sind das
schwächste Glied in der Betreiberkette, überall präsent und deshalb
massenhaft und auf vielfältige Weise, auch mit relativ einfachen Mitteln,
angreifbar. Darüberhinaus war ihre Mitwirkung am Startbahnbau insofern für
die Be(Ver-)hinderungsperpektive von Bedeutung, als die Baufirmen
diejenigen sind, die das Projekt faktisch realisieren und der Grad der
Angriffe auf sie letztlich entscheidend sein kann. Die Zerstörung von
Baumaschinen und Baggern im November sollte praktisch die konkrete
Zielrichtung für eine mögliche breite und militante Tendenz des Widerstands
angeben.
Aufgrund der verbreiteten Schwierigkeiten, das angedeutete Konzept
massenhaft umzusetzen, versuchten wir danach ein Mittel zu finden, das die
technischen Voraussetzungen dafür auf ein Minimum reduziert. Das wurde dann
auch mit dem Räucherstäbchen als einfachem und preiswertem Zeitverzögerer
und Zünder in einem gefunden und im Rahmen eines erneuten und letzten
Versuchs, Beispiele für breit mögliche Sabotage zu geben, verbreitet.
Als Objekte wählten wir Fahrzeuge und Baumaschinen von Bilfinger & Berger,
die bei der Untertunnelung der Okriftler Straße federführend waren, aus. Im
Gegensatz zu den vorher attackierten Züblin und Bratengeier, die sich
weitgehend verpißt hatten und zudem an den wenigen Orten ihrer Präsenz von
Bullen überwacht wurden, waren Bilfinger & Berger zu dieser Zeit in der
Region massiv präsent.
Kurz darauf im Februar 82, als die Bewegung faktisch vor dem Nichts stand,
wurde das Konstruktionsbüro dieser Firma in Wiesbaden sowie das
Schulungszentrum der ebenfalls an der Untertunnelung beteiligten Philipp
Holzmann in Neu-Isenburg von uns demoliert.
Das Mittel (Räucherstäbchen) und die Ziele (insbesondere Bilfinger &
Berger) fanden in den folgenden Monaten eine relativ große Resonanz, was
sich in einer Häufung von derartigen Anschlägen, die meistens leider kaum
publik wurden, niederschlug. Wir sind damals davon ausgegangen, daß es
angesichts des geringen Alters der Bewegung und der Schwäche der radikalen
Linken einige Zeit dauern würde, bis sich der praktische Ausdruck sich
organisierender Gruppen abzeichnet. Die eigene Erfahrung hat uns gelehrt,
wie langwierig und schwierig der diskussions- und entscheidungsreiche
Prozeß ist, bis Bewußtsein in praktisches Handeln umschlägt.
Was die Widerstandsformen vor Ort, deren Intensität und Stabilität angeht,
so denken wir, daß die verschiedenartigen Angriffe auf Betreiber und
Verantwortliche (die natürlich noch viel ausgeprägter hätten sein müssen)
ein gewisses Maß an Stärke vermittelten; damit trotz aller Niederlagen und
Schwächen die Kontinuität des Massenwiderstands unterstützen halfen, indem
der sich ausbreitenden Ohnmacht Zeichen von Handlungsfähigkeit
entgegengesetzt wurden. Die frühzeitige praktische Thematisierung von
militantem Widerstand ermöglichte die Auseinandersetzung mit offensiven
Kampfformen. Angesichts der unterschiedlichen Zusammensetzung der Bewegung
und ihrem zunächst weitgehend legalistischen und passiven Charakter war das
sicher für die weitere Entwicklung ein wesentlicher Aspekt. Daß sich
Ansätze von Eigenverantwortlichkeit und Selbstorganisation als Gegenstück
zur offiziellen Bewegung entwickelten und der praktische Widerstand nicht
delegiert wurde, hatte sicher viel mit Form, Inhalt und Umfang unserer
Aktionen zu tun. Aus dem gleichen Grund hatten wir das Baugelände als Ort
der Handlung auch bewußt für uns ausgeklammert.
Die Einbindung unserer Aktionen in die Bewegung haben es sowohl für die
BI-Spitze, als auch für die Bullen schwer gemacht, einen Keil dazwischen zu
treiben. Bereits Ende November 81 scheiterte ein Versuch der BI-Führung,
die militante Tendenz an den Zellen namentlich festgemacht per
VV-Beschluß aus der Bewegung auszugrenzen.
Sie hat, über eine breite Akzeptanz organisierter Militanz hinaus, bewirkt,
daß die Zellen als Teil der Bewegung betrachtet werden. Dies gerade auch
bei den sog. Bürgern, deren Kampfformen sich nach wie vor auch in Zukunft
von den unsrigen unterscheiden werden. Ähnlich wie draußen im Wald
praktiziert, herrscht hier eine Vorstellung von unterschiedlichen
Zuständigkeiten (so eine Art Arbeitsteilung) aber ähnlichen Zielen
(startbahnbezogen).
Neben den konkreten Aktionen haben wir versucht, durch die Erklärungen in
die politischen Auseinandersetzungen einzugreifen. Inhaltliche Zielrichtung
war die Entwicklung kollektiver Lernprozesse, die Selbstbestimmung
politischer Inhalte und Vorgehensweisen ermöglichen.
Daß diese Absicht sich vollkommen unzulänglich realisierte, hat
verschiedene Gründe:
Unsererseits haperte es durch viel zu ungenaue Diskussionen. Die
Einschätzungen waren oft viel zu spontan und von daher nicht geeignet,
Hintergrund und Perspektive auf einen eindeutigen und umfassenden Begriff
zu bringen. Das war Ausdruck davon, daß wir bereits im Vorfeld des
Konfliktes nicht sorgfältig genug diskutiert hatten, auch und gerade in
Bezug auf unser unterschiedliches Selbstverständnis. Dieser Fehler kam
wie meistens der Fall erst im Konflikt selbst zum Tragen und war dort nur
schwerlich zu revidieren (Streß, Emotionalität usw.) Hinzu kam, daß die
Notwendigkeit, bestimmte Prozesse zu thematisieren, von der autonomen Szene
kaum erkannt bzw. begriffen wurde. Von daher gab es dann auch wenig
inhaltliche Rückkoppelung.
In diesem Zusammenhang erscheint es uns wichtig, das Verhältnis von
wohlgemerkt einem Teil der Linksradikalen in der Region zu
selbstbestimmten Organisationsstrukturen und eben auch zu uns, kurz
anzureißen. Der Hinnahme bzw. Anerkennung unserer Aktionen stand eine
weitgehende Ablehnung der Zellen selbst und den von uns angeregten
Auseinandersetzungen gegenüber.
Die beiden ersten Aktionen (Bratengeier und Züblin) wurden so lange mit
Wohlwollen betrachtet, wie die gemeinten Leute glauben konnten, sie seien
Folge eines von ihnen einige Tage zuvor (!) herausgegebenen Flugblatts, in
dem zu Sabotageaktionen aufgefordert wurde. Nachdem klar war, wer die
Akteure waren, schlug dieses in Ablehnung um, die hauptsächlich an der
zugehörigen Erklärung festgemacht wurde.
In dem November 81 für lange Zeit letztmalig erschienenen autonomen Blatt
Vollautonom21 wurden die bis dahin stattgefundenen Anschläge einfach
totgeschwiegen. Diese beiden Beispiele symbolisieren beispielhaft den
Charakter des politischen Selbstverständnisses und der
Auseinandersetzungsfähigkeit und -bereitschaft.
Die Auseinandersetzung mit von uns angedeuteten praktischen Akzenten und in
Erklärungen formulierten Inhalten wurde mit Ausnahme eines Wiesbadener
Papiers vom Frühjahr 82 nie geführt oder gesucht, sondern kategorisch vom
Tisch gewischt. Die Ablehnung von Politik und Praxis der Zellen sowie der
Weigerung, sich damit auseinanderzusetzen, liegen nach unserer Einschätzung
verschiedene Momente zugrunde:
Sowohl unsere Praxis als auch unsere vertretenen Inhalte werden zumindest
indirekt als Angriff auf die eigene Position bzw. Funktion und die
gestellten Forderungen nach konsequentem politischen Verhalten nicht als
gemeinsames Ziel begriffen. Innerhalb des verbreiteten
Selbstverständnisses, das politische Aktivitäten an einen gewissen Grad von
Führungsanspruch koppelt, sind die Zellen wohl auch als Konkurrenz
betrachtet worden. Vielleicht gerade deshalb, weil Aktionsziele wie formen
keine Distanz zur Bewegung erkennen ließen und ein politischer
Avantgardeanspruch nicht erhoben wurde.
Wichtig für die Anerkennung und damit den Einfluß innerhalb des offiziellen
BI-Apparates:
Um dort als Vertreter der militanten Tendenz akzeptiert zu werden, muß
den BI-Strategen glaubhaft gemacht werden, daß der entsprechende Einfluß
auf diesem Flügel vorhanden ist. Die Zellen standen dabei symbolisch für
die unkontrollierbare Eigendynamik der Träger des militanten
Widerstands.
Mit Bedauern haben wir festgestellt, daß die Ablehnung dieses Teils sich
mit der Ernennung der Zellen zum Hitlistenführer des Staatsschutzes
zunehmend in Sympathie wandelte. Wobei der Staatsschutz mit dieser
Beförderung ja explizit im Sinn hat, uns zur über allen schwebenden bzw.
thronenden Avantgarde hoch- und damit eine künstliche Trennung
herbeizustilisieren. Das ähnelt sehr dem gängigen Wählerverhalten,
tendenziell immer die Partei zu wählen, die gerade Oberwasser hat.
Schade.
Was das Ziel der Behinderung des Projekts Startbahn betrifft, ist der
grundlegende Punkt, der für unsere Praxis folgenreich war und damit vorerst
Selbstkritik nötig macht, daß unseren Aktionen kein vorher erarbeitetes,
permanent überprüftes und klar umrissenes Konzept zugrunde lag. Die
Strategie war intuitiv und situationsbedingt und weniger konzeptionell,
Ungenauigkeiten und Fehler damit vorprogrammiert. Hierzu kam, daß wir
allen früheren Erfahrungen zum Trotz zu lange darauf vertrauten, die für
eine zielstrebige Praxis unerläßlichen Infos von außen zu bekommen. Statt
dessen wäre es uns möglich gewesen, auch mit Hilfe allgemein zugänglicher
technischer Infos die genaue Bedeutung und Funktion der beteiligten Firmen
und damit die Sabotagemöglichkeiten und -richtung klarer zu kriegen.
Das fehlende Konzept hatte zur Folge, daß durch die primäre Ausrichtung der
Aktionen auf Vermassung und Kontinuität des Widerstandes in Verbindung mit
den heftigen Tiefs der Bewegung zunehmend eine praktisch-inhaltliche
Präzisierung der Behinderung aus den Augen verloren wurde. Wir haben
versäumt, zur Diskussion zu stellen, daß Behinderung auch immer die Tendenz
zur Verhinderung konkret anvisieren muß.
Die Angriffsziele wurden Anfang 82 ausgeweitet (Bilfinger & Berger,
Holzmann), ohne und da setzt die Kritik an daß vorher problematisiert
wurde, was diese Ausweitung bedeutet.
Es wurde nicht thematisiert, ob durch die Ausweitung auf alle beteiligten
Firmen gerade angesichts der eigenen beschränkten Kräfte die Bedrohung
für die Angegriffenen nicht allzu sehr relativiert wird. So hatten die zwei
Aktionen in der Anfangsphase gegen die Kleinen im Bunde, Bratengeier und
Züblin, ja erhebliche Wirkung gezeigt. Aufgrund der mangelnden Recherchen,
gerade im Hinblick auf ihre insbesondere Bratengeiers Funktion für die
Betonierung der Rollbahn, war uns damals allerdings auch nicht klar genug,
wie ihr teilweiser Rückzug einzuordnen war.
Für die Perspektive einer massenhaften Sabotage kam wie sich gezeigt hat
eine regionale Beschränkung auf die beiden nicht in Frage. Dazu wäre es
aber kein Widerspruch gewesen, wenn wir uns auf sie beschränkt hätten und
darüberhinaus z.B. propagiert hätten, speziell Bratengeier auch
überregional anzugreifen. Daß diese Chance vertan wurde, bedeutete nicht
nur die Vereitelung wichtiger und neuer Erfahrungen, sondern hatte auch
praktische Konsequenzen bei Beginn der Betonierarbeiten Ende August 82.
Aufgrund der diesbezüglich mittlerweile entstandenen Nicht-Kontinuität
war für uns die Situation nun von vorneherein die, daß für eine
wirkungsvolle Intervention nur noch im Vergleich zu den früheren
qualitativ andere Aktionen mit zudem hohem persönlichen Risiko in Frage
kamen. Hinzu kam, daß wir wie alle anderen auch den offiziellen
Informationen aufsaßen, die besagten, daß vorerst nur das nördliche Drittel
(auf dem alten Flughafengelände) bis zur Okrifter Straße betoniert werde
und im Frühjahr 83 erst im Süden auf der gerodeten Fläche begonnen werde.
Wir glaubten damit, noch genügend Zeit zu haben, was u.a. auch ein Grund
dafür war, daß wir uns bezüglich der halbherzig und unglücklich
verlaufenden Blockadediskussion in der Szene zurückhielten.
Als dann nur von den Grünen inszenierte, symbolische Wahlkampfblockaden,
seitens der Bewegung aber kaum was lief (was auch noch einer Klärung
bedürfte), nutzte die FAG nach einigen Wochen die Gunst der Stunde und
ließ parallel auch im Süden betonieren.
Das versetzte uns wiederum in einen unerwarteten Zeitdruck verbunden mit
der Situation, die wir seit jeher zu vermeiden gesucht hatten, daß Aktionen
unsererseits den Charakter von reinen, weil nicht mehr praktisch
vorantreibenden und mobilisierenden Ersatzhandlungen bekommen. Das war
der für uns z.Z. heftig umstrittene Grund, die geplanten Aktionen
abzublasen.
Wenn wir uns als Nahziel eines an der Startbahn entwickelten, aber
perspektivisch erweiteren Widerstands das Kippen des aktuellen hessischen
Atomprogramms benannten, so lag dem die Einschätzung zugrunde,
daß der sowohl hinsichtlich der Mobilisierung wie der Formen des Widerstands erhebliche Auswirkungen auf den Widerstand an den geplanten WAA-Standorten haben wird,
daß, solange der Widerstand gegen die Startbahn Bestand hat, eine zweite Front für die Landesregierung auf die Dauer nur schwerlich durchzusetzen ist.
Ein Bewußtsein dieser Dimension des Widerstands war in der Bewegung sehr früh und breit vorhanden.
Auch die Landesregierung hatte, als die Inangriffnahme von
Baulos 1 in die Vorbereitungsphase kam, den alten Standortvorschlag der DWK
(Wethen) als ungeeignet zurückgewiesen. Die neuen Mitte November 81 von
der Landesregierung vorgelegten Standortvorschläge (Merenberg und
Frankenberg) wurden auf Drängen der SPD von der DWK vorläufig wegen des
Startbahnkonflikts wieder zurückgezogen. Da sie mittlerweile aber bereits
in der Öffentlichkeit durchgesickert waren und in den betroffenen Regionen
erhebliche Unruhe auslösten, mußten sie Anfang Dezember notgedrungen auch
offiziell bekanntgegeben werden. In der Folgezeit gab es in Wiesbaden Putz
zwischen SPD und FDP bezüglich des weiteren Vorgehens, insbesondere wegen
Biblis C. Folge davon war am 10.12.81 der große Krisenrat in Bonn, auf dem
die hessischen und Bonner Koalitionsspitzen vereinbarten, das weniger
dringliche Biblis C zugunsten der WAA vorerst zurückzustellen.
Wegen der großen Mobilisierung rund um die Standorte mit eine Folge des
Initials Startbahn versuchte die Landesregierung mit allerlei Tricks Zeit
zu gewinnen.
Die näherrückende Landtagswahl vor Augen, legte sich das Kabinett Ende Juli
auf einen Standort fest: Frankenberg-Wangershausen. Dessen Vorzüge lagen
einmal in der großen räumlichen Distanz zur Startbahn-Region und
andererseits in der Tatsache, daß das benötigte Gelände bereits dem Land
Hessen gehörte.
Der dortigen Bevölkerung sollte das Projekt vorerst mit einem aus
wahltaktischen Überlegungen wie Gründen des Zeitgewinns geborenem
Bürgerbeteiligungsverfahren schmackhaft gemacht werden.
Daß dann doch alles ganz anders kam, lag am Bonner Regierungswechsel im
Oktober. Der entband Börner von der leidigen Verpflichtung, der
Schmidt-Regierung den Rücken für's BRD-Atomprogramm freizuhalten. Er
schwenkte nunmehr auf Ablehnungskurs um und die DWK entschied sich in der
Folge für Standorte in Bayern (Schwandorf) und Niedersachsen
(Dragahn).
Die Karry-Aktion ist in der Linken auf eher verhaltene Kritik gestoßen. Intern hat sie heftige Auseinandersetzungen ausgelöst. Beides nicht verwunderlich. Im folgenden sollen die wesentlichen Kritikpunkte und Fragestellungen zusammengefaßt werden
Zunächst zum Ziel der Aktion. In der viel zu spät
herausgegebenen Erklärung wurde es damit umschrieben, Karry für längere
Zeit daran zu hindern, seine widerlichen und zerstörerischen Projekte
weiterzuverfolgen.
Diese vage Formulierung deutet die Unsicherheit über die Auswirkungen, die
eine solche Aktion im geplanten Ausmaß! auf Tun und Handeln von Typen
vom Format eines Karry haben, bereits an. Die politische Intention im Sinn
einer Warnung vorausgesetzt, ist in Zweifel zu ziehen, ob sich jemand wie
Karry, der in so hohem Maß die Personifizierung seiner Funktion betreibt,
sich über den Rahmen der eingenommenen Ämter hinaus mit seinem persönlichen
Einfluß, seinem Anteil an der Macht identifiziert, von Schüssen in die
Beine zum Rückzug bewegen läßt.
Karry gehörte zu dem selten gewordenen Typus von Politikern, deren
Selbstverständnis sich nicht auf Karriere und Aufstieg begrenzt. Vielmehr
wird es als eine Art persönliche Berufung begriffen, die ökonomischen und
politischen Linien zu bestimmen. Sein politisches Territorium endete
folglich nicht an der hessischen Landesgrenze, wie es seien
Ministerfunktion vielleicht erwarten ließe.
Auf ökonomischer Ebene forcierte er weitsichtig die
wirtschaftlichen Beziehungen zu China und Osteuropa, sondierte neue Märkte
und ebnete die politischen Bahnen und Voraussetzungen für ihre
Erschließung.
Mit unterschiedlicher Publizität arbeitete er am kapitalistischen
Restrukturierungsprogramm. Mehr im Stillen etwa als Mitglied des
Verwaltungsrats der Post, deren neue nachrichtentechnische Projekte wie
Bigfon und als dessen Bestandteil die Verkabelung der Republik für die
kapitalistische Reorganisation von strategischer Bedeutung sind. In der
Öffentlichkeit profilierte er sich als dessen vehementer Verfechter und
Propagandist durch Attacken auf Arbeitslose und fehlende Arbeitsmoral,
kranke Arbeiter und krankschreibende Ärzte, zwecks deren Disziplinierung er
Kontakte zwischen Krankenkassen und ärztlichen Standesorganisationen
betrieb.
In seiner Funktion als Bundesschatzmeister der FDP machte er seine
Beziehungen u.a. im Zusammenhang mit illegalen Waffenverschiebungen in
Krisenregionen geltend, was entsprechend vermutlich nicht nur bezüglich
der Parteikasse honoriert wurde. Zu diesen internationalen Beziehungen
gehören auch enge Kontakte zum Zionismus, die aber weitgehend
undurchsichtig geblieben sind.
Auf Landesebene profilierte er sich im Rahmen seines Ministeramtes als
politischer Protagonist der ökonomischen und infrastrukturellen Interessen
des Kapitals insbesondere im Wirtschaftszentrum Rhein-Main. Sein Name stand
für die rigorose Durchsetzung der hessischen Asphalt- und
Großprojektepolitik (Autobahnen, Startbahn, WAA, Biblis C, Borken,
Atomzentrum Hanau-Wolfgang), die er innerhalb der Landesregierung als
heimlicher Ministerpräsident mit der bekannten Trumpfkarte seiner Partei,
das Zünglein an der Waage zu sein, entsprechend vorantrieb.
Anhand der angerissenen Zusammenhänge wird einerseits klar, daß ein Rückzug
aus der Landespolitik für ihn keineswegs der Abstieg in die
Bedeutungslosigkeit dargestellt hätte, was für die Möglichkeit des
benannten Zieles spricht. Andererseits zeigen sie aber auch auf, daß ein
eventueller Rückzug wohl eher eine schwerpunktmäßige Verlagerung auf nicht
weniger widerliche und zerstörerische politische Tätigkeiten hätte
erwarten lassen.
Planung und Ausführung der Aktion waren in einem Zeitraum angesiedelt, in
dem die regionale politische Situation gekennzeichnet war von einem
absoluten Vakuum linksradikaler Politik und einer nur in Andeutungen
existierenden Öko-Bewegung. Der Widerstand gegen die Startbahn war regional
wie überregional gerade im Wachstum begriffen. Es herrschte (noch) Ruhe im
Land.
Hinzu kam, daß auch intern um es vage zu beschreiben die Verhältnisse
nicht eben zum Besten standen.
Alles in allem Umstände, die diese berücksichtigende Aktionen und ein
zumindest mittelfristig angelegtes politisches Konzept verlangten. Warum
wurde dann mit dieser Aktion auch in der geplanten Form das genaue
Gegenteil vollzogen!
Die Antwort ist in erster Linie in dem politischen und praktischen
Trugschluß zu suchen, daß durch punktuelle, aber deftige Schläge ein Mangel
an Stärke und die Unfähigkeit zur kontinuierlichen Praxis wenn nicht
ersetzt, so doch ausgeglichen werden könnte. Damit wurde auch das Prinzip
verneint, Aktionsformen und anforderungen nach den eigenen Fähigkeiten und
realen Möglichkeiten, der eigenen Substanz zu bestimmen.
Daß die Gruppe, die diese Aktion ausführte, mit ihr politisch und praktisch
vollkommen überfordert war, wurde sowohl in der Ausführung selbst, als auch
in der Auf- und Verarbeitung ihres unglücklichen Ausgangs, des Bruchs
zwischen Planung und Erfolg, deutlich.
Der der Aktion beigemessenen Stellenwert produzierte eine Blindheit
gegenüber wesentlichen Prinzipien:
Neben dem ZIEL einer Aktion unterliegen auch ORT und MITTEL politischen
Kriterien.
Der Ort der Ausführung hält diesen Kriterien nicht stand. Die Umstände sind
vielmehr ein Verstoß gegen die Grundsätze revolutionärer Moral.
Die Tatsache, daß Karry im Bett erschossen wurde, ermöglichte bzw.
provozierte Spekulationen über Zielsetzungen, Motive und Urheber. Daß diese
Spekulationen durch die zionistischen Verwicklungen Karrys und die
zeitliche Nähe zum Anschlag auf den österreichischen Minister Knittel
zusätzliche Nahrung fanden, ist dabei von nebensächlicher Bedeutung. Sollte
es aus verschiedenen Gründen (Bedingungen der Gruppe, Lebensumstände von
Karry ...) tatsächlich keine andere Angriffsmöglichkeit gegeben haben, so
hätte die Aktion zu diesen Konditionen nicht durchgeführt werden
dürfen.
In der später abgegebenen Erklärung äußerte sich die Überforderung in einer
vorgeblichen Selbstkritik, die eben keine war. Sie reduzierte sich
schwerpunktmäßig wie auch völlig unzulänglich auf eine technische Ebene
der Auseinandersetzung. Schlimmer noch: die eigene Irritation über das, was
real bei der Aktion rauskam, wurde geleugnet und darüberhinaus selbst die
grundlegenden Unterschiede zwischen geplantem und eingetretenem Ausgang
kurzerhand mit verbaler Kaltschnäuzigkeit vom Tisch gewischt.
Der Trugschluß, die organisatorischen und politischen Unzulänglichkeiten
der Bewegung wie des eigenen Selbstverständnisses durch Entschlossenheit
ersetzen zu können, charakterisiert sich sowohl durch eine verhängnisvolle
Tendenz zum Militarismus als auch durch ein zwar begründetes, in dieser
Form aber praktisch und inhaltlich falsches Endzeitbewußtsein. Dafür stehen
in der Erklärung vorhandene Passagen wie: nicht mehr viel Zeit zu haben
(... dann muß schleunigst mit dieser Untertanenlogik gebrochen werden
...), die letztlich in existentialistischen Appellen münden
(Gebrochenes Rückrat oder aufrechter Gang das war seit jeher DIE
Entscheidung).
Gerade diese Appelle weisen auf die wesentliche politische Absicht der
Aktion hin: sowohl nach außen wie nach innen Fanale zu setzen.
Nach außen in der Erwartung, über einen persönlichen Angriff auf die
regionale Symbolfigur von Umweltzerstörung und menschenfeindlicher
Großtechnologie für den Kampf gegen die anstehenden Großprojekte zu
mobilisieren.
Zweifelsohne war die geplante Angriffsform der Person Karrys angemessen.
Gleichermaßen war er ein geeigentes Angriffsziel, da er für große
Bevölkerungsgruppen ein ausgeprägtes Feindbild verkörperte. Ausdruck davon
war u.a., daß seine öffentlichen Wahlkampfauftritte, die sich weitgehend
auf Industriellenclubs beschränkten, im umgekehrten Verhältnis zu seiner
Bedeutung in der Landespolitik und v.a. in seiner Landespartei
standen.
Dabei muß aber festgehalten werden, daß Aktionsziel und -form dem damaligen
Stand der Bewegung meilenweit voraus waren. Dieses Auseinanderklaffen
begründet nicht unbedingt die Ablehnung der Aktion zu diesem Zeitpunkt. Sie
hätte jedoch dann einer eingehenden und stichhaltigen politischen
Begründung bedurft, die darüber Auskunft hätte geben müssen, warum ein
derartiger Vorgriff für notwendig gehalten und vollzogen wird. Zudem hätte
diese Begründung eine weitergehende politische Konzeption, wenn auch nur in
groben Zügen, beinhalten müssen. Auch der heftigste Appell bleibt eben nur
ein Appell und entbindet nicht von der Notwendigkeit praktischer und
politischer Kontinuität, in der allein sich die wie auch immer gearteten
Inhalte realisieren.
Ähnliches gilt für das Fanal nach innen. Soweit überhaupt, können solche
Appelle nur beschränkt klärende Prozesse und notwendige
Auseinandersetzungen provozieren und schon gar nicht politische und
praktische Konzepte ersetzen. Ganz abgesehen davon, inwieweit eine solche
Funktion von Aktionen akzeptabel ist.
Letzthin haben auch die politischen und praktischen Fehler im Zusammenhang
mit dieser Aktion generell aufgezeigt, daß mit der Beschreibung dieser
Aktionsstufe die Grenzen des herkömmlichen Zellenprinzips deutlich
überschritten werden. Angriffsformen dieser Kategorie stellen Anforderungen
an die Beteiligten, die im kleinen Rahmen der abgeschottenen
Gruppenautonomie aus organisatorischen wie politischen Gründen nicht zu
erfüllen sind.
ein paar Gedanken zum guten Schluß
Wie bereits festgestellt, hat die Kontinuität militanter Politik erfolgreich zur Entstehung organisierter Militanz beigetragen. Sie drückt sich z.B. darin aus, daß es demnächst an der Startbahnmauer kaum noch Streben zu knacken gibt (Mönchbruch Liberation Army, Anarchie & Gaudi, Panzerknacker e.V.), Betreiber und Gerichte weiter zur Verantwortung gezogen werden.
Der Ausdehnung und Festigung des Kleingruppenkonzepts und einer
großen Akzeptanz militanter Aktionen steht auf Massenebene das Fehlen eines
politischen Pendants gegenüber (die Gründe dafür haben wir im
Vorhergehenden benannt). Deutlich wird dieses Dilemma wieder in Form und
Inhalt der Beteiligung der Startbahnbewegung in der Friedensbewegung. Das
Fehlen eines politischen Katalysators ermöglicht heute wieder die
offizielle Dominanz der Bewegungsverwalter. So scheuen sich die ehemaligen
Betreiber des Volksbegehrens gegen die Startbahn West nicht, erneut ein
Hessisches Volksbegehren, diesmal für den Frieden anzuleiern.
Im Startbahnkonflikt sind Erfahrungen und Entwicklungen gemacht worden, die
wichtige Impulse in die Friedensbewegung tragen können, um sie tatsächlich
zu einem wirkungsvollen Faktor gegen die Raketenstationierung zu machen.
Menschenketten, symbolische Blockaden sind ein politischer Rückfall in
vorstartbahnliche Zeiten. In ihnen werden sämtliche Kampf- und
Bewußtseinsprozesse negiert und zurückgenommen, die in mehreren Jahren
Startbahn-Kampf gewachsen sind.
Die Gewaltfrage ist nicht das wirkliche Problem der Friedensbewegung.
Deutlicher noch als im Startbahnkonflikt entspringt die organisierte
Gewaltlosigkeit der Friedensbewegung nicht einer Bewußtseinslage, die die
Form des Kampfes meint, sie ist hier wie dort die verwaltende
Organisationsform.
Nur als solche kann sie be- und angegriffen werden.
Ob Bonn22 oder Neu-Ulm, solche Unternehmungen auf Bundesebene besonders
im Hinblick auf die politische Zusammensetzung der Friedensbewegung sind
so angelegt, daß das praktische Einbringen anderer und eigener Momente
kurzfristig und zu dem Termin nicht möglich, durchsetzbar ist.
Es fragt sich, warum partout vermieden wird, Demos und Aktionen in der
Region durchzuführen. Als ob es hier an Objekten mangelte.
Es hat den Anschein, daß die vordergründigen Argumente gegen eine
Air-Base-Demo/Blockade (die ja vielfältige Formen haben könnte), wie der
Dauerlutscher Die Bürger machen da nicht mit, eher die Befürchtung
beinhalten, diese oder andere regionale Aktionen könnten erneut
unkontrollierbar die Eigendynamik der alten Bewegung in Gang bringen und
eskalieren. Dies gerade in Bezug auf die Air-Base, die wie kein anderes
Objekt die Verbindungslinie zur Startbahn West herstellt.
Die Sonntagsspaziergänge haben mittlerweile eine eineinhalbjährige
Tradition Gradmesser für die anhaltende Mobilisierung. Das Ausmaß der
Beteiligung ist im Laufe der Zeit mehr und mehr zurückgegangen. Je mehr
sichtbar wurde, wie das Projekt durchgezogen wurde, desto weniger Leute
kamen noch raus.
Die Bullen haben gelernt, die Aktivitäten von Ausnahmen abgesehen in
den Griff zu bekommen. Sie sind dabei immer dreister geworden. Daß sie es
sich inzwischen leisten können, ganz frech das gesamte Gebiet um's
Startbahn-Gelände zu kontrollieren und andauernd im Wald rumzufahren, ist
eigentlich eine Schande.
Eine Möglichkeit, dem Einhalt zu gebieten und sie wenigstens wieder hinter
die Mauer zu scheuchen, wäre unter anderem z.B. der massenhafte Einsatz von
Krähenfüßen, Buttersäure gegen Bullen. Ergänzt durch allerlei andere
Attacken und Späßchen könnte das ein praktisches Nahziel Bullen hinter
die Mauer der unbeirrten Bewegung sein. Ein solcher kleiner Sieg könnte
was sehr wichtig ist frischen Wind in die zum Ritual erstarrten
allsonntäglichen Geplänkel (meist am Feldherrenhügel) bringen.
Denn ohne frischen Wind läuft die Sonntagsbewegung Gefahr, wegen der sich
ausbreitenden Frustration und Resignation sich noch weiter zu
dezimieren.
Also denn
Stärke, Lust und Fantasie besiegt die Bullenmaschinirie