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Krieg Krise Friedensbewegung In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod Dezember 1983

Wir haben das Phänomen Friedensbewegung bis heute nur in einzelnen Aktionen praktisch kritisiert und uns theoretisch in der Öffentlichkeit bisher so gut wie gar nicht darauf ein- oder dazu ausgelassen. Das heißt nicht, daß wir die Dringlichkeit einer systematischen Auseinandersetzung bestreiten. Vielmehr hat uns die Entwicklung, die diese Bewegung gerade im Vorherbst genommen hat, großen Überdruß bereitet und unsere Lust dazu ziemlich blockiert. Darüberhinaus hat sich einiges in uns gesträubt, zum Regierungsdatum heißer Herbst wie von oben bestellt und durch den Verfassungsschutzpräsidenten bereits angekündigt als Teufel aus der Kiste zu springen und unsere radikale Pflicht zu tun.

Wir bestimmen unsere Zeitpunkte, Ziele und Interventionsformen gerne selbst und meiden soweit möglich staatlich verordnete Höhepunkte. Der Entschluß, uns nur punktuell auf die Friedensbewegung zu beziehen und nicht unsere gesamte Kraft darauf zu verwenden, die lauwarme Herbstsuppe auszulöffeln und ihr ein wenig militante Würze beizusteuern, entspricht jedoch nicht nur einer taktischen Zurückhaltung, sondern begründet sich in erster Linie in umfassenden inhaltlichen Kontroversen, die uns erst mit der Zeit in ihrer Tragweite bewußtgeworden sind und die wir deshalb im folgenden zu einer möglichst breiten und hoffentlich heftigen Diskussion stellen wollen.
Dabei ist uns klar, daß die Analyse des inneren Zusammenhangs von Krise und Krieg nur ein Aspekt ist, um an der imperialistischen Verplanung der Zukunft Risse und Brüche auszumachen, an denen sich neue Revolten entzünden werden. Daß Widerstand und Aufruhr ihrer eigenen Logik folgen, ökonomische Tendenz und soziale Praxis also nicht automatisch zusammenfallen, steht auf einem anderen Blatt, das noch geschrieben werden muß.

Bewegung ist nicht alles!

Die Diskrepanz ist offensichtlich

während Kapital und Staat ihre Krisenstrategie durchsetzen und in anderen Regionen bereits an ganzen Völkern exekutieren, ist in den Metropolen die Kriegsgefahr zum alles beherrschenden Thema geworden. Weder die gezielte Politik der Verarmung noch die tatsächlichen Kriege, die der Imperialismus an verschiedenen Fronten der 3. Welt anzettelt, sondern eine eher abstrakte Vernichtungsdrohung mobilisiert die Menschen in den Zentren zu Hunderttausenden. Nicht eine revoltierende, klassenkämpferische, sondern eine Katastrophenkultur macht sich breit und wird von oben nach Kräften geschürt. Die berechtigte Angst vor sozialer Verelendung, ökologischer Verödung und den möglichen Folgen atomarer Hochrüstung wird übersetzt in die wahnhafte Vorstellung von dem alles vernichtenden Untergang, der nur noch Opfer und keine Täter mehr kennt.

Apocalypse now! scheint das Leitmotiv einer Epoche zu werden, die sich materiell auf Umstrukturierungen von gigantischem Ausmaß zubewegt. Die klammheimliche Lust am Weltuntergang wird zur metropolenspezifischen Reaktion auf eine neue Ära voller unerträglicher Widersprüche, die nur Vorboten jener Umwälzungen sind. Schon einmal während der 20er Jahre erwies sich, was als Untergang des Abendlandes1 interpretiert und erlebt wurde, als globale Krise der Kapitalakkumulation, die bekanntlich nicht das Ende der Welt, wohl aber einen weiteren Abschnitt kapitalistischer Entwicklung einleitete, an deren Ausgangspunkt Faschismus und ein verheerender Krieg standen. Wo sich Endzeitstimmung breit macht, ist kein Raum mehr für soziale Utopien. Der Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben steht zurück hinter der Frage des nackten Überlebens. Jeder Ausweg legitimiert sich von selbst, wenn er nur Hoffnung auf Rettung verspricht. Was immer unterhalb der Schwelle der Katastrophe daraus erfolgt, es dient der Abwendung eines vermeintlich größeren Übels. Die Drohung mit dem Weltuntergang verschafft den staatlichen Souveränen das Mittel, um jedes Opfer nach innen durchzusetzen und vergleichsweise zweitrangig erscheinen zu lassen.
Wie einst der Club of Rome2 oder rechte Ökologen im Namen der Natur einklagten, was vor allem die Krise verlangte, nämlich Bereitschaft zum Verzicht angesichts des drohenden Ruins sämtlicher Grundlagen menschlicher Existenz auf diesem Planeten, so beschwören heute Teile des Friedensbündnisses die atomare Apokalypse, um politische Enthaltsamkeit zu predigen. Frieden statt Politik hieß es auf der Bonner Kundgebung3 vor zwei Jahren, wo einem Sprecher verschiedener Freiheitsbewegungen aus eben diesem Grund das Wort entzogen wurde, als er sagen wollte, was dort unter Frieden verstanden wird: Friede in unseren Ländern bedeutet nicht allein Nicht-Krieg-. Friede heißt für uns nationale Unabhängigkeit, soziale Gerechtigkeit, kulturelle Identität. Friede heißt für uns das Ende der alltäglichen Gewalt, der ungerechten Strukturen, des Elends, des Hungers, des Terrors der Herrschenden.
Es ist nur folgerichtig, wenn staatliche Politik hier nicht mehr an ihren bewußt geschaffenen Fakten und imperialistischen Planungen gemessen wird, sondern deren Macher als Gefangene einer bedrohlichen Lage entschuldigt werden, der es nun gilt, gemeinschaftlich Herr zu werden. Beifall und Sympathie erntete Willy Brandt, als er auf dem letzten Kirchentag über die Ohnmacht der Mächtigen lamentierte, die zwischen Zweifel und Zuversicht zerrieben würden. Die Theorie vom Rüstungswettlauf kennt abgesehen von einem dümmlichen Westernhelden4 und sonstigen ausgemachten Bösewichtern vom Schlage eines Weinberger5 nur noch Verlierer und keine Veranstalter mehr. Kritik an der Rüstungseskalation entwickelt sich nicht zur Fundamentalopposition gegen die Ziele imperialistischer Politik, die mit den Mittelstreckenraketen abgesteckt werden, sondern bleibt Korrektiv eines Regimes, das die Konsequenzen seines Handelns angeblich nicht überblickt. Die Politik des Imperialismus wird von ihrer ökonomischen Basis gelöst und einer vergleichsweise besseren, vom Willen und Gewissen ihrer Repräsentanten angeblich unabhängigigen, bürgerlichen Politik auf derselben Grundlage gegenübergestellt. Als wäre der Sinneswandel der SPD in Sachen Stationierung tatsächlich Ergebnis eines parteiinternen Läuterungsprozesses und nicht banale Folge des Machtverlustes! Wer Krieg nur als abstrakte Gefahr und die atomare Vernichtung vor allem als technologisches Risiko diskutiert, erteilt deren Betreibern Generalabsolution. Er attestiert staatlicher Politik indirekt, was deren Vertreter ohnehin unablässig von sich behaupten: daß die Bewahrung des Friedens ihr ureigenstes Anliegen sei und man sich lediglich im Weg zum selben Ziel unterscheide. Der Protest gegen die Nachrüstung versackt so in der Debatte um Fragen der Sicherheitspolitik, die pazifistischen Ambitionen verkehren sich in Lektionen über alternative Wehrkunde. Die Stationierung der Raketen soll nicht gegen den Willen der Regierung, sondern kraft Überzeugung und besserer Argumente verhindert werden. Eben deshalb bleiben so viele Aktionsformen aus den Reihen der Friedensbewegung von der Unterschriftensammlung bis hin zum frömmelnden Fasten, dessen Effekt in erster Linie in der Genugtuung über die eigene Opferbereitschaft besteht stets Appell an die Vernunft, getragen von der durch nichts zu belegenden Hoffnung, daß gute Gründe oder Moral und nicht etwa die Notwendigkeiten der Kapitalverwertung den Machthabern die Maßstäbe diktieren, die sie ihren Entscheidungen zugrunde legen.
Eine solche Politik gewinnt die Anhängerschaft, die sie verdient! Jenes breite Bündnis, auf das sich die Sprecher der Friedensbewegung zum Beweis ihrer vermeintlichen Stärke zu gerne berufen, war nur um den Preis der Unterdrückung sozialrevolutionärer und antiimperialistischer Inhalte zu kriegen und auf Dauer zusammenzuhalten. Die hektischen Reaktionen und kriecherischen Distanzierungen von den Blutspritzern6 im hessischen Landtag offenbaren nicht nur, wie schmal der Konsens ist, sondern vor allem, daß er immer wieder gegen links durchgesetzt und behauptet werden muß. Und wenn dieselben Leute zum hundertsten Mal daherbeten, daß die Perspektiven der Friedensbewegung in ihrer Verbreiterung liegen und deshalb jegliche Eskalation an der Spitze eben diesen Perspektiven abträglich sei, so meint das nichts anderes, als daß die Ausschaltung eines linken Radikalismus in diesem Land noch allemal honoriert wird und zumindest demoskopisch positiv zu Buche schlägt.
Dennoch geht man von falschen Voraussetzungen aus, wenn diesen Leuten heute von Seiten der Autonomen Verrat vorgeworfen wird. Es ist widersinnig, eine in ihrer Mehrheit bürgerliche Protestbewegung mit dem Maßstab revolutionären Widerstands zu messen, um ihr dann ihre Halbheiten vorzuhalten. Ein solcher Vorwurf zeugt weniger vom Ausverkauf der Friedensbewegung durch deren Verwalter, als vielmehr von den enttäuschten Erwartungen auf Seiten des autonomen Spektrums.
Wieder einmal hat sich die falsche Hoffnung, daß die Bewegung vielleicht doch alles und das Ziel nur zweitrangig ist, als Trugschluß erwiesen, dessen Folgen in erster Linie wir alle auszubaden haben. Hinterher ist man meistens schlauer: eine falsche Politik wird nicht dadurch richtiger, daß man sie von innen her zu radikalisieren versucht. Allzu schnell sind die Ansätze eines radikalen Antimilitarismus, die im Widerstand gegen die öffentliche Rekrutierung in Bremen und Hannover7 zum Tragen gekommen waren, auf der Strecke gebleiben. Anstatt diese Ansätze weiterzutreiben hin zu einer umfassenden autonomen Gegenbewegung, die nicht bei der Raketenfrage stehenbleibt, sondern die Verhältnisse angreift, die die Vernichtungswaffen hervorbringen, und den bürgerlichen Pazifismus mit einer solchen Gegenbewegung praktisch zu konfrontieren, wurden in der Hoffnung auf die gegenseitige Potenzierung verschiedener Protestebenen und nicht zuletzt mangels eigener Perspektiven Vermittlungsmöglichkeiten gesucht. Die Orientierung des autonomen Spektrums an der Friedensgemeinde hat jedoch nicht zu der erhofften Vielfalt unterschiedlicher Aktionsformen, zur Synthese von Massenprotest und Militanz geführt, sondern zu deren Anpassung an einen von Realpolitikern kontrollierten Rahmen. Die faktische Beschränkung auf das von der offiziellen Friedensbewegung vorgegebenn, angeblich erreichbare Nahziel Keine Pershing 2 und das heißt die Abkoppelung der Stationierung von ihrem imperialistischen Zweck ist nicht nur auf gefährliche Weise falsch, weil sie die Waffen und nicht die Menschen, die sie dirigieren, in den Mittelpunkt des Problems rückt. Sie impliziert darüberhinaus die Neutralisierung sozialrevolutionärer Zielsetzungen, da der Rückschluß auf die unmittelbare Betroffenheit aller Menschen dieses Landes dem Widerstand jeglichen klassenpolitischen Bezug nimmt. Die Differenz zum Bürgerprotest reduziert sich so leicht auf die abstrakte Gewaltfrage und dies auf einem Terrain, auf dem Militanz ohnehin kaum eine Chance hat, als tatsächliche Alternative begriffen zu werden. Denn durch die Konzentration auf Militärstützpunkte und Ministerien, also auf die Bastionen der Macht, wo sie am stärksten und am besten gerüstet ist, wird jeglicher Aktionsdynamik der Spielraum genommen. Hier gibt es für uns bei den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen nichts zu gewinnen, weil wir auf diesem Terrain nicht die Wahl der Waffen haben. Für den Schwächeren ist die Bestimmung des Orts der Auseinandersetzung von entscheidender Bedeutung und unsere einzige reelle Chance. Sonst überlassen wir den Protagonisten des plattesten Widerstandssymbolismus in Form von Körperblockaden, Menschenteppichen und Die-In's8 von selbst das Feld.

Die Probleme des US-Imperialismus und die Wunderwaffe

Was immer über den Zweck der NATO-Nachrüstung gesagt oder geschrieben worden ist es geht davon aus, daß die militärische Eskalation Ausdruck der Schwächung des US-Imperialismus ist. Angeschlagen durch eine Serie von Niederlagen in der 3.Welt, die die Sowjetunion sich zunutze gemacht hat, um in das jeweils entstandene Machtvakuum nachzurücken und dort Bastionen des realen Sozialismus zu etablieren, und unter dem wachsenden Druck der einstigen Satelliten Westeuropa und Japan, die sich mit der Zeit zu bedrohlichen Konkurrenten gemausert haben, gehen demnach die USA auf Konfrontationskurs, um das internationale Kräfteverhältnis noch einmal zu ihren Gunsten zu gestalten. Die Stationierung der Mittelstreckenraketen erscheint als geradezu genialer Schachzug, um die verschiedenen Probleme auf einen Schlag in den Griff zu kriegen

Der Ostblock wird durch die Cruise Missile und die Pershing erpreßbar und zumindest zu weltpolitischer Neutralität gezwungen.

Dadurch bekämen die USA wieder freie Hand in den bevorstehenden konventiellen Kriegen im Mittleren Osten und Zentralamerika.

Und schließlich würden der Konkurrenz aus dem eigenen Lager über die atomare Abhängigkeit die Grenzen gesteckt. Die BRD würde zum Faustpfand im Krieg der USA gegen die 3. Welt, zur Geisel, die gleichzeitig im Zuge der Bereinigung innerimperialistischer Widersprüche geopfert werden kann. Daß die neue Aufrüstungsphase und die damit einhergehende Verschärfung internationaler Gegensätze Ausdruck tiefgreifender ökonomischer und politischer Veränderungen in der Welt ist, ist unbestritten. Wir glauben allerdings mittlerweile, daß die genannten Erklärungsversuche, die sich wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung und erst recht mit unterschiedlichen Schlußfolgerungen bei den meisten Fraktionen aus dem breiten Spektrum der Friedensbewegung finden lassen, dem eigentlichen Zweck der Stationierung und den imperialistischen Interessen, die hinter den militärstrategischen Entscheidungen stehen, nur zum Teil oder auch gar nicht gerecht werden.

Die BRD Geisel oder die Nr. 2 der NATO

Weder die Tatsache, daß die BRD als Projekt der amerikanischen Nachkriegsordnung gegründet worden ist, noch der Umstand, daß das deutsche Kapital diese Chance zu nutzen verstanden hat, um auf der Grundlage funktionierender Ausbeutung und wohl fundierter politischer Macht sich auch weltweit wieder Respekt und Einfluß zu verschaffen, begründen die Annahme, daß sich die USA nun neokolonialer Praktiken bedienen und uns unter Ausnutzung ihrer Rechte als Besatzungsmacht atomare Raketen aufzwingen, um so einen lästig gewordenen Konkurrenten in die Enge zu treiben und nötigenfalls auf dem nuklearen Schlachtfeld zu opfern. Es sind auch Großmachtphantasien, die dazu verleiten, aus der Banalität, daß deutsche Interessen dort an ihre Grenzen stoßen, wo gemeinsame Belange des westlichen Lagers berührt sind, den Schluß zu ziehen, daß es um die Eigenständigkeit der BRD schlecht bestellt ist.

Zwar ist die Souveränität nur im Rahmen und zu den Konditionen der pax americana9 zu haben, aber diese Bedingung war und ist allemal die Garantie für den unnachahmlichen Höhenflug dieser Republik zum Modellstaat. Zwar produzieren die Notwendigkeiten der Kapitalverwertung stets aufs neue Rivalitäten zwischen den Hauptzentren der Kapitalakkumulation, versucht sich eine Seite auf Kosten der anderen (und in der Regel auf dem Rücken dritter) ökonomisch nutzbaren politischen Vorteil zu verschaffen. Aber dieses Gerangel innerhalb der Trilateralen um Marktanteile und Einflußzonen ist weniger Beleg für wachsende grundsätzliche Interessensdifferenzen, sondern eher dafür, mit welchem Feuereifer sie dem gleichen, gemeinschaftlichen Geschäft nachgehen, das bekanntlich durch Konkurrenz belebt wird. So treten all diese Konkurrenzen letztlich zurück hinter dem von den USA gesetzten und den übrigen Staaten des westlichen Bündnisses nachvollzogenen gemeinsamen Willen der verschiedenen Abteilungen, ihre Interessen möglichst noch im letzten Winkel dieses Planeten durchzusetzen.
Instrument dieses gemeinsamen Interesses ist die NATO. Die BRD als unbestrittene Nr. 2 innerhalb dieser supranationalen Struktur der Westmächte ist nicht Faustpfand sondern Pfeiler der NATO und begründet umgekehrt eben gerade darauf ihre Macht. Die Stationierung entspringt nicht dem Zwang, sich im Gefolge amerikanischer Hegemonialpolitik bewähren und wenn es denn unbedingt sein muß auch ans Messer liefern zu müssen, ist nicht Rückfall in die Bedeutungslosigkeit, sondern ein weiterer Meilenstein auf dem Erfolgsweg dieser Republik. Sie ist das Ergebnis der wirtschaftlichen und politischen Weltmachtstellung, die sich in der Übernahme militärischer Verantwortung beweist.
Es ist auf Dauer kein deutsches Vorrecht, nur Nutznießer einer Situation zu sein, für die andere, wie die USA, Großbritannien und Frankreich, die Voraussetzungen schaffen. Ein deutscher Beitrag in der einen oder anderen Form könnte eines Tages unausweichlich sein. (Schenck/SPD)
Die Zeiten also, in denen die anderen die Drecksarbeit machen mußten, während der BRD-Staat lediglich zahlt und sich im übrigen immer unter Verweis auf seine historische Erblast den eleganteren Methoden imperialistischer Durchdringung widmete, nähern sich endgültig ihrem Ende. Die Neudefinition des NATO-Auftrages, nämlich die Sicherung vitaler Interessen außerhalb Europas oder im Klartext: Die ganze Welt ist Sache der NATO (Haig10), verlangt eine neue innerimperialistische Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedsstaaten. Die BRD wird im Rahmen dieses arbeitsteiligen Konzepts neben den USA, Großbritannien, Frankreich und dem Nicht-NATO-Mitglied Japan zum Kern einer Gruppe von Schlüsselstaaten, die in der ihrer Zuständigkeit unterworfenen Region für Ordnung zu sorgen haben. Wie sehr sich die BRD diese Verantwortung zu Herzen genommen hat, kann man u.a. den Berichten über Folter und Mord in der Türkei entnehmen. Dieses strategisch so wichtige Land an der Südostflanke der NATO mußte innerhalb kürzester Zeit mit Krediten und militärischer Ausrüstung zum Ersatz für den Iran hochgezogen werden. Daß sich ein solches Programm nicht mit den geheiligten Prinzipien von Frieden, Freiheit und Demokratie, sondern nur mit der terroristischen Gewalt einer Militärjunta umsetzen läßt, ist bittere Routine im politischen Geschäft. Von sanfter Tour, die dem BRD-Imperialismus nachgesagt wird, kann da kaum die Rede sein. Sie stößt sehr schnell an ihre Grenzen, wenn elementare Positionen und Vorteile der Allianz auf dem Spiel stehen.
Die Stationierung der Pershing 2 auf westdeutschem Boden hat nichts mit Selbstaufgabe und dafür umso mehr mit der Entwicklung der BRD zu einem der Schlüsselstaaten der NATO zu tun. Anders als Großbritannien oder Frankreich, deren Armeen direkt an den Fronten der 3. Welt aufmarschieren sollen oder bereits aufmarschiert sind (Libanon/Tschad11/Malvinen12), muß sich die BRD vor allem in ihrer Funktion als vorderste Linie im Ost-West-Konflikt bewähren. Sie ist keineswegs nur Drehscheibe, nur Hinterland des militärischen Nachschubs für einen Krieg, den andere ausfechten.
Das Wartime Host Nation Support Agreement verpflichtet die BRD, jene Lücken zu schließen, die ein Abzug von US-Truppen infolge eines Waffengangs im Mittleren Osten reißen würden. Im Zuge der Nachrüstung soll ein westeuropäisches Gleichgewicht zum Warschauer Pakt13 hergestellt werden, der NATO-Zweck soll von Westeuropa aus allein durchsetzbar sein. Kein Wunder also, daß die russischen Diplomaten in Genf14 mit ihrer Forderung nach Berücksichtigung der englischen und französischen Atomwaffen beim Hochrechnen der Megatonnen wieder und wieder auf Granit gestoßen sind.
Jene von Teilen der Friedensbewegung genährte Legende von der Geisel Europa und vom Faustpfand BRD, die in erster Linie den westdeutschen Imperialismus verharmlost, stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Mit der Nachrüstung verschafft sich die NATO den stategischen Vorteil, die Schlachtfelder der Zukunft wieder selbst definieren, d.h. den Kampf zum Gegner tragen zu können (Airland-Battle). Die Epoche, wo Kriege zwischen den Blöcken nur auf dem Niveau des atomaren Schlagabtauschs und um den Preis gegenseitiger Auslöschung denkbar waren, geht zu Ende. Die Kriegsgefahr besteht nicht etwa in der abstrakten Möglichkeit einer atomaren Katastophe als Folge der Produktion und Lagerung von overkill-Kapazitäten eine Möglichkeit, die in der BRD (und keineswegs nur hier) bekanntlich seit Jahrzehnten gegeben ist sie besteht vielmehr darin, daß die NATO-Staaten mit den qualitativ neuen Waffensystemen Kriege für sich wieder kalkulierbarer gemacht haben. Die Konstruktion der Pershing 2 bedeutet Option zum strategischen Erstschlag. Ihre technischen Eigenschaften wie Präzision, Flugdauer und Reichweite erlauben es, atomare Gefechte unterhalb des allgemeinen Infernos zu inszenieren und zwar dort, wo man den Gegner stellen will. Der Rogers-Plan15, das Konzept Airland-Battle16 zum Teil mit Erleichterung aufgenommen, wird doch Krieg scheinbar wieder auf das erträgliche Niveau konventioneller Waffengänge zurückgeschraubt geben den Rahmen ab, innerhalb dessen die Nachrüstung ihren Sinn bekommt. Sie eröffnet mit der Fähigkeit des westlichen Imperialismus zum wenn auch noch so verheerenden Sieg eine neue Ära, in der der Möglichkeit, unterhalb dieser Schwelle weltweit und umfassend sowohl ökonomisch wie auch politisch erpressen zu können, keine Schranke mehr gesetzt sein soll. Widersetzen sich die Opfer diesen Manövern, so werden aus ihnen Aggressoren gemacht, die eine militärische Antwort herausfordern.

Imperialismus und 3. Welt

der Bankrott nationaler Entwicklungsmodelle

Während die Mehrheit der Friedensbewegung von der Angst umgetrieben wird, sie selbst, unser Land, ja ganz Europa könne Schlachtopfer im Kampf der Supermächte werden, hat die radikale Linke immer wieder versucht, diese eurozentristische und rassistische Einengung zu durchbrechen und die Kriege, Völkermord- und Vernichtungsstrategien ins Bewußtsein zu rücken, die der Imperialismus mitten im 40jährigen Frieden in ununterbrochener Folge an den Völkern der 3. Welt exekutiert hat. Diese richtige Diskussion über die trikontinentale Dimension der neuen NATO-Strategien rückte gleichzeitig die Stationierung in ein anderes Licht. Sie war Beweis für die aggressive Gegenoffensive des durch Vietnam, Ölkrise17, Iran, Nicaragua usw. in seiner Vormachtstellung bedrängten US-Imperialismus, der überall, wo er in dieser Welt auf seine Grenzen stößt, die Sowjetunion als Drahtzieher ausmacht und diese mit seinen qualitativ neuen Waffensystemen nun zwingen will, die Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen in der 3. Welt einzustellen. Es ist unbestritten, daß die Voraussetzungen für die trikontinentalen Befreiungskämpfe ohne die Sowjetunion denkbar schlechter wären und allein schon die Existenz einer konkurrierenden Großmacht direkte militärische Intervention der imperialistischen Staaten riskanter macht. Trotzdem ist die Neutralisierung der Sowjetunion unserer Meinung nach nicht der Hauptzweck der Nachrüstung. Ob angeschlagen oder führungsschwach, die wirtschaftliche, politische und militärische Potenz des imperialistischen Lagers gibt ihm auch ohne Nachrüstung die Macht, den Völkern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas seine zerstörerischen Ausbeutungs- und Vernutzungsbedingungen aufzuherrschen bzw. die Früchte ihrer schwer erkämpften Siege so bitter zu machen und zu vergiften ein Erbe, mit dem z.B. Vietnam auf Generationen zu kämpfen hat.

Die überwiegende Mehrheit der Länder der 3. Welt ist heute durch die Metropolen in einem Ausmaß ruiniert, das zur Verzweiflung treiben kann. Meist ist die Selbstversorgung dieser Völker so umfassend zerstört worden, daß sie zu ihrem physischen Überleben auf Nahrungsmittelimporte aus den Zentren angewiesen sind. Die Zerstörung der Subsistenzwirtschaft war von Anfang an erklärtes Ziel der imperialistischen Entwicklungsstrategie. So beklagt die Trilaterale auf ihren Weltwirtschaftsgipfeln unter dem Stichwort Welthungerkatastrophe keine Fehlentwicklung, sondern kann sich bescheinigen, auf ganzer Linie erfolgreich gewesen zu sein. Ebenso wenig hatten die verschiedenen nationalen Entwicklungsmodelle jemals eine Chance. Beschränken wir uns auf die wichtigsten, das Model Handelsnation, das vornehmlich Afrika beherrscht und das Modell Schwellenland, von dem sich die AKP-Staaten (Asien/Karibik/Pazifik18) einen Ausweg aus der Misere versprochen haben. Die afrikanischen Handelsnationen als Erben monokultureller Zurichtung während der Kolonialzeit forcieren bekanntlich den Export landeseigener Naturalien und Rohstoffe auf Kosten der nationalen Selbstversorgung in der Hoffnung, auf diese Weise an Devisen als Voraussetzung nationaler Reichtumsakkumulation zu kommen. Da ihre Exporte jedoch keinem nationalen Überschuß entspringen, können sie auf dem Weltmarkt dafür keine Preise verlangen, die den Gestehungskosten entsprechen. Der Preis wird ihnen demnach von den Abnehmern diktiert, also auf den Spekulationsmärkten der Warenbörsen in den imperialistischen Zentren festgesetzt. Die afrikanischen Länder haben von sich aus keinerlei Druckmittel in der Hand. Sie können nicht mit Boykott drohen, sondern müssen im Gegenteil um die Abnehmer ihrer Naturalien noch untereinander konkurrieren. Daß auf diese Weise ihre Handelsbilanzen ins Bodenlose versinken und die Länder mit ihnen, ist wie gesagt keine beklagenswerte Fehlentwicklung, sondern das Ziel der Entwicklung zur Unterentwicklung (Amin/Frank). Vor allem lateinamerikanische Staaten wie Mexiko, Argentinien und Brasilien haben versucht, als sogenannte Schwellenländer aus der monokulturellen Zurichtung für den Imperialismus durch eine eigenständige Industrialisierung herauszukommen (darauf gründet sich der Mythos des Peronismus19 und daran scheiterte er auch). Die Erfahrung, daß das Nachholen der ursprünglichen Akkumulation im Rahmen eines durchkapitalisierten Weltmarktes nicht möglich ist bzw. nicht zugelassen wird, bezahlen diese Länder heute mit ihrem realen wenn auch nicht formellen Bankrott. Da sie eine einheimische Industrie nicht mit akkumuliertem Kapital, sondern nur über Verschuldung aufbauen konnten, war der ganze Rattenschwanz von Inflation, Spekulantentum und letztendlich ihre Kolonisierung unter das imperialistische Kreditsystem bereits vorprogrammiert. Schon längst sehen sie sich wieder gezwungen in Konkurrenz mit den Habenichtsen dieser Welt ihren Gläubigern Land und Leute als freie Produktionszonen20 zum Ausverkauf anzudienen bzw. sich als Militärbasen und Stabilisierungsfaktoren in ihrer Region anzubieten.
Es scheint so, als seien diese ruinösen Formen postkolonialer Zurichtung und Auspressung der 3. Welt für den Imperialismus unter dem Gesichtspunkt der Kapitalverwertung nicht mehr wesentlich steigerbar. Ein erstes Fazit daraus hat der Wirtschaftsgipfel in Cancun gezogen, auf dem die westlichen Staaten mit der ihrer Macht eigenen Zynik an die Adresse der 3. Welt erklärten, daß sie von nun an nichts mehr zu verschenken haben, daß keine übergebührlichen Rücksichten mehr genommen werden können und eine grundsätzliche Revision und Limitierung ihres- viel zu großzügig vergebenen Kreditvolumens anstehe.
Die Daumenschrauben werden immer enger angezogen und die brutalen Auswirkungen dieser endgültigen wirtschaftlichen Ruinierung sind in ihrem Ausmaß überhaupt nicht absehbar. Hungerrevolten wie in Brasilien sind sicherlich erste Vorboten. Der forcierte Nationalismus, dieses zweischneidige Erbe der Entkolonialisierung, der so lange nationale Eliten und Unterklassen zusammengeschmiedet hat, wird als Klammer offensichtlich brüchig. Dies beschwört einerseits die Gefahr von Kriegen herauf; der Krieg am Golf und das Malvinenabenteuer der argentinischen Generäle müssen auch als Versuch verstanden werden, die jeweiligen Nationen hinter sich zusammenzubringen. Auch die neuerdings hervorgebrachte Kritik der einheimischen Eliten am mörderischen Diktat des IWF entspringt sicher nicht nur lauter Empörung, sondern auch der Absicht, sich selbst als Beteiligte und Nutznießer an der Ruinierung ihrer Völker aus der Schußlinie zu bringen.
Viel wichtiger ist jedoch, daß in den neuen Revolten21, die in den Slums und Elendsquartieren der 3. Welt gären, die Frage anders gestellt wird. Es geht nicht mehr um trügerische nationale Souveränität, an die sich so viele Hoffnungen knüpften, die den Massen aber meist nichts einbrachte außer einem Staat, der nur kostete und den sie nicht brauchen, einer Armee, Verwaltung, Wahlen, Kleinfamilie usw. alles Dinge, die kein Mensch braucht und eine Bäuerin oder ein Arbeiter in der 3. Welt schon gar nicht. Was sie brauchen, nämlich die stofflichen Grundlagen für ein menschenwürdiges und gutes Leben, hat ihnen die nationale Befreiung allein nirgends gebracht. Die von den nationalen Eliten betriebenen Entwicklungsmodelle sind auf ihrem Rücken und auf ihre Kosten organisiert worden. Die Massenaufstände und Hungerrevolten machen neue Fronten auf: interne Klassenfronten gegen die einheimischen Eliten um menschenwürdige Lebensbedingungen und soziale Gerechtigkeit.
Der Bankrott der Schwellenländer jenes verheißungsvollen und trügerischen Entwicklungsmodells, mit dem der Imperialismus die fortgeschrittenen Länder der 3. Welt ködern konnte, weil sie sich davon die Aufnahme in den Reigen der Industrienationen versprachen wird weitreichende Konsequenzen haben. Vor dem Hintergrund ihres Ruins wird eine ganz neue Attraktivität von Ländern wie Kuba, Nicaragua oder Vietnam ausstrahlen, Länder, wo nationale mit sozialer Befreiung verknüpft wurde, wo niemand mehr hungert, ärztliche Versorgung für alle gewährleistet ist, die Menschen lesen und schreiben lernen. Gemessen an den ruinösen Lebensbedingungen der Massen in der 3. Welt sind dies äußerst erstrebenswerte Verhältnisse. Der militärische Überfall auf Grenada22, der Abnutzungskrieg an den Grenzen Nicaraguas, die eskalierenden Interventionen in Salvador sind Indiz dafür, daß der Imperialismus um diese Dynamik weiß und sie mit aller Macht zu zerschlagen versucht.
Es zeichnet sich ab, daß die Konsolidierung sozialer Befreiungen in den Ländern der 3. Welt immer aktueller an die Bedingungen des Kampfes gegen den Imperialismus in den Metropolen gebunden ist. Nur in der Gleichzeitigkeit der Kämpfe in den Zentren wie in den Ländern der 3. Welt begründet sich die Hoffnung, daß der erreichte Stand sozialer Befreiung in Nicaragua, in Kuba usw. nicht einem neuerlichen Vernichtungsfeldzug des Imperialismus zum Opfer fällt, sondern zum Orientierungspunkt der Befreiungsbewegungen der ganzen Welt wird.

Der Ostblock ein blinder Fleck in der politischen Geographie der Linken

Obwohl die Pershings und die Cruise Missiles direkt auf den Ostblock zielen, vertreten wie gesagt große Teile der radikalen Linken die These, daß dieser nicht an sich damit gemeint sei, sondern vielmehr in seiner Rolle als Unterstützer nationaler Befreiungsbewegungen erpreßt werden soll. Sie pflegen der Sowjetunion gegenüber ein seltsam widersprüchliches Verhältnis

einerseits ist sie für sie mit ihrem öden, heruntergekommenen Realsozialismus völlig indiskutabel, andererseits trauen sie ihr aber einen durchaus respektablen Rest an revolutionärem Internationalismus zu. Weil aber die inneren Verhältnisse der Sowjetunion aus der politischen Diskussion völlig ausgeblendet werden und der Ostblock ein blinder Fleck in der politischen Geographie der Linken ist, kann sich der Mythos von seiner Rolle als Freund der Verdammten dieser Erde23 so hartnäckig halten. Die Fakten sprechen eine andere Sprache.

Das Ideal des revolutionären Internationalismus hat niemals die sowjetische Außenpolitik bestimmt

weder zu Zeiten Stalins24, der die kommunistischen Parteien Deutschlands und Jugoslawiens ans Messer geliefert hat und die kommunistische Widerstandsbewegung Griechenlands an die Aliierten, noch zu Zeiten Chruschtschows25, Brechnews26 oder Andropows.27 Die sowjetische Außenpolitik war vielmehr bestimmt von geostrategischen Interessen und dem Vorrang ihrer Existenzsicherung. Das Streben nach Anerkennung und Ausgleich mit dem westlichen Imperialismus und nicht nach Weltrevolution zieht sich wie ein roter Faden durch ihre weltpolitischen Aktivitäten. So empfing sie Kissinger zu Entspannungsgesprächen, während die USA Haiphong28 bombardierten und war bereit, sich aus geostrategischen Interessen mit blutrünstigen Diktatoren wie Idi Amin29 und Siad Barre30 zu verbünden. Auch im Handel mit der 3. Welt kann und will der Ostblock keineswegs auf die Vorteile verzichten, die ihm auf diesem Gebiet aus der internationalen Arbeitsteilung erwachsen:
Interessanterweise weisen die sozialistischen Länder denn auch im Handel mit den unterentwickelten Ländern einen wachsenden Überschuß auf; d.h. die unterentwickelten Länder haben sowohl gegenüber den imperialistischen Ländern als auch gegenüber den sozialistischen Ländern ein Defizit, so daß der zunehmende Austausch mit den sozialistischen Ländern das Defizit der unterentwickelten Länder nur noch vergrößert. (A.G. Frank)
Das heißt: der Ostblock versucht die Verschlechterung seiner Zahlungsbilanzen gegenüber den imperialistischen Ländern im Handel mit der 3. Welt abzufangen. Was die RGW31-Staaten für den Technologie-Import aus der westlichen Welt zahlen müssen, schaffen sie über den Warenexport an die 3. Welt und zu deren Lasten wieder heran.
Über die Devisenbeschaffung hinaus benutzt der Ostblock die Wirtschaftsbeziehungen mit der 3. Welt zur Sicherung von Rohstoffen. Und die ohnehin nur knapp bemessene Entwicklungshilfe, die überdies nur zu harten Konditionen gewährt wird, wird auch von sozialistischen Ländern nicht unter der Maßgabe verteilt, wirtschaftliche Unabhängigkeit zu schaffen und zu stabilisieren. Vorrang hat auch hier wie in der Außenpolitik das Interesse an der strategischen Lage der meisten Bezieherländer.
Trotz alledem kann nicht bestritten werden, daß die Voraussetzungen für die Befreiungskämpfe in der 3. Welt ohne die Sowjetunion denkbar schlechter wären. Allein die Existenz einer konkurrierenden Supermacht hat den Spielraum der imperialistischen Staaten immer wieder beschnitten und umgekehrt die Sowjetunion dazu veranlaßt, Befreiungsbewegungen im Einflußbereich des Gegners zumindest partiell zu unterstützen.
Diese Tatsache hat jedoch nicht verhindern können, daß der Einfluß der Sowjetunion als Weltmacht in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist selbst in ihrem ureigensten Einflußbereich. Solange die Sowjetunion in der 3. Welt auf dem Vormarsch war, war sie es vor allem als Ergebnis kolonialer Auflösungsprozesse. Um diesen Einfluß zu stabilisieren, nachdem die Befreiungsbewegungen Nation, Staat geworden waren, hätte es in erster Linie ökonomischer Mittel bedurft. Die Sowjetunion hat aber gegenüber dem Imperialismus den entscheidenden Nachteil, daß ihr Expansionismus auf Mangel und nicht auf Überschuß gegründet ist. Sie kann nicht auf die sanfte Gewalt einer aus ihrer Logik heraus expandierenden Produktionsweise zurückgreifen, um Abhängigkeiten dauerhaft zu gestalten. Gerade wegen ihres Mangels an ökonomischer Potenz stößt die Sowjetunion in der 3. Welt so schnell an ihre Grenzen, ist sie auf die Reklamation eines weltpolitischen Idealismus im Namen der Völkerfreundschaft oder aber auf rein militärische Formen der Sicherung von Einflußzonen verwiesen.
So ist der Sowjetunion die einzig dauerhafte Erweiterung ihrer Machtsphäre im Kampf gegen den Faschismus gelungen. Das Bündnis mit China hat sich in jahrzehntelange Feindschaft verkehrt, aus Ägypten ist sie regelrecht rausgeschmissen worden. Kuba und Vietnam müssen wegen des imperialistischen Boykotts weitgehend bezuschußt werden. Angola und Mozambique sind ständig militärischen Angriffen Südafrikas ausgesetzt und gleichzeitig ökonomisch so stark von ihm abhängig, daß sie sich aus dem RGW abgekoppelt haben. Algerien ist ebenfalls stärker vom Weltmarkt abhängig als von der Völkerfreundschaft zur Sowjetunion. Und Libyen und Syrien sind mehr zufällige Partner aus einer augenblicklichen Feindschaft zu den USA heraus. Was bleibt, ist im wesentlichen Waffenhilfe für nationale Befreiungsbewegungen, die nach ihrem Sieg wie Nicaragua auch im Interesse der Sowjetunion versuchen müssen, einen 3. Weg zu gehen, denn diese kann sich weder ökonomisch noch machtpolitisch weitere Kubas leisten.
Auch die militärische Intervention in Afghanistan32 hat die Sowjetunion nicht gerade stärker gemacht, sondern den Beweis geliefert, daß sie selbst in diesem traditionell befreundeten Land ihre Statthalter kaum noch halten kann. Doch entscheidender ist wahrscheinlich, daß dieser Überfall Moskau einen weiteren Sympathieverlust bei den im Lauf der Jahre immer mehr auf Distanz gegangenen Blockfreien33 gekostet hat.
Angesichts dieser Machtverhältnisse blamiert sich jede Rechtfertigung der militärischen Eskalation der NATO, die sich auf den Zwang zur Eindämmung des sowjetischen Expansionismus beruft, bis auf die Knochen und verrät viel mehr über den aggressiven imperialistischen Charakter des westlichen Bündnisses. Die militärische Einkreisung des Ostblocks ist kein Hirngespinst paranoider Sowjetführer, sondern Realität, die täglich neue Fakten schafft: die NATO ist nicht nur selbst übermächtiger Gegner, sondern über die USA auch mit dem ANZUS-Pakt34 (Australien/Neuseeland/USA/Pazifik-Pakt) und der OAS35 (Organisation amerikanischer Staaten) verbündet. Sie verfügt außerhalb ihres Hoheitsgebietes über rund 400 wichtige militärische Basen in aller Welt, vor allem im asiatischen Raum (z.B. Philippien), und sie forciert gerade in jüngster Zeit neben dem Zugewinn neuer Stützpunkte in Afrika (Ägypten, Somalia, Kenia, Sudan, Marokko) und dem Nahen Osten (Saudiarabien, Oman) den Ausbau bzw. die Modernisierung ihrer weltweiten militärischen Infrastruktur. Buchstäblich in die Zange genommen wird der Ostblock allerdings durch die neuen Operationen, die sich direkt an seinen Grenzen abspielen.
Der bedrohliche Würgegriff reicht von der Ausrüstung Westeuropas mit Präzisions- und Erstschlagwaffen über den Ausbau des NATO-Flugzeugträgers Türkei zum neuen imperialistischen Kettenhund anstelle des Iran bis zur Bildung eines Oberkommandos Südwest-Asien, das die Region von Ägypten bis Pakistan beherrscht und den Persischen Golf mit einschließt. Die Einkreisung setzt sich fort in Japan, das sich voll in die NATO-Strategien integriert hat, d.h. im Kriegsfall die Ausgänge aus dem Japanischen Meer vermint, um die sowjetische Flotte bei Wladiwostok einzuschließen, amerikanische F-16 Kampfflugzeuge stationiert und gemeinsam mit den USA gegenüber Sadchalin dem strategischen Zentrum der Sowjetunion auf Hokkaido Landmanöver trainiert. In dieser Front wird neuerdings auch China zumindest als Horchposten, aber auch über Technologie- und Waffenlieferungen eingebunden.

Die Entspannungspolitik ein Lehrbeispiel politökonomischer Ruinierung

Diese systematisch vorangetriebene militärpolitische Einkreisung des Ostblocks kann in ihrem Kern nur so interpretiert werden, daß sie direkt auf dessen Substanz als politisches und militärisches Bündnis zielt. Noch waren die Mittelstreckenraketen in Europa nicht stationiert, noch war also der atomare Vorsprung nicht erreicht, und dennoch versuchte die US-Regierung die Aufnahme der Verhandlungen über die Stationierung von Zugeständnissen der Sowjetunion in Polen abhängig zu machen. Gespräche seien nur dann möglich so hieß es vor einem Jahr , wenn die sowjetische Militärpräsenz in Polen und an den Grenzen des Landes in etwa auf den Stand vor Beginn der Polen-Krise36 zurückgeschraubt würde. Dies demonstriert im Vorfeld, welch qualitativ verschärfte Möglichkeiten der Druckausübung auf die inneren Verhältnisse des Ostblocks sich der westliche Imperialismus von seinem strategisch neuen Erpressungspotential verspricht.

Die vielerorts beklagte Zuspitzung des Ost-West-Konflikts wird fälschlicherweise als Bruch und Kontrapunkt zur vorausgegangen Ära der Entspannungspolitik definiert, stellt sich aber bei genauerem Hinsehen als deren logische Konsequenz und Weiterverfolgung mit anderen Mitteln heraus. Die Entspannungspolitik war niemals diese treuherzige Aussöhnung mit der Realität des sozialistischen Blocks, als was sie sich verkaufte. Im Gegenteil

der Ostblock hat sich für das Linsengericht seiner Anerkennung als Handels- und Verhandlungspartner und der damit vermeintlich verbundenen Anerkennung seiner Existenz den schleichenden Zugriff des freien Westens auf seine ökonomischen und politischen Strukturen eingehandelt. Die Länder des Staatssozialimus und der Planwirtschaften haben sich aus gutem Grund jahrzehntelang gegen den Weltmarkt abgeschottet, denn dessen ausschließliche Nutznießer waren schon immer seine Subjekte, die imperialistischen Metropolen. Alle anderen werden darin zu Objekten, zu mehr oder weniger rentabler Manövriermasse gemacht.
Ein Jahrzehnt Entspannungspolitik hat genügt, um den RGW zu unterhöhlen. Denn seine Grundlage ist nicht die Warenzirkulation, sondern sind multilaterale, arbeitsteilige Produktionsvereinbarungen zur Stärkung der wirtschaftlichen Potenz des Bündnisses im Klartext: er basiert auf Mangelausgleich. Entsprechend sind die Währungen des Ostblocks kein international anerkanntes Geld, sondern interne Verrechnungseinheiten. Der angestrebte Technologietransfer aus dem kapitalistischen Westen brachte folglich den Zwang zur Devisenbeschaffung mit sich. Das bedeutet die Einrichtung von Exportbranchen auf Kosten der Produktion innerhalb des RGW, langfristige und damit teure Lieferungen an Rohstoffen und Materialien, die in Form von Kompensationsgeschäften und schließlich über die Einführung des Verlagssystems und der Lizenzfabrikation die Vermietung von Produktionshallen, Arbeitskräften und Rohstoffen an den imperialistischen Westen.
Vor allem aber die Subsumierung unter das internationale Kreditsystem war der Hebel, den Ostblock zu immer umfassenderen Zugeständnissen an das kapitalistische Geschäft zu zwingen, d.h. zum ungehinderten Kauf und Verkauf von Arbeitskraft und Kapital in Form von Direktinvestitionen. Wie weit die ökonomische Erosion des Ostblocks heute gediehen ist, belegt das gigantische Volumen seiner Kreditverschuldung, so daß heute in den Direktorien der Deutschen Bank oder des IWF mit darüber entschieden wird, ob ein 5-Jahres-Plan erfüllbar ist oder nicht. Die Wirtschaftspolitik in den RGW-Staaten ist vom Mangelausgleich zwischen Plan- und Bedarfswirtschaft zur Konkurrenz um westliche Kredite verkommen, und es ist nicht erkenntlich, wie dieser Prozeß auch in seinen politischen Dimensionen aufzuhalten ist. Die Polenkrise ist hierfür sichtbarster Ausdruck. Rumänien mit seiner engen Anlehnung an den Westen, der Kontaktaufnahme zu China und den regen Beziehungen zu Israel braucht keine Sanktionen zu befürchten. Die DDR und Ungarn bieten inzwischen dem Westen Arbeitskräfte zur Vermietung an.
In diesem Zusammenhang muß die militärische Eskalation des imperialistischen Westens als konsequente Fortsetzung der Entspannungspolitik mit anderen Mitteln begriffen werden. Die Sowjetunion soll mit dem überlegenen atomaren Drohpotential neutralisiert, d.h. erpreßbar, werden und mit gefesselten Händen dem Zerfall ihres Staatenbündnisses, dessen Zurichtung und Vernutzung unter kapitalistische Verwertungsbedingungen und dem damit einhergehenden politischen Systemwandel zusehen müssen.
Die sowjetischen Führer müssen wählen zwischen einer friedlichen Änderung ihres kommunistischen Systems in die vom Westen verfolgte Richtung oder in den Krieg ziehen. (Richard Pipes, US-Außenministerium)
Im Entsetzen über die obszöne Offenheit dieser Programmatik geht meist ihre eigentliche Bedeutung unter: die absolute Machtüberlegenheit und Souveränität, die sich des Erfolgs ganz sicher dünkt. Erscheint doch endlich nach 40 Jahren ein Fehler der Geschichte korrigierbar, der laut Churchill37 darin bestand, daß mit dem Faschismus das falsche Schwein geschlachtet wurde. Der Zweck des heutigen imperialistischen Aufmarsches ist in erster Linie die schrankenlose kapitalistische Durchdringung und Ausbeutung des Ostblocks, gerade auch um die Krisen- und Neustrukturierungskosten auf ihn abzuwälzen, und nicht seine militärische Vernichtung.
Die bewußt geschürten Kriegsängste und Bedrohungsgefühle sollen den Blick dafür trüben, daß wir nicht die Opfer sind, sondern wieder mal andere im Interesse des freien Westens in die Knie gezwungen werden sollen. Wer dies als Kampf der Supermächte interpretiert, unterschlägt, daß das westeuropäische Kapital allen voran das westdeutsche ein ureigenstes Interesse an der Kapitulation des Ostblocks hat, war es doch der Hauptbetreiber und Profiteur der Entspannungspolitik.
Hinter dem Willen zur Unterwerfung auch dieses letzten Bereichs des Globus unter kapitalistische Verwertungs- und Akkumulationsbedingungen scheint das Projekt der Zukunft hervor. Denn eine dem westlichen Imperialismus gänzlich zur Nutzung unterworfene Welt ermöglicht auch ganz andere Formen der Reichtumsakkumulation und der Herrschaftssicherung.


aus: Die Fruechte des Zorns
Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionaeren Zellen und der Roten Zora
ID-Archiv im IISG/ Amsterdam (Hg.)
ISBN: 3-89408-023-X
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