Krieg Krise Friedensbewegung In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod Dezember 1983
Wir haben das Phänomen Friedensbewegung bis heute nur in einzelnen Aktionen praktisch kritisiert und uns theoretisch in der Öffentlichkeit bisher so gut wie gar nicht darauf ein- oder dazu ausgelassen. Das heißt nicht, daß wir die Dringlichkeit einer systematischen Auseinandersetzung bestreiten. Vielmehr hat uns die Entwicklung, die diese Bewegung gerade im Vorherbst genommen hat, großen Überdruß bereitet und unsere Lust dazu ziemlich blockiert. Darüberhinaus hat sich einiges in uns gesträubt, zum Regierungsdatum heißer Herbst wie von oben bestellt und durch den Verfassungsschutzpräsidenten bereits angekündigt als Teufel aus der Kiste zu springen und unsere radikale Pflicht zu tun.
Wir bestimmen unsere Zeitpunkte, Ziele und Interventionsformen
gerne selbst und meiden soweit möglich staatlich verordnete
Höhepunkte.
Der Entschluß, uns nur punktuell auf die Friedensbewegung zu beziehen und
nicht unsere gesamte Kraft darauf zu verwenden, die lauwarme Herbstsuppe
auszulöffeln und ihr ein wenig militante Würze beizusteuern, entspricht
jedoch nicht nur einer taktischen Zurückhaltung, sondern begründet sich in
erster Linie in umfassenden inhaltlichen Kontroversen, die uns erst mit der
Zeit in ihrer Tragweite bewußtgeworden sind und die wir deshalb im
folgenden zu einer möglichst breiten und hoffentlich heftigen Diskussion
stellen wollen.
Dabei ist uns klar, daß die Analyse des inneren Zusammenhangs von Krise und
Krieg nur ein Aspekt ist, um an der imperialistischen Verplanung der
Zukunft Risse und Brüche auszumachen, an denen sich neue Revolten entzünden
werden. Daß Widerstand und Aufruhr ihrer eigenen Logik folgen, ökonomische
Tendenz und soziale Praxis also nicht automatisch zusammenfallen, steht auf
einem anderen Blatt, das noch geschrieben werden muß.
Bewegung ist nicht alles!
Die Diskrepanz ist offensichtlich
während Kapital und Staat ihre Krisenstrategie durchsetzen und in anderen Regionen bereits an ganzen Völkern exekutieren, ist in den Metropolen die Kriegsgefahr zum alles beherrschenden Thema geworden. Weder die gezielte Politik der Verarmung noch die tatsächlichen Kriege, die der Imperialismus an verschiedenen Fronten der 3. Welt anzettelt, sondern eine eher abstrakte Vernichtungsdrohung mobilisiert die Menschen in den Zentren zu Hunderttausenden. Nicht eine revoltierende, klassenkämpferische, sondern eine Katastrophenkultur macht sich breit und wird von oben nach Kräften geschürt. Die berechtigte Angst vor sozialer Verelendung, ökologischer Verödung und den möglichen Folgen atomarer Hochrüstung wird übersetzt in die wahnhafte Vorstellung von dem alles vernichtenden Untergang, der nur noch Opfer und keine Täter mehr kennt.
Apocalypse now! scheint das Leitmotiv einer Epoche zu werden,
die sich materiell auf Umstrukturierungen von gigantischem Ausmaß zubewegt.
Die klammheimliche Lust am Weltuntergang wird zur metropolenspezifischen
Reaktion auf eine neue Ära voller unerträglicher Widersprüche, die nur
Vorboten jener Umwälzungen sind. Schon einmal während der 20er Jahre
erwies sich, was als Untergang des Abendlandes1 interpretiert und erlebt
wurde, als globale Krise der Kapitalakkumulation, die bekanntlich nicht das
Ende der Welt, wohl aber einen weiteren Abschnitt kapitalistischer
Entwicklung einleitete, an deren Ausgangspunkt Faschismus und ein
verheerender Krieg standen.
Wo sich Endzeitstimmung breit macht, ist kein Raum mehr für soziale
Utopien. Der Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben steht zurück hinter
der Frage des nackten Überlebens. Jeder Ausweg legitimiert sich von selbst,
wenn er nur Hoffnung auf Rettung verspricht. Was immer unterhalb der
Schwelle der Katastrophe daraus erfolgt, es dient der Abwendung eines
vermeintlich größeren Übels. Die Drohung mit dem Weltuntergang verschafft
den staatlichen Souveränen das Mittel, um jedes Opfer nach innen
durchzusetzen und vergleichsweise zweitrangig erscheinen zu lassen.
Wie einst der Club of Rome2 oder rechte Ökologen im Namen der Natur
einklagten, was vor allem die Krise verlangte, nämlich Bereitschaft zum
Verzicht angesichts des drohenden Ruins sämtlicher Grundlagen menschlicher
Existenz auf diesem Planeten, so beschwören heute Teile des
Friedensbündnisses die atomare Apokalypse, um politische Enthaltsamkeit zu
predigen. Frieden statt Politik hieß es auf der Bonner Kundgebung3 vor
zwei Jahren, wo einem Sprecher verschiedener Freiheitsbewegungen aus eben
diesem Grund das Wort entzogen wurde, als er sagen wollte, was dort unter
Frieden verstanden wird: Friede in unseren Ländern bedeutet nicht allein
Nicht-Krieg-. Friede heißt für uns nationale Unabhängigkeit, soziale
Gerechtigkeit, kulturelle Identität. Friede heißt für uns das Ende der
alltäglichen Gewalt, der ungerechten Strukturen, des Elends, des Hungers,
des Terrors der Herrschenden.
Es ist nur folgerichtig, wenn staatliche Politik hier nicht mehr an ihren
bewußt geschaffenen Fakten und imperialistischen Planungen gemessen wird,
sondern deren Macher als Gefangene einer bedrohlichen Lage entschuldigt
werden, der es nun gilt, gemeinschaftlich Herr zu werden. Beifall und
Sympathie erntete Willy Brandt, als er auf dem letzten Kirchentag über die
Ohnmacht der Mächtigen lamentierte, die zwischen Zweifel und Zuversicht
zerrieben würden. Die Theorie vom Rüstungswettlauf kennt abgesehen von
einem dümmlichen Westernhelden4 und sonstigen ausgemachten Bösewichtern
vom Schlage eines Weinberger5 nur noch Verlierer und keine Veranstalter
mehr. Kritik an der Rüstungseskalation entwickelt sich nicht zur
Fundamentalopposition gegen die Ziele imperialistischer Politik, die mit
den Mittelstreckenraketen abgesteckt werden, sondern bleibt Korrektiv eines
Regimes, das die Konsequenzen seines Handelns angeblich nicht überblickt.
Die Politik des Imperialismus wird von ihrer ökonomischen Basis gelöst und
einer vergleichsweise besseren, vom Willen und Gewissen ihrer
Repräsentanten angeblich unabhängigigen, bürgerlichen Politik auf
derselben Grundlage gegenübergestellt. Als wäre der Sinneswandel der SPD
in Sachen Stationierung tatsächlich Ergebnis eines parteiinternen
Läuterungsprozesses und nicht banale Folge des Machtverlustes! Wer Krieg
nur als abstrakte Gefahr und die atomare Vernichtung vor allem als
technologisches Risiko diskutiert, erteilt deren Betreibern
Generalabsolution. Er attestiert staatlicher Politik indirekt, was deren
Vertreter ohnehin unablässig von sich behaupten: daß die Bewahrung des
Friedens ihr ureigenstes Anliegen sei und man sich lediglich im Weg zum
selben Ziel unterscheide. Der Protest gegen die Nachrüstung versackt so
in der Debatte um Fragen der Sicherheitspolitik, die pazifistischen
Ambitionen verkehren sich in Lektionen über alternative Wehrkunde. Die
Stationierung der Raketen soll nicht gegen den Willen der Regierung,
sondern kraft Überzeugung und besserer Argumente verhindert werden. Eben
deshalb bleiben so viele Aktionsformen aus den Reihen der Friedensbewegung
von der Unterschriftensammlung bis hin zum frömmelnden Fasten, dessen
Effekt in erster Linie in der Genugtuung über die eigene Opferbereitschaft
besteht stets Appell an die Vernunft, getragen von der durch nichts zu
belegenden Hoffnung, daß gute Gründe oder Moral und nicht etwa die
Notwendigkeiten der Kapitalverwertung den Machthabern die Maßstäbe
diktieren, die sie ihren Entscheidungen zugrunde legen.
Eine solche Politik gewinnt die Anhängerschaft, die sie verdient! Jenes
breite Bündnis, auf das sich die Sprecher der Friedensbewegung zum Beweis
ihrer vermeintlichen Stärke zu gerne berufen, war nur um den Preis der
Unterdrückung sozialrevolutionärer und antiimperialistischer Inhalte zu
kriegen und auf Dauer zusammenzuhalten. Die hektischen Reaktionen und
kriecherischen Distanzierungen von den Blutspritzern6 im hessischen Landtag
offenbaren nicht nur, wie schmal der Konsens ist, sondern vor allem, daß er
immer wieder gegen links durchgesetzt und behauptet werden muß. Und wenn
dieselben Leute zum hundertsten Mal daherbeten, daß die Perspektiven der
Friedensbewegung in ihrer Verbreiterung liegen und deshalb jegliche
Eskalation an der Spitze eben diesen Perspektiven abträglich sei, so meint
das nichts anderes, als daß die Ausschaltung eines linken Radikalismus in
diesem Land noch allemal honoriert wird und zumindest demoskopisch positiv
zu Buche schlägt.
Dennoch geht man von falschen Voraussetzungen aus, wenn diesen Leuten heute
von Seiten der Autonomen Verrat vorgeworfen wird. Es ist widersinnig, eine
in ihrer Mehrheit bürgerliche Protestbewegung mit dem Maßstab
revolutionären Widerstands zu messen, um ihr dann ihre Halbheiten
vorzuhalten. Ein solcher Vorwurf zeugt weniger vom Ausverkauf der
Friedensbewegung durch deren Verwalter, als vielmehr von den enttäuschten
Erwartungen auf Seiten des autonomen Spektrums.
Wieder einmal hat sich die falsche Hoffnung, daß die Bewegung vielleicht
doch alles und das Ziel nur zweitrangig ist, als Trugschluß erwiesen,
dessen Folgen in erster Linie wir alle auszubaden haben. Hinterher ist man
meistens schlauer: eine falsche Politik wird nicht dadurch richtiger, daß
man sie von innen her zu radikalisieren versucht. Allzu schnell sind die
Ansätze eines radikalen Antimilitarismus, die im Widerstand gegen die
öffentliche Rekrutierung in Bremen und Hannover7 zum Tragen gekommen waren,
auf der Strecke gebleiben. Anstatt diese Ansätze weiterzutreiben hin zu
einer umfassenden autonomen Gegenbewegung, die nicht bei der Raketenfrage
stehenbleibt, sondern die Verhältnisse angreift, die die Vernichtungswaffen
hervorbringen, und den bürgerlichen Pazifismus mit einer solchen
Gegenbewegung praktisch zu konfrontieren, wurden in der Hoffnung auf die
gegenseitige Potenzierung verschiedener Protestebenen und nicht zuletzt
mangels eigener Perspektiven Vermittlungsmöglichkeiten gesucht. Die
Orientierung des autonomen Spektrums an der Friedensgemeinde hat jedoch
nicht zu der erhofften Vielfalt unterschiedlicher Aktionsformen, zur
Synthese von Massenprotest und Militanz geführt, sondern zu deren Anpassung
an einen von Realpolitikern kontrollierten Rahmen. Die faktische
Beschränkung auf das von der offiziellen Friedensbewegung vorgegebenn,
angeblich erreichbare Nahziel Keine Pershing 2 und das heißt die
Abkoppelung der Stationierung von ihrem imperialistischen Zweck ist nicht
nur auf gefährliche Weise falsch, weil sie die Waffen und nicht die
Menschen, die sie dirigieren, in den Mittelpunkt des Problems rückt. Sie
impliziert darüberhinaus die Neutralisierung sozialrevolutionärer
Zielsetzungen, da der Rückschluß auf die unmittelbare Betroffenheit aller
Menschen dieses Landes dem Widerstand jeglichen klassenpolitischen Bezug
nimmt. Die Differenz zum Bürgerprotest reduziert sich so leicht auf die
abstrakte Gewaltfrage und dies auf einem Terrain, auf dem Militanz ohnehin
kaum eine Chance hat, als tatsächliche Alternative begriffen zu werden.
Denn durch die Konzentration auf Militärstützpunkte und Ministerien, also
auf die Bastionen der Macht, wo sie am stärksten und am besten gerüstet
ist, wird jeglicher Aktionsdynamik der Spielraum genommen. Hier gibt es für
uns bei den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen nichts zu gewinnen, weil wir
auf diesem Terrain nicht die Wahl der Waffen haben. Für den Schwächeren
ist die Bestimmung des Orts der Auseinandersetzung von entscheidender
Bedeutung und unsere einzige reelle Chance. Sonst überlassen wir den
Protagonisten des plattesten Widerstandssymbolismus in Form von
Körperblockaden, Menschenteppichen und Die-In's8 von selbst das Feld.
Die Probleme des US-Imperialismus und die Wunderwaffe
Was immer über den Zweck der NATO-Nachrüstung gesagt oder geschrieben worden ist es geht davon aus, daß die militärische Eskalation Ausdruck der Schwächung des US-Imperialismus ist. Angeschlagen durch eine Serie von Niederlagen in der 3.Welt, die die Sowjetunion sich zunutze gemacht hat, um in das jeweils entstandene Machtvakuum nachzurücken und dort Bastionen des realen Sozialismus zu etablieren, und unter dem wachsenden Druck der einstigen Satelliten Westeuropa und Japan, die sich mit der Zeit zu bedrohlichen Konkurrenten gemausert haben, gehen demnach die USA auf Konfrontationskurs, um das internationale Kräfteverhältnis noch einmal zu ihren Gunsten zu gestalten. Die Stationierung der Mittelstreckenraketen erscheint als geradezu genialer Schachzug, um die verschiedenen Probleme auf einen Schlag in den Griff zu kriegen
Der Ostblock wird durch die Cruise Missile und die Pershing erpreßbar und zumindest zu weltpolitischer Neutralität gezwungen.
Dadurch bekämen die USA wieder freie Hand in den bevorstehenden konventiellen Kriegen im Mittleren Osten und Zentralamerika.
Und schließlich würden der Konkurrenz aus dem eigenen Lager über die atomare Abhängigkeit die Grenzen gesteckt. Die BRD würde zum Faustpfand im Krieg der USA gegen die 3. Welt, zur Geisel, die gleichzeitig im Zuge der Bereinigung innerimperialistischer Widersprüche geopfert werden kann. Daß die neue Aufrüstungsphase und die damit einhergehende Verschärfung internationaler Gegensätze Ausdruck tiefgreifender ökonomischer und politischer Veränderungen in der Welt ist, ist unbestritten. Wir glauben allerdings mittlerweile, daß die genannten Erklärungsversuche, die sich wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung und erst recht mit unterschiedlichen Schlußfolgerungen bei den meisten Fraktionen aus dem breiten Spektrum der Friedensbewegung finden lassen, dem eigentlichen Zweck der Stationierung und den imperialistischen Interessen, die hinter den militärstrategischen Entscheidungen stehen, nur zum Teil oder auch gar nicht gerecht werden.
Die BRD Geisel oder die Nr. 2 der NATO
Weder die Tatsache, daß die BRD als Projekt der amerikanischen Nachkriegsordnung gegründet worden ist, noch der Umstand, daß das deutsche Kapital diese Chance zu nutzen verstanden hat, um auf der Grundlage funktionierender Ausbeutung und wohl fundierter politischer Macht sich auch weltweit wieder Respekt und Einfluß zu verschaffen, begründen die Annahme, daß sich die USA nun neokolonialer Praktiken bedienen und uns unter Ausnutzung ihrer Rechte als Besatzungsmacht atomare Raketen aufzwingen, um so einen lästig gewordenen Konkurrenten in die Enge zu treiben und nötigenfalls auf dem nuklearen Schlachtfeld zu opfern. Es sind auch Großmachtphantasien, die dazu verleiten, aus der Banalität, daß deutsche Interessen dort an ihre Grenzen stoßen, wo gemeinsame Belange des westlichen Lagers berührt sind, den Schluß zu ziehen, daß es um die Eigenständigkeit der BRD schlecht bestellt ist.
Zwar ist die Souveränität nur im Rahmen und zu den Konditionen
der pax americana9 zu haben, aber diese Bedingung war und ist allemal die
Garantie für den unnachahmlichen Höhenflug dieser Republik zum
Modellstaat.
Zwar produzieren die Notwendigkeiten der Kapitalverwertung stets aufs neue
Rivalitäten zwischen den Hauptzentren der Kapitalakkumulation, versucht
sich eine Seite auf Kosten der anderen (und in der Regel auf dem Rücken
dritter) ökonomisch nutzbaren politischen Vorteil zu verschaffen. Aber
dieses Gerangel innerhalb der Trilateralen um Marktanteile und Einflußzonen
ist weniger Beleg für wachsende grundsätzliche Interessensdifferenzen,
sondern eher dafür, mit welchem Feuereifer sie dem gleichen,
gemeinschaftlichen Geschäft nachgehen, das bekanntlich durch Konkurrenz
belebt wird. So treten all diese Konkurrenzen letztlich zurück hinter dem
von den USA gesetzten und den übrigen Staaten des westlichen Bündnisses
nachvollzogenen gemeinsamen Willen der verschiedenen Abteilungen, ihre
Interessen möglichst noch im letzten Winkel dieses Planeten
durchzusetzen.
Instrument dieses gemeinsamen Interesses ist die NATO. Die BRD als
unbestrittene Nr. 2 innerhalb dieser supranationalen Struktur der
Westmächte ist nicht Faustpfand sondern Pfeiler der NATO und begründet
umgekehrt eben gerade darauf ihre Macht. Die Stationierung entspringt
nicht dem Zwang, sich im Gefolge amerikanischer Hegemonialpolitik bewähren
und wenn es denn unbedingt sein muß auch ans Messer liefern zu müssen,
ist nicht Rückfall in die Bedeutungslosigkeit, sondern ein weiterer
Meilenstein auf dem Erfolgsweg dieser Republik. Sie ist das Ergebnis der
wirtschaftlichen und politischen Weltmachtstellung, die sich in der
Übernahme militärischer Verantwortung beweist.
Es ist auf Dauer kein deutsches Vorrecht, nur Nutznießer einer Situation
zu sein, für die andere, wie die USA, Großbritannien und Frankreich, die
Voraussetzungen schaffen. Ein deutscher Beitrag in der einen oder anderen
Form könnte eines Tages unausweichlich sein. (Schenck/SPD)
Die Zeiten also, in denen die anderen die Drecksarbeit machen mußten,
während der BRD-Staat lediglich zahlt und sich im übrigen immer unter
Verweis auf seine historische Erblast den eleganteren Methoden
imperialistischer Durchdringung widmete, nähern sich endgültig ihrem Ende.
Die Neudefinition des NATO-Auftrages, nämlich die Sicherung vitaler
Interessen außerhalb Europas oder im Klartext: Die ganze Welt ist Sache
der NATO (Haig10), verlangt eine neue innerimperialistische Arbeitsteilung
zwischen den Mitgliedsstaaten. Die BRD wird im Rahmen dieses
arbeitsteiligen Konzepts neben den USA, Großbritannien, Frankreich und
dem Nicht-NATO-Mitglied Japan zum Kern einer Gruppe von
Schlüsselstaaten, die in der ihrer Zuständigkeit unterworfenen Region für
Ordnung zu sorgen haben. Wie sehr sich die BRD diese Verantwortung zu
Herzen genommen hat, kann man u.a. den Berichten über Folter und Mord in
der Türkei entnehmen. Dieses strategisch so wichtige Land an der
Südostflanke der NATO mußte innerhalb kürzester Zeit mit Krediten und
militärischer Ausrüstung zum Ersatz für den Iran hochgezogen werden. Daß
sich ein solches Programm nicht mit den geheiligten Prinzipien von Frieden,
Freiheit und Demokratie, sondern nur mit der terroristischen Gewalt einer
Militärjunta umsetzen läßt, ist bittere Routine im politischen Geschäft.
Von sanfter Tour, die dem BRD-Imperialismus nachgesagt wird, kann da kaum
die Rede sein. Sie stößt sehr schnell an ihre Grenzen, wenn elementare
Positionen und Vorteile der Allianz auf dem Spiel stehen.
Die Stationierung der Pershing 2 auf westdeutschem Boden hat nichts mit
Selbstaufgabe und dafür umso mehr mit der Entwicklung der BRD zu einem der
Schlüsselstaaten der NATO zu tun. Anders als Großbritannien oder
Frankreich, deren Armeen direkt an den Fronten der 3. Welt aufmarschieren
sollen oder bereits aufmarschiert sind (Libanon/Tschad11/Malvinen12), muß
sich die BRD vor allem in ihrer Funktion als vorderste Linie im
Ost-West-Konflikt bewähren. Sie ist keineswegs nur Drehscheibe, nur
Hinterland des militärischen Nachschubs für einen Krieg, den andere
ausfechten.
Das Wartime Host Nation Support Agreement verpflichtet die BRD, jene
Lücken zu schließen, die ein Abzug von US-Truppen infolge eines Waffengangs
im Mittleren Osten reißen würden. Im Zuge der Nachrüstung soll ein
westeuropäisches Gleichgewicht zum Warschauer Pakt13 hergestellt werden,
der NATO-Zweck soll von Westeuropa aus allein durchsetzbar sein. Kein
Wunder also, daß die russischen Diplomaten in Genf14 mit ihrer Forderung
nach Berücksichtigung der englischen und französischen Atomwaffen beim
Hochrechnen der Megatonnen wieder und wieder auf Granit gestoßen sind.
Jene von Teilen der Friedensbewegung genährte Legende von der Geisel
Europa und vom Faustpfand BRD, die in erster Linie den westdeutschen
Imperialismus verharmlost, stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Mit der
Nachrüstung verschafft sich die NATO den stategischen Vorteil, die
Schlachtfelder der Zukunft wieder selbst definieren, d.h. den Kampf zum
Gegner tragen zu können (Airland-Battle). Die Epoche, wo Kriege zwischen
den Blöcken nur auf dem Niveau des atomaren Schlagabtauschs und um den
Preis gegenseitiger Auslöschung denkbar waren, geht zu Ende. Die
Kriegsgefahr besteht nicht etwa in der abstrakten Möglichkeit einer
atomaren Katastophe als Folge der Produktion und Lagerung von
overkill-Kapazitäten eine Möglichkeit, die in der BRD (und keineswegs nur
hier) bekanntlich seit Jahrzehnten gegeben ist sie besteht vielmehr
darin, daß die NATO-Staaten mit den qualitativ neuen Waffensystemen Kriege
für sich wieder kalkulierbarer gemacht haben. Die Konstruktion der Pershing
2 bedeutet Option zum strategischen Erstschlag. Ihre technischen
Eigenschaften wie Präzision, Flugdauer und Reichweite erlauben es, atomare
Gefechte unterhalb des allgemeinen Infernos zu inszenieren und zwar dort,
wo man den Gegner stellen will. Der Rogers-Plan15, das Konzept
Airland-Battle16 zum Teil mit Erleichterung aufgenommen, wird doch Krieg
scheinbar wieder auf das erträgliche Niveau konventioneller Waffengänge
zurückgeschraubt geben den Rahmen ab, innerhalb dessen die Nachrüstung
ihren Sinn bekommt. Sie eröffnet mit der Fähigkeit des westlichen
Imperialismus zum wenn auch noch so verheerenden Sieg eine neue Ära, in
der der Möglichkeit, unterhalb dieser Schwelle weltweit und umfassend
sowohl ökonomisch wie auch politisch erpressen zu können, keine Schranke
mehr gesetzt sein soll. Widersetzen sich die Opfer diesen Manövern, so
werden aus ihnen Aggressoren gemacht, die eine militärische Antwort
herausfordern.
Imperialismus und 3. Welt
der Bankrott nationaler Entwicklungsmodelle
Während die Mehrheit der Friedensbewegung von der Angst umgetrieben wird, sie selbst, unser Land, ja ganz Europa könne Schlachtopfer im Kampf der Supermächte werden, hat die radikale Linke immer wieder versucht, diese eurozentristische und rassistische Einengung zu durchbrechen und die Kriege, Völkermord- und Vernichtungsstrategien ins Bewußtsein zu rücken, die der Imperialismus mitten im 40jährigen Frieden in ununterbrochener Folge an den Völkern der 3. Welt exekutiert hat. Diese richtige Diskussion über die trikontinentale Dimension der neuen NATO-Strategien rückte gleichzeitig die Stationierung in ein anderes Licht. Sie war Beweis für die aggressive Gegenoffensive des durch Vietnam, Ölkrise17, Iran, Nicaragua usw. in seiner Vormachtstellung bedrängten US-Imperialismus, der überall, wo er in dieser Welt auf seine Grenzen stößt, die Sowjetunion als Drahtzieher ausmacht und diese mit seinen qualitativ neuen Waffensystemen nun zwingen will, die Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen in der 3. Welt einzustellen. Es ist unbestritten, daß die Voraussetzungen für die trikontinentalen Befreiungskämpfe ohne die Sowjetunion denkbar schlechter wären und allein schon die Existenz einer konkurrierenden Großmacht direkte militärische Intervention der imperialistischen Staaten riskanter macht. Trotzdem ist die Neutralisierung der Sowjetunion unserer Meinung nach nicht der Hauptzweck der Nachrüstung. Ob angeschlagen oder führungsschwach, die wirtschaftliche, politische und militärische Potenz des imperialistischen Lagers gibt ihm auch ohne Nachrüstung die Macht, den Völkern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas seine zerstörerischen Ausbeutungs- und Vernutzungsbedingungen aufzuherrschen bzw. die Früchte ihrer schwer erkämpften Siege so bitter zu machen und zu vergiften ein Erbe, mit dem z.B. Vietnam auf Generationen zu kämpfen hat.
Die überwiegende Mehrheit der Länder der 3. Welt ist heute
durch die Metropolen in einem Ausmaß ruiniert, das zur Verzweiflung treiben
kann. Meist ist die Selbstversorgung dieser Völker so umfassend zerstört
worden, daß sie zu ihrem physischen Überleben auf Nahrungsmittelimporte aus
den Zentren angewiesen sind. Die Zerstörung der Subsistenzwirtschaft war
von Anfang an erklärtes Ziel der imperialistischen Entwicklungsstrategie.
So beklagt die Trilaterale auf ihren Weltwirtschaftsgipfeln unter dem
Stichwort Welthungerkatastrophe keine Fehlentwicklung, sondern kann sich
bescheinigen, auf ganzer Linie erfolgreich gewesen zu sein. Ebenso wenig
hatten die verschiedenen nationalen Entwicklungsmodelle jemals eine Chance.
Beschränken wir uns auf die wichtigsten, das Model Handelsnation, das
vornehmlich Afrika beherrscht und das Modell Schwellenland, von dem sich
die AKP-Staaten (Asien/Karibik/Pazifik18) einen Ausweg aus der Misere
versprochen haben.
Die afrikanischen Handelsnationen als Erben monokultureller Zurichtung
während der Kolonialzeit forcieren bekanntlich den Export landeseigener
Naturalien und Rohstoffe auf Kosten der nationalen Selbstversorgung in der
Hoffnung, auf diese Weise an Devisen als Voraussetzung nationaler
Reichtumsakkumulation zu kommen. Da ihre Exporte jedoch keinem nationalen
Überschuß entspringen, können sie auf dem Weltmarkt dafür keine Preise
verlangen, die den Gestehungskosten entsprechen. Der Preis wird ihnen
demnach von den Abnehmern diktiert, also auf den Spekulationsmärkten der
Warenbörsen in den imperialistischen Zentren festgesetzt. Die afrikanischen
Länder haben von sich aus keinerlei Druckmittel in der Hand. Sie können
nicht mit Boykott drohen, sondern müssen im Gegenteil um die Abnehmer ihrer
Naturalien noch untereinander konkurrieren. Daß auf diese Weise ihre
Handelsbilanzen ins Bodenlose versinken und die Länder mit ihnen, ist wie
gesagt keine beklagenswerte Fehlentwicklung, sondern das Ziel der
Entwicklung zur Unterentwicklung (Amin/Frank). Vor allem
lateinamerikanische Staaten wie Mexiko, Argentinien und Brasilien haben
versucht, als sogenannte Schwellenländer aus der monokulturellen Zurichtung
für den Imperialismus durch eine eigenständige Industrialisierung
herauszukommen (darauf gründet sich der Mythos des Peronismus19 und daran
scheiterte er auch). Die Erfahrung, daß das Nachholen der ursprünglichen
Akkumulation im Rahmen eines durchkapitalisierten Weltmarktes nicht möglich
ist bzw. nicht zugelassen wird, bezahlen diese Länder heute mit ihrem
realen wenn auch nicht formellen Bankrott. Da sie eine einheimische
Industrie nicht mit akkumuliertem Kapital, sondern nur über Verschuldung
aufbauen konnten, war der ganze Rattenschwanz von Inflation, Spekulantentum
und letztendlich ihre Kolonisierung unter das imperialistische Kreditsystem
bereits vorprogrammiert. Schon längst sehen sie sich wieder gezwungen in
Konkurrenz mit den Habenichtsen dieser Welt ihren Gläubigern Land und
Leute als freie Produktionszonen20 zum Ausverkauf anzudienen bzw. sich
als Militärbasen und Stabilisierungsfaktoren in ihrer Region
anzubieten.
Es scheint so, als seien diese ruinösen Formen postkolonialer Zurichtung
und Auspressung der 3. Welt für den Imperialismus unter dem Gesichtspunkt
der Kapitalverwertung nicht mehr wesentlich steigerbar. Ein erstes Fazit
daraus hat der Wirtschaftsgipfel in Cancun gezogen, auf dem die westlichen
Staaten mit der ihrer Macht eigenen Zynik an die Adresse der 3. Welt
erklärten, daß sie von nun an nichts mehr zu verschenken haben, daß keine
übergebührlichen Rücksichten mehr genommen werden können und eine
grundsätzliche Revision und Limitierung ihres- viel zu großzügig vergebenen
Kreditvolumens anstehe.
Die Daumenschrauben werden immer enger angezogen und die brutalen
Auswirkungen dieser endgültigen wirtschaftlichen Ruinierung sind in ihrem
Ausmaß überhaupt nicht absehbar. Hungerrevolten wie in Brasilien sind
sicherlich erste Vorboten. Der forcierte Nationalismus, dieses
zweischneidige Erbe der Entkolonialisierung, der so lange nationale Eliten
und Unterklassen zusammengeschmiedet hat, wird als Klammer offensichtlich
brüchig. Dies beschwört einerseits die Gefahr von Kriegen herauf; der Krieg
am Golf und das Malvinenabenteuer der argentinischen Generäle müssen auch
als Versuch verstanden werden, die jeweiligen Nationen hinter sich
zusammenzubringen. Auch die neuerdings hervorgebrachte Kritik der
einheimischen Eliten am mörderischen Diktat des IWF entspringt sicher
nicht nur lauter Empörung, sondern auch der Absicht, sich selbst als
Beteiligte und Nutznießer an der Ruinierung ihrer Völker aus der Schußlinie
zu bringen.
Viel wichtiger ist jedoch, daß in den neuen Revolten21, die in den Slums
und Elendsquartieren der 3. Welt gären, die Frage anders gestellt wird. Es
geht nicht mehr um trügerische nationale Souveränität, an die sich so viele
Hoffnungen knüpften, die den Massen aber meist nichts einbrachte außer
einem Staat, der nur kostete und den sie nicht brauchen, einer Armee,
Verwaltung, Wahlen, Kleinfamilie usw. alles Dinge, die kein Mensch
braucht und eine Bäuerin oder ein Arbeiter in der 3. Welt schon gar nicht.
Was sie brauchen, nämlich die stofflichen Grundlagen für ein
menschenwürdiges und gutes Leben, hat ihnen die nationale Befreiung allein
nirgends gebracht. Die von den nationalen Eliten betriebenen
Entwicklungsmodelle sind auf ihrem Rücken und auf ihre Kosten organisiert
worden. Die Massenaufstände und Hungerrevolten machen neue Fronten auf:
interne Klassenfronten gegen die einheimischen Eliten um menschenwürdige
Lebensbedingungen und soziale Gerechtigkeit.
Der Bankrott der Schwellenländer jenes verheißungsvollen und
trügerischen Entwicklungsmodells, mit dem der Imperialismus die
fortgeschrittenen Länder der 3. Welt ködern konnte, weil sie sich davon
die Aufnahme in den Reigen der Industrienationen versprachen wird
weitreichende Konsequenzen haben. Vor dem Hintergrund ihres Ruins wird eine
ganz neue Attraktivität von Ländern wie Kuba, Nicaragua oder Vietnam
ausstrahlen, Länder, wo nationale mit sozialer Befreiung verknüpft wurde,
wo niemand mehr hungert, ärztliche Versorgung für alle gewährleistet ist,
die Menschen lesen und schreiben lernen. Gemessen an den ruinösen
Lebensbedingungen der Massen in der 3. Welt sind dies äußerst
erstrebenswerte Verhältnisse. Der militärische Überfall auf Grenada22, der
Abnutzungskrieg an den Grenzen Nicaraguas, die eskalierenden Interventionen
in Salvador sind Indiz dafür, daß der Imperialismus um diese Dynamik weiß
und sie mit aller Macht zu zerschlagen versucht.
Es zeichnet sich ab, daß die Konsolidierung sozialer Befreiungen in den
Ländern der 3. Welt immer aktueller an die Bedingungen des Kampfes gegen
den Imperialismus in den Metropolen gebunden ist. Nur in der
Gleichzeitigkeit der Kämpfe in den Zentren wie in den Ländern der 3. Welt
begründet sich die Hoffnung, daß der erreichte Stand sozialer Befreiung in
Nicaragua, in Kuba usw. nicht einem neuerlichen Vernichtungsfeldzug des
Imperialismus zum Opfer fällt, sondern zum Orientierungspunkt der
Befreiungsbewegungen der ganzen Welt wird.
Der Ostblock ein blinder Fleck in der politischen Geographie der Linken
Obwohl die Pershings und die Cruise Missiles direkt auf den Ostblock zielen, vertreten wie gesagt große Teile der radikalen Linken die These, daß dieser nicht an sich damit gemeint sei, sondern vielmehr in seiner Rolle als Unterstützer nationaler Befreiungsbewegungen erpreßt werden soll. Sie pflegen der Sowjetunion gegenüber ein seltsam widersprüchliches Verhältnis
einerseits ist sie für sie mit ihrem öden, heruntergekommenen Realsozialismus völlig indiskutabel, andererseits trauen sie ihr aber einen durchaus respektablen Rest an revolutionärem Internationalismus zu. Weil aber die inneren Verhältnisse der Sowjetunion aus der politischen Diskussion völlig ausgeblendet werden und der Ostblock ein blinder Fleck in der politischen Geographie der Linken ist, kann sich der Mythos von seiner Rolle als Freund der Verdammten dieser Erde23 so hartnäckig halten. Die Fakten sprechen eine andere Sprache.
Das Ideal des revolutionären Internationalismus hat niemals die sowjetische Außenpolitik bestimmt
weder zu Zeiten Stalins24, der die
kommunistischen Parteien Deutschlands und Jugoslawiens ans Messer geliefert
hat und die kommunistische Widerstandsbewegung Griechenlands an die
Aliierten, noch zu Zeiten Chruschtschows25, Brechnews26 oder Andropows.27
Die sowjetische Außenpolitik war vielmehr bestimmt von geostrategischen
Interessen und dem Vorrang ihrer Existenzsicherung. Das Streben nach
Anerkennung und Ausgleich mit dem westlichen Imperialismus und nicht
nach Weltrevolution zieht sich wie ein roter Faden durch ihre
weltpolitischen Aktivitäten. So empfing sie Kissinger zu
Entspannungsgesprächen, während die USA Haiphong28 bombardierten und war
bereit, sich aus geostrategischen Interessen mit blutrünstigen Diktatoren
wie Idi Amin29 und Siad Barre30 zu verbünden.
Auch im Handel mit der 3. Welt kann und will der Ostblock keineswegs auf
die Vorteile verzichten, die ihm auf diesem Gebiet aus der internationalen
Arbeitsteilung erwachsen:
Interessanterweise weisen die sozialistischen Länder denn auch im Handel
mit den unterentwickelten Ländern einen wachsenden Überschuß auf; d.h. die
unterentwickelten Länder haben sowohl gegenüber den imperialistischen
Ländern als auch gegenüber den sozialistischen Ländern ein Defizit, so daß
der zunehmende Austausch mit den sozialistischen Ländern das Defizit der
unterentwickelten Länder nur noch vergrößert. (A.G. Frank)
Das heißt: der Ostblock versucht die Verschlechterung seiner
Zahlungsbilanzen gegenüber den imperialistischen Ländern im Handel mit der
3. Welt abzufangen. Was die RGW31-Staaten für den Technologie-Import aus
der westlichen Welt zahlen müssen, schaffen sie über den Warenexport an die
3. Welt und zu deren Lasten wieder heran.
Über die Devisenbeschaffung hinaus benutzt der Ostblock die
Wirtschaftsbeziehungen mit der 3. Welt zur Sicherung von Rohstoffen. Und
die ohnehin nur knapp bemessene Entwicklungshilfe, die überdies nur zu
harten Konditionen gewährt wird, wird auch von sozialistischen Ländern
nicht unter der Maßgabe verteilt, wirtschaftliche Unabhängigkeit zu
schaffen und zu stabilisieren. Vorrang hat auch hier wie in der
Außenpolitik das Interesse an der strategischen Lage der meisten
Bezieherländer.
Trotz alledem kann nicht bestritten werden, daß die Voraussetzungen für die
Befreiungskämpfe in der 3. Welt ohne die Sowjetunion denkbar schlechter
wären. Allein die Existenz einer konkurrierenden Supermacht hat den
Spielraum der imperialistischen Staaten immer wieder beschnitten und
umgekehrt die Sowjetunion dazu veranlaßt, Befreiungsbewegungen im
Einflußbereich des Gegners zumindest partiell zu unterstützen.
Diese Tatsache hat jedoch nicht verhindern können, daß der Einfluß der
Sowjetunion als Weltmacht in den vergangenen Jahren kontinuierlich
zurückgegangen ist selbst in ihrem ureigensten Einflußbereich. Solange
die Sowjetunion in der 3. Welt auf dem Vormarsch war, war sie es vor allem
als Ergebnis kolonialer Auflösungsprozesse. Um diesen Einfluß zu
stabilisieren, nachdem die Befreiungsbewegungen Nation, Staat geworden
waren, hätte es in erster Linie ökonomischer Mittel bedurft. Die
Sowjetunion hat aber gegenüber dem Imperialismus den entscheidenden
Nachteil, daß ihr Expansionismus auf Mangel und nicht auf Überschuß
gegründet ist. Sie kann nicht auf die sanfte Gewalt einer aus ihrer Logik
heraus expandierenden Produktionsweise zurückgreifen, um Abhängigkeiten
dauerhaft zu gestalten. Gerade wegen ihres Mangels an ökonomischer Potenz
stößt die Sowjetunion in der 3. Welt so schnell an ihre Grenzen, ist sie
auf die Reklamation eines weltpolitischen Idealismus im Namen der
Völkerfreundschaft oder aber auf rein militärische Formen der Sicherung
von Einflußzonen verwiesen.
So ist der Sowjetunion die einzig dauerhafte Erweiterung ihrer Machtsphäre
im Kampf gegen den Faschismus gelungen. Das Bündnis mit China hat sich in
jahrzehntelange Feindschaft verkehrt, aus Ägypten ist sie regelrecht
rausgeschmissen worden. Kuba und Vietnam müssen wegen des imperialistischen
Boykotts weitgehend bezuschußt werden. Angola und Mozambique sind ständig
militärischen Angriffen Südafrikas ausgesetzt und gleichzeitig ökonomisch
so stark von ihm abhängig, daß sie sich aus dem RGW abgekoppelt haben.
Algerien ist ebenfalls stärker vom Weltmarkt abhängig als von der
Völkerfreundschaft zur Sowjetunion. Und Libyen und Syrien sind mehr
zufällige Partner aus einer augenblicklichen Feindschaft zu den USA heraus.
Was bleibt, ist im wesentlichen Waffenhilfe für nationale
Befreiungsbewegungen, die nach ihrem Sieg wie Nicaragua auch im
Interesse der Sowjetunion versuchen müssen, einen 3. Weg zu gehen, denn
diese kann sich weder ökonomisch noch machtpolitisch weitere Kubas
leisten.
Auch die militärische Intervention in Afghanistan32 hat die Sowjetunion
nicht gerade stärker gemacht, sondern den Beweis geliefert, daß sie selbst
in diesem traditionell befreundeten Land ihre Statthalter kaum noch halten
kann. Doch entscheidender ist wahrscheinlich, daß dieser Überfall Moskau
einen weiteren Sympathieverlust bei den im Lauf der Jahre immer mehr auf
Distanz gegangenen Blockfreien33 gekostet hat.
Angesichts dieser Machtverhältnisse blamiert sich jede Rechtfertigung der
militärischen Eskalation der NATO, die sich auf den Zwang zur Eindämmung
des sowjetischen Expansionismus beruft, bis auf die Knochen und verrät
viel mehr über den aggressiven imperialistischen Charakter des westlichen
Bündnisses. Die militärische Einkreisung des Ostblocks ist kein
Hirngespinst paranoider Sowjetführer, sondern Realität, die täglich neue
Fakten schafft: die NATO ist nicht nur selbst übermächtiger Gegner, sondern
über die USA auch mit dem ANZUS-Pakt34
(Australien/Neuseeland/USA/Pazifik-Pakt) und der OAS35 (Organisation
amerikanischer Staaten) verbündet. Sie verfügt außerhalb ihres
Hoheitsgebietes über rund 400 wichtige militärische Basen in aller Welt,
vor allem im asiatischen Raum (z.B. Philippien), und sie forciert gerade in
jüngster Zeit neben dem Zugewinn neuer Stützpunkte in Afrika (Ägypten,
Somalia, Kenia, Sudan, Marokko) und dem Nahen Osten (Saudiarabien, Oman)
den Ausbau bzw. die Modernisierung ihrer weltweiten militärischen
Infrastruktur. Buchstäblich in die Zange genommen wird der Ostblock
allerdings durch die neuen Operationen, die sich direkt an seinen Grenzen
abspielen.
Der bedrohliche Würgegriff reicht von der Ausrüstung Westeuropas mit
Präzisions- und Erstschlagwaffen über den Ausbau des NATO-Flugzeugträgers
Türkei zum neuen imperialistischen Kettenhund anstelle des Iran bis zur
Bildung eines Oberkommandos Südwest-Asien, das die Region von Ägypten bis
Pakistan beherrscht und den Persischen Golf mit einschließt. Die
Einkreisung setzt sich fort in Japan, das sich voll in die NATO-Strategien
integriert hat, d.h. im Kriegsfall die Ausgänge aus dem Japanischen Meer
vermint, um die sowjetische Flotte bei Wladiwostok einzuschließen,
amerikanische F-16 Kampfflugzeuge stationiert und gemeinsam mit den USA
gegenüber Sadchalin dem strategischen Zentrum der Sowjetunion auf
Hokkaido Landmanöver trainiert. In dieser Front wird neuerdings auch China
zumindest als Horchposten, aber auch über Technologie- und
Waffenlieferungen eingebunden.
Die Entspannungspolitik ein Lehrbeispiel politökonomischer Ruinierung
Diese systematisch vorangetriebene militärpolitische Einkreisung des Ostblocks kann in ihrem Kern nur so interpretiert werden, daß sie direkt auf dessen Substanz als politisches und militärisches Bündnis zielt. Noch waren die Mittelstreckenraketen in Europa nicht stationiert, noch war also der atomare Vorsprung nicht erreicht, und dennoch versuchte die US-Regierung die Aufnahme der Verhandlungen über die Stationierung von Zugeständnissen der Sowjetunion in Polen abhängig zu machen. Gespräche seien nur dann möglich so hieß es vor einem Jahr , wenn die sowjetische Militärpräsenz in Polen und an den Grenzen des Landes in etwa auf den Stand vor Beginn der Polen-Krise36 zurückgeschraubt würde. Dies demonstriert im Vorfeld, welch qualitativ verschärfte Möglichkeiten der Druckausübung auf die inneren Verhältnisse des Ostblocks sich der westliche Imperialismus von seinem strategisch neuen Erpressungspotential verspricht.
Die vielerorts beklagte Zuspitzung des Ost-West-Konflikts wird fälschlicherweise als Bruch und Kontrapunkt zur vorausgegangen Ära der Entspannungspolitik definiert, stellt sich aber bei genauerem Hinsehen als deren logische Konsequenz und Weiterverfolgung mit anderen Mitteln heraus. Die Entspannungspolitik war niemals diese treuherzige Aussöhnung mit der Realität des sozialistischen Blocks, als was sie sich verkaufte. Im Gegenteil
der Ostblock hat sich für das Linsengericht seiner Anerkennung
als Handels- und Verhandlungspartner und der damit vermeintlich verbundenen
Anerkennung seiner Existenz den schleichenden Zugriff des freien Westens
auf seine ökonomischen und politischen Strukturen eingehandelt.
Die Länder des Staatssozialimus und der Planwirtschaften haben sich aus
gutem Grund jahrzehntelang gegen den Weltmarkt abgeschottet, denn dessen
ausschließliche Nutznießer waren schon immer seine Subjekte, die
imperialistischen Metropolen. Alle anderen werden darin zu Objekten, zu
mehr oder weniger rentabler Manövriermasse gemacht.
Ein Jahrzehnt Entspannungspolitik hat genügt, um den RGW zu unterhöhlen.
Denn seine Grundlage ist nicht die Warenzirkulation, sondern sind
multilaterale, arbeitsteilige Produktionsvereinbarungen zur Stärkung der
wirtschaftlichen Potenz des Bündnisses im Klartext: er basiert auf
Mangelausgleich. Entsprechend sind die Währungen des Ostblocks kein
international anerkanntes Geld, sondern interne Verrechnungseinheiten. Der
angestrebte Technologietransfer aus dem kapitalistischen Westen brachte
folglich den Zwang zur Devisenbeschaffung mit sich. Das bedeutet die
Einrichtung von Exportbranchen auf Kosten der Produktion innerhalb des RGW,
langfristige und damit teure Lieferungen an Rohstoffen und Materialien, die
in Form von Kompensationsgeschäften und schließlich über die Einführung des
Verlagssystems und der Lizenzfabrikation die Vermietung von
Produktionshallen, Arbeitskräften und Rohstoffen an den imperialistischen
Westen.
Vor allem aber die Subsumierung unter das internationale Kreditsystem war
der Hebel, den Ostblock zu immer umfassenderen Zugeständnissen an das
kapitalistische Geschäft zu zwingen, d.h. zum ungehinderten Kauf und
Verkauf von Arbeitskraft und Kapital in Form von Direktinvestitionen. Wie
weit die ökonomische Erosion des Ostblocks heute gediehen ist, belegt das
gigantische Volumen seiner Kreditverschuldung, so daß heute in den
Direktorien der Deutschen Bank oder des IWF mit darüber entschieden wird,
ob ein 5-Jahres-Plan erfüllbar ist oder nicht. Die Wirtschaftspolitik in
den RGW-Staaten ist vom Mangelausgleich zwischen Plan- und
Bedarfswirtschaft zur Konkurrenz um westliche Kredite verkommen, und es ist
nicht erkenntlich, wie dieser Prozeß auch in seinen politischen
Dimensionen aufzuhalten ist. Die Polenkrise ist hierfür sichtbarster
Ausdruck. Rumänien mit seiner engen Anlehnung an den Westen, der
Kontaktaufnahme zu China und den regen Beziehungen zu Israel braucht keine
Sanktionen zu befürchten. Die DDR und Ungarn bieten inzwischen dem Westen
Arbeitskräfte zur Vermietung an.
In diesem Zusammenhang muß die militärische Eskalation des
imperialistischen Westens als konsequente Fortsetzung der
Entspannungspolitik mit anderen Mitteln begriffen werden. Die Sowjetunion
soll mit dem überlegenen atomaren Drohpotential neutralisiert, d.h.
erpreßbar, werden und mit gefesselten Händen dem Zerfall ihres
Staatenbündnisses, dessen Zurichtung und Vernutzung unter kapitalistische
Verwertungsbedingungen und dem damit einhergehenden politischen
Systemwandel zusehen müssen.
Die sowjetischen Führer müssen wählen zwischen einer friedlichen Änderung
ihres kommunistischen Systems in die vom Westen verfolgte Richtung oder in
den Krieg ziehen. (Richard Pipes, US-Außenministerium)
Im Entsetzen über die obszöne Offenheit dieser Programmatik geht meist ihre
eigentliche Bedeutung unter: die absolute Machtüberlegenheit und
Souveränität, die sich des Erfolgs ganz sicher dünkt. Erscheint doch
endlich nach 40 Jahren ein Fehler der Geschichte korrigierbar, der laut
Churchill37 darin bestand, daß mit dem Faschismus das falsche Schwein
geschlachtet wurde. Der Zweck des heutigen imperialistischen Aufmarsches
ist in erster Linie die schrankenlose kapitalistische Durchdringung und
Ausbeutung des Ostblocks, gerade auch um die Krisen- und
Neustrukturierungskosten auf ihn abzuwälzen, und nicht seine militärische
Vernichtung.
Die bewußt geschürten Kriegsängste und Bedrohungsgefühle sollen den Blick
dafür trüben, daß wir nicht die Opfer sind, sondern wieder mal andere im
Interesse des freien Westens in die Knie gezwungen werden sollen. Wer dies
als Kampf der Supermächte interpretiert, unterschlägt, daß das
westeuropäische Kapital allen voran das westdeutsche ein ureigenstes
Interesse an der Kapitulation des Ostblocks hat, war es doch der
Hauptbetreiber und Profiteur der Entspannungspolitik.
Hinter dem Willen zur Unterwerfung auch dieses letzten Bereichs des Globus
unter kapitalistische Verwertungs- und Akkumulationsbedingungen scheint das
Projekt der Zukunft hervor. Denn eine dem westlichen Imperialismus gänzlich
zur Nutzung unterworfene Welt ermöglicht auch ganz andere Formen der
Reichtumsakkumulation und der Herrschaftssicherung.