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Fri Oct 27 20:16:24 2006
 

*Pullach hält die Ohren offen*

Der Bundesnachrichtendienst überwacht neuerdings alle Telefonate und Faxe,

die per Funk ins Ausland übertragen werden. Datenschützer sind besorgt,

ein Rechtsprofessor hat das Verfassungsgelicht angerufen.

Wenn ein deutscher Urlauber aus Peru zu Hause anruft und vom Schnee in den

Anden schwärmt, dann muß er damit rechnen daß der Bundesnachrichtendienst

mithört - es könnte ja Kokain gemeint sein.

Wenn ein betuchter Deutscher an seinen Vermögensverwalter in Luxemburg ein

Fax schickt und ihn bittet, diskret Geld für ihn anzulegen, sollte er einkalkulieren, daß der BND mitliest - es könnte ja um Geldwäsche gehen.

Wenn ein deutscher Wissenschaftler einen Kollegen in Pakistan anruft und

ihm von einer ¯bombigen Entdeckung® berichtet, darf er sich ebenfalls darauf gefaßt machen, daß die Geheimdienstler in Pullach ihre Ohren aufsperren - es könnte ja um Atomschmuggel gehen.

Ermächtigt durch das sogenannte Verbrechensbekämpfungs-Gesetz, darf der

Bundesnachrichtendienst seit dem 1. Dezember 1994 alle ¯internationalen

nicht leitungsgebundenen Fernmeldeverkehrsbeziehungen® überwachen. Das

heißt im Klartext: sämtliche Telefonate, Faxe und Telexe, die über Richtfunk oder Satellit zwischen Deutschland und dem Ausland hin und her laufen.

Das Ziel: Der BND soll Gefahren erkennen und abwehren, die Deutschland

durch fremde Militärs und Terroristen drohen, durch Waffen- und Technologieschmuggler, Rauschgifthändler, Geldwäscher und Geldfälscher.

Dies bedeutet in der Praxis jedoch eine bisher beispiellose Raster-Fahndung in der Intimsphäre von Millionen Bürgern und den Interna zahlreicher

Firmen ohne jeden Verdacht, ohne jede Kontrolle.

Geheimdienst-Experten schätzen, daß die Pullacher Behörde tagtäglich

Hunderttausende von Gesprächen und Faxen zwischen dem In- und Ausland

aufzeichnet. Der Inhalt wird dann automatisch mit ¯Suchbegriffen® verglichen, die in einer Datenbank gespeichert sind. Das können Wörter wie

¯Koks®. ¯Heroin® oder ¯Plutonium® sein, aber auch Städtenamen wie

"Moskau", ¯Teheran® oder ¯Tripolis®.

Rund 4000 Gespräche, Faxe oder Computer-Datensätze werden so vermutlich

täglich herausgefiltert. Experten werten sie dann aus. Finden sie den

Inhalt ¯verdächtig®, geben sie die Unterlagen weiter an Staatsanwaltschaft

oder Polizei, den Militärischen Abschirmdienst, den Verfassungsschutz, das

Zollkriminalamt oder das Bundesausfuhramt. Der Rest muß vernichtet werden.

Kein Richter und kein politisches Gremium kontrolliert, wen der BND im

Einzelfall wo anschwärzt. Keiner paßt auf, wie die Behörden mit den AbhörErkenntnissen des BND umgehen. Die Lauscher aus Pullach müssen sich weder

um das Bankgeheimnis scheren noch um das Schweigerecht von Érzten,

Steuerberatern, Rechtsanwälten und Journalisten.

¯Ich habe Angst davor, daß durch die unkontrollierte Weitergabe von Informationen Unschuldige in Ermittlungen der Justiz hineingezogen werden®,

sagte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacob, dem STERN.

Er habe ein ungutes Gefühl im Bauch. ¯Und ich frage mich, warum man auch

bei den Bürgern dieses Gefühl entstehen läßt, das das Vertrauen in den

Staat stark erschüttern kann.®

Der Hamburger Rechtsprofessor Dr. Michael Köhler geht noch weiter. Er hat

jetzt Verfassungsbeschwerde erhoben gegen den Angriff auf Artikel 10 des

Grundgesetzes, der das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis garantiert.

Der Strafrechtler bezeichnet den BND als ¯eine Art neuer Geheimpolizei®.

Die Behörde wurde gegründet von dem Geheimdienstmann Reinhard Gehlen, der

aus Hitlers Militär-Spionagedienst ¯Fremde Heere Ost® stammte. Bislang

durfte der BND nur im Ausland spionieren. Dort soll er laut Gesetz die

Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland

erkennen und die Bundesregierung regelmäßig mit Berichten über die Krisenherde dieser Welt versorgen.

Die Berichte sind freilich meist so erkenntnisarm, daß sich schon Helmut

Schmidt als Bundeskanzler weigerte, sie zu lesen: In Zeitungen und Analysen der Botschaften stehe mehr.

Für die Stasi war der Bundesnachrichtendienst ein offenes Geheimnis - sie

hatte mehrere Topagenten in der Pullacher Zentrale. Die BND-Aktionen in

der ehemaligen DDR endeten meistens tragisch: Hunderte von Spionen wurden

gefaßt, einige zum Tode verurteilt, weil sie von Pullach dilettantisch geführt wurden.

Pleiten, Pech und Pannen auch im Umgang mit Alexander Schalck-Golodkowski.

Der BND hatte dem SED-Devisenschieber - entgegen Bonner Weisung - einen

falschen Paß besorgt. Schalck-Golodkowski konnte in die Schweiz reisen und

Konten auflösen.

Selbst das heimliche Verschiffen von DDR-Panzern nach Israel ging in die

Hose: Die BND-Schlapphüte fielen im Hamburger Hafen sofort auf. Und was

Pullach im Fall Uwe Barschel an geheimen ¯Erkenntnissen® nach Lübeck

schickte, läßt die dortigen Staatsanwälte verzweifeln.

Spitze ist der Dienst nach Expertenmeinung nur beim Belauschen des weltweiten Funk- und Fernmeldeverkehrs, vor allem der Satelliten-Verbindungen.

¯Der BND verfügt für die Aufklärung im Ausland über Kapazitäten, die in

Deutschland sonst keine andere Organisation hat®, schwärmte der ChefAufklärer des BND, Konteradmiral Gerhard Güllich, 1993 in einem ¯Spiegel®

Interview. Zu seinem Leidwesen durfte er aber nur Ausländer belauschen.

Als der BND durch den Zusammenbruch des Ostblocks wichtige Betätigungsfelder verlor, suchte er händeringend neue Aufgaben, um seine rund 6000

Planstellen und seinen Etat von annähernd einer Milliarde Mark zu verteidigen.

Da verfiel der Auslandsdienst auf die Idee, auch bei der Verbrechensbekämpfung im Inland mitzumischen. Chef-Aufklärer Güllich: ¯Als Staatsbürger

und Steuerzahler will es mir nicht einleuchten, daß der BND Fernmeldeerkenntnisse über geplante Drogen- und Waffengeschäfte vernichten muß, sobald eine in Deutschland ansässige Person oder Firma beteiligt ist.®

Der Bonner Regierungskoalition paßte es im Herbst vergangenen Jahres gut

ins Wahlkampf-Konzept. zur Verbrechensbekämpfung diverse Gesetze zu

verschärfen und dabei die Sozialdemokraten, falls sie nicht mitzögen, als

Weichlinge vorzuführen.

CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble beschwor Bedrohungen für ¯unsere

freiheitliche Grundordnung" durch Drogenhandel, Geldwäsche und Atomschmuggel herauf, die alle "Gefahren" in den Schatten stellten, ¯deren wir uns

in den Zeiten des Kalten Krieges zu erwehren hatten®.

Kanzleramtsminister B, Schmidbauer, der Koordinator der deutschen Geheimdienste, heizte die Stimmung weiter an. Agenten des BND und zwielichtige

V-Leute der Polizei lockten just in jener Zeit mehrere Atomschmuggler in

die Falle. Deutschland, so redete Schmidbauer allen ein, sei bereits zum

Umschlagplatz von Atom-Terroristen geworden. Tatsächlich taugte das sichergestellte Material in keinem Fall zum Bau einer Bombe.

Die SPD, die sich lange gesträubt hatte, ließ schließlich im Bundesrat das

Gesetz zur Verbrechensbekämpfung durchgehen. Erstaunlich auch die Haltung

der FDP. Seit Jahren wehrt sie sich dagegen, daß die Polizei - mit richterlicher Kontrolle schwerer Verbrechen Verdächtige durch den "Großen Lauschangriff" überwachen darf. Kein Problem hatten die Liberalen aber damit,

daß der BND - ohne richterliche Kontrolle - in den Auslandsgesprächen von

Millionen Unverdächtiger herumschnüffeln darf.

Ob das wirklich legal ist, wird sich bald zeigen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Beschwerde des Hamburger Juraprofessors Köhler

ungewöhnlich schnell, innerhalb von nur drei Wochen, zur Entscheidung angenommen. Das höchste deutsche Gericht mißt der Sache offenbar Bedeutung

bei. Nur etwa fünf Prozent der eingereichten Verfassungsbeschwerden werden

akzeptiert.

Die Karlsruher haben inzwischen Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung

sowie die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern aufgefordert, bis

zum 31. März zu der Verfassungsbeschwerde Stellung zu nehmen. Professor

Köhler bezweifelt darin, daß ¯das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses im

internationalen Funkfernmeldeverkehr durch ein deutsches Exekutivorgan

praktisch völlig beseitigt® werden darf.

Gegenüber dem STERN warnte der Strafrechtler vor ¯dem bodenlosen

Leichtsinn, einem Nachrichtendienst die enorme Fülle von Informationen aus

allen amtlichen, geschäftlichen und privaten Bereichen zugänglich zu

machen®.

Das Argument, wer nichts zu verbergen habe, der habe auch nichts zu befürchten, läßt Köhler nicht gelten: ¯Jeder hat ein Recht auf vertrauliche

Kommunikation. Ich will es nicht, daß irgend jemand ohne jeden konkreten

Verdacht meine Telefonate und Faxe durchschnüffelt.®

Bundesdatenschützer Jacob fordert schon jetzt, daß er die SuchwortDatenbank kontrollieren darf. Außerdem verlangt er, daß ¯als Sicherheitsventil eine unabhängige Kontrollinstanz aus Leuten mit Befähigung zum

Richteramt geschaffen wird, die darüber entscheidet, welche Erkenntnisse

an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden®.

Wer hört noch alles mit?


Die Zahl der angezapften Telefonanschlüsse ist rapide gestiegen

Die Poliizei hat 1993 in 3.964 Fällen auf Anordnung eines Richters

oder Staatsanwalts nach Paragraph 100a/1OOb der Strafprozeßordnung

Telefone abgehört, weil der Verdacht auf ein schweres Verbrechen

vorlag - fünfmal soviel wie 1980.

Das Zollkriminalamt in Köln darf seit Oktober 1992 nach dem Außenwirtschaftsgesetz in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis eingreifen, wenn ¯der Verdacht bevorstehender illegaler Ausfuhren®

von Waffen und Technologie besteht. Die Behörden haben bisher in

elf Fällen Firmen- und Privatanschlüsse abgehört.

Der Verfassungsschutz in Bund und Ländern sowie der Militärische

Abschiirmdiienst dürfen nach dem sogenannten G-10 Gesetz ohne

richterliche Anordnung Telefone anzapfen. Die Zahlen sind geheim.

Nach Angaben von Insidern wurden 1994 von diesen Geheimdiensten

insgesamt etwa 150 Telefone überwacht.

Die Bundesgrenschutz-Gruppe Fernmeldewesen in Swisttal-Heimerzheim

bei Köln mit Außenstellen in ganz Deutschland horcht im Éther

nicht nur, ob Spione heimlich funken, sondern arbeitet in Amtshilfe auch für die Polizei, ihre Spezialität ist das Überwachen

von Mobiltelefonen .

Ausländische Geheimdienste hören ebenfalls den Fernmeldeverkehr in

der Bundesrepublik ab. Am aktivsten ist die National Security

Agency (NSA) der USA.

VON RUDOLF LAMBRECHT / LEO MÜLLER

aus: STERN, Nr. 8/ v. 16. 02. 95