Der Bundesnachrichtendienst überwacht neuerdings alle Telefonate und Faxe,
die per Funk ins Ausland übertragen werden. Datenschützer sind besorgt,
ein Rechtsprofessor hat das Verfassungsgelicht angerufen.
Wenn ein deutscher Urlauber aus Peru zu Hause anruft und vom Schnee in den
Anden schwärmt, dann muß er damit rechnen daß der Bundesnachrichtendienst
mithört - es könnte ja Kokain gemeint sein.
Wenn ein betuchter Deutscher an seinen Vermögensverwalter in Luxemburg ein
Fax schickt und ihn bittet, diskret Geld für ihn anzulegen, sollte er einkalkulieren, daß der BND mitliest - es könnte ja um Geldwäsche gehen.
Wenn ein deutscher Wissenschaftler einen Kollegen in Pakistan anruft und
ihm von einer ¯bombigen Entdeckung® berichtet, darf er sich ebenfalls darauf gefaßt machen, daß die Geheimdienstler in Pullach ihre Ohren aufsperren - es könnte ja um Atomschmuggel gehen.
Ermächtigt durch das sogenannte Verbrechensbekämpfungs-Gesetz, darf der
Bundesnachrichtendienst seit dem 1. Dezember 1994 alle ¯internationalen
nicht leitungsgebundenen Fernmeldeverkehrsbeziehungen® überwachen. Das
heißt im Klartext: sämtliche Telefonate, Faxe und Telexe, die über Richtfunk oder Satellit zwischen Deutschland und dem Ausland hin und her laufen.
Das Ziel: Der BND soll Gefahren erkennen und abwehren, die Deutschland
durch fremde Militärs und Terroristen drohen, durch Waffen- und Technologieschmuggler, Rauschgifthändler, Geldwäscher und Geldfälscher.
Dies bedeutet in der Praxis jedoch eine bisher beispiellose Raster-Fahndung in der Intimsphäre von Millionen Bürgern und den Interna zahlreicher
Firmen ohne jeden Verdacht, ohne jede Kontrolle.
Geheimdienst-Experten schätzen, daß die Pullacher Behörde tagtäglich
Hunderttausende von Gesprächen und Faxen zwischen dem In- und Ausland
aufzeichnet. Der Inhalt wird dann automatisch mit ¯Suchbegriffen® verglichen, die in einer Datenbank gespeichert sind. Das können Wörter wie
¯Koks®. ¯Heroin® oder ¯Plutonium® sein, aber auch Städtenamen wie
"Moskau", ¯Teheran® oder ¯Tripolis®.
Rund 4000 Gespräche, Faxe oder Computer-Datensätze werden so vermutlich
täglich herausgefiltert. Experten werten sie dann aus. Finden sie den
Inhalt ¯verdächtig®, geben sie die Unterlagen weiter an Staatsanwaltschaft
oder Polizei, den Militärischen Abschirmdienst, den Verfassungsschutz, das
Zollkriminalamt oder das Bundesausfuhramt. Der Rest muß vernichtet werden.
Kein Richter und kein politisches Gremium kontrolliert, wen der BND im
Einzelfall wo anschwärzt. Keiner paßt auf, wie die Behörden mit den AbhörErkenntnissen des BND umgehen. Die Lauscher aus Pullach müssen sich weder
um das Bankgeheimnis scheren noch um das Schweigerecht von Érzten,
Steuerberatern, Rechtsanwälten und Journalisten.
¯Ich habe Angst davor, daß durch die unkontrollierte Weitergabe von Informationen Unschuldige in Ermittlungen der Justiz hineingezogen werden®,
sagte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacob, dem STERN.
Er habe ein ungutes Gefühl im Bauch. ¯Und ich frage mich, warum man auch
bei den Bürgern dieses Gefühl entstehen läßt, das das Vertrauen in den
Staat stark erschüttern kann.®
Der Hamburger Rechtsprofessor Dr. Michael Köhler geht noch weiter. Er hat
jetzt Verfassungsbeschwerde erhoben gegen den Angriff auf Artikel 10 des
Grundgesetzes, der das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis garantiert.
Der Strafrechtler bezeichnet den BND als ¯eine Art neuer Geheimpolizei®.
Die Behörde wurde gegründet von dem Geheimdienstmann Reinhard Gehlen, der
aus Hitlers Militär-Spionagedienst ¯Fremde Heere Ost® stammte. Bislang
durfte der BND nur im Ausland spionieren. Dort soll er laut Gesetz die
Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland
erkennen und die Bundesregierung regelmäßig mit Berichten über die Krisenherde dieser Welt versorgen.
Die Berichte sind freilich meist so erkenntnisarm, daß sich schon Helmut
Schmidt als Bundeskanzler weigerte, sie zu lesen: In Zeitungen und Analysen der Botschaften stehe mehr.
Für die Stasi war der Bundesnachrichtendienst ein offenes Geheimnis - sie
hatte mehrere Topagenten in der Pullacher Zentrale. Die BND-Aktionen in
der ehemaligen DDR endeten meistens tragisch: Hunderte von Spionen wurden
gefaßt, einige zum Tode verurteilt, weil sie von Pullach dilettantisch geführt wurden.
Pleiten, Pech und Pannen auch im Umgang mit Alexander Schalck-Golodkowski.
Der BND hatte dem SED-Devisenschieber - entgegen Bonner Weisung - einen
falschen Paß besorgt. Schalck-Golodkowski konnte in die Schweiz reisen und
Konten auflösen.
Selbst das heimliche Verschiffen von DDR-Panzern nach Israel ging in die
Hose: Die BND-Schlapphüte fielen im Hamburger Hafen sofort auf. Und was
Pullach im Fall Uwe Barschel an geheimen ¯Erkenntnissen® nach Lübeck
schickte, läßt die dortigen Staatsanwälte verzweifeln.
Spitze ist der Dienst nach Expertenmeinung nur beim Belauschen des weltweiten Funk- und Fernmeldeverkehrs, vor allem der Satelliten-Verbindungen.
¯Der BND verfügt für die Aufklärung im Ausland über Kapazitäten, die in
Deutschland sonst keine andere Organisation hat®, schwärmte der ChefAufklärer des BND, Konteradmiral Gerhard Güllich, 1993 in einem ¯Spiegel®
Interview. Zu seinem Leidwesen durfte er aber nur Ausländer belauschen.
Als der BND durch den Zusammenbruch des Ostblocks wichtige Betätigungsfelder verlor, suchte er händeringend neue Aufgaben, um seine rund 6000
Planstellen und seinen Etat von annähernd einer Milliarde Mark zu verteidigen.
Da verfiel der Auslandsdienst auf die Idee, auch bei der Verbrechensbekämpfung im Inland mitzumischen. Chef-Aufklärer Güllich: ¯Als Staatsbürger
und Steuerzahler will es mir nicht einleuchten, daß der BND Fernmeldeerkenntnisse über geplante Drogen- und Waffengeschäfte vernichten muß, sobald eine in Deutschland ansässige Person oder Firma beteiligt ist.®
Der Bonner Regierungskoalition paßte es im Herbst vergangenen Jahres gut
ins Wahlkampf-Konzept. zur Verbrechensbekämpfung diverse Gesetze zu
verschärfen und dabei die Sozialdemokraten, falls sie nicht mitzögen, als
Weichlinge vorzuführen.
CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble beschwor Bedrohungen für ¯unsere
freiheitliche Grundordnung" durch Drogenhandel, Geldwäsche und Atomschmuggel herauf, die alle "Gefahren" in den Schatten stellten, ¯deren wir uns
in den Zeiten des Kalten Krieges zu erwehren hatten®.
Kanzleramtsminister B, Schmidbauer, der Koordinator der deutschen Geheimdienste, heizte die Stimmung weiter an. Agenten des BND und zwielichtige
V-Leute der Polizei lockten just in jener Zeit mehrere Atomschmuggler in
die Falle. Deutschland, so redete Schmidbauer allen ein, sei bereits zum
Umschlagplatz von Atom-Terroristen geworden. Tatsächlich taugte das sichergestellte Material in keinem Fall zum Bau einer Bombe.
Die SPD, die sich lange gesträubt hatte, ließ schließlich im Bundesrat das
Gesetz zur Verbrechensbekämpfung durchgehen. Erstaunlich auch die Haltung
der FDP. Seit Jahren wehrt sie sich dagegen, daß die Polizei - mit richterlicher Kontrolle schwerer Verbrechen Verdächtige durch den "Großen Lauschangriff" überwachen darf. Kein Problem hatten die Liberalen aber damit,
daß der BND - ohne richterliche Kontrolle - in den Auslandsgesprächen von
Millionen Unverdächtiger herumschnüffeln darf.
Ob das wirklich legal ist, wird sich bald zeigen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Beschwerde des Hamburger Juraprofessors Köhler
ungewöhnlich schnell, innerhalb von nur drei Wochen, zur Entscheidung angenommen. Das höchste deutsche Gericht mißt der Sache offenbar Bedeutung
bei. Nur etwa fünf Prozent der eingereichten Verfassungsbeschwerden werden
akzeptiert.
Die Karlsruher haben inzwischen Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung
sowie die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern aufgefordert, bis
zum 31. März zu der Verfassungsbeschwerde Stellung zu nehmen. Professor
Köhler bezweifelt darin, daß ¯das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses im
internationalen Funkfernmeldeverkehr durch ein deutsches Exekutivorgan
praktisch völlig beseitigt® werden darf.
Gegenüber dem STERN warnte der Strafrechtler vor ¯dem bodenlosen
Leichtsinn, einem Nachrichtendienst die enorme Fülle von Informationen aus
allen amtlichen, geschäftlichen und privaten Bereichen zugänglich zu
machen®.
Das Argument, wer nichts zu verbergen habe, der habe auch nichts zu befürchten, läßt Köhler nicht gelten: ¯Jeder hat ein Recht auf vertrauliche
Kommunikation. Ich will es nicht, daß irgend jemand ohne jeden konkreten
Verdacht meine Telefonate und Faxe durchschnüffelt.®
Bundesdatenschützer Jacob fordert schon jetzt, daß er die SuchwortDatenbank kontrollieren darf. Außerdem verlangt er, daß ¯als Sicherheitsventil eine unabhängige Kontrollinstanz aus Leuten mit Befähigung zum
Richteramt geschaffen wird, die darüber entscheidet, welche Erkenntnisse
an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden®.
Wer hört noch alles mit?
Die Zahl der angezapften Telefonanschlüsse ist rapide gestiegen
Die Poliizei hat 1993 in 3.964 Fällen auf Anordnung eines Richters
oder Staatsanwalts nach Paragraph 100a/1OOb der Strafprozeßordnung
Telefone abgehört, weil der Verdacht auf ein schweres Verbrechen
vorlag - fünfmal soviel wie 1980.
Das Zollkriminalamt in Köln darf seit Oktober 1992 nach dem Außenwirtschaftsgesetz in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis eingreifen, wenn ¯der Verdacht bevorstehender illegaler Ausfuhren®
von Waffen und Technologie besteht. Die Behörden haben bisher in
elf Fällen Firmen- und Privatanschlüsse abgehört.
Der Verfassungsschutz in Bund und Ländern sowie der Militärische
Abschiirmdiienst dürfen nach dem sogenannten G-10 Gesetz ohne
richterliche Anordnung Telefone anzapfen. Die Zahlen sind geheim.
Nach Angaben von Insidern wurden 1994 von diesen Geheimdiensten
insgesamt etwa 150 Telefone überwacht.
Die Bundesgrenschutz-Gruppe Fernmeldewesen in Swisttal-Heimerzheim
bei Köln mit Außenstellen in ganz Deutschland horcht im Éther
nicht nur, ob Spione heimlich funken, sondern arbeitet in Amtshilfe auch für die Polizei, ihre Spezialität ist das Überwachen
von Mobiltelefonen .
Ausländische Geheimdienste hören ebenfalls den Fernmeldeverkehr in
der Bundesrepublik ab. Am aktivsten ist die National Security
Agency (NSA) der USA.
VON RUDOLF LAMBRECHT / LEO MÜLLER
aus: STERN, Nr. 8/ v. 16. 02. 95