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Thu Jul 27 01:32:17 1995
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Absender : ASTA.UNIH@OLN.comlink.apc.org (AStA der Universitaet Hannover)
Betreff : NEWSLETTER-ICP-22: SCHENGEN: SIS
Datum : Mi 24.05.95, 14:56 (erhalten: 27.05.95)
NEWSLETTER - Zeitschrift für Internationale Kommunikation- präsentiert:
Europa bringt den Tod
Die Festung Europa wird ausgebaut
Ein Text zum vielmißachteten aber doch so gefährlichen "Schengener
Informationssystem (SIS)"
Die Innenminister der europapolitisch wichtigsten europäischen Staaten
haben sich in den letzten Jahren was Neues ausgedacht. Dann und wann
sitzen sie zusammen in ihrer TREVI-Runde, beseelt von dem Willen,
Staat, Wirtschaft und die dazugehörigen Funktionäre noch besser zu
schützen als zuvor. Schützen wollen sie vor Terrorismus, Radikalismus,
Extremismus und internationaler Gewalt (violence internationale),
ergibt zusammen TREVI. Das derzeitige Lieblingskind von den treibenden
Kräften unter allen EG-Innenministern heißt: bessere Zusammenarbeit
untereinander durch Austausch von computergespeicherten Informationen
über alle Menschen, die mit oben genannten Ismen in Verbindung
gebracht werden können oder sollen oder aber sonstwie bedrohlich sein
könnten.
Der angestrebte automatisierte Informationsaustausch unter den Polizei-
und Geheimdiensten der EU-Staaten soll einmal das Europäische
Informationssystem sein, ein Computerdatennetz zur Erfassung von Sach-
und Personendaten mit einem Zentralrechner in Straßburg und nationalen
Verknüpfungsstellen in bislang neun von jetzt 15 EU-Staaten. Für die
Bundesrepublik Deutschland soll "INPOL", die Datensammlung des
Bundeskriminalamtes (BKA) die Anbindung an das bislang noch nach dem
Vertragsort benannten Schengener Informationssystem (SIS) haben. Die
deutsche Präsidentschaft in der EU bemühte sich seit Januar vergangenen
Jahres mit erhöhtem Tempo und Druck, sichtbare Fortschritte bei der
Lösung von technischen Problemen zu erreichen. Am 26. März dieses
Jahres ist das Vertragswerk über den Wegfall der Grenzkontrollen
zusammen mit dem Sicherheitspaket "Schengener Durchführungsabkommen"
(darin SIS) in Kraft gesetzt worden. Dieses weltweit einmalige
Datensystem wird nun von Straßburg aus acht bis zwölf Anfragen pro
Sekunde bewältigen können. Entstanden ist dieses Beobachtungs- und
Fahndungssystem als Folge des Schengen I -Vertrages. Darin beschlossen
im Juni 1985 die oben als "treibende Kräfte" bezeichneten Länder
Frankreich, Belgien, Luxemburg, Niederlande und die Bundesrepublik
Deutschland den Abbau der Binnengrenzen, genauer gesagt den Abbau der
Kontrollen an eben solchen. Kurz vor dem auf den 1.1.1990 festgelegten
Stichtag für den Abbau der Schlagbäume wurde von Seiten der Regierenden
und der ihnen angeglichenen Medien gezielt eine Sicherheitskampagne
losgetreten. Der Wegfall bringe einen Haufen Probleme mit sich.
Urplötzlich(?) wurde es bemerkt. Ausgleichsmaßnahmen für den Wegfall
der Grenzkontrollen müßten her, weil es nun zu einem drohenden
Sicherheitsverlust der Bürgerinnen und Bürger durch die freie
Beweglichkeit der sogenannten Organisierten Kriminalität komme. Vor
allem der Drogenhandel wurde als "Bedrohung der zivilisierten
Gesellschaften" parteiübergreifend dämonisiert. Die Bezeichnung von
Europa als "Mekka der Kriminalität" vom ehemaligen Präsidenten des BKA
Boge (SPD) machte die Runde, wurde auch nur allzugern geglaubt. Denn es
besteht der gesellschaftliche Konsens, daß Organisierte Kriminalität
immer etwas Fremdes ist (Mafia, Triaden, Yakuza, Medellin-Kartell...);
ein weiterer Grund, Angst vor der "Überfremdung" durch Flüchtlinge zu
haben?!
Ein halbes Jahr nach dem Stichtag für den Fall der Schlagbäume konnte
das "Schengener Durchführungsabkommen" am 19.06. 1990 unterzeichnet
werden. Der Titel "Durchführungsabkommen" sollte dabei verharmlosend
wirken. Wir sollten denken: "naja ist halt rein Technisches wie im
Einzelnen die Grenzen geöffnet werden. Ein bißchen engere
Zusammenarbeit von Polizei untereinander ist da halt nötig. Gähn,
welchEn interessiert das? Uns wird schon nichts passieren." Und genau
das ist dann auch passiert. Die Sicherheitskampagnen trugen also die
Früchte, die erwartet waren. Das war auch dringend notwendig, waren
doch Inhalt und Zielsetzung des Vertrages schon zwei Jahre zuvor,
nämlich 1988 im großen und ganzen ausgehandelt und festgelegt. Wenn
erst im Winter 90/91 nach der fehlenden Sicherheit bei einem Wegfall
der inneren Grenzen gefragt wurde, die Antwort darauf (eben Schengen
II) aber schon 1988 festgeschrieben war, dann war die
Sicherheitskampagne also nur als Rechtfertigung für bereits Bestehendes
nachträglich angesetzt worden. Weder eine parlamentarische noch eine
außerparlamentarische Opposition kamen zustande. Klammheimlich wurde
das Abkommen daraufhin bis September 1993 von den fünf
Erstunterzeichnerstaaten ratifiziert.
Das Abkommen läßt sich in drei Hauptgebiete gliedern:
1. Regelungen zu den Binnen- und Außengrenzen, Ausweitung der
polizeilichen Zusammenarbeit
2. Einführung einer Visapflicht für sogenannte "Drittausländer",
Zusammenarbeit in asylrechtlichen Fragen
3. Einrichtung des Schengener Informationssystems zur praktischen
Durchführung der unter 1 und 2 genannten Zusammenarbeit
Konkreter sind dies im einzelnen:
- der Datenaustausch zwischen den Polizeien und Geheimdiensten der
Mitgliedstaaten.
- Rechtshilfe in Strafsachen unter den Mitgliedstaaten erweitern, die
dafür vorgesehenen Dienstwege erleichtern.
- Anerkennung der Nacheile (z.B. belgische Polizei wird auf deutschem
Gebiet tätig)
- verstärkte (Grenz-)Kontrollen im Inneren der Länder (z.B.
Massenkontrollen am Hauptbahnhof)
- Schaffung des Schengener Informationssystems
Fahndungsdatei SIS
Sehen wir uns im folgenden dieses Schengener Informations System etwas
genauer an. Stellt Euch einen riesigen Computer vor, durch
Telefonleitungen vernetzt mit anderen Computern in den verschiedenen
Ländern. Von hier aus bis hin zu jeder Polizeidienststelle. Dieser
Riesencomputer wird in einzelne Datenkategorien unterteilt. Sie sind in
den Artikeln des Schengen II-Abkommens schon recht genau festgelegt.
Als Vorbild, wie gesagt, diente "INPOL", der jetzt nur noch ein kleiner
Teil vom SIS sein wird.
Vorgesehen als Datenkategorien sind: Festnahme (Art. 95 Schengen II),
Einreiseverweigerung (Art.96), Vermißte, Gefahrenabwehr (Art. 97),
verdeckte Registrierung, beobachtende Fahndung/Befa (Art. 99). Neben
den Personendateien werden darüber hinaus (alpha-numerisch erfaßte)
Sachen wie z.B. Fahrzeuge oder Bahncards zur Fahndung ausgeschrieben.
Online (Direktzugang)-Zugriffsbefugnis werden alle Sicherheits- und
Ausländerbehörden (!) aller Mitgliedsstaaten haben. Diese massive
Vereinfachung (die Vernetzung) und Beschleunigung (die Vernetzung
ermöglicht die oben erwähnten 12 Anfragen pro Sekunde) der
Datenverarbeitung läßt nicht nur die umgesetzte Informationsmenge und
die Verarbeitungsgeschwindigkeit ansteigen, sondern führt auch zur
Ausweitung speicherungsrelevanter Sachverhalte im sogenannten
"Präventivbereich". Soll heißen: es wird viel häufiger zu Kontrollen
und Überwachungen kommen, bevor eine "Straftat" verübt wurde. Dies wird
dann auch noch gespeichert. Wesentlich ist, daß die "informationellen
Eingriffsbefugnisse" ohne gerichtlich feststellbare Gefahrenmomente
möglich sind, d.h. daß allein aufgrund eines unbegründeten Verdachts
hin eine Person europaweit in Sekundenschnelle zur Kontrolle
ausgeschrieben werden kann. Stellt Euch vor, der Kurde Cetin fährt zum
Verwandtenbesuch nach Belgien. Schon allein weil er Kurde ist (in der
BRD potentielle Gefahr), erlaubt dies nun der Polizei sowohl hier als
auch in Belgien die gezielte Überwachung. Ist er noch nie
"aufgefallen", erlaubt Schengen II es der belgischen Polizei, ihn
jederzeit zu überprüfen. Damit erhalten die Polizeien die Möglichkeit
zur verwaltungsinternen Selbststeuerung wobei sie rechtliche oder
justizielle Vorgaben ausklammern können. Repression erreicht dadurch
eine neue Qualität. Soweit, es kommt noch schlimmer.
Abgesehen davon, daß mit der präventiven Speicherung die
grundgesetzlich garantierte informationelle Selbstbestimmung (ich
erkläre mich immer ausdrücklich mit der Speicherung meiner Daten
einverstanden) außer Kraft gesetzt wird, sieht Art. 46 Schengen II
auch noch eine Spontanübermittlung zur "Bekämpfung zukünftiger
Straftaten" bzw. "zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche
Sicherheit und Ordnung" vor, ohne daß der Empfänger um Informationen
gebeten hat. Spontanübermittlung heißt hier also internationale
vorbeugende Verbrechensbekämpfung in der Form, daß z.B. der Verdacht in
der BRD ausreicht, den spanischen Behörden über eigene Staatsangehörige
Informationen zu geben. Hier werden also Prognosen von Polizeien und
Geheimdiensten über das zukünftige Verhalten von Menschen erstellt.
Polizeiarbeit wird hier einen weiteren Schritt heraus aus dem Feld des
Reagierens auf konkrete Straftaten hinein in das Feld des konspirativen
Spionierens (Beobachtungsfahndung) verlegt.
Datenschutz findet nicht statt
Eine Informationspflicht darüber, daß Daten gesammelt oder
weitergegeben wurden, ist in Schengen II nicht vorgesehen.
Datenschutzregelungen sind zwar kurz vor Abschluß des Vertrages noch
mit aufgenommen worden, diese hantieren aber mit extrem vielen
verschiedenen Verweisen auf Europakonventionen, Richtlinien, Landes-
bzw. Bundesgesetze und Europaratsempfehlungen, so daß ein
unübersichtliches Wirrwarr entsteht. Die datenschutzrechtliche Regelung
sei nach Auffassung von Thilo Weichert von der Deutschen Vereinigung
für Datenschutz entsprechend "gleich Null". Soweit, es kommt noch
schlimmer.
Auch nicht vorgesehen ist die Möglichkeit zu grenzüberschreitendem
Rechtsbeistand (z.B. werden in der Regel keine deutschen AnwältInnen in
den anderen Ländern zugelassen) Es besteht keine Informationspflicht
über erfolgte Amtshilfe (z.B.: spanische Behörden geben Infos weiter
nach Deutschland zur "Überführung", keinEr wird es je erfahren). Es
gibt keine Zuständigkeit irgendwelcher Gerichtshöfe - auch nicht des
europäischen - zur Kontrolle der Arbeit der ausländischen Polizeien.
Ist es schon schwierig, sich im Dschungel der anzuwendenden
Rechtsvorschriften zu orientieren, so ist es geradezu unmöglich, im
Rahmen eines Gerichtsverfahrens Fragen der Rechtmäßigkeit der
Polizeikooperation zu thematisieren. Besonders die sinnlich nicht
wahrnehmbare "informationelle Zusammenarbeit" der Polizeien -
wahrnehmbar sind nur die darauf basierenden exekutiven Maßnahmen wie
z.B. Festnahmen - ist anhand nationaler Akten oft nicht
nachvollziehbar. Den polizeilichen Vorgängen im jeweils anderen Staat
kommt dabei eine gerichtlich nicht überprüfbare Tatbestandsqualität zu!
Es werden ja lediglich die "Ergebnisse" verwendet, alles andere bleibt
im Dunkel. Dabei ist es gerade bei Prozessen wichtig, die
Ergebnisherstellung hinterfragen zu können.
Neben den informationellen Eingriffen wird es auch zu einer Ausweitung
von Rechtshilfen (Polizei hilft Staatsanwaltschaft) wie z.B.
Durchsuchungen und Beschlagnahmungen kommen. Neben der informationellen
Vernetzung der Polizeidateien ist am 16. Februar vergangenen Jahres in
Den Haag das europäische Kriminalpolizeiamt "Europol" offiziell
eröffnet worden. Dies muß als Kristallisationspunkt europäischer
innerer Sicherheitspolitik gesehen werden. So können die bisherigen
nationalen Organisationsstrukturen (Polizeien der Länder) beibehalten
und die zentralen Instanzen (Europol mit SIS unter Kontrolle der
Innenministerien) von der öffentlichen Wahrnehmung ferngehalten werden.
Die Einschätzung einiger Antirepressionsgruppen, daß Europol aufgrund
zu geringer Kompetenzen noch keine "echte Polizei" sei, verdeutlicht
ein Dilemma, das allgemein in der sogenannten Linken zu bemerken ist,
vor allem bei den harten männlichen 'Kämpfern'. Wenn europäische
Polizei noch nicht in europäischer Uniform selbständig "abgreifen"
kann, dann wirkt sie scheinbar "kompetenzlos" und somit nicht so
gefährlich. Es wird Zeit zu sehen, daß genau der unsichtbare Bereich
der gefährliche ist, weil er weder parlamentarischer noch
außerparlamentarischer Kontrolle unterliegen kann. Das erst führt zu
administrativem Totalitarismus, der viel weiter gehen kann, als
herkömmlicher Faschismus es könnte.
Asylverweigerungspolitik ohne Grenzen
AusländerInnen- bzw. asylpolitisch einigten sich die Schengener
Vertragsstaaten auf einen gemeinsamen Visazwang, der den Zugang zu
Europa erschweren soll. Auf der Liste der Staaten, deren Bevölkerung
bei Einreisewunsch in die Schengen-Staaten ein Visum vorweisen müssen,
stehen mittlerweile 120 Staaten. Im Gesamt-EG-Rahmen sind es bislang 59
Staaten. Deutlich wird hier, daß das bundesdeutsch initiierte Schengen
II bei weitem restriktiver gegen Asylsuchende vorgehen will. Zur
Durchsetzung des Visazwangs sieht das Abkommen Sanktionen für
Transportunternehmen wie z.B. Fluggesellschaften vor, die Personen ohne
Visum in den Schengen-Raum befördern. Bei der Vergabe von Visa als auch
bei der Kontrolle an den Außengrenzen werden allen Vertragsstaaten
Einspruchsrechte zugestanden, ohne daß hinterfragt wird, warum ein
bestimmtes Land ein Einspruchsinteresse hat. Wenn also z.B. eine
Madegassin in Belgien einreisen will, so braucht sie dazu die
Einverständniserklärung (Visum) des belgischen Staates. Dieser darf
aber nicht so ohne weiteres sein Einverständnis erklären, wenn z.B.
Frankreich als ehemalige Kolonialmacht etwas dagegen hat, daß diese
Frau europäischen Boden betritt. Weder die Frau noch die BelgierInnen
haben einen Anspruch darauf, die Gründe für die französische
Verweigerung zu erfahren. Hinzu kommt eine Liste aller im
Schengen-Raum "unerwünschten Personen", die im zentralen SIS-Computer
gespeichert werden wird. Allein die bundesdeutsche INPOL-Liste führt
zur Zeit ca. 23.000 Namen.
Eine gemeinsame Liste sogenannter sicherer Herkunfts- und
Erstaufnahmeländer (die meist als "sichere Drittstaaten" genannten
osteuropäischen Satellitenstaaten) soll die nationalen
Abschottungspolitiken im europäischen Rahmen vereinheitlichen. Dazu
dient auch die Einigung im "Londoner Übereinkommen der
EG-Einwanderungsminister" von 1992 (dieses von allen 15
EG-Innenministern abgeschlossen), daß an den Außengrenzen aufgegriffene
Asylsuchende schon bei Verdacht auf "offensichtlich unbegründete"
Asylbegehren direkt wieder abgeschoben werden können, ohne ein
"rechtsstaatliches" Verfahren zu durchlaufen.
Als "offensichtlich unbegründet" werden nach Darstellung des
Innenministeriums folgende Fälle eingestuft:
- Anträge ohne inhaltlichen Bezug zu den Kriterien der Genfer
Flüchtlingskonvention
- "Mißbrauchsfälle", bei denen der Flüchtling die "Mitwirkung am
Verfahren" durch Vernichtung von Dokumenten oder Vorlage von
gefälschten, durch die Verweigerung von Fingerabdrücken etc.
verweigert.
- Anträge von Flüchtlingen, die eine "Gefahr für die Sicherheit des
Staates gemäß den Bestimmungen des nationalen Rechts" darstellen.
- Anträge von BewerberInnen aus "sicheren Staaten".Flüchtlinge aus
Bürgerkriegsländern, in denen nur ein Teil des Gebietes
Bürgerkriegsgebiet ist (z.B. Sri Lanka, Sudan, ehem. Jugoslawien),
müssen nachweisen können, daß sie im Herkunftsland alle Rechtswege
(gerichtliche Instanzen) ausgeschöpft haben, was ja wohl als eher
aussichtslos anzusehen ist.
Mit diesen Möglichkeiten zur "unbegründet"-Deklarierung und der
Zuständigkeit des EG-Staates, mit welchem der/die AsylbewerberIn den
ersten Bodenkontakt hatte, wird es in Zukunft einfacher sein, das
Problem der "refugees in orbit" (der Parallel- und Folgeanträge
stellenden in Europa umherirrenden Flüchtlinge) vor die Tore Europas
zu verlagern. Von dieser restriktiven Asylverweigerungspraxis der
EG-Staaten sind gerade die osteuropäischen Länder unter Druck gesetzt,
ihrerseits, wollen sie nicht selbst all die Abgeschobenen aufnehmen,
Rücknahmeabkommen mit ihren Nachbarn abzuschließen. Zur
Veranschaulichung daraus eine kleine Kostprobe:
Die BRD hat Polen und die Tschechische Republik zu Rücknahmeabkommen
genötigt. Polen wiederum diskutiert nun die Einführung der Visumpflicht
für die Staaten der ehemaligen Sowjetunion, Rumänien und Bulgarien. Mit
der Ukraine wurde ein Rücknahmeabkommen geschlossen. Ein Drittel der
polnischen Armee ist an Polens Ostgrenze verlegt. Die Tschechische
Republik betreibt die Befestigung der Grenze zur Slowakei und hat mit
Polen ein Rücknahmeabkommen. Ungarn setzt seit geraumer Zeit das
Militär zur Kontrolle seiner Grenzen zu Serbien und Rumänien ein. Die
Schweiz organisiert mit militärischer Logistik die "Aktion Limes".
Die bundesdeutsche Abschottungspolitik wird über europarechtlichen Weg
zum Selbstläufer für die Schaffung der Festung Europa!
Der ausländerrechtliche Grundgedanke des Schengen-Vertrages besteht
darin, daß sich die Vertragsstaaten verpflichten, ihre
Einzelfallentscheidungen zu koordinieren und gegenseitig zu
respektieren. Soll heißen: eine Ablehnung wird europaweite Gültigkeit
haben. In ihrer eigenen Logik ist zu diesem Zweck der umfassende
Austausch personenbezogener Daten notwendig. In der mit dem SIS
geschaffenen überdimensionalen Verbunddatei werden Daten aufgrund
unterschiedlicher nationaler ausländerrechtlichen Regelungen mit der
Absicht gespeichert, daß sich hieran alle anderen Partnerländer
orientieren. Das hat zur Folge, daß Staaten Maßnahmen ( also
Abschiebung, Festnahme etc.) für andere Staaten durchführen, die nach
eigenem nationalem Recht möglicherweise unzulässig wären. Hier werden
nationale Kriterien international exekutiert. Diese unüberprüfte
Exekution fremden Rechts verstößt gegen den Gesetzesvorbehalt, weil
hier ein fremder Gesetzgeber über bundesdeutsches Recht entscheidet.
Gemäß Art. 96 wird bei der Speicherung zur Einreiseverweigerung in ein
europäisches Land keine Vereinbarkeitsprüfung mit nationalem Recht
verlangt, sie wird sogar abgelehnt. Dies hat zur Folge, daß eine
Ausweisung in einen Staat zu einer faktischen Ausweisung aus der
gesamten EU führt. Durchsetzbar ist dies erst mit SIS. Wird also
beispielsweise in Griechenland ein Flüchtling nicht anerkannt und
abgeschoben, egal, ob diese Ablehnung nach deutschem Recht ebenso
erfolgt wäre, so wird dieser Person auch in der BRD die Einreise
verweigert. Oder andersherum, jemand wird in Deutschland nicht
anerkannt, so muß auch Portugal, dessen Anerkennungsquote fast fünfmal
so hoch ist wie die der BRD, den Menschen abschieben. Das wesentlichste
hieran ist, daß niemand mehr Verantwortung zu übernehmen braucht nach
dem Motto: "Es tut uns leid, wir würden ja vielleicht, aber der
Sachzwang, das Europarecht, die anderen Staaten,..."
Beispiel für Sachzwang?:
Aus diesem Grunde war es demnach auch zwingend, den Art. 16 (Asylrecht)
des bundesdeutschen Grundgesetzes zu kippen, weil dieser subjektiv
einklagbares Recht war. Es hätten dann alle anderswo Abgeschobenen in
der BRD eine zweite Chance gehabt. Schengen II wäre dann für die
Initiatorin des Vertrages, die BRD, zum Bumerang geworden, hätte sie
dann doch genau das Gegenteil erreicht. Es wären nicht weniger sondern
mehr AsylbewerberInnen gewesen. Völkerrechtliche Verträge verpflichten
halt, deshalb war auch jeder Widerstand gegen die Grundgesetzänderung
von vorn herein zum Scheitern verurteilt.
Der gläserne "Drittausländer" - die Zusammenarbeit mit Verfolgerstaaten
Zusätzliche Brisanz erhalten die Regelungen zur Speicherung über
"Drittausländer" durch eine zynischerweise in der Rubrik "Datenschutz"
versteckte Klausel. Nach Art.118 Absatz 2 muß "jede Vertragspartei für
die Übermittlung von Daten an Stellen außerhalb des Hoheitsgebietes der
Vertragsparteien besondere Vorkehrungen zur Datensicherung treffen".
Nicht wesentlich ist hier die "Datensicherung" , denn diese muß ja nur
versprochen werden. Vielmehr ist wesentlich, daß implizit enthalten
ist, daß auch Daten nach außerhalb der Schengen-Staaten übermittelt
werden dürfen. Damit ist SIS auch potentielle Datenbasis für Polizei,
Militär und Geheimdienste von Verfolgerstaaten, wie den türkischen
Geheimdienst MIT. Es dürfte klar sein, was es bedeutet, wenn Daten aus
dem SIS den Schergen des Staatsterrors zugänglich sind.
Soweit, es kommt noch schlimmer.
Das Ausländerzentralregister (AZR) beim Bundesverwaltungsamt speichert
zur Zeit die Personendaten von 10 Millionen Ausländern und
Ausländerinnen. Zusätzlich werden Informationen zu diesen Personen zu
folgenden Punkten gespeichert: Asylantrag, Ausweisung, Abschiebung,
Ausreiseverbot, Duldung, Einschränkung der politischen
Betätigungsfreiheit, Einreisebedenken, Auslierung und Durchlieferung,
Ausschreibung zur Grenzfahndung, zur Aufenthaltsermittlung oder zur
Festnahme. Gespeichert wird alles pro Person unter einer AZR-Nummer.
Auch wenn vom Innenministerium behauptet wird, daß "Daten aus dem AZR
nicht in das SIS übernommen" werden, so zeigt ein Blick auf die in der
Zeichnung aufgeführte Online (Direktzugangs)-Vernetzung der einzelnen
AusländerInnen- , Asyl- und Sicherheitsbehörden, daß es ein leichtes
ist, daß entweder das BKA selbst oder darüber Europol zukünftig oder
irgendwelche Geheimdienste (NADIS) der BRD bzw. der gesamten
Schengen-Staaten an die Daten aus dem AZR herankommen können, um diese
dann an Polizei oder Geheimdienste "außerhalb des Hoheitsgebietes" zu
übermitteln. Zur Zeit läuft dies zwar auch schon, keine Frage aber in
konventioneller Amtshilfe und nicht automatisiert. (Erst kürzlich ist
bekannt geworden, daß sich in James-Bond-Manier deutsche und türkische
Geheimdienstler an der türkischen Grenze trafen um zwei Aktenordner
bzgl. PKK auszutauschen.) Somit dient das SIS auch als Brücke zur
gezielten Folter und Ermordung von Abgeschobenen in Verfolgerstaaten.
Zur Vereinfachung wird aber darüber nachgedacht, das AZR mit
vergleichbaren anderen europäischen Dateien zu vernetzten. Damit wäre
dann eine eher industrielle Folter in Verfolgerstaaten möglich. Zur
Numerierung schlage ich vor, die AZR-Nummern beizubehalten. Dann
könnten deutsche Behörden die Verstümmelung oder den Tod von
Abgeschobenen über Online leichter zuordnen. Weil gemäß der deutschen
Gründlichkeit müssen die Daten von AusländerInnen ja 10 Jahre
gespeichert werden.
SIS ist noch nicht das Ende der Überwachung - EURODAC wird kommen
Für den Fall, daß abgeschobene AsylbewerberInnen es schaffen sollten,
aus ihrem Herkunftsland ein zweites Mal herauszukommen, um dann unter
geändertem Namen ein zweites Mal an den Grenzen zu Europa zu stehen,
soll in Zukunft die bei INPOL angegliederte Fingerabdruckdatei AFIS
(alle, die nicht die Deutsche Staatsbürgerschaft haben, müssen sich
ED-behandeln lassen) auch europaweit ausgedehnt werden. Mit der
Schaffung einer dann EURODAC (europäische Daktyloskopie) heißenden
Zentraleinheit, die wohl ans SIS angegliedert werden wird, ist ein
französisches Consulting-Unternehmen beauftragt worden. Damit können
Flüchtlinge dann an den Grenzen sofort identifiziert werden, es werden
weniger AsylbewerberInnenunterkünfte nötig sein. Für ED-behandelte
EuropäerInnen bedeutet die Ausweitung, daß z.B. bei einer Festnahme
oder auch nur Kontrolle in einem anderen europäischen Land sofort alle
Daten den dortigen Behörden zur Verfügung stehen.
Nachschlag:
Die exekutivistische EG-Innenpolitik setzt also Rahmenbedingungen und
Strukturen fest, die für die Mitgliedstaaten verbindlich sind. Dies
treibt wiederum die Exekutivierung der Innenpolitik auch in Deutschland
und den anderen Mitgliedstaaten über sogenannten Sachzwang voran.
Neuerungen von Euro-Befa über Sanktionen für Fluglinien bis hin zur
unüberprüfbaren Anerkennung fremder Verwaltungsentscheidungen lassen
nationalen Parlamenten geschweige denn außerparlamentarischen Gruppen
keine Mitsprache und Kontrolle mehr. Das Europaparlament ist mangels
Kompetenzen ebensowenig in der Lage.
Ordnungs- und Sicherheitsbehörden werden somit Freiräume geschaffen,
wie sie in Deutschland seit 1945 nicht mehr vorhanden waren.
Gruppe OCUPA
Begriffe:
INTERPOL
bekanntestes Beispiel internationaler Zusammenarbeit polizeilicher
Behörden, seit 1946. Vorher seit 1923 unter dem Titel "Internationale
Kriminalpolizeiliche Kommission" z.Zt. 155 Mitgliedstaaten. Bis Anfang
der 80er Jahre technisch überaltert. Fernschreibesysteme waren nur die
Hälfte der Mitglieder angeschlossen, die meisten mußten per Post
erreicht werden, dies wurde erst 1987 mit dem "Automatic Message
Switching System (AMSS)" geändert.
Die Interpol-Kartei verfügte nur über ca.180.000 Fingerabdrücke und
ca.7000 Lichtbilder - zum Vgl. das BKA besaß zur gleichen Zeit Daten
über 6.000.000 Bundesbürger und über 3.000.000 Fingerabdrücke. Die
Erfolsquote lag unter 1%.
1989 wurde mit dem Commutator eine technisch hochwertige Computeranlage
(für ca.5.5 Millionen DM) angeschafft. Seitdem werden jährlich ca.1
Millionen Botschaften eingespeist. In Minutenschnelle kann nun mit
Namen, Geburtsdaten und einer Tatbeschreibung ein Steckbrief erstellt
und übermittelt werden.
Erster international gesuchter Terrorist war Abdu Nidal, der das
Kreuzfahrtschiff "Achillo Lauru" am 7.10.1985 entführt und einen
Überfall auf den römischen Flughafen am 27.12.85 begangen haben soll.
TREVI
(Terrorisme, Radicalisme, Extremisme, VIolence internatonale)
Unter der Bezeichnung TREVI finden seit 1976 regelmäßige Treffen zur
Fragen der Inneren Sicherheit und Öffentlichen Ordnung auf
unterschiedlichen Ebenen statt.
Oberstes Entscheidungsgremium ist die Ministerebene in der die
Justiz-und Innenminister der 15 EG-Länder politische Beschlüsse fassen.
Zweite Ebene ist der "Ausschuß der Hohen Beamten", dem hohe
Ministerialbeamte aus den jeweiligen nationalen Ministerien und
inoffiziell die Leiter der Nachrichtendienste angehören.
TREVI ist keine EG-Institution sondern eine Art Koordinierungs-und
Planungsinstanz für polizeiliche und geheimdienstliche Kooperation.
Sitzunge des TREVI unterhalb der Ministerebene finden ohne
Öffentlichkeit statt und die Mitglieder werden geheimgehalten, selbst
EG-Beobachter sind nicht zugelassen und eine Kontrolle durch das
Europa-Parlament ist nicht vorgesehen.
dritte Ebene Arbeitsgruppen:
TREVI 1 ( Terrorismusbekämpfung )
TREVI 2 ( Polizeiausbildung und Technologie )
TREVI 3 ( Juni 1985 -Bereich Schwerverbrechen,OK, Drogen )
TREVI 4 '( Ausgleichsmaßnahmen )
1992 entstand die Arbeitsgruppe "Ausgleichsmaßnahmen", um
"Sicherheitdefizite" durch die wegfallenden Grenzen festzustellen und
auszugleichen.
BKA
Bundeskriminalamt,oberste deutsche deutsche Polizeibehörde
Inpol
Das Datensystem( der Computer) vom BKA , ca. 6 millionen Bundesbürger
gespeichert.
Schengen I
Vertrag von 1985, in dem von Frankreich, BRD und den BeNeLux-Staaten
die Abschaffung der Grtenzkontrollen festgelegt wurde.
Schengen II
auch "Schengener Durchführungsabkommen", Vertrag von 1990, sollte die
sogenannten Ausgleichsmaßnahmen für Schengen I regeln. z.Zt. 9
Unterzeichnerstaaten.
SIS
das Computersystem, was Schengen II möglich machen wird. Darin die
Daten aus BKA und den entsprechenden Kriminalämtern der anderen 8
Staaten. Zugriff auch durch Geheimdienste. Fütterung mit den Daten aus
anderen Personendatencomputern, wie z.B.Daten über in Deutschland
lebende Nichtdeutsche.
Online
mehrere Computer werden über Telefonleitungen miteinander verbunden.
Jederzeit können also Daten vom einen zum anderen ohne Kontrolle im
Einzelfall transportiert werden.
DVD
Deutsche Vereinigung für Datenschutz
Menschen , die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Machenschaften der
Bullen und anderer Institutionen zu überprüfen und auf die Gefahren
aufmerksam zu machen.
AZR
Ausländerzentralregister
zentrale AusländerInnenerfassung in Deutschland , Daten über ca. 10
Millionen AusläderInnen, wovon nur ca. 6 Millionen in Deutschland
leben.
Ausländerbehörden
Émter vergleichbar mit dem Ordnungsamt, JedEr AusländerIn hat dort
ihre/seine Akte. Die Behörden sind Hauptdatenlieferanten für das AZR,
Denunziationspflichtig.
NADIS
nachrichtendienstliches Informationssystem
Datenspeicherung der Geheimdienste, keine Zahlen, außer, daß die
relative Menge beim Verhältnis Deutsche/Nichtdeutsche bei 1:20 liegt.
Polizei u. Geheimdienste
der übrigen Mitgliedstaaten
Schengener Informationssystem
SIS
BAFI-Dateien
(Bundesamt für Anerkennung ausländischer Flüchtlinge):
ASYLON
ASYLIS
Generalbundesanwalt:
Bundeszentralregister
BKA-Dateien:
INPOL
AFIS
Geheimdienst-
dateien:
NADIS etc
Ausländerbehörden
Bundesverwaltungsamtsdatei:
AZR
kleiner Exkurs: Vorsicht Zahlen!!
Taugen Grenzen gegen "Organisierten" Drogenhandel überhaupt?
Die schon als vorgeschoben entlarvte Sicherheitskampagne bzgl.
"Organisierter Kriminalität" erscheint einer näheren Betrachtung wert,
bedenkt mensch das enorme Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung. Geht
von dem Wegfall der Grenzen eine Bedrohung aus und wenn ja dann welche?
Wenn öffentlich von "Ausgleichsmaßnahmen" die Rede war und ist in Bezug
auf "Organisierte Kriminalität (OK)", dann geben vielleicht Zahlen
darüber Auskunft, welche Vergehen oder Staftaten an Grenzen am
häufigsten "entdeckt" wurden. Nach einer in der Zeitschrift des
Bundesgrenzschutzes veröffentlichten Statistik von 1988 wurden an allen
deutschen Grenzen 6518 Personen wegen Rauschgiftdelikten aufgegriffen.
Zu bedenken ist hier, daß bei einem Wegfall eh nur die für solche
Delikte halbwegs interessante Grenze zu den Niederlanden nicht mehr
überwacht wird. Nach anderen Statistiken läuft über diese Grenze nur
der "Ameisenhandel". Große Drogenmengen gelangen sowieso über eine
sogenannte "Balkanroute" in die BRD. Diese bleiben weiterhin
kontrolliert. Anhand der ohnehin geringen Anzahl der Aufgriffe - wovon
sogar noch etwa 2 Drittel an der Grenze zu den Niederlanden
stattfanden, also lediglich kleine Fische ins Netz der Kontrollen
gingen - läßt sich feststellen, das physische Landesgrenzen zur
Eindämmung des organisierten Drogenhandels nicht taugen. Außerdem ist
unstrittig, daß eine durch Beschlagnahmungen hervorgerufene Verengung
des Marktes nicht den Konsum der Drogen minimiert, sondern allenfalls
dient dies zur Marktregulierung und zum Anstieg der Preise. Bei so
wenig Fällen ist ein solches "ausgleichendes" Kontrollsystem wie SIS
Bei weitem tauglicher sind die Grenzen als ausländerpolitisches
Kontrollinstrument. So wurden z.B. 1988 ca. 124.000 Menschen von
bundesdeutschen Grenzen zurückgewiesen. Hinzu kommen gut 30.000
Aufgriffe wegen Verstoßes gegen Paß- und Ausländergestz und mindestens
Teile von 13.000 Aufgriffen wegen Fälschens von Pässen.
Fast 160.000 Fälle in der AusländerInnenpolitik gegenüber 6.500 Fällen
in der Drogenpolitik. Daß das Argument "OK" nur ein vorgeschobenes ist,
wird aus diesen Zahlen einmal mehr deutlich. Diese Durchsichtigkeit
scheint auch die Bundesregierung nun gemerkt zu haben und hat im
Nachhinein damit reagiert, die sogenannten Schleuserbanden zur "OK" zu
rechnen, auf das es wieder paßt.
Der Schengen II-Vertrag ist also ein
ausländerrechtliches/asylpolitisches Instrument zur Errichtung der
Festung Europa.