Auch die Begründung scheint von langer Hand vorbereitet - eine Anklage wegen 'Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung" schüttelt sich kein BAW- Jurist aus dem rmel, wenn es um den 'Tatbestand' einer Zeitungsproduktion geht. Mit der Zeitung verbindet die BAW eine spezielle (Verfolgungs-)Geschichte - und zwar eine,. die im kollektiven Gedächtnis v.a. als eine der Pleiten der BAW abgespeichert ist - siehe große ffentlichkeitskampagne wegen Härlin und Klöckner und deren Abgang ins Europapalament, siehe das erfolglose Terrorisieren von Verkaufsstellen in Berlin - allerdings hatte schon damals die BAW bundesweit gegen Läden ermittelt und auch Urteile vollstreckt (siehe das aktuelle Radi- Flugblatt). Im Großen und Ganzen waren diese Aktionen erfolglos: die Zeitung existierte weiterhin.
Wenn die Bullen nun wieder vorpreschen, muß man davon ausgehen, daß sie
mit diesen Fiaskos im Hinterkopf sich weitgehend eine wasserfeste
Argumentationsbasis verschafft haben. Und zum zweiten, daß ihnen an diesem
'Projekt' der Kriminalisierung einiges zu liegen scheint. Die Frage ist im
folgenden, was das Interesse im einzelnen ausmacht-
1. Die Zeitung ist laut Selbstdarstellung ein überregionales Projekt. Sie
existiert seit nunmehr 10 Jahren unter klandestinen Bedingungen.
Das Arbeiten unter solchen Bedingungen bzw. das Sich- Erarbeiten von
Strukturen, die dieses Arbeiten möglich macht stellt schon an sich für
einen derart langen Zeitraum einerseits einen großen Erfahrungsrichtung
und -schatz dar und andererseits ist das kontinuierliche Erscheinen aus
autonomen (dem Inhalt nach auch aus feministischen Zusammenhängen) eine
unvergleichliche Leistung und absolute Einmaligkeit für autonome
Zusammenhänge.
Inhalt, Anspruch und Ziel der Zeitung war es, unter unzensierten
Bedingungen eine Debatte über revolutionäre Politik führbar zu machen und
selber dazu Beiträge beizusteuern. Man kann sich darüber streiten,
inwieweit das gelungen ist. Tatsache ist aber, daß in einer Zeit, wo
andere den Hut nehmen ('Das Ende unserer Politik ..." , von einer RZ das
Abgesang-Papier z.B.) die Zeitung weiterexistierte und versuchte, gegen
den Zeitgeist Impulse zu setzen.
Das geschah durch Interviews mit revolutionären Gruppen, über einen
ausführlichen und sehr gründlichen Geschichtsteil, über viele
Dokumentationen aus dem Bereich antirassistische Arbeit u.v.m.
Mit der Begründung "Mitgliedschaft" schafft sich die BAW die
Zugriffsmöglichkeit auf alle revolutionären Kommunikationsstrukturen, die
weiterhin dem Anspruch nachkommen, Erklärungen zu veröffentlichen,
Diskussionen um militante Politik zu führen - ein Gegengewicht gegen die
Macht der staatlichen (und privaten) Medien zu setzen.
Dieses Instrumentarium für einen jederzeit möglichen Zugriff auf die noch
existierenden Kommunikationsstrukturen machen den strategischen Aspekt
dieser Kriminalisierung aus - er geht weit über das konkrete Ziel, die
'radi', hinaus. Beginnt aber nicht umsonst genau bei ihr.
Was ist das Verhältnis der Szene zu ihren Medien?
In Berlin gibt es seit vielen Jahren die 'Interim'. Gegen sie ist - soweit
bekannt -länger keine direkte Repression gelaufen. Zweierlei kann man als
aktuellen Bewußtseinsstand vieler daher befürchten:
- man hat sich an die Existenz 'gewöhnt', nimmt sie quasi als
'naturwüchsig' zur Kenntnis. Viele können sich wahrscheinlich -nicht mehr
daran erinnern wie die Zeit vor der lnterim war.-Kaum jemand (außer den
MacherInnen) wird noch realisieren, wieviel Abeit das Produzieren und an
die Frau/Mann bringen bedeutet.
- Neben dem Verhältnis zu etwas Naturwüchsigern wird sich kaum jemand groß
der Mühe unterziehen, sich über Sinn, Zweck und Bedeutung der Zeitung
Gedanken zu Machen - sie ist halt da. Auf der anderen Seite wird kaum
jemand sich vorstellen können, daß der Schlag gegen die 'radi' Teil eines
länger angelegten Planes sein kann, in dem das Aufräumen mit 'Interim` und
vergleichbaren Zeitungen integraler Bestandteil ist.
Ausgangspunkt der Arbeit wäre entsprechend, erstmal in der Breite ein
Verhältnis zur Bedeutung und Funktion der Medien herzustellen.
Die Beschäftigung mit Medien umfaßt den Strang 'unserer Medien' und
Kommunikatinsstrukturen - und die Medien der Gegenseite.
Zuerst zu unseren:
Vorher wurde angeschnitten, daß inhaltliche Diskussionen zu Repression den
Kern der kriminalisierten Projekte und die gesellschaftlichen Prozesse
thematisieren und ins Verhältnis setzen müssen.
Eine Mediendebatte über unsere Medien muß also zum einen eine kritisch
solidarische Auseinandersetzung mit den Medien sein, inwieweit sie eher
'Szene-Nabelschau' betrieben haben oder wo sie Beiträge zum 'über den Rand
schauen' geleistet haben. Es müßte eine Diskussion geben, ob eine
Reproduzierung von gesellschaftlichen Normen, in unseren Medien
stattfindet - oder ob die Medien einen Teil zur Uuml;berwindung dieser
Strukturen beitragen. Darin muß selbstverständlich ein aktives Verhältnis
eingenommen werden. Es geht nicht um sich zurücklehnen, analysieren und
rummeckern, sondern um ein aktives Verhältnis in diesen Prozessen.
Desweiteren in dieser kritischen Diskussion muß betrachtet werden, welche
praktische Bedeutung Medien zum einen für diesen Diskussionsprozeß für
'inner-links' haben - zum anderen bilden die Medien und
Kommunikationsstrukturen aber immer auch wesentliches Fenster nach außen.
Positionen werden sichtbar, hoffentlich nochvollziehbar. Sie bilden eine
wesentliche Brücke, linksradikale/feministische Positionen verbreitern zu
helfen, Frauen und Männer aufmerksam und neugierig zu machen..
Das Kappen der Kommunikationsstrukturen hat damit zweierlei
Zielrichtungen, den Organisierungsprozeß nach innen, wie den
Organisierungs- und Vermittlungsprozeß nach außen zu sabotieren. Beide
Stränge sind wichtig und zu beachten.
Und dann gebe es bei Medien noch einen Strang zwei:
- Mediendebatte bedeutet auch, sich über die Bdeutung von und Prägung der
Gesellschaft durch die Medien im Klaren zu werden.
Wie Frauen es in einem Text formulierten:
Die Sendeanstalten - öffentlich rechtliche wie private - reproduzieren
als Teil dieser Gesellschaft entsprechende Herrschaftsnormen. Sie werden
politisch kontrolliert, die Privaten darüber, daß sie unmittelbar den
Marktmechanismen unterworfen sind.. "Publikumsrenner" sind Filme, die als
'eingängig' gelten und eingängig ist, was herrschende sexistische und
rassistische Klischees bestätigt, was dem "gesunden"
(Männer)Volksempfinden auf die Schulter klopft und in der ldentifikation
mit Macht und Herrschaft, mit Hierarchie und der "Notwendigkeit" zur
Unterwerfung bestärkt. Verkitscht, sensationsartig überhöht oder auf
Hochglanz poliert werden verinnerlichte Unterdrückungsstrukturen bis zum
Erbrechen wiederholt und als erstrebenswerter Normalzustand dargestellt."
(Die -Kabelbeißerinnen, in der letzten Radi dokumentiert)
In der radi 147 vom Mörz 1993 war ebenfalls ein langer Artikel, der sich
mit Struktur und Bedeutung der Medien beschäftigt - auch mit der neuen
Medienstruktur in der EX-DDR.
Im antirassistischen Spektrum gab es vom 23.5. - 2.6.1993 bundesweite
Aktionstage gegen, Rassismus in den Medien ("Wenn wir daher die Medien
gezielt in den Mittelpunkt von Aktionstagen stellen, bekommen wir
dasjenige Scharnier ins Visier, ohne das der Rassismus und Nationalismus
im Zentrum der Gesellschaft, also in Politik Wirtschaft und bürgerlicher
ffentlichkeit nicht hätte derart hegemoniefähig werden können...'
dokumentiert in radi, 147)
Es ist die Frage, welchen Stellenwert Kommunikationsstrukturen/Medien die
linksradikale Szene in ihrer Politik einräumt. Es wurden in vielen
Regionen z.B, Zeitungsprojekte mangels Mitarbeit eingestellt, Südwind,
Land-Unter...
In Berlin wurde der Szene erst als Radio 100 weg vom Fenster war, klar,
wie wichtig dieser Sender für die Außenwirkung der Szene war.
Mittlerweile gibt es wieder viele Ansätze, lokale Radios/Sender zu machen,
v.a. im süddeutschen Raum.
In der radi wurde regelmäßig von Piratlnnensendern berichtet (und eine
Senderanleitung vertrieben!).
Es gibt nachwievor eine Vielzahl von Zeitungen und Zeitschriften, von
denen aber die meisten eine inhaltliche Schwerpunktsetzung verfolgen (IZ3W
oder eine sehr eingegrenzt Strategie fahren (17 celsius) - oder die eine
offene Struktur haben wie AK oder Arranca.
So ist festzuhalten - es gibt viele Leute, die in irgendeiner Form in
Medienprojekten involviert sind. Diese repräsentieren viefach
zersplitterte Szenen, die wenig miteinander zu tun haben, die oft auch
über ihren eigenen Schwerpunkt nicht viel Interesse daran haben, über
inhaltlich, strukturell Verbindendes zu grübeln. Viele andere haben vor
allem die Rolle des/der Konsumierenden und denken über diese Probleme
nicht nach.
Zusammenfassend: es geht um das Verbindende, das übergeordnete Interesse
an einer Vielzahl und Buntheit von linksradikalen/feministischen Medien,
offen, verdeckt, Kommunikationsorten. Daraus lassen sich keine Teile
heraustrennen.
Alle, die In und an solchen Projekten arbeiten, sollten sich zu dem
laufenden Verfahren verhalten - aber auch: es muß auf sie zugegangen und
mit ihnen diskutiert werden.
Nicht zuletzt: In Deutschland wird somit kriminalisiert, was in vielen
Ländem nicht unter Strafe steht. Es ist kein 'Jammern', kein Appell an den
Staat, wenn Linke international darauf hinweisen und Druck machen, daß das
nicht laufen kann. Es stellt ein Terrain dar, das nicht kampflos aufgeben
werden kann - immerhin verschlechtert es die Bedingungen für alle, wenn
das durchkommt.
Keine "Gnade", sondern eher andersrum argumentiert: anhand der
Kriminalisierung wird der aggressive Charaker des deutschen
imperialistischen Systems deutlich - im Kampf dagegen kann die
linksradikale Szene dem Grenzen setzen und auch international deutlich
machen, um was es hier in der BRD gerade geht.
Es gibt anscheinend den Einwand, man könne so nicht argumentieren, weil
man ja schließlich auch nicht Pressefreiheit für die Faschos fordern
würde.
Dazu läßt sich sagen:
bei Faschos wurde gerade nicht staatliches Verbot gefordert. Es ging immer
um Selbstorganisierung, um Schaffen eines gesellschaftlichen Druckes, der
es Faschos unmöglich macht, weiterhin Druckereien zu finden, die ihre
Sachen drucken, Kioske zu finden, die Ihre Zeitungen verkaufen usw.
Bei linksradikalen Zeitungen ging es ebenfalls nie um das Einfordern von
bürgerlichen Rechten - da wissen schließlich-alle (das wäre die
Beschäftigung mit Medienmonopolen hier und heute in Deutschland aber auch
aktuell in Italien), daß das hier immer die Freiheit des Geldes bedeutet -
sondern um die Thematisierung von Zensur und Kriminalisierung - und sich
gegen diese staatlichen Repressionsmaßnahmen möglichst weitgehende
Bedingungen der Kommunikation zu erhalten, die für die Linke
überlebenswichtig ist. (Kommunikation, Diskussion spielt ja zum Glück bei
den Linken eine ungleich höhere Rolle übrigens als bei den Rechten).
Als letzte Bemerkung: Kommunikation ist immer v.a. ein direkter Prozeß.
Medien können diesen Prozeß nur begleiten, ihn reflektieren, ihm Impulse
geben. Aber die Basis sind die direkten Diskussionen. Es wäre daher
wichtig, daß es zum Thema Medien v.a. Veranstaltungen gibt, die
Diskussionen ermöglichen - man sollte somit neben Großveranstaltungen, die
eher auf ffentlichkeit setzen, auch kleinere Stadtteilveranstaltungen
machen, wo man zusammen redet und nicht nur Leuten auf dem Podium zuhört.
(und v.a. jetzt nicht nur Papierkrieg führen...)