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Sat Dec  9 18:53:37 1995
 

Aussageverweigerung


Inhalt

  • Einleitung

  • I. Rechtliches

  • 1. Die Aussageverweigerung als BeschuldigteR
  • 2. Die Aussageverweigerung als ZeugIn
  • II. Einzelfragen

  • III. Aussageverweigerung und Knast/Beugehaft

  • IV. Diskussionsbeitrag

  • Anhang

  • Verhörmethoden
  • Literatur
  • Einleitung


    Die Position der konsequenten Aussageverweigerung, die wenigstens inhaltlich auf einen breiten Konsens innerhalb der Linken zu stoßen schien, wird heute zunehmend in Frage gestellt. Die praktischen Erfahrungen mit der Aussageverweigerung, etwa im Startbahn-Verfahren, weisen daraufhin, daß das so klare "Keine Aussagen!" so klar nicht war und auch nicht ist. Das typische der jetzigen Situation ist durch den Satz "Aussageverweigerung ja, ...aber..." gekennzeichnet. Ein Grund für diese, Unklarheiten mag sein, daß Kampagnen zur Aussageverweigerung in der letzten Zeit wenig (Frankfurt: "Anna und Arthur haltens Maul" ), relativ erfolglos und hauptsächlich regional beschränkt liefen. Es gibt aus unserer Sicht aber noch weitere Gründe, die wir benennen wollen, um dann darzustellen, warum wir die Position der konsequenten Aussageverweigerung mit der Forderung Keine Aussagen bei Bullen und Staatsanwalt! Nicht als BeschuldigteR, Nicht als ZeugIn ihre Formulierung finden könnte, nach wie vor für richtig halten. Desweiteren werden wir versuchen, einige Bedingungen für eine konsequente und erfolgreiche Aussageverweigerung zu nennen.

    Wir werden in einem Diskussionsbeitrag zum Schluß thesenartig die Verbindung zwischen Aussageverweigerung und Organisierung, die u.E. den Kern des Problems ausdrückt, darstellen. Im ersten Teil werden wir auf rechtliche Fragen und Probleme eingehen, ein zweiter Teil über Einzelfragen und ein dritter über Beugehaft und Knast schließen sich an.

    Den zweiten Schwerpunkt dieser Broschüre haben wir sodann auf Verhöre und Verhörmethoden gelegt, dieser Teil unterstützt notwendigerweise das zur Aussageverweigerung Gesagte. Wir haben uns zu einer ausführlichen Darstellung der Methoden von Staatsschützern aus ihren Schriften heraus entschieden. Damit wollen wir zwei zentrale Punkte klarmachen: nämlich erstens, daß alles, was die Bullen/Staatsanwaltschaft abziehen, nur einem dient: daß geredet wird, Informationen preisgegeben werden. Als zweites wird u.E. klar, daß jedes Verhör. auch wenn mensch keine Aussagen macht, eine kommunikative Situation ist, eine künstlich geschaffene, in der bestimmte Verhaltensweisen provoziert werden sollen. Es ist eben nicht so "einfach" , daß Mensch einfach dasitzen und das Maul halten kann! Die Darstellung dieser kommunikativen Atmosphäre, die die Gegenseite versucht zu schaffen, soll helfen, die Methodik bei Verhören zu durchschauen.

    Erwischt!


    Es gibt vielfältige Situationen. in denen mensch in Gefahr geraten kann zu reden. Neben den üblichen Verhörsituationen nach einer Festnahme und nach einer Vorladung, fassen wir hier auch Anquatschversuche in einem weiten Sinne darunter. JedeR kennt sie wohl, die "Deeskalationsbullen" , die mittlerweile bei fast jeder größeren Demo aufkreuzen und nette Flugis verteilen. Und während die einen in echter Arbeitsteilung prügeln, labern die anderen einen voll: Demo und Zweck seien ja gerechtfertigt aber bitte keine Gewalt usw. usf. ... und dann mischen sich Fragen ein: "von welcher Schule seid ihr denn?" - "Wieviele seid ihr denn?" ... Immer noch fallen viele auf diese Masche herein. aber mensch mache sich nichts vor: es handelt sich hier um speziell geschulte Psycho- Bullen. die Rede und Antworten gleich Missionaren auswendig lernen. Und sie wollen nur eins: Informationen. Gib sie ihnen nicht. Nichts spricht dagegen, sich ein Flugi zu sichern, bevor ein Argloser darauf hereinfällt. aber rede nichts mit ihnen!

    Nach einer Verhaftung kann es sein, daß die Bullen gleich in der Wanne einen vollsülzen - womöglich mit der Versicherung, es sei ja noch kein Verhör. Daß dabei die Bullen immer auf der anderen Seite stehen, wird schnell übersehen.

    Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen Festnahme und Vorladung. EinE BeschuldigteR kann sich einer Vorladung sowohl von Bullen als auch vom Staatsanwalt entziehen: Mensch muß nicht erscheinen. Hingegen herrscht Erscheinungspflicht vor Gericht. Aber auch hier ist eine BeschuldigteR nicht zur Aussage verpflichtet.

    Einem Verhörversuch nach einer Festnahme kann mensch sich nicht entziehen, er gerät in eine Situation und muß sich in ihr verhalten. Das Wissen um die Rechte (Keine Aussagepflicht!) wird überlagert und beeinflußt von der Behandlung/Verhalten der Bullen. So werden die Bullen, z.B. während einer Hausdurchsuchung in der ersten Aufregung vielleicht fragen: "Wer wohnt denn noch hier?" und in der beschissenen Situation im Gefühl des Ausgeliefertseins entsteht das verständliche Bedürfnis nach einem Gespräch - genau darauf warten die Bullen. Oder mensch sitzt alleine mit ihnen in der Wanne, ist vielleicht geschlagen worden ... und die Bullen fragen: "Du warst es doch, oder?"

    Demgegenüber muß mensch unbedingt versuchen. klaren Kopf zu bewahren und genau um seine Rechte wissen. Ruhig bleiben, auf Provokationen" und Beleidigungen nicht reagieren Jeden nötigen Kontakt auf eine formale Ebene ziehen:

    Verlange den Durchsuchungsbeschluß, verlange, den Anwalt anzurufen, auch wenn dieses Recht oft verweigert wird.

    Rechte nach einer Festnahme:


    Du hast das Recht:
  • den Grund für die Festnahme zu erfahren.
  • alle Aussagen zu verweigern.
  • nichts zu unterschreiben!
  • gegen eine erkennungsdienstliche Behandlung schriftlich Widerspruch einzulegen.
  • im Verletzungsfalle einE ÄrztIn zu verlangen und die Verletzung attestieren zu lassen.
  • ein Protokoll über die beschlagnahmten Sachen zu erhalten.
  • einen Anwalt anzurufen und nächste Angehörige zu benachrichtigen. (Aber nicht soviel quasseln am Telefon)
  • I. Rechtliches

    1. Die Aussageverweigerung als BeschuldigteR


    Im Gegensatz zur Zeugln hat eine Beschuldigte das Recht auf eine generelle Aussageverweigerung. sowohl bei der Polizei. wie beim Staatsanwalt, als auch vor Gericht. Erscheinungspflicht besteht für eine BeschuldigtE nur bei Gericht (Zum Umgang mit Ladungen s. bei Zeugln)

    Bullen
    Für den/die BeschuldigteN ist als Problem der Druck, der durch eine Verhörsituation und durch die Bedrohung mit Knast entsteht, das zentrale Problem Die Verhörsituation kann nie vollständig vorher berechnet und geplant werden, eine Selbstbestimmung, die Meinung, mensch könne irgendwie aus dem Objektstatus, der ihm/ihr zugewiesen wird, ausbrechen, ist Illusion. Uns erscheint wichtig genau um die eigenen Rechte, sowie um mögliche Tricks der Repression zu wissen, und dadurch - einen eventuellen Überraschungseffekt kleinzuhalten. Es ist auch so, daß etwa bei einem Bullenverhör. der Objektstatus von den Bullen aus aufgebrochen wird. Mensch kann nicht einfach dasitzen und sein Maul halten, mensch will seine Angehörigen sprechen, seineN AnwältIn sprechen. "braucht vielleicht einen Arzt/ Ärztin ... Und die Bullen sind die letzten, die sich darum einen Kopf machen. Die Wahrnehmung seiner Rechte fällt auf einen selbst zurück. ständig muß mensch sich verhalten, aktiv werden ... es ist dies eine Falle, unter vielen, die uns die Repression stellt. Dagegen hilft nur das Wissen. wo die Grenze zu ziehen ist, wann mensch das Maul halten muß - also auch hier ist eine vorherige Auseinandersetzung um diese "Aspekte der Aussageverweigerung dringend geboten.

    Es darf nur die generelle Aussageverweigerung nicht zum Nachteil des Beschuldigten gewertet werden! Das bedeutet: macht eine BeschuldigteR auch nur eine einzige Aussage (egal. wo), und sei sie noch so unbedeutend, so öffnet er/sie Richtern und Staatsanwälten Tür und Tor, die ansonsten beibehaltene Aussageverweigerung gegen sie/ihn zu verwenden. Für den Richter heißt dies "freie richterliche Beweiswürdigung" , der jede Aussage unterliegt. D.h.. er kann also bei wenigen Aussagen spekulieren, warum der/die Beschuldigte auf die anderen Fragen nun gerade nichts sagen wollte! Was also bedeutet, daß es Teilaussagen in diesem Sinne gar nicht gibt! Welche auf bestimmte Fragen antworten, sich bei anderen aber auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen, liefern damit immer ein vollständiges Bild von sich selbst. Ob sie ansonsten Schweigen: welche einmal geredet haben, liefern Zusammenhänge, einen Kontext, den sich kein Staatsanwalt entgehen lassen wird!

    Nach einer Festnahme und vor Gericht. sind Beschuldigte zu folgenden Angaben zu ihrer Person verpflichtet: Name, Adresse, Geburtsdatum, Geburtsort und ungefähre Berufsangabe! (Also nicht der Arbeitgeber. Jugendliche müssen auch nicht die Adresse der Eltern angeben, wenn sie nicht mehr bei ihnen wohnen). Welche das nicht tun, haben vor Gericht meist mit einem Ordnungsgeld (50 DM etwa) zu rechnen. Weitere Sanktionen (Ordnungshaft) können folgen. Welche bei den Bullen diese Angaben verweigern, begehen das Delikt der Personalienverweigerung. welches wiederum verfolgt werden kann. (Auf jeden Fall kann mensch durch Beharrlichkeit und dem Verlangen nach dem Einsatzleiter bei einer bloßen Personalienfeststellung (nicht nach einer Festnahme!) manchmal erreichen, daß diese nicht durchgeführt wird.

    Haftrichter

    Es gibt einen Ort, wo eine Aussage angebracht scheint, nämlich vor dem Haftrichter. Hier ist zunächst zu betonen: Eine Aussage zur Sache wendet keine U-Haft ab! Der Haftrichter erläßt den Haftbefehl wegen "dringenden Tatverdachts" . Egal, was Du zu den Tatvorwürfen zu sagen hast, und wenn es ein Alibi ist. auf keinen Fall kommst Du raus! Zu den Tatvorwürfen, die auf den Ermittlungen der Polizei beruhen, und die zum Haftbefehl führen, kommen noch sogenannte "Haftgründe" hinzu. Der "Haftbefehl" kann, wenn die "Haftgründe" nicht zutreffen, außer Vollzug gesetzt werden. D.h. aber nicht, daß damit auch die Tatvorwürfe aus der Welt wären! Was also die völlige Unsinnigkeit von Aussagen zur Sache vor dem Haftrichter zeigt.

    Haftgründe gibt es vier: Fluchtgefahr, Verdunklungsgefahr, Wiederholungsgefahr und besonders schwere Tatvorwürfe. Bei Vorwürfen, wie Mord, Totschlag und §129a wird grundsätzlich Haftbefehl erlassen. Zu den anderen Haftgründen kann einE BeschuldigteR Stellung nehmen. Dies sollte mensch nur zum Punkt Fluchtgefahr tun!!

    Sagt mensch etwas zu den Punkten Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr, ist unweigerlich eine Diskussion über den Tatvorwurf die Folge.

    Sagen sollte mensch nur etwas zum Punkt Fluchtgefahr: Hier sollte mensch verweisen auf einen festen Wohnsitz, eine Arbeit und andere Bindungen wie z.B. Kinder, langjährige Freundlnnen. Die Gefahr hierbei liegt auf der Hand: Daß mensch nämlich Namen nennt. Es ist also zumindest aufzupassen, wen mensch nennt. Ganz vermeiden lassen wird sich die Namesnennung sicher nie - es scheint angebracht, sich hierüber schon vorher klar zu werden und mit den u.U. Betroffenen darüber zu reden. - Desweiteren halten wir es gerade auch wegen dieser Gefahren für nötig, schon vorher eine Anwältin einzuschalten, der/die in der konkreten Situation beraten kann.

    Klar sein muß mensch sich aber unbedingt darüber, daß mit einer Aussage zur Sache keine U-Haft abgewendet werden kann. Der Haftrichter ist nun wirklich der letzte Ort, wo eine Aussage "nützt" .

    2. Die Aussageverweigerung als ZeugIn

    Polizei:
    Einer Ladung zur Polizei (auch beim LKA) brauchen weder Beschuldigte. noch ZeugInnen Folge zu leisten. Es entstehen dadurch keinerlei Nachteile. (Auch wenn es einem der schwer verständliche Juristentext der Vorladung suggerieren will) Auf eine Ladung sollte mensch in keiner Weise reagieren, also auch nie telefonisch absagen, auch wenn darum in der Ladung gebeten wird. Bei dieser Gelegenheit wird mensch nämlich nochmal vollgesülzt. Sofort müssen allerdings FreundInnen, Mitbetroffene, Anwältlnnen ... informiert werden !

    Staatsanwalt:
    Zeuglnnen müssen vor dem Staatsanwalt erscheinen und die Angaben zur Person machen. (s.o.) Erscheinen ZeugInnen nicht, kann ein Vorführung erlassen werden.

    Sodann hat mensch das Recht, folgendes zu erfahren:

    1. Um welches Verfahren es sich handelt (hier ist auf eine genaue Bezeichnung der einzelnen Tatvorwürfe zu bestehen.)
    2. muß der/die BeschuldigteN genannt werden. Denn mensch muß ja die Möglichkeit haben, zu prüfen, ob mensch ein Aussageverweigerungsrecht hat.
    Es gibt gute Gründe, warum ZeugInnen vor dem Staatsanwalt nicht aussagen wollen. Sie können zu diesem Zeitpunkt nicht ermessen, wozu ihre Aussagen verwendet werden. Sie wissen nicht sicher, in welche Richtung der Staatsanwalt ermittelt, der Staatsanwalt darf ZeugInnen darüber auch weitgehend in Unkenntnis halten - und auch darüber, ab wann in seinen Augen eine Aussage die Zeugln selbst belasten könnte! Ein Überblick über die Zusammenhänge, in der die Aussagen stehen, dürfte für die ZeugIn unmöglich sein. Jede Aussage beim Staatsanwalt liefert ein Steinchen in dem Mosaik, daß er sich zusammenbastelt, jede Aussage kann ihm dabei weitere Anhaltspunkte liefern.

    Das Aussageverweigerungsrecht für Zeuglnnen wird durch die § 52 bis 56 der Strafprozeßordnung (StPO) geregelt. Der § 52 StPO sieht ein Aussageverweigerungsrecht für Verwandte des Beschuldigten vor, daß können sein, Eltern, Geschwister, Kinder, aber auch Verlobte ... Verlobungen sind bekanntlich ebenso schnell zu lösen, wie sie geschlossen werden, und können im Einzelfall, wenn es möglich ist, eine sehr elegante Lösung sein.

    Der §55 sieht ein Aussageverweigerungsrecht vor für Leute, die in derselben Sache angeklagt sind, und für Leute, die sich durch die Aussage selbst belasten könnten. Es ist sowohl taktisch wie politisch falsch, diese Form der Aussageverweigerung zu benutzen. Die Aussageverweigerung nach §55 besteht nur für spezielle Fragen. Die Inanspruchnahme dieses Rechtes muß jeweils ausdrücklich, unter Berufung auf die Gefahr der Selbstbelastung verlangt werden.

    Die Gefahren dabei liegen auf der Hand: Zum einen wird die Staatsanwaltschaft verlangen, daß begründet werden muß, wieso mensch sich selbst belasten könnte ... dabei entsteht zwangsläufig die Situation, daß mensch über die Anklagepunkte reden muß, oder über Leute, mit denen mensch irgendwie zu tun hat. Überlegungen. welche Aussagen dem Staatsschutz nützlich sein können, und welche nicht, führen zu einer Situation, die für die Betroffenen nicht mehr überschaubar ist. Sie können immer wieder vorgeladen werden - die Bedrohung, vom Zeugen zum Beschuldigten zu werden, immer im Hinterkopf, was immer wieder eine Entscheidung fordert, wie sie schon bei der ersten Vorladung zu treffen war.

    Taktisch ist die Berufung auf den §55 unklug, da mensch durch diese Begründung quasi der Justiz die Möglichkeit in die Hand gibt, einen zum Beschuldigten zu machen. also ebenfalls ein Ermittlungsverfahren einzuleiten denn es ist ja davon auszugehen, daß ein Straftatbestand/Ordnungswidrigkeit vorliegt.

    Wird mensch als Zeugln vorgeladen und es ist zu erwarten. daß er/sie selbst noch ein Verfahren kriegt oder er/sie weiß es schon, hat mensch das Recht, auch die Aussage als Zeugln zu verweigern. Dies gilt für das gesamte Verhör.

    Erwähnt sei noch, daß Ärzte, Rechtsanwältinnen, Pfaffen und Journalisten ebenfalls ein begrenztes Aussageverweigerungsrecht haben, welches sich natürlich nur auf ihren Berufsbereich bezieht (§53 und 54 StPO). So müssen z.B. JournalistInnen die Namen von InformantInnen und Interviewpartnerlnnen nicht preisgeben. Geplant ist solch ein Recht in absehbarer Zeit auch für DrogenberaterInnen.

    Was geschieht mit Menschen. sie die Aussage verweigern wollen. obwohl sie keinen der genannten Paragraphen können bzw. wollen?

    1. ZeugInnen, die einer staatsanwaltschaftlichen Ladung nicht folgen wollen

      Dafür werden erstmal die entstandenen Kosten aufgedrückt. Dazu kann der Staatsanwalt ein Ordnungsgeld erlassen, wenn dieses nicht gezahlt wird, gibt es Ordnungshaft, rnaximal 42 Tage und nur durch richterlichen Beschluß. Es kann die zwangsweise Vorführung vor einem Vernehmungsrichter (Ermittlungsrichter) angeordnet werden. Die beiden Ordnungsmittel können bei erneutem Ausbleiben wiederholt werden.

    2. Zeuginnen, die hingehen, aber nix sagen

      Zunächst läuft alles so wie unter 1. ab. Wichtiger Unterschied aber ist, daß damit die Ordnungsmittel verbraucht, also nicht wiederholbar sind! Möglicherweise beantragt der Staatsanwalt nun die Erzwingungshaft (Beugehaft). Wird diese durchgesetzt, ist danach auch dieses Erzwingungsmittel verbraucht. Die Beugehaft kann maximal sechs Monate verhängt werden.

      Klar ist demnach: so schnell ist mensch als aussageverweigernder Zeuge nicht im Knast!

      Das geht erstmal alles seinen langen rechtlichen Gang. Zuallererst müssen zunächst einmal die Ordnungsrnittel angewandt werden. Staatsanwälte, die behaupten, der Zeuge könne jetzt gleich in Beugehaft gesteckt werden, vermischen bewußt Ordnungs- mit Erzwingungsmitteln um den Zeugen zu verunsichern.

    3. Aussageverweigerung als Zeugln beim Richter

      Alles wie bei 2. Hinzu kommt, daß die Eidesverweigerung ebenso behandelt wird wie eine Aussageverweigerung. (s. auch Abschnitt Falschaussagen unter II. Einzelfragen)

    Zeuglnnen können zu allen Vernehmungen Anwältlnnen rnitnehmen. Sie können eine wichtige, auch psychologische Funktion haben, doch sollten ihre Möglichkeiten nicht überschätzt werden. Sie haben lediglich die Funktion eines Rechtsbeistandes, d.h. sie können nicht in die Vernehmung eingreifen, sie dürfen nur bei formalen Fehlern des Vernehmenden eingreifen. Wenn z.B. eine Frage juristisch nicht so gestellt werden darf, wie sie gestellt wurde, oder wenn der Staatsanwalt keine Rechtsmittelbelehrung erteilt hat. Aber mensch hat das Recht, sich mit der AnwältIn über die gerade gestellte Frage im Nebenzimmer zu beraten. Dadurch kann mensch sich erstmal Luft verschaffen und sich dem psychischen Druck entziehen. Welche sich stark genug fühlen. können hiermit das Verhör etwas strecken ...

    II. Einzelfragen

    Falschaussagen
    Tatbestand: Falsche uneidliche Aussage, Strafrahmen: 3 Monate bis 5 Jahre. Meineid: nicht unter 1 Jahr.

    EinE BeschuldigtEr darf überall lügen, eine ZeugIn hingegen ist vor Gericht zu wahrheitsgemäßer Aussage verpflichtet. Beim Staatsanwalt gibt es zwar keinen Tatbestand der "Falschaussage" , möglich ist jedoch, daß durch eine Falschaussage der Straftatbestand der "Strafvereitelung" erfüllt wird! - Auch deshalb halten wir generell wenig von Falschaussagen. Sie sind immer ein Wagnis, und können zu Verstrickungen oder gar zu Namensnennungen führen. Die Bullen sind aber da nicht blöd, wo sie es sich nicht leisten können. Angesichts ihrer Möglichkeiten, gerade auch technischer Art. können Falschaussagen geradezu zu einer immensen Gefahr werden!

    Alibiaussagen
    Nun sind Bullen und Staatsanwaltschaft aber auch nicht diejenigen. vor denen wir uns "einlassen" können, Alibis hervorholen. Da gibt es die allseits bekannten "Ausnahmen", Ulla Penselin etwa. oder die Hamburger Antifas, die sich durch Alibibenennungen aus der U-Haft retten konnten. Was natürlich einerseits als Belohnung der Repression für die - objektiv betrachtet - Kooperation zu werten ist. .Andererseits sind diese Einlassungen erst nach Besprechung mit Anwältlnnen (wobei deren jeweilige Interessen und Grenzen gesehen werden müssen) gemacht worden, und u.U. auch sehr problematisch. Ein Überblick über die Lage, in der die Aussagen gemacht wurden. dürfte den Betroffenen unmöglich gewesen sein. Der Zeitpunkt der Akteneinsicht, bis zu der in keinem Fall ein Beschuldigter Aussagen machen darf, muß hier beachtet und in die Diskussion eingeführt werden. (Die Möglichkeit einer politischen Erklärung fällt schon in den Bereich Prozeßstrategie, und verlangt zunächst nach Austausch und Diskussion mit den Strukturen draußen, bevor hier entschieden werden kann.)

    In der Ermittlungsakte ist der bisherige Ermittlungsstand von Bullen und Staatsanwaltschaft zusammengefaßt. Vor diesem Zeitpunkt der Akteneinsicht kann mensch nie genau wissen, in welchen Zusammenhang seine Aussage steht, wie der Staatsanwalt sie bewertet und benutzt und was noch alles daran hängt. Erst nach Einsicht dieser Akte können der/die RechtsanwältIn und Du ermessen, was bedeutsam werden kann, erst nach Einsicht ist eine möglichst objektive Bestimmung der Aussagen möglich. Wir halten dem desweiteren einen sehr eindrücklichen Fall aus eigener Anschauung entgegen, durch den klar wird, wie Bullen ein sicheres Alibi zerstören können - wenn mensch es denn vor ihnen preisgibt: Vor dem Landgericht ist ein zweiundzwanzigjähriger Maler angeklagt, im Zusammenhang mit dem 1.Mai einen Stein auf eine Bullenwanne geworfen zu haben. Er wird eine Stunde nach der angeblichen Tat von einem Bullen "wiedererkannt" ("an seinem auffälligen Hemd") und verhaftet. Eine Stunde wird er von den Bullen in der Wanne gefangenhalten und muß sich - im rechtsfreien Raum, die üblichen üblen Sprüche anhören. Sodann wird er zwei Stunden von einem der erfahrensten Staatsschutzbullen (Riewendt) verhört. Der Beschuldigte weiß, daß er zur Tatzeit noch zu Hause war, weit entfernt vorm angeblichen Tatort. Er benennt zwei Freunde als Zeugen für sein Alibi. - Der Trick der Bullen: Die beiden Freunde werden nicht sofort verhört - was auch eher sehr unangenehm hätte werden können - sondern erst zwei Wochen später vorgeladen! Und dieser Zeitraum diente denn dem Staatsanwalt Fröhlke dazu, die Aussagen der beiden vor Gericht als "abgesprochen" zu bezeichnen. Da sagt der Richter kalt lächelnd, das sei eben so, die Polizei habe ja immer so viel zu tun. - Dieses Beispiel zeigt zunächst, wie schnell mensch in so eine Situation geraten kann. Es zeigt dann, daß ein Alibi, im Bewußtsein seiner "Unschuld" geäußert, keinerlei Gewähr bietet. Ob Alibi oder nicht, die Bullen wollen nur eins: daß geredet wird! Namen, Namen! - der Rest wird sich dann schon finden. (Der Beschuldigte wurde freigesprochen - mit der famosen Begründung, daß die "kurze Beobachtungsmöglichkeit" für den Bullen aus der fahrenden Wanne heraus nicht die genügende Gewähr für ein hundertprozentiges Wiedererkennen biete!) Da zeigt sich, daß ein Rechtsverständnis bürgerlicher Kreise "aber ich bin doch unschuldig” für die Bullen völlig unerheblich, ja fast lächerlich naiv angesichts der Realiltät ist. Die Unschuld interessiert doch die Justiz immer als letztes! Diese Einsicht verringert schlagartig die Hoffnung die mensch in Aussagen, Kooperation setzt - aber sie muß ersteinmal vorhanden sein!

    Welche dennoch ihr Alibi nennen wollen sollten dies also in eigenem Interesse erst vor Gericht tun, und sehr genau überlegen, was ihre Aussage u.U. für andere bedeuten kann !!!

    Entlastungszeugen:
    Ein Bereich, den wir als äußerst problematisch ansehen. Einerseits kann auch eine gute Verteidigung nicht auf entlastende Zeugen verzichten. Andererseits sollte mensch deren Stellenwert nicht überschätzen: ein Bullenzeuge, der seine Aussage wenigstens halbwegs auf die Reihe kriegt - und wenns nur ein "der/die wars!" ist - reicht allemal hin.

    Daneben lauern auch auf Entlastungszeugen Gefahren, über die vorher Bewußtsein hergestellt werden muß: Wir haben poplige Beleidigungsprozesse erlebt, in denen es um 300 DM ging und bei dem z. B. einem Entlastungszeugen nacheinander folgende Fragen gestellt wurden: "Gehen Sie öfter auf Demonstrationen? Waren Sie auch beim IWF dabei?" ... Aussagen bei Gericht bieten die Möglichkeit der Vorbereitung. Zuschauerlnnen können sie verfolgen, Klarheit wird so gewährleistet. Eine gemeinsame Diskussion über Sinn und Zweck von Aussagen vor Gericht ist möglich und überdies unbedingt notwendig, um dem Angeklagten keinen Bärendienst zu erweisen. Gerichtsaussagen verlangen also eine gemeinsame praktische und politische Bestimmung, die von Fall zu Fall neu überdacht werden muß. Eine generelle, schlagwortartige Formulierung läßt sich hier u.E. nicht aufstellen.

    RechtsanwältInnen
    RechtsanwältInnen müssen vor Gericht die "Unschuld" ihrer Mandanten beweisen, oder aber zumindest Zweifel an der "Schuld" aufdecken. Dazu müssen sie zwangsläufig auch oft Aussagen verlangen. Aus eigener Anschauung wissen wir, daß generell zu schnell und zu zu vielen Aussagen geraten wird. Es gibt Fälle, in denen Rechtsanwältlnnen zu Aussagen, insbesondere Namensnennungen, geraten haben, um die eigene Version möglichst glaubwürdig zu untermauern. Über die Interessen von Anwältlnnen muß Bewußtsein hergestellt werden, auch - oder gerade - wenn mensch sich bei einem vermeintlich "linken" Anwalt befindet. Rät eine AnwältIn zu Aussagen. ist dies stets kritisch zu problematisieren. Inwieweit einE AnwältIn dies zuläßt, ist auch ein Kriterium, ob mensch eineN guten Anwältln hat. Es lohnt sich, sich die Dinge nicht vollständig aus der Hand nehmen zu lassen, auch wenn mensch sich dabei in juristische Niederungen begeben muß. Verlange Erklärungen, Begründungen für das jeweilige Verhalten der AnwältIn.

    Die Versuchung, jemanden mit einer Aussage retten zu wollen, ist manchmal groß und kann zu Unbedachtheit verleiten. Die andere Schwierigkeit, keine Aussagen machen zu wollen, kann auftreten, wenn mensch sich von absurden bis lächerlichen Anschuldigungen oder massiv tendenziösen Fragestellungen herausgefordert fühlt. Doch sobald Du etwas bestätigst oder verneinst, wird es sofort als Deine Aussage ins Protokoll genommen!

    Das Beispiel des 129a-Verfahrens um die "Wirtschaftswunderkinder" in Hannover - 1988 wurde eine Frau wg. des Messeanschlags zu viereinhalb Jahren Knast verurteilt - zeigt, daß es, da die Bullen durch ihre Vorladung Anzahl und Zusammensetzung der ZeugInnen bestimmen können, immer welche geben kann, die aussagen. Konkret teilten sich hier die ZeugInnen in zwei Gruppen auf: Eine zahlenmäßig kleinere Gruppe von ZeugInnen. die einen relativ willkürlichen Zusamrnenschnitt der hannoverschen Scene bildeten, und eine Gruppe von Angehörigen, Arbeitskollegen, Kommilitonen, Bekannten usw. ... Eine Einflußnahme auf diese Gruppe war nicht möglich, sie haben sämtlichst ausgesagt - und sei es nur, daß in dieser oder jener Wohnung sich oft Leute getroffen haben. ... Da ist klar, daß manche sich, wenn auch unwillkürlich, fragen, warum gerade er/sie das Maul halten soll. - Also auch dies eine Methode. um kollektives Handeln und Reagieren zu erschweren. Eine Auseinandersetzung darum, wie mit gemachten Aussagen umgegangen werden kann, ist also dringend nötig.

    Aussageverweigerung und §129a - Kampagne
    Eine Kampagne zur Aussageverweigerung in Verbindung nur mit dem §129a greift zu kurz, vielmehr ist die Propagierung von Aussageverweigerung auch unterhalb dieser Ebene unbedingt notwendig.

    Befürworterlnnen einer Kampagne Aussageverweigerung-129a führen zurecht die große Vermittelbarkeit von Aussageverweigerung angesichts der Beliebigkeit der Errnittlungmöglichkeiten-der Repression in 129a-Verfahren an. In 129a-Verfahren wird es am offensichtlichsten, daß die ZeugInnen sich und andere in jedem Falle nur belasten können. Demgegenüber ist aber nicht einzusehen, warum in "kleineren" Prozessen tendenziell nicht genauso gefährliche Aussagen, z.b. Namensnennung, gemacht werden können. Es ist ja nicht so, daß die Bullen nur in §129a Verfahren ansetzen, um Strukturen und Zusammenhänge auszuleuchten. Zu den von kleineren Verfahren Betroffenen, bietet der §129a wenig Bezugsmöglichkeiten, was sich z.B in der bundesweit einheitlich anwachsenden Repression gegen Antifas zeigt: sie betrifft oft junge Antifas, die neu in der politischen Arbeit sind und allgemein kaum Zugang zum Thema Aussageverweigerung haben.

    Die Forderung "Keine Kooperation mit der Justiz" ist - in einem engen Sinne - u.E. noch eine Fiktion. Aus schon dargestellten Gründen, aber auch, weil es doch immer Kontakt zu ihr gibt, sei es, daß der Anwalt mit dem Richter spricht, die Vorladungen befolgt werden usw. und er schließlich versucht, die "Unschuld" des Verfolgten vor Gericht zu "beweisen" - d.h., daß ein taktisches Verhältnis zur Justiz erlaubt sein muß - ausgehend von einer gemeinsamen politischen Einschätzung und von Stärken und Schwächen und ausgehend von der Forderung:

    Keine Aussagen bei Bullen und Staatsanwaltschaft!

    Nicht als BeschuldigteR, nicht als ZeugIn!

    III. Aussageverweigerung und Knast/Beugehaft

    Die Diskussion um Aussageverweigerung fordert eine ständige Thematisierung von Knast/Beugehaft, keinesfalls darf dieser Punkt ausgeklammert und hier eine Trennung gezogen werden.

    Angesichts dieses Repressionsmittels wächst bei vielen die Aussagebereitschaft.Die fehlende Thematisierung weist auch auf den Punkt Aussageverweigerung und Organisierung hin, eine Einschätzung der eigenen Struktur hat meist nicht stattgefunden, drum wird auch die Bedrohung mit Knast individualisiert: Lieber ein paar Jahre in den sicheren Knast, als sich in der Illegalität auf die eigenen, unsicheren Strukturen draußen verlassen... (nach "Swing" , 9/10. 1989) Die Beugehaft (die sich nur auf Zeuginnen bezieht) steht am Ende einer Reihe von Möglichkeiten der Repression. die Aussageverweigernde zunächst mit Geldstrafen bedrohen kann. Nichtsdestotrotz ist sie ein brennpunktartiger Ausschnitt, der die reale Gefahr Knast drastisch vor Augen führt. Die Situation für den Zeugen, als auch für den Beschuldigten ist in Bezug auf den Knast generell dieselbe. Die Beugehaft dient zur Erpressung einer Aussage, Benennung von "Tätern" . Die persönlichen Folgen der Beugehaft sind eklatant. Neben dem möglichen Verlust des Arbeitsplatzes, der Wohnung, der Beziehungen (und auch des Anspruches auf Arbeitslosengeldl) kommen dazu die Sorgen um Kinder und die Anhäufung von Schulden. Beugehaft ist Zivilstrafe und muß grundsätzlich selbst bezahlt werden! (Tagessatz a´ 40 DM)

    Abstrakt gesagt, hat die Bedrohung des Beschuldigten mit Knast eine ähnliche Funktion. Knast wird eben nicht nur als Sanktion eingesetzt, sondern auch als Erpressungmittel, die Bedrohung Knast soll den Beschuldigten zur Kooperation zwingen, diese ihm gleichsam als günstigere Alternative erscheinen.

    Es herrscht Berührungs- bzw. Auseinandersetzungsangst bezüglich Beugehaft, die Ausdruck einer allgemeinen Verunsicherung ist, die z.B seinerzeits in Bochum nach den ersten Beugehaftbeschlüssen einsetzte. Die Überzeugung der Aussageverweigerung als sicherste Verhaltensweise gegenüber Bullen, Staatsanwalt, Staatsschutz etc. wird dabei nicht generell in Zweifel gezogen - nur wird Beugehaft und Aussageverweigerung getrennt behandelt, und, wenn überhaupt. im Bereich des Individuellen thematisiert. Die Debatten kreisen vordergründig um den Punkt: das Absitzen der Beugehaft ist ein zu hoher Preis für die Aussageverweigerung.

    Es wird ein Weg zwischen Aussage und Knast gesucht, orientiert wird sich dabei an den persönlichen Folgen. Die politische Konsequenz oder Funktion von Aussageverweigerung wird dabei übergangen.

    Das Standhalten, bzw. Nachgeben gegenüber Knast/Beugehaft werden zum persönlichen Problem, mit dem sich die Betroffenen herumzuschlagen haben, was der politischen Notwendigkeit der Aussageverweigerung eklatant widerspricht.

    Fatal - aber auch bezeichnend - ist die Tatsache, daß die Auseinandersetzung um die Beugehaft dann beginnt, wenn Beugehaftbeschlüsse vorliegen - um zu versiegen, wenn die Leute wieder aus dem Knast sind, was doch ein Ausdruck einer Hilflosigkeit ist.

    Das Wissen um die eigene Erpressbarkeit, die Angst vor Knast und den Folge, sowie die politische Schwäche, sind für viele Richtlinie ihres Handelns, was zum wiederholten Male auf das Kernproblem Organisierung stößt. Aus unsicherer Haltung heraus wird der Zweifel an die grundsätzliche politische Funktion der Aussageverweigerung sichtbar. Taktisches Kalkül tritt an die Stelle einer konsequenten Aussageverweigerung.

    Da, wo es mehrere Vorladungen gab, ist eine gemeinsame Vorbereitung noch notwendiger. Diese erfordert entsprechende Bereitschaft, sich mit den eigenen Schwächen, sowie auch mit den direkt Verfolgten zu konfrontieren und darüberhinaus die Bestimmung einer inhaltlichen politischen Position. Es ist wichtig, eine gemeinsame Plattform zu schaffen, aus der sich als logische Folge kollektive Aussageverweigerung ergibt. Die Auseinandersetzung um Knast, persönliche Situation (auch emotionale) und um das Machbare ist auch hier vonnöten "um die Lücke zwischen abstrakter politischer Bestimmung und persönlicher Konsequenz zu schließen.... "(Zitat "Auf-Ruhr").

    Es ist unwahrscheinlich, ein kollektives Vorgehen in allen Details zu praktizieren. Es läßt sich nicht alles "trainieren" und vorausbestimmen, der Druck auf die Einzelnen bezüglich der Beugehaft ist unterschiedlich. Deshalb erscheint uns also als außerordentlich wichtig eine gemeinsame inhaltliche politische Bestimmung. Sie erfordert von allen ein demgemäßes Verhalten und, daß nicht alles auf die Betroffenen abgeladen wird, diesen mit falscher, nur fordernder und nehmenden Solidarität der Boden unter den Füßen weggezogen wird.

    IV. Diskussionsbeitrag

    Aussageverweigerung und Organisierung
    Die Diskussion um Aussageverweigerung muß notwendigerweise unterstützt sein von einer Diskussion über die Organisierung, die eigene politische Struktur.

    Spätestens nach den Schüsse an der Startbahn und dem darauf folgenden Zusammenbruch des Startbahnwiderstandes ist dieses Problem offensichtlich geworden. Es ist nicht nur der heftigen Repression zuzuschreiben, daß Aussagen gemacht wurden, vielmehr traten die politische Schwäche, die sich in fehlender Struktur und damit fehlendem Bezug zueinander ausdrückten, deutlich zu Tage.

    Die Repression hat es geschickt und flexibel verstanden, auf die Verfolgten individuell einzugehen, sie durch das Aufgreifen individueller Angriffspunkte, wie z.B. Kinder, Arbeit, Belastbarkeit ... fertigzumachen. Sie hat sich als beweglich erwiesen - sowohl während der Ermittlungen, als auch im Verfahren jetzt. Dem konnte keine Struktur etwas entgegensetzen, es bot sich das Bild einer heillosen Verwirrung und Vereinzelung der Verfolgten. Eine leistungsfähige Struktur (oder gar, weitergehend, Organisierung) gab und gibt es nicht.

    Wir sehen in dieser fehlenden Struktur, die sich unserer Meinung nach um das Auffangen der Folgen, um politische und materielle Solidarität zu kümmern gehabt hätte (die sich auch an ganz praktischen Fragen wie Versorgung der Wohnung, Weiterzahlung der Miete, was die Belastung von der/den Betroffenen nehmen bzw. auffangen muß, zeigt) einen Hauptgrund für Aussagen. Und wir halten diese Folgerung prinzipiell auch für übertragbar auf "kleinere" Prozesse, in denen wir auch immer wieder auf das Problem "Warum machen Leute, die sich als politisch begreifen, trotzdem Aussagen" stoßen - die Antwort liegt zu einem Teil in der Auseinandersetzung um Organisierung. Die Auseinandersetzung um Aussageverweigerung hat einen bestimmenden offensiven Charakter, sie darf nicht defensive, reagierende Maßnahme sein, die erst greift, wenn die Kalke am dampfen ist, vielmehr steht die Diskussion um Aussageverweigerung am Anfang von strukturierter politischer Arbeit und ist als einer ihrer Stützpfeiler zu begreifen.

    Auseinandersetzung um Aussageverweigerung fordert somit notwendig, sich in Beziehung zueinander zu setzen, sie muß Klarheit und Verbindlichkeit herstellen. Es ist auch notwendig, sich auf persönlicher, solidarischer Ebene damit auseinanderzusetzen. Die Bereitschaft zu Aussagen ist größer, je distanzierter und unklarer das Verhältnis zueinander ist. Diese subjektive Ebene muß ergänzt sein von einer objektiven, die über eine Einschätzung einer Struktur über ihre praktischen, realen Möglichkeiten entsteht.

    Es darf nichts überspielt und verschwiegen werden, als wäre mensch ein ganz ausgebuffter oder cooler als ein Eiswürfel. Spätestens in Verhörsituationen kommt dies auf den Tisch und der Gesangsverein hat ein neues Mitglied. Es geht also darum, daß mensch sich klar mit den eigenen Grenzen befaßt und hierüber auch Bewußtsein in Bezug auf die gesamte Struktur entwickelt wird. Faktisch herrscht hierzu mangelnde Bereitschaft.

    Verlangt werden muß eine Debatte über verbindliche organisatorische Strukturen, die vorzugeben, bzw. zu gewährleisten, autonome Zusammenhänge bisher nicht in der Lage gewesen sind. Diese Organisationsstrukturen müssen, um erfolgreich wirken zu können, über den WG-eigenen Küchentisch hinausgehen. In der Konsequenz macht die Erforderlichkeit der konsequenten Aussageverweigerung eine Debatte um verbindlich arbeitende Anti-Repressionsgruppen notwendig. Die Existenz und konkrete Arbeit der RH möchten wir somit in diesen Diskussionsprozeß gestellt sehen.

    Keine Aussagen bei Bullen und Staatsanwalt!

    Nicht als BeschuldigteR, nicht als ZeugIn.

    Anhang

    Verhörmethoden
    Im folgenden dokumentieren wir einen Auszug aus dem Aufsatz "Kriminaltaktik" von J. Brack und N. Thomas, Boorberg Verlag 1983, S. 156-173: "Taktik, Technik, Fehlerquellen und psychologische Grundlagen der Vernehmung" .

    Betont wird, daß ein Verhör so oder so eine kommunikative Situation ist, in der die Verhaltensweisen des zu Vernehmenden beobachtet werden und bestimmend für die jeweilige Vernehmungstechnik sind. Diesem Umgang kann mensch sich nicht entziehen, und auch, wenn mensch nichts sagt, nichts annimmt, so liefert er/sie doch damit auch ein Bild von sich, auf das sich die Bullen in der Regel einstellen. Da. wo die Leute (im besten Falle) schweigen, ist es daher das Entscheidende für die Bullen, den Beschuldigten zum Reden zu bringen, egal über was. Ist da erstrnal ein Anfang gemacht, der Durchbruch aus Sicht der Bullen geschafft, ist meist nichts mehr zu retten. Von dieser Grundthese gehen die meisten Bullenbücher in Bezug auf politische Verfahren aus. Einerseits kann mensch nicht einfach da sitzen, und das Maul halten, mensch will den Grund der Festnahme erfahren, Anwältlnnen und Angehörige anrufen, benötigt vielleicht einen Arzt ... andererseits sind auch genau dies die Punkte, wo die Bullen ansetzen und eine kornmunikative Situation fördern können, und nur, wenn sie es für günstig erachten, lassen sie dies auch zu, natürlich nicht, weil sie um Deine Rechte besorgt sind. In der Regel hat es sich gezeigt, daß Bullen oft schon in der Wanne, bei Landfriedensbruchdeiikten, den Gefangenen massiv unter Druck setzen und zu einem Eingeständnis bringen wollen - vor weiteren "Zeugen" , und in einer Situation, in der es mensch u.U. sehr beschissen ergehen kann.

    Es ist dies eine Situation. in der die Bullen bestimmen, und je nach deren Vorgehen bleibt einem Platz für ein eigenständiges Verhalten. Es empfiehlt sich dringend. jeden Kontakt auf eine ausschließlich formale Ebene zu ziehen. Es ist dies auch immer eine Frage des Tatvorwurfs und des Interesses der Bullen an dem Fall. U.U. kann mensch die Bullen solange nerven, bis sie ein Telefonat mit dem Anwalt erlauben, hingegen wird mensch nach Festnahmen, bei denen z.B. er/sie geschlagen worden ist, alles vermeiden, um zu provozieren. Bei geringeren Vorwürfen wird oft nur gefragt, ob die Tat eingeräumt wird, bei größeren Anlässen verschärft sich dies aber um einiges, und dann hilft nur, das Maul zu halten, zu erkennen zu geben, daß sie mit ihren Methoden nicht durchkommen.

    Bei Leuten, die im Knast sitzen, ist die Verhörsituation in der Regel noch einmal erheblich schärfer. Das Gefühl des Ausgeliefertseins, daß sie alles mit Dir machen können, was sie wollen, potenziert sich. Meist wirst Du unverhofft aus der Zelle geholt und den Vernehmungsbullen/Staatsanwalt vorgeführt.

    Die bekanntesten und immer noch häufig angewandten Methoden seien hier kurz noch einmal erwähnt. Die Bullen machen einen glauben, sie wüßten eh schon alles, hätten den Steinwurf gefilmt, oder ein Mitgefangener hätte ausgesagt. Das ist ein billiger Trick. Und auch wenn sie Unterschriften deiner Genosslnnen zeigen, du fällst nicht drauf rein.

    Oft wird bei Jüngeren noch die Methode harte-weiche Welle angewandt. In dieser Situation kann mensch sich nur klarmachen: es ist eine Methode, wie jede andere auch, es gibt keine Bullen. die irgendein Interesse daran hätten. dir zu helfen.

    Aus Gründen der vorbeugenden Selbstzensur müssen wir betonen, daß verbotene Vernehmungsmethoden selbstverständlich nur in amerikanischen Filmen vorkommen, dennoch seien wenigstens einige häufige Tricks aus der Grauzone erwähnt, so wurden im Zusammenhang mit dem Startbahn-West Komplex z.B. ZeugInnen mitten in der Nacht von Bullen geweckt und an der Tür ausgequetscht, oder z.B. vom Staatsanwalt angerufen, sie hätten in zwei Stunden bei ihm zu erscheinen undundund, die Palette des Möglichen ist lang. Natürlich braucht auf derartiges nicht reagiert zu werden.

    Eine Möglichkeit. der psychischen Drucksituatiön bei einem Verhör zu begegnen ist, sich die wesentlichen Ziele und Aspekte von Verhören zu vergegenwärtigen, wie u.a.:

    Wichtig ist, daß Du die Möglichkeiten, mit denen sie Druck auf Dich ausüben können, so weit wie möglich reduzierst, indem Du im voraus all die Alltagsprobleme, die Dich im Zweifelfall beunruhigen würden, vorher selbst klärst.

    Welche sich mit Aussageverweigerung und Verhörmethoden auseinandergesetzt haben, haben eine Hilfe, wenn er/sie in die Situation kommt. Es hilft, wenn nichts mehr wirklich überraschen und überrumpeln kann. Trotz der unangenehmen Situation kann das Aneignen von Erfahrungen anderer Sicherheit geben und gegen allerlei Angriffe wappnen.

    Zum Schuß geben wir eine Literaturliste. Wir halten es für legitim und in einem bestimmten Maße auch für notwendig, sich mit der Gegenseite zu beschäftigen. Wer ihre Tricks und Methoden kennt und durchschaut, hat zumindestens die Chance, dagegen zu bestehen!

    Literatur

    BKA - Veröffentlichungen:

    NICHTS SAGEN, NUR DAS IST SICHER