Online seit:
|
Sun Sep 10 22:32:54 1995
|
|
Rundbrief 4
den 06.04.95
Racheurteil gegen Mohammed M.
Am 20.03 begann vor dem Landgericht in Kassel der vierte Prozeß wegen der
Beteiligung an der so. 'Elwe'-Meuterei. Dies war der erste Prozeß, der nicht
nach dem Jugend-, sondern nachdem Erwachsenenstrafrecht verhandelt wurde.
Heute, am 05.04.95, wurde nach vier Verhandlungstagen das Urteil gegen
Mohammed gesprochen: 5 (Fünfeinhalb !) Jahre wegen Geiselnahme. Der
Staatsanwalt hatte zuvor 2 Jahre und 6 Monate gefordert und ausdrücklich
darauf verwiesen, daß für ihn Geiselnahme (Freiheitsberaubung mit Bedrohung
des Lebens oder Körperverletzung) nicht nachweisbar sei. Selbst seine
Forderung nach Verurteilung, wegen schwerem Landfriedensbruch ( 125a, 6
Monate bis 10 Jahre) war nach dem Verlauf der vier Verhandlungstage total
überzogen.
Anklage und Urteil stützen sich auf die zweifelhafte Aussage eines Kurden,
der eine Gruppe Algerier, unter anderen Mohammed, als Rädelsführer der
Revolte bezeichnete. Doch auch er sagte aus, daß Mohammed keine konkrete
Drohung in Richtung der Geisel gemacht hätte. Im Übrigen sei die Forderung
nach freiem Abzug ins Ausland mit der Drohung von Brandlegungen und nicht mit
der Tötung der Geisel verbunden gewesen. Auch andere Zeugen konnten Mohammed
weder eine konkrete Bedrohung der Geisel, noch eine herausragende Rolle bei
der Revolte zuweisen. Dies gilt auch für die Aussage des gefangengenommenen
JVA-Beamten. Während der Vernehmungen wurde vielmehr klar, daß eine
Gefährdung der Geisel auf die jeweiligen Befreiungsversuche von SEK's
zurückzuführen war.
Nach Polizeiangaben war es das größte Problem in den Verhandlungen mit den
Revoltierenden, immer wieder wechselnde Ansprechpartner zu haben. Ihr
Hauptziel war deshalb, eine feste Verhandlungsgruppe aus dem Knast zu
bekommen, ein sog. 'Sicherheitsschild' für die Geisel. All diese Personen
werden jetzt als Rädelsführer gehandelt.
Neben den Zeugen gab es noch ein Polizeivideo. Auf diesem waren einige
Algerier mit der Geisel zu sehen, und Parolen wie "Abschiebung ist Mord", "18
Monate hier" und "Flughafen" zu hören. Selbst dem Staatsanwalt reichte das
Bildmaterial nicht aus, um Mohammed der Geiselnahme zu bezichtigen.
Soweit zu den 'Beweisen'. Nun zu den Mißhandlungen und Legenden: Mohammed
wurde, wie die Anderen auch, nach der Revolte bei der Ankunft in der JVA
Kassel-Wehlheiden gefesselt durch die Spießrutengasse gejagt und später nackt
in einer Zelle verprügelt. Bei der Zeugenvernehmung eines JVA-Beamten kam
überraschendes zu Tage: Mohammed erkannt in ihm einer der beiden Schließer
wieder, die ihn 3 Wochen nach der Revolte auf dem Weg von seiner Zelle zu
einem Anwaltsbesuch auf dem Gang der JVA zusammengeschlagen hatten. Auch sein
Anwalt bestätigte, daß Mohammed hinterher in einem "abscheulichen Zustand"
gewesen sei.
Die Aussage des damaligen Dolmetschers widerlegte die Legende, daß der
Einsatz der GSG. 9 notwendig gewesen sei, weil die Meuterer neue Geiseln
genommen hätten. Die als Vertrauenspersonen Anwesenden, ein marokkanischer
Imam, eine Anwältin und der Dolmetscher, seien freiwillig in den
bereitgestellten Bus eingestiegen und hätten sich zu keinem Zeitpunkt als
Geiseln gefühlt.
Im Plädoyer sprach der Anwalt davon, daß wegen den Mißhandlungen der Prozeß
eigentlich eingestellt werden müsse. Die Abschiebehaftsituation insgesamt
habe so ein Ausmaß an Unrecht angenommen, daß deshalb in Zukunft sicherlich
mit mehr Revolten zu rechnen sei. Mohammed sagte unter Tränen, daß er nur
noch nach Algerien zurück wolle. Nach einer halbstündigen Beratungszeit kam
der Richter Damm in den Saal und geiferte in seiner Urteilsbegründung etwas
von "armer Geisel", "Messern", "Millionenschäden", "absolut keinen Zweifel"
und: "Die Züchtigung kann wohl nicht gleichgesetzt werden mit dem , was die
Geisel über 24 Stunden lang durchmachen mußte". 5 JAHRE
Wir sind fassungslos und wütend und werten dieses Urteil als selbstgefällige
Rache einer rassistischen Justiz. Der Prozeßsaal muß wieder voll werden.
Die nächsten Termine sind: 10.04.95 und 12.04.95, jeweils um 9 Uhr,
Landesgericht Kassel. Außerdem. 25.04., 08.05. und 12.05.95.
'Elwe'-Prozeßbeobachtungsgruppe
c/o AStA der Gh-Kassel
Nora-Platiel-Straße 2
34127 Kassel
Fax: 0561/84247
Bankverbindung
Stadtsparkasse Kasssel
BLZ.: 520 501 51
KontoNr.: 392 483 4
Empf.: M. F.
Stichwort: Pakete