Am Dienstag, den 6.6.1995, wurden vor dem Kasseler Landgericht zwei weitere
Urteile in den sog. "Elwe"- Prozessen gesprochen: Adel M. wurde von der
sechsten Strafkammer wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher
Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollzugsbeamte zu 3
Jahren Haft verurteilt. Die erste Strafkammer befand Mohammed B. der
Geiselnahme im minder schweren Fall für schuldig und setzte das Strafmaß auf
3 Jahre fest. Dieses Urteil wurde noch im Gerichtssaal rechtskräftig, während
gegen das andere von der Verteidigung Revision eingelegt werden wird.
In den fünf Verhandlungstagen gegen Adel M. wurden die anfänglichen
Anklagepunkte, Geiselnahme und schwerer Landfriedensbruch, weitgehend
entkräftet. Es hatte sich herausgestellt, daß der Angeklagte sich während der
Revolte in einer abseits gelegenen Zelle aufgehalten hatte und bereits am
frühen Abend von der Polizei abtransportiert worden war. Es blieb der
Vorwurf, daß er andere Mitgefangene in der Freistunde vor dem Aufstand auf
den Koran schwören ließ. Zu diesem Anklagepunkt gab es unterschiedliche
Zeugenaussagen, zu dem möglichen Inhalt der Zeremonie gab es keine konkreten
Angaben, außer daß diese im Zusammenhang mit der Revolte gestanden hätte. In
ihrem Abschlußplädoyer legte die Staatsanwaltschaft dann Adel M. die
Anstiftung zu der Aktion zur Last: Seit einigen Tagen hätten Ausbruchspläne
unter den Abschiebehäftlingen kursiert, man hätte an die Schlüssel
herankommen wollen und dazu hätte man notwendigerweise einen JVA- Beamten
niederschlagen müssen. Zu dieser Tat hätte Adel M. seine Mitgefangenen durch
den Koranschwur angestiftet. Der Staatsanwalt forderte 2 Jahre Haft. Die
sechste Strafkammer folgte seiner Auffassung weitgehend. Sie ging aber ein
Jahr über das geforderte Strafmaß hinaus, weil ihrer Ansicht nach Adel M. für
die psychischen Schäden bei der Geisel und den Sechs-Millionenschaden in der
JVA verantwortlich sei. Der Vorsitzende Richter Damm sah in dem Angeklagten
den Hauptinitiator der Revolte.
Das Urteil stellt unserer Auffassung nach den Prozeßverlauf auf den Kopf,
macht aus einer spontanen, weitgehend chaotischen Aktion ein planvolles
Vorgehen und beruht auf einer durch nichts belegten Konstruktion, die
hauptsächlich auf rassistische Verschwörungsbilder bei Gericht und
Staatsanwaltschaft zurückzuführen ist.
Gegen die selbstgefällige Prozeßführung und die maßlosen Urteile dieser
Kammer hebt sich die Praxis der ersten Strafkammer wohltuend ab. Mit der
Einschränkung, daß die Verfahren an sich angesichts der Verantwortlichkeiten
Kasseler Justizbehörden für die Revolte absurd anmuten und ungerechtfertigt
sind. Mohammed B. wurde, nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen Aussagen, die
Beteiligung an der Geiselnahme nachgewiesen. Bei dem betroffenem Schließer
entschuldigte er sich, verwies aber zugleich auch auf seine eigene Situation
als Abschiebehäftling. Wie mittlerweile auch das OLG-Frankfurt bestätigte,
wurde er zu Unrecht in Abschiebehaft gehalten. Zugute hielt ihm das Gericht
nicht nur sein Geständnis, sondern auch daß er sich während der Revolte
gegenüber der Polizei kooperationsbereit gezeigt habe. Der damalige
Verhandlungsführer wies in seiner Aussage auf die deeskalierende und
verantwortliche Rolle Mohammeds während des Aufstandes hin. Letztlich lief es
dann auf eine Verurteilung wegen Geiselnahme im minder schweren Fall hinaus.
Z.Z, läuft vor der sechsten Strafkammer der Prozeß gegen Zamir L., der siebte
der "Elwe"- Prozesse. Auch er ist wegen Geiselnahme und Landfriedensbruchs
angeklagt. Es zeichnet sich bereits ab, daß der Vorsitzende Richter Damm dem
Algerier eine Beteiligung, aber keine herausragende Rolle bei der Geiselnahme
zuweist.. Bei der bisherigen "Rechtsprechung" dieser Kammer läßt das als
Urteil nur eine langjährige Freiheitsstrafe vermuten.
In bezug auf die Ermittlungen wegen der Mißhandlungsvorwürfe gegen JVA-Beamte
wie auch in bezug auf die weiteren Prozesse gibt es nichts wesentlich neues
zu berichten. Zu gegebener Zeit melden wir uns wieder mit einem Rundbrief.
Z.Z. sind wir dabei, unseren Verteiler zu aktualisieren. Wir bitten alle, die
an einer weiteren Zusendung des Rundbriefes interessiert sind, uns die kurz
zu schreiben und der Notiz 3 Briefmarken a 1DM beizulegen, um unsere Kopier-
und Portokosten in Grenzen zu halten. Bei bisherigen Adressaten, die uns
keine Antwort zusenden müssen wir davon ausgehen, daß kein Interesse an
weiterer regelmäßiger Information besteht und schicken ihnen demzufolge die
nächsten Rundbriefe nicht mehr zu.
'Elwe'-Prozeßbeobachtungsgruppe
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