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Sun Sep 10 22:32:54 1995
 

Rundbrief 5

den 08.06.95

Am Dienstag, den 6.6.1995, wurden vor dem Kasseler Landgericht zwei weitere Urteile in den sog. "Elwe"- Prozessen gesprochen: Adel M. wurde von der sechsten Strafkammer wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollzugsbeamte zu 3 Jahren Haft verurteilt. Die erste Strafkammer befand Mohammed B. der Geiselnahme im minder schweren Fall für schuldig und setzte das Strafmaß auf 3 Jahre fest. Dieses Urteil wurde noch im Gerichtssaal rechtskräftig, während gegen das andere von der Verteidigung Revision eingelegt werden wird. In den fünf Verhandlungstagen gegen Adel M. wurden die anfänglichen Anklagepunkte, Geiselnahme und schwerer Landfriedensbruch, weitgehend entkräftet. Es hatte sich herausgestellt, daß der Angeklagte sich während der Revolte in einer abseits gelegenen Zelle aufgehalten hatte und bereits am frühen Abend von der Polizei abtransportiert worden war. Es blieb der Vorwurf, daß er andere Mitgefangene in der Freistunde vor dem Aufstand auf den Koran schwören ließ. Zu diesem Anklagepunkt gab es unterschiedliche Zeugenaussagen, zu dem möglichen Inhalt der Zeremonie gab es keine konkreten Angaben, außer daß diese im Zusammenhang mit der Revolte gestanden hätte. In ihrem Abschlußplädoyer legte die Staatsanwaltschaft dann Adel M. die Anstiftung zu der Aktion zur Last: Seit einigen Tagen hätten Ausbruchspläne unter den Abschiebehäftlingen kursiert, man hätte an die Schlüssel herankommen wollen und dazu hätte man notwendigerweise einen JVA- Beamten niederschlagen müssen. Zu dieser Tat hätte Adel M. seine Mitgefangenen durch den Koranschwur angestiftet. Der Staatsanwalt forderte 2 Jahre Haft. Die sechste Strafkammer folgte seiner Auffassung weitgehend. Sie ging aber ein Jahr über das geforderte Strafmaß hinaus, weil ihrer Ansicht nach Adel M. für die psychischen Schäden bei der Geisel und den Sechs-Millionenschaden in der JVA verantwortlich sei. Der Vorsitzende Richter Damm sah in dem Angeklagten den Hauptinitiator der Revolte.
Das Urteil stellt unserer Auffassung nach den Prozeßverlauf auf den Kopf, macht aus einer spontanen, weitgehend chaotischen Aktion ein planvolles Vorgehen und beruht auf einer durch nichts belegten Konstruktion, die hauptsächlich auf rassistische Verschwörungsbilder bei Gericht und Staatsanwaltschaft zurückzuführen ist.
Gegen die selbstgefällige Prozeßführung und die maßlosen Urteile dieser Kammer hebt sich die Praxis der ersten Strafkammer wohltuend ab. Mit der Einschränkung, daß die Verfahren an sich angesichts der Verantwortlichkeiten Kasseler Justizbehörden für die Revolte absurd anmuten und ungerechtfertigt sind. Mohammed B. wurde, nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen Aussagen, die Beteiligung an der Geiselnahme nachgewiesen. Bei dem betroffenem Schließer entschuldigte er sich, verwies aber zugleich auch auf seine eigene Situation als Abschiebehäftling. Wie mittlerweile auch das OLG-Frankfurt bestätigte, wurde er zu Unrecht in Abschiebehaft gehalten. Zugute hielt ihm das Gericht nicht nur sein Geständnis, sondern auch daß er sich während der Revolte gegenüber der Polizei kooperationsbereit gezeigt habe. Der damalige Verhandlungsführer wies in seiner Aussage auf die deeskalierende und verantwortliche Rolle Mohammeds während des Aufstandes hin. Letztlich lief es dann auf eine Verurteilung wegen Geiselnahme im minder schweren Fall hinaus. Z.Z, läuft vor der sechsten Strafkammer der Prozeß gegen Zamir L., der siebte der "Elwe"- Prozesse. Auch er ist wegen Geiselnahme und Landfriedensbruchs angeklagt. Es zeichnet sich bereits ab, daß der Vorsitzende Richter Damm dem Algerier eine Beteiligung, aber keine herausragende Rolle bei der Geiselnahme zuweist.. Bei der bisherigen "Rechtsprechung" dieser Kammer läßt das als Urteil nur eine langjährige Freiheitsstrafe vermuten.
In bezug auf die Ermittlungen wegen der Mißhandlungsvorwürfe gegen JVA-Beamte wie auch in bezug auf die weiteren Prozesse gibt es nichts wesentlich neues zu berichten. Zu gegebener Zeit melden wir uns wieder mit einem Rundbrief. Z.Z. sind wir dabei, unseren Verteiler zu aktualisieren. Wir bitten alle, die an einer weiteren Zusendung des Rundbriefes interessiert sind, uns die kurz zu schreiben und der Notiz 3 Briefmarken a 1DM beizulegen, um unsere Kopier- und Portokosten in Grenzen zu halten. Bei bisherigen Adressaten, die uns keine Antwort zusenden müssen wir davon ausgehen, daß kein Interesse an weiterer regelmäßiger Information besteht und schicken ihnen demzufolge die nächsten Rundbriefe nicht mehr zu.

'Elwe'-Prozeßbeobachtungsgruppe
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