ID-Archiv im Internationalen Institut für Sozialgeschichte/Amsterdam
Die Ereignisse um Bad Kleinen und der Tod von Wolfgang Grams am 27.
Juni 1993 können sicherlich als einer der größten Polizei- und
Geheimdienstskandale in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet
werden.
Über ein Jahr danach erscheint nun dieses Buch. Nach wie vor ist dem
Recht der Öffentlichkeit auf lückenlose Aufklärung des Todes von
Wolfgang Grams nicht Genüge getan. Weder von staatlicher noch von unabhängiger
Seite wurde dies geleistet. Das vorliegende Buch soll zur Aufklärung
beitragen und stellt unter den gegebenen Umständen gleichzeitig Gegenöffentlichkeit
her. Zwar haben sich in der Zeit unmittelbar nach den Ereignissen breite Teile
der Medien um Aufklärung bemüht, sei es aufgrund journalistischer
Sorgfaltspflicht oder Sensationsgier - nachdem staatlicherseits die Sache aber
als aufgeklärt und erledigt dargestellt wurde, blieb von der kritischen Öffentlichkeit
nicht mehr viel übrig. Der Ausspruch des Schweriner Oberstaatsanwalts
Schwarz bei der Pressekonferenz zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen
zwei GSG-9-Beamte im Januar 1994 wurde wörtlich genommen: »Es ist
wirklich nichts mehr drin in der Sache - glauben Sie¹s oder glauben Sie¹s
nicht.«
Der Abschlußbericht der Bundesregierung behauptet, daß Wolfgang
Grams Selbstmord begangen habe. Bei näherer Betrachtung wird aber lediglich
das Interesse deutlich, die Angelegenheit für erledigt zu erklären,
das vorliegende Buch macht jedoch deutlich, daß entgegen der offiziellen
Version im Abschlußbericht nicht von Selbstmord ausgegangen werden kann.
Die dokumentierten Fakten und Widersprüche erfordern zwingend
Konsequenzen. Zunächst muß als unmittelbare juristische Konsequenz
die Wiederaufnahme der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Schwerin
aufgrund der Beschwerde der Anwälte der Eltern von Wolfgang Grams erfolgen.
Des weiteren ist der Haftbefehl gegen Birgit Hogefeld wegen Mordes und
sechsfachen Mordversuchs in Bad Kleinen aufzuheben und das Verfahren
einzustellen.
Der offensichtlich politische Hintergrund dieses Verfahrens, die ungenügende
Unterrichtung der zuständigen Parlamentsgremien nach Bad Kleinen und schließlich
die Rücktritte und Versetzungen von Politikern und Beamten machen deutlich,
daß auch politische Konsequenzen gezogen werden müssen. Die GSG 9 und
alle entsprechenden polizeilichen Sondereinheiten sind aufzulösen. Für
die politisch Verantwortlichen müssen die Ereignisse in und nach Bad
Kleinen politische und juristische Konsequenzen haben.
Darüber hinaus muß das in diesem Zusammenhang deutlich gewordene
staatliche Verhalten auch Folgen haben bezüglich anderer Polizeieinsätze
mit Todesfolge und anderer »Selbstmorde«. Auch die Vorgänge in
Stammheim und Stadelheim 1976 und 1977 sind bis heute nicht lückenlos
aufgeklärt.
Wir hoffen, daß das vorliegende Buch in diesem Sinne etwas bewirken kann.
September 1994