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Wed Dec 4 17:37:46 1996
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Chronologie der Ereignisse
auf der Grundlage von Meldungen in den Medien
SEK-Beamte bei der Suche nach Projektilen auf dem Bahnhofsgelände,
einige Tage nach der Erschiessung Wolfgang Grams´ (Foto: dpa)
[27.6.93] [5.7.93]
[27.7.93] [18.11.93] [3.3.94]
- Sonntag, 27.06.93
- In den Nachrichten am späten Nachmittag wird gemeldet, daß bei
einer Schießerei am Schweriner See zwei RAF-Mitglieder festgenommen
wurden, von denen eines lebensgefährlich verletzt sei. Außerdem sei
ein Beamter der GSG 9 ums Leben gekommen. Am Abend heißt es, die
Festgenommene sei Birgit Hogefeld, der zweite - inzwischen an seinen
Verletzungen gestorbene - sei Wolfgang Grams. Beide seien durch Hinweise aus »Stasi«-Akten
enttarnt worden.
- Montag, 28.06.93
- Das ARD-Morgenmagazin berichtet, daß am Ort des Geschehens eine
dritte Person, die ein V-Mann der Polizei sein soll, anwesend war. Birgit
Hogefeld teilt ihrer Mutter nach Eröffnung des Haftbefehls telefonisch mit,
daß sie sich um einen Anwalt für »Klaus aus Wiesbaden« kümmern
soll. Die Verhaftung von Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld sollte laut
Bundesanwaltschaft beim Verlassen der Gaststätte »Waldeck« auf
dem Bahnhofsvorplatz durch ein MEK des BKA und im Auftrag des GBA erfolgen.
Birgit Hogefeld habe dabei den Schußwechsel eröffnet. Wolfgang
Grams stirbt an seinen Schußverletzungen am Sonntag gegen 18.00 Uhr in der
Uni-Klinik Lübeck. Mehrere Wohnungen im Bundesgebiet wurden ohne
richterlichen Beschluß und mit der Begründung, man sei »auf der
Suche nach zwei flüchtigen Terroristen«, durchsucht.
- Dienstag, 29.06.93
- Radio und Fernsehen melden, daß Wolfgang Grams durch einem Kopfschuß
gestorben ist. Die BAW verhängt eine Nachrichtensperre, unklar
bleibt deshalb auch, seit wann die Behörden den Aufenthaltsort von Birgit
Hogefeld und Wolfgang Grams kannten. ZeugInnen sagen aus, Wolfgang Grams
und Birgit Hogefeld seien im Bahnhof festgenommen worden. Sie hätten sich
zuvor mit einem weiteren Mann getroffen, der in offiziellen Darstellungen jedoch
nicht erwähnt wird. In den Medien wird berichtet, es könnte
sich möglicherweise um einen V-Mann des BKA gehandelt haben. Die Schießerei
sei wahrscheinlich eine Panne gewesen. Die Festnahme hätte nicht vor der
Bahnhofsgaststätte stattfinden sollen, Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld hätten
das Feuer jedoch sofort eröffnet. Wolfgang Grams sei über die Treppe
auf den Bahnsteig geflohen. Wolfgang Grams habe laut GBA von Stahl den ihn
verfolgenden GSG 9-Beamten aus nächster Nähe mit einem »Dum-Dum-Geschoß«
erschossen. Es soll ca. 20 Minuten gedauert haben, bis Grenzschutzhubschrauber
zum Abtransport der Verletzten eintrafen. Die Festnahme soll bereits für
die Nacht auf den 26.06.93 geplant gewesen sein.
- Mittwoch, 30.06.93
- Die BAW korrigiert ihre Pressemeldung vom 27.06.93 und erklärt nun,
die Verhaftung von Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld sei in der Bahnhofsunterführung
erfolgt, nachdem Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld die Gaststätte »Billard
Café« zwischen den Gleisen verlassen hätten. Birgit Hogefeld
sei überwältigt worden, bevor sie hätte schießen können.
Zur dritten Person wird keine offizielle Erklärung abgegeben, nach
ihr wird auch nicht gefahndet. Alle am 28.06.93 festgenommenen Personen
sind wieder freigelassen worden. Der Bundestagsinnenausschuß beschäftigt
sich mit den Vorgängen, die Informationspolitik des Generalbundesanwalts
wird scharf kritisiert und sein Rücktritt gefordert.
- Donnerstag, 01.07.93
- Die Fernsehsendung Monitor veröffentlicht die Aussage einer Zeugin
(Kioskverkäuferin), die eidesstattlich erklärt, daß ein Beamter
Wolfgang Grams, der reglos auf dem Gleis lag, aus nächster Nähe
gezielt in den Kopf geschossen hat. Ein zweiter Beamter schoß mehrmals auf
Bauch oder Beine. Diese Aussage hatte sie schon am Abend des 27.06.93 gemacht.
Aus dem Obduktionsbericht vom 28.06.93 geht hervor, daß der tödliche
Schuß auf Wolfgang Grams entweder »aus unmittelbarer Nähe«
oder als »aufgesetzter« Kopfschuß abgegeben worden sein muß.
Das Bundesinnenministerium behauptet, die Beamten der GSG 9 hätten
keinen Schuß aus allernächster Nähe abgegeben, das habe die
Befragung aller beteiligten Beamten ergeben. Der GBA erklärt dem
Bundestagsinnenausschuß, die Einsatzkräfte seien sich nicht sicher
gewesen, wen sie vor sich hatten. Die Einsatzkräfte der GSG 9 hätten
keine schußsicheren Westen getragen. Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams
seien nicht durch »Stasi«-Akten entdeckt worden.
- Freitag, 02.07.93
- Birgit Hogefeld schildert in einem Brief an die Tageszeitung, daß sie
festgenommen worden sei, bevor sie sich hätte zur Wehr setzen können.
Sie wurde gefesselt. Ihr wurde eine Kapuze über den Kopf gestülpt und
um Mund und Nase mit Klebeband verklebt. Später im Auto wurde ihr eine
Pistole weggenommen. Die Staatsanwaltschaft Schwerin bestätigt, daß
im Obduktionsbericht der Uni Lübeck Hinweise auf einen Schuß aus nächster
Nähe auf den Kopf von Wolfgang Grams enthalten sind. Es sei unklar, aus
welcher Waffe und mit welcher Munition geschossen worden sei. Es wird
bekannt, daß noch am 28.06.93 ein Fernsehteam mühelos zwei Dutzend
Patronenhülsen vom Tatort aufgesammelt hat. Die für Wolfgang Grams tödliche
Kugel war bis nachmittags verschwunden, dann wurde eine Kugel von einem Zeugen
gefunden, die möglicherweise die tödliche war. Das LKA Schwerin findet
vier weitere Patronenhülsen zwischen den Gleisen. Den Eltern Grams
wurde verweigert, bei der Obduktion anwesend zu sein. Eine zweite von ihnen
veranlaßte Obduktion bestätigt den unmittelbaren Nahschuß. Die
Eltern erstatten Anzeige gegen Unbekannt wegen Mordes bzw. Totschlags.
Dem GBA wird vorgeworfen, durch seine Informationspolitik einen V-Mann »verbrannt«
zu haben. Bundesinnenminister Seiters beauftragt den Präsidenten des
Bundesverwaltungsamtes und früheren Abteilungsleiter im Bundesamt für
Verfassungsschutz, Grünig, als »unabhängigen« Juristen mit
der Untersuchung der Vorgänge. Die beteiligten Beamten wurden bisher nur
von ihren Vorgesetzten befragt, nicht vernommen. Bei der Fraktion der
PDS/Linke Liste meldet sich am 02.07.93 ein anonymer Anrufer, gibt sich als »Kollege
der in Bad Kleinen eingesetzten Sicherheitskräfte« aus und behauptet,
Wolfgang Grams sei unbewaffnet gewesen und ein Kollege habe die Nerven verloren.
Ein weiterer Zeuge sagt aus, ein Beamter sei auf den auf dem Gleis liegenden
Wolfgang Grams zugegangen und habe ihm die Waffe aus der Hand genommen. Die
Staatsanwaltschaft Schwerin erklärt, damit werde die Wahr- scheinlichkeit
größer, daß sich Wolfgang Grams den tödlichen Schuß
selbst gesetzt habe. Bei einer nochmaligen Befragung der beteiligten
Einsatzkräfte ergaben sich weder Hinweise auf einen »Nahschuß«
noch auf einen Selbstmord von Wolfgang Grams. Öffentlich bekannt
wird, daß im Zuge der Fahndung vom 28.06.93 ein »Verdächtigter«
auf der Autobahn durch eine absichtliche Kollision gestoppt und dabei verletzt
wurde. Der GSG 9-Beamte Newrzella wird beerdigt.
- Samstag, 03.07.93
- GBA von Stahl auf einer Pressekonferenz: Wolfgang Grams hat sich offenbar
nicht selbst erschossen und möglicherweise auch nicht den tödlich
verwundeten GSG 9-Beamten. Untersucht wird, ob der erschossene GSG 9-Beamte von
der Kugel eines Kollegen getroffen wurde. Der Spiegel gibt bekannt, daß
sich ein weiterer Zeuge dort gemeldet hat, der die Aussage der Kioskverkäuferin
bestätigt. Einer der eingesetzten Beamten habe Wolfgang Grams aus nächster
Nähe erschossen. Ein Polizeipsychologe kritisiert, daß der
Einsatz nicht dokumentiert worden ist.
- Sonntag, 04.07.93
- Bundesinnenminister Seiters tritt überraschend zurück. Es
wird mitgeteilt, daß das LKA Schwerin Teile eines Projektils an der Stelle
gefunden hat, an der Wolfgang Grams lag.
- Montag, 05.07.93
- Öffentlich bekannt wird: Rund 48 Stunden haben 54 Beamte auf ihren
Einsatz in Bad Kleinen gewartet. Bis Freitag, den 02.07.93, waren die
Waffen der Beamten nicht eingesammelt worden. Laut einer Erklärung
des BKA waren zur Versorgung der Verletzten vier Rettungshubschrauber
eingesetzt. Ein Sanitäter der GSG 9 und Notärzte führten die
Erstversorgung durch. Die beteiligten GSG 9-Beamten sollen erstmals von
der Staatsanwaltschaft Schwerin vernommen werden. Die StA Schwerin fordert von
BMI und BKA die Herausgabe der bisherigen Aussageprotokolle und die Namen der
Beteiligten, die sie bis zum 04.07.93 noch nicht erhalten hatten. Die Schweriner
Staatsanwaltschaft schließt aus, daß Wolfgang Grams Selbstmord
begangen hat. Ein Schweizer Institut soll Kopfhaut und Schädeldecke
von Wolfgang Grams kriminaltechnisch untersuchen. BKA-Präsident
Zachert nennt drei Versionen zum Tod von Wolfgang Grams. Er könne sich
selbst umgebracht oder der tödliche Schuß könne sich aus der
Waffe von Grams gelöst haben, als er auf die Gleise fiel. Auszuschließen
sei aber auch nicht, daß Wolfgang Grams von einer anderen Person
erschossen worden ist. Das BKA widerspricht Berichten, nach denen Newrzella möglicherweise
von seinen Kollegen getroffen worden ist. Newrzella sei von Wolfgang Grams
erschossen worden. Abgeordnete haben den Eindruck, daß von den Behörden
vertuscht wird. Sie schließen eine Auflösung der GSG 9 nicht aus.
Am 29.06.93 wurden folgende Untersuchungsaufträge erteilt: 1. an die
Universität Münster. Dort soll eine serologische Untersuchung der
Waffen und Geschoßteile vorgenommen werden. 2. an den Wissenschaftlichen
Dienst der Stadtpolizei Zürich (WD). Er soll prüfen, aus welcher
Entfernung die tödliche Kugel auf Wolfgang Grams abgegeben wurde und mit
welcher Waffe und welcher Munition. Die Bundesarbeitsgemeinschaft
kritische Polizisten erstattet Strafanzeige gegen Innenminister Seiters, GBA von
Stahl, die Staatsanwaltschaft Schwerin und unbekannte Polizeibeamte wegen
Strafvereitelung. Bei der dritten Person soll es sich um einen V-Mann des
rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes handeln. In einem
BKA-Bericht heißt es, Wolfgang Grams sei nicht in Bad Kleinen erwartet
worden, seine Identität sei unklar gewesen. Am 28.06.93 sind die
sichergestellten Waffen im BKA routinemäßig beschossen worden.
- Dienstag, 06.07.93
- Manfred Kanther wird neuer Bundesinnenminister. GBA von Stahl wird in den
Ruhestand entlassen. Noch immer gibt es keine offizielle Äußerung
zum V-Mann. Die beteiligten GSG 9-Beamten werden erstmals in Schwerin
vernommen. Das BKA stellt das Gutachten aus Münster der Öffentlichkeit
vor, nach dem Wolfgang Grams durch einen »absoluten Nahschuß«
starb. Die »Stanzmarke« weise Übereinstimmungen mit seiner
eigenen Waffe auf. Er könne sich selbst versehentlich getötet haben.
Der GBA will sich auch eine Woche nach Bad Kleinen nicht festlegen, ob Wolfgang
Grams auf den GSG 9-Beamten Newrzella geschossen hat und ob er überhaupt
eine Waffe bei sich hatte. Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses
fordert eine Umstrukturierung der Sicherheitsbehörden und eine
Harmonisierung der Polizeigesetze von Bund und Ländern, um das Vertrauen
der Bevölkerung in die Sicherheitsbehörden wieder herzustellen. Die
Bundestagsgruppe Bündnis 90/Grüne fordert eine parlamentarische
Untersuchungskommission. Der Rücktritt des BKA-Vizepräsidenten wird
gefordert wegen seiner teils unglaubwürdigen Angaben vor dem
Bundestagsinnenausschuß.
- Mittwoch, 07.07.93
- Bekannt wird: Die Einsatzkräfte haben gewußt, daß es sich
bei ihren »Zielpersonen« um Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld
handelte und daß der V-Mann geschützt werden müsse. Der
Vergleich der Waffen mit den gefundenen Projektilen ist laut StA Schwerin noch
nicht abgeschlossen. Das Gutachten der Universität Lübeck kommt
zu dem Ergebnis, daß der tödliche Schuß weder aus Wolfgang
Grams¹ Waffe noch aus einer Polizeiwaffe stammen könne. Der Bauchschuß
verlief horizontal durch seinen Körper. Nach Vermutungen von
Gerichtsmedizinern kann nur auf den liegenden Wolfgang Grams geschossen worden
sein. Auch die Bauchwunde wirkt »wie ausgestanzt«. Die BAG
Kritische Polizisten erklärt, daß Polizisten im Dienst auch andere
als ihre dienstlich gelieferten Waffen tragen. Die Gewerkschaft der Polizei erklärt,
daß GSG 9-Beamte neben ihren Dienstwaffen auch weitere Waffen mitführen
könnten. BKA-Chef Zachert beschwert sich über die »unerträglichen
Vorverurteilungen« der Medien. Öffentlich wird die Frage
gestellt, ob der V-Mann geschossen hat. Seine Vernehmung wird gefordert.
- Donnerstag, 08.07.93
- Laut Süddeutsche Zeitung war die Festnahme von Birgit Hogefeld und
Wolfgang Grams für den 25.06.1993 geplant, habe aber wegen logistischer »Schwierigkeiten«
verschoben werden müssen.
- Freitag, 09.07.93
- Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger gibt bekannt, daß sie
vom Generalbundesanwalt am 14.05.93 und am 17.06.93 über die bevorstehende
Aktion unterrichtet wurde. Bei einer Nachrichtenagentur geht eine Erklärung
der RAF ein, die dazu auffordert, nach der Ermordung von Wolfgang Grams nicht
zur Tagesordnung überzugehen. Der StA Schwerin soll ein Videoband
vorliegen, das ein »in dienstlicher Eigenschaft anwesender Zeuge« in
Bad Kleinen gedreht haben soll. Außerdem soll ein zweites Video des BKA
existieren. Beide Bänder zeigen nicht den Schußwechsel.
- Samstag, 10.07.93
- Der frühere Justizminister Kinkel erklärte am 10.07.93, er stehe
weiter zu seiner Politik der »ausgestreckten Hand« gegenüber der
RAF. In Wiesbaden findet eine Trauer-Demonstration zum Tod von Wolfgang
Grams mit ca. 4.000 TeilnehmerInnen und in Bad Kleinen eine Kundgebung statt.
- Sonntag, 11.07.93
- Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Scharping bestätigt,
daß es sich bei der dritten Person um einen V-Mann des Verfassungsschutzes
Rheinland-Pfalz handelt. Bürgerrechtsvereinigungen fordern die
Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission. Der Spiegel
berichtet, auf dem Videoband, das der Staatsanwaltschaft Schwerin vorliegt, sei
manipuliert worden. Die ZDF-Sendung Bonn direkt behauptet, eines der
aufgenommenen Videos zeige den Schußwechsel auf dem Bahnhof Bad Kleinen.
- Montag, 12.07.93
- Auch in einer weiteren Sitzung von Innen- und Rechtsausschuß werden
die Ausschußmitglieder nach eigenen Angaben nur unzureichend über den
Einsatz informiert.
- Dienstag, 13.07.93
- Die Bundesregierung spricht den Einsatzkräften, dem BKA und der BAW
ihr volles Vertrauen aus.
- Donnerstag, 15.07.93
- In der Fernsehsendung Panorama wird behauptet, die Festnahme des V-Mannes
sei eine Panne gewesen. Er hätte eigentlich die Möglichkeit zur Flucht
haben sollen. Die Staatsanwaltschaft Schwerin fordere von der Redaktion von
Panorama die Herausgabe von Name und Anschrift des V-Mannes, da
Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft keine Angaben
machten.
- Freitag, 16.07.93
- Birgit Hogefeld wird von Frankfurt nach Bielefeld verlegt, wo sie verschärften
Isolationshaftbedingungen ausgesetzt ist.
- Samstag, 17.07.93
- »Freunde und Freundinnen aus Wiesbaden« veröffentlichen
einen »offenen Brief an Klaus S.« und fordern ihn zur Offenlegung
seiner Rolle in Bad Kleinen auf.
- Montag, 19.07.93
- Der Gerichtsmediziner Sellier übt Kritik an den Ermittlungen. Die
Bestimmung der Tötungswaffe hätte durchaus sofort nach dem Einsatz
erfolgen können. Der rheinland-pfälzische Innenminister Zuber
erklärt am Wochenende vorher, daß er von der Aktion der RAF in
Weiterstadt am 27.03.93 keine Kenntnis durch den V-Mann hatte. Nach
Presseberichten sollen bereits Treffen zwischen dem V-Mann und Birgit Hogefeld
und Wolfgang Grams im Februar und April stattgefunden haben. In der Tageszeitung
wird ein Brief von Klaus S. veröffentlicht, in dem er behauptet, kein
V-Mann zu sein.
- Dienstag, 20.07.93
- Öffentlich bekannt wird das Zwischengutachten des WD der Züricher
Stadtpolizei mit dem vorläufigen Ergebnis, daß Wolfgang Grams¹
Waffe mit der »Stanzmarke« nach Form und Ausmaß übereinstimmt.
Der Lübecker Gutachter besteht nicht mehr darauf, daß die Druckstelle
an Wolfgang Grams¹ Kopf nicht zu seiner Waffe passe. Der
rheinland-pfälzische Innenminister Zuber erklärt, daß im
Rhein-Main-Gebiet seit 10 Jahren ein V-Mann für den VS Rheinland-Pfalz
arbeitet. Die Eltern Grams und Newrzella kritisieren die Ermittlungsbehörden.
Die Eltern von Newrzella haben bis jetzt keine offizielle Nachricht über
die Todesumstände und -ursache ihres Sohnes bekommen.
- Donnerstag, 22.07.93
- Die Tageszeitung veröffentlicht einen Brief von Birgit Hogefeld, in
dem sie klarstellt, daß Klaus Steinmetz der V-Mann ist.
Bundeskanzler Kohl spricht in Hangelar der GSG 9 sein »ganz besonderes
Vertrauen« aus. Unter Bezug auf Wolfgang Grams erklärt er, es werde
versucht, aus einem Mörder eine Art Märtyrer zu machen. Die Presse
wird bei diesem Besuch massiv behindert.
- Freitag, 23.07.93
- Die StA Schwerin vermutet Absprachen unter den vernommenen Beamten. Der
Aufenthalt des V-Mannes ist nach offizieller Darstellung noch immer unbekannt.
Die Eltern Grams erstatteten Strafantrag gegen Kohl wegen Verunglimpfung des
Andenkens Verstorbener und des Verdachts der üblen Nachrede, weil er
Wolfgang Grams öffentlich zum Mörder erklärt hat. Die
Wochenzeitschrift Freitag veröffentlicht einen anonymen Brief von zwei
angeblichen leitenden Beamten des Bundesinnenministeriums, die behaupten, es
handele sich bei den Ereignissen in Bad Kleinen um ein Komplott von
Regierungsstellen, um das Thema »Terrorismus von links« zum
Wahlkampfthema zu machen.Weiter wird behauptet, Birgit Hogefeld und Wolfgang
Grams seien über ein Jahr einer lückenlosen Kontrolle unterlegen.
- Dienstag, 27.07.93
- Das jetzt bekannt gewordene Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes der Züricher
Stadtpolizei besagt, daß der GSG 9-Beamte Newrzella von Wolfgang Grams
erschossen wurde.
- Donnerstag, 29.07.93
- Bekannt wird die Aussage einer weiteren Zeugin, die angibt, daß nach
einer Pause im Anschluß an die Schießerei noch ein einzelner Schuß
gefallen sei, und damit die Aussage der Kioskbesitzerin bestätigt.
Nach einer Meinungsumfrage glauben 76% der BürgerInnen nicht an eine völlige
Aufklärung von Bad Kleinen.
- Freitag, 30.07.93
- Der rheinland-pfälzische Innenminister Zuber berichtet vor dem
Innenausschuß des Landtages über die Aussagen von Steinmetz. Danach
habe der V-Mann im Nachhinein zugegeben, von der Aktion der RAF gegen den Gefängnisneubau
Weiterstadt am 27.03.93 gewußt zu haben.
- Montag, 02.08.93
- Der Spiegel berichtet, die Bundesanwaltschaft ermittele gegen Steinmetz
wegen »Unterstützung einer terroristischen Vereinigung«. Die »Pannen«
in Bad Kleinen seien auf eine Verwechslung von Wolfgang Grams mit dem V-Mann und
einen verstümmelten Funkspruch zurückzuführen. Statt »Zugriff
erfolgt wie besprochen« sei »Zugriff erfolgt« übermittelt
worden. Die Verteidigung von Birgit Hogefeld teilt in einer Presseerklärung
mit, daß diese bei der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft Schwerin
ausgesagt hat, sie habe mindestens einen Beamten mit einer Maschinenpistole
gesehen und während des Schußwechsels eine MP-Salve gehört. Dies
hatten mehrere andere ZeugInnen auch ausgesagt.
- Freitag, 06.08.93
- Wolfgang Grams wird in Wiesbaden beerdigt. Es wird bekannt, daß
das BKA im Zusammenhang mit der Ereignissen in Bad Kleinen nach zwei weiteren
Personen, die der RAF zugeordnet werden, fahndet. Samstag, 07.08.93 Die beiden
weiteren Personen, nach denen jetzt gefahndet wird, sollen laut Süddeutsche
Zeitung am 27.06.93 auf dem Bahnhofsvorplatz Bad Kleinen gewesen sein, von wo
sie entkommen konnten. Die Veröffentlichung eines Zwischenberichts
der Bundesregierung wird verschoben. Laut Vorabmeldung des Spiegel behauptet der
Zwischenbericht, daß der für Wolfgang Grams tödliche Kopfschuß
»auf eine Selbsttötung oder einen Unfall zurückzuführen«
sei, obwohl die Ermittlungen und Untersuchungen noch nicht abgeschlossen seien.
- Freitag, 13.08.93
- Es wird bekannt, daß die Staatsanwaltschaft Schwerin ein
Ermittlungsverfahren gegen zwei GSG 9-Beamte (Nummer 6 und Nr. 8; ihre Namen
sind nicht bekannt) eingeleitet hat wegen des Verdachts, Wolfgang Grams vorsätzlich
getötet zu haben. Der rheinland-pfälzische Innenminister Zuber
hat vor dem Innenausschuß der Verwechslungstheorie (Verwechslung von
Wolfgang Grams mit dem V-Mann) widersprochen. Von Birgit Hogefeld und dem V-Mann
seien »in den Tagen vor Bad Kleinen hervorragende Videos und Fotos«
gemacht worden.
- Montag, 16.08.93
- Im vorab bekannt gewordenen Zwischenbericht der Bundesregierung werden
zahlreiche »Pannen« aufgelistet. Der Bericht enthält zahlreiche
Widersprüche, obwohl es sich um die letzte von mehreren Versionen handelt.
Die Tageszeitung zitiert aus einem Brief von Steinmetz, in dem er behauptet, im
Chaos nach seiner Festnahme entkommen zu sein. Mehrmals hatte er Kontakt zu
Leuten aus Wiesbaden und zu seiner Familie. Ein Treffen einer Person aus
Wiesbaden mit ihm hatte stattgefunden. In einem offenen Brief an die
Bundesanwaltschaft verlangen die Eltern Grams Aufklärung darüber,
warum in Bad Kleinen - obwohl gesetzlich vorgeschrieben - keine Notärzte
vor Ort waren und warum Wolfgang Grams in der Uni Lübeck Gesicht und Hände
abgewaschen wurden. Außerdem verlangen sie die Aushändigung des
Haftbefehls und des Obduktionsberichts Newrzella.
- Mittwoch, 18.08.93
- Der SPD-Vorsitzende Scharping fordert als Konsequenz aus dem Einsatz in Bad
Kleinen eine Umstrukturierung der »Sicherheitskräfte« mit stärkerer
»Zentralstellenbefugnis« für das BKA. Die Auflösung der GSG
9 stehe zur Debatte. Der Zwischenbericht der Bundesregierung wird dem
Innen- und Rechtsausschuß des Bundestages vorgestellt. Die Ausschußmitglieder
kritisieren weiterhin die »Vernichtung von Beweismaterial«.
Bundesinnenminister Kanther bemängelt lediglich »handwerkliche Fehler«.
- Donnerstag, 26.08.93
- Der rheinland-pfälzische Innenminister erklärt, daß der
V-Mann im Februar 1993 vor einer möglichen Aktion der RAF gewarnt habe,
ohne jedoch Weiterstadt zu erwähnen.
- Montag, 30.08.93
- Auszüge aus Briefen Birgit Hogefelds an/von ihrer Familie und weiteren
Papieren, die im ihrem Rucksack gefunden wurden, werden veröffentlicht.
- Samstag, 04.09.93
- Es wird bekannt, daß der Vizepräsident des BKA, Gerhard Köhler,
ins Bundesinnenministerium versetzt wird. Der Leiter der Polizei-Abteilung im
Innenministerium, Wolfgang Schreiber, wird in den Ruhestand geschickt.
- Montag, 06.09.93
- Laut Spiegel soll der Zwischenbericht des WD der Stadtpolizei Zürich
in Kürze vorgelegt werden. Vorab wird berichtet, der Bauchschuß, den
Wolfgang Grams erhalten hat, sei nicht aus nächster Nähe abgegeben
worden. Der Kopfschuß stamme aus Wolfgang Grams¹ Waffe. Das
Ermittlungsverfahren gegen zwei GSG 9-Beamte werde möglicherweise
eingestellt.
- Mittwoch, 08.09.93
- Aus einer Pressemeldung wird bekannt, daß der Präsident des BKA,
Zachert, und der Inspekteur des BGS, Hitz, der Ansicht sind, die eigentliche
Panne in und nach Bad Kleinen sei die Öffentlichkeitsarbeit der Behörden
gewesen. Zukünftig müsse es eine »professionelle
Informationssteuerung in Form eines Krisenmanagements à la Schleyer«
geben.
- Donnerstag, 09.09.93
- Der Chef der »Abteilung Linksterrorismus« im BKA, Rainer
Hofmeyer, soll versetzt werden und das Kriminalistische Institut des BKA übernehmen.
Er wird damit oberster Ausbilder des BKA.
- Montag, 13.09.93
- Der V-Mann Steinmetz beschreibt in einem weiteren Brief, der in der
Tageszeitung veröffentlicht wird, eine neue Version der Vorgänge in
Bad Kleinen.
- Mittwoch, 15.09.93
- Die Berliner Gruppe F.e.l.S. stellt vor der Presse klar, daß ein
Protokoll, das bei Birgit Hogefeld gefunden wurde, von einem öffentlichen
und vorher in einer Zeitschrift angekündigten Arbeitstreffen stammt. Bei
dem Treffen war über Möglichkeiten der Organisierung der Linken
diskutiert worden. Nach dem Auffinden dieses Protokolls in Birgit Hogefelds Gepäck
wurde in der Presse eine »enge Abstimmung mit den Illegalen«
konstruiert.
- Freitag, 17.09.93
- Die Frankfurter Rundschau veröffentlicht einen ausführlichen
Bericht über die zahlreichen Versetzungen innerhalb des BKA.
- Dienstag, 21.09.93
- Ein bekannt gewordenes weiteres Teilgutachten der Universität Münster
soll belegen, daß sich Wolfgang Grams selbst erschossen hat. Der
Justizminister von Mecklenburg-Vorpommern erklärt vor der Presse, trotz des
Münsteraner Gutachtens könne von einer endgültigen Klärung
nicht die Rede sein, die Befunde sprächen nur am ehesten für eine
Selbsttötung. Dem Anwalt der Eltern Grams wird weiterhin die Akteneinsicht
verwehrt.
- Donnerstag, 30.09.93
- Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Werthebach,
spricht sich dafür aus, trotz den Ereignissen in Bad Kleinen, die Haltung
des Staates gegenüber der RAF zu überdenken.
- Samstag, 02.10.93
- Die Tageszeitung meldet, ein hessischer Verbindungsmann des BND sei als
Beobachter am 27.06.93 in Bad Kleinen vor Ort gewesen. Angehörige
von Birgit Hogefeld haben in einem Schreiben an den Bundesgerichtshof gegen die
Isolationshaftbedingungen, denen Birgit Hogefeld ausgesetzt ist, protestiert.
- Montag, 04.10.93
- Die Zeitschrift Focus berichtet, das Züricher Gutachten komme wie das
Münsteraner zu dem Ergebnis, daß Wolfgang Grams sich selbst
erschossen habe.
- Freitag, 15.10.93
- Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger räumt in einem Interview
ein, daß wohl »nie ein letzter Rest von Zweifel, von Bedenken, ausgeräumt
werden kann«, was die Aufklärung der Ereignisse von Bad Kleinen
betrifft.
- Mittwoch 20.10.93
- Das mecklenburgische Justizministerium teilt mit, das weitere Teilgutachten
aus Zürich liege nun vor und besage, daß außer dem »aufgesetzten
Kopfschuß« keiner der anderen Schüsse auf Wolfgang Grams aus
einer Entfernung von weniger als 1,5 Metern abgegeben wurde, was die
Selbstmordthese stütze.
- Freitag, 29.10.93
- Der Anwalt der Eltern Grams kritisiert das Verhalten des Justizministeriums
von Mecklenburg-Vorpommern, das jeweils nur diejenigen Gutachten-Teile veröffentliche,
die die unter Verdacht stehenden GSG 9-Beamten entlasten. Widersprüche in
den Gutachten, zum Beispiel die Untersuchung einer »offensichtlich frisch
gewaschenen« Hose, würden der Öffentlichkeit vorenthalten,
genauso wie ein nachträglich entdecktes Projektil, das weder aus einer
Polizeiwaffe noch aus Wolfgang Grams¹ Waffe stamme.
- Donnerstag, 18.11.93
- Das Abschlußgutachten der Stadtpolizei Zürich liegt jetzt dem
Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern vor. Es bestätige die Ergebnisse
des vorherigen Teilgutachtens, wonach sich Wolfgang Grams selbst erschossen hat.
Genauere Einzelheiten sollen noch mitgeteilt werden.
- Samstag, 20.11.93
- Teile des Züricher Gutachtens werden der Öffentlichkeit
vorgestellt. Darin heißt es u. a., die Waffe von Wolfgang Grams erzeuge
eine Stanzmarke, die »maßtechnisch und morphologisch nicht von der
Stanzmarke an der rechten Schläfe von Grams unterschieden werden kann«.
Die Schweriner Staatsanwaltschaft hält »eine direkte Fremdbeibringung
der Nah-Schußverletzung durch diesen Beamten (exekutionsähnliche
Handlung) für praktisch ausgeschlossen. Es gibt somit aus unserer Sicht
keine neuen Erkenntnisse, die zwingend gegen eine Selbstbeibringung des
Nahschusses durch Grams sprechen würden«. Der WD der Züricher
Stadtpolizei teilt außerdem mit, daß die Jacke eines Beamten nach
der Untersuchung abhanden gekommen ist. Sie sei vermutlich gestohlen worden.
- Montag, 22.11.93
- Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten hat das Gutachten des
Wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich kritisiert und erklärt,
eine seriöse Einschätzung sei nach den Mängeln und Fehlern bei
der Spurensicherung nicht mehr möglich gewesen.
- Montag, 29.11.93
- Der Chef der Kriminaltechnik im LKA Sachsen-Anhalt, Lichtenberg, erklärt
im Spiegel, von der Stanzmarke könne man gar nicht auf die Waffe schließen,
die Schmauchspuren seien entscheidend. Mit einer entsprechenden Untersuchung hätte
man die Schußwaffe sehr schnell bestimmen können. Außerdem
seien die bisher in der BRD beauftragten Gutachter keine Schußspurenexperten.
Laut Spiegel ist der Münsteraner Gutachter Brinkmann ein guter Bekannter
des Schweriner Oberstaatsanwalts Schwarz.
- Donnerstag, 09.12.93
- Es wird bekannt, daß wegen zweier Transparente in Bielefeld, die von
Mord an Wolfgang Grams sprechen, ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der
Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole gegen Unbekannt eingeleitet worden
ist.
- Samstag, 18.12.93
- Die Anwälte der Eltern Grams haben Beschwerde gegen die Verweigerung
der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft Schwerin erhoben.
- Samstag, 08.01.94
- Die Anwälte der Eltern Grams erhalten - aufgrund ihrer Beschwerde -
nach ca. 6 Monaten Einsicht in die Ermittlungsakten, da die Staatsanwaltschaft
Schwerin das Ermittlungsverfahren gegen die zwei GSG 9-Beamten einstellen wolle
und deshalb der Ermittlungszweck jetzt durch die Akteneinsicht nicht mehr berührt
werden könne.
- Mittwoch, 12.01.94
- Teile der Redaktionsräume der Zeitschrift Focus in München wurden
vom Staatsschutz durchsucht. Focus hatte ein anonymes Angebot über brisante
Informationen aus Sicherheitsbehörden, die an Bad Kleinen beteiligt waren,
erhalten. In diesem Zusammenhang läuft auch ein Ermittlungsverfahren gegen
einen Redakteur wegen »verbotener Mitteilungen über
Gerichtsverhandlungen«.
- Donnerstag, 13.01.94
- Die Staatsanwaltschaft Schwerin stellt das Ermittlungsverfahren gegen zwei
GSG 9-Beamte ein, weil »keine Anhaltspunkte bestehen, daß Grams von
einem Polizeibeamten rechtswidrig getötet oder verletzt worden ist«.
Der leitende Oberstaatsanwalt Schwarz erklärt den JournalistInnen: »Es
ist wirklich nichts mehr drin in der Sache - glauben Sie¹s oder glauben Sie¹s
nicht.«
- Donnerstag, 27.01.94
- Der Rechtsanwalt der Eltern Grams teilt mit, daß er nach Durchsicht
der Ermittlungsakten auf eine »Fülle von Absonderlichkeiten«
gestoßen sei und deshalb Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens
einlegen wolle.
- Mittwoch, 02.02.94
- Der Haftbefehl gegen Birgit Hogefeld wird auf Antrag der Bundesanwaltschaft
um die Punkte »Verdacht der Teilnahme an der Sprengung des Gefängnisneubaus
in Weiterstadt im März 1993«, »Mord« und »sechsfacher
Mordversuch« an Beamten der GSG 9 in Bad Kleinen erweitert, obwohl sie zum
Zeitpunkt des Schußwechsels gefesselt und mit einer Kapuze über dem
Kopf in der Bahnhofsunterführung lag. Die Verteidigung von Birgit Hogefeld
gibt bekannt, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz ihr
signalisieren ließ, diese Mordanklage sei zu »kippen«, Birgit
Hogefeld müsse dazu nur eine gewisse Kooperation, d. h. Gesprächsbereitschaft,
zeigen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz bestreitet dies.
- Montag, 14.02.94
- Es wird bekannt, daß das Ermittlungsverfahren gegen den V-Mann
Steinmetz wegen des Verdachts der »Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung« und »Nichtanzeigens von Straftaten« von der
Bundesanwaltschaft eingestellt worden ist. Der Spiegel veröffentlicht ein
Interview mit dem V-Mann, in dem dieser erklärt, er habe von der geplanten
Aktion in Weiterstadt vorher nichts gewußt. Seine frühere Behauptung,
er habe vorher einen entsprechenden Kassiber erhalten, sei erfunden gewesen. Außerdem
schließe er einen Selbstmord von Wolfgang Grams aus.
- Samstag, 26.02.94
- Die Tageszeitung veröffentlicht Teile einer internen Analyse des BKA,
wonach der V-Mann Steinmetz »tragendes Mitglied der RAF« gewesen sein
soll.
- Montag, 28.02.94
- Die Existenz eines derartigen internen Berichtes vom August 1993 wird vom
BKA bestätigt.
- Donnerstag, 03.03.94
- Die Tageszeitung berichtet, ihr liege ein Entwurf des Abschlußberichtes
der Bundesregierung zu Bad Kleinen vor. Darin wird den beteiligten Beamten »Ernsthaftigkeit
ihres Bemühens um Aufklärung« attestiert und erklärt,
Wolfgang Grams habe sich selbst »möglicherweise noch während der
Schüsse der Beamten in Suizidabsicht einen Kopfdurchschuß«
versetzt. Die Zeugenaussagen seien »ohne Beweiswert«. In diesem
Bericht werden nun 10 »Schwachstellen« aufgelistet, u. a. sei der
Verbleib von Birgit Hogefeld nach der Schießerei nicht klar gewesen. »Die
anschließende Suche, an der sich der Beamte GSG 9 Nr. 6, der Grams
sicherte, nicht beteiligte, trug zu Hektik und Nervosität unter den
Einsatzkräften bei.« Das Vertrauen in die GSG 9 sei »wieder
hergestellt«.
- Montag, 07.03.94
- Innenminister Kanther äußert in einem Interview gegenüber
der Süddeutschen Zeitung: »Ich hatte nie den leisesten Zweifel daran,
daß die Polizei Grams nicht ðhingerichtetÐ haben konnte, wodurch
die besondere Dimension des Falles entstanden ist.«
- Mittwoch, 09.03.94
- Der schon zuvor bekannt gewordene Abschlußbericht der Regierung wird
der Öffentlichkeit vorgelegt. Daraus wird bekannt, daß der spätere
Verdacht, Wolfgang Grams sei durch den Nahschuß eines Polizeibeamten getötet
worden, zwar schon am Abend des 28.06.1993 innerhalb der Tatortgruppe des BKA in
Bad Kleinen »diskutiert« wurde, aber nicht zu der an sich gebotenen
Neuaufnahme der Tatortarbeit geführt habe.
- Donnerstag, 10.03.94
- Es wird bekannt, daß beim BKA »Fahndungskarten« existieren,
mit denen nach zwei Personen gefahndet wird, die am 24.06.93 in Bad Kleinen
gewesen und sichverdächtigverhalten haben sollen.
- Mittwoch, 16.03.94
- Die Zeitung Junge Welt teilt mit, daß ihr eine Erklärung der RAF
(vom 06.03.94) vorliege, in der diese diese die angebliche Mitgliedschaft des
V-Mannes in der RAF wie auch seine Beteiligung an der Aktion gegen den Gefängnisneubau
in Weiterstadt bestreitet.
- Samstag, 02.04.94
- Die Welt berichtet unter Berufung auf den Justizminister von
Mecklenburg-Vorpommern, daß in Bad Kleinen am 27.06.93 ein weiteres »verdächtiges«
Paar observiert, aber nicht festgenommen worden war.
- Dienstag, 05.04.94
- Laut Tageszeitung wird gegen die Zeitschrift Konkret ein
Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung durch die Staatsanwaltschaft Hamburg
betrieben, weil in einem Konkret -Artikel über die Ereignisse in Bad
Kleinen die GSG 9 mit südamerikanischen Todesschwadronen verglichen wurde.
- Donnerstag, 07.04.94
- Das BKA dementiert Meldungen von Focus, wonach in Bad Kleinen zwei weitere
RAF-Mitglieder entkommen seien.
- Dienstag, 19.04.94
- Nach Pressemeldungen sollen in dem erst am 02.02.94 beschlagnahmten Wagen
des V-Mannes Spuren desselben Sprengstoffes entdeckt worden sein, wie er bei der
Aktion gegen die JVA Weiterstadt verwendet worden sein soll. Ein
Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wird eingeleitet.
- Freitag, 22.04.94
- Die Bundesanwaltschaft teilt mit, daß der Nachfolger von GBA von
Stahl, Kai Nehm, bereits am 24.03.94 Anklage gegen Birgit Hogefeld u. a. wegen
Mordes und sechsfachen Mordversuches im Zusammenhang mit Bad Kleinen erhoben
hat.
- Montag, 25.04.94
- Laut Focus soll am 14.03.94 auf einem südhessischen Autobahnparkplatz
ein auf den V-Mann zugelassenes Motorrad sichergestellt worden sein.
- Dienstag, 10.05.94
- Im Zusammenhang mit dem Auffinden des Motorrades wird in Frankfurt die
Wohnung einer früheren Bekannten des V-Mannes Steinmetz wegen Urkundenfälschung
und Betruges durchsucht.
- Montag, 06.06.94
- Die Anwälte der Eltern Grams geben auf einer Pressekonferenz neue
Fakten bekannt, die die Behauptung, wonach Wolfgang Grams Selbstmord begangen
habe, widerlegen. Der Rechtsmediziner Prof. Bonte stellt sein Gutachten vor, das
zum Ergebnis hat, daß die Waffe Wolfgang Grams entwunden worden sein muß
und aufgrund des vorgefundenen Spurenbildes nicht - wie von der
Staatsanwaltschaft Schwerin behauptet - auf dem Boden gelegen haben kann.
Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse haben die Anwälte der Eltern Grams
Strafanzeige gegen alle am direkten Zugriff beteiligten GSG 9-Beamten erstattet
wegen eines »vorsätzlichen Tötungsdeliktes«.