Der Vizepräsident des BKA, Köhler, in der 71. Sitzung des Innenausschusses des deutschen Bundestages vom 30.6.1993
Mitte April hatten sich Wolfgang Grams, Birgit Hogefeld und der
VS-Spitzel Steinmetz in Cochem getroffen. Birgit Hogefeld hatte dort mit
Steinmetz ein weiteres Treffen am 24. Juni in Bad Kleinen verabredet. Ab diesem
Zeitpunkt begannen die Vorbereitungen für eine Festnahme von Birgit
Hogefeld. Ende April machten sich die ersten Verfassungsschutz-Beamten des
Landes Rheinland-Pfalz zu einer »Inaugenscheinnahme« auf den Weg nach
Bad Kleinen. Es folgten unzählige gegenseitige Unterrichtungen und
Besprechungen von Generalbundesanwalt (GBA), dem Präsidenten des BKA, dem
Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, dem Leiter des Bundesamtes für
Verfassungsschutz und anderen. Bei einer Sitzung am 13. Mai 1993, an der
Generalbundesanwalt von Stahl, die Präsidenten des BKA und des Bundesamtes
für Verfassungsschutz, der Leiter des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz
und weitere Beamte teilnahmen, wurde vom GBA die Festnahme Birgit Hogefelds
angeordnet. »Maßgeblich für diese Entscheidung war die Überlegung,
daß mit Haftbefehl gesuchte Terroristen nicht entkommen durften, zumal
nicht sicher war, ob es noch zu einem weiteren Treffen zwischen der V-Person und
Mitgliedern der ðKommandoebeneÐ kommen würde.« 1
Bei diesem Treffen übertrug von Stahl die
Gesamtverantwortlichkeit für die Festnahme dem BKA. Die weiteren
Vorbereitungen und Gesamtmaßnahmen wurden in mindestens vier Sitzungen der
Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung (KGT) unter Hinzuziehung eines
Vertreters der GSG 9 erörtert.
Am 15. und 16. Mai fand eine erste
gemeinsame Aufklärung des Einsatzraumes um Bad Kleinen durch MEK-Kräfte
des BKA und GSG 9-Kräfte statt. »Dabei wurde Anschauungsmaterial
gefertigt (Videoaufnahmen von Landschaft, Orten und Plätzen sowie
Fotodokumentationen über mögliche Zugriffsorte, u.a. Bahnhof Bad
Kleinen).« 2
Ab dem 22. Juni 1993 wurde für die Festnahme einer einzigen Person 3 ein gigantischer organisatorischer Apparat, genannt »Weinprobe«, errichtet. Allein im Einsatzraum Bad Kleinen bestand dieser Apparat nach BKA-Aussagen aus 120 Kräften. Die Operation »Weinprobe« umfaßte: 4
Diese war rund um die Uhr besetzt mit der Polizeiführung und einer
Vertretung der Bundesanwaltschaft. Zusätzlich war zeitweise ein Beamter des
rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes anwesend.
Die Befehlsstelle
im BKA war in 3 Einsatzabschnitte unterteilt:
Folgende Maßnahmen wurden im Vorfeld der Festnahme getroffen:
Laut Zwischenbericht der Bundesregierung soll das Treffen von Birgit
Hogefeld und dem V-Mann Steinmetz am Donnerstag, den 24. Juni, um 13.11 Uhr auf
dem Bahnhof Bad Kleinen video-überwacht begonnen haben. Beide fuhren kurze
Zeit später mit dem Zug nach Wismar weiter. »Am 25. Juni 1993 abends
wurden sie aufgrund des Peilsenders geortet.« 5,
und zwar in einer Ferienwohnung in Wismar.
Am 26. Juni sollen sich die
beide in der Ferienwohnung aufgehalten haben. »Während des
Aufenthaltes haben - wie später festgestellt wurde - Hogefeld und die
V-Person die Wohnung, jedenfalls am 26. Juni, zeitweise verlassen. Die
Observationskräfte hatten vom Verlassen der Wohnung keine Kenntnis.«
6 Im Abschlußbericht der Bundesregierung wird
sogar von einem mehrfachen Verlassen der Wohnung während des
Ferienaufentaltes gesprochen, ohne daß dies bemerkt wurde.7 Das hieße, die Spezialisten des BKA hätten
trotz enormem fahndungstechnischen und personellen Aufwand 1 H Tage gebraucht,
um ihre Zielperson ausfindig zu machen.
Das BKA und die Bundesregierung behaupten demnach, daß die Einsatzkräfte
in diesen 2 H Tagen, die Birgit Hogefeld und Steinmetz in Wismar verbrachten -
den Abreisetag nicht mitgerechnet - die beiden lediglich in der Nacht vom 25.
auf den 26. Juni unter Kontrolle hatte. Die angebliche »Observationslücke«
in Wismar und die Vernichtung der Videobänder dieser stationären
Observation - noch bevor Birgit Hogefeld überhaupt festgenommen war - sind
ein gesondertes Kapitel in der Beweisvernichtung durch das BKA.
Laut veröffentlichtem Zwischenbericht der Bundesregierung hat die KGT
als obersten Grundsatz des Einsatzes formuliert, er solle »gleichermaßen
auf Zugriff wie auf Schutz der V-Person ausgerichtet (werden, d. V.) (...) damit
die Arbeit mit der V-Person weitergeführt werden kann.« 8 Grundlage der Einsatzkonzeption war also, Birgit Hogefeld
erst festzunehmen, wenn sie sich von Steinmetz getrennt hat. Die daraus folgende
Empfehlung soll gewesen sein, einen Zugriff am Urlaubsort Wismar durchzuführen.
Man kann davon ausgehen, daß der oben genannte Grundsatz, den
Spitzel aus allem herauszuhalten, um seine Dienste auch weiterhin in Anspruch zu
nehmen, ernst gemeint war. Dann ist aber unverständlich, warum der Zugriff
am Urlaubsort erfolgen sollte. Birgit Hogefeld und Steinmetz hatten sich Zeit
genommen, um ein paar Tage miteinander zu reden. Aus welchem Grund sollten sie
sich in dieser kurzen Zeit trennen? Das wäre aber Vorausse-tzung gewesen,
um Steinmetz eine Legende für sein »Entkommen« zu verschaffen.
Ein weiterer Widerspruch ist, daß der Verfassungsschutz seinem Mitabeiter
Steinmetz eingeschärft hatte, daß er am Sonntag Mittag seine
Heimreise anzutreten hätte. Es war also von Anfang an klar und geplant, daß
Steinmetz sich spätestens am Sonntag mittag von Birgit Hogefeld trennen würde.
Darüber waren sowohl der Leiter des MEK als auch der Einsatzleiter für
den Zugriff informiert. Damit wären alle Voraussetzungen der
Einsatzkonzeption erfüllt gewesen. Der V-Mann wäre unerkannt nach
Hause gefahren und die GSG 9 hätte Birgit Hogefeld festgenommen. Der
Zwischenbericht legt denn auch eine seitenlange, auffällig ausschweifende
Rechtfertigung für die am Urlaubsort selbst durchzuführende Festnahme
vor.
aus dem veröffentlichten Zwischenbericht der Bundesregierung, S. 35
Laut offizieller Version soll konkret geplant gewesen sein, abzuwarten, bis
Birgit Hogefeld und Steinmetz ihre Ferienwohnung verlassen und zur cirka einen
Kilometer entfernten Bushaltestelle laufen. Auf diesem Weg sollte Birgit
Hogefeld von einem GSG 9-Trupp aus einem VW-Bus heraus überrumpelt, in den
Bus gezogen und weggebracht werden. Dadurch sollte die Festnahme vor der Öffentlichkeit
verborgen werden. Steinmetz wäre dem Verfassungsschutz übergeben
worden. Der Einsatzführer für die Opera-tion »Weinlese«
behauptet in seiner Vernehmung allen Ernstes, man sei davon ausgegangen, daß
Birgit Hogefeld nach der Festnahme die Anwesenheit des Spitzel geheimgehalten hätte,
da sie nicht hätte zugeben können, einem V-Mann aufgesessen zu sein.
Am Sonntag, den 27. Juni, gegen 11.00 Uhr gaben Birgit Hogefeld und Steinmetz
die Ferienwohnung in Wismar auf. Birgit Hogefeld verabschiedete sich vom
Vermieter und wechselte noch ein paar belanglose Worte mit ihm. Er fragte, ob
der Urlaub zu Ende sei und sie wieder arbeiten müßten. Sie
antwortete, daß sie noch etwas Zeit hätten und sich noch mit Freunden
treffen wollten. Dieses Gespräch hörten die BKA-Kräfte über
Steinmetz¹ Personenschutzsender mit. Draußen um die Ecke fuhr schon
der Kleinbus mit dem GSG 9-SET an. Aufgrund dieses Geplauders Birgit Hogefelds
mit dem Vermieter der Ferienwohnung, daß sie Freunde treffen würden,
soll nun angeblich auf Weisung der Einsatzleitung die gesamte Aktion Sekunden
vor ihrer Ausführung abgebrochen worden sein. Birgit Hogefeld und der
Spitzel Steinmetz fuhren dann mit dem Bus zum Bahnhof und von dort mit der Bahn
nach Bad Kleinen, begleitet von Kräften der GSG 9 und des MEK. Gegen 13.00
Uhr verließen sie dort den Zug und gingen in das Billardcafé, eine
Gaststätte auf dem Bahnhofsgelände.
Die offizielle Version um
die abgebrochene Festnahme in Wismar ist an sich schon widersprüchlich und
unglaubhaft genug. Hinzu kommt aber, daß der Spitzel Steinmetz schon seit
zwei bis drei Tagen wußte, daß sie am Sonntag mit Wolfgang Grams
zusammentreffen würden. Über den Abhörsender dürfte dieser
Umstand auch den Polizeikräften nicht verborgen geblieben sein. Ihre
Version der Ereignisse ist damit hinfällig.
Generalbundesanwalt von Stahl in der 71. Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 2.7.93
Wahrscheinlicher ist, daß die gesamte Aktion nie für Wismar
geplant gewesen ist, sondern für den Bahnhof von Bad Kleinen. Dort wurde
schon Wochen vorher aufgeklärt, man kannte die Baulichkeiten des Bahnhofs
und die Zugriffsmöglichkeiten, hatte Video-Material erstellt, die Funkmöglichkeiten
im Tunnel überprüft und eigens einen Hubschrauber als Relais-Station
mitgebracht, damit kein Funkschatten entstehen kann. Schon ab 8.30 Uhr war am
27.6.93 in Bad Kleinen ein Zugriffs-SET einsatzbereit.
Präventive
Vorbereitungen für den Zugriff auf dem Bahnhof werden auch durch Aussagen
zweier Zeugen des BGS der Bahnpolizei Schwerin nahegelegt. Sie erklärten,
daß schon Freitags - also einenTag nach dem Zusammentreffen von Birgit
Hogefeld und dem V-Mann Steinmetz und zwei Tage vor dem Schußwechsel - auf
ihrer Dienststelle in Schwerin ein Fax eingegangen sei mit dem Einsatzbefehl, am
Sonntagnachmittag (dem Tag der Festnahme, Anm. d. V) den Bahnhof Bad Kleinen
abzusichern. Grund für diese Maßnahme sei ein dort haltender Zug, in
dem eine hohe Persönlichkeit mitreise. Für die konkrete Sicherung würden
sie nicht gebraucht, diese erfolge durch das BKA. Der Zug würde um 15.55
Uhr dort halten.
Dieses Fax macht stutzig. Die BKA-Kräfte mußten
bei ihrer Planung davon ausgehen, daß der zuständigen Dienststelle für
den Bahnhof Bad Kleinen eine Festnahme, wenn auch außerhalb jeder Öffentlichkeit
geplant, nicht entgehen würde. Tatsächlich fragte auch die
Reichsbahndirektion Schwerin am Sonntag gegen 15.15 Uhr telefonisch bei der
Bahnpolizeiwache Schwerin an, wegen welcher polizeilichen Maßnahme der
Zugverkehr eingestellt sei. Die Polizeidirektion Schwerin teilte schließlich
um 15.20 Uhr mit: Schußwaffengebrauch auf dem Bahnhof Bad Kleinen.
Wenn
man davon ausgeht, daß Ort und Zeit für die Festnahme schon
feststanden - dann nämlich, wenn V-Mann Steinmetz um 15.19 Uhr mit dem Zug
Richtung Lübeck abfahren würde - dann war die Uhrzeit, für die
die Bahnpolizei Schwerin angefordert wurde, für die Planung optimal: später
als die geplante Festnahme, um die Bahnpolizeibeamten als unerwünschte
Zeugen außen vor zu halten, aber rechtzeitig genug, damit sie bei der
Absperrung des Bahnhofsbereichs vor Schaulustigen mithelfen können. Aber
auch, um ihnen aufgrund ihrer Zuständigkeit noch eine Funktion bei dieser
Aktion zuzugestehen.
Es ist davon auszugehen, daß das Fax mit der
Ankündigung der Durchfahrt einer hohen Persönlichkeit eine Finte ist.
Keine der Bahnbediensteten von Bad Kleinen selbst - diese hätten schließlich
informiert sein müssen - macht Angaben darüber.