Um 15.13 Uhr verließen Birgit Hogefeld, Wolfgang Grams und der V-Mann
Steinmetz gemeinsam das Billardcafé und gingen in Richtung Unterführung.
Sowohl das Verlassen des Billardcafes als auch das Betreten des Treppenabgabgs
zur Unterführung wurde von Observationskräften des BKA über Funk
an alle Einsatzkräfte gemeldet.
Das Billardcafé ist für
Reisende nur durch die Unterführung zu erreichen. Wenn man vom Billardcafe
kommend über die Treppe in die Unterführung tritt, kann man entweder
nach links zum cirka 20 Meter entferneten Treppenaufgang zu Bahnsteig 1/2 oder
nach rechts zum cirka acht Meter entferneten Aufgang zu Bahnsteig 3/4 gehen.
Wenn man den Aufgang zu Bahnsteig 3/4 passiert und geradeaus weitergeht,
erreicht man nach weiteren 15 Metern die nach rechts abzweigende Treppe zum
Bahnhofsvorplatz. Weitere Zugänge zur Unterführung gibt es nicht.
Die einsatztaktische Vorgabe für die Zugriffs-SETs soll gewesen sein, daß
die "Zielpersonen" die Unterführung nicht mehr verlassen dürfen.
Nach offiziellen Angaben waren aber nur an den beiden Enden der Unterführung
jeweils ein Zugriffs-SET der GSG 9 postiert: SET 1 am Treppenaufgang zum
Bahnhofsvorplatz, und SET 2 als alternativer Zugriffs-SET am Aufgang zu
Bahnsteig 1/2. Der dazwischenliegende und für die aus dem Billardcafe
Kommenden näheste Aufgang, nämlich der zu Bahnsteig 3/4 war "frei".
Der Zugriffs-SET, der an der Treppe zum Bahnhofsvorplatz postiert war,
bestand aus insgesamt neun Kräften. Diese GSG 9-Beamten bekamen später
bei den Vernehmungen die Nummern 1 bis 8. Der Neunte war PK Newrzella. GSG 9 Nr.
4 gehörte ebenfalls diesem SET an, er wurde jedoch kurz vor dem Zugriff auf
Bahnsteig 3/4 geordert. Demnach bestand der SET zum Zeitpunkt des Zugriffs noch
aus 8 Kräften. Zwei von ihnen, Nr. 3 und Nr. 8, standen etwas oberhalb auf
der Treppe, da sie den Funkkontakt zu GSG 9 Nr. 4 und dem Einsatzleiter
aufrechterhielten. Ein Angehöriger dieses SETs, Nr. 6, stand wenige Meter
von der Gruppe entfernt in der Unterführung mit Blickkontakt sowohl in die
Unterführung als auch zum Zugriffs-SET. Er sollte zu gegebenem Zeitpunkt
das verabredete Signal zum Losstürmen geben.
Schon über die
personelle Stärke ihres Zugriffs-SETs machen die GSG 9-Beamten von SET 1
unterschiedliche Angaben. Sie schwanken zwischen zusammen mit fünf
Kollegen bis acht bis neun oder neun Beamten.
Ein
alternativer Zugriffs-SET - der im Zwischenbericht der Bundesregierung noch
unterschlagen wird - war auf Bahnsteig 1/2 postiert. Laut Abschlußbericht
der Bundesregierung soll dieser SET aus sieben Mann bestanden und nach Aussagen
des Leiters für den Zugriff den rückwärtigen Ausgang des
Bahnhofsgebäudes mit einem möglichen Ausgang zu Bahnsteig 1/2 als
Zugriffsschwerpunkt gehabt haben. Laut Aussage des Zugriffsleiters haben zwei
dieser sieben GSG 9-Beamten kurz vor dem Zugriff den Bahnsteig verlassen, um im
Zug nach Lübeck eine verdächtige Person zu überprüfen.
Allerdings sagen insgesamt sieben Kräfte aus, sich bei dem Schußwechsel
im Tunnel oder auf der Treppe aufgehalten zu haben. Dieser Zugriffs-SET bestand
also ursprünglich auch aus mindestens neun Beamten. Postiert waren sie, wie
sie selbst angeben, auf dem Bahnsteig die gesamte Fensterfront des Billardcafés
entlang bis hin zum Treppenabgang zur Bahnhofsunterführung. Entgegen den
Aussagen dieser GSG 9-Beamten, sich bei Auslösung des Zugriffs auf dem
Bahnsteig aufgehalten zu haben, fielen zwei Reisenden, die kurz vor dem Zugriff
die Unterführung passierten, am Fuß des Treppenabgangs von Bahnsteig
1/2 mindestens vier junge Männer ohne Gepäck auf. Auch ein auf
Bahnsteig 1/2 postierter BKA-Beamter gibt an, die GSG 9-Beamten hätten sich
unmittelbar vor dem Zugriff auf der Treppe aufgehalten. Von diesem Punkt aus
waren sie näher an den in die Unterführung kommenden "Zielpersonen"
als der SET 1 vom Treppenaufgang zum Bahnhofsvorplatz. Zusätzlich standen
sie im Rücken der Festzunehmenden, konnten von diesen also nicht sofort
gesehen werden. Ihre Ausgangsposition für einen Zugriff im Tunnel war
demnach insgesamt günstiger als die von SET 1.
Birgit Hogefeld, Wolfgang Grams und der V-Mann Steinmetz gingen in der Unterführung
Richtung Bahnhofsvorplatz. Birgit Hogefeld blieb nach einigen Metern an einem
Fahrplan stehen. Wolfgang Grams und Steinmetz gingen weiter und warteten vor dem
Podest zu den Treppenaufgängen zu Bahnsteig 3/4 (eine Plattform in der
Unterführung, die von dort über vier Stufen erreichbar ist).
Nach
offiziellen Angaben soll nun GSG 9 Nr. 4 die Treppe von Bahnsteig 3/4
heruntergekommen sein, da er aufgrund eines zerstückelten Funkspruches
dachte, der Zugriff sei schon ausgelöst. Der Bahnsteig 3/4 wäre damit
vollkommen unbewacht gewesen.1 Er ging an Wolfgang
Grams und Steinmetz vorbei und näherte sich Birgit Hogefeld. Als er in
ihrer Höhe war, hörte er von Nr. 6 den Ruf: "Jetzt".
Daraufhin zog er seine Pistole und überwältigte sie.
GSG 9 Nr. 4
behauptet, Birgit Hogefeld allein überwältigt und gesichert zu haben.
Dem widerspricht aber die Aussage des auf Bahnsteig 1/2 postierten BKA-Beamten,
daß er, nachdem er Geschrei und Schüsse gehört habe, in den
Tunnel gegangen sei und gesehen habe, wie zwei Kollegen auf Birgit Hogefeld
knieten. GSG 9 Nr. 2 gibt an, daß Birgit Hogefeld von mehreren Kollegen überwältigt
worden sei.
Birgit Hogefeld schreibt dazu:
"Als wir kurz nach 15.00 Uhr aus der Kneipe raus und durch die Unterführung
Richtung Ausgang gegangen sind, springt mich nach wenigen Schritten ein Typ an.
Ich schaue in den Lauf einer Pistole und liege auf der Erde. Ich werde dann von
2-3 Typen in Schach gehalten, und mir war klar, daß ich keine falsche
Bewegung machen darf, wenn ich am Leben bleiben will." 2
Auch die Angaben, wann GSG 9 Nr. 6 genau den Zugriff auslöste, sind widersprüchlich. In verschiedenen Vernehmungen gibt er an, das Zugriffszeichen ausgelöst zu haben, als ein Kollege begann, Birgit Hogefeld zu überwältigen. Gegenüber dem GBA sagt er aus, er habe das verabredete Signal gegeben, als der auf Bahnsteig 3/4 postierte Kollege im unteren Treppenbereich in sein Sichtfeld kam. In einer weiteren Vernehmung meint er allerdings, das Zugriffszeichen gegeben zu haben, weil er nicht wußte, ob GSG 9 Nr. 4 Birgit Hogefeld überhaupt habe festnehmen wollen. Er habe mit dem Zugriffszeichen und dem Ausruf "Jetzt" diesen dazu veranlassen wollen. Auf die Frage, wie weit er und die übrigen Kräfte von Wolfgang Grams entfernt waren, sagt er cirka vier Meter. Real beträgt die Entfernung von der Treppe, auf der sich das SET 1 angeblich befand und der Treppe zu Bahnsteig 3/4 jedoch 15 Meter.
Noch eine Bemerkung am Rande: Nr. 6 sagt, er hätte sich im Tunnel hinter einer Betonröhre versteckt, um von den Zielpersonen nicht gesehen zu werden. Eine Betonröhre ist aber nicht baulicher Betandteil der Unterführung! Normalerweise bietet er keinerlei Deckung.