Nach offizieller Version blickte Wolfgang Grams kurz nach links und
rechts und flüchtete dann die Treppe zu Bahnsteig 3/4 hoch. Die GSG 9-Männer
setzten ihm sofort nach. GSG 9 Nr. 1, Nr, 3 und PK Newrzella liefen an der
Spitze des Trupps.
Obwohl Nr. 1 mit an erster Stelle lief, hat er Wolfgang
Grams laut seinen eigenen Angaben nicht gesehen, sondern sich auf Birgit
Hogefeld konzentriert. Er will sich im Laufen entschieden haben, den Kollegen,
der Birgit Hogefeld festgenommen hatte, zu unterstützen. Als er seinen
Kollegen fast erreicht hatte, hörte er links von sich im oberen
Treppenbereich Schüsse. Daraufhin habe er sich umgedreht und den V-Mann
festgenommen.
Auch der auf Bahnsteig 1/2 postierte SET 2 muß direkt
die Verfolgung aufgenommen haben. Eine im Zug auf Gleis 2 sitzende Reisende
beobachtete Personen, die von Bahnsteig 1/2 mit gezückter Waffe in Richtung
Treppe/Unterführung losliefen. Sie hörte es dann knallen, ohne etwas
sehen zu können, und sah kurze Zeit später eine Vielzahl von Personen
auf Bahnsteig 3/4 hochstürmen. Sie nahm alles als einen Bewegungsablauf
wahr.
Blick
vom Treppenaufgang auf Bahnsteig 3/4
Angeblich verfolgten nur sieben GSG 9-Beamte (Nr. 2, 3, 5, 6, 7, 8 und PK
Newrzella) des SET 1 Wolfgang Grams die Treppe hinauf. Dieser soll sich
unmittelbar nach Erreichen des Bahnsteiges umgedreht, auf seine Verfolger
geschossen und dabei den ersten Verfolger, PK Newrzella, der seine Waffe
angeblich noch nicht gezogen hatte, mit mehreren Schüssen getroffen haben.
PK Newrzella soll noch den Bahnsteig erreicht haben, bevor er zusammenbrach. Die
übrigen Verfolger erwiderten, wie behauptet wird, in Notwehr das Feuer.
Mehrere zivile Zeugen sagen aber aus, daß schon im untersten
Treppenbereich geschossen wurde. Das bedeutet, daß die Wolfgang Grams
verfolgenden Beamten das Feuer eröffnet haben.
Sämtliche aus Wolfgang Grams' Waffe verschossenen Patronenhülsen
wurden im Gleis 4 gefunden. Aufgrund des Auswurfverhaltens seiner Waffe 1 können die Hülsen dorthin nur gelangt sein,
wenn er zwischen Treppengeländer und Bahnsteigkante stehend von der Seite
auf den Treppenaufgang geschossen hat. Damit ist sicher, daß Wolfgang
Grams erst Richtung linke Bahnsteigkante lief, bevor er auf seine Verfolger schoß
und daß er nicht vom Treppenende in den Treppenaufgang hinuntergeschossen
hat.
Auch alle zivilen Zeugen, die dazu Beobachtungen gemacht haben, sagen
aus, daß er um das Treppengeländer herumlief, bevor er schoß,
bzw. daß er erst ab Bahnsteigkante schoß. Selbst von den GSG 9-Angehörigen
des SET 1 behaupten nur zwei, daß Wolfgang Grams sich nach Erreichen des
Bahnsteigs sofort umdrehte und schoß. Einer von ihnen meint sogar anfangs,
daß Wolfgang Grams im Gleis stand, als er schoß. Später
revidiert er dies jedoch.
Weiter soll sich Wolfgang Grams unter ständiger
Schußabgabe vom linken Stützpfeiler am Kopf der Treppe weg längs
des Geländers bewegt und sich der Bahnsteigkante an Gleis 4 genähert
haben. GSG 9 Nr. 5 und Nr. 6 sollen unterdessen den Bahnsteig erreicht haben.
Hier soll GSG 9 Nr. 5 von Schüssen von Wolfgang Grams getroffen und
unmittelbar an der Treppe auf den Bahnsteig gefallen sein. GSG 9 Nr. 6 soll
hinter dem linken Stützpfeiler in knieender Stellung Deckung gesucht haben.
Die übrigen Verfolger sollen lediglich durch das seitliche Geländer
aus dem Treppenaufgang heraus geschossen haben.
Demgegenüber stehen wiederum Aussagen von zivilen Zeugen. Alle, die
dazu Angaben machen können, sprechen von einer "Personengruppe",
einer Vielzahl von Personen, von 5 bis 6 Mann, von 8 Mann oder sogar von einer
Gruppe von 10 bis 15 Mann, die die Treppe hoch auf den Bahnsteig stürmten.
Auch wenn die Angabe von 10 bis 15 Personen die obere Grenze markiert, zeigt sie
doch, daß das Auftreten der GSG 9 massiv gewirkt haben muß und es
sich nicht um lediglich zwei oder drei Beamte gehandelt haben kann.
In den
Vernehmungen werden die GSG 9-Beamten nach ihrer eigenen Position auf der Treppe
und der ihrer Kollegen während des Schußwechsels befragt. Zu den
Positionen der Kollegen können sie oft keine genauen und vollständigen
Angaben machen.
So sagt zum Beispiel GSG 9 Nr. 2, daß links von ihm
zwei Kollegen, rechts von ihm Newrzella und drei weitere Kollegen waren. Auf die
Frage, wo GSG 9 Nr. 7 war, antwortet er, er hätte Nr. 7 nicht gesehen. Nr.
7 müßte aber den Aussagen seiner Kollegen zufolge direkt links neben
ihm gestanden haben.
GSG 9 Nr. 3 gibt an, daß direkt bei ihm auf der Treppe zwei Kollegen
waren, ein weiterer Kollege hinter dem Pfeiler kniete und Newrzella und Nr. 5
sich auf dem Bahnsteig befanden. Laut dieser Aufzählung würde einer
fehlen. Auf die Frage, wo sich Nr. 7 und Nr. 8 befanden, sagt er, daß er
das nicht genau wüßte. Dabei müßten sich die beiden aber,
wie GSG 9 Nr. 2, unmittelbar links neben ihm befunden haben. GSG 9 Nr. 8 gibt
an, daß er der letzte Verfolger gewesen sei und nur noch einen weiteren
Kollegen auf der Treppe wahrgenommen habe. Damit bestätigt er die Aussagen
ziviler Zeugen, daß ein ganzer Trupp von Personen auf den Bahnsteig
rannte. Die Geschichten der GSG 9-Beamten, wonach sie sich fast alle auf der
Treppe in Deckung geworfen und mit der Waffe über dem Kopf blind Richtung
Gleis 4 geschossen haben wollen, sind damit weitgehend widerlegt.
Insgesamt soll der Schußwechsel nur ca. 8 bis 10 Sekunden gedauert haben.
In dieser Zeit sollen nach offiziellen Angaben insgesamt 43 oder 44 Schüsse
abgegeben worden sein, davon von der GSG 9 33 Schuß und von Wolfgang Grams
10 oder 11 Schuß. Zwei GSG 9-Kräfte, Newrzella und GSG 9 Nr. 5,
wurden jeweils dreimal getroffen, Wolfgang Grams fünfmal inclusive dem
aufgesetzten Kopfschuß. Nach offizieller Zählung erzielte er demnach
eine Trefferquote von über 50%, die hochtrainierten GSG 9-Beamten nur 15%.
Bezüglich der Dauer des gesamten Schußwechsels widersprechen die
Aussagen der eingesetzten Kräfte der GSG 9 einerseits denen des BKA
andererseits. Während alle GSG 9-Beamten angeben, lediglich einen einzigen
Feuerstoß bzw. eine Salve wahrgenommen zu haben, behauptet der größte
Teil der eingesetzten BKA-Beamten, erst wenige Einzelschüsse und dann
Sekunden später, aber deutlich abgesetzt eine Serie/Salve von Schüssen
wahrgenommen zu haben. Allerdings sind sich BKA- und GSG 9-Beamte darin einig,
daß der Schußwechsel nach dem Sturz von Wolfgang Grams abrupt
beendet gewesen und kein weiterer Schuß mehr gefallen sei. Die späteren
Ermittlungsergebnisse der StA Schwerin stützen sich ausschließich auf
die Aussagen der GSG 9. Die Wahrnehmung zweier Schußfolgen sowohl durch
alle BKA-Beamten als auch durch viele zivile Zeugen ist für die
Ermittlungsbehörden nicht von Bedeutung. In der Frage der Dauer des Schußwechsels
will die Staatsanwaltschaft allerdings nicht den GSAG 9-Aussagen folgen, die
allesamt von einer Zeitspanne vondrei bis sechs Sekunden sprechen. Hier stützt
sie sich auf die Angaben der BKA-Beamten, die von zehn bis zwölf Sekunden
sprechen.
Mehrere Zeugen haben von MP-Salven berichtet, darunter auch Birgit Hogefeld. Der Einsatz von Maschinenpistolen wurde von GSG 9 und BKA durchgängig bestritten. Vorhanden waren sie aber in Bad Kleinen. Alle vier an dem Einsatz beteiligten SETs der GSG 9 hatten je 2 Maschinenpistolen dabei, davon jeweils eine mit Schalldämpferaufsatz. Angeblich waren sie aber wegen ihrer Auffälligkeit in den Fahrzeugen geblieben. Dagegen berichteten zwei Ärzte der Rettungsteams unabhängig voneinander, daß sie neben den Pistolen von Wolfgang Grams und GSG 9 Nr. 5 auch eine Maschinenpistole auf dem Bahnsteig liegen sahen. Auffälligerweise ist diese MP auf den Videoaufnahmen der GSG 9 nicht zu sehen, obwohl ein Arzt angab, gesehen zu haben, wie sie gefilmt wurde.