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Wed Dec  4 17:37:56 1996
 

Der Mord an Wolfgang Grams



Blick vom Kiosk auf den Tatort





Wichtigste Zeugin des Mordes an Wolfgang Grams ist Joanna Baron, die Verkäuferin in dem Kiosk auf Bahnsteig 3/4. Von ihrem Standort aus hatte sie freies Blickfeld auf den Bahnsteig 3/4 links des Treppenaufgangs und auf Gleis 4, wo Wolfgang Grams erschossen wurde.
Sie hat beobachtet, wie mehrere Personen um den auf Gleis 4 liegenden Wolfgang Grams standen und mehrmals auf ihn schossen. Infolge des Stresses, in den sie durch das Feuergefecht vor ihren Augen und den anschließenden Mord geriet, sind ihre Beobachtungen nicht in jedem Detail sicher. Ihre Aussagen bei den Ermittlungsbehörden sind auch nicht durchgängig einheitlich, was auch den diversen mehrstündigen Vernehmungen geschuldet sein dürfte. Es gibt aber verschiedene Konstanten, die sich durch alle Vernehmungen durchziehen und die wie folgt zusammenzufassen sind: Sie sieht Mündungsfeuer auf dem Bahnsteig, dann einen Mann, der im Gleis bei einem Liegenden steht. Bei ihm sieht sie wieder Mündungsfeuer. Ein weiterer Mann tritt dazu. Dann hört sie ein Schußgeräusch, das sich von den vorhergehenden unterscheidet
Wenn man nur vereinzelt auftretende Unterschiede in den Aussagen Barons außer Acht läßt und sich auf die Aussagen konzentriert, die sie kurz nach den Ereignissen aus noch frischer Erinnerung gemacht hat, ergibt sich folgender Ablauf:
Aus der Unterführung dringt Gebrüll und Geschrei, es hört sich so an, als würden mehrere Personen die Treppe hochlaufen. Cirka drei bis vier Sekunden später geht die Schießerei los. Sie sieht nur noch Mündungsfeuer, das hat geballert, sie stand nur noch da. Noch während sie die Schießerei beobachtet, bemerkt sie einen Mann, der im Gleis liegt. Es ist ganz kurz ruhig - ein Mann steht bei dem Liegenden. Sie nimmt diese beiden Personen in einem Zusammenhang wahr, was nahelegt, daß sie fast gleichzeitig in das Gleis gefallen beziehungsweise gesprungen sind. Dieser Mann schießt ein oder zwei Mal auf den Liegenden. Dessen ist sie sich sicher, weil sie Mündungsfeuer aus seiner Waffe gesehen hat. 1 Unmittelbar danach tritt ein weiterer Mann in das Gleis, der auch eine kurze Waffe auf den Liegenden gerichtet hat. Einer von beiden schießt noch einmal auf den Liegenden. Der als Zweiter dazugetretene bückt sich zu der liegenden Person. Mündungsfeuer sieht sie jetzt nicht mehr aus der Pistole, aber ihr war so, als habe diese Person in diesem Moment auch geschossen.
Er hat Wolfgang Grams mit einem aufgesetzten Kopfschuß erschossen, der - wie wir weiter unten noch ausführen werden - kaum hörbar ist und bei dem auch kein Mündungsfeuer sichtbar wird.


Blick vom Ort des Schußwechsels auf das Stellwerk

"Einer muß den Überblick behalten auf dem Bahnhof, das ist der Stellwerksmeister. Er weiß, wie die Weichen gestellt werden sollen, welche Signale auf Stop oder Ausfahrt stehen, welcher Zug auf welchem Gleis zu erwarten ist. Damit er im Geflecht der Schienenstränge und Fahrpläne die Übersicht behält, wird er akustisch, elektronisch und optisch immer auf dem neuesten Stand gehalten. Sein Platz ist auf der höchsten Erhebung am Bahnhof, im Stellwerkturm mit einer Kanzel voller Schalttafeln, Telefonen und großen Fenstern, so daß er nach allen Seiten freie Sicht hat. So auch in Bad Kleinen. Im Bahnhof am Schweriner See ist der Stellwerkturm das modernste Gebäude am Platz."2
Und natürlich war dort am 27. Juni 1993 ein BKA-Beamter als Beobachter postiert. Er konnte von seinem Standpunkt aus sowohl Gleis 4 und 5 als auch den Bahnsteig 3/4 zwischen Gleis 4 und Treppenaufgang einsehen. Die Sicht auf den Treppenaufgang selbst war ihm durch die Bahnsteigüberdachung verwehrt. Er stand am geöffneten Fenster, hatte also sehr gute Sichtbedingungen.
Der im Stellwerk postierte BKA-Beamte hat beobachtet, wie eine Personengruppe vom Aufgang kommend sich der Bahnsteigkante näherte. Eine Person drehte sich dann in Richtung des Aufgangs um. Zeitgleich mit dem Umdrehen hörte er zwei Schüsse, auf die dann mit sehr kurzer zeitlicher Unterbrechung eine Salve von Schüssen folgte. Während die Schüsse fielen, wurde eine Person rückwärts auf die Gleise geschleudert, wo sie auf dem Rücken liegen blieb. Zwei Personen sprangen ihr nach und blieben neben der Person stehen. Dieser Ablauf spielte sich nach seiner Schätzung innerhalb von 10 bis 15 Sekunden ab. Der BKA-Beamte im Stellwerk hat insbesondere durch alle Vernehmungen hindurch darauf beharrt, daß sofort nach Wolfgang Grams' Sturz in's Gleis mehrere Beamte nachgesetzt seien - eine Darstellung, die der Schweriner Selbstmordbehauptung widerspricht.
Allerdings will der BKA-Beamte dann den Funkspruchs "Einer fehlt!" empfangen haben. Daraufhin habe er seinen Blick von Wolfgang Grams und die ihn umgebenden Beamten abgewandt, um nach der "fehlenden Person" Ausschau zu halten. Die Angaben des Beamten, der diesen Funkspruch abgegeben haben will, weisen aber auf einen späteren Zeitpunkt hin. Er habe nach Ende der Schießerei seinen Standort im Gebüsch hinter Gleis 5 verlassen und sei zum ca. 50 Meter entfernt im Gleis liegenden Wolfgang Grams gegangen, bevor er diesen Funkspruch abgegeben habe. Diese Aussage wird auch von einer Reisenden bestätigt. 3

Der »Spiegel-Zeuge«

Kurz nach den Ereignissen von Bad Kleinen hat sich dem Spiegel ein Augenzeuge offenbart, der als Polizeibeamter an dem Einsatz beteiligt war. Nach Schilderung dieses Augenzeugen hat Wolfgang Grams "nicht auf der Treppe sondern erst geschossen, wo er schon auf dem Bahnsteig ist. (...) Er schießt in die Unterführung, er schießt relativ wahllos. Er steht mit dem Gesicht zur Treppe. Er schießt linksseitig auf den Bahnsteig. In dem Augenblick, wo er sich linksseitig wendet, hat er Koordinierungsschwierigkeiten. Beamte schreien von allen Seiten: "Halt stehenbleiben, Polizei! Lassen sie die Waffe fallen! Geben Sie auf!" Nach Schilderung des Augenzeugen stürmten vier Beamte die Treppe hoch, "von Bahngleisen gegenüber kommen drei, darunter ein BKA-Beamter. Die haben eine größere Entfernung." Der mutmaßliche Terrorist sei dann "von den von unten kommenden Beamten niedergerissen" worden. Grams lag auf Gleis 4, "seitlich zugewandt, sprich auf dem linken Oberschenkel und der linken Körperseite." Seine Waffe habe "etwa zwei Meter von ihm entfernt, 20 Grad nach oben links" gelegen. Ein Beamter habe "mit den Knien den Oberkörper niedergedrückt", Grams sei bewegungsunfähig gewesen und habe auch "keine Chance gehabt, zu einer eventuellen Sekundärwaffe zu greifen". Ein zweiter Beamte habe ihn gehebelt. 4 "Nach ewig langen 20 Sekunden ist dann der tödliche Schuß gefallen. Ein Kollege von der GSG 9 hat aus einer Entfernung von Maximum 5 cm gefeuert5

Der Augenzeuge bestand darauf, anonym zu bleiben. "Die StA Schwerin sicherte ihm Schutz der Anonymität zu - wie es etwa in Prozessen gegen die Drahtzieher des organisierten Verbrechens üblich geworden ist." * Aber der Beamte hat ihr nicht vertraut.
Es spricht viel dafür, daß er der BKA-Beamte ist, der im Stellwerk postiert war. Seine Aussage entspricht im wesentlichen der des BKA-Beamten - bis zu dem entscheidenden Moment, als der BKA-Beamte dann weggeschaut haben will. Die Verhaftung Birgit Hogefelds hat er unrichtig, nämlich entsprechend einer frühen offiziellen Version beschrieben. Er hat sie also nicht selbst gesehen, wollte das aber vielleicht verdecken. Und Spiegel-Chefredakteur Leyendecker hat betont, daß der Spiegel nie behauptet hat, daß es sich bei dem Zeugen - dessen Beteiligung am Einsatz in Bad Kleinen überprüft worden sei - um einen GSG 9-Beamten handele.

Man kann für den Tathergang festhalten, daß sich

zu einem weitgehend widerspruchsfreien Bild des Tathergangs zusammenfügen. Auf jeden Fall kann aus keiner dieser Aussagen die Unglaubwürdigkeit des Zeugen bzw. der Zeugin abgeleitet werden - wie es die Staatsanwaltschaft Schwerin und interessierte Kreise aus dem Staatsapparat wiederholt getan haben.

Laut Zwischenbericht der Bundesregierung soll Wolfgang Grams, offensichtlich getroffen, plötzlich rücklings von der Bahnsteigkante auf Gleis 4 gefallen sein. GSG 9 Nr. 6 soll vorgestürmt sein, in kurzem Abstand gefolgt von Nr. 8. Angeblich sicherten beide in stehender, leicht gebeugter Haltung den im Gleis Liegenden. Im Abschlußbericht allerdings - die Staatsanwaltschaft Schwerin war schon zu dem Ergebnis gekommen, daß der aufgesetzte Kopfschuß ein Selbstmord war - wird diese Situation folgendermaßen dargestellt:
"Er stürzte rückwärts (auf das Gleis, d. V.), wo er sich - möglicherweise noch während der Schüsse der Beamten - in Suizidabsicht einen Kopfschuß versetzte. (...) Etwa 30 bis 60 Sekunden nach Beendigung der Schußabgabe trat der Beschuldigte GSG 9 Nr. 6 zu Grams in das Gleis und sicherte mit der beidhändig auf dessen Kopf gerichteten Dienstwaffe. Wenig später trat auch der zweite Beschuldigte (...) GSG 9 Nr. 8 zu Grams ins Gleisbett. Weitere Schüsse fielen nicht." 6
Die dreiste Behauptung, daß ein Mensch, während er einem Kugelhagel ausgesetzt ist, auf die Idee kommt, sich für einen Selbstmord zu entscheiden und diesen auch auszuführen, ist für die Behörden nur deshalb möglich, weil außer der Zeugin Baron und dem Spiegel-Zeugen niemand den tödlichen Kopfschuß gesehen haben will.

Wo keiner ist, kann keiner morden

Hier setzt die Staatsanwaltschaft Schwerin mit ihrer Selbstmordbehauptung an: Nach dem Sturz Wolfgang Grams' auf Gleis 4 und dem "abrupten Endes des Schußwechsels" soll, so Schwerin, "kein Schuß mehr gefallen" sein. Er habe zu diesem Zeitpunkt schon leblos auf den Gleisen gelegen. Wolfgang Grams muß sich also, will man der Schweriner Theorie folgen, vor Beendigung des Schußwechsels umgebracht haben. Für diese Version war auch Voraussetzung, daß nicht sofort ein Verfolger nachsetzt, der diesen "Selbstmordschuß" vielleicht doch noch selbst abgegeben haben könnte. Voraussetzung war ebenfalls, daß einige GSG 9-Beamte aus der Deckung der Treppe blind in Richtung Gleis 4 feuern und ein möglicher Verfolger nicht direkt nachsetzen konnte, ohne in die Kugeln seiner Kollegen zu laufen.

Die GSG 9-Beamten schwindeln, weil sie sich schämen.

Obwohl der Beschuldigten GSG 9 Nr. 6 in allen seinen Vernehmungen aussagte, daß er sofort nachgesetzt sei, und trotz den gleichlautenden Aussagen der übrigen GSG 9-Beamten, falls sie über diesen Zeitpunkt überhaupt Angaben gemacht haben, wird seine Aussage von der Staatsanwaltschaft nach dem gleichen Muster demontiert und weginterpretiert, mit dem sie an anderer Stelle die lückenhaften, unrichtigen und mehrfach geänderten Angaben insbesondere der Beschuldigten GSG 9 Nr. 6 und 8, aber auch der anderen Zeugen der GSG 9 deutet. Nach Ansicht der Schweriner Staatsanwälte hätten die GSG 9-Beamten versucht, ihr fehlerhaftes Verhalten während des Zugriffs zu beschönigen, indem sie das Nachsetzen so geschildert hätten, wie es schulmäßig hätte ablaufen müssen. Die Bundesregierung übernimmt diese Deutung in ihren Abschlußbericht.7

Die Staatsanwaltschaft Schwerin führt für die Behauptung, erst nach 30 bis 60 Sekunden hätten sich die ersten Beamten Wolfgang Grams genähert, die Aussagen dreier ziviler Zeugen an. Vier Zeugen haben dagegen einen oder mehrere abgesetzte Schüsse wahrgenommen. Die Aussage des BKA-Beobachters im Stellwerk, der als professioneller Beobachter in geschützter Position mit unverstelltem Sichtfeld auf Bahnsteig und Gleis beste Vorraussetzungen für eine unverfälschte Beobachtung hatte, berücksichtigt sie nicht. Dieser hatte beobachtet, wie sich eine Personengruppe vom Aufgang kommend der Bahnsteigkante näherte. Eine Person drehte sich dann in Richtung des Aufgangs um und begann zu schießen. Im Verlauf der Schießerei wurde eine Person rückwärts auf die Gleise geschleudert, wo sie auf dem Rücken liegen blieb. Zwei Personen sprangen ihr nach und blieben neben der Person stehen.Das Ganze stellte sich ihm als ein Bewegungsablauf ohne wesentliche Unterbrechungen dar.

Die Konstruktion der Staatsanwaltschaft Schwerin geht nun folgendermaßen weiter. Da es 30 bis 60 Sekunden gedauert habe, bis der erste Beamte Wolfgang Grams gesichert hat, hätte es auch genausolange dauern müssen, bis überhaupt ein von polizeilicher Hand aufgesetzter Kopfschuß gefallen sein kann:

Allein das Fehlen eines deutlich abgesetzten Schusses oder mehrerer Schüsse - abgesetzt um diejenige Zeitspanne, die die Beschuldigten benötig haben müssen, um sich nach Einstellung des Feuers durch die übrigen Zugriffskräfte durch deren Schußfeld hindurch an Grams heranzubewegen - würde den von der Zeugin Baron und den vom Informanten des Spiegel geschilderten Ablauf ausschlie-ßen. Da dieser Schuß von niemandem wahrgenommen wurde, soll kein anderer auf Wolfgang Grams geschossen haben.

"Der Nahschuß, der Wolfgang Grams tötete, war wohl nur als ein leises "Plop" zuhören."

In dieser Argumentation mißachtet die StA Schwerin aber eines der von ihr selbst bestellten Gutachten. Prof. Bär von der Universität Zürich sagt zur Lautstärke eines aufgesetzten Schusses: "Bei einem aufgesetztem Kopfschuß treten mit einer Schalldämpferwirkung vergleichbare akustische Veränderungen auf (...) Neben einer Verminderung der Knallintensität verändert sich auch das Frequenzspektrum und damit die Qualität des Knalls. Der Knall wird dumpfer. Diese Veränderungen können so weit gehen, daß Zeugen das wahrgenommene Schallereignis nicht mehr mit einem Schuß in Verbindung bringen." Ein LKA-Sachverständiger macht gegenüber dem Wochenmagazin Focus entsprechende Angaben: "Der Nahschuß, der Wolfgang Grams tötete, war wohl nur als ein leises "Plop" zu hören." 8
Bei einem aufgesetzten Kopfschuß dringen die das Geschoß treibenden Gase, da sie nicht seitlich entweichen können, direkt hinter der Kugel zwischen Schädeldecke und Kopfhaut. Durch den entstehenden Druck wölbt sich die Kopfhaut vor und wird an die Mündung der Waffe gepresst. Durch die Hitze der Gase brennt sich in die Haut das Mündungsprofil der Waffe ein. Dadurch, daß das Geschoß direkt in den Körper eintritt und auch die Pulvergase zwischen Haut und Körper eingeschlossen werden, kann weder ein Geschoß- noch ein Mündungsknall entstehen. Das Mündungsfeuer wird ebenfalls unterdrückt.
Die Aussagen der Kioskverkäuferin Baron entsprechen genau dieser objektiven Charakteristik eines aufgesetzten Schusses: sie beschreibt den letzten Schuß als leiser, dumpfer und irgendwie anders als die vorhergehenden Schüsse, so daß sie sich gefragt habe, ob aus eine anderen Waffe geschossen wurde. Baron beschreibt den aufgesetzten Kopfschuß also genau so, wie er tatsächlich klingt, ohne daß sie das wüßte - sie denkt an eine andersartige Waffe - und ohne überhaupt von einem aufgesetzten Schuß auszugehen - sie hat nur gesehen, daß die Waffe auf den Oberkörper/Kopfbereich gerichtet war. Außerdem sagt sie - wiederum objektiv richtig - aus, daß sie bei diesem Schuß kein Mündungsfeuer gesehen habe, wobei sie bei allen von ihr beobachteten Schüssen zwischen der Wahrnehmung von Mündungsfeuer einerseits und von Knallgeräuschen andererseits differenziert. Generell konzentriert sie sich auf die Beschreibung von Mündungsfeuer und vermeidet Rüchschlüsse - schließt also z. B. nicht von einem Knallgeräusch auf einen Schuß oder gar einen bestimmten Schützen In ihrer zweiten Vernehmung Anfang Juli sagt sie sogar: Ich dachte, es hört sich so an, als hätte er geschossen. Ob er nun geschossen hat, weiß ich nicht mehr, denn ich habe kein Feuer gesehen. Es kam mir so vor, als hätte es ein weiteres Mal geknallt. Es klang irgendwie anders, aber ich kann es nicht beschreiben.
All diese Indizien für eine richtige Beobachtung der unbeteiligten und von keinem eigenen Interesse beeinflußten Zeugin Baron werden von der Staadtsanwatschaft Schwerin tautologisch mit der oben ausgeführten Argumentation vom Tisch gewischt, daß wo kein Schütze ist, auch kein Schuß aufgesetzt werden kann.

Die meisten zivilen Zeugen haben den Sturz Wolfgang Grams' auf die Gleise nicht gesehen, da sie Schutz vor der Schießerei suchten oder ihre Aufmerksamkeit auf den auf dem Bahnsteig zusammengebrochenen GSG 9-Beamten Newrzella gelenkt wurde. Die Zeugen jedoch, die seinen Sturz beobachtet haben, geben fast alle an, daß sofort mehrere Männer in das Gleisbett nachgesetzt seien. Sie machen allerdings unterschiedliche Aussagen über deren Anzahl. Ein Teil der Zeugen gibt an, sie hätten eine oder ein bis zwei Personen gesehen, die Wolfgang Grams sicherten. Andere sahen mehr Männer das Gleis betreten und Waffen auf ihn richten. Wahrscheinlich spielte hier der Zeitpunkt, wann wer hingeschaut hat, eine Rolle - die Staatsanwaltschaft hat an diesem Punkt oft nicht ausreichend nachgefragt..
Nach offizieller Version sollen lediglich GSG 9 Nr. 6 und Nr. 8 Wolfgang Grams nachgesetzt sein und ihn gesichert haben; GSG Nr. 6 überdies die gesamte Zeit bis zum Abtransport des Schwerverletzten mit dem Hubschrauber. Allerdings gibt ein weiterer GSG 9-Beamter von SET 2 an, Wolfgang Grams ebenfalls zusammen mit einem Beamten gesichert zu haben. Von keinem der anderen Kräfte wird dies jemals erwähnt. Sie erinnern sich alle einzig und allein daran, daß Nr. 6 im Gleisbett stand und Wolfgang Grams sicherte.

Ein angeblich hochgefährlicher Terrorist bleibt unbeachtet

Die offizielle Version, daß es 30 bis 60 Sekunden gedauert habe, bis der erste GSG 9-Beamte zu Wolfgang Grams auf die Gleise ging, ist auch aus der Situation heraus völlig widerlegbar. Dieses angebliche Verhalten der GSG 9 - sei es, nicht mehr darauf zu achten, was mit dem Flüchtenden passiert, den sie festzunehmen haben, von dem sie noch Sekunden vorher beschossen wurden, sondern sich noch während des Schußwechsels und im Schußfeld Wolfgang Grams' um den zusammengebrochenen Newrzella zu kümmern - oder sei es einen ihrer Kameraden faktisch mit einem solch hochgefährlichen Gegner allein zu lassen - ist höchst unglaubwürdig. Zivile Zeugen, auch die vom medizinischen Notpersonal, gaben an, daß sie den Kopfschuß erst bei näherem Hinsehen wahrgenommen haben, Das heißt, daß die GSG 9-Beamten ebenfalls die angeblich schon existierende "Selbstmordkopfschußwunde" nicht sofort haben sehen können, zumal sie sich mitten im Feuergefecht befanden. Sie konnten also nicht davon ausgehen, daß Wolfgang Grams handlungsunfähig auf den Gleisen liegt. Bei den ersten vier Schüssen auf Wolfgang Grams konnten sie ebenfalls keine Handlungsunfähigkeit voraussetzen. Die Erkenntnis, daß die mannstoppende Wirkung ihrer Munition nicht in jedem Fall gewährleistet ist, kann ihnen als Spezialisten nicht fremd gewesen sein. Das heißt, die GSG 9-Beamten mußten schon um ihrer eigenen Sicherheit willen sofort nachsetzen und sichern.

Der "Bilderbuch-Zeuge" der Staatsanwaltschaft

Zum Abschluß soll noch auf den zivilen Musterzeuge der StA Schwerin eingegangen werden. In der Konstruktion der Staatsanwaltschaft kommt seinen Aussagen eine zentrale Bedeutung zu. Dieser Zeuge hat sich vier Tage nach der Schießerei beim Bundeskriminalamt gemeldet. Er will während der Schießerei auf Bahnsteig 3/4 gewesen und alles genau gesehen haben. Nach der Polizeiaktion ist er angeblich den die Zeugen einsammelnden Beamten auf dem Weg in das Billardcafé entschlüpft, um auf Bahnsteig 1/2 einen anderen Zug zu nehmen. 9 Donnerstags habe er aus den Medien von der Monitor-Zeugin erfahren und so sei es ja nun nicht gewesen- deswegen wolle er nun doch als Zeuge aussagen. Mit einiger Details, die er richtig beschrieben hat, meint die StA Schwerin seine tatsächliche Anwesenheit am Tatort belegen zu können.
Dieser Zeuge ist über weite und zentrale Strecken der staatsanwaltschaftlichen Argumentation der Einzige, der ihre Version der Ereignisse stützt - des öfteren im Gegensatz zu mehreren anderen durchaus glaubwürdigen Zeugen, die aber von der StA Schwerin sämtlich demontiert oder ignoriert werden.

Der Selbstmord, den niemand gesehen hat

So ist er der einzige zivile Zeuge, der schon in der ersten Vernehmung aussagt, daß der erste sichernde Beamte erst cirka 60 Sekunden nach Wolfgang Grams' Sturz in's Gleisbett gestiegen sei. Er will ihn auch noch im Gleis stehend schießen gesehen haben - was die Staatsanwaltschaft als weiteres Indiz für einen Selbstmord nimmt. Den allerdings möchte auch dieser Zeuge nicht beeiden - den Fall Wolfgang Grams' habe er nicht beobachtet, da er in diesem Moment gerade den Hals in die Richtung gereckt habe, in die Wolfgang Grams schoß. An diesem wesentlichen Punkt reiht er sich in den kollektiven Blackout der GSG 9-Beamten ein.

Wolfgang Grams im Gleis liegend, "bewacht" von einem GSG-9-Beamten



  1. siehe dazu den Abschnitt "Unterlassungen der StA Schwerin"
  2. Die Woche, 16.7.94
  3. Dem BKA-Beamten entfuhr während oder kurz nach der Schießerei ein "Ach du Scheiße!". In einem Telefonat, das er dann vom Stellwerk aus führte, sagte er etwas von "Öffentlichkeitsarbeit"
  4. Der Spiegel 12.7.1993, S. 18 ff.
  5. Der Spiegel 5.7.1993, S 27 ff.
  6. s. Abschlußbericht der Bundesregierung..., S. 7
  7. "Die Staatsanwaltschaft führt den Umstand, daß die am Zugriff unmittelbar beteiligten Beamten nicht widerspruchsfrei ausgesagt und teilweise objektiv unrichtige Geschehensabläufe dargestellt haben, darauf zurück, daß diese durch die Verwicklung in einen Schußwechsel mit tödlichem Ausgang für einen Kameraden und schweren Verle-tzungen eines weiteren Kameraden psychisch stark unter Druck geraten seien. Infolgedessen hätten sich erhebliche Wahrnehmungs- und Erinnerungslücken ergeben, die sie durch Rekonstruktionen oder Mutmaßungen zu schließen versucht hätten. Teilweise hätten die Beamten offensichtlich auch ihr eigenes nicht schulmäßiges Verhalten während des Einsatzes zu beschönigen versucht.", Abschlußbericht ..., S. 14 f
  8. Focus, 26.7.93
  9. Daß sich ein Zeuge unbehelligt vom Tatort entfernen konnte, war in Bad Kleinen allerdings in mehreren Fällen möglich.