Blick vom
Kiosk auf den Tatort
Wichtigste Zeugin des Mordes an Wolfgang
Grams ist Joanna Baron, die Verkäuferin in dem Kiosk auf Bahnsteig 3/4. Von
ihrem Standort aus hatte sie freies Blickfeld auf den Bahnsteig 3/4 links des
Treppenaufgangs und auf Gleis 4, wo Wolfgang Grams erschossen wurde.
Sie hat beobachtet, wie mehrere Personen um den auf Gleis 4 liegenden
Wolfgang Grams standen und mehrmals auf ihn schossen. Infolge des Stresses, in
den sie durch das Feuergefecht vor ihren Augen und den anschließenden Mord
geriet, sind ihre Beobachtungen nicht in jedem Detail sicher. Ihre Aussagen bei
den Ermittlungsbehörden sind auch nicht durchgängig einheitlich, was
auch den diversen mehrstündigen Vernehmungen geschuldet sein dürfte.
Es gibt aber verschiedene Konstanten, die sich durch alle Vernehmungen
durchziehen und die wie folgt zusammenzufassen sind: Sie sieht Mündungsfeuer
auf dem Bahnsteig, dann einen Mann, der im Gleis bei einem Liegenden steht. Bei
ihm sieht sie wieder Mündungsfeuer. Ein weiterer Mann tritt dazu. Dann hört
sie ein Schußgeräusch, das sich von den vorhergehenden unterscheidet
Wenn man nur vereinzelt auftretende Unterschiede in den Aussagen Barons außer
Acht läßt und sich auf die Aussagen konzentriert, die sie kurz nach
den Ereignissen aus noch frischer Erinnerung gemacht hat, ergibt sich folgender
Ablauf:
Aus der Unterführung dringt Gebrüll und Geschrei, es hört
sich so an, als würden mehrere Personen die Treppe hochlaufen. Cirka drei
bis vier Sekunden später geht die Schießerei los. Sie sieht nur noch
Mündungsfeuer,
das hat geballert, sie stand nur noch da. Noch während sie
die Schießerei beobachtet, bemerkt sie einen Mann, der im Gleis liegt. Es
ist ganz kurz ruhig - ein Mann steht bei dem Liegenden. Sie nimmt diese
beiden Personen in einem Zusammenhang wahr, was nahelegt, daß sie fast
gleichzeitig in das Gleis gefallen beziehungsweise gesprungen sind. Dieser Mann
schießt ein oder zwei Mal auf den Liegenden. Dessen ist sie sich sicher,
weil sie Mündungsfeuer aus seiner Waffe gesehen hat. 1
Unmittelbar danach tritt ein weiterer Mann in das Gleis, der auch eine kurze
Waffe auf den Liegenden gerichtet hat. Einer von beiden schießt noch
einmal auf den Liegenden. Der als Zweiter dazugetretene bückt sich zu der
liegenden Person. Mündungsfeuer sieht sie jetzt nicht mehr aus der Pistole,
aber ihr
war so, als habe diese Person in diesem Moment auch geschossen.
Er
hat Wolfgang Grams mit einem aufgesetzten Kopfschuß erschossen, der - wie
wir weiter unten noch ausführen werden - kaum hörbar ist und bei dem
auch kein Mündungsfeuer sichtbar wird.
Blick
vom Ort des Schußwechsels auf das Stellwerk
"Einer
muß den Überblick behalten auf dem Bahnhof, das ist der
Stellwerksmeister. Er weiß, wie die Weichen gestellt werden sollen, welche
Signale auf Stop oder Ausfahrt stehen, welcher Zug auf welchem Gleis zu erwarten
ist. Damit er im Geflecht der Schienenstränge und Fahrpläne die Übersicht
behält, wird er akustisch, elektronisch und optisch immer auf dem neuesten
Stand gehalten. Sein Platz ist auf der höchsten Erhebung am Bahnhof, im
Stellwerkturm mit einer Kanzel voller Schalttafeln, Telefonen und großen
Fenstern, so daß er nach allen Seiten freie Sicht hat. So auch in Bad
Kleinen. Im Bahnhof am Schweriner See ist der Stellwerkturm das modernste Gebäude
am Platz."2
Und natürlich war dort am 27. Juni 1993 ein BKA-Beamter als Beobachter
postiert. Er konnte von seinem Standpunkt aus sowohl Gleis 4 und 5 als auch den
Bahnsteig 3/4 zwischen Gleis 4 und Treppenaufgang einsehen. Die Sicht auf den
Treppenaufgang selbst war ihm durch die Bahnsteigüberdachung verwehrt. Er
stand am geöffneten Fenster, hatte also sehr gute Sichtbedingungen.
Der
im Stellwerk postierte BKA-Beamte hat beobachtet, wie eine Personengruppe vom
Aufgang kommend sich der Bahnsteigkante näherte. Eine Person drehte sich
dann in Richtung des Aufgangs um. Zeitgleich mit dem Umdrehen hörte er zwei
Schüsse, auf die dann mit sehr kurzer zeitlicher Unterbrechung eine Salve
von Schüssen folgte. Während die Schüsse fielen, wurde eine
Person rückwärts auf die Gleise geschleudert, wo sie auf dem Rücken
liegen blieb. Zwei Personen sprangen ihr nach und blieben neben der Person
stehen. Dieser Ablauf spielte sich nach seiner Schätzung innerhalb von 10
bis 15 Sekunden ab. Der BKA-Beamte im Stellwerk hat insbesondere durch alle
Vernehmungen hindurch darauf beharrt, daß sofort nach Wolfgang Grams'
Sturz in's Gleis mehrere Beamte nachgesetzt seien - eine Darstellung, die der
Schweriner Selbstmordbehauptung widerspricht.
Allerdings will der
BKA-Beamte dann den Funkspruchs "Einer fehlt!" empfangen haben.
Daraufhin habe er seinen Blick von Wolfgang Grams und die ihn umgebenden Beamten
abgewandt, um nach der "fehlenden Person" Ausschau zu halten. Die
Angaben des Beamten, der diesen Funkspruch abgegeben haben will, weisen aber auf
einen späteren Zeitpunkt hin. Er habe nach Ende der Schießerei seinen
Standort im Gebüsch hinter Gleis 5 verlassen und sei zum ca. 50 Meter
entfernt im Gleis liegenden Wolfgang Grams gegangen, bevor er diesen Funkspruch
abgegeben habe. Diese Aussage wird auch von einer Reisenden bestätigt.
3
Kurz nach den Ereignissen von Bad Kleinen hat sich dem Spiegel ein
Augenzeuge offenbart, der als Polizeibeamter an dem Einsatz beteiligt war. Nach
Schilderung dieses Augenzeugen hat Wolfgang Grams "nicht auf der Treppe
sondern erst geschossen, wo er schon auf dem Bahnsteig ist. (...) Er schießt
in die Unterführung, er schießt relativ wahllos. Er steht mit dem
Gesicht zur Treppe. Er schießt linksseitig auf den Bahnsteig. In dem
Augenblick, wo er sich linksseitig wendet, hat er Koordinierungsschwierigkeiten.
Beamte schreien von allen Seiten: "Halt stehenbleiben, Polizei! Lassen sie
die Waffe fallen! Geben Sie auf!" Nach Schilderung des Augenzeugen stürmten
vier Beamte die Treppe hoch, "von Bahngleisen gegenüber kommen drei,
darunter ein BKA-Beamter. Die haben eine größere Entfernung."
Der mutmaßliche Terrorist sei dann "von den von unten kommenden
Beamten niedergerissen" worden. Grams lag auf Gleis 4, "seitlich
zugewandt, sprich auf dem linken Oberschenkel und der linken Körperseite."
Seine Waffe habe "etwa zwei Meter von ihm entfernt, 20 Grad nach oben links"
gelegen. Ein Beamter habe "mit den Knien den Oberkörper niedergedrückt",
Grams sei bewegungsunfähig gewesen und habe auch "keine Chance gehabt,
zu einer eventuellen Sekundärwaffe zu greifen". Ein zweiter Beamte
habe ihn gehebelt. 4 "Nach ewig langen 20
Sekunden ist dann der tödliche Schuß gefallen. Ein Kollege von der
GSG 9 hat aus einer Entfernung von Maximum 5 cm gefeuert5
Der
Augenzeuge bestand darauf, anonym zu bleiben. "Die StA Schwerin sicherte
ihm Schutz der Anonymität zu - wie es etwa in Prozessen gegen die
Drahtzieher des organisierten Verbrechens üblich geworden ist." * Aber
der Beamte hat ihr nicht vertraut.
Es spricht viel dafür, daß
er der BKA-Beamte ist, der im Stellwerk postiert war. Seine Aussage entspricht
im wesentlichen der des BKA-Beamten - bis zu dem entscheidenden Moment, als der
BKA-Beamte dann weggeschaut haben will. Die Verhaftung Birgit Hogefelds hat er
unrichtig, nämlich entsprechend einer frühen offiziellen Version
beschrieben. Er hat sie also nicht selbst gesehen, wollte das aber vielleicht
verdecken. Und Spiegel-Chefredakteur Leyendecker hat betont, daß
der Spiegel nie behauptet hat, daß es sich bei dem Zeugen - dessen
Beteiligung am Einsatz in Bad Kleinen überprüft worden sei - um einen
GSG 9-Beamten handele.
Man kann für den Tathergang festhalten,
daß sich
zu einem weitgehend widerspruchsfreien Bild des Tathergangs zusammenfügen.
Auf jeden Fall kann aus keiner dieser Aussagen die Unglaubwürdigkeit des
Zeugen bzw. der Zeugin abgeleitet werden - wie es die Staatsanwaltschaft
Schwerin und interessierte Kreise aus dem Staatsapparat wiederholt getan haben.
Laut Zwischenbericht der Bundesregierung soll Wolfgang Grams,
offensichtlich getroffen, plötzlich rücklings von der Bahnsteigkante
auf Gleis 4 gefallen sein. GSG 9 Nr. 6 soll vorgestürmt sein, in kurzem
Abstand gefolgt von Nr. 8. Angeblich sicherten beide in stehender, leicht
gebeugter Haltung den im Gleis Liegenden. Im Abschlußbericht allerdings -
die Staatsanwaltschaft Schwerin war schon zu dem Ergebnis gekommen, daß
der aufgesetzte Kopfschuß ein Selbstmord war - wird diese Situation
folgendermaßen dargestellt:
"Er stürzte rückwärts
(auf das Gleis, d. V.), wo er sich - möglicherweise noch während der
Schüsse der Beamten - in Suizidabsicht einen Kopfschuß versetzte.
(...) Etwa 30 bis 60 Sekunden nach Beendigung der Schußabgabe trat der
Beschuldigte GSG 9 Nr. 6 zu Grams in das Gleis und sicherte mit der beidhändig
auf dessen Kopf gerichteten Dienstwaffe. Wenig später trat auch der zweite
Beschuldigte (...) GSG 9 Nr. 8 zu Grams ins Gleisbett. Weitere Schüsse
fielen nicht." 6
Die dreiste Behauptung,
daß ein Mensch, während er einem Kugelhagel ausgesetzt ist, auf die
Idee kommt, sich für einen Selbstmord zu entscheiden und diesen auch auszuführen,
ist für die Behörden nur deshalb möglich, weil außer der
Zeugin Baron und dem Spiegel-Zeugen niemand den tödlichen Kopfschuß
gesehen haben will.
Hier setzt die Staatsanwaltschaft Schwerin mit ihrer Selbstmordbehauptung
an: Nach dem Sturz Wolfgang Grams' auf Gleis 4 und dem "abrupten Endes des
Schußwechsels" soll, so Schwerin, "kein Schuß mehr
gefallen" sein. Er habe zu diesem Zeitpunkt schon leblos auf den Gleisen
gelegen. Wolfgang Grams muß sich also, will man der Schweriner Theorie
folgen, vor Beendigung des Schußwechsels umgebracht haben. Für diese
Version war auch Voraussetzung, daß nicht sofort ein Verfolger nachsetzt,
der diesen "Selbstmordschuß" vielleicht doch noch selbst
abgegeben haben könnte. Voraussetzung war ebenfalls, daß einige GSG
9-Beamte aus der Deckung der Treppe blind in Richtung Gleis 4 feuern und ein möglicher
Verfolger nicht direkt nachsetzen konnte, ohne in die Kugeln seiner Kollegen zu
laufen.
Obwohl der Beschuldigten GSG 9 Nr. 6 in allen seinen Vernehmungen aussagte, daß
er sofort nachgesetzt sei, und trotz den gleichlautenden Aussagen der übrigen
GSG 9-Beamten, falls sie über diesen Zeitpunkt überhaupt Angaben
gemacht haben, wird seine Aussage von der Staatsanwaltschaft nach dem gleichen
Muster demontiert und weginterpretiert, mit dem sie an anderer Stelle die lückenhaften,
unrichtigen und mehrfach geänderten Angaben insbesondere der Beschuldigten
GSG 9 Nr. 6 und 8, aber auch der anderen Zeugen der GSG 9 deutet. Nach Ansicht
der Schweriner Staatsanwälte hätten die GSG 9-Beamten versucht, ihr
fehlerhaftes Verhalten während des Zugriffs zu beschönigen, indem sie
das Nachsetzen so geschildert hätten, wie es schulmäßig hätte
ablaufen müssen. Die Bundesregierung übernimmt diese Deutung in ihren
Abschlußbericht.7
Die
Staatsanwaltschaft Schwerin führt für die Behauptung, erst nach 30 bis
60 Sekunden hätten sich die ersten Beamten Wolfgang Grams genähert,
die Aussagen dreier ziviler Zeugen an. Vier Zeugen haben dagegen einen oder
mehrere abgesetzte Schüsse wahrgenommen. Die Aussage des BKA-Beobachters im
Stellwerk, der als professioneller Beobachter in geschützter Position mit
unverstelltem Sichtfeld auf Bahnsteig und Gleis beste Vorraussetzungen für
eine unverfälschte Beobachtung hatte, berücksichtigt sie nicht. Dieser
hatte beobachtet, wie sich eine Personengruppe vom Aufgang kommend der
Bahnsteigkante näherte. Eine Person drehte sich dann in Richtung des
Aufgangs um und begann zu schießen. Im Verlauf der Schießerei wurde
eine Person rückwärts auf die Gleise geschleudert, wo sie auf dem Rücken
liegen blieb. Zwei Personen sprangen ihr nach und blieben neben der Person
stehen.Das Ganze stellte sich ihm als ein Bewegungsablauf ohne wesentliche
Unterbrechungen dar.
Die Konstruktion der Staatsanwaltschaft Schwerin
geht nun folgendermaßen weiter. Da es 30 bis 60 Sekunden gedauert habe,
bis der erste Beamte Wolfgang Grams gesichert hat, hätte es auch
genausolange dauern müssen, bis überhaupt ein von polizeilicher Hand
aufgesetzter Kopfschuß gefallen sein kann:
Allein das Fehlen eines deutlich abgesetzten Schusses oder mehrerer Schüsse
- abgesetzt um diejenige Zeitspanne, die die Beschuldigten benötig haben müssen,
um sich nach Einstellung des Feuers durch die übrigen Zugriffskräfte
durch deren Schußfeld hindurch an Grams heranzubewegen - würde den
von der Zeugin Baron und den vom Informanten des Spiegel geschilderten
Ablauf ausschlie-ßen. Da dieser Schuß von niemandem wahrgenommen
wurde, soll kein anderer auf Wolfgang Grams geschossen haben.
In dieser Argumentation mißachtet die StA Schwerin aber eines der von ihr
selbst bestellten Gutachten. Prof. Bär von der Universität Zürich
sagt zur Lautstärke eines aufgesetzten Schusses: "Bei einem
aufgesetztem Kopfschuß treten mit einer Schalldämpferwirkung
vergleichbare akustische Veränderungen auf (...) Neben einer Verminderung
der Knallintensität verändert sich auch das Frequenzspektrum und damit
die Qualität des Knalls. Der Knall wird dumpfer. Diese Veränderungen können
so weit gehen, daß Zeugen das wahrgenommene Schallereignis nicht mehr mit
einem Schuß in Verbindung bringen." Ein LKA-Sachverständiger
macht gegenüber dem Wochenmagazin Focus entsprechende Angaben: "Der
Nahschuß, der Wolfgang Grams tötete, war wohl nur als ein leises "Plop"
zu hören." 8
Bei einem aufgesetzten
Kopfschuß dringen die das Geschoß treibenden Gase, da sie nicht
seitlich entweichen können, direkt hinter der Kugel zwischen Schädeldecke
und Kopfhaut. Durch den entstehenden Druck wölbt sich die Kopfhaut vor und
wird an die Mündung der Waffe gepresst. Durch die Hitze der Gase brennt
sich in die Haut das Mündungsprofil der Waffe ein. Dadurch, daß das
Geschoß direkt in den Körper eintritt und auch die Pulvergase
zwischen Haut und Körper eingeschlossen werden, kann weder ein Geschoß-
noch ein Mündungsknall entstehen. Das Mündungsfeuer wird ebenfalls
unterdrückt.
Die Aussagen der Kioskverkäuferin Baron entsprechen
genau dieser objektiven Charakteristik eines aufgesetzten Schusses: sie
beschreibt den letzten Schuß als leiser,
dumpfer und irgendwie anders als die vorhergehenden Schüsse,
so daß sie sich gefragt habe, ob aus eine anderen Waffe geschossen wurde.
Baron beschreibt den aufgesetzten Kopfschuß also genau so, wie er tatsächlich
klingt, ohne daß sie das wüßte - sie denkt an eine andersartige
Waffe - und ohne überhaupt von einem aufgesetzten Schuß auszugehen -
sie hat nur gesehen, daß die Waffe auf den Oberkörper/Kopfbereich
gerichtet war. Außerdem sagt sie - wiederum objektiv richtig - aus, daß
sie bei diesem Schuß kein Mündungsfeuer gesehen habe, wobei sie bei
allen von ihr beobachteten Schüssen zwischen der Wahrnehmung von Mündungsfeuer
einerseits und von Knallgeräuschen andererseits differenziert. Generell
konzentriert sie sich auf die Beschreibung von Mündungsfeuer und vermeidet
Rüchschlüsse - schließt also z. B. nicht von einem Knallgeräusch
auf einen Schuß oder gar einen bestimmten Schützen In ihrer zweiten
Vernehmung Anfang Juli sagt sie sogar: Ich dachte, es hört sich so an,
als hätte er geschossen. Ob er nun geschossen hat, weiß ich nicht
mehr, denn ich habe kein Feuer gesehen. Es kam mir so vor, als hätte es ein
weiteres Mal geknallt. Es klang irgendwie anders, aber ich kann es nicht
beschreiben.
All diese Indizien für eine richtige Beobachtung der
unbeteiligten und von keinem eigenen Interesse beeinflußten Zeugin Baron
werden von der Staadtsanwatschaft Schwerin tautologisch mit der oben ausgeführten
Argumentation vom Tisch gewischt, daß wo kein Schütze ist, auch kein
Schuß aufgesetzt werden kann.
Die meisten zivilen Zeugen haben
den Sturz Wolfgang Grams' auf die Gleise nicht gesehen, da sie Schutz vor der
Schießerei suchten oder ihre Aufmerksamkeit auf den auf dem Bahnsteig
zusammengebrochenen GSG 9-Beamten Newrzella gelenkt wurde. Die Zeugen jedoch,
die seinen Sturz beobachtet haben, geben fast alle an, daß sofort mehrere
Männer in das Gleisbett nachgesetzt seien. Sie machen allerdings
unterschiedliche Aussagen über deren Anzahl. Ein Teil der Zeugen gibt an,
sie hätten eine oder ein bis zwei Personen gesehen, die Wolfgang Grams
sicherten. Andere sahen mehr Männer das Gleis betreten und Waffen auf ihn
richten. Wahrscheinlich spielte hier der Zeitpunkt, wann wer hingeschaut hat,
eine Rolle - die Staatsanwaltschaft hat an diesem Punkt oft nicht ausreichend
nachgefragt..
Nach offizieller Version sollen lediglich GSG 9 Nr. 6 und
Nr. 8 Wolfgang Grams nachgesetzt sein und ihn gesichert haben; GSG Nr. 6 überdies
die gesamte Zeit bis zum Abtransport des Schwerverletzten mit dem Hubschrauber.
Allerdings gibt ein weiterer GSG 9-Beamter von SET 2 an, Wolfgang Grams
ebenfalls zusammen mit einem Beamten gesichert zu haben. Von keinem der anderen
Kräfte wird dies jemals erwähnt. Sie erinnern sich alle einzig und
allein daran, daß Nr. 6 im Gleisbett stand und Wolfgang Grams sicherte.
Die offizielle Version, daß es 30 bis 60 Sekunden gedauert habe, bis
der erste GSG 9-Beamte zu Wolfgang Grams auf die Gleise ging, ist auch aus der
Situation heraus völlig widerlegbar. Dieses angebliche Verhalten der GSG 9
- sei es, nicht mehr darauf zu achten, was mit dem Flüchtenden passiert,
den sie festzunehmen haben, von dem sie noch Sekunden vorher beschossen wurden,
sondern sich noch während des Schußwechsels und im Schußfeld
Wolfgang Grams' um den zusammengebrochenen Newrzella zu kümmern - oder sei
es einen ihrer Kameraden faktisch mit einem solch hochgefährlichen Gegner
allein zu lassen - ist höchst unglaubwürdig. Zivile Zeugen, auch die
vom medizinischen Notpersonal, gaben an, daß sie den Kopfschuß erst
bei näherem Hinsehen wahrgenommen haben, Das heißt, daß die GSG
9-Beamten ebenfalls die angeblich schon existierende "Selbstmordkopfschußwunde"
nicht sofort haben sehen können, zumal sie sich mitten im Feuergefecht
befanden. Sie konnten also nicht davon ausgehen, daß Wolfgang Grams
handlungsunfähig auf den Gleisen liegt. Bei den ersten vier Schüssen
auf Wolfgang Grams konnten sie ebenfalls keine Handlungsunfähigkeit
voraussetzen. Die Erkenntnis, daß die mannstoppende Wirkung ihrer Munition
nicht in jedem Fall gewährleistet ist, kann ihnen als Spezialisten nicht
fremd gewesen sein. Das heißt, die GSG 9-Beamten mußten
schon um ihrer eigenen Sicherheit willen sofort nachsetzen und sichern.
Zum Abschluß soll noch auf den zivilen Musterzeuge der StA Schwerin
eingegangen werden. In der Konstruktion der Staatsanwaltschaft kommt seinen
Aussagen eine zentrale Bedeutung zu. Dieser Zeuge hat sich vier Tage nach der
Schießerei beim Bundeskriminalamt gemeldet. Er will während der Schießerei
auf Bahnsteig 3/4 gewesen und alles genau gesehen haben. Nach der Polizeiaktion
ist er angeblich den die Zeugen einsammelnden Beamten auf dem Weg in das
Billardcafé entschlüpft, um auf Bahnsteig 1/2 einen anderen Zug zu
nehmen. 9 Donnerstags habe er aus den Medien von
der
Monitor-Zeugin erfahren und so sei es ja nun nicht gewesen- deswegen
wolle er nun doch als Zeuge aussagen. Mit einiger Details, die er richtig
beschrieben hat, meint die StA Schwerin seine tatsächliche Anwesenheit am
Tatort belegen zu können.
Dieser Zeuge ist über weite und
zentrale Strecken der staatsanwaltschaftlichen Argumentation der Einzige, der
ihre Version der Ereignisse stützt - des öfteren im Gegensatz zu
mehreren anderen durchaus glaubwürdigen Zeugen, die aber von der StA
Schwerin sämtlich demontiert oder ignoriert werden.
So ist er der einzige zivile Zeuge, der schon in der ersten Vernehmung
aussagt, daß der erste sichernde Beamte erst cirka 60 Sekunden nach
Wolfgang Grams' Sturz in's Gleisbett gestiegen sei. Er will ihn auch noch im
Gleis stehend schießen gesehen haben - was die Staatsanwaltschaft als
weiteres Indiz für einen Selbstmord nimmt. Den allerdings möchte auch
dieser Zeuge nicht beeiden - den Fall Wolfgang Grams' habe er nicht beobachtet,
da er in diesem Moment gerade den Hals in die Richtung gereckt habe, in die
Wolfgang Grams schoß. An diesem wesentlichen Punkt reiht er sich in den
kollektiven Blackout der GSG 9-Beamten ein.