Bei der seit über 20 Jahren öffentlich beschworenen Gefährlichkeit
der RAF und dem auf jedem Fahndungsplakat zu findenden Hinweis: "Vorsicht!
Täter macht rücksichtslos von der Schußwaffe Gebrauch", ist
es völlig unverständlich, daß die eigene Gefahrenanalyse des BKA
in Bad Kleinen ignoriert wurde: "Im Bahnhofsbereich Bad Kleinen war kein
Notarzt vorgesehen."1 Auch in in der näheren
Umgebung wurde trotz nicht auszuschließendem Schußwechsel kein Arzt
in Bereitschaft gehalten. Anwesend war während des gesamten Einsatzes nur
ein Rettungssanitäter der GSG 9.
Dieser Rettungssanitäter begann
wenige Minuten nach Ende des Schußwechsels, den verletzten GSG 9-Beamten
Newrzella medizinisch zu versorgen. Einige Zeit später traf der
Notarztwagen des Krankenhauses Wismar ein. Die Besatzung bestand aus: einem
Notarzt, einem Rettungssanitäter und einer Krankenschwester. Alle drei
wurden angewiesen, sich um Newrzella zu kümmern, was sie auch taten. Sie
fanden den Verletzten bereits mit einem Brustverband vor.
Als der
Rettungssanitäter sich um Wolfgang Grams kümmern wollte, wurde er auf
dem Weg zu den Gleisen von einer zivil gekleideten Person mit den Worten:
Der da hat nichts, kümmert euch um den daran gehindert, worauf der
Rettungssanitäter wieder zu Newrzella zurückkehrte.
Auch ein
weiterer Notarzt und ein Rettungssanitäter, die wenig später mit einem
Hubschrauber des Lufttransportgeschwader 63 ankamen, wurden wiederum zu
Newrzella geschickt. Zu diesem Zeitpunkt kümmerten sich bereits fünf
Personen des medizinischen Notarztpersonals um ihn, ein Tropf war bereits
gelegt.
Beim Eintreffen der Notärztebesatzung des nächsten
Rettungshubschraubers der BGS-Staffel lag Wolfgang Grams schon seit mindestens
25 Minuten schwerverletzt ohne jegliche medizinische Notversorgung auf den
Gleisen, und das trotz der Anwesenheit von zwei Ärzten, einer
Krankenschwester und drei Rettungssanitätern.
Das zuletzt
eingetroffene Rettungs-Team war lediglich beauftragt worden, nach Bad Kleinen zu
fliegen. Der Grund des Einsatzes war ihnen nicht bekannt. Auch die anderen
Flugrettungsteams hatten nur äußerst knappe Vorinformationen
bekommen: Entweder wurde ihnen erst nach mehreren Frequenzwechseln überhaupt
der Zielort bekanntgegeben oder der Hubschrauberpilot war zwar informiert, aber
die Ärzte erfuhren nichts über den Grund des Einsatzes. Erst nach dem
Start wurde ihnen bekannt gegeben, daß Gegenstand des Einsatzes die
Versorgung von Schußverletzungen bei mehreren Personen sei. Die Teams
wurden bis zur Ankunft auf dem Bahnsteig nicht über die Schwere der
Verletzungen informiert. Das Beatmungsgerät aus dem Hubschrauber brachten
sie deshalb erst nicht mit auf den Bahnsteig. Ein von den Notärzten für
Wolfgang Grams angefordertes Beatmungsgerät mußte später eigens
noch geholt werden, wurde dann allerdings zuerst Newrzella zur Verfügung
gestellt. 2
Zweifellos führte bei dem
Polizeieinsatz in Bad Kleinen sowohl die offiziell angeordnete Nachrichtensperre
als auch das Verhalten der Polizeibeamten vor Ort zur Behinderung der
medizinischen Notversorgung des schwerletzten Wolfgang Grams. 25 Minuten lang
wurde die medizinische Erstversorgung von Wolfgang Grams unterlassen.