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Wed Dec  4 17:38:04 1996
 

Einschätzung der Ermittlungen
nach völkerrechtlichen Prinzipien


Hans-Michael Empell




  1. Einleitung
  2. Die Unparteilichkeit der Untersuchung
  3. Beteiligung der Angehörigen des Opfers an den Ermittlungen
  4. Veröffentlichung eines Berichts
  5. Untersuchung durch den UN-Menschenrechtsausschuß
  6. Fazit




1. Einleitung

"Jeder Mensch hat ein angeborenes Recht auf Leben. Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden." Diese in Artikel 6 des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 formulierten Grundsätze haben folgendes zur Konsequenz: Besteht der Verdacht, daß ein Mensch durch staatliche oder staatlich geschützte Organe ("Todesschwadronen") getötet wurde, so ist der Staat zu einer Untersuchung verpflichtet 1. Um sicherzustellen, daß diese Untersuchung nicht nur pro forma erfolgt, sondern zu einer Aufklärung der Todesumstände und der Verantwortlichkeit führt, haben UN-Organe Verfahrensregeln formuliert, die bei den Ermittlungen eingehalten werden sollen.
So verabschiedete der Wirtschafts- und Sozialrat der UN (Economic and Social Council = ECOSOC) am 24.5.1989 die "Prinzipien über eine wirksame Verhinderung und Aufklärung von extra-legalen, willkürlichen und summarischen Tötungen" 2. Ferner spricht der Sonderberichterstatter der UN-Menschenrechtskommission (MRK) zu willkürlichen Tötungen 3 diesbezügliche Empfehlungen aus, die er in seinen Jahresberichten an die MRK veröffentlicht. Daneben haben Nicht-Regierungsorganisationen, zum Beispiel Amnesty International, Untersuchungsregeln veröffentlicht.4
Es liegt auf der Hand, daß die Ermittlungen zum Tod von Wolfgang Grams nicht korrekt geführt wurden; dies mußte sogar die Bundesregierung einräumen.5 Daher geht es im folgenden nicht in erster Linie um den Nachweis, daß die Standards des internationalen Rechts hier mißachtet wurden; wohl aber soll gezeigt werden, wie eine Untersuchung hätte aussehen müssen, die völkerrechtlichen Kriterien entspricht, und wie weit sich die offiziellen Ermittlungen davon entfernt haben.

2. Die Unparteilichkeit der Untersuchung

Die genannten Regeln stimmen darin überein, daß die Untersuchung unparteilich durchgeführt werden muß.6
a) Dies ist nur möglich, wenn das untersuchende Gremium unabhängig ist. Die Mitglieder dieses Gremiums müssen also persönlich und auf Grund ihrer beruflichen Stellung bereit und in der Lage sein, in alle Richtungen zu ermitteln, und gerade auch den Spuren nachgehen, aus denen sich ergeben könnte, daß staatliche Organe für den Tod des Opfers verantwortlich sind.7
Im Falle des Verdachts einer von staatlichen Organen durchgeführten Tötung ist die Unabhängigkeit häufig nicht gewährleistet, wenn die Ermittlungen von denjenigen Institutionen geführt werden, die normalerweise nach dem Gesetz dafür zuständig sind, nämlich der Staatsanwaltschaft und der Polizei. Denn diese Behörden sind oft nicht willens oder fähig, objektiv gegen andere Staatsbedienstete oder gar Regierungsmitglieder vorzugehen. "Der Staat" darf dann möglichst nicht gegen sich selbst ermitteln. Für eine unabhängige Untersuchung sehr viel besser geeignet ist ein von Amts wegen gebildetes besonderes Gremium. In diesem Sinne empfiehlt der Sonderberichterstatter der MRK, eine Untersuchungskommission einzusetzen.8 Die Mitglieder der Kommission sollen anerkanntermaßen unparteilich, kompetent und von denjenigen Institutionen unabhängig sein, die möglicherweise in die Tötung verwickelt sind.9
In diese Richtung scheinen einige Vorschläge zu gehen, die nach dem Tod von Wolfgang Grams in der Öffentlichkeit gemacht wurden. So sprach sich der stellvertretende Vorsitzende der FDP, Hermann Otto Solms, dafür aus, eine unabhängige Expertenkommission unter Vorsitz des ehemaligen Bundesaußenministers Genscher einzuberufen. 10 Das "Bündnis 90/Die Grünen" beantragte im Bundestag, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß zu bilden.11 Die Bundestags-Abgeordneten Hirsch (FDP) und Benrath (SPD) schlugen vor, Hans-Jürgen Wischnewski (SPD) als unabhängigen Ermittler einzusetzen.
Diese Vorschläge wurden jedoch nicht in die Tat umgesetzt. Die genannten Gremien und Ermittler wären auch nicht wirklich unabhängig gewesen. Genscher und Wischnewski hatten sich früher bereits im "Kampf gegen den Terrorismus" engagiert.12 Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß hätte sich erfahrungsgemäß von parteipolitischen Interessen leiten lassen; er wäre ebenfalls nicht für eine unabhängige Untersuchung geeignet gewesen.
Zunächst wurden die Ermittlungen vom Bundeskriminalamt (BKA) und später von der Staatsanwaltschaft Schwerin durchgeführt. Das BKA hatte jedoch maßgeblich an der Fahndung nach Wolfgang Grams und an der Konzeption des Einsatzes in Bad Kleinen mitgewirkt. Beamte des BKA waren an diesem Einsatz sogar unmittelbar beteiligt. Deshalb entschied der Vizepräsident des BKA am 30.6.1993, "um jeden Anschein der Befangenheit zu vermeiden", könne seine Behörde die polizeilichen Ermittlungen nicht weiterführen.13 Die "Einsicht" kam jedoch zu spät. Denn zu diesem Zeitpunkt hatten Beamte des BKA bereits wesentliche Ermittlungshandlungen vorgenommen oder auch unterlassen und Beweismittel vernichtet.
Was die Staatsanwaltschaft Schwerin betrifft, so bestehen von vornherein zumindest Zweifel an ihrer Unabhängigkeit - und zwar aus dem bereits dargestellten Grund, der für die Einsetzung einer Untersuchungskommission spricht: "Der Staat" soll nicht gegen sich selbst ermitteln. Hinzu kommt, daß Staatsanwälte als Beamte von den Weisungen ihrer Landesregierung abhängig sind.

b) Die ermittelnde Instanz muß objektiv vorgehen 14, und das heißt: in alle Richtungen ermitteln, auch wenn dies zu einer Belastung von Beamten oder Regierungsmitgliedern führt.
Die Staatsanwaltschaft Schwerin hat das Gebot zur Objektivität vielfach mißachtet. Hier sei nur auf zwei besonders gravierende Punkte eingegangen. Am 2.7.1993 wurde die Aussage einer Augenzeugin bekannt, wonach Wolfgang Grams von GSG 9-Beamten aus nächster Nähe erschossen wurde.15 Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte die Staatsanwaltschaft von Amts wegen ein Strafverfahren gegen diese Beamten einleiten müssen. Sie nahm jedoch lediglich Ermittlungen "gegen Unbekannt" auf. Erst nachdem die Eltern von Wolfgang Grams am 10.8.1993 eine Strafanzeige eingereicht hatten, kam es zu Ermittlungen gegen die Beamten. In der Folge hat die Staatsanwaltschaft den erwähnten Zeugenaussagen aber nicht das Gewicht beigelegt, das ihnen offensichtlich zukommt. Hätte sie die Ermittlungen objektiv geführt, so hätte sie beispielsweise einen Haftbefehl gegen die Beamten beantragt.
Fehlende Objektivität zeigt sich ferner daran, daß die Staatsanaltschaft die zahlreichen "Pannen" bei den polizeilichen Ermittlungen nicht angemessen würdigte. Da gerade diejenigen Beweismittel vernichtet worden waren, die Aufschluß über den Tod von Wolfgang Grams hätten geben können, mußte sich jedem unvoreingenommenen Ermittler der Eindruck aufdrängen, daß die Beweismittel nicht fahrlässig, sondern vorsätzlich zerstört worden waren. Die dafür verantwortlichen Personen, so wäre weiter zu schließen gewesen, wollten damit vertuschen, daß Wolfgang Grams von Beamten erschossen worden war. Die Staatsanwaltschaft hat diese auf der Hand liegenden Schlußfolgerungen jedoch nicht gezogen. In ihrer Pressemitteilung zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens (13.1.1994) kam sie auf den Verdacht der absichtlichen Beweismittelvernichtung noch nicht einmal zu sprechen - offensichtlich deshalb, weil sie es um jeden Preis vermeiden wollte, die verdächtigen Beamten anzuklagen.

c) Zur Unparteilichkeit der Untersuchung gehört schließlich, daß von Seiten der Regierung kein Einfluß auf den Gang der Ermittlungen genommen wird.16
Auch dieses Prinzip wurde mehrfach verletzt. So widersprach der damalige Bundesinnenminister Seiters öffentlich der Aussage einer Zeugin, der Betreiberin des Kiosks auf dem Bahnhof von Bad Kleinen, wonach Wolfgang Grams am Boden liegend von Beamten erschossen wurde. Seiters führte als Argument an, eine Befragung der GSG 9-Beamten hätte die Zeugenaussage nicht bestätigt.17 Damit gab Seiters der Staatsanwaltschaft Schwerin das Programm für ihre Ermittlungen vor. Keinesfalls sollte es zu einer Anklage gegen die Beamten kommen, ungeachtet dessen, wie stark die Beweise für deren Verantwortlichkeit auch sein würden. Ferner war die Äußerung von Seiters dazu geeignet, die Zeugin einzuschüchtern, was nach den genannten Regeln ebenfalls unzulässig ist.18
Die beiden verdächtigen GSG 9-Beamten wurden nicht vom Dienst suspendiert, wie es die Prinzipien von Amnesty International vorsehen.19 Vielmehr sprach die Bundesregierung allen in Bad Kleinen eingesetzten Beamten sowie dem BKA und der Bundesanwaltschaft ihr "volles Vertrauen" aus.20 Darüber hinaus stattete Bundeskanzler Kohl der GSG 9 sogar einen Besuch ab und erklärte bei dieser Gelegenheit sein "ganz besonderes Vertrauen" in deren "Einsatzbereitschaft", "Leistungswillen" und "Verantwortungsbewußtsein".21 Angesichts der gravierenden Verdachtsmomente gegen GSG 9-Beamte bedeuteten diese Äußerungen praktisch einen Freispruch dieser Beamten. Der Staatsanwaltschaft Schwerin wurde damit ein weiteres Mal zu verstehen gegeben, welches Ermittlungsergebnis die Bundesregierung von ihr erwartete.
Schließlich nahm die Bundesregierung auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dadurch Einfluß, daß sie selbst Untersuchungen durchführen ließ und deren Ergebnis veröffentlichte. Am 2.7.1993 beauftragte Bundesinnenminister Seiters nämlich den Präsidenten des Bundesverwaltungsamtes Grünig damit, den Gebrauch von Schußwaffen im Zusammenhang mit der Polizeiaktion in Bad Kleinen zu untersuchen. Allein auf Grund der Aussagen von GSG 9-Beamten behauptete Grünig, es könne nicht ausgeschlossen werden, daß Wolfgang Grams sich selbst erschossen habe.22 Diese Behauptung wiederholte die Bundesregierung in einem Zwischenbericht über die Polizeiaktion in Bad Kleinen (17.8.1993), den sie dem Innenausschuß des Bundestages vorlegte.
Wohl war die Bundesregierung verpflichtet, den Bundestag über die Polizeiaktion in Bad Kleinen zu informieren; sie durfte jedoch nicht selbst Untersuchungen zum Tod von Wolfgang Grams in Auftrag geben, weil sie dadurch notwendig in die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Schwerin eingriff. Das Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft Schwerin, wonach Wolfgang Grams sich selbst erschossen hat, entspricht den Vorgaben der Bundesregierung. Auch aus diesem Grund kann nicht davon gesprochen werden, die Staatsanwaltschaft Schwerin habe unparteilich ermittelt.

3. Beteiligung der Angehörigen des Opfers an den Ermittlungen

Nach den eingangs genannten Untersuchungsregeln sollen die Angehörigen des Opfers von den Behörden über den Gang der Ermittlungen informiert werden und Gelegenheit erhalten, sich selbst daran zu beteiligen,23
Die Staatsanwaltschaft Schwerin hätte also den Angehörigen von Wolfgang Grams bzw. ihren Anwälten zumindest Einsicht in die Akten des Ermittlungsverfahrens geben müssen. Tatsächlich verweigerte sie jedoch den Anwälten trotz dreimaligen Antrags die Akteneinsicht 24 mit dem Argument, die Eltern von Wolfgang Grams würden die aus den Akten gewonnenen Erkenntnisse zu verfahrensfremden Zwecken mißbrauchen.25 Offensichtlich befürchtete die Staatsanwaltschaft, die Eltern von Wolfgang Grams und ihre Anwälte könnten auf Grund ihrer Aktenkenntnis wichtige Hinweise zur Aufklärung des Todes von Wolfgang Grams geben und ihre Überlegungen auch in der Öffentlichkeit bekannt machen. Dies entsprach offensichtlich nicht dem Zweck des Ermittlungsverfahrens, den die Staatsanwaltschaft verfolgte. Die oben wiedergegebene Begründung läßt erkennen, daß nach Auffassung der Staatsanwaltschaft der Zweck dieses Verfahrens darin bestand: auf jeden Fall zu dem Ergebnis zu kommen, daß Wolfgang Grams sich selbst getötet habe. Durch eine Gerichtsentscheidung konnte die Staatsanwaltschaft zur Vorlage der Akten gezwungen werden, so daß die Anwälte erstmals am 13.1.1994 Akteneinsicht nahmen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen jedoch bereits eingestellt, so daß der Zweck des Rechts auf Akteneinsicht insofern nicht mehr erreicht werden konnte.26
Bei der Obduktion des Opfers soll ein Arzt des Vertrauens der Angehörigen des Opfers anwesend sein.27 Zur Obduktion von Wolfgang Grams, die am 28.6.1993 im Institut für Rechtsmedizin der Universität Lübeck stattfand, war ein Arzt des Vertrauens seiner Angehörigen aber nicht zugelassen. Außer BKA-Beamten waren sogar die an sich zuständigen Beamten der Lübecker Polizei ("in Verkennung der Zuständigkeit") ausgeschlossen. So konnten BKA-Beamte ungehindert Spuren an Kopf und Händen der Leiche von Wolfgang Grams ("irrtümlich") beseitigen, die Aufschluß über die Todesumstände hätten geben können.

4. Veröffentlichung eines Berichts

Abschließend soll nach den genannten Regeln ein Bericht veröffentlicht werden, der über die Methoden und das Ergebnis der Ermittlungen Auskunft gibt.28 Die Staatswaltschaft Schwerin hat ihren Einstellungsbeschluß vom 13.1.1994 nicht der Öffentlichkeit bekannt gegeben; sie beschränkte sich vielmehr auf eine Pressemitteilung (ebenfalls vom 13.1.1994). Zwar wurde der Beschluß den Eltern von Wolfgang Grams bzw. ihren Anwälten zugestellt; publizieren können sie ihn jedoch nicht, weil sie sich damit strafbar machen würden ( 353 d Strafgesetzbuch).29

5. Untersuchung durch den UN-Menschenrechtsausschuß

Jeder Staat soll den Angehörigen des Opfers schließlich die Möglichkeit eröffnen, eine Untersuchung durch den UN-Menschenrechtsausschuß zu beantragen.30 Der Grund für diese Regel ist, daß willkürliche Tötungen im nationalen Rahmen häufig nicht aufgeklärt werden können, weil staatliche Stellen, insbesondere auch Regierungen, darin verwickelt sind; eine unparteiliche Untersuchung ist dann nur auf internationaler Ebene möglich.
Voraussetzung für eine Untersuchung ist, daß der betreffende Staat einen völkerrechtlichen Vertrag, das Erste Fakultativprotokoll zum UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966, ratifiziert hat. Dieser Vertrag sieht ein Beschwerdeverfahren vor, in dem Einzelpersonen geltend machen können, in ihren Menschenrechten verletzt worden zu sein; im Falle der Tötung eines Menschen sind dessen Angehörige dazu befugt. Der UN-Menschenrechtsausschuß nimmt daraufhin eine Untersuchung vor. Drei Monate nach der Ratifizierung des Fakultativprotokolls tritt es für den betreffenden Staat in Kraft; erst danach sind Beschwerden gegen diesen Staat zulässig. Weitere Voraussetzung ist, daß die (behauptete) Menschenrechtsverletzung begangen wurde, nachdem das Fakultativprotokoll für den betreffenden Staat in Kraft getreten ist. Der Bundespräsident ratifizierte das Fakultativprotokoll am 15.8.1993; es wurde somit am 15.11.1993 für die BRD wirksam. Da Wolfgang Grams jedoch am 27.6.1993 starb, ist eine Beschwerde seiner Eltern beim UN-Menschenrechtsausschuß mit dem Ziel einer Untersuchung seines Todes nicht zulässig. Weitere Möglichkeiten, den Tod von Wolfgang Grams durch UN-Organe untersuchen zulassen, bestehen nicht.31

6. Fazit

Die Ergebnis der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Schwerin, wonach Wolfgang Grams sich selbst getötet hat, beruht auf einem Verfahren, das allen wesentlichen Regeln des internationalen Rechts widerspricht. Die Abweichung der Ermittlungen von den völkerrechtlichen Prinzipien ist darüber hinaus so stark, daß von einer wirklichen Untersuchung nicht gesprochen werden kann. Vielmehr handelt es sich wohl um eine Schein-Untersuchung zu dem Zweck, der Öffentlichkeit eine Untersuchung lediglich vorzutäuschen. Wie eingangs ausgeführt, ist jeder Staat im Falle des Verdachts einer willkürlichen Tötung zu einer Untersuchung verpflichtet. Durch die Art und Weise, wie die Ermittlungen zum Tod von Wolfgang Grams geführt wurden, hat die Bundesrepublik Deutschland diese Pflicht verletzt.
Die dargestellten völkerrechtlichen Regeln sind unkompliziert und einfach zu befolgen. Wenn staatliche Organe sie dennoch mißachten, dürfte dies daran liegen, daß sie diese Bestimmungen nicht einhalten wollen, weil sie die Absicht haben, etwas zu vertuschen. In einem derartigen Fall ist der Verdacht begründet, daß der Staat für die Tötung verantwortlich ist. Dementsprechend schreibt der Sonderberichterstatter der MRK zu willkürlichen Tötungen 32:
"Wenn eine Regierung die Standards mißachtet, die in den 'Prinzipien' des ECOSOC 'zur wirksamen Verhütung und zur Untersuchung von extra-legalen, willkürlichen und summarischen Tötungen' vom 24.5.1989 enthalten sind, wird der Sonderberichterstatter diese Mißachtung als ein Indiz dafür betrachten, daß die Regierung für die Tötung verantwortlich ist."
Dies gilt auch im Hinblick auf den Tod von Wolfgang Grams. Allein die Art und Weise, wie die Ermittlungen geführt wurden, ist ein Indiz dafür, daß staatliche Organe für seinen Tod und damit für eine Menschenrechtsverletzung nach Art. 6 des eingangs genannten UN-Paktes verantwortlich sind.




  1. Der Sonderberichterstatter der UN-Menschenrechtskommission zu willkürlichen Tötungen in: UN-Dokument E/CN. 4/1993/46, S. 166, Abs. 686; Manfred Nowak: CCPR-Kommentar. Kehl am Rhein 1989, S. 116, Randnummer 6.
  2. Resolution 1989/65; vgl. UN. Manual on the effective prevention and investigation of extra-legal, arbitrary and summary executions. New York 1991, S. 41 ff.
  3. Die UN-Menschenrechtskommission führt sog. thematische Verfahren durch, indem sie einzelne Menschenrechtsexperten, sog. Sonderberichterstatter, aber auch Arbeitsgruppen einsetzt, die sich mit bestimmten Menschenrechtsproblemen, wie zum Beispiel Folter, willkürlichen Tötungen und dem "Verschwinden-Lassen", befassen und bei den betreffenden Regierungen mit der Aufforderung vorstellig werden, zu bestimmten Vorwürfen Stellung zu nehmen. Der Sonderberichterstatter zu Folter zum Beispiel wandte sich im Jahre 1989 wegen der Isolationshaft an die Bundesregierung, vgl. dazu Analyse und Kritik (ak), Nr. 320 (25.6.1990), S. 31 f.
  4. Vgl. das "14-Punkte-Programm zur Verhütung von extra-legalen Tötungen" von AI (April 1993), AI Index: POL 35/03/93, sowie die Regeln der "Minnesota International Human Rights Law Group" ( UN. Manual on the effective prevention and investigation of extra-legal, arbitrary and summary executions. New York 1991, S. 15 ff.).
  5. Zwischenbericht der Bundesregierung zu der Polizeiaktion am 27.6.1993 in Bad Kleinen (17.8.1993), S. 113 ff.
  6. ECOSOC-Prinzipien Nr. 9; der Spezialberichterstatter der MRK, UN-Dok. E/CN. 4/1994/7/Add. 1, S. 34, Abs. 9; AI. 14-Punkte-Programm, Nr. 10.
  7. AI. 14-Punkte-Programm, Nr. 10.
  8. UN-Dokument E/CN. 4/1994/7/Add. 1, S. 34 Abs. 9 ff.
  9. Ähnlich: Minnesota-Protokoll, D; AI. 14-Punkte-Programm Nr. 10.
  10. Frankfurter Rundschau 9.7.1993.
  11. Süddeutsche Zeitung 10.7.1993.
  12. Genscher führte als Innenminister der Regierung Willy Brandt im Jahre 1969 das "Programm Innere Sicherheit" ein, das zu einer Aufrüstung von Polizei und Geheimdiensten führte, die dann später gegen die RAF aktiv wurden. Wischnewski war ebenfalls im Bereich des "Anti-Terrorismus" tätig (Mogadischu, 1977).
  13. Zwischenbericht der Bundesregierung (17.8.1993), S. 57.
  14. ECOSOC-Prinzipien Nr. 9; der Sonderberichterstatter der MRK, vgl. UN-Dokument E/CN. 4/1994/7/Add. 1; S. 35, Abs. 9; AI. 14-Punkte-Programm Nr. 10.
  15. tageszeitung, 2.7.1993.
  16. Dies wird in den genannten Regelwerken zwar nicht ausdrücklich verlangt, folgt jedoch unmittelbar aus dem Postulat der Unparteilichkeit der Untersuchung.
  17. "geheim" 1993, Nr. 4, S. 13.
  18. ECOSOC-Prinzipien Nr. 15; der Sonderberichterstatter der MRK zu willkürlichen Tötungen, vgl. UN-Dokument E/CN. 4/1994/7/Add. 1, S. 35, Abs. 15; AI. 14-Punkte-Programm, Nr. 10.
  19. AI. 14-Punkte-Programm, Nr. 10.
  20. Frankfurter Rundschau 14.7.1993.
  21. WT 23.7.1993.
  22. Zwischenbericht des Bundesinnenminsters (17.8.1993), S. 98.
  23. ECOSOC-Prinzipien, Nr. 16; der Sonderberichterstatter der MRK zu willkürlichen Tötungen, vgl. UN-Dokument E/CN. 4/1994/7/Add. 1, S. 35, Abs. 16; AI. 14-Punkte-Programm, Nr. 11.
  24. Pressemitteilung des Anwalts der Eltern von Wolfgang Grams, Rechtsanwalt Andreas Groß, vom 29.10.1993; vgl. Angehörigen-Info Nr. 131 (4.11.1993), S. 7 f.
  25. Angehörigen-Info Nr. 135 (30.12.1993), S. S. 4.
  26. Vgl. Angehörigen-Info Nr. 135 (30.12.1993), S. 4 f.; Angehörigen-Info Nr. 137 (27.1.1994), S. 2.
  27. ECOSOC-Prinzipien, Nr. 16; der Sonderberichterstatter der MRK zu willkürlichen Tötungen, vgl. UN-Dokument E/CN. 4/1994/7/Add. 1, S. 35, Abs. 16.
  28. ECOSOC-Prinzipien, Nr. 17; der Sonderberichterstatter der MRK zu willkürlichen Tötungen, vgl. UN-Dokument E/CN. 4/1994/7/Add. 1, S. 35, Abs. 17; AI. 14-Punkte-Programm, Nr. 10.
  29. Danach macht sich strafbar, wer "die Anklageschrift oder andere amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens, ..., ganz oder in wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist."
  30. Empfehlung der UN-Generalversammlung vom 17.12.1991, Res. 46/113; Sonderberichterstatter: UN-Dokument E/CN. 4/1992/30, S. 173, Abs. 649 (a); AI. 14-Punkte-Programm, Nr. 13.
  31. Unabhängig vom Individualbeschwerdeverfahren ist es möglich, den UN-Menschenrechtsausschuß im Rahmen des Staatenberichtsverfahrens über die Polizeiaktion in Bad Kleinen zu informieren. Der Ausschuß dürfte den vierten Bericht der Bundesregierung zur Menschenrechtssituation in der BRD im Jahre 1995 in Anwesenheit einer Delegation der Bundesregierung prüfen und könnte dann die Delegation auf Grund ihm vorgelegter Informationen wegen des Todes von Wolfgang Grams zur Rede stellen. Auch der Sonderberichterstatter der MRK zu willkürlichen Tötungen könnte informiert werden. Dieser würde sich dann eventuell an die Bundesregierung mit der Aufforderung zur Stellungnahme wenden. Sowohl der UN-Menschenrechtsausschuß als auch der Sonderberichterstatter der MRK nehmen Informationen von jedem entgegen. In beiden Fällen werden jedoch keine eingehenden Untersuchungen durchgeführt.
  32. UN-Dokument E/CN. 4/1991/36, S. 149, Abs. 591.