Ulla Jelpke
Bundesjustizministerin
Leutheusser-Schnarrenberger und Bundesinnenminister Kanther bei der
Pressekonferenz zur Vorstellung des Abschlußberichts der Bundesregierung
An sich hatte die Bundesregierung den "Fall Bad Kleinen" schon zu den
Akten gelegt. Bundesinnenminister Kanther hatte in einem Schlußbericht der
Bundesregierung vom 3.3.1994 die staatsoffizielle Version dekretiert. Danach
wurde das RAF-Mitglied Wolfgang Grams nicht von Beamten der GSG 9 durch einen
Nahschuß in hinrichtungsähnlicher Weise erschossen, sondern er habe
sich den tödlichen Kopfschuß selber zugefügt. Der
Bundesinnenminister kam zu diesem Ergebnis, nachdem die BKA-Beamten bei den
Ermittlungen in zig Fällen wichtige Spuren zerstört hatten und willige
Gutachter in Münster und Zürich nach vor allem zähen und äußerst
langwierigen dubiosen wissenschaftlichen Untersuchungen eine "Fremdverschuldung"
am Tod von Wolfgang Grams weitgehend ausgeschlossen hatten. Ein gutes halbes
Jahr hatte man sich Zeit gelassen, damit sich die We!len der Ereignisse von Bad
Kleinen beruhigten und ausreichend Beweismittel zerstört oder gar beseitigt
werden konnten.
Parlamentarisch, politisch und juristisch sollte ein Schlußstrich
mit allen Mitteln gezogen werden. Von der von Kanther versprochenen Aufklärung
"ohne wenn und aber" blieb nichts über. Die Ereignisse in Bad
Kleinen sind indes heute nach wie vor so ungeklärt, wie unmittelbar nach
dem Schußwechsel. Die verordnete Wahrheit des Bundesinnenministeriums wird
nun durch ein von den Rechtsanwälten der Eltern Wolfgang Grams in Auftrag
gegebenes Gutachten erneut in Zweifel gezogen. Die Rechtsanwälte Andreas
Groß und Thomas Kieseritzky begründeten u.a. hierauf ihre
Beschwerdebegründung gegen die Einstellung des Todesermittlungsverfahrens
zum Nachteil Wolfgang Grams bei der Staatsanwaltschaft Schwerin.
Jedoch ist
es der Bundesregierung im Lauf des letzten Jahres gelungen, die öffentliche
Diskussion über die Ereignisse in Bad Kleinen völlig in ihrem Sinne zu
bestimmen und zu entscheiden. Die GSG 9-Beamten sind fast gänzlich
rehabilitiert. Heute, nachdem alle Beweismittel entsprechend präpariert
worden sind, kann bestenfalls noch angezweifelt werden, ob Grams Selbstmord
begangen hat.
In der Innenausschußsitzung des Deutschen Bundestages vom 18. August
1993 beklagte der FDP-Abgeordnete Lüder folgendes: "Wir haben jetzt -
das finde ich ganz besonders schlimm für die Informationsarbeit der
Regierung - eine neue Positionierung der Leiche (des Wolfgang Grams). In jedem
Bericht hat die Leiche eine andere Position. Wie erklärt sich das
eigentlich?" Diese Äußerung quittierte der CDU-Abgeordnete
Johannes Gerster mit dem Zwischenruf: "Die Gleise haben sich verschoben!"Dieser
Zwischenruf ist äußerst bemerkenswert. Nicht wegen des Zynismus, der
hier zum Ausdruck kommt, sondern wegen des ungewollten Verweises auf die Kräfte,
die hier am walten sind. In der Tat: Nichts kann anschaulicher beschreiben, wie
hier die Wahrheit verbogen worden ist.
Man muß sich heute schon fast wieder in Erinnerung rufen: Die tödlichen
Schüsse von Bad Kleinen haben den Staatsapparat der Bundesrepublik in seine
schwerste Krise seit langem gestürzt, wenn auch nur für eine kurze
Zeit. Der Bundesinnenminister und der Generalbundesanwalt mußten gehen.
Der Vizepräsident des BKA und weitere höhere BKA-Beamte und Beamte im
Bundesministerium des Innern wurden versetzt oder in den Ruhestand geschickt.
Nach Bad Kleinen mußte sich der Staatsapparat nachsagen lassen, daß
Polizeibeamte einen schwerverletzten Menschen durch einen aufgesetzten Kopfschuß
regelrecht hingerichtet hatten. Ein Tatbestand, der in breiten Teilen der Öffentlichkeit
und in der liberalen Presse Assoziationen an Bananenrepubliken und anderen
Diktaturen hervorriefen.
Verschlimmert für die Herrschenden wurde die
Situation dadurch, daß sich in den folgenden Tagen der Eindruck in der Bevölkerung
festsetzte, daß hier nicht nur ein wehrloser Mensch von Polizeibeamten
eiskalt getötet worden ist, sondern das dieser Mord zudem noch von den höchsten
Stellen gedeckt worden ist. Sei es dadurch, daß das BKA und die
Bundesanwaltschaft die parlamentarischen Gremien und die Öffentlichkeit
bewußt belogen, oder durch eine Politik der Geheimhaltung eine Aufklärung
unmöglich machte. Und die Öffentlichkeit erkannte, daß in diesem
Vertuschen und Verdunkeln der genauen Umstände der tödlichen Schüsse
auch ein gewisses unausgesprochenes Einverständnis zwischen Staatsorganen
und polizeilichen Todesschützen bestand und natürlich immer noch
besteht. Staatliche Stelle verhielten sich entweder selber wie ertappte Täter.
Oder wie der Besuch des Bundeskanzlers bei der GSG 9 wenige Tage nach Bad
Kleinen zeigte: Es gab auch einen offensiven Umgang mit den tödlichen Schüssen.
Des Kanzlers demonstrative Freisprechung der GSG 9 weist starke Ähnlichkeiten
mit der Politik Görings gegenüber der preußischen und später
der Polizei des faschistischen Staates auf. Der hatte seinen Bullen zugesichert:
"Denkt daran: Wenn ihr schießt, dann schieße ich." Er übernahm
damit die Verantwortung für einen hemmungslosen Schußwaffengebrauch.
Die Strategen der Inneren Sicherheit steckten in einer tiefen Vertrauenskrise.
Unmittelbar nach den tödliche Schüssen wagte es niemand von ihnen zu
behaupten, daß Wolfgang Grams in den Gleisanlagen von Bad Kleinen einen
Suizid begangen haben soll. Vorsichtig sprach man in den ersten Verlautbarungen
davon, daß Wolfgang Grams durch eine Schußverletzung umgekommen sei.
Eine Formulierung, die zumindest alle Möglichkeiten offen läßt,
oder besser, die keine ausschließt.
Heute muß daran erinnert,
werden, daß die Staatsanwaltschaft Schwerin Anfang Juli 1993 ausschloß,
"daß Grams Selbstmord begangen habe". 1
Fast
verblüffend ist es, wenn man heute liest, daß der Präsident des
BKA, Zachert, noch auf einer Pressekonferenz am 6. Juli mitteilte, daß ein
GSG 9-Beamter ihm erklärt habe, daß er die Waffe Grams', die sich
unmittelbar nach dem Schußwechsel noch in dessen Reichweite befunden habe,
aufgehoben und auf den Bahnsteig gelegt hatte, um die - so der Beamte laut
Zachert - "immer noch bestehende Gefahr der Selbsttötung" zu
verhindern 2
Mit welcher Macht die Bundesregierung, Bundesinnenminister Kanther, das BKA
und die Geheimdienste gearbeitet haben, um die Gleise zu verbiegen, wird am "Abschlußbericht
der Bundesregierung zu der Polizeiaktion am 27. Juni 1993 in Bad
Kleinen/Mecklenburg-Vorpommern" deutlich.
Dieser wurde von der
Bundesregierung am 9.3.1994 der Öffentlichkeit vorgelegt. Wesentliche
Ergebnisse dieses Berichtes der Bundesregierung sind:
Was die Bundesregierung hier als völlig gesicherte Erkenntnis
ausgibt, liest sich in den Quellen, auf die sie ihren Bericht stützt,
durchaus vager.
Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes der
Stadtpolizei und des Insituts für Rechtsmedizin Zürich kommt unter
anderem zu dem Ergebnis: "Aufgrund der Blutspuren und der spärlichsten
biologischen Rückstände an der Jacke des BGS-Beamten Nr. 6 wird eine
direkte Fremdbeibringung der Nahschußverletzung durch diesen Beamten
(exekutionsähnliche Handlung) für praktisch ausgeschlossen gehalten.
Es gibt somit keine neuen Erkenntnisse, die zwingend gegen eine
Selbstbeibringung des Nahschusses durch Grams sprechen würden".
Das Institut in seinem Gefälligkeitsgutachten für das BKA weiter: "Bei
allen Schüssen - außer dem Kopfschuß - müsse die Schußentfernung
mindestens 1,5 m und mehr betragen haben." Aber so die Gutachter weiter: "Eine
verläßliche Schußentfernungsbestimmung aufgrund des
Schmauchbildes an der Kleidung sei nicht möglich gewesen, da sich alle an
dem Schußwechsel Beteiligten in einer Schmauchwolke befunden hätten."
Und genauso vage ist das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der
Universität Münster vom 19. September 1993 in seiner Beurteilung der
untersuchten Jacke des GSG 9-Beamten Nr. 6: "Aufgrund der an der Jacke des
Beamten Nr. 6 festgestellten Blutspuren sei es außerordentlich
unwahrscheinlich, daß diese Jacke vor der Untersuchung einer Reinigung
unterzogen wurde."
Diesen Unsicherheiten zum Trotz sicher ist eines:
Die Jacke ist nun weg, geklaut aus dem Schrank des Instituts für
Rechtsmedizin in Zürich.
Die Bilanz dieses Abschlußberichtes kann
man so zusammenfassen: Heute läßt sich nichts mehr beweisen. Vor
allem läßt sich nicht mehr beweisen, daß GSG 9-Beamte oder
andere Polizeibeamte Wolfgang Grams durch einen Nahschuß ermordet haben.
Deswegen - so die Bundesregierung - spreche nichts mehr zwingend gegen einen
Suizid.
Um zu einem derartigen Ergebnis zu kommen, waren nahezu dreißig
gravierende Pannen bei der Spurensicherung durch das BKA nötig. Nachdem die
Top-Ermittler des technisch hochgerüsteten BKAs bei der Tatortarbeit und
bei der Spurensicherung durch eine Serie von Fehlern im "handwerklichen
Bereich" - wie das von Kanther genannt wird -, zur Vernichtung wichtiger
Spuren und Beweise beitrugen, war die Grundlage für die Entlastung der GSG
9 und des BKAs gelegt.
Erst nachdem unter anderem
war die unbewiesene Behauptung von einer Selbsttötung Wolfgang Grams möglich.
Nötig war dafür, eine Politik der Geheimhaltung des langjährigen
Vorlaufs und des eigentlichen Ablaufs und Ziels der "Operation Weinlese".
Hierüber wurde weder der Innenausschuß noch die Parlamentarische
Kontrollkommission unterrichtet. Dies obwohl der V-Mann durch den Einsatz in Bad
Kleinen "verbrannt" war, wie dies im Geheimdienst-Jargon heißt,
und damit überhaupt keine Veranlassung zur Geheimhaltung mehr bestanden
hat. Es sei denn: Der Staatsapparat will sich selber schützen. Und dafür
besteht offenbar aller Grund. So wurde immer noch in der Sitzung der
Parlamentarische Kontrollkommission vom 2.3.1994 total gemauert, was selbst zum
Protest des CDU-Abgeordneten Gerster führte.
Bis heute ist nicht klar,
welche Dienste seit wann mit dem V-Mann Klaus Steinmetz zusammengearbeitet
hatten, bzw. mit seinen Informationen gearbeitet haben. Es gibt ernst zu
nehmende Hinweise, daß neben dem Landesamt für Verfassungsschutz
Rheinland-Pfalz auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und der
Bundesnachrichtendienst den V-Mann Steinmetz an der Leine hatten.
Nötig
war dafür aber auch eine parteiliche Ermittlungsarbeit, die von vornherein
die Zeugin Baron als unglaubwürdig darstellte. Im Abschlußbericht heißt
es zur Zeugin Baron: Es "bestehe die Vermutung", daß sie ihre "bruchstückhaften
Wahrnehmungen mit Überlegungen und Mutmaßungen vermengt habe".
Hingegen werden die Aussagen der GSG 9-Beamten, die immerhin unter des Verdachts
des Mordes stehen, äußerst wohlwollend bewertet. Zu ihnen heißt
es im Abschlußbericht: Trotz "teils widersprüchliche(r), teils
dem festgestellten Geschehensablauf nicht entsprechende(r) Angaben", trotz "unzutreffender
Angaben" der Beamten, wird ihnen "Aufrichtigkeit" und die "Ernsthaftigkeit
ihres Bemühens um die Aufklärung der genauen Abläufe"
attestiert. So die Erklärung des Hauspsycholgen der GSG 9, die die
Bundesregierung der Einfachheit halber so ohne Gegengutachten in ihrem Bericht übernimmt.
Die Bundesregierung gibt aber auch im Abschlußbericht völlig unbekümmert
und enthüllend zu: Schließlich liege es "auf der Hand, daß
sich das Erkenntnisbild eines jeden Beamten - u.a. auch durch Abgleich der
Erfahrungen aus den Vernehmungen sowie Gesprächen im Kollegenkreis über
die Vernehmungen fortentwickelte". Mit Recht notiert die taz zu
dieser Passage, daß es sich hier um eine Zeugenbeschreibung handelt, die
jeden Amtsrichter erschaudern läßt".4
Aber das sich die Aussagen der GSG 9-Beamten, und auch der
Ministerialbeamten, "fortentwickelten", das ist sicher richtig. Schließlich
stand man unmittelbar nach den Ereignissen von Bad Kleinen vor dem Problem, daß
eine beträchtliche Zahl unbeteiligter Reisender als Zeugen in Frage kamen.
Erst im Laufe der Ermittlungsarbeit ließ sich also mit Bestimmtheit sagen,
was diese Zeugen gesehen hatten.
Für die Polizeizeugen ergab sich
daraus, daß sie sich in ihren Aussagen völlig unbestimmt hielten.
Eine präzise Festlegung sollte offenbar unterbleiben. Wir haben die
interessante Situation, daß trotz eines Schußwechsels von 8 bis 15
Sekunden Länge, kein Beamter gesehen haben will, wie Wolfgang Grams ums
Leben kam. Das heißt, alle Beamten haben just in diesem Moment, dem sie
zwei Tage lang entgegenfieberten und auf den sie all ihr Augenmerk
konzentrierten, weggeschaut. Wie auf stummen Befehl hin, schauten alle
Polizisten bei Beginn der Schießerei in eine andere Richtung. Das wollte
und will man uns allen Ernstes glauben machen.
Ein weiteres Beispiel für
diese parteiliche Ermittlungsarbeit: Nachdem zwei BKA-Beamte bei der Obduktion
das Gesicht und die Hand von Grams reinigen ließen, wurden sie und der
Arzt, der die Reinigung durchgeführt hatte, darüber befragt, wieviel
Blut sich an der Hand von Grams befunden habe. Der Arzt sagte aus, daß
sich an der Innen- als auch an der Außenseite der Hand zum Teil erhebliche
Blutanhaftungen als auch Ölschmiere befunden hatte. Die BKA-Beamten sagten
aus, daß die Finger nur unwesentlich verschmutzt waren. Die Aussage des
Arztes wird bei den weiteren Ermittlungen nicht berücksichtigt; sie taucht
auch nicht im Zwischen- oder im Abschlußbericht der Bundesregierung auf.
Ähnlich sah es bei der Unterrichtung der Parlamentarischen Gremien des
Bundestages aus. Mit vorgeschoben Argumenten einer angeblich notwendigen
Geheimhaltungspolitik und Übermittlungsfehlern wurde eine Unterrichtung
verhindert und die parlamentarische Kontrolle ausgeschaltet. Systematisch wurde
eine Politik der Desinformation betrieben.
Schaut man sich heute die erste
Unterrichtung des Innenausschusses durch das BKA, den Generalbundesanwalt und
das BMI an, dann erkennt man auch hier diese Methode, die darauf abzielt, eine
genaue Festlegung zu vermeiden. Aus diesen Berichten erfuhr man weder etwas über
die Einsatzstärke der Polizeikräfte, noch darüber wieviele Schüsse
abgegeben worden sind, weder über die Tatortarbeit und Spurensicherung,
weder über die Ergebnisse der Obduktion von Wolfgang Grams und dem getöteten
Polizeibeamten Michael Newrzella, noch über die Aussage der Zeugin Baron.
Erst recht nicht über den genauen Ablauf des Schußwechsels. Wenn auch
der unterrichtende Polizeiführer Hofmeyer sonst nichts wußte, einst
wußte er genau - ich zitiere: "Wir haben von der GSG 9 her keine
Darstellung, keinen Verlaufsbericht. Da laufen ja auch die üblichen
Todesermittlungsverfahren. Hier gab es dann einen Schußwechsel. Ich weiß
nicht, wie nahe man dran war oder wie weit weg. Dabei lag letztlich Herr Grams
tot auf den Gleisen. Das ist die Situation." Soweit der BKA-Beamte
Hofmeyer, der den Einsatz in Bad Kleinen von Wiesbaden aus geleitet hatte. Man
sieht aber deutlich an seiner Aussage: Ihm ist völlig klar, daß er
vor allem über die Schußentfernung nichts verbindliches sagen darf.
In der weiteren Unterrichtung wurde im wesentlichen nur noch das bestätigt,
was die Presse ohnehin schon aufgedeckt hatte. Ich würde aber behaupten, daß
mit jeder weiteren Berichterstattung von der tatsächlichen Wahrheit abgerückt
worden ist. Gab es in der ersten Unterrichtung noch eine gewisse Offenheit, was
den Ablauf der Ereignisse anging, so war man später in der Lage, nach Abschätzung
des allgemeinen Kenntnisstandes aus den Zeugenvernehmungen sich auf eine Version
festzulegen.
Wenn man heute die Ergebnisse der Berichte zusammenträgt, die die
Bundesanwaltschaft, das BKA, das BMI und andere Vertreter von Sicherheitsbehörden
im Innenausschuß abgegeben haben, dann muß man zusammenfassen: Hier
ist nichts, aber auch rein gar nichts, an Fakten vorgetragen worden, die zur
Aufklärung hätten beitragen können. Stattdessen wurde gelogen,
stattdessen wurden Rückzugsgefechte geführt. In der Diskussion beschäftigte
man sich im wesentlichen mit Koordinations- und Kommunikationsproblemen der
Sicherheitsbehörden. Präsentiert wurden gegeneinander arbeitende
Institutionen, nicht oder zu spät informierte Verantwortliche auf allen
Etagen. Als Konsequenz nahegelegt werden weitere Zentra- lisierungen und
Vereinheitlichung der Sicherheitsbehörden. Zusammenschluß von GSG 9
und Länder-SEKs zu einer Art Schwarzen Reichswehr unter einheitlicher Führung
und Ausbau der geheimdienstlichen Befugnisse der Polizeien und ihrer Ermittler.
Es war von daher auch kein Wunder, daß im Bundestag ein von Bündnis
90/Die Grünen geforderter Parlamentarischer Untersuchungsausschuß
abgelehnt worden ist. Stattdessen beauftragte das Parlament mit den Stimmen der
Regierungsparteien und der SPD die Regierung selber, die Vorgänge in Bad
Kleinen zu untersuchen, und einen Bericht vorzulegen.
Der vorgelegte Abschlußbericht
der Bundesregierung soll denn auch einzig und allein dazu dienen, die GSG 9 und
das BKA freizusprechen. Durch die quälend langen Untersuchungen vor allem
des Wissenschaftlichen Dienstes in Zürich, und gezielt ausgestreuten
Teilergebnissen, die alle samt die GSG 9-Beamten entlasteten, wurde die Öffentlichkeit,
an das zu erwartende Ergebnis gewöhnt. Auch im Innenausschuß ist nach
der Vorlage des Berichts kein Widerspruch aus der SPD und FDP mehr laut
geworden. Auch der Abgeordnete Lüder hat sich damit abgefunden, daß
die Lage von Wolfgang Grams in dem Gleis wieder eine andere ist.
Und vor dem
Hintergrund dieser Stimmung im Innenausschuß verlangte der BKA-Präsident
Zachert als einen Akt der Fürsorge, daß auch er persönlich vom
BMI entlastet werde.
Die politische Krise von Bad Kleinen hat die Bundesregierung ein
Dreivierteljahr später so gemeistert:
Nachdem die Bundesregierung im März diesen Jahres ihren Abschlußbericht
vorgelegt hatte, hatte die PDS/Linke Liste im Bundestag eine Kleine Anfrage mit
87 Einzelfragen vorgelegt. Die Fragen bezogen sich vor allem
Nachdem die Bundesregierung eine Beantwortung um mehrere Wochen hinausgezögert hatte - in der Absicht die Beschwerdebegründung der Rechtsanwälte der Eltern von Wolfgang Grams gegen die Einstellung der Ermittlungsverfahren gegen die GSG 9-Beamten abzuwarten - legte sie im wesentlichen eine "Nullantwort" vor.
Trotz dieser laufenden Ermittlungen hatte sich die Bundesregierung natürlich
nicht gescheut ihren Abschlußbericht vorzulegen und vor dem Ende der
Ermittlungen die GSG 9-Beamten von dem hinreichenden Verdacht der Tötung
Wolfgang Grams freizusprechen.
Das neue rechtsmedizinische Gutachten von Prof. Dr. Bonte und die
Beschwerdebegründung der Rechtsanwälte der Eltern von Wolfgang Grams
begründen erneut die dringende Notwendigkeit eines Parlamentarischen
Untersuchungsausschusses zu den tödlichen Schüssen in Bad Kleinen. Die
demokratische Öffentlichkeit darf sich mit der Vertuschungstaktik der
Bundesregierung nicht abfinden.