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Wed Dec  4 17:38:04 1996
 

Trotz aller staatlichen Vertuschungsversuche

Der Mordvorwurf gegen die GSG 9-Beamten bleibt


Ulla Jelpke


Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger und Bundesinnenminister Kanther bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Abschlußberichts der Bundesregierung


An sich hatte die Bundesregierung den "Fall Bad Kleinen" schon zu den Akten gelegt. Bundesinnenminister Kanther hatte in einem Schlußbericht der Bundesregierung vom 3.3.1994 die staatsoffizielle Version dekretiert. Danach wurde das RAF-Mitglied Wolfgang Grams nicht von Beamten der GSG 9 durch einen Nahschuß in hinrichtungsähnlicher Weise erschossen, sondern er habe sich den tödlichen Kopfschuß selber zugefügt. Der Bundesinnenminister kam zu diesem Ergebnis, nachdem die BKA-Beamten bei den Ermittlungen in zig Fällen wichtige Spuren zerstört hatten und willige Gutachter in Münster und Zürich nach vor allem zähen und äußerst langwierigen dubiosen wissenschaftlichen Untersuchungen eine "Fremdverschuldung" am Tod von Wolfgang Grams weitgehend ausgeschlossen hatten. Ein gutes halbes Jahr hatte man sich Zeit gelassen, damit sich die We!len der Ereignisse von Bad Kleinen beruhigten und ausreichend Beweismittel zerstört oder gar beseitigt werden konnten.
Parlamentarisch, politisch und juristisch sollte ein Schlußstrich mit allen Mitteln gezogen werden. Von der von Kanther versprochenen Aufklärung "ohne wenn und aber" blieb nichts über. Die Ereignisse in Bad Kleinen sind indes heute nach wie vor so ungeklärt, wie unmittelbar nach dem Schußwechsel. Die verordnete Wahrheit des Bundesinnenministeriums wird nun durch ein von den Rechtsanwälten der Eltern Wolfgang Grams in Auftrag gegebenes Gutachten erneut in Zweifel gezogen. Die Rechtsanwälte Andreas Groß und Thomas Kieseritzky begründeten u.a. hierauf ihre Beschwerdebegründung gegen die Einstellung des Todesermittlungsverfahrens zum Nachteil Wolfgang Grams bei der Staatsanwaltschaft Schwerin.
Jedoch ist es der Bundesregierung im Lauf des letzten Jahres gelungen, die öffentliche Diskussion über die Ereignisse in Bad Kleinen völlig in ihrem Sinne zu bestimmen und zu entscheiden. Die GSG 9-Beamten sind fast gänzlich rehabilitiert. Heute, nachdem alle Beweismittel entsprechend präpariert worden sind, kann bestenfalls noch angezweifelt werden, ob Grams Selbstmord begangen hat.

Die parlamentarische Verarbeitung:
Die Bundesregierung hat den Deckel drauf

In der Innenausschußsitzung des Deutschen Bundestages vom 18. August 1993 beklagte der FDP-Abgeordnete Lüder folgendes: "Wir haben jetzt - das finde ich ganz besonders schlimm für die Informationsarbeit der Regierung - eine neue Positionierung der Leiche (des Wolfgang Grams). In jedem Bericht hat die Leiche eine andere Position. Wie erklärt sich das eigentlich?" Diese Äußerung quittierte der CDU-Abgeordnete Johannes Gerster mit dem Zwischenruf: "Die Gleise haben sich verschoben!"Dieser Zwischenruf ist äußerst bemerkenswert. Nicht wegen des Zynismus, der hier zum Ausdruck kommt, sondern wegen des ungewollten Verweises auf die Kräfte, die hier am walten sind. In der Tat: Nichts kann anschaulicher beschreiben, wie hier die Wahrheit verbogen worden ist.

Man muß sich heute schon fast wieder in Erinnerung rufen: Die tödlichen Schüsse von Bad Kleinen haben den Staatsapparat der Bundesrepublik in seine schwerste Krise seit langem gestürzt, wenn auch nur für eine kurze Zeit. Der Bundesinnenminister und der Generalbundesanwalt mußten gehen. Der Vizepräsident des BKA und weitere höhere BKA-Beamte und Beamte im Bundesministerium des Innern wurden versetzt oder in den Ruhestand geschickt.
Nach Bad Kleinen mußte sich der Staatsapparat nachsagen lassen, daß Polizeibeamte einen schwerverletzten Menschen durch einen aufgesetzten Kopfschuß regelrecht hingerichtet hatten. Ein Tatbestand, der in breiten Teilen der Öffentlichkeit und in der liberalen Presse Assoziationen an Bananenrepubliken und anderen Diktaturen hervorriefen.
Verschlimmert für die Herrschenden wurde die Situation dadurch, daß sich in den folgenden Tagen der Eindruck in der Bevölkerung festsetzte, daß hier nicht nur ein wehrloser Mensch von Polizeibeamten eiskalt getötet worden ist, sondern das dieser Mord zudem noch von den höchsten Stellen gedeckt worden ist. Sei es dadurch, daß das BKA und die Bundesanwaltschaft die parlamentarischen Gremien und die Öffentlichkeit bewußt belogen, oder durch eine Politik der Geheimhaltung eine Aufklärung unmöglich machte. Und die Öffentlichkeit erkannte, daß in diesem Vertuschen und Verdunkeln der genauen Umstände der tödlichen Schüsse auch ein gewisses unausgesprochenes Einverständnis zwischen Staatsorganen und polizeilichen Todesschützen bestand und natürlich immer noch besteht. Staatliche Stelle verhielten sich entweder selber wie ertappte Täter. Oder wie der Besuch des Bundeskanzlers bei der GSG 9 wenige Tage nach Bad Kleinen zeigte: Es gab auch einen offensiven Umgang mit den tödlichen Schüssen. Des Kanzlers demonstrative Freisprechung der GSG 9 weist starke Ähnlichkeiten mit der Politik Görings gegenüber der preußischen und später der Polizei des faschistischen Staates auf. Der hatte seinen Bullen zugesichert: "Denkt daran: Wenn ihr schießt, dann schieße ich." Er übernahm damit die Verantwortung für einen hemmungslosen Schußwaffengebrauch.
Die Strategen der Inneren Sicherheit steckten in einer tiefen Vertrauenskrise. Unmittelbar nach den tödliche Schüssen wagte es niemand von ihnen zu behaupten, daß Wolfgang Grams in den Gleisanlagen von Bad Kleinen einen Suizid begangen haben soll. Vorsichtig sprach man in den ersten Verlautbarungen davon, daß Wolfgang Grams durch eine Schußverletzung umgekommen sei. Eine Formulierung, die zumindest alle Möglichkeiten offen läßt, oder besser, die keine ausschließt.
Heute muß daran erinnert, werden, daß die Staatsanwaltschaft Schwerin Anfang Juli 1993 ausschloß, "daß Grams Selbstmord begangen habe". 1
Fast verblüffend ist es, wenn man heute liest, daß der Präsident des BKA, Zachert, noch auf einer Pressekonferenz am 6. Juli mitteilte, daß ein GSG 9-Beamter ihm erklärt habe, daß er die Waffe Grams', die sich unmittelbar nach dem Schußwechsel noch in dessen Reichweite befunden habe, aufgehoben und auf den Bahnsteig gelegt hatte, um die - so der Beamte laut Zachert - "immer noch bestehende Gefahr der Selbsttötung" zu verhindern 2

Mit welcher Macht die Bundesregierung, Bundesinnenminister Kanther, das BKA und die Geheimdienste gearbeitet haben, um die Gleise zu verbiegen, wird am "Abschlußbericht der Bundesregierung zu der Polizeiaktion am 27. Juni 1993 in Bad Kleinen/Mecklenburg-Vorpommern" deutlich.
Dieser wurde von der Bundesregierung am 9.3.1994 der Öffentlichkeit vorgelegt. Wesentliche Ergebnisse dieses Berichtes der Bundesregierung sind:

  1. Wolfgang Grams hat den Polizeibeamten Michael Newrzella erschossen.
  2. "Die Staatsanwaltschaft Schwerin hat nach sorgfältigen und gründlichen Ermittlungen festgestellt, daß Wolfgang Grams sich selbst getötet hat, daß keine Anhaltspunkte für eine Selbsttötung infolge eines Unfalls vorliegen und daß eine Fremdtötung ausgeschlossen werden kann. Damit ist von den am Einsatz in Bad Kleinen beteiligten Angehörigen der GSG 9 der öffentlich verbreitete, ungerechtfertigte und voreilige Mordvorwurf genommen worden. Es besteht kein Zweifel an der Einsatzbereitschaft und Integrität der GSG 9". 3


Was die Bundesregierung hier als völlig gesicherte Erkenntnis ausgibt, liest sich in den Quellen, auf die sie ihren Bericht stützt, durchaus vager.
Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei und des Insituts für Rechtsmedizin Zürich kommt unter anderem zu dem Ergebnis: "Aufgrund der Blutspuren und der spärlichsten biologischen Rückstände an der Jacke des BGS-Beamten Nr. 6 wird eine direkte Fremdbeibringung der Nahschußverletzung durch diesen Beamten (exekutionsähnliche Handlung) für praktisch ausgeschlossen gehalten. Es gibt somit keine neuen Erkenntnisse, die zwingend gegen eine Selbstbeibringung des Nahschusses durch Grams sprechen würden".
Das Institut in seinem Gefälligkeitsgutachten für das BKA weiter: "Bei allen Schüssen - außer dem Kopfschuß - müsse die Schußentfernung mindestens 1,5 m und mehr betragen haben." Aber so die Gutachter weiter: "Eine verläßliche Schußentfernungsbestimmung aufgrund des Schmauchbildes an der Kleidung sei nicht möglich gewesen, da sich alle an dem Schußwechsel Beteiligten in einer Schmauchwolke befunden hätten."

Und genauso vage ist das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Münster vom 19. September 1993 in seiner Beurteilung der untersuchten Jacke des GSG 9-Beamten Nr. 6: "Aufgrund der an der Jacke des Beamten Nr. 6 festgestellten Blutspuren sei es außerordentlich unwahrscheinlich, daß diese Jacke vor der Untersuchung einer Reinigung unterzogen wurde."
Diesen Unsicherheiten zum Trotz sicher ist eines: Die Jacke ist nun weg, geklaut aus dem Schrank des Instituts für Rechtsmedizin in Zürich.
Die Bilanz dieses Abschlußberichtes kann man so zusammenfassen: Heute läßt sich nichts mehr beweisen. Vor allem läßt sich nicht mehr beweisen, daß GSG 9-Beamte oder andere Polizeibeamte Wolfgang Grams durch einen Nahschuß ermordet haben. Deswegen - so die Bundesregierung - spreche nichts mehr zwingend gegen einen Suizid.
Um zu einem derartigen Ergebnis zu kommen, waren nahezu dreißig gravierende Pannen bei der Spurensicherung durch das BKA nötig. Nachdem die Top-Ermittler des technisch hochgerüsteten BKAs bei der Tatortarbeit und bei der Spurensicherung durch eine Serie von Fehlern im "handwerklichen Bereich" - wie das von Kanther genannt wird -, zur Vernichtung wichtiger Spuren und Beweise beitrugen, war die Grundlage für die Entlastung der GSG 9 und des BKAs gelegt.
Erst nachdem unter anderem

war die unbewiesene Behauptung von einer Selbsttötung Wolfgang Grams möglich.

Nötig war dafür, eine Politik der Geheimhaltung des langjährigen Vorlaufs und des eigentlichen Ablaufs und Ziels der "Operation Weinlese". Hierüber wurde weder der Innenausschuß noch die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichtet. Dies obwohl der V-Mann durch den Einsatz in Bad Kleinen "verbrannt" war, wie dies im Geheimdienst-Jargon heißt, und damit überhaupt keine Veranlassung zur Geheimhaltung mehr bestanden hat. Es sei denn: Der Staatsapparat will sich selber schützen. Und dafür besteht offenbar aller Grund. So wurde immer noch in der Sitzung der Parlamentarische Kontrollkommission vom 2.3.1994 total gemauert, was selbst zum Protest des CDU-Abgeordneten Gerster führte.
Bis heute ist nicht klar, welche Dienste seit wann mit dem V-Mann Klaus Steinmetz zusammengearbeitet hatten, bzw. mit seinen Informationen gearbeitet haben. Es gibt ernst zu nehmende Hinweise, daß neben dem Landesamt für Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst den V-Mann Steinmetz an der Leine hatten.
Nötig war dafür aber auch eine parteiliche Ermittlungsarbeit, die von vornherein die Zeugin Baron als unglaubwürdig darstellte. Im Abschlußbericht heißt es zur Zeugin Baron: Es "bestehe die Vermutung", daß sie ihre "bruchstückhaften Wahrnehmungen mit Überlegungen und Mutmaßungen vermengt habe".
Hingegen werden die Aussagen der GSG 9-Beamten, die immerhin unter des Verdachts des Mordes stehen, äußerst wohlwollend bewertet. Zu ihnen heißt es im Abschlußbericht: Trotz "teils widersprüchliche(r), teils dem festgestellten Geschehensablauf nicht entsprechende(r) Angaben", trotz "unzutreffender Angaben" der Beamten, wird ihnen "Aufrichtigkeit" und die "Ernsthaftigkeit ihres Bemühens um die Aufklärung der genauen Abläufe" attestiert. So die Erklärung des Hauspsycholgen der GSG 9, die die Bundesregierung der Einfachheit halber so ohne Gegengutachten in ihrem Bericht übernimmt.
Die Bundesregierung gibt aber auch im Abschlußbericht völlig unbekümmert und enthüllend zu: Schließlich liege es "auf der Hand, daß sich das Erkenntnisbild eines jeden Beamten - u.a. auch durch Abgleich der Erfahrungen aus den Vernehmungen sowie Gesprächen im Kollegenkreis über die Vernehmungen fortentwickelte". Mit Recht notiert die taz zu dieser Passage, daß es sich hier um eine Zeugenbeschreibung handelt, die jeden Amtsrichter erschaudern läßt".4
Aber das sich die Aussagen der GSG 9-Beamten, und auch der Ministerialbeamten, "fortentwickelten", das ist sicher richtig. Schließlich stand man unmittelbar nach den Ereignissen von Bad Kleinen vor dem Problem, daß eine beträchtliche Zahl unbeteiligter Reisender als Zeugen in Frage kamen. Erst im Laufe der Ermittlungsarbeit ließ sich also mit Bestimmtheit sagen, was diese Zeugen gesehen hatten.
Für die Polizeizeugen ergab sich daraus, daß sie sich in ihren Aussagen völlig unbestimmt hielten. Eine präzise Festlegung sollte offenbar unterbleiben. Wir haben die interessante Situation, daß trotz eines Schußwechsels von 8 bis 15 Sekunden Länge, kein Beamter gesehen haben will, wie Wolfgang Grams ums Leben kam. Das heißt, alle Beamten haben just in diesem Moment, dem sie zwei Tage lang entgegenfieberten und auf den sie all ihr Augenmerk konzentrierten, weggeschaut. Wie auf stummen Befehl hin, schauten alle Polizisten bei Beginn der Schießerei in eine andere Richtung. Das wollte und will man uns allen Ernstes glauben machen.
Ein weiteres Beispiel für diese parteiliche Ermittlungsarbeit: Nachdem zwei BKA-Beamte bei der Obduktion das Gesicht und die Hand von Grams reinigen ließen, wurden sie und der Arzt, der die Reinigung durchgeführt hatte, darüber befragt, wieviel Blut sich an der Hand von Grams befunden habe. Der Arzt sagte aus, daß sich an der Innen- als auch an der Außenseite der Hand zum Teil erhebliche Blutanhaftungen als auch Ölschmiere befunden hatte. Die BKA-Beamten sagten aus, daß die Finger nur unwesentlich verschmutzt waren. Die Aussage des Arztes wird bei den weiteren Ermittlungen nicht berücksichtigt; sie taucht auch nicht im Zwischen- oder im Abschlußbericht der Bundesregierung auf.
Ähnlich sah es bei der Unterrichtung der Parlamentarischen Gremien des Bundestages aus. Mit vorgeschoben Argumenten einer angeblich notwendigen Geheimhaltungspolitik und Übermittlungsfehlern wurde eine Unterrichtung verhindert und die parlamentarische Kontrolle ausgeschaltet. Systematisch wurde eine Politik der Desinformation betrieben.
Schaut man sich heute die erste Unterrichtung des Innenausschusses durch das BKA, den Generalbundesanwalt und das BMI an, dann erkennt man auch hier diese Methode, die darauf abzielt, eine genaue Festlegung zu vermeiden. Aus diesen Berichten erfuhr man weder etwas über die Einsatzstärke der Polizeikräfte, noch darüber wieviele Schüsse abgegeben worden sind, weder über die Tatortarbeit und Spurensicherung, weder über die Ergebnisse der Obduktion von Wolfgang Grams und dem getöteten Polizeibeamten Michael Newrzella, noch über die Aussage der Zeugin Baron. Erst recht nicht über den genauen Ablauf des Schußwechsels. Wenn auch der unterrichtende Polizeiführer Hofmeyer sonst nichts wußte, einst wußte er genau - ich zitiere: "Wir haben von der GSG 9 her keine Darstellung, keinen Verlaufsbericht. Da laufen ja auch die üblichen Todesermittlungsverfahren. Hier gab es dann einen Schußwechsel. Ich weiß nicht, wie nahe man dran war oder wie weit weg. Dabei lag letztlich Herr Grams tot auf den Gleisen. Das ist die Situation." Soweit der BKA-Beamte Hofmeyer, der den Einsatz in Bad Kleinen von Wiesbaden aus geleitet hatte. Man sieht aber deutlich an seiner Aussage: Ihm ist völlig klar, daß er vor allem über die Schußentfernung nichts verbindliches sagen darf.
In der weiteren Unterrichtung wurde im wesentlichen nur noch das bestätigt, was die Presse ohnehin schon aufgedeckt hatte. Ich würde aber behaupten, daß mit jeder weiteren Berichterstattung von der tatsächlichen Wahrheit abgerückt worden ist. Gab es in der ersten Unterrichtung noch eine gewisse Offenheit, was den Ablauf der Ereignisse anging, so war man später in der Lage, nach Abschätzung des allgemeinen Kenntnisstandes aus den Zeugenvernehmungen sich auf eine Version festzulegen.

Wenn man heute die Ergebnisse der Berichte zusammenträgt, die die Bundesanwaltschaft, das BKA, das BMI und andere Vertreter von Sicherheitsbehörden im Innenausschuß abgegeben haben, dann muß man zusammenfassen: Hier ist nichts, aber auch rein gar nichts, an Fakten vorgetragen worden, die zur Aufklärung hätten beitragen können. Stattdessen wurde gelogen, stattdessen wurden Rückzugsgefechte geführt. In der Diskussion beschäftigte man sich im wesentlichen mit Koordinations- und Kommunikationsproblemen der Sicherheitsbehörden. Präsentiert wurden gegeneinander arbeitende Institutionen, nicht oder zu spät informierte Verantwortliche auf allen Etagen. Als Konsequenz nahegelegt werden weitere Zentra- lisierungen und Vereinheitlichung der Sicherheitsbehörden. Zusammenschluß von GSG 9 und Länder-SEKs zu einer Art Schwarzen Reichswehr unter einheitlicher Führung und Ausbau der geheimdienstlichen Befugnisse der Polizeien und ihrer Ermittler.
Es war von daher auch kein Wunder, daß im Bundestag ein von Bündnis 90/Die Grünen geforderter Parlamentarischer Untersuchungsausschuß abgelehnt worden ist. Stattdessen beauftragte das Parlament mit den Stimmen der Regierungsparteien und der SPD die Regierung selber, die Vorgänge in Bad Kleinen zu untersuchen, und einen Bericht vorzulegen.
Der vorgelegte Abschlußbericht der Bundesregierung soll denn auch einzig und allein dazu dienen, die GSG 9 und das BKA freizusprechen. Durch die quälend langen Untersuchungen vor allem des Wissenschaftlichen Dienstes in Zürich, und gezielt ausgestreuten Teilergebnissen, die alle samt die GSG 9-Beamten entlasteten, wurde die Öffentlichkeit, an das zu erwartende Ergebnis gewöhnt. Auch im Innenausschuß ist nach der Vorlage des Berichts kein Widerspruch aus der SPD und FDP mehr laut geworden. Auch der Abgeordnete Lüder hat sich damit abgefunden, daß die Lage von Wolfgang Grams in dem Gleis wieder eine andere ist.
Und vor dem Hintergrund dieser Stimmung im Innenausschuß verlangte der BKA-Präsident Zachert als einen Akt der Fürsorge, daß auch er persönlich vom BMI entlastet werde.

Die politische Krise von Bad Kleinen hat die Bundesregierung ein Dreivierteljahr später so gemeistert:

Weitere offene Fragen

Nachdem die Bundesregierung im März diesen Jahres ihren Abschlußbericht vorgelegt hatte, hatte die PDS/Linke Liste im Bundestag eine Kleine Anfrage mit 87 Einzelfragen vorgelegt. Die Fragen bezogen sich vor allem

Nachdem die Bundesregierung eine Beantwortung um mehrere Wochen hinausgezögert hatte - in der Absicht die Beschwerdebegründung der Rechtsanwälte der Eltern von Wolfgang Grams gegen die Einstellung der Ermittlungsverfahren gegen die GSG 9-Beamten abzuwarten - legte sie im wesentlichen eine "Nullantwort" vor.


Trotz dieser laufenden Ermittlungen hatte sich die Bundesregierung natürlich nicht gescheut ihren Abschlußbericht vorzulegen und vor dem Ende der Ermittlungen die GSG 9-Beamten von dem hinreichenden Verdacht der Tötung Wolfgang Grams freizusprechen.

Das neue rechtsmedizinische Gutachten von Prof. Dr. Bonte und die Beschwerdebegründung der Rechtsanwälte der Eltern von Wolfgang Grams begründen erneut die dringende Notwendigkeit eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu den tödlichen Schüssen in Bad Kleinen. Die demokratische Öffentlichkeit darf sich mit der Vertuschungstaktik der Bundesregierung nicht abfinden.




  1. Welt am Sonntag, 4.7.1993
  2. FAZ, 7.7.1993
  3. Abschlußbericht, S. 45
  4. a.a.O.