Rolf Gössner 1 *
Der erste Mensch der in der Auseinandersetzung zwischen bewaffneten Gruppen
und dem Staat ums Leben kam, wurde im Zuge einer Groß-Fahndungsaktion von
der Polizei erschossen: 3000 Polizeibeamte sperrten am Morgen des 15. Juli 1971
die wichtigsten Straßen in ganz Norddeutschland ab und führten
Verkehrskontrollen durch. Tausende von Fahrzeugen wurden kontrolliert. Es
handelte sich bei dieser Aktion unter dem Decknamen "Hecht" um die bis
dahin größte Fahndung nach Mitgliedern der
Baader-Meinhof-Ensslin-Gruppe. Als in Hamburg ein BMW eine der 15 Polizeisperren
durchbrochen hatte, wurde das Flucht-Fahrzeug von Polizeiwagen verfolgt und
gestellt. Die Fahrerin und der Beifahrer flohen zu Fuß weiter, wobei sie
angeblich, so die Polizei, geschossen haben sollen, ohne allerdings jemanden zu
verletzen. Über 80 Polizeibeamte wurden aufgeboten. Zunächst konnte
der Beifahrer von Polizeikräften umzingelt und festgenommen werden: Es
handelte sich um Werner Hoppe. Die fliehende Fahrerin, die nach Polizeiangaben
die Pistole gezogen und geschossen haben soll, wurde von einem Polizisten
erschossen: Es handelte sich um die zwanzigjährige Petra Schelm, die durch
einen Kopfschuß getötet wurde. Zunächst war angenommen worden,
es handele sich um Ulrike Meinhof. 2 * Ein Ermittlungsverfahren gegen
den Todesschützen wurde schon wenig später eingestellt: Der Polizist
habe aus "Notwehr" gehandelt. Der überlebende Werner Hoppe
dagegen wurde in einem fragwürdigen Strafverfahren wegen dreifachen
Totschlagversuchs zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt3 *, obwohl
er nicht einen einzigen Menschen auch nur verletzt hat. Das Urteil stützt
sich auf widersprüchliche Aussagen der beteiligten Polizeibeamten, die
ihrerseits den Tod Petra Schelms verursacht hatten. Hoppes Verteidiger Heinrich
Hannover brachte diese unterschiedliche Behandlung bei Tötungsdelikten in
seinem Schlußplädoyer4 * auf den Begriff:
"Wer
einen anderen Menschen im Interesse der herrschenden Klasse tötet, bleibt
straffrei; wer tötet, ohne daß dies im Interesse der herrschenden
Klasse geschieht, ist kriminell und hart zu bestrafen." Und der ehemalige
Bundesinnenminister Fried-rich Zimmermann (CSU) bestätigt 15 Jahre später
diese Erkenntnis auf seine Weise: Anläßlich der Erschießung
zweier Polizeibeamter während einer Demonstration gegen die Startbahn-West
bei Frankfurt im November 1987 erklärt er kurzerhand den "Mord an
Polizisten" zum "schlimmsten aller Morde".5 * Diese
Wertmaßstäbe ziehen sich durch die gesamte Geschichte der staatlichen
"Terrorismusbekämpfung" und ihrer gerichtlichen Nachbereitung.
Nach dem lange nachwirkenden Trauma der ebenfalls ungesühnt gebliebenen
polizeilichen Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg im Jahre 19676 *
hat nun dieser neue polizeiliche Todesschuß, dem Petra Schelm 1971 zum
Opfer fiel, ebenfalls stark prägende Auswirkungen auf die weitere
Entwicklung der politischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik
gezeitigt: "Damit war zum erstenmal ein Wildwest-Muster aufgetaucht - von
den 'Anarchisten' wurde angenommen oder behauptet, daß sie rücksichtslos
von der Schußwaffe Gebrauch machten, was entsprechende Präventivschläge
von Polizeibeamten begünstigte und zugleich rechtfertigte oder aber die
Rechtsfigur der Putativnotwehr zumindest entschuldigte. Dies wiederum mußte
die Bereitschaft der Gruppenmitglieder erhöhen, bei Polizeikontakten in der
Tat sofort zu schießen", notierte der Kriminologe und
Sozialwissenschaftler Sebastian Scheerer.7 *
Im Zusammenhang mit diesem ersten Todesopfer eines polizeilich inszenierten "kurzen
Prozesses", als welcher dieses Ereignis auch in der Öffentlichkeit
registriert und kritisiert wurde, ist auf den viel zitierten Satz von Ulrike
Meinhof einzugehen, dessen Authentizität allerdings bestritten wird:8 *
"... und natürlich kann (auf Bullen) geschossen werden" (1970),
ein Satz, der immer wieder als Rechtfertigung für polizeiliches Vorgehen, für
polizeiliche Todesschüsse herangezogen wurde. Andererseits wird aber aus
der authentischen RAF-Schrift "Das Konzept Stadtguerilla"9 *,
die bereits ab April 1971 zirkulierte, deutlich, daß RAF-Mitglieder nach
ihrem eigenen Selbstverständnis eben "nicht 'rücksichtslos' von
der Schußwaffe Gebrauch" machen, daß sie bislang in
Festnahmesituationen entweder überhaupt nicht oder aber nicht gezielt
geschossen hätten, während die Polizei jedesmal zuerst und gezielte
Schüsse abgegeben habe. Diese grundsätzliche Einstellung kann auch aus
folgenden Formulierungen derselben RAF-Schrift abgelesen werden, die eher "die
restriktive Anwendung revolutionärer Gewalt in Situationen der Notwehr oder
Nothilfe" nahelegen (Scheerer):10 * "Stadtguerilla ist
bewaffneter Kampf, insofern es die Polizei ist, die rücksichtslos von der
Schußwaffe Gebrauch macht..."; "Wir schießen, wenn auf uns
geschossen wird. Den Bullen, der uns laufen läßt, lassen wir auch
laufen". Zur Verhältnismäßigkeit der polizeilichen Aktionen
im Rahmen von "Terrorismus"-Großfahndungen heißt es
weiter: "Es ist richtig, wenn behauptet wird, mit dem immensen
Fahndungsaufwand gegen uns sei die ganze sozialistische Linke in der
Bundesrepublik gemeint. Weder das bißchen Geld, das wir geklaut haben
sollen, noch die paar Auto- und Dokumentendiebstähle, derentwegen gegen uns
ermittelt wird, auch nicht der Mordversuch, den man uns anzuhängen
versucht, rechtfertigen für sich den Tanz. Der Schreck ist den Herrschenden
in die Knochen gefahren..."
Grenzgänger des Rechtsstaates in der
etablierten Politik haben in den frühen siebziger Jahren diesen "Schreck"
zum Anlaß genommen, die sich abzeichnende "Eskalation der Gewalt"
u.a. mittels Fahndungsdruck und Propaganda fleißig zu schüren: "Wer
den Rechtsstaat zuverlässig schützen will," so ließ etwa
der ehemalige SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt verlauten,11 * "der
muß auch bereit sein, bis an die Grenze dessen zu gehen, was vom
Rechtsstaat erlaubt und geboten ist". Und der ehemalige
FDP-Bundesinnenminister Werner Maihofer präzisierte: "Im Kampf gegen
den Terrorismus müssen wir bis an die äußerste Grenze unseres
freiheitlichen Rechtsstaates gehen. Das sind wir der Sicherheit unserer Bürger
schuldig."12 * Oder meinte er nicht eher der "Staatsräson"?
Rund die Hälfte aller Toten im bewaffneten Konflikt zwischen
bundesdeutscher Staatsgewalt und Stadtguerilla der siebziger Jahre gab es im
Zusammenhang mit polizeilichen Fahndungs- und Festnahmeaktionen. Die tödliche
Bilanz der Jahre 1971 bis 1980:13 *
Als erste traf es, wie bereits
erwähnt, Petra Schelm, die am 15. Juli 1971 in Hamburg im Zuge der bis
dahin größten Fahndung nach Mitgliedern der
Baader-Meinhof-Ensslin-Gruppe von einem Polizisten durch Kopfschuß getötet
wurde.
Von (mutmaßlichen) Mitgliedern bewaffneter Gruppen wurden im
Zeitraum von Oktober 1971 bis Ende 1980 insgesamt 8 Polizeibeamte getötet,
5 davon im Zusammenhang mit Fahndungs- bzw. Festnahmesituationen:14 *
- Drei Monate nach dem ersten polizeilichen Todesschuß auf Petra Schelm
ist der 32jährige Polizeimeister Norbert Schmid am 22. Oktober 1971 gegen
halb zwei Uhr nachts bei der versuchten Festnahme einer Frau von einer
hinzueilenden Person aus nächster Nähe erschossen worden. Als Todesschütze
ist das damalige RAF-Mitglied Gerhard Müller wiedererkannt worden. Als späterer
"Kronzeuge" der Anklagebehörde gegen die RAF wird er dann
allerdings, in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft, von diesem Mord
freigesprochen und u.a. lediglich wegen Beihilfe zum Mord verurteilt; er wird
vorzeitig aus der Haft entlassen:15 * "Daß er nun nicht mehr
in seiner Zelle sitzt, ist das Resultat einer beispiellosen Manipulation des
Rechts. Wohl vor jedem deutschen Schwurgericht wäre Gerhard Müller
unter normalen Umständen die lebenslange Freiheitsstrafe sicher gewesen -
aufgrund seiner eigenen Aussagen. Doch es ging nicht mit rechten Dingen zu. Das
Lebenslang wurde ihm geschenkt: Es war der Kaufpreis, um seine Zunge zu lösen"
- so Der Spiegel im Mai 1979 zu diesem Handel.16 *
- Die
Namen weiterer Polizeibeamter, die in jenen Anfangsjahren in Fahndungs-,
Kontroll- bzw. Festnahme-Situationen erschossen wurden: Herbert Schoner (22.
Dezember 1971) während eines Banküberfalls in Kaiserslautern, Hans
Eckhardt (22. März 1972)17 * während einer vorbereiteten
Festnahme von RAF-Mitgliedern in einer Hamburger Wohnung (2. März 1972) und
der Polizeibeamte Pauli (9. Mai 1975) bei einer nächtlichen
Personenkontrolle in Köln; dabei ist auch einer der Kontrollierten (Werner
Sauber) von einem beteiligten Polizeibeamten erschossen, ein anderer (Karl-Heinz
Roth) lebensgefährlich verletzt worden18 * (s.dazu weiter unten).
Im selben Zeitraum von 1971 bis 1980 werden von Polizisten insgesamt 12
Personen erschossen, die wegen des Verdachts verfolgt wurden, Mitglieder oder
Unterstützer "Terroristischer Vereinigungen" zu sein19 *
- unter ihnen Georg von Rauch (1971), Thomas Weißbecker (1972), Werner
Sauber (1975), Willi Peter Stoll (1978), Michael Knoll (1978) und Elisabeth von
Dyck (1979).20 *
- Georg von Rauch wurde im Rahmen einer Groß-Fahndungsaktion
("Trabrennen") der Berliner Polizei im Anschluß an eine
Verfolgungsfahrt und während einer Personenkontrolle, die gemeinsam von
Polizei und Verfassungsschützern am 4. Dezember 1971 durchgeführt
worden sind, mit einem Polizeischuß durchs Auge getötet. Dies
geschah, als von Rauch bereits mit erhobenen Händen an einer Hauswand
gestanden hatte und nach Waffen durchsucht worden war. Dennoch: Das Verfahren
gegen den Polizeischützen in Zivil wird rasch wieder eingestellt: "Notwehr".21 *
- Thomas Weisbecker, der in Augsburg bereits von Polizei und "Verfassungsschutz"
observiert worden war, wird wenige Stunden, bevor der Polizist Hans Eckhardt am
2. März 1972 in Hamburg erschossen wird, von einem Polizisten auf offener
Straße durch einen Herzschuß getötet. Nach Angaben der Polizei
soll er versucht haben, seine Pistole zu ziehen; zudem habe er und seine
Begleiterin "den Verdacht der Flucht" erweckt, so daß "ein
sofortiger Zugriff geboten" war - so der Einstellungsbescheid22 *
der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Augsburg, mit dem das
Ermittlungsverfahren gegen den Polizeischützen eingestellt wird. Begründung:
"Notwehr".23 *
- Willy Peter Stoll wurde am 6. September
1978 in einem Düsseldorfer China-Restaurant von zwei Polizisten erschossen.
Das Verfahren gegen die Todesschützen wird ebenfalls eingestellt: "Notwehr".
Begründung: Die "allgemein bekannte Gefährlichkeit
terroristischer Gewalttäter" rechtfertige den Schußwaffengebrauch
- ein verräterisches Argument der Ermittlungsbehörden, das sehr
deutlich "gegen eine konkrete Notwehrsituation und für den generellen
Vorsatz spricht, Personen, nach denen als Mitglieder der RAF gefahndet wird, zu
töten".24 *
Offizielle Stellen und Politiker haben diesen
"Fahndungserfolg" gefeiert und den Todesschützen "dienstliche
Anerkennung" zuteil werden lassen.25 * Der böse Verdacht, daß
hier von seiten der Polizei längst die Strategie des "kurzen Prozesses"
eingeschlagen worden sei, die Vollstreckung der vom Grundgesetz für unzulässig
erklärten Todesstrafe gleich vor Ort erfolge, dieser Verdacht ließ
sich seit jenen Ereignissen für viele besorgte Menschen nicht mehr so
einfach von der Hand weisen. Am 9. Juni 1979 wurde der als "Terrorist"
verdächtigte Rolf Heissler in einem Haus in Frankfurt festgenommen, das
bereits zuvor von Polizeikräften eingehend observiert worden war. Heissler
wurde in seiner Wohnung von dort postierten Polizeibeamten erwartet. Beim
Betreten der Wohnung schoß ein Beamter Heissler in den Kopf - ohne
Vorwarnung und ohne, daß Heissler auch nur den Versuch unternommen hätte,
eine Waffe zu ziehen. Nur die Tatsache, daß er im Augenblick des Schusses
instinktiv seinen Kopf zur Seite bewegte, ließ ihn überleben. 26 *
Auch mindestens fünf völlig unbeteiligte Menschen fielen im
Zuge der "Terroristenfahndungen" in den siebziger Jahren Polizeikugeln
zum Opfer: Der in Stuttgart lebende Schotte Ian McLeod (1972) wurde bei einer
Hausdurchsuchung nach "Terroristen" in seiner Wohnung erschossen,
ebenfalls der Taxifahrer Günter Jendrian (1974) in München von einem
Beamten des "Mobilen Einsatzkommandos".27 * Bei
Verkehrskontrollen im Rahmen der Terroristenfahndung fanden der 17jährige
Lehrling Richard Epple in Tübingen (1972), der Schäfer Helmut
Schlaudraff bei Lahn-Wetzlar (1977) und der Schalltechniker Manfred Perder auf
der Autobahn bei Neuss (1980) den Tod.28 * Perder war mit seinem
Transporter in eine Kontrollstelle gemäß 111 Strafprozeßordnung
geraten. Kurz nachdem der Wagen zum Stehen kam, riß einer der
Polizeibeamten die Maschinenpistole hoch und schoß Manfred Perder mitten
ins Gesicht.
Der damalige Düsseldorfer Regierungspräsident Dr.
Achim Rohde (FDP), oberster Dienstherr jener (Bezirks-) Fahndungsgruppe, der der
Todesschütze angehörte, schickte Perders Witwe anläßlich
der Beerdigung des Polizeiopfers folgendes "taktvolle und mitfühlende"
Telegramm:
"Ihnen und Ihren Angehoerigen moechte ich in diesen
schweren Stunden mein tiefes Mitgefuehl aussprechen. Der Terrorismus in unserem
Lande hat wieder ein unschuldiges Opfer gefunden - die eigentlich
Verantwortlichen bleiben im Schatten. Ohne dass es Ihnen Trost sein kann, darf
ich Ihnen eine rueckhaltlose Aufklaerung des tragischen Vorgangs ebenso
versichern, wie moegliche Hilfen."
Wohlgemerkt: Das unschuldige Opfer
wurde von der Polizei, von einem Spezialbeamten des "Mobilen
Einsatzkommandos" (MEK) erschossen, nicht etwa von "schießwütigen
Terroristen". Die eigentlich Verantwortlichen blieben in der Tat im
Dunkeln. Der unmittelbare Täter, der Polizeiobermeister Peter U. wurde
wegen fahrlässiger Tötung zu lediglich sieben Monaten Freiheitsstrafe
mit Bewährung verurteilt, konnte also den Polizeidienst weiter versehen.29 *
Das Amtsgericht Neuss, bei dem dieser Fall von der Staatsanwaltschaft, einer "Bagatelle"
gleich, angeklagt worden war, stellte in den Urteilsgründen zu den
Fahndungsvoraussetzungen und zur Tatsituation folgendes fest:
"Bei der
Bezirksfahndungsgruppe ... handelte es sich um eine Polizeieinheit, die speziell
zur Terroristenfahndung eingesetzt war. Ihre Mitglieder waren gehalten, solche
Fahrzeuge einer Kontrolle zu unterziehen, die einem bestimmten Fahndungsraster,
das den mitwirkenden Beamten bekanntgegeben wurde, entsprachen...". Der
Transporter des späteren Todesopfers habe, so das Gericht, "an diesem
Tag dem vorgegebenen Fahndungsraster der Polizei" entsprochen.
Die
Amtsrichterin Eva F. wertete sämtliche Tatumstände fast ausschließlich
zu Gunsten des Todesschützen: "Ob der Angeklagte vorsätzlich den
Schuß auf den hinter der Windschutzscheibe befindlichen Fahrer abgegeben
hat, war nicht festzustellen. Allerdings konnte dies auch offen bleiben. Der
Angeklagte hat, ohne daß ihm dies zu widerlegen war, angegeben, daß
er zum Schutze seiner eigenen Person und seiner Kollegen gehandelt habe."
Es spreche zu Gunsten des Angeklagten, "daß die Tätigkeit als
Sicherungsposten ständige Konzentration, Umsicht und Reaktionsbereitschaft
verlangt. Eine solche Tätigkeit muß umsomehr die Gefahr von
Fehlhandlungen in sich bergen, je weniger für einen Sicherungsposten tatsächlich
die Notwendigkeit des Einschreitens besteht. Ein vorwerfbares Fehlverhalten des
Sicherungspostens wird dabei zwangsläufig gravierende Folgen zeitigen, das
folgt schon aus der Art der Bewaffnung. Dem Angeklagten muß daher sein
Versagen, auch wenn es nicht entschuldbar war, strafmildernd zugute gehalten
werden, weil es gleichsam tätigkeitsimmanent war".
So viel
richterliches Verständnis wird nichtbeamteten Todesschützen wohl kaum
zuteil. Urteil: 7 Monate mit Bewährung. Angesichts dieses milden Urteils
fragte sich vollkommen konsterniert der Publizist Hanno Kühnert in "Der
Zeit": "Sind Menschenleben weniger wert, wenn sie durch Polizeibeamte
ausgelöscht werden?" 30 *
Auch der Polizeischütze,
der anläßlich einer Polizeikontrolle den Schäfer Helmut
Schlaudraff mit einer 9-mm-Kugel aus seiner Maschinenpistole von "Heckler &
Koch" aus nächster Nähe in die Halsschlagader getroffen hatte,
kam glimpflich davon: 3 Monate mit Bewährung für den
Polizeihauptmeister (PHM) Peter B., Leibwächter des ehemaligen BKA-Präsidenten
Horst Herold, Schießausbilder und Scharfschütze. Lapidarer Vorwurf:
PHM B. habe den Finger an seiner Waffe nicht vorschriftsmäßig "längs
des Abzugsbügels gestreckt", sondern "im Abzugsbügel gekrümmt";
er habe damit eine Dienstvorschrift verletzt; im übrigen wurde ihm die "Hektik
der Terroristenfahndung" strafmildernd zugute gehalten.
Angesichts der
geschilderten Todesschüsse, die im Zusammenhang mit "Terrorismusfahndungen"
gefallen waren, warnte die schwedische Tageszeitung "Dagens Nyheter"
ihre LeserInnen eindringlich: "Machen Sie bei Polizeikontrollen keine
schnellen Handbewegungen, denn man könnte meinen, Sie würden eine
Waffe ziehen. Sie riskieren, erschossen zu werden. Denn in letzter Zeit schießt
die westdeutsche Polizei sehr schnell."31 *
In den Jahren 1971 bis 1980 sind in der Bundesrepublik insgesamt mehr als
150 Menschen in unterschiedlichen Situationen von Polizeikugeln tödlich
getroffen worden - auf frischer Tat, beim Versuch der Festnahme oder auf der
Flucht erschossen, vorwiegend also zur Durchsetzung des "staatlichen
Strafanspruchs". Durchschnittlich fielen somit Jahr für Jahr etwa 15
Menschen polizeilichen Todesschüssen zum Opfer.32 * Dieser hohe
Durchschnittswert hat, auf dem Hintergrund des politischen Klimas der
Terrorismushysterie und der inneren Aufrüstung, mehrere Ursachen, die
weitgehend in den siebziger Jahren gesetzt worden sind. Dieses hohe Niveau der
durchschnittlichen Anzahl polizeilicher Todesschüsse ist im übrigen in
den achtziger Jahren weitgehend gleich geblieben (1981 - 1990: knapp 120; 1991 -
1993: 34).
Eine Untersuchung der Todesschußsituationen im Zusammenhang mit
Terroristen-Fahndung und Festnahmeaktionen läßt den Schluß zu,
daß viele der Todesopfer auf beiden Seiten ohne die damit verbundenen
spezifischen Fahndungsmethoden und -hysterien mit großer
Wahrscheinlichkeit hätten vermieden werden können. Die von offizieller
Seite meist öffentlich gerechtfertigten Fälle auf dem Todesschuß-Konto
der Polizei, mitunter als "bedauerliche Einzelfälle" oder gar als
"individuelles Fehlverhalten" einzelner "Schwarzer Schafe"
ausgegeben, entpuppen sich weitgehend als mitverursacht von Strukturen,
Entwicklungstendenzen und Mentalitäten in den Sicherheitsapparaten, die im
Laufe der "Terrorismusbekämpfung" einer grundlegenden Veränderung,
quantitativ wie qualitativ, unterzogen wurden.
Selbst auf die Gefahr hin,
der "Einseitigkeit" geziehen zu werden, möchte ich daher an
dieser Stelle in aller erster Linie auf die Ursachen und Bedingungen eingehen,
die von staatlicher Seite gesetzt worden sind. Denn auf dieser Seite gab es
meines Erachtens Entscheidungs- und Handlungsspielräume, die - anders,
rationaler und weniger feindorientiert genutzt - auch Deeskalationsmodelle zuließen,
statt die Eskalation per Staatsgewalt zu forcieren. Wesentliche Faktoren, die zu
solchen Situationen mit tödlichem Ausgang führten bzw. generell führen
können, lassen sich nämlich gerade auf Seiten des Ermittlungs- und
Fahndungsapparates und seiner Bediensteten ausmachen (ohne damit die
spezifischen Probleme mit einem aufgenötigten bewaffneten Kampf in Abrede
stellen zu wollen): Die massive geistige Aufrüstung, die Verinnerlichung
von "Sicherheit und Ordnung" als absolutem Wert, dem sich notfalls
Menschenleben unterzuordnen haben, die Mobilisierung von Vorurteilen gegen
politische und soziale Minderheiten, das Raster von "Gut" und "Böse",
die soziale und rechtliche Ausbürgerung von "Rechtsbrechern", die
Stilisierung des "Staatsfeindes", geschürte Ängste und
Aggressionen nach langjähriger Terroristenhysterie - die Summe dieser und
anderer psychosozialer und ideologischer Faktoren zeitigten Auswirkungen weit über
den Bereich der "Terrorismusbekämpfung" im engeren Sinne hinaus
und zeichnen mitverantwortlich für die erschreckende Todesschuß-Bilanz.
Auf der materiellen Seite sind u.a. folgende Entwicklungen als Bedingungen
und Mitursachen festzustellen:33 *
1. Der Aufbau von hart
trainierten polizeilichen Sondereinsatzkommandos und Präzisionsschützen-Kommandos
für den "Anti-Terror-Kampf" mit geheimpolizeilicher
Sonderausbildung und besonderem Schießtraining, dessen Schwerpunkt der
gezielte Todesschuß bildet.
Diese für die Neustrukturierung der
Polizei seit Beginn der siebziger Jahre charakteristische Spezialisierung und
Professionalisierung34 * hat zu einer wahren Inflation von
Spezialeinheiten und Sonderkommandos geführt:35 * Zu ihnen gehören,
neben anderen, auf Bundesebene die "Sicherungsgruppe Bonn" des
Bundeskriminalamtes mit der Spezialabteilung TE (Terrorismus), die weltberühmt-berüchtigte
Anti-Terror-Einheit "GSG 9" des Bundesgrenzschutzes sowie auf Länderebene
die "Mobilen Einsatzkommandos" (MEK) der Kriminalpolizeien, die "Spezialeinsatzkommandos"
(SEK) der Bereitschaftspolizeien und die "Präzisionschützenkommandos".
Diese Entwicklung von Spezialeinheiten, die wegen ihrer Abschottung und von der
Struktur her kaum noch öffentlich zu kontrollieren sind, dehnt den damit
gewählten Vorrang (staats-) gewaltsamer "Lösung"
gesellschaftlicher Konflikte in "notstandsähnlichen" Situationen
weit hinein in Alltagssituationen aus, da diese Einheiten auch außerhalb
der engeren "Terrorismus"-Bereiche zum Einsatz gelangen. Insofern ist
es nicht erstaunlich, daß sich Mitglieder von Spezialkommandos
gelegentlich auch in solchen Fällen als Todesschützen erweisen, die
dem Bereich der "Alltagskriminalität" zuzurechnen sind.36 *
2. Verstärkte Schießausbildung: Insbesondere seit den
Hochzeiten der "Terroristenfahndung" in den siebziger Jahren wurde die
Schießausbildung für Polizeibeamte stark intensiviert. Dabei spielen
sog. Schießkinos eine nicht zu unterschätzende Rolle, in denen realitätsfremde
Action-Szenen simuliert und mit deren Hilfe die Polizeibeamten zu Schnelligkeit
und Zielsicherheit gedrillt werden. Was da letztlich getrimmt wird, ist das
Schießen als Reflex anläßlich einer bedrohlich erscheinenden
Situation - schießen also, ohne zu denken.
Dabei ist das Ziel, mutmaßliche
Straftäter lediglich flucht- oder angriffsunfähig zu schießen,
wie es die meisten Polizeigesetze (noch) vorsehen, immer mehr aus der Mode
gekommen. Insbesondere die Spezialeinsatzkommandos, auf deren Konto sehr viele
Todesschüsse außerhalb der Schießkinos gehen, üben am sog.
"K-5-Bereich": Kopf, Brust und Bauch. "Combat" heißt
die einschlägige Schießart - auch Deutschuß genannt -, die da
intensiv trainiert wird und bei der es darauf ankommt, möglichst schnell zu
feuern - eine Art "ungezielter" Todesschuß also. Aus geheimen
Schießausbildungsunterlagen des Bundeskriminalamtes ("KI 24-2883/2885")
geht hervor, daß den Schützen, vom Ziehen der Waffe an gerechnet, nur
eine Sekunde Zeit pro "Deutschuß aus der Hüfthöhe"
bleibt; als "Mindestleistung" gilt: Von 5 Schüssen "3
Treffer im Figurenbereich (ohne Arme und Beine)"37 *. Da bleibt
keine Zeit für Skrupel und zum Nachdenken, was im Training schließlich
auch systematisch abgebaut werden soll.38 * Zum Trainingsprogramm
beispielsweise der GSG 9 gehört es darüber hinaus, "Fluchttäter"
mit Hubschraubern zu verfolgen und aus den geöffneten Türen der
Maschinen gezielt auf sie zu schießen. Die "Trefferquote" liegt,
wie der GSG-9-Experte Rolf Tophoven nicht ohne Stolz berichtet, bei solchen Einsätzen
bei 85 Prozent.39 * Anfang der achtziger Jahre wurde eine neue Schießausbildung
für die bundesdeutsche Polizei getestet und trainiert: die "Survival-(Überlebens-)Schießtechnik".
Folgt man den Anweisungen des Scharfschützen und Schießausbilders
Siegfried Hübner, waffentechnischer Berater der Polizei, so ist eine "aggressive
Grundhaltung" unerläßlich - denn, so seine "Gebrauchsanleitung"
wörtlich, "um zu überleben, müssen Sie gnadenlos schnell...
handeln. Sie müssen so gut treffen, daß Ihre Gegner nicht mehr auf
sie schießen können". Geraten wird den schießenden
Polizisten, in entsprechenden Situationen einen "Angriffsschrei"
loszulassen: Dieser erschrecke nicht nur den Gegner, sondern drücke auch
die Luft aus dem Magen, "was eine Magenverletzung ungefährlicher macht",
und bewirke zugleich "einen Adrenalinstoß", der den Polizeischützen
enthemmt und seine "Aggressivität steigert"40 *.
Die geschilderte Konditionierung hat die Polizeibeamten, insbesondere die Angehörigen
von Spezialkommandos, stärker als zuvor darauf fixiert, in unübersichtlichen
und bedrohlich erscheinenden (Alltags-) Situationen reflexartig zu schießen.
3. Gesetzliche Herabsetzung der Hemmschwelle zum gezielten Todesschuß:
Mitte der siebziger Jahre ist von der "Innenministerkonferenz" der
Versuch gestartet worden, über den sog. Musterentwurf (ME) für ein
einheitliches Polizeigesetz des Bundes und der Länder41 * u.a. den
gezielten Todesschuß (auch verharmlosend "finaler Rettungsschuß"
genannt), selbst auf Kinder unter 14 Jahren zu legalisieren. Dieser
Musterentwurf diente für alle Bundesländer unmittelbar als Vorbild für
die eigene Polizeigesetzgebung.
Das war der Startschuß zur
bundesweiten Legalisierung des gezielten Todesschusses. Bislang durfte nach den
Polizeigesetzen der Zweck des Schußwaffengebrauchs nur sein, Personen, die
etwa einer Straftat dringend verdächtig sind, "angriffs- oder
fluchtunfähig" zu machen, nicht jedoch, vorsätzlich zu töten.
Nun sollte der gezielte Todesschuß ("Ein Schuß, der mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird") zulässig
werden, "wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen
Lebensgefahr", aber auch einer "gegenwärtigen Gefahr einer
schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist" (41
Abs. 2 ME).
Mit dieser Normierung, so die damalige, heute noch gültige
Kritik an der Legalisierung des gezielten Todesschusses, werde die vom
Grundgesetz mit guten Gründen abgeschaffte Todesstrafe42 *
praktisch durch die Hintertür wieder eingeführt und gleich vor Ort,
ohne langen (Gerichts-) Prozeß, vollstreckt. Eine solche staatliche
Disposition über menschliches Leben, quasi die letzte, zielgerichtet tödliche
Konsequenz des staatlichen Gewaltmonopols, dürfe es nicht geben. Außerdem
bestehe die Gefahr, daß durch eine solche Ermächtigung zum gezielten
Todesschuß als staatlichem Hoheitsakt auch die Hemmschwelle zum
polizeilichen Schußwaffengebrauch und zum Töten im staatlichen
Auftrag drastisch herabgesetzt werde.43 *
Der gezielte, also vorsätzliche
Todesschuß wäre in bestimmten Situationen durch ein solches Gesetz
von vornherein für rechtmäßig erklärt ("Ermächtigungsgrundlage")
und unterläge grundsätzlich nicht mehr der (straf-) gerichtlichen
Kontrolle: Der Todesschütze müßte sich also nicht mehr, wie
bisher, individuell, etwa mit "Notwehr", rechtfertigen, denn was
(polizei-) gesetzlich abgesichert ist, bedarf keiner Rechtfertigung im
strafrechtlichen Sinne. Im übrigen kann der gezielte Todesschuß dann
auch, ist er erst legalisiert, dem einzelnen unmittelbar handelnden
Polizeibeamten, selbst gegen dessen Willen, befohlen werden - er könnte
sich nur bei Strafe eines Disziplinarverfahrens verweigern. Töten also auf
Befehl. "Wer den Schußwaffengebrauch ablehnt, darf nicht Polizist
werden", kommentiert der führende Polizeirechtler Mertens, der
herrschenden Meinung folgend: "In Extremsituationen kann sich der Staat
wegen seiner Pflicht zum Schutz der vitalen und fundamentalen Güter seiner
Bürger den Luxus von Gewissensentscheidungen der Polizeibeamten nicht
leisten.44 *"
4. Das Problem der "Eigensicherung":
Zur Problematik unkontrollierbarer Spezialeinsatzkommandos, zur Konditionierung
durch das Schießtraining und zu den Auswirkungen gesetzlicher (Todes-)
Schußregelungen kommt noch das Problem der sog. Eigensicherung hinzu. Sie
ist zentraler Bestandteil der Polizeiausbildung und wurde in fast schon extrem
zu nennendem Maße gepflegt. Die Frage lautet: Wie schützt sich der
Polizeibeamte vor allüberall lauernden Gefahren?
Was sich hinter der
recht harmlos klingenden "Eigensicherung" verbirgt, erweist sich als
systematisches Bestreben der Polizeiführungen, ihre Beamten in ständige
Alarm- und Kampfbereitschaft zu versetzen. Zu den obersten Grundsätzen gehört
es: "Argwohn wachhalten und nie in der Aufmerksamkeit nachlassen... im
Zweifelsfall immer das Schlimmste annehmen... alle verfügbaren technischen
Hilfsmittel nutzen."45 * Auf Plakaten in Polizeirevieren ist zu
lesen: "Führe Deine Dienstwaffe immer mit. Halte sie griffbereit.
Vorsicht bei Nacht! Vorsicht an einsamen und verdächtigen Orten. In der
Routine lauert Gefahr! Also: sei mißtrauisch. Vorherige Absprache!
Gegenseitige Sicherung. Achte auf günstige Sicherungsposition! Sicht! Schußfeld!
Deckung..." Im amtlichen "Leitfaden 371: Eigensicherung im
Polizeidienst",46 * der als "Verschlußsache - Nur für
den Dienstgebrauch" eingestuft ist, heißt es dann - zunächst
allgemein: "Es ist notwendig, bestimmte Verhaltensweisen der Eigensicherung
einzuüben und ständig zu trainieren... Bleiben Sie ... wachsam und
rechnen Sie bei jedem Einsatz von Anfang an mit Gefahren! Sie können sonst
Opfer unangebrachter Vertrauensseligkeit werden... Auch harmlos erscheinende
Personen können sich plötzlich als gefährlich erweisen und
unvermittelt angreifen... Sie müssen Ihre Schußwaffe blitzschnell
einsetzen können. Halten Sie deshalb die Schußhand möglichst
frei!".
Zur Durchführung von Verkehrs- und Identitätskontrollen
heißt es weiter:
"Es ist stets daran zu denken, daß die
Fahrzeuginsassen Straftäter sein können. Deshalb dürfen Sie bei
Kontrollen nicht arglos sein... Das Erscheinungsbild der zu kontrollierenden
Personen kann trügen. Auch der bei einem harmlosen Anlaß Angetroffene
kann gewalttätig werden. Der Griff zum Ausweis kann einer Waffe gelten...
Verhalten Sie sich stets so, daß Sie auf einen Überraschungsangriff
sofort reagieren und notfalls Ihre Schußwaffe blitzschnell ziehen können".
"Jede Bewegung kann der Vorbereitung eines Angriffs dienen". Diese
Zitate sind eindrucksvolle Belege für die Aufbereitung einer ständigen
Bedrohungssituation, in der der lebensbedrohliche Polizei-Griff zur Schußwaffe
als Routinehandlung antrainiert wird und Putativ- bzw. Präventiv-Erschießungen
vorprogrammiert werden. Diese Art von "Eigensicherung" ist Bestandteil
polizeilichen Einsatzbewußtseins geworden - in Ausnahmesituationen, aber
auch immer mehr im Alltag. Die polizeilichen Todesschüsse im Zusammenhang
mit Kontrollen legen trauriges Zeugnis ab über die Wirkungen solcher
Konditionierung und Angstmacherei.
5. Diese permanente Suggerierung einer
allgegenwärtigen Bedrohung steht in eigenartigem Kontrast zur realen
Bedrohung von Polizeibeamten.47 * Tatsächlich sind in der Zeit von
1971 bis 1980, also in zehn Jahren, von den etwa 200.000 Polizeibeamten
insgesamt 65 Polizisten in unterschiedlichen Situationen im Dienst getötet
worden;48 * diese Zahl umfaßt sämtliche Todesarten, also
nicht nur Erschießungen, sondern auch etwa tödliche Verkehrsunfälle.
Vergleicht man dies mit der Zahl der von Polizeibeamten erschossenen Menschen -
in derselben Zeit 153 - und zählt man die auf andere Weise von Polizisten
getöteten Bürger hinzu - etwa durch Auto-Verfolgungsjagden oder Erwürgen
-, was eine Zahl weit über 200 Todesopfer ergibt, so wird der jeweilige Gefährdungsgrad
deutlich.
Zur Frage, wie gefährlich sich der Polizeiberuf tatsächlich
darstellt, das heißt, wie hoch das Risiko für Polizeibeamte ist, im
Dienst getötet zu werden, kommen die Polizeiforscher Albrecht Funk, Falco
Werkentin und Angelika Thies zu einem erstaunlichen Ergebnis: Sie haben nämlich
anhand von Zahlenmaterial der Berufsgenossenschaften die durch Unfälle und
Berufskrankheiten verursachten Todesfälle für spezielle Berufszweige
ermittelt und herausgefunden, daß das Berufsrisiko der Vollzugsbeamten in
den sechziger und siebziger Jahren "auf einem unteren Rangplatz" lag -
vergleichbar dem von Feinmechanikern und Elektrikern.49 * Verglichen mit
anderen Berufsgruppen entsprach das Berufsrisiko der Polizisten Anfang der
achtziger Jahre "dem der Kellner und Köche und dem von
Lagerarbeitern... Bergarbeiter waren knapp sechsmal stärker gefährdet,
Seeleute fünfmal und auch Berufskraftfahrer waren noch doppelt so gefährdet
wie Polizeibeamte. In der Summe zeigt sich, daß es wenige Berufe gibt, in
denen man vor Todesrisiken so relativ geschützt ist wie im Polizeidienst."
50 *Auch im internationalen Vergleich bestätigt sich diese
Erkenntnis: In einer Reihe von 11 europäischen Ländern steht die
bundesdeutsche Polizei mit dem drittgeringsten Polizeiberufsrisiko..51 *
Damit den Polizeibeamten jedoch trotz der entgegen dieser Erkenntnisse
erfolgenden Suggestion und Autosuggestion einer allgegenwärtigen Bedrohung
das Handwerk nicht vollkommen vermiest werde, können sie einem ihrer frühen
Polizei-Lehrbücher ("Kleine Polizeigeschichte")52 *
folgende kleine moralische Aufmunterung entnehmen:
"Wer Polizeibeamter
wird, muß sich darüber klar sein, daß er nicht nur einen außerordentlich
schweren, sondern auch einen besonders schönen Beruf erwählt hat...
schön, weil... er überall und jederzeit Sicherheit und Ordnung verbürgen
muß, und weil er das Recht hat, mit fester Hand und, wenn es nötig
ist, auch mit Waffengewalt diejenigen unschädlich zu machen, die die
sittlichen Grundsätze unseres Gesellschaftslebens mißachten."
Die gerichtliche Bewältigung der Todesfälle im Zusammenhang mit
der "Terrorismusbekämpfung" trug den genannten Umständen und
exekutiven Bedingungen in keiner Weise Rechnung: Die apparativen, strukturellen
und mentalen Ursachen blieben in aller Regel unberücksichtigt, die
eigentlich politisch und fachlich Verantwortlichen ungeschoren - auch dies ein
nicht unwesentlicher Aspekt Politischer Justiz im Staatsinteresse: Regelmäßig
wurden die "schießwütigen Terroristen" wegen Mordes oder
Mordversuchs angeklagt, wobei eine Vielzahl der langjährigen sowie
lebenslangen Freiheitsstrafen Ergebnis gerade solcher Verfahren ist.53 *
Dieses Bild skrupelloser Mörder ist von Anfang an systematisch entworfen
worden. Es bildete die Grundlage der öffentlichen Feindbildproduktion und
der Terrorismushysterie und konnte auch nicht ohne Einfluß auf die bei
Fahndungen eingesetzten Polizisten bleiben.
Bereits die ersten Kontroll-
und Festnahme-Situationen sowie die darauf bezogenen Anklagekonstruktionen und
Entscheidungen der Strafgerichte Anfang der siebziger Jahre, in denen über
die strafrechtlichen Folgen der bewaffneten Auseinandersetzungen befunden wurde,
prägten jenes Bild von den skrupellosen Mördern bis hinein in die späteren
Strafverfahren und verankerten es - über die Sensationsmedien - in den Köpfen
der Bevölkerung. In der Regel sind die Massenmedien nicht erst prozeßbegleitend,
sondern gleich von Anfang an in die Strategien der Ermittlungsbehörden
einbezogen worden. Ein früher Fall von Medienkampagne, der die weitere
Geschichte nicht unwesentlich geprägt hat, führt uns zu einer ganzen
Reihe von staatsschützerischen Abgründen:
"Apo-Mädchen
schoß sich den Weg frei", titelte die Bild-Zeitung am 12.
Februar 1971 in großen Lettern, "Astrid Proll schießt sich den
Weg frei", überschreibt in auffälliger Übereinstimmung die "seriöse"
Frankfurter Allgemeine Zeitung am selben Tag ihren Artikel über
eine "Schießerei" im Frankfurter Westend zwei Tage zuvor. Die Blätter
stützten sich bei ihrer Berichterstattung auf Informationen der Polizei.
Was war tatsächlich geschehen? Polizei und "Verfassungsschutz"
hatten eine gemeinsame gezielte Fahndungsaktion unternommen. Im Visier der
Staatsschützer: Astrid Proll und Manfred Grashof, die der "Baader-Meinhof-Bande"
zugerechnet werden. Der Verfassungsschutzbeamte Michael Grünhagen und der
BKA-Kriminaloberkommissar Heinz Simons stellen das Paar zur "Ausweiskontrolle".
Daraufhin soll Grashof eine Pistole gezogen haben. Die beiden können
fliehen. Simons versucht noch, die Flucht zu verhindern, indem er den Flüchtenden
hinterherschießt. Vergeblich.
Der Journalist Stefan Aust schildert
die unglaublichen Folgen dieser Begebenheit in komprimierter Form:54 *
"Die Schießerei ... wurde mehr als zweieinhalb Jahre später
zum Hauptanklagepunkt gegen Astrid Proll: Mordversuch, sie habe auf die Beamten
geschossen. Schon im ersten Verfahren kamen Zweifel an der Glaubwürdigkeit
der beiden Beamten auf, zu groß waren die Widersprüche in ihrer
Schilderung des Tathergangs. Aber erst im zweiten Proll-Prozeß - die
Angeklagte war inzwischen aus gesundheitlichen Gründen freigelassen worden
und hatte sich nach England abgesetzt, war dort aber wieder festgenommen worden
- wurde die Mordversuch-Anklage gegen sie fallengelassen. Es waren nämlich
noch weitere Beamte am Schauplatz gewesen, Mitarbeiter des Bundesamtes für
Verfassungsschutz. Sie hatten in einem Aktenvermerk festgehalten, daß
Astrid Proll nicht geschossen hatte (ja, gar nicht schießen konnte, weil
sie unbewaffnet war; R.G.). Das entlastende Verfassungsschutzpapier wurde erst
acht Jahre nach dem Vorfall an das Gericht gegeben."
Die Vorsitzende
Richterin Johanna Dierks beschuldigte in diesem Zusammenhang die Exekutive, "in
eklatanter Weise in die Rechtsprechung eingegriffen" zu haben:55 *
Akten und Zeugenaussagen sind von den Sicherheitsorganen schamlos manipuliert
worden, Aussagegenehmigungen für beamtete Zeugen behördlich verweigert
oder aber beschränkt, "geheime" Entlastungszeugen dem Gericht von
den Exekutiv -behörden "unterschlagen" (Dierks) worden.56 *
Daß Astrid Proll nicht geschossen hatte, mußte den Sicherheitsbehörden
also von Anfang an bekannt gewesen sein. Aber sie hielten diese Wahrheit
jahrelang unter Verschluß und verfolgten wissentlich, was den Vorwurf des
(zweifachen) "Mordversuchs" anbelangt, eine Unschuldige, die in
strenger Isolationshaft bis zu ihrer Haftunfähigkeit nicht zuletzt deswegen
in unmenschlicher Weise leiden mußte; das zu erwartende Strafmaß für
Mordversuch: bis zu lebenslänglich. Und sie munitionierten wahrheitswidrig
die Massenmedien in ihrem Sinne:57 * "Astrid Proll schießt
sich Fluchtweg frei" (FAZ). "Auch ihr Freund feuerte auf die
Polizisten" (Bild), "schossen sich den Weg frei" (Frankfurter
Rundschau). "Feuergefecht mit Baader-Bande" (Die Welt).
"Die Frankfurter Polizei sagt, alle seien bewaffnet und machten rücksichtslos
von der Schußwaffe Gebrauch" (FAZ). Seit dieser frühen
Instrumentalisierung der Medien durch die Ermittlungsbehörden kursieren die
bösen Worte vom "rücksichtslosen" Schußwaffengebrauch
und den "schießwütigen Terroristen". Solche "Zombies"
wurden in jenen Tagen und Wochen, aber auch später noch, staatlicherseits
geradezu produziert sowie ihre Verfolgung bzw. Festnahme öffentlich
zelebriert. In unmittelbarem Zusammenhang mit dem erwähnten manipulierten
Ereignis wurde die erste große bundesweite Fahndungsaktion gegen die "Baader-Meinhof-Bande"
in die Wege geleitet. Weitere folgten. Nicht gerade selten mit tödlichem
Ausgang, wie etwa drei Monate später, als Petra Schelm von einem Polizisten
erschossen wurde. Bei der Aufarbeitung solcher Ereignisse gehörten
exekutive Manipulationen fast schon zur Gewohnheit.
Fünf Jahre später,
am 9. Mai 1975, kam es in Köln im Zuge einer Polizeikontrolle zu einer
Schießerei zwischen einem Polizisten und dem Beifahrer des kontrollierten
Fahrzeuges. Bei der Überprüfung der Personalien hatten die
Polizeibeamten zuvor über Funk erfahren, daß es sich bei einem der
Kontrollierten möglicherweise um einen "Anarchisten" respektive "Terroristen"
handele. Daraufhin kam es zu einer Schießerei, in deren Verlauf der
Beifahrer, Werner Sauber, und der Polizeibeamte Pauli getötet wurden. Der
Fahrer des PKW, der Arzt Karl-Heinz Roth, und ein weiterer Polizeibeamter wurden
lebensgefährlich verletzt. Der am Boden liegende Roth und der dritte
Wageninsasse, Roland Otto, wurden anschließend widerstandslos
festgenommen.
Ihnen wurde der Mordprozeß gemacht. Und abermals hatte
die Polizei bereits im Vorfeld Falschmeldungen in Umlauf gesetzt. Wieder haben
die Massenmedien auf dieser Basis die "anarchistischen Gewalttäter"
als gerissene und gewissenlose Killer, als Mörder aufgebaut und
vorverurteilt. Wieder haben Polizei und Staatsanwaltschaft Verfahrensunterlagen
manipuliert, haben Polizeizeugen die Wahrheit unterdrückt, um den
Mordvorwurf aufrechterhalten zu können. Diesmal ließ sich das Gericht
zwar weitgehend in die exekutive Behinderung der Verteidigung der Angeklagten
einbinden, aber am Ende des Verfahrens, zwei Jahre nach dem Ereignis, mußten
Roth und Otto von der Mordanklage freigesprochen werden. Das Verfahren hat sich
in eine Anklage gegen die Ermittlungsbehörden verkehrt. Den Angeklagten und
ihrer Verteidigung ist es gelungen, die Schießerei wahrheitsgetreu zu
rekonstruieren: Weder Karl-Heinz Roth, noch Roland Otto hatten auf die
Polizeibeamten geschossen.
Noch ein Beispiel: Der Prozeß gegen
Detlef Sch., angeklagt des Mordes an einem Polizeibeamten. Der Angeklagte, der
der "Terrorszene" zugerechnet worden war, soll in Begleitung von zwei
unbekannt gebliebenen Männern am 7. Mai 1976 den Polizisten Fritz S. während
einer Polizeikontrolle in Sprendlingen bei Darmstadt im Laufe einer Schießerei
erschossen haben. Erst nach zwei Jahren, am Ende des Verfahrens gegen Sch. gab
die Polizei zu, was sie von Anfang an wissen konnte: daß der erschossene
Fritz S. von einer Polizeikugel, Kaliber 7,65 mm, getötet worden war - aus
der Dienstwaffe seines Polizeikollegen Rolf K.58 * Ein zweiter Schuß
konnte ebenfalls nicht von Detlef Sch. stammen. Folgerichtiges Urteil:
Freispruch.
Auf dieser Basis exekutiv produzierter Mörder und justiziell
fabrizierter Mordurteile konnte auf der anderen Seite den "final"
schießenden Polizisten in den weitaus meisten Fällen von vornherein
Rechtfertigungsgründe zugebilligt werden. Weitaus die meisten der
eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen polizeiliche
Todesschützen werden denn auch eingestellt oder enden mit einem Freispruch:
1. Entweder weil der Beamte nach Polizeirecht oder den Dienstvorschriften ("Ermächtigungsgrundlagen")
schießen und töten durfte;
2. oder weil der Todesschütze
in Notwehr handelte: das spätere Todesopfer habe ihn zuvor bedroht ("Begründung"
in den Fällen Schelm, von Rauch, Weißbecker, Jendrian, Stoll) - ein
die Rechtswidrigkeit der Tat ausschließender "Rechtfertigungsgrund",
der Polizeibeamten als Träger hoheitlicher Gewalt ebenso wie ganz normalen
Bürgern zugestanden wird. Selbst im Fall der Elisabeth von Dyck wurde dem
Todesschützen "Notwehr" zugebilligt,59 * obwohl das Opfer
durch einen Schuß in den Rücken ums Leben kam - abgefeuert von einem
Polizeibeamten (Nr. 24), der in einer vorbereiteten Aktion zusammen mit anderen
Mitgliedern eines Spezialeinsatzkommandos dem späteren Opfer in dessen
Wohnung aufgelauert hatte. Die beteiligten Polizeibeamten wurden für ihren
Einsatz bestens vorbereitet, wie sich aus dem erwähnten
Einstellungsbescheid ergibt:60 * Im Einsatzbefehl waren sie eindringlich
darauf hingewiesen worden, daß die zur Festnahme ausgeschriebenen Personen
"regelmäßig Schußwaffen, möglicherweise auch
Sprengmittel, mit sich führen und mit einem rücksichtslosen Schußwaffengebrauch
zu rechnen sei... Aus Gründen der Eigensicherung sollte die Festnahme mit
schußbereiten Waffen erfolgen."
3. Wenn nun beim besten Willen
keine Notwehrsituation konstruierbar erscheint, dann mag der Polizeischütze
zumindest Umstände angenommen haben, die eine tödliche "Notwehrhandlung"
entschuldigen, obwohl tatsächlich keine objektive Gefahr bestanden hat ("Schuldausschließungsgrund").
Das nennt sich dann "vermeintliche" - oder Putativ-Notwehr: Zum
Beispiel habe das Opfer eine "verdächtige" Bewegung gemacht,
obwohl es tatsächlich unbewaffnet war. So geschehen im Fall Ian McLeod, der
in seiner Stuttgarter Wohnung von Polizisten mit einem Schuß in den Rücken
erschossen wurde, obgleich er völlig nackt und unbewaffnet war. Die
Staatsanwaltschaft ließ sogleich verlauten, der Beamte habe in
Putativ-Notwehr gehandelt; schließlich sei die Durchsuchungsaktion im
Rahmen einer Fahndung nach terroristischen Gewalttätern erfolgt. 61 *
Der schießende Polizist braucht nur genügend Vorstellungskraft, um
sich, als letzte Rettung, eine tatsächlich nicht vorhandene
Notwehrsituation einzubilden und dies dem Gericht plausibel zu machen. Typisch
hierfür ist der von dem früheren Bereitschaftspolizisten Rainer
Buchert in seinem Buch "Zum polizeilichen Schußwaffengebrauch"
(1975) 62 * geschilderte Fall der Erschießung des Mopedfahrers
Duifhus am 4. Februar 1972 in Duisburg: "Der Mann war nach einem
Verkehrsverstoß vor einer Funkstreife geflüchtet. Als ihn ein 21jähriger
Polizist mit gezogener Pistole stellte und "Hände hoch" rief,
nahm er die Hand aus der Hosentasche. Der Beamte fühlte sich bedroht, schoß
und traf den Verkehrssünder tödlich."
4. Bei den berüchtigten
Fällen, in denen Straftat-Verdächtige "auf der Flucht erschossen"
werden, scheidet "Notwehr" oder "Putativnotwehr" allerdings
in der Regel von vornherein aus. Zwar ist der Schußwaffengebrauch
gesetzlich u.a. zulässig zur Vereitelung der Flucht - wenn sich also eine
Person der Festnahme oder Feststellung ihrer Person durch Flucht zu entziehen
versucht. Doch sie darf nach den Polizeigesetzen dabei lediglich "fluchtunfähig"
geschossen werden.
Aber selbst in solchen Fällen, in denen das "Fluchtunfähigmachen"
dann doch tödlich endet, nimmt ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs
(BGH)63 * aus dem Jahre 1975 dem Polizeiapparat sowie den einzelnen
Staatsschützen auch bei Todesschüssen auf Flüchtende die
Verantwortung weitgehend ab. In seinem Urteil hob der BGH die Verurteilung des
Polizeihauptkommissars Wolf D. in erster Instanz auf, der im Jahre 1973 den
unbewaffneten 17jährigen Fürsorgezögling Erich Dobhardt hinterrücks
auf der Flucht erschossen hatte. Begründung: Der "Schußwaffengebrauch
zum Zwecke der Wiederergreifung eines flüchtenden Rechtsbrechers" sei
gerechtfertigt, wenn von diesem "eine nicht unerhebliche Gefahr für
die Allgemeinheit ausgeht". Davon ist, das sei nebenbei erwähnt, bei "Terrorismus"-Verdächtigen
generell auszugehen, wenn schon die folgenden Kriterien, die der BGH aufstellt,
ausreichend sein sollen: Der erschossene Jugendliche habe wiederholt "Nahrungs-
und Genußmittel, Kofferradios, Schallplattengeräte und Bargeld
entwendet. In vier Fällen stahl er auch Fahrräder. Er hatte sich, auf
frischer Tat getroffen, gewaltsam losgerissen und war geflohen... Die öffentliche
Sicherheit erforderte deshalb seine unverzügliche Wiederergreifung ...
angesichts der Gefahr, die für die Allgemeinheit von diesem jugendlichen
Rechtsbrecher ausging... die Abgabe eines gezielten Schusses auf das Bein des Flüchtenden
war auch nicht deshalb unzulässig, weil sie mit dem Risiko der Tötung
behaftet war".
Im Klartext: Der Schußwaffengebrauch gegen flüchtende
"Rechtsbrecher" - oder Leute, die von der Polizei dafür gehalten
werden - ist fast immer gerechtfertigt, weil die Durchsetzung des staatlichen "Strafanspruchs"
nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung offenbar einen besonders hohen
Wert darstellt, dem das Leben unterzuordnen ist. Der Tod wird also in solchen Fällen
auch gerichtlicherseits "billigend in Kauf genommen". Der Todesschütze
war "auf Kosten der Staatskasse freizusprechen". Die Folgen dieser
gesamten Rechtfertigungs- und Schuldausschließungssystematik lassen sich
statistisch abbilden. Eine Untersuchung der Berliner Polizeiforscher Walter und
Werkentin über die "justitielle Kontrolle polizeilicher Todesschüsse"
in unterschiedlichen Situationen kommt zu folgendem, signifikanten Ergebnis64 *:
Von 59 Todesschuß-Situationen mit 63 Todesfällen als Folge
polizeilichen Schußwaffengebrauchs endeten in der Zeit zwischen 1980 und
1984 insgesamt 76 Prozent der (Vor-) Ermittlungsverfahren ohne Anklageerhebung.
Lediglich 14 Situationen, also etwa 24 Prozent, unterlagen der gerichtlichen Überprüfung,
von denen 4 Fälle mit einem Freispruch endeten und in 10 Fällen die
Angeklagten letztinstanzlich verurteilt wurden. Neben drei Geldstrafen wurden 7
Haftstrafen zur Bewährung ausgesprochen, so daß - entsprechend der
Regelungen in den Beamtengesetzen65 * - in keinem einzigen Fall ein
Polizist wegen tödlichen Schußwaffeneinsatzes den Dienst quittieren
mußte. Nur ein Urteil lautete über ein Jahr auf Bewährung.
Eine gerichtliche Kontrolle der exekutiven Staatsgewalt, von Polizeihandeln
und seinen spezifischen Bedingungen, fand und findet in der Bundesrepublik kaum
statt 66 *- auch oder gerade nicht, wenn es sich um Todesschuß-Fälle
handelt.
Wie wir gesehen haben, ist das Problem der polizeilichen Todesschüsse
jedoch nicht allein ein individuelles, allein in der Person des Todesschützen
liegendes Problem, sondern wesentlich mehr: Die streckenweise mörderischen
Fahndungspraktiken einer nicht selten paramilitärisch ausgebildeten, ausgerüsteten
und vorgehenden Polizei sowie ihre politischen Vorgaben sind allerdings nur äußerst
selten Themen der Gerichtsverhandlungen. Das individualisierende
Gerichtsverfahren ist von seinem Ansatz her offensichtlich nicht geeignet, die bürokratischen
Strukturen und Handlungsmuster, um die es eigentlich geht, zu erfassen und als
(mit-)verantwortlich für polizeiliches Handeln zu erkennen und zu be- bzw.
verurteilen - was allerdings auch den Todesschützen zugute kommt, die sich "hinter
einer organisierten Verantwortungslosigkeit und dem Schutzschild der Amtsautorität
zurückziehen können".67 * So ist beispielsweise in einem
Urteil der 53. Strafkammer des Landgerichts Berlin zu lesen:68 * "Zugunsten
des Angeklagten wurde ferner berücksichtigt, daß er ... im Rahmen der
Fortbildungslehrveranstaltungen eine zwar im Rahmen der geltenden Bedingungen
liegende, zum Schußwaffengebrauch aber eher ermunternde als Zurückhaltung
empfehlende Ausbildung erhalten hat, für die er nicht verantwortlich ist..."
Ungemein erschwerend kommt noch hinzu, daß in jenen polizeilichen Tätigkeitsfeldern,
mit denen wir es hier zu tun haben, selbst die Durchsetzbarkeit der
gerichtlichen Kontrolle in bezug auf die angeklagten Individuen und die ihnen
vorgeworfenen Taten ganz besondere Probleme bereitet:
1. Die meisten
Todesschützen bei der Polizei, so die Erfahrung, erleiden nach ihrer Tat
einen "Schock" und sind mitunter wochenlang "vernehmungsunfähig"
- dokumentierbar etwa im Fall Manfred Perder, aber auch in vielen anderen Fällen.
Für sie gibt es in solchen Situationen Sonderrechte:
"Wurde bei
einem Schußwaffengebrauch eine Person verletzt oder getötet, so ist
dem Beamten Gelegenheit zu geben, von dem Vorfall Abstand zu gewinnen. Dabei ist
er von seinem Dienstvorgesetzten, dessen Vertreter oder einem anderen Beamten
des gehobenen oder höheren Dienstes zu betreuen."
So sieht es
beispielsweise eine interne Dienstanweisung des Polizeipräsidiums München
aus dem Jahre 1975 (novelliert 1979) vor, wie sie in ähnlicher Form auch in
anderen Großstädten und Bundesländern existiert. Mit "normalen"
Bürgern, die in eine Schießerei verwickelt sind, verfährt die
Polizei ganz anders: Sie werden auf der Stelle verhört, oft stundenlang,
und in Untersuchungshaft gesteckt.
Die Staatsanwaltschaften und Gerichte
zeigen meist bemerkenswertes "Verständnis" für solche
Sonderrechte, obwohl sie eigentlich mißtrauisch sein müßten:
Das ruhige Überdenken der Tat unter "Betreuung" durch Vorgesetzte
dient mit Sicherheit nicht dem rechtsstaatlichen Anspruch der Öffentlichkeit
auf eine rückhaltlose Aufklärung derart gravierender und
folgenschwerer Staatseingriffe.69 *
2. Diese polizeiliche "Täterbetreuung"
findet im Gerichtsverfahren ihre Entsprechung in einer intensiven polizeilichen
Zeugenbetreuung. Es gibt zahlreiche Hinweise und Belege, daß Polizeibehörden
gezielte Versuche unternehmen, auf entsprechende Gerichtsverfahren in ihrem
Sinne einzuwirken. Bei verschiedenen Strafprozessen in mehreren Bundesländern
konnte aufgedeckt werden, daß Polizeizeugen auf ihre Aussagen durch eigens
abgestellte Polizeibeamte gezielt vorbereitet wurden. Die Vorbereitung umfaßt
insbesondere das Verhalten vor Gericht mit dem Ziel, Widersprüche in den
polizeilichen Aussagen frühzeitig zu tilgen (häufig allerdings ohne
Erfolg). Folgende Mittel sind dabei gebräuchlich:
- Ermöglichung
von Akteneinsicht, auch bezüglich von Aussagen anderer Zeugen mit der Möglichkeit
der inhaltlichen Abstimmung - entgegen dem strafprozessualen Grundsatz, daß
sich Zeugen nicht miteinander absprechen dürfen;
- Besprechung des
Akteninhalts mit Kollegen und Vorgesetzten in Hinblick auf bevorstehende
Zeugenaussagen sowie
- prozeßtaktische Ratschläge.
So bestätigte
beispielsweise ein Hamburger Polizeizeuge vor Gericht solche Praktiken:
"Wir
vier Beamte setzten uns zusammen und schrieben gemeinsam einen Bericht, den der
Kollege W. dann später unterschrieben hat. Zwischendurch kam öfters
der Zugführer ins Zimmer und sagte uns Einzelheiten, die wir nicht wissen
konnten. Diesen Bericht habe ich vor meiner Aussage im Prozeß
durchgelesen, nachdem ich Hinweise für das allgemeine Verhalten vor Gericht
bekommen hatte...70 * Ich kann heute nicht mehr trennen, was ich aus
Erinnerung weiß und was und ob ich es nur aus dem Lesen der Berichte weiß."
Nicht zufällig stimmen also sehr häufig Berichte mehrerer
Polizeibeamter zu einem Vorfall wortwörtlich bzw. in bestimmten markanten
Redewendungen überein. Der Hamburger Strafverteidiger Uwe Maeffert, dem das
Verdienst zukommt, in mühsamer Kleinarbeit dem System der polizeilichen
Zeugenbetreuung auf die Spur gekommen zu sein, spricht in diesem Zusammenhang
ungeschminkt von "Zeugenpräparierung", von "administrativer
Manipulation" des Strafprozesses, kurz: von "Prozeßtheater".71 *
3. Ein weiteres Kontrollerschwernis, besser: -hindernis ist zu verzeichnen: So
wird etwa die Identität schießender Polizisten mitunter den Angehörigen
der Todesopfer und sogar den Gerichten gegenüber geheimgehalten, wie etwa
im Fall der Elisabeth von Dyck. Im Fall des als Terrorist beschuldigten Rolf
Heissler,72 * der am 9. Juli 1979 von Polizisten mit einem Kopfschuß
schwer verletzt worden war, sind die Namen der beteiligten Polizeibeamten von
den Behörden ebenfalls nicht bekanntgegeben, ihre Vernehmung unter
Code-Nummern (Beamter Nr. 1245, Nr. 5050) vorgenommen worden. Heisslers Anwalt,
der die Anklage gegen die Polizeischützen im Wege des sogenannten
Klageerzwingungsverfahrens erreichen wollte, konnte folglich in seinem Antrag
die Namen der mutmaßlichen Täter nicht nennen. Dies nahm das
Oberlandesgericht zum Anlaß, den Antrag schlichtweg abzuweisen
(Aktenzeichen 2/Ws 80/80).
Im Fall des von einem Sonderkommando im Zuge
einer Terroristenjagd erschossenen, völlig unbeteiligten Taxifahrers Günther
Jendrian aus München wurden von den Ermittlungsbehörden ebenfalls die
Angaben der Namen der beteiligten Polizeibeamten verweigert: Eine
Namensoffenlegung - so die Begründung - "würde die
Einsatzbereitschaft der Polizeibeamten in schwierigen Lagen, die eine sofortige
Entscheidung über den Schußwaffengebrauch verlangen, beeinträchtigen".
In erster Instanz wurde diese Begründung vom Verwaltungsgericht München
bestätigt und ergänzt: Die Anonymität besonderer Polizeieinheiten
wie der "Mobilen Einsatzkommandos" müsse im Interesse ihrer
Funktionsfähigkeit gegenüber der Öffentlichkeit gewahrt bleiben.
Das Straf-Ermittlungsverfahren gegen den Polizeischützen wurde bereits kurz
nach dem Vorfall mit der Begründung "Notwehr" eingestellt.
Diese Argumentation der "Funktionstüchtigkeit der Polizei" findet
sich immer wieder in Gerichtsurteilen, in denen sie zu einem zentralen
vorrechtlichen Bezugspunkt der justiziellen Beurteilung von polizeilichen
Todesschüssen gerät. So wurde etwa das äußerst milde Urteil
des Landgerichts München gegen einen Polizeischützen, der sich für
die Erschießung eines unbewaffneten 14jährigen Jungen in Gauting zu
verantworten hatte, mit dem Argument begründet, die Entscheidung dürfe
keinesfalls dazu führen, daß sich Polizeibeamte künftig bei
vergleichbaren Einsätzen übertrieben zurückhielten.73 *
4. Diese Entwicklung einer unkontrollierten und unkontrollierbaren,
teilweise geheimen Sonderpolizei findet in den gerichtlichen Verfahren ihre
absichernde Entsprechung in der behördlichen Verweigerung oder Beschränkung
von Aussagegenehmigungen für Polizeizeugen. Von dieser Möglichkeit
wird amtlicherseits reger Gebrauch gemacht, sobald es um verfahrenswichtige
polizeistrategische oder -taktische Angelegenheiten geht, die dann kurzerhand zu
polizeiinternen Geheimnissen erklärt werden; ihre Preisgabe kann dann im
Namen des "Staatswohls" verweigert werden.
Diese exekutiven Einflüsse und Steuerungsmöglichkeiten haben in
den untersuchten Todesschuß-Fällen entscheidenden Einfluß auf
die Beweiserhebungen und Sachverhaltsfeststellungen der befaßten Gerichte
und halten so die Mechanik der (Vor-) Freisprüche in den einen und der
(Vor-) Verurteilungen in den anderen Fällen am Laufen: Der Polizei - als am
Schußwechsel beteiligter Partei sowie als später ermittelnden Behörde
in einem - fällt die Definitionsmacht über die jeweilige Situation vor
Ort zu, falls es, wie meist, keine neutralen Zeugen gibt.74 * Die
Polizeiführungen bestimmen sozusagen in eigener Sache, ob etwa polizeiliche
Todesschützen vor Gericht erscheinen, was Polizeizeugen aussagen dürfen
und was nicht.
Die Staatsanwaltschaften haben sich nur äußerst
selten als Korrektiv hierzu erwiesen. Ihre objektive Rolle im Verhältnis
zur Polizei ist gerade ein Schlüssel zur Erklärung der
vorgerichtlichen Ermittlungspraktiken. Die Polizei führt nach der
Strafprozeßordnung im Auftrag der Staatsanwaltschaft - als deren "Hilfsbeamte"
sie dann tätig wird - auch die Ermittlungen in eigener Sache: Sie ist also
Ermittlungsinstanz gegen sich selbst - eine in einem Rechtsstaat unerträgliche
Situation. Der bekannte Korps-Geist im Polizeiapparat kann sich also voll
entfalten. Und die funktionell dem "Staatswohl" dienenden Staatsanwälte
tun sich traditionell schwer damit, gegen in Verdacht geratene "Staatsdiener"
im Polizeidienst mit der gleichen Intensität zu ermitteln, wie sie das
gegen Privatpersonen zu tun pflegen. Das Bekenntnis des Frankfurter
Staatsanwalts Weiss-Bolland, das er vor Gerichtsreferendaren, also vor künftigen
Staatsanwälten und Richtern, ablegte, ist hierfür symptomatisch:75 *©
"Diese wechselseitige Deckung von Polizeibeamten ist unabdingbare
Voraussetzung für das Funktionieren einer Polizei, wie wir sie brauchen.
Vor einiger Zeit war ... ein Überfall auf den Großmarkt ... Ich kann
nicht verlangen und begrüßen, daß sich Polizeibeamte hier
mannhaft mit der Maschinenpistole einsetzen, ohne dem gleichen Polizisten auch
zuzugestehen, anderswo einmal über die Stränge zu schlagen... Weil das
aber so ist, daß ich das dem Beamten einfach nicht verübeln kann,
dann finde ich es auch aufrichtig, wenn Polizeibeamte sich durch ihre Aussagen
auch wechselseitig decken. Sie müssen verstehen, daß die
Kameradschaft, die hierin zum Ausdruck kommt, einfach notwendig ist, wenn wir
nicht das Funktionieren von Verbänden wie der Polizei oder auch der
Bundeswehr ... in Frage stellen wollen. Wo kämen wir denn hin, wenn ein
Polizist sich nicht mehr auf diese Kameradschaft seiner Kollegen verlassen könnte,
wenn er sich nicht mehr darauf verlassen könnte, daß sein Kamerad zu
ihm hält und ihn notfalls auch deckt."
Der Manipulation von
Gerichtsverfahren ist mit diesen exekutiven, vorjustiziell weitgehend gedeckten
Einflußnahmen Tür und Tor geöffnet, soweit und solange sich die
Gerichte diesen Einwirkungen und Kontroll-Beschränkungen unterwerfen, was
viel zu häufig der Fall ist. Die Strafrichter, insbesondere jene in der
politischen Justiz, haben die exekutive Position so stark verinnerlicht, daß
sie bereit sind, der Polizei, aber auch den Geheimdiensten allzu vieles
nachzusehen und beamteten Zeugen mehr zu glauben, als Privatpersonen.
Die
parteiliche Polizeiversion über tödlich verlaufende Fahndungen
triumphiert qua exekutivem Amtsbonus über die historische Wahrheit und wird
so zur Basis des Gerichtsurteils und setzt sich unüberprüfbar als
forensische "Wahrheit" in Parallel- und Nachfolge-Verfahren fort -
voll zu Lasten der betroffenen Angeklagten und voll zu Gunsten des Staates, der
sich auf diese Weise der Bevölkerung gegenüber zu entlasten weiß.
Die Richter werden zu Rechtfertigungsgehilfen im Sinne der "Staatsräson",
das Strafurteil zur nachträglichen politischen Legitimierung tödlich
verlaufender Fahndungspraktiken.
Anmerkungen:
1 Dieser Text
entstand im Rahmen des Forschungsprojektes "Terroristen & Richter"
am Hamburger Institut für Sozialforschung (Stand: 1990). Da er in Gössners
Buchpublikation "Das Anti-Terror-System - Politische Justiz im präventiven
Sicherheitsstaat" (VSA-Hamburg 1991) aus Platzgründen keine Aufnahme
gefunden hat, handelt es sich hier um eine Erstveröffentlichung (in gekürzter
Fassung). Weitere Publikationen dieses Forschungsprojekts: Hannover,
Terroristenprozesse - Erfahrungen und Erkenntnissse eines Strafverteidigers,
VSA-Hamburg 1991; Overath, Drachenzähne - Gespräche, Dokumente und
Recherchen aus der Wirklichkeit der Hochsicherheitsjustiz, VSA-Hamburg 1991.
2 S. dazu u.a.: Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Hamburg 1986, s. 171 ff;
Margot Overath, Von der Beweiserhebung zur Beweiserfindung, 6. Werner Hoppe.
3 Zu diesem Verfahren: Overath, Drachenzähne, Hamburg 1991; Parnass: Hoppe,
ein Mörder? In: dies., Prozesse 1970 bis 1978, S. 229 ff.
4 Plädoyer
vor dem Landgericht Hamburg vom 21.07.1972, S. 11 (Tonband-Abschrift)
5
Vgl. Gössner, Demonstrationsfreiheit unter Mordverdacht. Nach den Schüssen
an der Startbahn-West (1987), in: ders., Widerstand gegen die Staatsgewalt,
Hamburg 1988, S. 68 ff.
6 S. dazu: Sack, Die Reaktion von Gesellschaft,
Politik und Staat auf die Studentenbewegung, in: Sack/Steinert, Protest und
Reaktions 4/2, Opladen 1984, S. 107 ff (145 ff).
7 Scheerer, Die Ausgebürgerte
Linke, in: Angriff auf das Herz des Staates (1. Band), Frankfurt 1988, S. 193 ff
(329).
8 U. Meinhof in einem Interview mit Michele Ray nach einem
Tonbandprotokoll, in: "Der Spiegel" vom 15.06.1970. Siehe dazu die
Erwiderung der RAF in "Das Konzept Stadtguerilla", in: Schubert,
Stadtguerilla, Westberlin 1971, S. 103 f ("Sie hat uns reingelegt ...").
9 Abgedruckt in: Schubert, Stadtguerilla, Westberlin 1971, S. 103 ff.
10
Scheerer, a.a.O. S. 297.
11 Zit. nach: Koch/Oltmanns, SOS - Freiheit in
Deutschland, Hamburg 1978, S. 11.
12 Zit. nach: "stern" Nr. 27
vom 29.06.1978.
13 S. u.a. Bakker Schut u.a. (Hrg.), Todesschüsse,
Isolationshaft, Eingriffe ins Verteidigungsrecht, o.O. (Amsterdam) 1985; KB, "Jeder
kann der nächste sein". Dokumentation der polizeilichen Todesschüsse
und ihre Legitimation, Anti-faschistische Russell-Reihe 4, Hamburg 1978.
14
Quelle: dpa-Hintergrund-Archiv- und Informationsmaterial (dpa-Archiv/HG 2833 vom
10.07.1979), S. 14 ff. sowie "Amtlicher Ereigniskalender", der für
1979 und 1980 keine entsprechenden Todesfälle verzeichnet hat.
15 S.
dazu: Bakker Schut, Stammheim, a.a.O., S. 305 ff, 363, 381.
16 Der Spiegel
Nr. 20/1979, S. 97. S. dazu auch Heinrich Hannover, Kollaboration mit der
Staatsgewalt als Kriterium der Freund-Feind-Unterscheidung, in: ders.,
Terroristenprozesse, Hamburg, S. 129 ff.
17 Zu beiden Fällen s. Margot
Overath, Von der Beweiserhebung zu Beweiserfindung, 8. Klaus Jünschke, in:
dies., Drachenzähne, a.a.O., S. 89 ff; Aust, a.a.O., S. 211, 225 f, 404.
18 S. dazu Heinrich Hannover, der Karl-Heinz Roth in dem sich anschließenden
Mord-Verfahren verteidigte: Durchbrechung und Aufhebung der Feinderklärung,
in: Hannover, Terroristenprozesse, a.a.O., S. 89 ff. Außerdem: Dethloff
u.a. (Hrg.), Ein ganz gewöhnlicher Mordprozeß, Westberlin 1978.
19 In der Dokumentation "Jeder kann der nächste sein" sind allein
für die Zeit zwischen 1971 und 1978 iinsgesamt 14 von Polizeikräften
verursachte Todesfälle im Zusammenhang mit Terrorismus-Fahndungsaktionen
aufgelistet (Dokumentation der polizeilichen Todesschüsse seit 1971 und
ihre Legitimation, a.a.O., S. 197).a
20 Vgl. dazu Bakker Schut, Rambert
u.a. (Hrg.), Todesschüsse, Isolationshaft, Eingriffe ins
Verteidigungsrecht, o.O. (Amsterdam) 1985, S. 5 ff.
21 Vgl. dazu: Böll
u.a., Die Erschießung des Georg v. Rauch, Westberlin 1976; Aust, a.a.O.,
S. 205 ff.
22 Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft bei dem
Landgericht Augsburg - Az. 110 Js 143/72; s. Bakker Schut u.a. (Hrg.), Todesschüsse
..., a.a.O., S. 6 f; s. auch Aust, a.a.O., s. 224 f. sowie Boll, Die Erschießung
..., a.a.O.
23 Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft bei dem
Landgericht Augsburg - Az. 110 Jss 143/72 s. Bakker Schut u.a. (Hrg.), Todesschüsse
..., a.a.O., S. 6 f; s. auch Aust, a.a.O., S. 224 f.. sowie Böll, Die
Erschießung ..., a.a.O.
24 So Bakker Schut u.a. (Hrg.), a.a.O., S. 7.
Fall Stoll: Der kürzeste Prozeß: Der gezielte Todesschuß! hrg.
von der Initiative gegen das Einheitliche Polizeigesetz, Ffm o.J., S. 4 ff.
25 S. dazu FAZ 09.09.1978; Braunschweiger Zeitung 08.09.1978; Frankfurter
Rundschau 08.09.1978.
26 S. dazu: Der kürzeste Prozeß,
Dokumentation, a.a.O., S. 17 ff.
27 Dazu: Cobler, Dunkelmänner, in:
cilip 1/1978, S. 46 ff.
28 S. dazu ausführlich: Gössner/Herzog,
Der Apparat, a.a.O., S. 178 ff, 192 ff (198 ff, 202 ff). KB, "Jeder kann
der nächste sein", a.a.O.; s. 45 ff.
29 Urteil des Amtsgerichts
Neuss v. 09.02.1981; Az. 2 b Ls/8 Js 287/80 - Erw. Sch.G. 150/80.
30 Kühnert,
Wenn Polizisten töten, in: "Die Zeit" vom 20.02.1981.
31
Zit. nach KB, Jeder kann der nächste sein, a.a.O., S. 51.
32 S. dazu
u.a. Gössner/Herzog, Der Apparat - Ermittlungen in Sachen Polizei, Köln
1984, S. 192 ff. m.w.N.; Mit Tödlicher Sicherheit. Zum Gladbecker/Bremer
Geiseldrama und die Debatte um den gezielten Todesschuß, hrg. von "Bürger
kontrollieren die Polizei", Bremen (Charlottenstr. 3) 1990.
33 Erwähnung
finden sollen auch die folgenden beiden Punkte:
- Die neue
Polizeibewaffnung mit dem größeren Kaliber 9 mm ( gegenüber den
früheren 7,65 mm) und der entsprechenden Munition mit dem sog.
Mann-Stop-Effekt, der unter bestimmten Bedingungen zur sofortigen Handlungsunfähigkeit
der Getroffenen führt - häufig über den Tod;
- die neue
automatische Sicherung der Waffen, die wesentlich unsicherer ist, als die
klassische Sicherung bei den alten Polizeiwaffen (Problem der sich "unabsichtlich
lösenden Schüsse").
34 S. dazu insbesondere Busch u.a., Die
Polizei in der Bundesrepublik, Frankfurt/New York 1985.
35 S. dazu ausführlicher:
Gössner/Herzog, Der Apparat, a.a.O., S. 233 ff.
36 S. dazu die
tabellarischen Auflistungen in "Bürgerrechte & Polizei", die
jährlich fortlaufend ergänzt werden und aus denen in der Regel
ersichtlich ist, welchen Polizeibereichen die jeweiligen Todesschützen
angehören. Zusammenfassung 1980 bis 1988, in: Mit tödlicher
Sicherheit, a.a.O., S. 48 ff.
37 Zum ersten Mal dokumentiert in: Gössner/Herzog,
Der Apparat, a.a.O., S. 195 ff.
38 S. auch Tophoven, GSG 9,. Kommando gegen
Terrorismus, Koblenz/Bonn 1977, S. 44.
39 Tophoven, a.a.O., S. 49.
40
Hübner, Survival-Schieß-Technik, Civil Arms Verlag GmbH, Lichtenwald
1980.
41 Text in der Fassung vom 25. November 1977 mit offizieller Begründung
und Anmerkungen in: Heise/Riegel, Musterentwurf eines einheitlichen
Polizeigesetzes, Stuttgart u.a. 1978. S. auch Scholler/Broß, Grundzüge
des Polizei- und Ordnungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland,
Heidelberg/Karlsruhe 1978; kritisch dazu Ehrhardt/Kunze, Musterentwurf des
Polizeirechtsstaates, Westberlin 1979; Funk/Werkentin, Nur kleine Kratzer am
Rechtsstaat? In: Neue Politik 1/1979, S. 60 ff.
42 Art. 102 Grundgesetz: "Die
Todesstrafe ist abgeschafft."
43 Vgl. zur Kritik: Gössner, in:
Mit tödlicher Sicherheit, hrg. von Bürger kontrollieren die Polizei"!,
Bremen 1990, S. 4 ff; ders., Schaarfschützen-Mentalität, in: Neue
Kriminalpolitik 4/1989, S. 17.
44 Mertens, Zum polizeilichen Schußwaffengebrauch,
in: Aktuelle Probleme des Polizeirechts, Westberlin 1977, S. 85.
45 Aus
einer Broschüre der "Gewerkschaft der Polizei" GdP) zur "Eigensicherung".
46 LNF 371 Ausgabe 1981. "VS-NfD".
47 S. dazu u.a. Gössner/Herzog,
Der Apparat, a.a.O., S. 214, 340 f. m.w.N.
48 1971: 3 (Buchert, Zum
polizeilichen Schußwaffengebrauch, Lübeck 1975, Anhang 9) und 1972 -
1980: 62 (laut unveröffentlichter Zusammenstellung der Polizeiführungsakademie
über sämtliche Länder- und Bundespolizeien, Stand Ende 1980, s.
Weser-Kurier vom 03.12.1980), also insgesamt 65 Beamte. Von 1976 bis 1980 (5
Jahre) waren es es lediglich 17 (s. Die Polizei 7/1983, S. 229 sowie die
Auskunft des BKA an den SPD-Bundestagsabgeordneten Thomas Schröer;
abgedruckt in: Frankfurter Rundschau vom 25.03.1983.
49 Funk/Werkentin, in:
Kritische Justiz 2/1976, S. 131.
50 Werkentin/Thies, Schneller und
zielsicherer, in: Bürgerrechte & Polizei (cilip) 16/1983, S. 72 ff (S.
82, mit Tabelle S. 81).
51 Quelle: Die Polizei Nr. 9/1982.
Um die Hälfte
geringer ist das Risiko allerdings in Großbritannien (England, Wales,
Schottland). Dazu Werkentin/Thies: "Das heißt, daß gerade in
dem Land, in dem weder die Ausbildung an Schußwaffen zum Regelfall der
Polizeiausbildung gehört, noch Polizisten ständig Waffen mit sich führen,
die Gefahr am geringsten ist, durch Straftäter getötet zu werden"
(a.a.O., S. 82). Ihre Forderung, die sie aus dieser Tatsache ableiten: "Zumindest
eine Teilentwaffnung der Polizei im Alltagsdienst ist geboten." (S. 84)
52 Riege, Kleine Polizeigeschichte, Lübeck 1966.
53 Lebenslänglich
u.a.: Verena Becker, Angelika Speitel, Christine Kuby; 15 Jahre: Gert Schneider
und Christoph Wackernagel.
54 Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Hamburg
1986, S. 157 f.
55 Zit. nach "Die Welt" vom 23.02.1980.
56
Dazu Heinrich Hannover, der Astrid Proll verteidigt hat, in:
Terroristenprozesse, Kapitel "Durchbrechung und Aufhebung der Feinderklärung",
S. 89 ff.
57 Alle nachfolgenden Zeitungsartikel vom 12. Februar 1971.
58 S. dazu Dieter Herold, Schüsse aus der falschen Richtung, in "stern"
Nr. 27/1978), S. 82 - 84.
59 Einstellungsverfügung der
Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth vom 15.06.1979 -
Az.: 340 JS 18/79. Darin heißt es: "Der Schußwaffengebrauch der
Polizeibeamten Nr. 24 und 26 ... war ... gerechtfertigt, da die Beamten in
Notwehr gehandelt haben. Dieses Notwehrrecht steht jedem Staatsbürgger zu."
Die Staatsanwaltschaft bezieht sich dabei auf die Tatsache, daß Elisabeth
von Dyck bewaffnet war, obgleich sie von der Schußwaffe keinen Gebrauch
machte.
60 Auszugsweise dokumentiert in Bakker Schut u.a., Todesschüsse
..., a.a.O., S. 8 ff. S. zu diesem Fall auch: Der kürzeste Prozeß:
Der gezielte Todesschuß! Dokumentation, a.a.O., S. 11 ff.
61 Zit.
nach "Die Welt" vom 28.06.1972.
62 Buchert, Zum polizeilichen
Schußwaffengebrauch, Lübeck 1975, S. 26, Anm. 105.
63 BGH-Urteil
vom 20.03.1975, in: NJW 1975, S. 1231 f.
64 Walter/Werkentin, Die
justizielle Kontrolle polizeilicher Todesschüsse, in: Bürgerrechte &
Polizei 26/1987, S. 5 ff.
65 Vgl. 24 Bundesbeamtenrechts-Rahmengesetz
sowie die Parallel-Regelungen in den Landes-Beamtengesetzen, die bei einer
Freiheitsstrafe (wegen einer vorsätzlichen Tat) von einem Jahr oder mehr,
das Beamtenverhältnis für beendet erklären. Allerdings wurde im
genannten Untersuchungszeitraum nicht ein einziger Todesschütze wegen "vorsätzlicher"
, sondern ausschließlich wegen "fahrlässig begangener"
Straftaten verurteilt. Doch selbst bei Vorsatz finden nach herrschender Meinung
und Rechtsprechung die genannten Regelungen keine Anwendung, wenn die
Verurteilung zur Bewährung ausgesprochen wird, was bei polizeilichen
Todesschüssen die Regel ist (bis zu 2 Jahren).
66 S. dazu: Gössner/Herzog,
Der Apparat, a.a.O., S. 203 ff., dies., Staatsgewalten unter sich. Wer
kontrolliert die Polizei, Bremen 1983 ("Bürger kontrollieren die
Polizei", Charlottenstr. 3, Bremen), S. 17 ff
67 Walter/Werkentin,
a.a. O., in: Bürgerrechte & Polizei 26/1987, S. 5 ff (22).
68
Urteilsbegründung der 53. Strafkammer (Schwurgericht) des Landgerichts
Berlin im Fall des 18jährigen Andreas Piper, der am 21.11.1982 in Berlin
bei Dunkelheit als mutmaßlicher, unbewaffneter Einbrecher auf der Flucht "ungezielt"
von einem Funkstreifenbeamten erschossen worden war. Dieses erstinstanzliche
Ureil lautete - eine absolute Ausnahme - wegen "bedingt vorsätzlichen
Totschlags" auf 2 Jahre und 6 Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung
(Az.: /553/ 1 Kap Ks 40/83 /24/83/ - zit. nach Walter/Werkentin, a.a.O., S. 21).
In 2. Instanz wurde der angeklagte Polizeibeamte - nun wieder gewohnheitsmäßig
- nur wegen "fahrlässiger Tötung" zu lediglich einem Jahr
mit Bewährung verurteilt.
69 Eine entsprechende "Polizeibetreuung"
ist in nahezu allen von Polizeibeamten verursachten Todesschußfällen
feststellbar, z.B. auch in den Fällen Petra Schelm und Manfred Perder -
mit entsprechend gravierenden Folgen für die jeweiligen Verfahren und
Entscheidungen.
70 Ziel und Mittel der polizeilichen Zeugenbetreuung sind
allgemein gefaßt in polizeiinternen "Merkblättern"
festgelegt.
71 Zu diesem Komplex: Maeffert, Polizeiliche Zeugenbetreuung,
Frankfurt 1980.
72 Dazu u.a.: Der kürzeste Prozeß: Der gezielte
Todesschuß! Dokumentation, a.a.O., S.. 17 ff.
73 Laut FR v.
02.07.1983; in die schriftliche Urteilsbegründung wurde das Argument nicht
aufgenommen. Der Polizeischütze kam mit 6 Monaten Freiheitsstrafe mit Bewährung
und 3.500 DM Geldstrafe davon ("Fahrlässige Tötung"). Der
erschossene Junge hatte in der Nacht des 21.03.1983 in Gauting bei München
lediglich eine Fensterscheibe in einem Jugendzentrum eingeschlagen, um darin zu
nächtigen. Dabei wurde er von dem Zivil-Polizisten als mutmaßlicher
Einbrecher mit drei Schüssen getötet.
74 S. dazu: Gössner/Herzog,
Im Schatten des Rechts - Methoden einer neuen Geheim-Polizei, Köln 1984, S.
259 ff sowie dies., Staatsgewalten unter sich, a.a.O., S. 25.
75 Uns liegt
die Eidesstattliche Versicherung (vom 18. Januar 1982) eines ehemaligen
Gerichtsreferendars, des heutigen Rechtsanwalt Helmut B. vor, nach welcher der
erwähnte Staatsanwalt im Jahre 1975 während einer Arbeitsgemeinschaft
von Gerichtsreferendaren am Landgericht Hanau diese Ausführungen gemacht
hat.