Redaktionsgruppe
Ohne den Spitzel Klaus Steinmetz hätte es Bad Kleinen nicht gegeben, wäre
Birgit Hogefeld nicht verhaftet und Wolfgang Grams nicht erschossen worden. In
23 Jahren ist es dem Staatsschutz nur drei-viermal gelungen, einen Spitzel an
die RAF heranzuführen. Wie Steinmetz konkret an die RAF heran kam, wissen
wir nicht, dazu wurde bis heute nichts gesagt. Wir können hier nur seinen
Werdegang in der linken Scene beschreiben.
Die Spitzel-Karriere von Klaus
Steinmetz ist das Produkt von Anfang der 80'er Jahre vage bekannt gewordenen
Geheimdienstprogrammen, die das Ziel hatten, durch langfristig eingesetzte "Perspektivagenten"
- kalkuliert wurde mit mehreren Jahren - an die RAF heranzukommen. Diese "Perspektivagenten"
sollten u.a. in der linken Szene angeworben werden.
"Ausgangspunkt war,
jemanden anzuwerben, der Sympathien für die Szene hatte. Das war die
Voraussetzung, die den Erfolg sehr viel wahrscheinlicher machte, als den eines
von außen eingeschleusten und speziell ausgebildeten Geheimdienstbeamten,
dem die Lebensweise und das Denken der Szene völlig fremd sind und damit äußerlich
bleiben."1
1983 war Steinmetz in Kaiserslautern in einer Gruppe aus der
Friedensbewegung und ASTA-Referent an der Uni. Ab 1985 fuhr er öfter an die
Startbahn-West und bekam dadurch Kontakte zu Leuten aus Frankfurt. Im gleichen
Jahr zog er nach Mainz, arbeitete in einem Lateinamerika-Komitee und bekam
Kontakt zu Leuten aus der autonomen Szene. Die Ereignisse um den Tod von Günter
Saré in Frankfurt und die Startbahn-West standen im Mittelpunkt seiner "politischen
Arbeit". 1986 nahm er an vielen militanten Demonstrationen im Zusammenhang
der Anti-AKW-Kämpfe und Tschernobyl teil.
Ende '86 zog er mit einem
Genossen aus Mainz nach Wiesbaden. Dort gab es die erste Hausdurchsuchung wegen
einem Brandanschlag bei Nazi-Müller in Mainz. Die Ermittlungen liefen
jedoch gegen seinen Mitbewohner. 1987 bekam er Kontakt zu Einzelnen aus der
Wiesbadener Autonomen Antifa und Leuten aus dem anti-imperialistischen
Widerstand. Er beteiligte sich damals an der Vorbereitung einer bundesweiten
Demonstration in Stuttgart zum zehnten Jahrestag des Todes der Gefangenen aus
der RAF in Stammheim am 18.10.77.
Nach den tödlichen Schüssen auf
zwei Polizisten an der Startbahn-West in der Nacht vom 2.11.87 wurde die ganze
linksradikale Scene im gesamten Rhein-Main-Gebiet eine Ringfahndung mit einer
scharfen Reppressionswelle überzogen. Steinmetz wurde, wie viele andere
auch, bei einer Hausdurchsuchung festgenommen.
Im Frühjahr 1988
beteiligte er sich an einer militanten Aktion im Zusammenhang mit dem
Hungerstreik der französischen Gefangenen aus "Action Directe"
gegen das "Institut Français" in Frankfurt.
Im Herbst 1988
wurde der Infoladen in Wiesbaden eröffnet. Es war ein gemeinsames Projekt
(Treffpunkt für Diskussionen, Veranstaltungen, Infoaustausch ect.) von
Leuten aus dem autonomen und anti-imperialistischen Spektrum. Steinmetz
beteiligte sich teilweise an Diskussionen und praktischen Arbeiten.
Im Mai
'89 wurde er zusammen mit seinem Mitbewohner bei einem Einbruch in Ingelheim
festgenommen. Die Polizei fand in seinem Computerladen einen Computer aus einem
weiteren Einbruch. In erster Instanz wurden beide zu 11/2 Jahren verurteilt, das
Urteil wurde jedoch in der Revision zur Bewährung ausgesetzt.
In den
folgenden Jahren war er bei verschiedenen Vorbereitungen von Hausbesetzungen
dabei und unterstützte die Besetzungen von außen. Nachdem er kurze
Zeit in einer Internationalismus-Gruppe arbeitete, trat er im Februar '93 der
Antifa Mainz/Wiesbaden bei. Zuletzt zeigte er großes Interesse an
bundesweiten Organisierungsansätzen wie der Antifaschistischen
Aktion/Bundesweite Organisation und der Initiative der Berliner Gruppe F.e.l.S.
Steinmetz persönliche und politische Geschichte war überprüfbar,
es war keine vom Geheimdienst geschaffene Legende. Es gab Kontakte zu Leuten in
Kaiserslautern, die zeitweise mit ihm politisch zusammen gearbeitet haben.
Mehrere Male fanden auf dem Bauernhof seiner Eltern größere
politische Treffen statt, auf denen Leute auch seine Mutter kennenlernten.
Ende
der 80er Jahre gab es von autonomen und antiimperialistischen Zusammenhängen
des Widerstands Bemühungen, alte Spaltungen zu überwinden und stärker
politisch zusammenzuarbeiten. Bei diesen Initiativen - zum Beispiel
Stammheim-Demo in Stuttgart, Institut Français, Infoladeneröffnung
in Wiesbaden - hat er sich stets beteiligt. Er wurde als jemand wahrgenommen,
der von alten Abgrenzungen weg und "weiter" will. Abgesehen von dieser
"Offenheit" hat er kaum weitere politische Substanz gezeigt. Daß
er z. B. in Diskussionen den Mund nicht aufgekriegt hat, wurde zwar negativ
registriert, aber man arrangierte sich damit. Steinmetz glich dieses Manko
dadurch aus, daß er sich als "Praktiker" vermittelte.
Er
hat sich im Laufe der Jahre in der linken Szene Vertrauen durch ein "augenscheinlich"
radikales Verhältnis zum Staat und durch Hilfsbereitschaft bei bestimmten
praktischen Arbeiten geschaffen. Das reichte von einfachen, auch alltäglichen
Hilfestellungen und guten praktische Ideen bis zur Mitarbeit in einer Gruppe,
die versuchte, einer Person zu helfen, die durch die starke staatliche
Repression nach den Schüssen an der Startbahn gezwungen war, "abzutauchen".
Bei Demos konnte er Leute aus Festnahmesituationen wieder raushauen.
Durch
Teilnahme an vielen militanten/illegalen Aktionen verschaffte er sich Vertrauen
und Anerkennung. Er verstand es auch, mit diesem Bonus zu arbeiten, indem er
Leuten, zu denen er Kontakt bekommen wollte, andeutete, wo und was er schon
mitgemacht habe. Er hatte langjährige Kontakte zu Leuten aus der linken
Szene in verschiedenen Städten - eine Tatsache, die auch oft zu einem
vertrauensvollen Bild von jemanden führt. Immer wieder hat er auch seine
Beziehungen zu Frauen eingesetzt, um Kontakte zu für ihn interessanten
Zusammenhängen zu knüpfen.
Es hat einige Hinweise gegeben, die, wäre mensch ihnen nachgegangen, Mißtrauen
hätten erzeugen können. Ob er dadurch als Spitzel enttarnt worden wäre,
bleibt dahingestellt, jedoch hätte er mit Sicherheit nicht den Weg bis zur
RAF gehen können und seine Geheimdiensttätigkeit hätte nicht eine
solche politische Dimension erreicht und solchen Schaden anrichten können.
1983, als Steinmetz noch in der Friedensbewegung und ASTA-Referent war, hatte
seine Gruppe einen Spitzelverdacht gegen einen Dritten. Steinmetz ging dem nach
und erklärte später, daß es sich tatsächlich um einen
Spitzel gehandelt habe. Desweiteren erzählte er der Gruppe kurze Zeit später,
er habe ein Büro des Verfassunsschutzes ausfindig gemacht und wolle Fotos
davon machen. Ihm wurde davon abgeraten, er machte es aber trotzdem. Als ihn
eine Frau später auf die Fotos ansprach, druckste er herum und sagte, er
habe sie nicht mehr. Der Verfassungsschutz sei bei ihm auf der Arbeit erschienen
und habe ihn unter Druck gesetzt, um an die Bilder zu kommen. Jahre später
zeigte er einem Genossen in einer anderen Stadt diese Bilder. Einer anderen
Freundin, die ihm davon abriet, sich auf irgendetwas mit dem Verfassungsschutz
einzulassen, antwortete er, er wolle sich mal zum Schein darauf einlassen, um an
Infos zu kommen.
Im Januar 1985 gab es an der Universität
Kaiserslautern eine Veranstaltung zu den politischen Gefangenen. Der ASTA trat
als Mitveranstalter auf. Aufgrund dieser Veranstaltung kam es zu
Ermittlungsverfahren gegen neun Leute aus dem antiimperialistischen Spektrum,
die für manche mit Haftstrafen endeten. Wie einige andere mußte auch
Steinmetz als ASTA-Referent zur Vernehmung. Er war allerdings der Einzige, der
keinen Anwalt mitnahm und dessen Vernehmung Stunden dauerte. Als er gefragt
wurde, was er erzählt habe, behauptete er: "nichts Wichtiges, nichts
Wesentliches" und drückte sich um klare Aussagen herum. Trotzdem wurde
er von GenossInnen aus dem antiimperialistischen Spektrum damit entschuldigt, daß
er neu und unerfahren sei.
Steinmetz war im Lauf der Jahre immer wieder in
unterschiedlicher Weise "mit der Staatsmacht konfrontiert". Sei es bei
der erwähnten Aktion gegen das "Institut Français", wo bei
ihm die Quittung eines Strafzettels gefunden wurde, die auf seine Beteiligung an
der Aktion hinwies; oder 1986, als bei einer Hausdurchsuchung bei ihm eine
handschriftliche Erklärung zu einer Aktion gefunden wurde, die nicht
stattgefunden hatte. Beide Male hatte das keine strafrechtlichen Konsequenzen für
ihn. So wurde zwar wegen der Aktion gegen das "Institut Français"
gegen ihn ermittelt, das Verfahren wurde jedoch eingestellt. Auch für
seinen Einbruch bekam er im Berufungsverfahren "lediglich" eine Bewährungsstrafe.
Das war insofern ungewöhnlich, als normalerweise gerade Menschen aus dem
linksradikalen Spektrum auch aus geringeren Anlässen mit Knaststrafen
belegt werden.
Auch die Andeutungen, die er immer wieder machte, um jemandes
Vertrauen zu gewinnen, hätten in ihrer Summe zu Konsequenzen im Umgang mit
ihm führen müssen. Sie wurden allerdings erst zusammen getragen, als
er schon längst aufgeflogen war.
Einmal wurde er sogar aus einer
fremden Wohnung hinausgeworfen, weil er zu offensichtlich in einer Schublade "geschnüffelt"
hatte. Er schaffte es aber wieder, sich mit angeblichen "Unklarheiten"
Anderer rauszuwinden und persönliche Beziehungen zu funktionalisieren, um
zumindest wieder geduldet zu werden. Zugute kam ihm dabei, daß der Vorfall
sich in einer anderen Stadt ereignet hatte.
Zu den Fehlern und Schwächen
von linken Strukturen, die es ihm ermöglicht haben, bis zum Ende unerkannt
zu bleiben, gehört sicher die Unentschiedenheit im Umgang mit Situationen,
in denen er sich eigentlich verraten hat. Er hat es jedesmal geschafft, sich aus
prekären Situationen rauszuwinden. Dabei hat er immer mit seiner "sozialen
Schwäche" und seinen "Scheiß-Strukturen" argumentiert
und tiefgreifende Besserung gelobt - meist ist es ihm eine zeitlang auch
gelungen, diese "Besserung" vorzutäuschen.
Seit Mitte der 80er Jahre geriet der radikale linke Widerstand in der BRD
immer mehr in die politische Defensive. Der überwiegende Teil der
Militanten zog sich entweder ganz aus der politischen Praxis zurück oder
verfiel zunehmend in einen Aktionismus, dessen fehlende politische Substanz
durch abstrakte und kurzatmige Bestimmungen ersetzt wurde. In dieser Situation
konnte sich Steinmetz bewegen, ohne daß seine fehlende politische Identität
Anlaß zu tiefgreifender Kritik hätte sein können. Den Aktiven
selbst war die eigene Bestimmung zunehmend verloren gegangen. Es reichte, daß
Steinmetz vorgab, auch nach neuen Wegen zu suchen, und das er die jeweils
angesagten schnell wechselnden "Strategien" kommentierend oder
praktisch helfend begleitete, um akzeptiert zu werden. Die Hohlheit seiner
Phrasen wurde wohl wahrgenommen, stach aber aus der allgemeinen Orientierungs-
und Inhaltslosigkeit nicht sehr auffallend hervor. Seine "Fehler"
blieben stehen als ein Problem unter vielen. In so einer politischen Situation können
auch die Sicherheitskriterien gegen Spitzel, die immer nur formal und lediglich
eine Hilfestellung sein können, nichts nützen.
Diese Kritik der eigenen Fehler soll aber den Staatsschutzangriff nicht
verharmlosen und den Spitzel nicht reinwaschen.
Steinmetz war kein Verräter,
sondern ein Agent. War er vielleicht am Anfang noch erpresst worden (eine beim
Verfassungsschutz gebräuchliche Anwerbemethode) und hat ihm das Szeneleben
auch sichtlich gut gefallen, so hat er doch in den fast 10 Jahren seiner
Spitzeltätigkeit ausdauernd, zielstrebig und initiativ den Kontakt zu
verschiedenen Zusammenhängen der legalen Linken und zur RAF gesucht und sie
ausspioniert.
Steinmetz war auch nicht der gewaltlose Idealist und "Vermittler",
als den ihn der Verfassungsschutz jetzt gerne darstellen will. "Vermittelt"
hat er nur dann, wenn ihm ein Konflikt zu unbequem wurde und mensch ihm keine Möglichkeit
gelassen hat, sich rauszuziehen.
"Wir wissen und der Verfassungsschutz
weiß das auch, daß Steinmetz immer wieder an militanten Aktionen
teilgenommen hat, die juristisch Straftatbestände wie "schwerer
Landfriedensbruch" und "schwere Sachbeschädigung" erfüllten."2 Ein Beispiel ist die oben erwähnte Aktion gegen das "Institut
Français". Die Teilnahme von Steinmetz an solchen Aktionen war natürlich
im Sinne des Verfassungsschutzes und muß ihm spätestens mit dem
diesbezüglichen Verfahren gegen ihn bekannt geworden sein. Das Gesülze
vom gewaltlosen Idealisten hat den Zweck, seine Dienstherren zu entlasten.