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Wed Dec  4 17:38:09 1996
 

Der Werdegang einer "Spitzenquelle"


Redaktionsgruppe





Ohne den Spitzel Klaus Steinmetz hätte es Bad Kleinen nicht gegeben, wäre Birgit Hogefeld nicht verhaftet und Wolfgang Grams nicht erschossen worden. In 23 Jahren ist es dem Staatsschutz nur drei-viermal gelungen, einen Spitzel an die RAF heranzuführen. Wie Steinmetz konkret an die RAF heran kam, wissen wir nicht, dazu wurde bis heute nichts gesagt. Wir können hier nur seinen Werdegang in der linken Scene beschreiben.
Die Spitzel-Karriere von Klaus Steinmetz ist das Produkt von Anfang der 80'er Jahre vage bekannt gewordenen Geheimdienstprogrammen, die das Ziel hatten, durch langfristig eingesetzte "Perspektivagenten" - kalkuliert wurde mit mehreren Jahren - an die RAF heranzukommen. Diese "Perspektivagenten" sollten u.a. in der linken Szene angeworben werden.
"Ausgangspunkt war, jemanden anzuwerben, der Sympathien für die Szene hatte. Das war die Voraussetzung, die den Erfolg sehr viel wahrscheinlicher machte, als den eines von außen eingeschleusten und speziell ausgebildeten Geheimdienstbeamten, dem die Lebensweise und das Denken der Szene völlig fremd sind und damit äußerlich bleiben."1

Klaus Steinmetz hatte, oberflächlich betrachtet, eine "politische Geschichte" wie viele andere in der linken Szene

1983 war Steinmetz in Kaiserslautern in einer Gruppe aus der Friedensbewegung und ASTA-Referent an der Uni. Ab 1985 fuhr er öfter an die Startbahn-West und bekam dadurch Kontakte zu Leuten aus Frankfurt. Im gleichen Jahr zog er nach Mainz, arbeitete in einem Lateinamerika-Komitee und bekam Kontakt zu Leuten aus der autonomen Szene. Die Ereignisse um den Tod von Günter Saré in Frankfurt und die Startbahn-West standen im Mittelpunkt seiner "politischen Arbeit". 1986 nahm er an vielen militanten Demonstrationen im Zusammenhang der Anti-AKW-Kämpfe und Tschernobyl teil.
Ende '86 zog er mit einem Genossen aus Mainz nach Wiesbaden. Dort gab es die erste Hausdurchsuchung wegen einem Brandanschlag bei Nazi-Müller in Mainz. Die Ermittlungen liefen jedoch gegen seinen Mitbewohner. 1987 bekam er Kontakt zu Einzelnen aus der Wiesbadener Autonomen Antifa und Leuten aus dem anti-imperialistischen Widerstand. Er beteiligte sich damals an der Vorbereitung einer bundesweiten Demonstration in Stuttgart zum zehnten Jahrestag des Todes der Gefangenen aus der RAF in Stammheim am 18.10.77.
Nach den tödlichen Schüssen auf zwei Polizisten an der Startbahn-West in der Nacht vom 2.11.87 wurde die ganze linksradikale Scene im gesamten Rhein-Main-Gebiet eine Ringfahndung mit einer scharfen Reppressionswelle überzogen. Steinmetz wurde, wie viele andere auch, bei einer Hausdurchsuchung festgenommen.
Im Frühjahr 1988 beteiligte er sich an einer militanten Aktion im Zusammenhang mit dem Hungerstreik der französischen Gefangenen aus "Action Directe" gegen das "Institut Français" in Frankfurt.
Im Herbst 1988 wurde der Infoladen in Wiesbaden eröffnet. Es war ein gemeinsames Projekt (Treffpunkt für Diskussionen, Veranstaltungen, Infoaustausch ect.) von Leuten aus dem autonomen und anti-imperialistischen Spektrum. Steinmetz beteiligte sich teilweise an Diskussionen und praktischen Arbeiten.
Im Mai '89 wurde er zusammen mit seinem Mitbewohner bei einem Einbruch in Ingelheim festgenommen. Die Polizei fand in seinem Computerladen einen Computer aus einem weiteren Einbruch. In erster Instanz wurden beide zu 11/2 Jahren verurteilt, das Urteil wurde jedoch in der Revision zur Bewährung ausgesetzt.
In den folgenden Jahren war er bei verschiedenen Vorbereitungen von Hausbesetzungen dabei und unterstützte die Besetzungen von außen. Nachdem er kurze Zeit in einer Internationalismus-Gruppe arbeitete, trat er im Februar '93 der Antifa Mainz/Wiesbaden bei. Zuletzt zeigte er großes Interesse an bundesweiten Organisierungsansätzen wie der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation und der Initiative der Berliner Gruppe F.e.l.S.

Steinmetz persönliche und politische Geschichte war überprüfbar, es war keine vom Geheimdienst geschaffene Legende. Es gab Kontakte zu Leuten in Kaiserslautern, die zeitweise mit ihm politisch zusammen gearbeitet haben. Mehrere Male fanden auf dem Bauernhof seiner Eltern größere politische Treffen statt, auf denen Leute auch seine Mutter kennenlernten.
Ende der 80er Jahre gab es von autonomen und antiimperialistischen Zusammenhängen des Widerstands Bemühungen, alte Spaltungen zu überwinden und stärker politisch zusammenzuarbeiten. Bei diesen Initiativen - zum Beispiel Stammheim-Demo in Stuttgart, Institut Français, Infoladeneröffnung in Wiesbaden - hat er sich stets beteiligt. Er wurde als jemand wahrgenommen, der von alten Abgrenzungen weg und "weiter" will. Abgesehen von dieser "Offenheit" hat er kaum weitere politische Substanz gezeigt. Daß er z. B. in Diskussionen den Mund nicht aufgekriegt hat, wurde zwar negativ registriert, aber man arrangierte sich damit. Steinmetz glich dieses Manko dadurch aus, daß er sich als "Praktiker" vermittelte.
Er hat sich im Laufe der Jahre in der linken Szene Vertrauen durch ein "augenscheinlich" radikales Verhältnis zum Staat und durch Hilfsbereitschaft bei bestimmten praktischen Arbeiten geschaffen. Das reichte von einfachen, auch alltäglichen Hilfestellungen und guten praktische Ideen bis zur Mitarbeit in einer Gruppe, die versuchte, einer Person zu helfen, die durch die starke staatliche Repression nach den Schüssen an der Startbahn gezwungen war, "abzutauchen". Bei Demos konnte er Leute aus Festnahmesituationen wieder raushauen.
Durch Teilnahme an vielen militanten/illegalen Aktionen verschaffte er sich Vertrauen und Anerkennung. Er verstand es auch, mit diesem Bonus zu arbeiten, indem er Leuten, zu denen er Kontakt bekommen wollte, andeutete, wo und was er schon mitgemacht habe. Er hatte langjährige Kontakte zu Leuten aus der linken Szene in verschiedenen Städten - eine Tatsache, die auch oft zu einem vertrauensvollen Bild von jemanden führt. Immer wieder hat er auch seine Beziehungen zu Frauen eingesetzt, um Kontakte zu für ihn interessanten Zusammenhängen zu knüpfen.

Steinmetz' "Erfolg" lag nicht so sehr daran, daß er und der Verfassungsschutz so "gut" waren, sondern v.a. an der desolaten Situation der betroffenen politischen Zusammenhänge.

Es hat einige Hinweise gegeben, die, wäre mensch ihnen nachgegangen, Mißtrauen hätten erzeugen können. Ob er dadurch als Spitzel enttarnt worden wäre, bleibt dahingestellt, jedoch hätte er mit Sicherheit nicht den Weg bis zur RAF gehen können und seine Geheimdiensttätigkeit hätte nicht eine solche politische Dimension erreicht und solchen Schaden anrichten können.
1983, als Steinmetz noch in der Friedensbewegung und ASTA-Referent war, hatte seine Gruppe einen Spitzelverdacht gegen einen Dritten. Steinmetz ging dem nach und erklärte später, daß es sich tatsächlich um einen Spitzel gehandelt habe. Desweiteren erzählte er der Gruppe kurze Zeit später, er habe ein Büro des Verfassunsschutzes ausfindig gemacht und wolle Fotos davon machen. Ihm wurde davon abgeraten, er machte es aber trotzdem. Als ihn eine Frau später auf die Fotos ansprach, druckste er herum und sagte, er habe sie nicht mehr. Der Verfassungsschutz sei bei ihm auf der Arbeit erschienen und habe ihn unter Druck gesetzt, um an die Bilder zu kommen. Jahre später zeigte er einem Genossen in einer anderen Stadt diese Bilder. Einer anderen Freundin, die ihm davon abriet, sich auf irgendetwas mit dem Verfassungsschutz einzulassen, antwortete er, er wolle sich mal zum Schein darauf einlassen, um an Infos zu kommen.
Im Januar 1985 gab es an der Universität Kaiserslautern eine Veranstaltung zu den politischen Gefangenen. Der ASTA trat als Mitveranstalter auf. Aufgrund dieser Veranstaltung kam es zu Ermittlungsverfahren gegen neun Leute aus dem antiimperialistischen Spektrum, die für manche mit Haftstrafen endeten. Wie einige andere mußte auch Steinmetz als ASTA-Referent zur Vernehmung. Er war allerdings der Einzige, der keinen Anwalt mitnahm und dessen Vernehmung Stunden dauerte. Als er gefragt wurde, was er erzählt habe, behauptete er: "nichts Wichtiges, nichts Wesentliches" und drückte sich um klare Aussagen herum. Trotzdem wurde er von GenossInnen aus dem antiimperialistischen Spektrum damit entschuldigt, daß er neu und unerfahren sei.
Steinmetz war im Lauf der Jahre immer wieder in unterschiedlicher Weise "mit der Staatsmacht konfrontiert". Sei es bei der erwähnten Aktion gegen das "Institut Français", wo bei ihm die Quittung eines Strafzettels gefunden wurde, die auf seine Beteiligung an der Aktion hinwies; oder 1986, als bei einer Hausdurchsuchung bei ihm eine handschriftliche Erklärung zu einer Aktion gefunden wurde, die nicht stattgefunden hatte. Beide Male hatte das keine strafrechtlichen Konsequenzen für ihn. So wurde zwar wegen der Aktion gegen das "Institut Français" gegen ihn ermittelt, das Verfahren wurde jedoch eingestellt. Auch für seinen Einbruch bekam er im Berufungsverfahren "lediglich" eine Bewährungsstrafe. Das war insofern ungewöhnlich, als normalerweise gerade Menschen aus dem linksradikalen Spektrum auch aus geringeren Anlässen mit Knaststrafen belegt werden.
Auch die Andeutungen, die er immer wieder machte, um jemandes Vertrauen zu gewinnen, hätten in ihrer Summe zu Konsequenzen im Umgang mit ihm führen müssen. Sie wurden allerdings erst zusammen getragen, als er schon längst aufgeflogen war.
Einmal wurde er sogar aus einer fremden Wohnung hinausgeworfen, weil er zu offensichtlich in einer Schublade "geschnüffelt" hatte. Er schaffte es aber wieder, sich mit angeblichen "Unklarheiten" Anderer rauszuwinden und persönliche Beziehungen zu funktionalisieren, um zumindest wieder geduldet zu werden. Zugute kam ihm dabei, daß der Vorfall sich in einer anderen Stadt ereignet hatte.
Zu den Fehlern und Schwächen von linken Strukturen, die es ihm ermöglicht haben, bis zum Ende unerkannt zu bleiben, gehört sicher die Unentschiedenheit im Umgang mit Situationen, in denen er sich eigentlich verraten hat. Er hat es jedesmal geschafft, sich aus prekären Situationen rauszuwinden. Dabei hat er immer mit seiner "sozialen Schwäche" und seinen "Scheiß-Strukturen" argumentiert und tiefgreifende Besserung gelobt - meist ist es ihm eine zeitlang auch gelungen, diese "Besserung" vorzutäuschen.

Wesentlichere Ursache für seinen Erfolg war aber die politische Schwäche, in die sein Einsatz hineinstieß.

Seit Mitte der 80er Jahre geriet der radikale linke Widerstand in der BRD immer mehr in die politische Defensive. Der überwiegende Teil der Militanten zog sich entweder ganz aus der politischen Praxis zurück oder verfiel zunehmend in einen Aktionismus, dessen fehlende politische Substanz durch abstrakte und kurzatmige Bestimmungen ersetzt wurde. In dieser Situation konnte sich Steinmetz bewegen, ohne daß seine fehlende politische Identität Anlaß zu tiefgreifender Kritik hätte sein können. Den Aktiven selbst war die eigene Bestimmung zunehmend verloren gegangen. Es reichte, daß Steinmetz vorgab, auch nach neuen Wegen zu suchen, und das er die jeweils angesagten schnell wechselnden "Strategien" kommentierend oder praktisch helfend begleitete, um akzeptiert zu werden. Die Hohlheit seiner Phrasen wurde wohl wahrgenommen, stach aber aus der allgemeinen Orientierungs- und Inhaltslosigkeit nicht sehr auffallend hervor. Seine "Fehler" blieben stehen als ein Problem unter vielen. In so einer politischen Situation können auch die Sicherheitskriterien gegen Spitzel, die immer nur formal und lediglich eine Hilfestellung sein können, nichts nützen.

Diese Kritik der eigenen Fehler soll aber den Staatsschutzangriff nicht verharmlosen und den Spitzel nicht reinwaschen.
Steinmetz war kein Verräter, sondern ein Agent. War er vielleicht am Anfang noch erpresst worden (eine beim Verfassungsschutz gebräuchliche Anwerbemethode) und hat ihm das Szeneleben auch sichtlich gut gefallen, so hat er doch in den fast 10 Jahren seiner Spitzeltätigkeit ausdauernd, zielstrebig und initiativ den Kontakt zu verschiedenen Zusammenhängen der legalen Linken und zur RAF gesucht und sie ausspioniert.
Steinmetz war auch nicht der gewaltlose Idealist und "Vermittler", als den ihn der Verfassungsschutz jetzt gerne darstellen will. "Vermittelt" hat er nur dann, wenn ihm ein Konflikt zu unbequem wurde und mensch ihm keine Möglichkeit gelassen hat, sich rauszuziehen.
"Wir wissen und der Verfassungsschutz weiß das auch, daß Steinmetz immer wieder an militanten Aktionen teilgenommen hat, die juristisch Straftatbestände wie "schwerer Landfriedensbruch" und "schwere Sachbeschädigung" erfüllten."2 Ein Beispiel ist die oben erwähnte Aktion gegen das "Institut Français". Die Teilnahme von Steinmetz an solchen Aktionen war natürlich im Sinne des Verfassungsschutzes und muß ihm spätestens mit dem diesbezüglichen Verfahren gegen ihn bekannt geworden sein. Das Gesülze vom gewaltlosen Idealisten hat den Zweck, seine Dienstherren zu entlasten.




  1. Recherche zum V-Mann Klaus Steinmetz, S. 19;
    Zu beziehen über: Recherchegruppe, c/o Infoladen, Werderstr. 8, 65195 Wiesbaden
  2. a. a. O., S. 20