Birgit Hogefeld
In der Presse kam die Meldung:Steinmetz doch tragendes Mitglied der RAF
Nachdem ich mich zuerst gefragt haben, warum das so kam, denke ich
mittlerweile, daß es voraussehbar war.
Wir, die RAF und ich, haben
den Staatsschutzorganen die Möglichkeit dafür eröffnet, indem wir
mehr als acht Monate über diese Spitzel-Geschichte nicht redeten. Wie
immer, wenn die Fakten nicht bekannt sind und auf dem Tisch liegen, treiben -
diesmal vor allem in linken Zusammenhängen - Spekulationen und Gerüchte;
es wird von Leuten die Frage aufgeworfen, ob und wenn ja welche Hintergründe
dieser Geschichte von uns aus verschwiegen oder verdeckt werden sollen - ich
sage das nicht als Kritik, sondern als einfache Feststellung, von der wir hätten
ausgehen können und müssen. Unser monatelanges Schweigen zu diesem
Thema mit dem Resultat, daß Gerüchte sich breit machen und
Verunsicherung aufkommt, war für die Gegenseite eine regelrechte Einladung,
den dadurch entstandenen Raum mit ihren eigenen Inhalten zu füllen.
Und so wird der Spitzel zum 'Vollmitglied der RAF' aufgebaut. Die uralte und
immer wieder aufgewärmte Kriminalisierungsschiene von angeblichen
RAF-Mitgliedern, die in legalen linken Zusammenhängen leben - und daß
der Lebenszusammenhang von Steinmetz die legale linke Scene in Wiesbaden war und
nicht die illegalen Strukturen der RAF, ist ja bekannt. In die gleiche Richtung
zielt die angebliche Befragung vor Aktionen der RAF. (Steinmetz behauptet
bekanntlich, er sei in allgemeiner Form - schriftlich - vor der Aktion zu seiner
Meinung gefragt worden.)
Mit dieser Konstruktion sollen gegen Menschen,
die Kontakt zu Gruppen wie der RAF haben, lange oder lebenslängliche
Knaststrafen durchgesetzt werden.
Daß die Fakten, mit denen die
angebliche RAF-Mitgliedschaft von Steinmetz und seine Kenntnis der
RAF-Strukturen belegt werden sollen, keine anderen sind als die, die schon
wenige Tage nach der Erschießung von Wolfgang Grams und meiner Verhaftung
bekannt waren, fällt da kaum auf. Es sind einige Briefe von uns, die fast
alle in der Taz abgedruckt waren. Es wurde oft spekuliert, ob der Grund für
unseren Kontakt zu Steinmetz seine 'technischen Fähigkeiten' (also sein
Wissen über Computer) waren - nein, das war nicht so und bei Treffen mit
ihm haben solche Fragen wenig Raum eingenommen. Aber natürlich habe ich
mich im Nachhinein gefragt, ob es von unserer Seite aus andere 'falsche Gründe'
für den Kontakt zu ihm gegeben hat und ich denke, daß es die gab.
In der Zeit vor unserer Entscheidung vom April 1992 für eine Zäsur und
Rücknahme der Eskalation waren uns die Grenzen, auf die wir bei der
Entwicklung einer politischen Kraft für die Umwälzung der Verhältnisse
gestoßen waren, sehr bewußt. Es war uns in unserer über 20-jährigen
Geschichte und obwohl es während dieser Zeit phasenweise sehr breite
Protestbewegungen, Kämpfe linksradikaler und/oder autonomer Gruppen und
Bewegungen, emanzipatorische Bewegungen wie die Frauenbewegung usw. gegeben hat,
nie gelungen, mit diesen Bewegungen oder Teilen von ihnen zusammenzukommen und
gemeinsam eine Perspektive zu entwickeln. Für uns war klar, daß ein
Moment, das ein Zusammenkommen mit anderen verhindert hat, in unserer über
lange Zeit politisch beschränkten und engen Sichtweise und Bestimmung lag
und unser realer Bezugsrahmen die Kämpfe in anderen Teilen der Welt waren
und nicht die Situation im eigenen Land.
Wir hatten uns immer weiter von
der konkreten gesellschaftlichen Realität hier entfernt und damit auch von
vielen Menschen, die ein Leben unter den Zwängen und Wertkategorien im
Kapitalismus, in dem nur Geld und Ellbogen zählen, nicht für das größte
menschliche Glück halten, sondern die dieses Leben in allererster Linie als
leer und unerfüllt empfinden.
Für die Wenigen, die sich mit
unserem Kampf verbunden fühlten, waren wir teilweise zur Projektionsfläche
geworden und sie selber eben in der Zuschauerrolle - eine Erfahrung, die die RAF
mit vielen anderen bewaffnet kämpfenden Gruppen teilt.
In unseren
Diskussionen aus der Zeit vor unserer Entscheidung für eine Zäsur war
ein Schwerpunkt das Verstehen und die Aufarbeitung unserer eigenen Erfahrungen
und Geschichte. Das war für uns keine nach rückwärts gerichtete
Angelegenheit, schon gar nicht war sie aus der Kapitulation geboren, sondern wir
waren uns sicher, daß wir aus dieser Geschichte mit all ihren Stärken
und Fehlern Erkenntnisse gewinnen können, aus denen sich allgemeingültige
politische Kriterien ableiten lassen. Kriterien, die wir für die kommenden
Kämpfe, ihre Bestimmung und Organisierung brauchen, wenn wir nicht immer
wieder bei Null anfangen wollen.
Diskussionen über die Bewertung
unserer Geschichte und die Entwicklung des gesamten 'Front-Prozesses' der 80'er
Jahre haben wir auch mit GenossInnen geführt, die wir schon lange kannten
und deren eigene Geschichte das ja zum Teil war. Mit Steinmetz gab es solche
Diskussionen vor unserer Entscheidung vom April '92 nicht (ich schreibe das
deshalb, weil vom Staatsschutz immer wieder behauptet wird, er hätte
Diskussionen mit dieser Zielrichtung initiiert), denn wir haben ihn in dieser
Zeit um ersten Mal getroffen und er kam ja auch nicht aus dieser Geschichte.
Ende '91/Anfang '92 war aber eine Zeit, in der sich für uns einerseits
viele alte Vorstellungen und Bestimmungen als geschichtlich überholt oder
falsch erwiesen hatten und in der gleichzeitig neue Bestimmungen für den
revolutionären Kampf noch sehr allgemein und diffus waren. Es war in jeder
Hinsicht eine Umbruchsituation und insgesamt hatten wir viel mehr Fragen als
Antworten - die beiden ersten Sätze unseres Textes vom April '92:
'An
Alle, die auf der Suche nach Wegen sind, wie menschenwürdiges Leben hier
und weltweit an ganz konkreten Fragen organisiert und durchgesetzt werden
kann. Das ist auch unsere Suche.'
spiegeln das deutlich wider - das
sollten sie auch.
Mit allen, mit denen wir in dieser Zeit neu zusammengekommen sind, haben
wir uns folglich in erster Linie an Fragen und der Suche nach Antworten
getroffen und nicht an Konzepten - wir selber hatten noch keins und allen
anderen Linken in diesem Land ging es ebenso.
Situationen, in denen alte
Vorstellungen nicht mehr tragen und neue noch nicht da sind, sind wahrscheinlich
immer gefährlich, vor allem aber dann, wenn man sich die Gefahr, die darin
liegt, nicht bewußt macht. Der VS konnte diesen Spitzel an uns
ranschieben, weil wir uns die Tatsache nicht wirklich klar gemacht hatten, daß
mit dem Wegfallen alter Bestimmungen und dem Fehlen neuer auch die Kriterien,
mit denen wir Kontakte zu anderen bestimmt haben, unscharf geworden waren.
Steinmetz' Masche war, sich in politischen Diskussionen fragend und unsicher zu
geben und genau das wurde akzeptiert und nicht hinterfragt. Er konnte ewig seine
Fragen stellen und niemand hat gemerkt, daß er keine Anstrengung machte,
selber nach Antworten und Lösungen zu suchen, sondern das anderen überließ.
So muß es zwischen ihm und den Leuten, die uns mit ihm zusammengebracht
haben, lange gelaufen sein und so war es auch mit uns.
In der Zeit vor '91 gab es GenossInnen, die versucht haben, ihre
unterschiedlichen Initiativen (für die Veränderung der eigenen
Lebenssituation, für die Verhinderung kapitalistischer Entwicklungen oder für
internationalistisch bestimmte Kämpfe wie gegen den Golfkrieg usw.) bewußt
zu verbinden und zu einer politischen Konzeption zu entwickeln, die von der
Notwendigkeit dieser Verknüpfung ausgeht und sie zum festen Bestandteil der
Bestimmung des eigenen Kampfes macht. Ich kann das hier nur ganz grob anreißen.
Jedenfalls war es ein Ansatz, bei dem die lange Zeit abgerissene Verbindung
zwischen Kämpfen, die aus der Lebensrealität hier kommen und Kämpfen,
die aus der Verbundenheit und Solidarität mit anderen Völkern
entstehen, wieder hergestellt werden sollte. Sie haben damit die Hoffnung
verbunden, die gesellschaftliche Isolierung linker Politik - die ja ihre eigene
war - aufzuheben. Dieser Ansatz hat uns sehr interessiert, genauso wie die
Fragen, Probleme und Grenzen, auf die diese GenossInnen dabei gestoßen
sind. Für uns stand außer Frage, daß solche konkreten Kämpfe
und Organisationsversuche und die Erfahrungen, die darin gemacht werden, einen
wesentlichen Kern in der hier neu zu gründenden politischen Kraft bilden
werden. Aus diesem Interesse und dieser Einschätzung haben wir Kontakt
dahin hergestellt.
Zu Anfang habe ich geschrieben, daß es auch 'falsche Gründe'
von uns aus für den Kontakt zu Steinmetz gegeben hat. Damit meine ich, daß
bei unserer Entscheidung für den Kontakt zu ihm außer dem oben
genannten Interesse mit eine Rolle gespielt hat, daß er einer war, der in
sehr vielen unterschiedlichen politischen Zusammenhängen Leute kannte. Aus
unseren eigenen Erfahrungen, dem Scheitern der 'Front-Bestimmung' und unseren
nachfolgenden Versuchen, hier mit anderen zusammenzukommen und gemeinsam eine
Perspektive zu entwickeln, war eine Konsequenz, daß der hier notwendige
Prozeß von Neubestimmung und Organisierung von Anfang an von möglichst
vielen, also auch unterschiedlichen Gruppen getragen werden muß und daß
alle ihre Vorstellungen, aber auch ihre Erfahrungen und Geschichte darin
einbringen. Deshalb waren wir daran interessiert, möglichst unmittelbar
mitzukriegen, welche Diskussionen in anderen politischen Zusammenhängen geführt
werden und welche Leute bzw. Gruppen in dieselbe Richtung überlegen wie
wir. Dieses richtige Interesse hat aber dazu geführt, daß bei unserer
Entscheidung, zu Steinmetz Kontakt aufzunehmen, auch seine vielen Kontakte zu
verschiedensten Leuten und Gruppen eine Rolle gespielt haben - das war ein großer
Fehler. Dieser Fehler hat sich bei Treffen mit ihm fortgesetzt.
Wir hatten vor '93 insgesamt vier Treffen mit Steinmetz, eins Ende '91
oder Anfang '92, das weiß ich nicht und drei Treffen '92.
Schon das
erste Treffen, das ich mit ihm erlebt habe, hatte eine falsche Gewichtung. Er
erzählte bei diesem Treffen, daß Leute an einer Aktion überlegen,
die unserer Ansicht nach zu einer völligen Katastrophe geführt hätte.
Solche Überlegungen gab es tatsächlich und waren sowohl Steinmetz als
auch dem Verfassungsschutz bekannt. So war es für den Verfassungsschutz
berechenbar, daß wenn Klaus Steinmetz bei uns mit dieser Geschichte
ankommt und vermittelt, daß diesen Leuten die Brisanz und politische
Dimension der Aktion nicht bewußt ist, das bei uns eine Art "Feuerwehr-Effekt"
auslösen würde - und genauso war es auch. Wir fanden den geplanten
Schritt aktionistisches Vorpreschen an einem völlig brisanten Thema, der
schlagartig die gesamten Bedingungen verändert und für alle zu einer
totalen Eskalation geführt hätte, eine Katastrophe, die wir unbedingt
verhindern wollten.
Wie gesagt, daß das unsere Reaktion sein würde,
war vorauszusehen und wir sind drauf reingefallen - es war für sie der
einfachste Weg zu verhindern, daß es bei diesem Treffen um Steinmetz
selbst, seine Gedanken, Überlegungen, Vorstellungen ging. Steinmetz hat in
dieser Diskussion die Haltung eingenommen, daß er sich unsicher ist. Das
war auch bei den beiden anderen Treffen in Bezug auf fast alle politischen
Fragen und Probleme seine Haltung: fragend und unsicher. Im Herbst '92 hatten
wir überlegt, daß wir ihn in vielem nicht greifen konnten und es war
klar, daß ein weiteres kurzes Treffen daran auch nichts ändern würde.
Wir wollten später in Ruhe überlegen, wie wir mit ihm weiter machen.
Das hatte aber alles überhaupt nichts mit einem Verdacht gegen ihn zu tun.
Wir haben ihm die Nummer vom unsicheren und fragenden Typen abgenommen und wir
fanden ihn auch in dem wenigen, was wir bis dahin von ihm mitgekriegt hatten,
nicht unangenehm. Zum Beispiel hatte er, nachdem sein Vater sich erschossen
hatte, lange erzählt, was das für seine Mutter bedeutet und wie er ihr
helfen will.
Als wir ihn im Frühjahr '93 wieder getroffen haben,
hatten wir vorher bestimmt, worüber wir bei diesem Treffen mit ihm
diskutieren und was wir von ihm fordern wollten. Sofort war es anders. Er hat
nur noch angegriffen reagiert, suchte nach Vorwänden, die Diskussion
abzubrechen und wollte weg. Aber auch da haben wir noch gehofft, das mit ihm
auflösen zu können und deshalb ein längeres Treffen in Bad
Kleinen vereinbart, um es mit ihm zur Entscheidung zu bringen.
Ich denke,
daß bei den Fehlern, die zu Steinmetz gelaufen sind, auch eine Rolle
gespielt hat, daß wir und die, mit denen wir zu tun hatten, uns zur Zeit
des ersten Kontaktes mit ihm intensiv mit den negativen Seiten der RAF - bzw.
der Frontgeschichte auseinandergesetzt haben. Eine dieser negativen Seiten war,
daß es in unserem politischen Zusammenhang über lange Zeit absolut
keinen Raum für Fragen, Unsicherheiten und Zweifel von GenossInnen gegeben
hat. Das zu sehen und ändern zu wollen, hat zeitweise zum Gegenteil geführt,
nämlich andere in Ruhe zu lassen und nichts von ihnen zu fordern. Auch
deshalb konnte Steinmetz so lange in der Rolle des fragenden, unsicheren Typen
daherkommen, ohne daß wir erkannten, daß er keine Verantwortung für
den politischen Prozeß tragen will - und eben die Konsequenzen daraus zu
ziehen.
Für mich ist wichtig festzuhalten, daß es nicht die
Fragen und Unsicherheiten sind, die zu Mißtrauen oder Vertrauensverlust führen,
sondern daß die Frage nach der eigenen Verantwortung jedes und jeder
Einzelnen für den Prozeß, den wir aufbauen wollen, im Mittelpunkt
steht und zum Kriterium für Vertrauensverhältnisse und Basis für
gemeinsame Organisierung wird.
Eine der Erfahrungen, die aus der Geschichte
der RAF gezogen werden kann ist die, daß mit Zusammenhängen, in denen
eigenständiges Denken und das Aufwerfen von unbequemen Fragen unerwünscht
ist und in denen politische Engstirnigkeit und Dogmatismus herrschen, keine
revolutionäre Entwicklung erkämpft werden kann. Wir werden eine Kraft,
die diesem System aus Unmenschlichkeit und Zerstörung Grenzen setzen kann,
nur aufbauen können, wenn wir endlich lernen, emanzipatorische
Entwicklungen in unseren eigenen Reihen in Gang zu setzen - wenn wir zum
zentralen Bestandteil unseres Kampfes machen, daß alle und nicht nur
einige wenige von uns, all ihre intellektuellen und schöpferischen Fähigkeiten
entfalten können und zu freien und selbstbewußten Menschen werden.