nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Wed Dec  4 17:38:10 1996
 

"Falsche Gründe"

Über den Kontakt der RAF mit dem V-Mann Klaus Steinmetz


Birgit Hogefeld



In der Presse kam die Meldung:Steinmetz doch tragendes Mitglied der RAF
Nachdem ich mich zuerst gefragt haben, warum das so kam, denke ich mittlerweile, daß es voraussehbar war.
Wir, die RAF und ich, haben den Staatsschutzorganen die Möglichkeit dafür eröffnet, indem wir mehr als acht Monate über diese Spitzel-Geschichte nicht redeten. Wie immer, wenn die Fakten nicht bekannt sind und auf dem Tisch liegen, treiben - diesmal vor allem in linken Zusammenhängen - Spekulationen und Gerüchte; es wird von Leuten die Frage aufgeworfen, ob und wenn ja welche Hintergründe dieser Geschichte von uns aus verschwiegen oder verdeckt werden sollen - ich sage das nicht als Kritik, sondern als einfache Feststellung, von der wir hätten ausgehen können und müssen. Unser monatelanges Schweigen zu diesem Thema mit dem Resultat, daß Gerüchte sich breit machen und Verunsicherung aufkommt, war für die Gegenseite eine regelrechte Einladung, den dadurch entstandenen Raum mit ihren eigenen Inhalten zu füllen.
Und so wird der Spitzel zum 'Vollmitglied der RAF' aufgebaut. Die uralte und immer wieder aufgewärmte Kriminalisierungsschiene von angeblichen RAF-Mitgliedern, die in legalen linken Zusammenhängen leben - und daß der Lebenszusammenhang von Steinmetz die legale linke Scene in Wiesbaden war und nicht die illegalen Strukturen der RAF, ist ja bekannt. In die gleiche Richtung zielt die angebliche Befragung vor Aktionen der RAF. (Steinmetz behauptet bekanntlich, er sei in allgemeiner Form - schriftlich - vor der Aktion zu seiner Meinung gefragt worden.)
Mit dieser Konstruktion sollen gegen Menschen, die Kontakt zu Gruppen wie der RAF haben, lange oder lebenslängliche Knaststrafen durchgesetzt werden.
Daß die Fakten, mit denen die angebliche RAF-Mitgliedschaft von Steinmetz und seine Kenntnis der RAF-Strukturen belegt werden sollen, keine anderen sind als die, die schon wenige Tage nach der Erschießung von Wolfgang Grams und meiner Verhaftung bekannt waren, fällt da kaum auf. Es sind einige Briefe von uns, die fast alle in der Taz abgedruckt waren. Es wurde oft spekuliert, ob der Grund für unseren Kontakt zu Steinmetz seine 'technischen Fähigkeiten' (also sein Wissen über Computer) waren - nein, das war nicht so und bei Treffen mit ihm haben solche Fragen wenig Raum eingenommen. Aber natürlich habe ich mich im Nachhinein gefragt, ob es von unserer Seite aus andere 'falsche Gründe' für den Kontakt zu ihm gegeben hat und ich denke, daß es die gab.
In der Zeit vor unserer Entscheidung vom April 1992 für eine Zäsur und Rücknahme der Eskalation waren uns die Grenzen, auf die wir bei der Entwicklung einer politischen Kraft für die Umwälzung der Verhältnisse gestoßen waren, sehr bewußt. Es war uns in unserer über 20-jährigen Geschichte und obwohl es während dieser Zeit phasenweise sehr breite Protestbewegungen, Kämpfe linksradikaler und/oder autonomer Gruppen und Bewegungen, emanzipatorische Bewegungen wie die Frauenbewegung usw. gegeben hat, nie gelungen, mit diesen Bewegungen oder Teilen von ihnen zusammenzukommen und gemeinsam eine Perspektive zu entwickeln. Für uns war klar, daß ein Moment, das ein Zusammenkommen mit anderen verhindert hat, in unserer über lange Zeit politisch beschränkten und engen Sichtweise und Bestimmung lag und unser realer Bezugsrahmen die Kämpfe in anderen Teilen der Welt waren und nicht die Situation im eigenen Land.
Wir hatten uns immer weiter von der konkreten gesellschaftlichen Realität hier entfernt und damit auch von vielen Menschen, die ein Leben unter den Zwängen und Wertkategorien im Kapitalismus, in dem nur Geld und Ellbogen zählen, nicht für das größte menschliche Glück halten, sondern die dieses Leben in allererster Linie als leer und unerfüllt empfinden.
Für die Wenigen, die sich mit unserem Kampf verbunden fühlten, waren wir teilweise zur Projektionsfläche geworden und sie selber eben in der Zuschauerrolle - eine Erfahrung, die die RAF mit vielen anderen bewaffnet kämpfenden Gruppen teilt.
In unseren Diskussionen aus der Zeit vor unserer Entscheidung für eine Zäsur war ein Schwerpunkt das Verstehen und die Aufarbeitung unserer eigenen Erfahrungen und Geschichte. Das war für uns keine nach rückwärts gerichtete Angelegenheit, schon gar nicht war sie aus der Kapitulation geboren, sondern wir waren uns sicher, daß wir aus dieser Geschichte mit all ihren Stärken und Fehlern Erkenntnisse gewinnen können, aus denen sich allgemeingültige politische Kriterien ableiten lassen. Kriterien, die wir für die kommenden Kämpfe, ihre Bestimmung und Organisierung brauchen, wenn wir nicht immer wieder bei Null anfangen wollen.
Diskussionen über die Bewertung unserer Geschichte und die Entwicklung des gesamten 'Front-Prozesses' der 80'er Jahre haben wir auch mit GenossInnen geführt, die wir schon lange kannten und deren eigene Geschichte das ja zum Teil war. Mit Steinmetz gab es solche Diskussionen vor unserer Entscheidung vom April '92 nicht (ich schreibe das deshalb, weil vom Staatsschutz immer wieder behauptet wird, er hätte Diskussionen mit dieser Zielrichtung initiiert), denn wir haben ihn in dieser Zeit um ersten Mal getroffen und er kam ja auch nicht aus dieser Geschichte.
Ende '91/Anfang '92 war aber eine Zeit, in der sich für uns einerseits viele alte Vorstellungen und Bestimmungen als geschichtlich überholt oder falsch erwiesen hatten und in der gleichzeitig neue Bestimmungen für den revolutionären Kampf noch sehr allgemein und diffus waren. Es war in jeder Hinsicht eine Umbruchsituation und insgesamt hatten wir viel mehr Fragen als Antworten - die beiden ersten Sätze unseres Textes vom April '92:
'An Alle, die auf der Suche nach Wegen sind, wie menschenwürdiges Leben hier und weltweit an ganz konkreten Fragen organisiert und durchgesetzt werden kann. Das ist auch unsere Suche.'
spiegeln das deutlich wider - das sollten sie auch.

Mit allen, mit denen wir in dieser Zeit neu zusammengekommen sind, haben wir uns folglich in erster Linie an Fragen und der Suche nach Antworten getroffen und nicht an Konzepten - wir selber hatten noch keins und allen anderen Linken in diesem Land ging es ebenso.
Situationen, in denen alte Vorstellungen nicht mehr tragen und neue noch nicht da sind, sind wahrscheinlich immer gefährlich, vor allem aber dann, wenn man sich die Gefahr, die darin liegt, nicht bewußt macht. Der VS konnte diesen Spitzel an uns ranschieben, weil wir uns die Tatsache nicht wirklich klar gemacht hatten, daß mit dem Wegfallen alter Bestimmungen und dem Fehlen neuer auch die Kriterien, mit denen wir Kontakte zu anderen bestimmt haben, unscharf geworden waren.
Steinmetz' Masche war, sich in politischen Diskussionen fragend und unsicher zu geben und genau das wurde akzeptiert und nicht hinterfragt. Er konnte ewig seine Fragen stellen und niemand hat gemerkt, daß er keine Anstrengung machte, selber nach Antworten und Lösungen zu suchen, sondern das anderen überließ.
So muß es zwischen ihm und den Leuten, die uns mit ihm zusammengebracht haben, lange gelaufen sein und so war es auch mit uns.

In der Zeit vor '91 gab es GenossInnen, die versucht haben, ihre unterschiedlichen Initiativen (für die Veränderung der eigenen Lebenssituation, für die Verhinderung kapitalistischer Entwicklungen oder für internationalistisch bestimmte Kämpfe wie gegen den Golfkrieg usw.) bewußt zu verbinden und zu einer politischen Konzeption zu entwickeln, die von der Notwendigkeit dieser Verknüpfung ausgeht und sie zum festen Bestandteil der Bestimmung des eigenen Kampfes macht. Ich kann das hier nur ganz grob anreißen. Jedenfalls war es ein Ansatz, bei dem die lange Zeit abgerissene Verbindung zwischen Kämpfen, die aus der Lebensrealität hier kommen und Kämpfen, die aus der Verbundenheit und Solidarität mit anderen Völkern entstehen, wieder hergestellt werden sollte. Sie haben damit die Hoffnung verbunden, die gesellschaftliche Isolierung linker Politik - die ja ihre eigene war - aufzuheben. Dieser Ansatz hat uns sehr interessiert, genauso wie die Fragen, Probleme und Grenzen, auf die diese GenossInnen dabei gestoßen sind. Für uns stand außer Frage, daß solche konkreten Kämpfe und Organisationsversuche und die Erfahrungen, die darin gemacht werden, einen wesentlichen Kern in der hier neu zu gründenden politischen Kraft bilden werden. Aus diesem Interesse und dieser Einschätzung haben wir Kontakt dahin hergestellt.

Zu Anfang habe ich geschrieben, daß es auch 'falsche Gründe' von uns aus für den Kontakt zu Steinmetz gegeben hat. Damit meine ich, daß bei unserer Entscheidung für den Kontakt zu ihm außer dem oben genannten Interesse mit eine Rolle gespielt hat, daß er einer war, der in sehr vielen unterschiedlichen politischen Zusammenhängen Leute kannte. Aus unseren eigenen Erfahrungen, dem Scheitern der 'Front-Bestimmung' und unseren nachfolgenden Versuchen, hier mit anderen zusammenzukommen und gemeinsam eine Perspektive zu entwickeln, war eine Konsequenz, daß der hier notwendige Prozeß von Neubestimmung und Organisierung von Anfang an von möglichst vielen, also auch unterschiedlichen Gruppen getragen werden muß und daß alle ihre Vorstellungen, aber auch ihre Erfahrungen und Geschichte darin einbringen. Deshalb waren wir daran interessiert, möglichst unmittelbar mitzukriegen, welche Diskussionen in anderen politischen Zusammenhängen geführt werden und welche Leute bzw. Gruppen in dieselbe Richtung überlegen wie wir. Dieses richtige Interesse hat aber dazu geführt, daß bei unserer Entscheidung, zu Steinmetz Kontakt aufzunehmen, auch seine vielen Kontakte zu verschiedensten Leuten und Gruppen eine Rolle gespielt haben - das war ein großer Fehler. Dieser Fehler hat sich bei Treffen mit ihm fortgesetzt.

Wir hatten vor '93 insgesamt vier Treffen mit Steinmetz, eins Ende '91 oder Anfang '92, das weiß ich nicht und drei Treffen '92.
Schon das erste Treffen, das ich mit ihm erlebt habe, hatte eine falsche Gewichtung. Er erzählte bei diesem Treffen, daß Leute an einer Aktion überlegen, die unserer Ansicht nach zu einer völligen Katastrophe geführt hätte. Solche Überlegungen gab es tatsächlich und waren sowohl Steinmetz als auch dem Verfassungsschutz bekannt. So war es für den Verfassungsschutz berechenbar, daß wenn Klaus Steinmetz bei uns mit dieser Geschichte ankommt und vermittelt, daß diesen Leuten die Brisanz und politische Dimension der Aktion nicht bewußt ist, das bei uns eine Art "Feuerwehr-Effekt" auslösen würde - und genauso war es auch. Wir fanden den geplanten Schritt aktionistisches Vorpreschen an einem völlig brisanten Thema, der schlagartig die gesamten Bedingungen verändert und für alle zu einer totalen Eskalation geführt hätte, eine Katastrophe, die wir unbedingt verhindern wollten.
Wie gesagt, daß das unsere Reaktion sein würde, war vorauszusehen und wir sind drauf reingefallen - es war für sie der einfachste Weg zu verhindern, daß es bei diesem Treffen um Steinmetz selbst, seine Gedanken, Überlegungen, Vorstellungen ging. Steinmetz hat in dieser Diskussion die Haltung eingenommen, daß er sich unsicher ist. Das war auch bei den beiden anderen Treffen in Bezug auf fast alle politischen Fragen und Probleme seine Haltung: fragend und unsicher. Im Herbst '92 hatten wir überlegt, daß wir ihn in vielem nicht greifen konnten und es war klar, daß ein weiteres kurzes Treffen daran auch nichts ändern würde. Wir wollten später in Ruhe überlegen, wie wir mit ihm weiter machen. Das hatte aber alles überhaupt nichts mit einem Verdacht gegen ihn zu tun. Wir haben ihm die Nummer vom unsicheren und fragenden Typen abgenommen und wir fanden ihn auch in dem wenigen, was wir bis dahin von ihm mitgekriegt hatten, nicht unangenehm. Zum Beispiel hatte er, nachdem sein Vater sich erschossen hatte, lange erzählt, was das für seine Mutter bedeutet und wie er ihr helfen will.
Als wir ihn im Frühjahr '93 wieder getroffen haben, hatten wir vorher bestimmt, worüber wir bei diesem Treffen mit ihm diskutieren und was wir von ihm fordern wollten. Sofort war es anders. Er hat nur noch angegriffen reagiert, suchte nach Vorwänden, die Diskussion abzubrechen und wollte weg. Aber auch da haben wir noch gehofft, das mit ihm auflösen zu können und deshalb ein längeres Treffen in Bad Kleinen vereinbart, um es mit ihm zur Entscheidung zu bringen.
Ich denke, daß bei den Fehlern, die zu Steinmetz gelaufen sind, auch eine Rolle gespielt hat, daß wir und die, mit denen wir zu tun hatten, uns zur Zeit des ersten Kontaktes mit ihm intensiv mit den negativen Seiten der RAF - bzw. der Frontgeschichte auseinandergesetzt haben. Eine dieser negativen Seiten war, daß es in unserem politischen Zusammenhang über lange Zeit absolut keinen Raum für Fragen, Unsicherheiten und Zweifel von GenossInnen gegeben hat. Das zu sehen und ändern zu wollen, hat zeitweise zum Gegenteil geführt, nämlich andere in Ruhe zu lassen und nichts von ihnen zu fordern. Auch deshalb konnte Steinmetz so lange in der Rolle des fragenden, unsicheren Typen daherkommen, ohne daß wir erkannten, daß er keine Verantwortung für den politischen Prozeß tragen will - und eben die Konsequenzen daraus zu ziehen.
Für mich ist wichtig festzuhalten, daß es nicht die Fragen und Unsicherheiten sind, die zu Mißtrauen oder Vertrauensverlust führen, sondern daß die Frage nach der eigenen Verantwortung jedes und jeder Einzelnen für den Prozeß, den wir aufbauen wollen, im Mittelpunkt steht und zum Kriterium für Vertrauensverhältnisse und Basis für gemeinsame Organisierung wird.
Eine der Erfahrungen, die aus der Geschichte der RAF gezogen werden kann ist die, daß mit Zusammenhängen, in denen eigenständiges Denken und das Aufwerfen von unbequemen Fragen unerwünscht ist und in denen politische Engstirnigkeit und Dogmatismus herrschen, keine revolutionäre Entwicklung erkämpft werden kann. Wir werden eine Kraft, die diesem System aus Unmenschlichkeit und Zerstörung Grenzen setzen kann, nur aufbauen können, wenn wir endlich lernen, emanzipatorische Entwicklungen in unseren eigenen Reihen in Gang zu setzen - wenn wir zum zentralen Bestandteil unseres Kampfes machen, daß alle und nicht nur einige wenige von uns, all ihre intellektuellen und schöpferischen Fähigkeiten entfalten können und zu freien und selbstbewußten Menschen werden.