Birgit Hogefeld
Nach meiner Verhaftung im Juni '93 war ich genau ein halbes Jahr in
Totalisolation, d. h. ich war 24 Std. täglich allein - davon 23 Stunden in
einer knapp 8 qm großen Zelle und 1 Stunde im Hof (mehr als 2 Monate
dieser Zeit war ich überhaupt nicht draußen, denn mein Hofgang sollte
in einem winzigen Käfig stattfinden, weil ich immer wieder mit anderen
Frauen an Fenster geredet hatte, in diesen Käfig bin ich nicht gegangen).
Seit Ende Dezember habe ich zusammen mit den anderen Frauen der U-Haftabteilung
täglich eine Stunde Hofgang - allerdings nur mit denen, die nicht arbeiten.
Praktisch sind das meistens 3 - 4 Frauen, die zusammen mit mir im Hof sind
(manchmal bin ich auch ganz allein draußen, theoretisch könnten
meistens 7-8 Frauen zusammen mit mir raus, aber gerade auf U-Haft sind immer
Frauen auf Entzug oder haben Prozeß oder gehen nicht raus, weil sie
sowieso nur kurze Zeit im Knast sind). Freundschaftliche Beziehungen zu anderen
Frauen lassen sich für mich aus verschiedenen Gründen nur schwer
herstellen, zum einen ist eine U-Haftabteilung immer eine Durchgangsabteilung
(niemand ist hier so lange wie ich), viele Frauen sind bloß wenige Tage
hier, und die meisten, die wissen, daß sie länger im Knast bleiben müssen,
versuchen so schnell wie möglich Arbeit zu kriegen und gehen dann zu
anderen Zeiten in den Hof als ich. Nur am Wochenende könnte ich auch die
Frauen, die arbeiten, im Hof sehen, aber da sie werktags kurz nach 6 Uhr
aufstehen müssen, schlafen die meisten am Wochenende aus und gehn nicht
raus. Die restlichen 23 Stunden bin ich in der Zelle eingesperrt, das Fenster
hat Betongitter, und das einzige, was ich seit 10 Monaten sehe, wenn ich
rausschaue, ist eine hohe graue Mauer und darüber den Himmel - ein Antrag
auf Verlegung in eine Zelle auf der anderen Seite desselben Flurs, von wo aus
ich eine Grasfläche mit Pflanzen und in einiger Entfernung Bäume sehen
könnte, wurde mit der Begründung abgelehnt, daß die Zellen auf
beiden Seiten gleichwertig seien. Ich bin außer dieser einen Stunde
Hofgang von allem, was hier den Knastalltag der anderen Gefangenen ausmacht,
ausgeschlossen: "Umschluß" in andere Zellen, alle Freizeit- und
Sportveranstaltungen, Kirche, Bücherbenutzung eben alles, außer
dieser einen Stunde Hof mit den anderen Frauen, die vom BGH genehmigt wurde, um
meine Haftsituation in der Öffentlichkeit als "normal"
hinzustellen.
In den restlichen 23 Stunden wird meine Isolierung offensiv
durchgesetzt, im Moment, wo ich das hier schreibe, haben die anderen Frauen "Aufschluß"
d.h. alle Zellentüren (bis auf meine) sind offen, und alle können sich
in allen Zellen und auf dem Flur und Küche "frei" bewegen. Ich höre
jetzt die Stimmen, höre, wer mit wem redet, wer mit wem im Flur Tischtennis
spielt, wer sich beschwert, weil die Küche wieder mal versifft ist usw.
Wenn gleich eine der Frauen den Tischtennisball in Richtung meiner Tür
springen läßt, herkommt und "hallo" sagt, dann wird sie
gleich von den Schließerinnen angeschnauzt, und wenn sie nicht sofort von
der Tür weggeht, wird ihr mit Einschluß gedroht. Wie gesagt, es
handelt sich um dieselben Frauen, mit denen ich heute morgen im Hof war, und
wenn wir jetzt miteinander reden, werden sie mit Repressalien bedroht - ich
nicht, womit sollten sie mir drohen?
Aber es ist auch so, daß manche
Frauen Angst haben, mit mir viel zu tun zu haben, hier hat sich natürlich
rumgesprochen, daß eine Frau, mit der ich mich vor einigen Monaten
angefreundet hatte, im Prozeß vom Richter gefragt wurde, ob "sie
denke, ich wäre der richtige Umgang für sie", und ob ihr bekannt
wäre, daß "die Unterstützung einer terroristischen
Vereinigung strafbar ist". Vor wenigen Tagen hat mir eine Frau im Hof erzählt,
daß sie bei einer Schließerin nachgefragt hat, ob ihr Kontakt zu mir
in ihrer Akte vermerkt ist. Alles in allem ist es so, daß sie die eine
Stunde Hofgang machen müssen und ansonsten alles dafür tun, daß
ich in den restlichen 23 Stunden am Tag keine anderen Gefangenen zu Gesicht
kriege - eben über Drohung und Repressalien, aber auch über
Organisierung im Knastbetrieb (beispielsweise werden alle anderen über den
Hof zum Besuch gebracht, einfach weil das der kürzeste und schnellste Weg
ist, mich schließen sie dafür durch unzählige Türen durch
unterirdische Gänge, weil ich dort niemandem begegnen kann). Meine Besuche
(2 x I Stunde im Monat) finden immer noch in Trennscheibenzellen statt - außer
denen mit meiner Familie - und selbst die Anwälte sehe ich nur hinter
Panzerglas. Bücher, Zeitungen und Musikkassetten bzw. CDs sind limitiert -
politische Zeitschriften und Broschüren werden oft beschlagnahmt oder
monatelang blockiert, Fotokopien bekomme ich überhaupt keine - d. h. ich
bin von aktuellen politischen Auseinandersetzungen weitgehend abgeschnitten.
Verschärft wird das seit einigen Wochen noch dadurch, daß ich mehr
als 3 Wochen lang überhaupt keine Post bekommen habe, weil das für
mich zuständige Gericht alle Briefe an mich bzw. die von mir an andere
nicht weitergeleitet hat. Im April wurde Anklage gegen mich erhoben, der Prozeß
soll in Frankfurt stattfinden, und seit dem 1. April ist das dortige OLG zuständig
- es ist der Strafsenat, der letztes Jahr über Monate die Freilassung von
Ali Jansen verhindert hat, obwohl sein Gesundheitszustand lebensbedrohlich war,
und der vor wenigen Tagen Eva Haule zu lebenslänglich verurteilt hat. Bei
mir war ihre erste Handlung, keine Post mehr durchzulassen, und zu allen Leuten,
mit denen sich eine verbindliche politische Diskussion angefangen hat zu
entwickeln, ist das immer noch so. Letzte Woche hat mich eine Freundin besucht,
Briefe, die sie mir vor über 6 Wochen geschrieben hat, sind immer noch
nicht da, und sie bekommt auch keine von mir - so hängt dann der Besuch völlig
in der Luft. Die Verhinderung der politischen Auseinandersetzung ist die eine
Seite, die andere ist die, freundschaftliche Beziehungen und alles, was für
Menschen eben wichtig ist, zu verhindern. Kürzlich wollte mir jemand einen
uralten Brief von meinem erschossenen Lebensgefährten Wolfgang Grams
schicken, ich wollte diesen Brief gern haben, weil ich sonst überhaupt
nichts von Wolfgang habe - außer Erinnerungen. Wolfgang war 1978 nach der
Erschießung von Willi Stoll 6 Monate im Knast, es ging um einen Brief, den
er in dieser Zeit an eine Freundin geschrieben hatte. Dieser Brief, der 1978,
ein Jahr nach dem "deutschen Herbst", die BGH-Zensur passiert hatte,
wurde jetzt von demselben Gericht angehalten, weil er "grobe Beleidigungen"
enthalte.
Birgit Hogefelds Postadresse ist z.Z.:
Birgit Hogefeld,
c/o OLG, 5. Strafsenat,
Zeil 42,
60313
Frankfurt