Berthold Fresenius 1
Ich will versuchen, mich ganz kurz zu fassen. Ich werde mich im
wesentlichen auf Zitate beschränken, um die Gedankengänge der Behörden
auch authentisch wiederzugeben, denn so spitzfindig gelingt mir das
wahrscheinlich nicht.
Die ganze Geschichte begann am 27. Juni mit der Aktion in Bad Kleinen. Die
Bundesanwaltschaft bereitete eine Presseerklärung vor und es gibt davon
mehrere Entwürfe. Die sind aus einem anderen Zusammenhang bekannt geworden.
Der erste Entwurf, der nicht veröffentlicht wurde, lautet: "In Bad
Kleinen kam es zu einer Festnahme. Dabei kam es zu einem Schußwechsel.
Grams erlitt einen Kopfschuß, an dessen Folgen er verstarb." Veröffentlicht
wurde dagegen der zweite Entwurf, der eine Stunde später verfaßt
wurde und dann von der Bundesanwaltschaft an die Presseagenturen gegeben wurde.
Dort heißt es: "Dabei kam es zu einem von Hogefeld eröffneten
Schußwechsel. Grams erlitt Schußverletzungen." Es fällt
wohl jeder/m auf, dies ist die zeitlich spätere Version, das heißt,
die Ermittlungen sind vorangeschritten, auch die Kenntnisse müßten
besser sein. Man kann wohl kaum davon reden, daß in der Hektik Fehler
begangen wurden. In diesem Entwurf taucht nun Hogefeld als die Person auf, die
den Schußwechsel eröffnete und - interessant - es ist nicht mehr von
einem Kopfschuß die Rede, es werden nur noch Schußverletzungen bei
Grams erwähnt. In den folgenden Tagen ging der seinerzeitige
Generalbundesanwalt von Stahl wiederholt vor die Presse mit der Behauptung, Frau
Hogefeld habe die Schießerei eröffnet. Die Verteidigung hat ihn daher
- es ist kurios - aufgefordert, das zu unterlassen.
Am 7. Juli 1993 - es
war vielleicht seine letzte oder vorletzte Diensthandlung - ging dann bei uns
ein Fax von Generalbundesanwalt von Stahl ein: "Hiermit widerrufe ich die
von mir aufgestellte Behauptung, Frau Hogefeld habe am 27. Juni 1993 bei ihrer
Festnahme in Bad Kleinen eine Schußwaffe gezogen. Diese Behauptung ist
unwahr. Zugleich verpflichte ich mich, diese Behauptung künftig zu
unterlassen." Jetzt könnte man meinen, damit wäre es ausgestanden
und wir könnten uns auf dieses Mandat mit wahrlich genug Problemen
konzentrieren. So sah es auch lange Zeit aus. Ich denke, solange in der Öffentlichkeit
Bad Kleinen als Skandal - ich verwende den Terminus, ohne ihn zu teilen -
verbreitet wurde, ist wohl niemand auf die Idee gekommen, es sei politisch
opportun oder durchsetzbar, nun ausgerechnet Birgit Hogefeld, die ja nun ausdrücklich
nicht geschossen hat, zur Mörderin zu erklären. Nachdem in der Presse
lanciert wurde, im Verfahren gegen die GSG 9-Beamten sei mit einer Einstellung
zu rechnen, war der Zeitpunkt gekommen, daß die Bundesanwaltschaft - und
zwar mit Schreiben vom 23. November 1993 - beim Ermittlungsrichter am
Bundesgerichtshof beantragte, den Haftbefehl zu erweitern, nämlich um Bad
Kleinen. Es heißt dann in diesem Antrag Ziffer 3, Birgit Hogefeld sei
dringend verdächtigt, in Bad Kleinen am 27. Juni 1993, durch dieselbe
Handlung "aus niedrigen Beweggründen und um eine andere Straftat zu
ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen getötet sowie sechs
weitere Menschen zu töten versucht zu haben." Das ist die juristische
Formulierung. Ich zitiere die Begründung dieses Antrags. Dort heißt
es wörtlich: "Anläßlich der Festnahme der Beschuldigten
Birgit Hogefeld am 27.06.93 in Bad Kleinen erschoß deren Begleiter, das
mit Haftbefehl gesuchte Mitglied der terroristischen Vereinigung Rote Armee
Fraktion, Wolfgang Grams, in bewußtem und gewollten Zusammenwirken mit der
Beschuldigen den Kriminalkommissar Michael Newrzella in Tötungsabsicht und
versuchte, weitere sechs GSG9-Beamte ebenfalls zu töten. Für dieses
Tatgeschehen ist die Beschuldigte Hogefeld als Mittäterin verantwortlich. Für
den Fall einer drohenden Festnahme durch Polizeibeamte waren sich die
Beschuldigte Birgit Hogefeld und ihr Begleiter Wolfgang Grams entsprechend der
bei RAF-Mitgliedern für eine derartige Situation vorgesehenen, ständig
geübten" -man fragt sich, wann - "und in zahlreichen Urteilen
rechtskräftig festgestellten Verhaltensweise einig, sich nicht
widerstandslos festnehmen zu lassen. Sie beabsichtigten vielmehr, sich
gegenseitig Unterstützung und Schützenhilfe zu geben und sich den
Fluchtweg erforderlichenfalls durch die Tötung von Polizeibeamten
freizuschießen." Dieser Antrag wurde vom Ermittlungsrichter am
Bundesgerichtshof der Mandantin am 2. Februar 1994 eröffnet. Der
Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof übernahm diesen Haftbefehl. Davon
ging die Verteidigung aus, weshalb sie auch einen Tag vor der Verkündung
eine Presseerklärung herausgab, in der dieser Umstand mitgeteilt wurde. Der
Haftbefehl bezieht sich im wesentlichen auf die Begründung der
Bundesanwaltschaft, führt aber noch einige Besonderheiten auf, die ich kurz
erwähnen will. Und zwar steht in den Gründen des Beschlusses "Haftbefehl":
" ...die zeitgleich hinter seinem Rücken (Grams) erfolgte Festnahme
der Beschuldigten Hogefeld durch den Beamten Nr. 4 nahm er nicht mehr wahr."
Es wird konstruiert, Wolfgang Grams habe gar nicht gewußt, daß
Birgit Hogefeld festgenommen wurde, er sei vielmehr davon ausgegangen, seine "Komplizin"
werde mit ihm zusammen jetzt den Schußwechsel eröffnen. Das hat mich überrascht,
denn soweit mir bekannt, findet dies keine Stütze in den Akten.
Es heißt
dann in diesem Haftbefehl weiter: "Im Verlauf des Schußwechsels
erlitt Grams eine Schußverletzung am Kopf, die er sich bei Erkennen der
Aussichtslosigkeit seiner Situation vermutlich selbst beigebracht hatte und an
deren Folgen er später verstarb." Diese überflüssige
Bemerkung kann eigentlich nur zum Ausdruck bringen, in welchem Kontext auch
seitens des Ermittlungsrichters der Vorgang bewertet wird. Und jetzt ein
weiterer Passus, vielleicht ganz überraschend. Und zwar gehts jetzt um
Herrn S., wie die Frankfurter Rundschau ihn nennt - ich weiß nicht, ob sie
jetzt "St." sagt - den Herrn Steinmetz. "Allerdings hat der Zeuge
Klaus Steinmetz glaubhaft angegeben, die Beschuldigte habe ihm bei einem der
Treffs erklärt, sie würde bei einer drohenden Festnahme die Pistole
nur als Drohmittel, etwa zum Zwecke einer Geiselnahme, einsetzen. In einer
aussichtslosen Situation aber nicht schießen." Das hat Steinmetz den
Ermittlungsbehörden so berichtet. Aber das wird dann so gewertet: "Gegen
diese Einlassung des Beschuldigten spricht indessen, daß sie eine Waffe
dabei hatte..." Jetzt kann man sich natürlich fragen, wenn man
Steinmetz glauben will, warum Birgit Hogefeld, die Steinmetz ja nicht als
Verfassungsschutzmitarbeiter erkannt hat, - vielleicht in weiser Voraussicht -
eine falsche "Einlassung", wie es hier heißt, ihm gegenüber
abgegeben haben soll. Man sollte sich schon entscheiden, wie man den Herrn
Steinmetz - das meine ich jetzt nur immanent der Ermittlungsbehörden -
behandeln will.
Zu den Formulierungen "ständig geübte
Verhaltensweise", "Absprache", "in zahlreichen Urteilen
festgestellt": Da sei nur kurz angemerkt, die zahlreichen Urteile mit
dergleichen Formulierungen beziehen sich auf Vorgänge in den 70er Jahren.
In den 80er Jahren - oder sagen wir auch 1981 - gab es nämlich keine Fälle,
auf die sich diese ständige Praxis beziehen kann. Die 1984 und 1986
festgenommenen 9 Personen, die die Ermittlungsbehörden während der
Festnahmesituation als RAF-Mitglieder zu identifizieren meinten oder
identifizierten, machten von der Schußwaffe keinen Gebrauch. Es gibt
seitdem auch keine Urteile, die diese ständige Praxis hätten
festschreiben können. Angemerkt sei nur, Birgit Hogefeld soll seit 1984
Mitglied in der RAF sein.
Festzuhalten ist und das bedarf an sich keiner weiteren Erläuterung
mehr: wenn eine Person in Bad Kleinen nicht geschossen hat, dann war es Birgit
Hogefeld. Ich zitiere aus den Angaben von einer dieser GSG-9-Nummern, so muß
man sie ja nennen, denn sie erscheinen immer nur mit Nummern in den Akten: "Auf
dem Boden gefesselt liegt Frau Hogefeld, die durch den Zeugen Nr. 4 gesichert
wurde. Der Kopf von Frau Hogefeld war in Richtung Gleis 1/2 gedreht. Sie hatte
die Kapuze ihrer Regenjacke über den Kopf gezogen. Aus Gründen der
Eigensicherung beschloß ich, Frau Hogefeld meine schwarze Gesichtsmaske so
über den Kopf zu ziehen, daß sie eigene Kräfte bei weiteren Maßnahmen
nicht erkennen konnte. Dabei wurde besonders darauf geachtet, daß ihr Mund
unbedeckt blieb, um das Atmen zu ermöglichen. Um die Maske sicher zu
befestigen, ging ich nochmals auf den Bahnsteig und entnahm einem Arztkoffer
eine Rolle Klebeband und befestigte die Maske damit zusätzlich."
Es sei dann noch kurz erwähnt, daß in dem Zeitraum zwischen dem
Antrag der Bundesanwaltschaft und dem Beschluß "Haftbefehlseröffnung"
des Ermittlungsrichters das Bundesamt für Verfassungsschutz aktiv wurde und
über einen seiner seit Jahren in diesem Metier bekannten Mitarbeiter der
Verteidigung signalisierte, diese Mordanklage sei schon zu kippen, es müsse
dazu nur eine gewisse Kooperation gezeigt werden. Also wenn Frau Hogefeld bereit
sei, mit ihm Gespräche zu führen - ich will es mal so nennen - dann
sei er schon in der Lage, auch einem Gericht gegenüber klar zu machen, daß
diese Mordanklage nicht bestehen könne. Es gab von diesem Mitarbeiter des
Bundesamtes für Verfassungsschutz noch die ganz interessante Anmerkung,
eine derartige Kooperation könne auch Rückwirkungen auf den Verlauf künftiger
Festnahmen haben. Das kann sich eigentlich nur auf den Schußwaffengebrauch
beziehen.
Enden möchte ich, indem ich eine Zeitung zitiere, nämlich Die
Zeit, bestimmt keine linke Zeitung. Die hat zu diesem Haftbefehl einen
Kommentar geschrieben, der überschrieben ist mit "Gespenstisch".
Es heißt dort drin: "Eine abenteuerliche Konstruktion. Hogefeld hat
nicht geschossen, sie war festgenommen, als Grams schoß. Aber sie wird zur
Mittäterin, weil Grams den Beamten auch zu ihrem Vorteil hätte erschießen
wollen, wenn er gewußt hätte, daß sie noch frei wäre."
Und ein letztes Zitat, und damit möchte ich dann enden: "Noch gibt es
nur einen Haftbefehl wegen Mordes zu Lasten von Birgit Hogefeld, noch keine
Anklage, geschweige denn ein Urteil. Der Schaden ist also reparabel." Ich möchte
die Formulierung "Schaden" nicht übernehmen. Ich denke, es sollte
alles unternommen werden, auch wirklich alles unternommen werden, um Bad Kleinen
nicht so zu beenden, daß ein Selbstmord - Wolfgang Grams -, eine Mörderin
- Birgit Hogefeld - und eine GSG 9, der es an Erfahrung mangelt, übrig
bleibt.
Zwischenzeitlich wurde von der Bundesanwaltschaft Anklage auch wegen
Mord und sechsfachem Mordversuch in Bad Kleinen erhoben. Auch dieser
Anklagepunkt wurde vom 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. zur
Hauptverhandlung zugelassen. Der Prozeß wird voraussichtlich am 15.
November 1994 in Frankfurt/M. beginnen.