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Wed Dec  4 17:38:13 1996
 

Zum Haftbefehl gegen Birgit Hogefeld


Berthold Fresenius 1


Ich will versuchen, mich ganz kurz zu fassen. Ich werde mich im wesentlichen auf Zitate beschränken, um die Gedankengänge der Behörden auch authentisch wiederzugeben, denn so spitzfindig gelingt mir das wahrscheinlich nicht.

Die ganze Geschichte begann am 27. Juni mit der Aktion in Bad Kleinen. Die Bundesanwaltschaft bereitete eine Presseerklärung vor und es gibt davon mehrere Entwürfe. Die sind aus einem anderen Zusammenhang bekannt geworden. Der erste Entwurf, der nicht veröffentlicht wurde, lautet: "In Bad Kleinen kam es zu einer Festnahme. Dabei kam es zu einem Schußwechsel. Grams erlitt einen Kopfschuß, an dessen Folgen er verstarb." Veröffentlicht wurde dagegen der zweite Entwurf, der eine Stunde später verfaßt wurde und dann von der Bundesanwaltschaft an die Presseagenturen gegeben wurde. Dort heißt es: "Dabei kam es zu einem von Hogefeld eröffneten Schußwechsel. Grams erlitt Schußverletzungen." Es fällt wohl jeder/m auf, dies ist die zeitlich spätere Version, das heißt, die Ermittlungen sind vorangeschritten, auch die Kenntnisse müßten besser sein. Man kann wohl kaum davon reden, daß in der Hektik Fehler begangen wurden. In diesem Entwurf taucht nun Hogefeld als die Person auf, die den Schußwechsel eröffnete und - interessant - es ist nicht mehr von einem Kopfschuß die Rede, es werden nur noch Schußverletzungen bei Grams erwähnt. In den folgenden Tagen ging der seinerzeitige Generalbundesanwalt von Stahl wiederholt vor die Presse mit der Behauptung, Frau Hogefeld habe die Schießerei eröffnet. Die Verteidigung hat ihn daher - es ist kurios - aufgefordert, das zu unterlassen.
Am 7. Juli 1993 - es war vielleicht seine letzte oder vorletzte Diensthandlung - ging dann bei uns ein Fax von Generalbundesanwalt von Stahl ein: "Hiermit widerrufe ich die von mir aufgestellte Behauptung, Frau Hogefeld habe am 27. Juni 1993 bei ihrer Festnahme in Bad Kleinen eine Schußwaffe gezogen. Diese Behauptung ist unwahr. Zugleich verpflichte ich mich, diese Behauptung künftig zu unterlassen." Jetzt könnte man meinen, damit wäre es ausgestanden und wir könnten uns auf dieses Mandat mit wahrlich genug Problemen konzentrieren. So sah es auch lange Zeit aus. Ich denke, solange in der Öffentlichkeit Bad Kleinen als Skandal - ich verwende den Terminus, ohne ihn zu teilen - verbreitet wurde, ist wohl niemand auf die Idee gekommen, es sei politisch opportun oder durchsetzbar, nun ausgerechnet Birgit Hogefeld, die ja nun ausdrücklich nicht geschossen hat, zur Mörderin zu erklären. Nachdem in der Presse lanciert wurde, im Verfahren gegen die GSG 9-Beamten sei mit einer Einstellung zu rechnen, war der Zeitpunkt gekommen, daß die Bundesanwaltschaft - und zwar mit Schreiben vom 23. November 1993 - beim Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof beantragte, den Haftbefehl zu erweitern, nämlich um Bad Kleinen. Es heißt dann in diesem Antrag Ziffer 3, Birgit Hogefeld sei dringend verdächtigt, in Bad Kleinen am 27. Juni 1993, durch dieselbe Handlung "aus niedrigen Beweggründen und um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen getötet sowie sechs weitere Menschen zu töten versucht zu haben." Das ist die juristische Formulierung. Ich zitiere die Begründung dieses Antrags. Dort heißt es wörtlich: "Anläßlich der Festnahme der Beschuldigten Birgit Hogefeld am 27.06.93 in Bad Kleinen erschoß deren Begleiter, das mit Haftbefehl gesuchte Mitglied der terroristischen Vereinigung Rote Armee Fraktion, Wolfgang Grams, in bewußtem und gewollten Zusammenwirken mit der Beschuldigen den Kriminalkommissar Michael Newrzella in Tötungsabsicht und versuchte, weitere sechs GSG9-Beamte ebenfalls zu töten. Für dieses Tatgeschehen ist die Beschuldigte Hogefeld als Mittäterin verantwortlich. Für den Fall einer drohenden Festnahme durch Polizeibeamte waren sich die Beschuldigte Birgit Hogefeld und ihr Begleiter Wolfgang Grams entsprechend der bei RAF-Mitgliedern für eine derartige Situation vorgesehenen, ständig geübten" -man fragt sich, wann - "und in zahlreichen Urteilen rechtskräftig festgestellten Verhaltensweise einig, sich nicht widerstandslos festnehmen zu lassen. Sie beabsichtigten vielmehr, sich gegenseitig Unterstützung und Schützenhilfe zu geben und sich den Fluchtweg erforderlichenfalls durch die Tötung von Polizeibeamten freizuschießen." Dieser Antrag wurde vom Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof der Mandantin am 2. Februar 1994 eröffnet. Der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof übernahm diesen Haftbefehl. Davon ging die Verteidigung aus, weshalb sie auch einen Tag vor der Verkündung eine Presseerklärung herausgab, in der dieser Umstand mitgeteilt wurde. Der Haftbefehl bezieht sich im wesentlichen auf die Begründung der Bundesanwaltschaft, führt aber noch einige Besonderheiten auf, die ich kurz erwähnen will. Und zwar steht in den Gründen des Beschlusses "Haftbefehl": " ...die zeitgleich hinter seinem Rücken (Grams) erfolgte Festnahme der Beschuldigten Hogefeld durch den Beamten Nr. 4 nahm er nicht mehr wahr." Es wird konstruiert, Wolfgang Grams habe gar nicht gewußt, daß Birgit Hogefeld festgenommen wurde, er sei vielmehr davon ausgegangen, seine "Komplizin" werde mit ihm zusammen jetzt den Schußwechsel eröffnen. Das hat mich überrascht, denn soweit mir bekannt, findet dies keine Stütze in den Akten.
Es heißt dann in diesem Haftbefehl weiter: "Im Verlauf des Schußwechsels erlitt Grams eine Schußverletzung am Kopf, die er sich bei Erkennen der Aussichtslosigkeit seiner Situation vermutlich selbst beigebracht hatte und an deren Folgen er später verstarb." Diese überflüssige Bemerkung kann eigentlich nur zum Ausdruck bringen, in welchem Kontext auch seitens des Ermittlungsrichters der Vorgang bewertet wird. Und jetzt ein weiterer Passus, vielleicht ganz überraschend. Und zwar gehts jetzt um Herrn S., wie die Frankfurter Rundschau ihn nennt - ich weiß nicht, ob sie jetzt "St." sagt - den Herrn Steinmetz. "Allerdings hat der Zeuge Klaus Steinmetz glaubhaft angegeben, die Beschuldigte habe ihm bei einem der Treffs erklärt, sie würde bei einer drohenden Festnahme die Pistole nur als Drohmittel, etwa zum Zwecke einer Geiselnahme, einsetzen. In einer aussichtslosen Situation aber nicht schießen." Das hat Steinmetz den Ermittlungsbehörden so berichtet. Aber das wird dann so gewertet: "Gegen diese Einlassung des Beschuldigten spricht indessen, daß sie eine Waffe dabei hatte..." Jetzt kann man sich natürlich fragen, wenn man Steinmetz glauben will, warum Birgit Hogefeld, die Steinmetz ja nicht als Verfassungsschutzmitarbeiter erkannt hat, - vielleicht in weiser Voraussicht - eine falsche "Einlassung", wie es hier heißt, ihm gegenüber abgegeben haben soll. Man sollte sich schon entscheiden, wie man den Herrn Steinmetz - das meine ich jetzt nur immanent der Ermittlungsbehörden - behandeln will.
Zu den Formulierungen "ständig geübte Verhaltensweise", "Absprache", "in zahlreichen Urteilen festgestellt": Da sei nur kurz angemerkt, die zahlreichen Urteile mit dergleichen Formulierungen beziehen sich auf Vorgänge in den 70er Jahren. In den 80er Jahren - oder sagen wir auch 1981 - gab es nämlich keine Fälle, auf die sich diese ständige Praxis beziehen kann. Die 1984 und 1986 festgenommenen 9 Personen, die die Ermittlungsbehörden während der Festnahmesituation als RAF-Mitglieder zu identifizieren meinten oder identifizierten, machten von der Schußwaffe keinen Gebrauch. Es gibt seitdem auch keine Urteile, die diese ständige Praxis hätten festschreiben können. Angemerkt sei nur, Birgit Hogefeld soll seit 1984 Mitglied in der RAF sein.

Festzuhalten ist und das bedarf an sich keiner weiteren Erläuterung mehr: wenn eine Person in Bad Kleinen nicht geschossen hat, dann war es Birgit Hogefeld. Ich zitiere aus den Angaben von einer dieser GSG-9-Nummern, so muß man sie ja nennen, denn sie erscheinen immer nur mit Nummern in den Akten: "Auf dem Boden gefesselt liegt Frau Hogefeld, die durch den Zeugen Nr. 4 gesichert wurde. Der Kopf von Frau Hogefeld war in Richtung Gleis 1/2 gedreht. Sie hatte die Kapuze ihrer Regenjacke über den Kopf gezogen. Aus Gründen der Eigensicherung beschloß ich, Frau Hogefeld meine schwarze Gesichtsmaske so über den Kopf zu ziehen, daß sie eigene Kräfte bei weiteren Maßnahmen nicht erkennen konnte. Dabei wurde besonders darauf geachtet, daß ihr Mund unbedeckt blieb, um das Atmen zu ermöglichen. Um die Maske sicher zu befestigen, ging ich nochmals auf den Bahnsteig und entnahm einem Arztkoffer eine Rolle Klebeband und befestigte die Maske damit zusätzlich."
Es sei dann noch kurz erwähnt, daß in dem Zeitraum zwischen dem Antrag der Bundesanwaltschaft und dem Beschluß "Haftbefehlseröffnung" des Ermittlungsrichters das Bundesamt für Verfassungsschutz aktiv wurde und über einen seiner seit Jahren in diesem Metier bekannten Mitarbeiter der Verteidigung signalisierte, diese Mordanklage sei schon zu kippen, es müsse dazu nur eine gewisse Kooperation gezeigt werden. Also wenn Frau Hogefeld bereit sei, mit ihm Gespräche zu führen - ich will es mal so nennen - dann sei er schon in der Lage, auch einem Gericht gegenüber klar zu machen, daß diese Mordanklage nicht bestehen könne. Es gab von diesem Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz noch die ganz interessante Anmerkung, eine derartige Kooperation könne auch Rückwirkungen auf den Verlauf künftiger Festnahmen haben. Das kann sich eigentlich nur auf den Schußwaffengebrauch beziehen.

Enden möchte ich, indem ich eine Zeitung zitiere, nämlich Die Zeit, bestimmt keine linke Zeitung. Die hat zu diesem Haftbefehl einen Kommentar geschrieben, der überschrieben ist mit "Gespenstisch". Es heißt dort drin: "Eine abenteuerliche Konstruktion. Hogefeld hat nicht geschossen, sie war festgenommen, als Grams schoß. Aber sie wird zur Mittäterin, weil Grams den Beamten auch zu ihrem Vorteil hätte erschießen wollen, wenn er gewußt hätte, daß sie noch frei wäre." Und ein letztes Zitat, und damit möchte ich dann enden: "Noch gibt es nur einen Haftbefehl wegen Mordes zu Lasten von Birgit Hogefeld, noch keine Anklage, geschweige denn ein Urteil. Der Schaden ist also reparabel." Ich möchte die Formulierung "Schaden" nicht übernehmen. Ich denke, es sollte alles unternommen werden, auch wirklich alles unternommen werden, um Bad Kleinen nicht so zu beenden, daß ein Selbstmord - Wolfgang Grams -, eine Mörderin - Birgit Hogefeld - und eine GSG 9, der es an Erfahrung mangelt, übrig bleibt.


Zwischenzeitlich wurde von der Bundesanwaltschaft Anklage auch wegen Mord und sechsfachem Mordversuch in Bad Kleinen erhoben. Auch dieser Anklagepunkt wurde vom 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. zur Hauptverhandlung zugelassen. Der Prozeß wird voraussichtlich am 15. November 1994 in Frankfurt/M. beginnen.




  1. Dies ist die überarbeitete und aktualisierte Fassung eines Beitrags, den der Rechtsanwalt Berthold Fresenius, einer der VerteidigerInnen von Birgit Hogefeld, auf der Veranstaltung zu Bad Kleinen am 24.03.1994 in Frankfurt/M. gehalten hat