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Wed Dec  4 17:38:17 1996
 

Aktualisierungen



Die besondere Sachkunde des "Wissenschaftlichen Dienstes" in Zürich

Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 12


Dr. Pfister, Leiter des "Wissenschaftlichen Dienstes" (WD) der Stadtpolizei Zürich wurde am 7.5. 96 als Sachverständiger und Zeuge zur Untersuchung von zwei Projektilen vernommen (Anm.: im Prozess gegen Birgit Hogefeld vor dem 5.Strafsenat des OLG Frankfurt unter Vorsitz von Richter Schieferstein). Diese Projektile, bei denen es sich um jene handeln soll, die dem Körper des in Bad Kleinen erschossenen GSG-9-Mannes Newrzella entnommen worden waren, stammen laut WD aus Wolfgang Grams Waffe. Dieses Untersuchungsergebnis des WD ist in mehrfacher Hinsicht fragwürdig. Erstens bleibt etwas undurchsichtig, ob Projektile ausgetauscht worden sind. Zweitens ist nicht mehr nachvollziehbar, ob und welche Veränderungen durch Voruntersuchungen beim BKA, LKA NRW und dem Gutachter Brinckmann an Waffen und Projektilen vorgenommen wurden. Und drittens ist die Untersuchungsmethode des WD wissenschaftlich umstritten. Desweiteren I sind wichtige Teiluntersuchungen (Drallwinkel) vom WD unterlassen worden.
In der Befragung Pfisters stellte sich heraus, daß die Merkmale Rechtsdrall und 6 "Feidzugabdrücke" bei den meisten Waffen auftreten. Es war ein zähes Unterfangen für die Verteidigung, dem Leiter des WD Kriterien für die Zuordnung eines Projektils zu einer bestimmten Waffe zu entlocken. Zitat Pfister: "Die Übereinstimmung der Merkmale muß so sein, daß der Gutachter sie als solche empfindet". Auf die Frage, wo denn die Grenze zwischen Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung verlaufe: "Die Grenze kann so nicht gezogen werden. Man sieht es...". Die Frage, ob er das nicht für Dritte nachvollziehbar darlegen könne, wieviel Übereinstimmung und an welchen Punkten es geben müsse, um zwei Projektile der gleichen Waffe zuzuordnen: "Diese Frage kann so nicht beantwortet werden. Wenige Merkmale bis zu mehreren Merkmalen"
Zu der Frage, ob an den Waffen durch Voruntersuchungen vorgenommene Veränderungen nachvollziehbar waren: "Was sind schon Veränderungen" - außerdem sei das in diesem Fall unproblematisch gewesen, da es eine Waffe war, die am Tatort gefunden wurde.
Fragen dazu, wie oft die Waffe beschossen wurde, wieviele Vergleichsprojektile vom BKA und vom WD produziert wurden, welche Untersuchungen Brinckmann zuvor gemacht hat, was mit den Anhaftungen geschehen ist, die das LKA von den Projektilen entfernt hat, die Frage, ob es sich bei den im Gutachten abgebildeten Vergleichsprojektilen um jeweils ein anderes oder das gleiche handelt, usw., beantwortete er mit: "Weiß ich nicht".
Wieviele und welche Personen an der Untersuchung und der Erstellung des Gutachtens beteiligt waren, beantwortete er mit: "Es waren mehrere". Welche Unterlagen und Vorinformationen zur Verfügung gestellt wurden - "Das steht im Gutachten". Auf die Frage, welche Untersuchungen er selbst durchgeführt Habe, sagte er, er habe beide Projektile selbst angesehen. "Angesehen oder Untersuchungen durchgeführt?" wurde er gefragt. "Das ist kein Unterschied" war seine Antwort. Auch die Waffe habe er "selbst angeschaut."
Nach Faktoren, die in den Untersuchungen hinderlich waren, befragt, kam immerhin: Die letzten Asservate kamen 2 Monate nach dem "Zwischenfall" in Bad Kleinen. Zuerst sei die "Kopfschwarte und das Gehirn von Wolfgang Grams" gekommen, ab da "wurde ein Ergebnis erwartet". Die Waffe von Wolfgang Grams mußte beim WD auf Fingerspuren untersucht werden, obwohl sie bereits beim BKA war (bekanntlich waren dann keine Fingerspuren mehr zu finden). Asservate waren teilweise nicht korrekt verpackt. Auch die Waffen der GSG-9 waren aufgrund von Voruntersuchungen nicht mehr im Originalzustand .
Nach einer Patronenhülse befragt, die nicht einer der Waffen zugeordnet wurde, gab er an, daß sie in die "Munitionsbilanz hineinpaßt". Er wurde auch gefragt, ob noch weitere Waffen zur Untersuchung vorlagen. Dies sei ihm "nicht bekannt".


Zachert (BKA): "Einverstanden, man muß jetzt mogeln"

Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 12


Am 14.5. sagte der suspendierte BKA-Beamte Lang im Prozeß aus. Er bzw. eine Arbeitsgruppe aus 4 Beamten der BKA-Abteilung TE 11 war mit der Auswertung des in Bad Kleinen gefundenen Schriftmaterials befaßt. Zuvor war er mit der Analyse der RAF-Erklärung von August 1992 beschäftigt. Nach der Sprengung des Knastneubaus in Weiterstadt erstellte er einen Bericht (30.4.93) zu möglichen "Personenverbindungen und Tatbezügen", konzentriert auf die Bunte Hilfe Darmstadt. Von Juli 1993 bis zu seiner Versetzung bzw. Suspendierung 1994 erstellte er Auswertungsberichte zu den in Bad Kleinen gefundenen Schriftstücken sowie gesonderte Berichte:
1. Zu "möglichen Bezügen von Frau Hogefeld zum Anschlag in Weiterstadt" - hier fand er keine.
2. Zur Frage der Mordanklage gegen Birgit wegen Bad Kleinen stellte er fest:
- es liegen dem BKA keine Anhaltspunkte vor, daß eine Absprache zum Schußwaffengebrauch innerhalb der RAF existierte
- die Vernehmung Steinmetz hat ergeben, daß es eine solche Absprache innerhalb der RAF nicht gibt
- Birgit hat in Bad Kleinen keinen Versuch gemacht, ihre Waffe zu ziehen
Folglich kann die Mordanklage nicht aufrechterhalten werden (Bericht vom 17.02.1994).
3. Der Bericht vom 10.02.1994 enthält eine "stark belastende Bewertung der Einbindung von Steinmetz" in die RAF und in die Weiterstadt-Aktion.
Des weiteren fertigte er einen 63seitigen Bericht zu den in Bad Kleinen gefundenen Briefen, ferner zu "Quack" (Ursel Quack, Saarbrücken, die 129a-Anklage gegen sie wird demnächst in Koblenz verhandelt, der Lang-Bericht kommt zu dem Ergebnis, daß der 129a gegen Ursula Quack jeder Grundlage entbehre), "Haule" (Eva Haule, Gefangene aus der RAF, diese Analyse von TE 11 bezog sich auf ein Schreiben, das Eva Haule zugeordnet wurde und als "Beweis" für ihre Beteiligung an der Airbase-Aktion gewertet wurde. TE 11 war hier zu einer anderen Bewertung gekommen als die BAW und 5. Strafsenat).
In der Analyse zur August-Erklärung "ermittelte" er zwei "normal lebende" Personen als "RAF-Mitglieder" sowie eine weitere als "Unterstützerin". Diese Personen flossen auch in seinen Bericht zu Weiterstadt als mögliche Tatbeteiligte ein.
Bezüglich der genannten Berichte, insbesondere zu denen zu Steinmetz, Birgit Hogefeld und Ursel Quack bestanden seitens der BAW Änderungswünsche. Nach dem Prozeß gegen Eva Haule, wo ein entlastendes Gutachten der Abteilung TE 11 vorlag, sollte "so etwas zukünftig die Behörde nicht mehr verlassen", wurde er angewiesen. Da er die Berichte nicht geändert hat, wurde ihre Vernichtung angeordnet. Andere sind verschwunden, z.B. der vom 30.04.93 sowie Teile einer "Ermittlungsakte Schwarzmann". Auch ein maschinengeschriebenes "Kassiber" vom Januar 1993, ,das vom Verfassungsschutz an das BKA übergeben wurde und das angeblich von Birgit an Steinmetz war. Sowie weitere "Berichte" und "Vermerke". "Einverstanden, man muß jetzt mogeln" ist eine handschriftliche Bemerkung Zacherts im Zusammenhang mit der Anordnung zur Vernichtung der Berichte.

Die Vernehmung des BKA-Beamten Lang wurde am 21.5. weiter fortgesetzt. Birgit ließ den Zeugen bestätigen, daß in der Phase direkt nach Bad Kleinen schon vertuscht wurde, Gegenstände "verschwanden" oder vernichtet wurden. So sind zwei Briefe, die Steinmetz bei sich hatte, verschwunden.

Tonbandmitschnitt

Birgit fragte weiter, ob Lang den Zwischenbericht der Bundesregierung zu der Polizeiaktion in Bad Kleinen kenne, sie zitierte daraus, daß "Hogefeld und die V-Person ..." die Unterkunft "aufgaben" und es zu einem "Treffen mit Freunden" kommen sollte. Daraus ergibt sich, daß in den Tagen vor Bad Kleinen eine Abhörmaßnahme gelaufen sein muß. Diese ist über den Personenschutzsender gelaufen, den Steinmetz dabeihatte. Birgit fragte den BKA-Beamten, ob er die Protokolle dieses Abhörsenders kenne. Er sagte, er habe keine Kenntnis über diese Gesprächsaufzeichnungen.
Birgit sagte, daß der Sender, d.h. Steinmetz, sich in Bad Kleinen in unmittelbarer Nähe zu Newrzella befand, so daß aus den Aufzeichnungen etwas darüber zu erfahren wäre, wie die Schußabfolge in Bad Kleinen war und wie der GSG-9-Beamte Newrzella zu Tode kam.




Justiz und Verbrechen

Im Folgenden einige Streiflichter auf die Bemühungen der Eltern von Wolfgang Grams und ihrer Anwälte, nach der Einstellung des Todesermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Schwerin doch noch ein Gerichtsverfahren zur Klärung seiner Todesumstände zu erreichen. Nach der Ablehnung durch die StAW Schwerin und die übergeordnete Generalstaatsanwaltschaft von Mecklenburg-Vorpommern wandten sich die Anwälte mit einem Klageererzwingungsverfahren an das letztinstanzlich zuständige OLG Rostock. Nach der auch dort erfolgten Ablehnung - mit wiederum skandalöser Begründung - wandten sich die Anwälte an das Bundesverfassungsgericht. Bezeichnend für das Verhalten der deutschen Justiz ist auch der Umgang der Frankfurter OLG-Richter mit dem Komplex Bad Kleinen im Prozess gegen Birgit Hogefeld.

 



Klagerzwingungsverfahren vor dem OLG Rostock

OLG - Rostock lehnt Antrag der Eltern von Wolfgang Grams ab, gegen Beamte der GSG-9 Anklage wegen der Ermordung von Wolfgang Grams zu erheben
Presseerklärung der Anwälte der Eltern von Wolfgang Grams zur Entscheidung des OLG Rostock über den Klageerzwingungsantrag (9. 4. 96)

Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 12


Das OLG Rostock hat am 29 März 1996 den Antrag von Ruth und Werner Grams, durch gerichtliche Entscheidung die Erhebung der öffentlichen Klage gegen GSG 9 Beamte wegen Mordes an ihrem Sohn Wolfgang Grams anzuordnen, als unbegründet verworfen.
Auf knapp 38 Seiten setzt sich das OLG mit der circa 1200 Seiten umfassenden Antragsschrift auseinander und begründet seine Entscheidung damit, "daß die Beschuldigten der ihnen vorgeworfenen Straftat nicht hinreichend verdächtig sind und infolge dessen ihre Verurteilung in der Hauptverhandlung nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist."
Die unanfechtbare Entscheidung des OLG Rostock wird der erdrückenden Fülle der die GSG-9-Beamten belastenden Indizien und Beweise in keiner Weise gerecht.
Es stellt eine völlig neue Theorie zum Tatgeschehen auf, wonach "der Verletzte sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wahrend des Sturzes auf die Gleise in suizidaler Absicht den Todesschuß beigebracht hat, also unmittelbar bevor er in bewegungsloser Haltung auf das Gleisbett fiel "
Das OLG Rostock benötigt diese, von keinem der Sachverständigen für wahrscheinlich erachtete, Variante des Tatgeschehens als Erklärung dafür, daß die Wolfgang Grams verfolgenden GSG 9 Beamten sowie ein Teil der Zeugen keine Angaben dazu machen konnten, wie das Loch in den Kopf von Wolfgang Grams gelangt ist.
Die beeidete richterliche Aussage des BKA Beamten Nr. 12, der auf dem Stellwerk des Bahnhofes als Beobachter eingesetzt worden war, findet hierbei keinerlei Beachtung. Er hatte den Schußwechsel bis zum Sturz von Wolfgang Grams auf die Gleise und das unmittelbare Hinzuspringen der GSG 9 Beamten beobachtet.
Nach der Aussage des BKA Beamten Nr. 12, der nach Angeben der Staatsanwaltschaft Schwerin "beste Sichtverhältnisse auf den Tatort" hatte, befanden sich die GSG 9 Beamten unmittelbar hinter Wolfgang Grams, so daß ihnen ein solches Geschehen, wie es jetzt vom OLG angenommen wird, nicht verborgen geblieben sein kann.
Diesen nicht unerheblichen Widerspruch erklärt das OLG damit, daß: "...die Vielzahl der in diesem Augenblick sich darstellenden Eindrücke (Niederstürzen der getroffenen Beamten der GSG 9, Sturz des Verletzten und die sich dabei ergebenden raschen körperlichen Bewegungen) eine genaue Beobachtung infolge der Reizüberflutung unmöglich machten."
Das hier an einem Beispiel dargestellte offensichtliche Bemühen des OLG Rostock, belastendes Aktenmaterial zu ignorieren, zieht sich wie ein roter Faden durch die Begründung des ablehnenden Beschlusses und kann mit einer Vielzahl weiterer Beispiele belegt werden.
Mit hanebüchenen Erklärungen führt das OLG vor, wie sich aus "Beobachtungslücken" einiger ziviler Zeugen und der als Täter in Betracht kommenden GSG 9 Beamten schlüssig und für den Senat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ergibt, daß das von keinem Zeugen Beobachtete das wahre Tatgeschehen darstellt.
Die Aussagen der den objektiven Befund des aufgesetzten Kopfschusses bezeugenden Personen werden dagegen insgesamt als "nicht verwertbar' qualifiziert.
Die Eltern von Wolfgang Grams fühlen sich durch die Oberflächlichkeit und Ignoranz, mit der die minutiös belegten belastenden Beweise und Indizien durch das OLG Rostock abgehandelt werden, beleidigt und brüskiert. Sie beabsichtigen nicht, die Dinge nach Abschluß des sog. ordentlichen Rechtsweges auf sich beruhen zu lassen und haben ihre unterzeichnenden Bevollmächtigten damit beauftragt, die Voraussetzungen einer Verfassungsbeschwerde und einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof zu prüfen.

(Rechtsanwälte Groß und Kieseritzky)



Zwei britische Gerichtsmediziner zur Entscheidung des OLG Rostock

Mitschrift eines Sendebeitrags des TV-Magazins Monitor(ARD) vom 18.04.1996 zur Entscheidung des OLG Rostock. Zwei britische Gerichtsmediziner, Prof. Pounder und Prof. Knight, werden zur Tathergangsversion des OLG Rostock befragt.
Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 12


Monitor:
Prof. Derrick Pounder ist Direktor der forensischen Abteilung der Königlichen Klinik in Dundees Schottland und Gutachter in zahlreichen international bekannten Fälle. Prof. Bernard Knight ist einer der international bekanntesten Gerichtsmediziner und Direktor des Pathologischen Instituts der Universität Wales.

Monitor:
Was sagen Sie zu der Theorie der Richter, daß Wolfgang Grams schon nach Erhalt der Bauch- und Beinschüsse eine sofortige atonische Lähmung bekam und zusammensackte. Die Experten sind sich einig:
Pounder:
Eine sofortige atonische Lähmung tritt ein, wenn das Gehirn aufhört zu funktionieren und zwar total und sofort. Dies tritt auf, wenn jemand sein Gehirn verletzt, nicht bei einer Bauchverletzung. Wenn Wolfgang Grams nun in den Bauch geschossen wurde, kann er davon keine atonische Lähmung bekommen haben.

Monitor:
Auch die weitere Schilderung der Richter, daß der atonisch gelähmte Grams seine Hand zum Kopf führte und abdrückte ist nach Ansicht beider Experten völlig abwegig:
Knight:
Das ist nicht möglich. Denn die Lähmung macht es ihm unmöglich, auch nur irgendeine bewußte Bewegung zu machen. Er kann nicht seine Hand heben und den Abzug drücken, weil sein Gehirn tot sein muß. Sofort. Es geht einfach nicht. Es ist unmöglich.

Monitor:
Doch auch unabhängig von der Frage, ob er nun eine atonische Lähmung hatte, ist es nach Ansicht beider Experten praktisch ausgeschlossen, daß sich Grams mit einem aufgesetzten Kopfschuß im Rückwärtsfallen selbst erschießt.
Pounder:
Denken Sie an die Realitäten! Er hat einen Bauchschuß und Beinschüsse und er muß große Schmerzen haben. Er fällt rückwärts in einem unkontrollierten Sturz und wir wissen, daß geschossen wurde, als sein Kopf sehr nahe oder schon auf dem Gleis war. Genau in diesem Augenblick hätte er Selbstmord begehen sollen. Um das hinzubekommen, bräuchte man einen Übermenschen.
Knight:
Ich habe in vierzig Jahren alle Arten von Selbstmord gesehen, aber noch nie, daß sich einer in der Luft selbst erschießen konnte. während er fällt. Das ist höchst unwahrscheinlich."
"Das Szenario (der Rostocker Richter) ist unmöglich, es kann nicht passieren. Es ist einfach völlig unmöglich"



Verfassungsbeschwerde

Presseerklärung der Anwälte der Eltern von Wolfgang Gramsaus Anlaß der Einreichung der Verfassungsbeschwerde (3.5.96)

Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 12


Als Anwälte der Eltern des am 27.06.1993 in Bad Kleinen getöteten Wolfgang Grams reichen wir heute beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Verfassungsbeschwerde ein.
Nach dem das Oberlandesgericht in Rostock nach der Staatsanwaltschaft Schwerin und der Generalstaatsanwaltschaft von Mecklenburg-Vorpommern - letztinstanzlich die Erhebung der Anklage gegen die für den Tod von Wolfgang Grams verantwortlichen GSG-9-Beamten abgelehnt hat, wird nun vor dem Bundesverfassungsgericht die Verletzung der Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz) und die Verletzung des Willkürverbotes i.S.d. Artikel 3 Absätze 1 und 3 durch die Justiz gerügt.
Das OLG Rostock hatte an der Selbstmordversion der Staatsanwaltschaft festgehalten, aber eine völlig neue Version zum Tatverlauf aufgestellt:
Wolfgang Grams soll sich demnach wahrend des rückwärtigen Falls ins Gleis den tödlichen Schuß gesetzt haben. Diese Theorie war auf großes Erstaunen bei international renommierten Rechtsmedizinern gestoßen, die den Erklärungsversuch als vollkommen abwegig bezeichneten.
Da die Justiz um jeden Preis die Aufklärung der tatsächlichen Geschehnisse über die Vorfälle in Bad Kleinen zu verhindern sucht, sehen sich die Eltern von Wolfgang Grams genötigt, das Bundesverfassungsgericht anzurufen.

(Rechtsanwälte Andreas Groß und Thomas Kieseritzky)



OLG Frankfurt im Prozess gegen Birgit Hogefeld

Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 9


Anfang Dezember 1995 wurde wider Erwarten doch noch mit der "Beweisaufnahme" zum Komplex Bad Kleinen begonnen
(...) Der Termins- und Ladungsplan, dem Angeklagte und Verteidigung entnehmen können, daß "Bad Kleinen" vom Gericht auf die Tagesordnung gesetzt ist, war ihnen wie schon häufig sehr kurzfristig, nämlich mit nur einer Woche Vorlauf, zugegangen. D. h., die Verteidigung hat oft nur knapp eine Woche Zeit, sich auf einen Verhandlungstag vorzubereiten. Das sind genau 4 Werktage, um sich mit Birgit abzusprechen, evtl. nachgelieferte Akten zu lesen, nicht zur Verfügung stehende Akten bei Gericht einzusehen, sich weitere Informationen zum Thema zu beschaffen, Anträge zu formulieren...usw. Das ist, wie Birgit ausführte, bei dem so komplexen Punkt Bad Kleinen viel zu kurzfristig, weswegen sie und ihre Verteidigung Zurückstellung der Beweisaufnahme beantragte.
Der Anklagepunkt "Mord und mehrfacher Mordversuch" in Bad Kleinen ist in zweifacher Hinsicht politisch brisant. Nicht nur die Dreistigkeit Birgit trotz der unbezweifelten Tatsache, daß sie zu dem Zeitpunkt, als geschossen wurde, bereits Gefangene war und gefesselt und geknebelt in der Unterführung lag, anzuklagen wegen des bei der Schießerei umgekommenen GSG-9-Beamten Newrzella und wegen der Möglichkeit, daß weitere GSG-9-Beamte hätten getötet werden können (Mordversuch).
Die politische Brisanz liegt auch darin, daß die Anklage davon ausgeht, daß Wolfgang Grams den GSG-9-Beamten erschossen habe, was aus der Faktenlage keineswegs eindeutig hervorgeht. Hier soll die allein von der Staatsräson geleitete, keineswegs bewiesene offizielle Version der Ereignisse in Bad Kleinen festgeklopft werden, nämlich daß Wolfgang Grams den GSG-9-Beamten und anschließend sich selbst erschossen habe.

Abhörung der Anwälte der Eltern von Wolfgang Grams

Birgits Anwalt Kieseritzky, der auch mit der Vertretung von Wolfgangs Eltern befaßt ist, brachte einen weiteren Grund ein, der der Verhandlung des Komplexes Bad Kleinen zum jetzigen Zeitpunkt entgegensteht. Er war, zusammen mit Rechtsanwalt Groß, während der Ausarbeitung des Antrages zur Klageerzwingung wegen Mordes an Wolfgang Grams aus einer der Anwaltspraxis gegenüberliegenden Wohnung akustisch und optisch überwacht worden. Diese Ausspähung mittels Videokamera, Richtmikrofon, Fotoapparat und Telefonanzapfung ist, jedenfalls nach derzeit noch geltendem Recht, illegal und damit ein Verfahrenshindernis, weil dadurch das Recht auf ein faires Verfahren verletzt ist.
Der vorsitzende Richter Schieferstein versuchte angesichts der anwesenden Presse, RA Kieseritzky an der Verlesung seines Antrages zu hindern, er wollte dessen nichtöffentliche Einführung im "Selbstleseverfahren" durchsetzen. Das heißt wohl, daß mit solchen Versuchen, die öffentliche Verlesung von Anträgen der Verteidigung, die politisch brisante Punkte behandeln - derer es ja gerade im Komplex Bad Kleinen viele gibt noch öfter zu rechnen ist. Richter Klein unterbrach, als Kieseritzky anstelle des gängigen "man" geschlechtsneutral "mensch" benutzte. Das sei unseriös.
Ein weiterer Antrag zur Zurückstellung des Anklagepunktes Bad Kleinen betraf die schon oft festgestellte Unvollständigkeit der Akten. So existieren beispielsweise von dem Zeugen Tannert weitere Vernehmungsprotokolle, die nicht in den Prozeßakten sind. Aus der Akte der Staatsanwaltschaft Schwerin zu Bad Kleinen geht hervor, daß nicht, wie behauptet, nur eine Sorte Munition durch die GSG-9 eingesetzt wurde, sondern noch vier weitere Munitionstypen. Die Beiziehung der Schweriner Bad-Kleinen-Akte war bereits im Dezember 1994 beantragt worden, bis heute liegt keine Entscheidung des Gerichts dazu vor, was bezeichnend für dessen Ignoranz gegenüber der Angeklagten und ihrer Verteidigung sei, stellte Rechtsanwältin Seifert fest.
Bundesanwalt Hemberger beantragte die Zurückweisung aller Anträge, die BAW habe keine weiteren Akten und zu der Ausspähung der Anwälte Kieseritzky und Groß könne er nur sagen, daß keine deutsche Staatsanwaltschaft oder Bundesanwaltschaft illegale Maßnahmen tätige, was er nochmals wiederholte, weil er befürchtete, es könnte wegen des Lachens im Zuschauerinnenraum untergegangen sein.
Alle Anträge wurden durch das Gericht zurückgewiesen, es gehe hier nur um den Anklagepunkt der "Mittötung" Newrzellas und diesbezüglich sei das alles irrelevant.
Die in dem ganzen Komplex Bad Kleinen von Anfang an angelegte Vertuschung und Verwirrung nimmt also vor diesem Gericht ihren weiteren Verlauf.


Siehe auch den Abschnitt über die Zeugenaussage des Lokomativführers Tannert:

Es ist, wie die Anwälte mehrmals deutlich machten, schon juristisch absurd, ein Geschehen von einigen Minuten in Sekunden zu zerstückeln, die Beobachtungen eines Augenzeugen von diesem nur in bruchstückhaften, zeitlich nicht zu ordnenden Schlaglichtern schildern zu lassen und zu würdigen und sowas auch noch als Beweisaufnahme zu verstehen. Erst recht, wenn, wie in diesem Fall, so viele Unklarheiten über die tatsächlichen Abläufe bestehen.



Zum Umgang mit Gutachten

Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 12

Zu den Untersuchungen des Wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich unter Dr. Pfister ein Obergutachten durch Prof. Bonte anfertigen zu lassen, wurde vom Gericht abgelehnt. In der Ablehnung verstieg sich der erkennende Senat argumentativ ausgerechnet dahingehend, die Sachkenntnis des Prof. Bonte, der eine international anerkannte Kapazität auf dem fraglichen Gebiet ist, in Frage zu stellen. Die von Pfister ausgebreitete Sachkenntnis scheint dem Gericht vollkommen ausreichend. Der WD in Zürich wurde von der BAW mit den Untersuchungen zu Bad Kleinen wohl eher aufgrund der "guten Erfahrungen" betraut, die deutsche Behörden in der Vergangenheit schon hatten. So hat der WD beispielsweise 1977 die "Untersuchungen" zu den Todesursachen der RAF-Gefangenen in Stuttgart-Stammheim und Stadelheim gemacht und kam zu dem wunschgemäßen Ergebnis "Selbstmord". So auch zu den Todesumständen von Wolfgang Grams. Aber dies war nicht Thema in der Verhandlung gegen Birgit Hogefeld.



Unzulässiger Lauschangriff auf Rechtsanwaltsbüro

Auf das Büro der Wiesbadener Rechtsanwälte Groß und Kutsch wurde mit Hilfe des Bundeskriminalamtes ein großangelegter Lauschangriff durchgeführt.

Presseerklärung, entnommen aus: Angehörigen-Info Nr. 182

Aufgrund eines Hinweises erhielt das betroffene Rechtsanwaltsbüro bereits am 6. November 1995 Kenntnis davon, daß in einem dem Anwaltsbüro gegenübergelegenen Anwesen ein voll automatisierter Horch- und Observationsposten bestehend aus Richtmikrophonen, Videokamera, Fotoapparat etc. durch Ermittlungsbehörden installiert worden war. Zum damaligen Zeitpunkt existierte der Lauschposten bereits seit mindestens 15 Monaten. Dies stützt sich auf Angaben des Pächters, der bei seinem Einzug im Sommer 1994 den Posten bereits vorfand.

Die Tatsache, daß der Horch- und Observationsposten sofort abgeräumt wurde, nachdem telefonisch die Presse (der Hessische Rundfunk) über den Vorgang informiert worden war, weist darauf hin, daß zusätzlich eine direkte Telefonüberwachung stattfand.

Recherchen in den darauffolgenden Monaten ergaben, daß das Kennzeichen des Fahrzeugs, mit dem die in Zivil gekleideten Herren die Abhör- und Observationseinrichtung überstürzt abtransportierten, bei der zuständigen Zulassungsstelle für das BKA reserviert ist, daß jedoch für den Tag des Abtransportes für das Kennzeichen kein Ausgabevermerk eingetragen war.

Bei weiteren Nachforschungen in der Sache wurde den Unterzeichnenden zugetragen, daß auf Antrag der Bundesanwaltschaft der Ermittlungsrichter des BGH zunächst einen Beschluß nach 100a StPO (Überwachung des Fernmeldeverkehrs) erlassen hatte, dem dann ein Beschluß nach 100c StPO (Einsatz technischer Mittel) nachgeschoben wurde.

Der hier praktizierte Lauschangriff wäre durch diese richterlichen Beschlüsse allerdings keinesfalls rechtlich abgedeckt. Vielmehr ist aufgrund der festgestellten Umstände davon auszugehen, daß es sich vorliegend um eine rechtlich unzulässige Maßnahme der Ermittlungsbehörden handelt.

Da die strafprozessual vorgeschriebene Benachrichtigung der Betroffenen ( 101 StPO) von einer solchen Maßnahme bisher nicht erfolgt ist, muß davon ausgegangen werden, daß der Lauschangriff in modifizierter Weise bis heute fortgesetzt wird.

Es steht zu vermuten, daß der Hintergrund dieses Vorgehens in einem engen Zusammenhang damit steht, daß das betroffene Anwaltsbüro die Eltern von Wolfgang Grams als Nebenkläger in dem Ermittlungsverfahren gegen unbekannte GSG-9-Beamte wegen des Verdachtes des Mordes an Wolfgang Grams vertritt. Mit Hilfe des Lauschangriffs konnten sich die an dem Einsatz in Bad Kleinen unmittelbar verantwortlich beteiligten Dienststellen (BKA und BAW) laufend über den aktuellen Erkenntnisstand der Nebenkläger und deren Aktivitäten bezüglich der Aufklärung des tatsächlichen Geschehens informieren. Die in den Ermittlungsakten zu Bad Kleinen dokumentierte Spuren- und Beweismittelvernichtung durch Experten des BKA konnte somit auf bisher nicht geahnte Weise auch auf Ermittlungsansätze der Nebenklageberechtigten ausgedehnt werden.

Vor wenigen Tagen wurde das Sekretariat des betroffenen Anwaltsbüros durch BKA und Bundesanwaltschaft aufgrund eines Ermittlungsverfahrens gegen eine Mitarbeiterin durchsucht. Eine Verbindung zwischen dem Ermittlungsverfahren und dem Lauschangriff wurde bisher von seiten der Behörden nicht hergestellt. Sollte dies geschehen, ist schon heute festzustellen, daß ein solches Verfahren keine Rechtfertigung für die Durchführung des großangelegten Lauschangriffs auf ein Anwaltsbüro darstellt. Im Rahmen der Berufsausübung eines Rechtsanwaltes kommt der Vertraulichkeit des Wortes eine außerordentliche Bedeutung zu. Die Gespräche mit den Mandanten, insbesondere zwischen Strafverteidiger und Mandant, genießen einen besonderen, grundgesetzlich verankerten Vertrauensschutz. Der begründete Verdacht, daß gerade das Abhören solcher Gespräche Gegenstand des Lauschangriffs war, macht das Ausmaß der Grundrechtsverletzung besonders deutlich.

Es ist bezeichnend, daß, während der "Große Lauschangriff" im Bundestag noch diskutiert wird, die Ermittlungsbehörden ungeachtet der gesetzlichen Grundlagen bereits das praktizieren, was erst den Gegenstand der Beratung der gesetzgebenden Organe bildet.

Der eklatante Rechtsbruch durch die beteiligten "Sicherheitsorgane" ist offenkundig.

Wiesbaden, 29.5.1996

Andreas Groß für RAe Groß und Kutsch

Kurzinformation zur Hausdurchsuchung

Am Dienstag, den 14. Mai 1996 von ca. 6.30 -15.00 Uhr wurde in Wiesbaden eine Wohngemeinschaft und das Sekretariat einer Anwaltskanzlei auf Anordnung des Ermittlungsrichters beim BGH durchsucht. Bei der Durchsuchung waren Vertreter der BAW, unzählige Beamte des BKA Meckenheim, LKA-Beamte und div. Grüne anwesend. Grundlage für den Durchsuchungsbefehl ist ein Ermittlungsverfahren von Anfang 1994 wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" gegen eine der Bewohnerinnen. Auch die Durchsuchung des Sekretariats in der Anwaltskanzlei basierte auf diesem Verfahren, konkret ging es darum, daß sie dort arbeitet.

Die Begründung für die angebliche Mitgliedschaft war mehr als dünn: die betreffende Person wird verdächtigt aufgrund von Unterlagen, die bei Birgit Hogefeld in Bad Kleinen gefunden wurden, Kontakt zu ihr gehabt zu haben. Sie sei eine dieser in der Legalität lebenden sog. "Nahtstellenpersonen" und habe sich in dieser Funktion für die RAF mitgliedschaftlich betätigt (was auch immer das heißen soll).

Durchsucht wurde das gesamte Haus, d. h. auch alle Räume der anderen Mitglieder der Wohngemeinschaft, wobei z. T. auch persönliche Gegenstände wie z. B. Briefe und Postkarten etc. bei den anderen Mitbewohnern beschlagnahmt wurden. Insgesamt wurden diverse aktuelle Flugblätter, Broschüren, Briefe von Gefangenen, sämtliche Infomaterialien zu dem Spitzel Steinmetz, Infos zu aktuellen Verfahren, diverse Video-Kassetten und Computer-Disketten, Adressen und Telefonnummern etc. beschlagnahmt. Dann sind sie mit verschiedenen Textilfasern die vorhandenen Kleidungsstücke durchgegangen und haben Sachen nach Farbkriterien beschlagnahmt.

Während der Durchsuchung war das Gebäude von Polizeibeamten umstellt und der Zugang mit rot-weißem Band gesichert. Beteiligt an der Durchsuchung des Hauses waren ca. 50 Beamte und Beamtinnen der verschiedenen Verfolgungsorgane. Zum Abschluß wurde die Frau, gegen die das Verfahren läuft, noch mit ins Polizeipräsidium genommen, wo ein erfolgloser Verhörversuch stattfand und nach einigem Hin und Her auf eine erneute ED-Behandlung dann doch verzichtet wurde (die letzte hatte 1994 stattgefunden). Sämtliche Bewohner der WG waren auch im Februar diesen Jahres als Zeugen im Verfahren gegen Unbekannt wegen Mitgliedschaft in der RAF und Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion (konkret ging es um Weiterstadt) vom BKA vorgeladen worden.

 


Aussage des Lokomotivführers Tannert

Der Lokomotivführer des auf Gleis 5 wartenden Zuges, Tannert zu seinen Beobachtungen im Bahnhof von Bad Kleinen im Frankfurter Prozess gegen Birgit Hogefeld

Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 9


Der Zeuge Tannert schilderte, daß er sich zu Beginn der Schießerei, die er erst für "Remmidemmi" hielt, mit einer Kollegin auf dem Bahnsteig 3 / 4 vom Lokfenster aus unterhielt Als die Kollegin von einem Streifschuß am Arm verletzt wurde, gingen sie hinter der Lok in Deckung. Schüsse und Rufe hatte er gehört, bevor er Personen aus der Unterführung die Treppe hochkommen sah. Nur bei einer Person hat er einen "Ja, soll ich nun sagen, Pistole oder pistolenähnlichen Gegenstand" gesehen. Daß diese Person einen Rucksack trug, wurde von ihm nach Vorhalt bestätigt. Dieser Rucksack nahm als Identifizierungsmerkmal von Wolfgang Grams in der Befragung durch die Richterbank einen breiten Raum ein.
Bei den Verfolgern hat er keine Waffen gesehen, was sich die BAW durch nochmaliges Nachfragen bestätigen lies. Völlig unklar, was sie mit der absurden Vorstellung, ihre Elite-Truppe der "Terrorismusbekämpfung" GSG-9 ginge ohne Waffen zum Einsatz, anfangen können - in die Berichterstattung der Presse floß dieses Bild allerdings ein.
Nachdem die Schießerei beendet war, hatte der Lokführer nochmals aus dem Fenster geschaut. Er schilderte, daß viele Leute herumstanden, zwei Personen lagen auf dem Bahnsteig bzw. im Gleis. Zuerst hatte er nur von einer liegenden Person (Newrzella) gesprochen, die BAW fragte aber nach der im Gleis liegenden Person, also Wolfgang Grams, ob bei ihr jemand etwas aufgehoben habe. Hier unterbrach Richter Klein, weil diese zweite Person nicht Newrzella sei und nur um den ginge es ,hier. Die BAW begründete, daß es um die Waffe von Wolfgang Grams ginge, die Frage wurde zugelassen und von dem Zeugen prompt mit "Ja, Pistole, silbergrau" beantwortet. Ob denn da noch mehr Leute waren bei der Person im Gleis und was die getan hätten, fragte die BAW weiter. Das wußte der Zeuge nicht mehr und die BAW hielt ihm aus seiner damaligen Aussage vor, nach der eine Person mit beiden Händen eine Waffe auf den Oberkörper des Liegenden gerichtet hielt. Hier unterbrach das Gericht erneut, diesmal Kern. Es ginge immer noch um die Waffe, sagte BAW Hemberger. In dem folgenden Hin und Her zeichnete sich ab, daß diese Frage, da sie zu nah an der Frage ist, wer Wolfgang Grams erschossen hat, vom Gericht nicht zugelassen wird. Der vorsitzende Richter machte nochmals klar, daß es hier nicht um die Aufklärung des Todes von Wolfgang Grams ginge, sondern um die der Angeklagten angelasteten Anklagepunkte. Dann wurde die Mittagspause eingelegt - nachmittags war die Presse nur noch in der üblich dünnen Besetzung vertreten.
Nachdem die letzte Frage der BAW endgültig abgelehnt war, war die Verteidigung mit der Zeugenbefragung dran. Hier kam die vom Gericht eingeleitete Marschrichtung voll zum Tragen, kaum eine Frage der Verteidigung wurde zugelassen. Nicht nur weitere Fragen, z. Bsp. nach dem Rucksack, wurden abgeblockt, sondern auch solche, deren Beantwortung möglicherweise die fragwürdige Version, Wolfgang Grams habe Newrzella erschossen, noch durchsichtiger machen könnten. Auch wurde damit die zeitliche Einordnung der jeweiligen Beobachtungen des Zeugen verhindert. Chronologisch weiter Der Zeuge wurde befragt, ob er sich erinnern könne, ob er folgendes bei seiner ersten, zweiten oder dritten Vernehmung gesagt habe: "Ich sah einen Mann im Gleiskörper liegen, in etwa 1 m Abstand war ein anderer Mann, dieser zielte mit einer Waffe auf den Oberkörper des im Gleis liegenden." Das Gericht lehnte auch diese Frage ab, obwohl der Anwalt deutlich machte, daß es um die Erinnerungsfähigkeit des Zeugen geht und daß es absurd ist, die beobachteten Vorgänge in Sekunden zu zerstückeln .
Fragen wie die, ob der Zeuge bei den Vernehmungen belehrt wurde, ob der Zeuge Erfahrungen mit Schußwaffen (Wehrdienst, Schützenverein) habe, gingen unbeanstandet durch.
Dann fragte die Verteidigung, ob denn die erste Person schon eine Waffe in der Hand hielt, als sie die Treppe hochkam. Nein, erst später sagte der Zeuge, nämlich als er schon oben war. Gleichzeitig wurden bereits Schüsse aus Richtung Treppenaufgang abgegeben. In der weiteren Befragung tauchten auch noch weitere von dem Zeugen wahrgenommene Waffen auf, auch "längere Waffen" bei vermummten GSG-Beamten, die "von allen Seiten" kamen, auch in (seinem) Zug waren. Hubschrauber hat er auch wahrgenommen, und zwar grüne, aus Richtung Schwerin kommend das Gericht unterbrach die Befragung, das täte nichts zur Sache. Der Anwalt begründete, daß die Schußverletzung bei Newrzella schräg von oben nach unten verlief und assoziiert Pressebilder von GSG-9-Männern, die auf Hubschrauberkufen stehend Schießübungen abhalten Weitere Fragen zu den Hubschraubern wurden nicht zugelassen.
Dann ging wieder eine Frage durch, es wurde nochmals deutlich, daß der Zeuge Schußgeräusche wahrgenommen hat, bevor Leute aus dem Tunnel auf den Bahnsteig 3 /4 kamen. Der Anwalt kam nochmal auf den Rucksack, dem ja auch das Gericht schon ein großes Gewicht beigemessen hatte, wer diesen unter den Kopf des im Gleis Liegenden gelegt habe. Ob es zivil Gekleidete oder Sanitäter waren, wußte der Zeuge nicht mehr. Zu welchem Zeitpunkt, ob da noch der Mann mit der auf den Liegenden gerichteten Waffe stand - das Gericht beanstandete die Frage, sie wurde nicht zugelassen. Die Verletzungen des im Gleis Liegenden hat der Zeuge nicht gesehen, die Liegeposition - das Gericht unterbricht, Frage abgelehnt. Ob er sich erinnern könne, wie die Person lag - auch diese Frage wird abgelehnt. Ob die liegende Person etwas in den Händen hatte zum Zeitpunkt, als der Rucksack unter dessen Kopf lag - Nein. In welcher Stellung lag die Person zu diesem Zeitpunkt - Frage vom Gericht abgelehnt. Von wo aus wurde der Rucksack unter den Kopf geschoben - Frage abgelehnt....
Es ist, wie die Anwälte mehrmals deutlich machten, schon juristisch absurd, ein Geschehen von einigen Minuten in Sekunden zu zerstückeln, die Beobachtungen eines Augenzeugen von diesem nur in bruchstückhaften, zeitlich nicht zu ordnenden Schlaglichtern schildern zu lassen und zu würdigen und sowas auch noch als Beweisaufnahme zu verstehen. Erst recht, wenn, wie in diesem Fall, so viele Unklarheiten über die tatsächlichen Abläufe bestehen.
Nach diesem ersten Verhandlungstag wird deutlich, daß es nicht nur nicht um die Aufklärung der Todesumstände von Wolfgang Grams geht, wie der vorsitzende Richter mehrmals betonte, sondern auch, daß es im Grunde gar nicht um die Aufklärung der tatsächlichen Abläufe am 27.6.93 im Bahnhof von Bad Kleinen geht. Es soll auch keine Beweisaufnahme zu den Todesumständen des GSG-9-Beamten zugelassen werden. Auch dies war, wie die Vertuschung und Beweismittelvernichtung bezüglich des Mordes an Wolfgang Grams, die Praxis der gegen sich selbst ermittelnden Behörden von Anfang an, in die sich dieses Gericht, was nicht anders zu erwarten war, nahtlos einfügt. Der Leichnam des GSG-9-Beamten wurde erstaunlich schnell beerdigt, die ihm entnommenen Projektile waren nach der Obduktion "verschwunden", um einige Tage später wieder aufzutauchen, die Schußverletzungen werden, obwohl sie aus verschiedenen Winkeln und Höhen auftraten, alle Wolfgang Grams zugeordnet, Begründungsnotstände notdürftig mit unbewiesenen und teils absurden Hypothesen überbrückt, die dadurch, daß sie von einem Sachverständigen mit Doktortitel vorgetragen werden, nicht weniger absurd werden.



Aussage des Obduzenten des GSG-9-Beamten Newrzella

Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 9


Am 12.12. war Dr. med. Wegner, Leiter eines rechtsmedizinischen Instituts in Schwerin, als Zeuge und Sachverständiger vor dem OLG Frankfurt im Prozess gegen Birgit Hogefeld geladen. Er hatte die Obduktion von Newrzella durchgeführt und trug sein Ergebnis vor.

In aller Kürze: 4 Schußverletzungen, davon eine im Oberkörper, von oben nach unten abfallend, die anderen im Beinbereich, horizontal verlaufend. Er hat dem Körper zwei Projektile entnommen, das aus dem Oberkörper war zweifelsfrei die Todesursache. Die Projektile hat er einer BKA-Beamtin übergeben, den Namen weiß er nicht mehr. Zum Ablauf: Er hatte in den Nachrichten von den Vorfällen in Bad Kleinen gehört und damit gerechnet, wie üblich sofort hinzugezogen zu werden. Üblich wäre auch, daß er bzw. der diensttuende Rechtsmediziner zusammen mit der Mordkommission eine Leichenschau am Ort des Geschehens durchführe, in diesem Fall wurde er jedoch erst am nächsten Tag einbezogen. Vor der Obduktion fand eine Besprechung mit dem BKA statt, "wie es jetzt weitergeht", was er als sehr angenehm empfand, da er "die Verantwortung nicht alleine tragern" wollte. Die BKA'ler machten die Befunddokumentation, sie hatten dazu ihre eigenen Köfferchen mitgebracht. Erkennungsdienstliche und kriminaltechnische Untersuchungen liefen z. T. während, z. T. nach der Obduktion. Die Projektile waren nicht fotografiert worden und, wie schon gesagt, waren sie anschließend "verschwunden".
Rechtsanwältin Seifert fragte, wie genau er sich die Projektile angeschaut habe und ob er sie noch beschreiben könne. Er beschrieb sie als stark verformt, inhomogen, aufgepelzt usw. Zu Metallsplittern, die er dem Körper Newrzellas entnommen hatte, sagte er, er könne nicht sagen, ob diese aus dem Kern oder der Ummantelung des Geschosses stammen; ob sie asserviert wurden, daran konnte er sich nicht erinnern.
Die Bekleidung des Newrzella lag ihm nicht vor. Diese hätte, wie er auf Befragung angab, die Bestimmung der Schußrichtung erleichtert und die Bestimmung der Schußentfernung ermöglicht.

Der Gutachter war darauf vorbereitet, zu ihm bekannten Widersprüchen und Lücken Hypothesen vorzutragen. So führte er die Hypothese von dem weit vorgebeugt rennenden Newrzella von sich aus ein, als eine mögliche Erklärung für den von oben nach unten verlaufenden Schußkanal. Zur Uberbrückung der Dokumentationslücke bezüglich der Projektile hatte er ein Fachbuch mitgebracht.



Berichtigung zu "Kinkel-Initiative"


In dem Beitrag "Die Kinkel-Initoative, Bad Kleinen und die Niederlage von revolutionärem Widerstand, RAF und poltischen Gefangenen" des Buches "Bad Kleinen und die Ermordung von wolfgang Grams" wurde irrtümlich behauptet, daß außer Norbert Hofmeier alle Gefangenen aus dem antiimperialistischen Widerstand nach 2/3 ihrer Haftzeit vorzeitig entlassen wurden. Richtig ist, daß auch Michael Dietiker und Bernhard Rosenkötter ihre volle Strafe absitzen mussten. Ali Jansen, der im gleichen Zusammenhang im Knast saß, wurde trotz lebensgefährlicher Asthma-Anfälle erst wenige Wochen vor Ablauf seiner regulären Haftzeit entlassen. Sie waren aufgrund eines ihnen zur Last gelegten Bombenanschlags auf eine Renault-Niederlassung im Zusammenhang mit dem Hungerstreik der politischen Gefangenen von Action Directe in Frankreich zu 6 bzw. 7 Jahren Haft verurteilt worden.