Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 12
Dr. Pfister, Leiter des "Wissenschaftlichen Dienstes" (WD) der
Stadtpolizei Zürich wurde am 7.5. 96 als Sachverständiger
und Zeuge zur Untersuchung von zwei Projektilen vernommen (Anm.: im
Prozess gegen Birgit Hogefeld vor dem 5.Strafsenat des OLG Frankfurt
unter Vorsitz von Richter Schieferstein). Diese Projektile, bei denen
es sich um jene handeln soll, die dem Körper des in Bad Kleinen
erschossenen GSG-9-Mannes Newrzella entnommen worden waren, stammen
laut WD aus Wolfgang Grams Waffe. Dieses Untersuchungsergebnis des WD
ist in mehrfacher Hinsicht fragwürdig. Erstens bleibt etwas
undurchsichtig, ob Projektile ausgetauscht worden sind. Zweitens ist
nicht mehr nachvollziehbar, ob und welche Veränderungen durch
Voruntersuchungen beim BKA, LKA NRW und dem Gutachter Brinckmann an
Waffen und Projektilen vorgenommen wurden. Und drittens ist die
Untersuchungsmethode des WD wissenschaftlich umstritten. Desweiteren
I sind wichtige Teiluntersuchungen (Drallwinkel) vom WD unterlassen
worden.
In der Befragung Pfisters stellte sich heraus, daß die Merkmale
Rechtsdrall und 6 "Feidzugabdrücke" bei den meisten Waffen
auftreten. Es war ein zähes Unterfangen für die
Verteidigung, dem Leiter des WD Kriterien für die Zuordnung
eines Projektils zu einer bestimmten Waffe zu entlocken. Zitat
Pfister: "Die Übereinstimmung der Merkmale muß so sein,
daß der Gutachter sie als solche empfindet". Auf die Frage, wo
denn die Grenze zwischen Übereinstimmung und
Nichtübereinstimmung verlaufe: "Die Grenze kann so nicht gezogen
werden. Man sieht es...". Die Frage, ob er das nicht für Dritte
nachvollziehbar darlegen könne, wieviel Übereinstimmung und
an welchen Punkten es geben müsse, um zwei Projektile der
gleichen Waffe zuzuordnen: "Diese Frage kann so nicht beantwortet
werden. Wenige Merkmale bis zu mehreren Merkmalen"
Zu der Frage, ob an den Waffen durch Voruntersuchungen vorgenommene
Veränderungen nachvollziehbar waren: "Was sind schon
Veränderungen" - außerdem sei das in diesem Fall
unproblematisch gewesen, da es eine Waffe war, die am Tatort gefunden
wurde.
Fragen dazu, wie oft die Waffe beschossen wurde, wieviele
Vergleichsprojektile vom BKA und vom WD produziert wurden, welche
Untersuchungen Brinckmann zuvor gemacht hat, was mit den Anhaftungen
geschehen ist, die das LKA von den Projektilen entfernt hat, die
Frage, ob es sich bei den im Gutachten abgebildeten
Vergleichsprojektilen um jeweils ein anderes oder das gleiche
handelt, usw., beantwortete er mit: "Weiß ich nicht".
Wieviele und welche Personen an der Untersuchung und der Erstellung
des Gutachtens beteiligt waren, beantwortete er mit: "Es waren
mehrere". Welche Unterlagen und Vorinformationen zur Verfügung
gestellt wurden - "Das steht im Gutachten". Auf die Frage, welche
Untersuchungen er selbst durchgeführt Habe, sagte er, er habe
beide Projektile selbst angesehen. "Angesehen oder Untersuchungen
durchgeführt?" wurde er gefragt. "Das ist kein Unterschied" war
seine Antwort. Auch die Waffe habe er "selbst angeschaut."
Nach Faktoren, die in den Untersuchungen hinderlich waren, befragt,
kam immerhin: Die letzten Asservate kamen 2 Monate nach dem
"Zwischenfall" in Bad Kleinen. Zuerst sei die "Kopfschwarte und das
Gehirn von Wolfgang Grams" gekommen, ab da "wurde ein Ergebnis
erwartet". Die Waffe von Wolfgang Grams mußte beim WD auf
Fingerspuren untersucht werden, obwohl sie bereits beim BKA war
(bekanntlich waren dann keine Fingerspuren mehr zu finden). Asservate
waren teilweise nicht korrekt verpackt. Auch die Waffen der GSG-9
waren aufgrund von Voruntersuchungen nicht mehr im Originalzustand
.
Nach einer Patronenhülse befragt, die nicht einer der Waffen
zugeordnet wurde, gab er an, daß sie in die "Munitionsbilanz
hineinpaßt". Er wurde auch gefragt, ob noch weitere Waffen zur
Untersuchung vorlagen. Dies sei ihm "nicht bekannt".
Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 12
Am 14.5. sagte der suspendierte BKA-Beamte Lang im Prozeß
aus. Er bzw. eine Arbeitsgruppe aus 4 Beamten der BKA-Abteilung TE 11
war mit der Auswertung des in Bad Kleinen gefundenen Schriftmaterials
befaßt. Zuvor war er mit der Analyse der RAF-Erklärung von
August 1992 beschäftigt. Nach der Sprengung des Knastneubaus in
Weiterstadt erstellte er einen Bericht (30.4.93) zu möglichen
"Personenverbindungen und Tatbezügen", konzentriert auf die
Bunte Hilfe Darmstadt. Von Juli 1993 bis zu seiner Versetzung bzw.
Suspendierung 1994 erstellte er Auswertungsberichte zu den in Bad
Kleinen gefundenen Schriftstücken sowie gesonderte Berichte:
1. Zu "möglichen Bezügen von Frau Hogefeld zum Anschlag in
Weiterstadt" - hier fand er keine.
2. Zur Frage der Mordanklage gegen Birgit wegen Bad Kleinen stellte
er fest:
- es liegen dem BKA keine Anhaltspunkte vor, daß eine Absprache
zum Schußwaffengebrauch innerhalb der RAF existierte
- die Vernehmung Steinmetz hat ergeben, daß es eine solche
Absprache innerhalb der RAF nicht gibt
- Birgit hat in Bad Kleinen keinen Versuch gemacht, ihre Waffe zu
ziehen
Folglich kann die Mordanklage nicht aufrechterhalten werden (Bericht
vom 17.02.1994).
3. Der Bericht vom 10.02.1994 enthält eine "stark belastende
Bewertung der Einbindung von Steinmetz" in die RAF und in die
Weiterstadt-Aktion.
Des weiteren fertigte er einen 63seitigen Bericht zu den in Bad
Kleinen gefundenen Briefen, ferner zu "Quack" (Ursel Quack,
Saarbrücken, die 129a-Anklage gegen sie wird demnächst in
Koblenz verhandelt, der Lang-Bericht kommt zu dem Ergebnis, daß
der 129a gegen Ursula Quack jeder Grundlage entbehre), "Haule" (Eva
Haule, Gefangene aus der RAF, diese Analyse von TE 11 bezog sich auf
ein Schreiben, das Eva Haule zugeordnet wurde und als "Beweis"
für ihre Beteiligung an der Airbase-Aktion gewertet wurde. TE 11
war hier zu einer anderen Bewertung gekommen als die BAW und 5.
Strafsenat).
In der Analyse zur August-Erklärung "ermittelte" er zwei "normal
lebende" Personen als "RAF-Mitglieder" sowie eine weitere als
"Unterstützerin". Diese Personen flossen auch in seinen Bericht
zu Weiterstadt als mögliche Tatbeteiligte ein.
Bezüglich der genannten Berichte, insbesondere zu denen zu
Steinmetz, Birgit Hogefeld und Ursel Quack bestanden seitens der BAW
Änderungswünsche. Nach dem Prozeß gegen Eva Haule, wo
ein entlastendes Gutachten der Abteilung TE 11 vorlag, sollte "so
etwas zukünftig die Behörde nicht mehr verlassen", wurde er
angewiesen. Da er die Berichte nicht geändert hat, wurde ihre
Vernichtung angeordnet. Andere sind verschwunden, z.B. der vom
30.04.93 sowie Teile einer "Ermittlungsakte Schwarzmann". Auch ein
maschinengeschriebenes "Kassiber" vom Januar 1993, ,das vom
Verfassungsschutz an das BKA übergeben wurde und das angeblich
von Birgit an Steinmetz war. Sowie weitere "Berichte" und
"Vermerke". "Einverstanden, man muß jetzt mogeln" ist
eine handschriftliche Bemerkung Zacherts im Zusammenhang mit der
Anordnung zur Vernichtung der Berichte.
Die Vernehmung des BKA-Beamten Lang wurde am 21.5. weiter fortgesetzt. Birgit ließ den Zeugen bestätigen, daß in der Phase direkt nach Bad Kleinen schon vertuscht wurde, Gegenstände "verschwanden" oder vernichtet wurden. So sind zwei Briefe, die Steinmetz bei sich hatte, verschwunden.
Birgit fragte weiter, ob Lang den Zwischenbericht der
Bundesregierung zu der Polizeiaktion in Bad Kleinen kenne, sie
zitierte daraus, daß "Hogefeld und die V-Person ..." die
Unterkunft "aufgaben" und es zu einem "Treffen mit Freunden" kommen
sollte. Daraus ergibt sich, daß in den Tagen vor Bad Kleinen
eine Abhörmaßnahme gelaufen sein muß. Diese ist
über den Personenschutzsender gelaufen, den Steinmetz
dabeihatte. Birgit fragte den BKA-Beamten, ob er die Protokolle
dieses Abhörsenders kenne. Er sagte, er habe keine Kenntnis
über diese Gesprächsaufzeichnungen.
Birgit sagte, daß der Sender, d.h. Steinmetz, sich in Bad
Kleinen in unmittelbarer Nähe zu Newrzella befand, so daß
aus den Aufzeichnungen etwas darüber zu erfahren wäre, wie
die Schußabfolge in Bad Kleinen war und wie der GSG-9-Beamte
Newrzella zu Tode kam.
Im Folgenden einige Streiflichter auf die Bemühungen der Eltern von Wolfgang Grams und ihrer Anwälte, nach der Einstellung des Todesermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Schwerin doch noch ein Gerichtsverfahren zur Klärung seiner Todesumstände zu erreichen. Nach der Ablehnung durch die StAW Schwerin und die übergeordnete Generalstaatsanwaltschaft von Mecklenburg-Vorpommern wandten sich die Anwälte mit einem Klageererzwingungsverfahren an das letztinstanzlich zuständige OLG Rostock. Nach der auch dort erfolgten Ablehnung - mit wiederum skandalöser Begründung - wandten sich die Anwälte an das Bundesverfassungsgericht. Bezeichnend für das Verhalten der deutschen Justiz ist auch der Umgang der Frankfurter OLG-Richter mit dem Komplex Bad Kleinen im Prozess gegen Birgit Hogefeld.
Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 12
Das OLG Rostock hat am 29 März 1996 den Antrag von Ruth und
Werner Grams, durch gerichtliche Entscheidung die Erhebung der
öffentlichen Klage gegen GSG 9 Beamte wegen Mordes an ihrem Sohn
Wolfgang Grams anzuordnen, als unbegründet verworfen.
Auf knapp 38 Seiten setzt sich das OLG mit der circa 1200 Seiten
umfassenden Antragsschrift auseinander und begründet seine
Entscheidung damit, "daß die Beschuldigten der ihnen
vorgeworfenen Straftat nicht hinreichend verdächtig sind und
infolge dessen ihre Verurteilung in der Hauptverhandlung nicht mit
der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist."
Die unanfechtbare Entscheidung des OLG Rostock wird der
erdrückenden Fülle der die GSG-9-Beamten belastenden
Indizien und Beweise in keiner Weise gerecht.
Es stellt eine völlig neue Theorie zum Tatgeschehen auf, wonach
"der Verletzte sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
wahrend des Sturzes auf die Gleise in suizidaler Absicht den
Todesschuß beigebracht hat, also unmittelbar bevor er in
bewegungsloser Haltung auf das Gleisbett fiel "
Das OLG Rostock benötigt diese, von keinem der
Sachverständigen für wahrscheinlich erachtete, Variante des
Tatgeschehens als Erklärung dafür, daß die Wolfgang
Grams verfolgenden GSG 9 Beamten sowie ein Teil der Zeugen keine
Angaben dazu machen konnten, wie das Loch in den Kopf von Wolfgang
Grams gelangt ist.
Die beeidete richterliche Aussage des BKA Beamten Nr. 12, der auf dem
Stellwerk des Bahnhofes als Beobachter eingesetzt worden war, findet
hierbei keinerlei Beachtung. Er hatte den Schußwechsel bis zum
Sturz von Wolfgang Grams auf die Gleise und das unmittelbare
Hinzuspringen der GSG 9 Beamten beobachtet.
Nach der Aussage des BKA Beamten Nr. 12, der nach Angeben der
Staatsanwaltschaft Schwerin "beste Sichtverhältnisse auf den
Tatort" hatte, befanden sich die GSG 9 Beamten unmittelbar hinter
Wolfgang Grams, so daß ihnen ein solches Geschehen, wie es
jetzt vom OLG angenommen wird, nicht verborgen geblieben sein
kann.
Diesen nicht unerheblichen Widerspruch erklärt das OLG damit,
daß: "...die Vielzahl der in diesem Augenblick sich
darstellenden Eindrücke (Niederstürzen der getroffenen
Beamten der GSG 9, Sturz des Verletzten und die sich dabei ergebenden
raschen körperlichen Bewegungen) eine genaue Beobachtung infolge
der Reizüberflutung unmöglich machten."
Das hier an einem Beispiel dargestellte offensichtliche Bemühen
des OLG Rostock, belastendes Aktenmaterial zu ignorieren, zieht sich
wie ein roter Faden durch die Begründung des ablehnenden
Beschlusses und kann mit einer Vielzahl weiterer Beispiele belegt
werden.
Mit hanebüchenen Erklärungen führt das OLG vor, wie
sich aus "Beobachtungslücken" einiger ziviler Zeugen und der als
Täter in Betracht kommenden GSG 9 Beamten schlüssig und
für den Senat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
ergibt, daß das von keinem Zeugen Beobachtete das wahre
Tatgeschehen darstellt.
Die Aussagen der den objektiven Befund des aufgesetzten Kopfschusses
bezeugenden Personen werden dagegen insgesamt als "nicht verwertbar'
qualifiziert.
Die Eltern von Wolfgang Grams fühlen sich durch die
Oberflächlichkeit und Ignoranz, mit der die minutiös
belegten belastenden Beweise und Indizien durch das OLG Rostock
abgehandelt werden, beleidigt und brüskiert. Sie beabsichtigen
nicht, die Dinge nach Abschluß des sog. ordentlichen
Rechtsweges auf sich beruhen zu lassen und haben ihre
unterzeichnenden Bevollmächtigten damit beauftragt, die
Voraussetzungen einer Verfassungsbeschwerde und einer Klage vor dem
Europäischen Gerichtshof zu prüfen.
(Rechtsanwälte Groß und Kieseritzky)
Mitschrift eines Sendebeitrags des TV-Magazins Monitor(ARD)
vom 18.04.1996 zur Entscheidung des OLG Rostock. Zwei britische
Gerichtsmediziner, Prof. Pounder und Prof. Knight, werden zur
Tathergangsversion des OLG Rostock befragt.
Aus: Info zum
Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 12
Monitor:
Prof. Derrick Pounder ist Direktor der forensischen Abteilung der
Königlichen Klinik in Dundees Schottland und Gutachter in
zahlreichen international bekannten Fälle. Prof. Bernard Knight
ist einer der international bekanntesten Gerichtsmediziner und
Direktor des Pathologischen Instituts der Universität Wales.
Monitor:
Was sagen Sie zu der Theorie der Richter, daß Wolfgang Grams
schon nach Erhalt der Bauch- und Beinschüsse eine sofortige
atonische Lähmung bekam und zusammensackte. Die Experten sind
sich einig:
Pounder:
Eine sofortige atonische Lähmung tritt ein, wenn das Gehirn
aufhört zu funktionieren und zwar total und sofort. Dies tritt
auf, wenn jemand sein Gehirn verletzt, nicht bei einer
Bauchverletzung. Wenn Wolfgang Grams nun in den Bauch geschossen
wurde, kann er davon keine atonische Lähmung bekommen haben.
Monitor:
Auch die weitere Schilderung der Richter, daß der atonisch
gelähmte Grams seine Hand zum Kopf führte und
abdrückte ist nach Ansicht beider Experten völlig
abwegig:
Knight:
Das ist nicht möglich. Denn die Lähmung macht es ihm
unmöglich, auch nur irgendeine bewußte Bewegung zu machen.
Er kann nicht seine Hand heben und den Abzug drücken, weil sein
Gehirn tot sein muß. Sofort. Es geht einfach nicht. Es ist
unmöglich.
Monitor:
Doch auch unabhängig von der Frage, ob er nun eine atonische
Lähmung hatte, ist es nach Ansicht beider Experten praktisch
ausgeschlossen, daß sich Grams mit einem aufgesetzten
Kopfschuß im Rückwärtsfallen selbst
erschießt.
Pounder:
Denken Sie an die Realitäten! Er hat einen Bauchschuß und
Beinschüsse und er muß große Schmerzen haben. Er
fällt rückwärts in einem unkontrollierten Sturz und
wir wissen, daß geschossen wurde, als sein Kopf sehr nahe oder
schon auf dem Gleis war. Genau in diesem Augenblick hätte er
Selbstmord begehen sollen. Um das hinzubekommen, bräuchte man
einen Übermenschen.
Knight:
Ich habe in vierzig Jahren alle Arten von Selbstmord gesehen, aber
noch nie, daß sich einer in der Luft selbst erschießen
konnte. während er fällt. Das ist höchst
unwahrscheinlich."
"Das Szenario (der Rostocker Richter) ist unmöglich, es kann
nicht passieren. Es ist einfach völlig unmöglich"
Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 12
Als Anwälte der Eltern des am 27.06.1993 in Bad Kleinen
getöteten Wolfgang Grams reichen wir heute beim
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Verfassungsbeschwerde
ein.
Nach dem das Oberlandesgericht in Rostock nach der Staatsanwaltschaft
Schwerin und der Generalstaatsanwaltschaft von Mecklenburg-Vorpommern
- letztinstanzlich die Erhebung der Anklage gegen die für den
Tod von Wolfgang Grams verantwortlichen GSG-9-Beamten abgelehnt hat,
wird nun vor dem Bundesverfassungsgericht die Verletzung der
Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Artikel 2
Absatz 2 Grundgesetz) und die Verletzung des Willkürverbotes
i.S.d. Artikel 3 Absätze 1 und 3 durch die Justiz
gerügt.
Das OLG Rostock hatte an der Selbstmordversion der Staatsanwaltschaft
festgehalten, aber eine völlig neue Version zum Tatverlauf
aufgestellt:
Wolfgang Grams soll sich demnach wahrend des rückwärtigen
Falls ins Gleis den tödlichen Schuß gesetzt haben. Diese
Theorie war auf großes Erstaunen bei international renommierten
Rechtsmedizinern gestoßen, die den Erklärungsversuch als
vollkommen abwegig bezeichneten.
Da die Justiz um jeden Preis die Aufklärung der
tatsächlichen Geschehnisse über die Vorfälle in Bad
Kleinen zu verhindern sucht, sehen sich die Eltern von Wolfgang Grams
genötigt, das Bundesverfassungsgericht anzurufen.
(Rechtsanwälte Andreas Groß und Thomas Kieseritzky)
Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 9
Anfang Dezember 1995 wurde wider Erwarten doch noch mit der
"Beweisaufnahme" zum Komplex Bad Kleinen begonnen
(...) Der Termins- und Ladungsplan, dem Angeklagte und Verteidigung
entnehmen können, daß "Bad Kleinen" vom Gericht auf die
Tagesordnung gesetzt ist, war ihnen wie schon häufig sehr
kurzfristig, nämlich mit nur einer Woche Vorlauf, zugegangen. D.
h., die Verteidigung hat oft nur knapp eine Woche Zeit, sich auf
einen Verhandlungstag vorzubereiten. Das sind genau 4 Werktage, um
sich mit Birgit abzusprechen, evtl. nachgelieferte Akten zu lesen,
nicht zur Verfügung stehende Akten bei Gericht einzusehen, sich
weitere Informationen zum Thema zu beschaffen, Anträge zu
formulieren...usw. Das ist, wie Birgit ausführte, bei dem so
komplexen Punkt Bad Kleinen viel zu kurzfristig, weswegen sie und
ihre Verteidigung Zurückstellung der Beweisaufnahme
beantragte.
Der Anklagepunkt "Mord und mehrfacher Mordversuch" in Bad Kleinen ist
in zweifacher Hinsicht politisch brisant. Nicht nur die Dreistigkeit
Birgit trotz der unbezweifelten Tatsache, daß sie zu dem
Zeitpunkt, als geschossen wurde, bereits Gefangene war und gefesselt
und geknebelt in der Unterführung lag, anzuklagen wegen des bei
der Schießerei umgekommenen GSG-9-Beamten Newrzella und wegen
der Möglichkeit, daß weitere GSG-9-Beamte hätten
getötet werden können (Mordversuch).
Die politische Brisanz liegt auch darin, daß die Anklage davon
ausgeht, daß Wolfgang Grams den GSG-9-Beamten erschossen habe,
was aus der Faktenlage keineswegs eindeutig hervorgeht. Hier soll die
allein von der Staatsräson geleitete, keineswegs bewiesene
offizielle Version der Ereignisse in Bad Kleinen festgeklopft werden,
nämlich daß Wolfgang Grams den GSG-9-Beamten und
anschließend sich selbst erschossen habe.
Birgits Anwalt Kieseritzky, der auch mit der Vertretung von
Wolfgangs Eltern befaßt ist, brachte einen weiteren Grund ein,
der der Verhandlung des Komplexes Bad Kleinen zum jetzigen Zeitpunkt
entgegensteht. Er war, zusammen mit Rechtsanwalt Groß,
während der Ausarbeitung des Antrages zur Klageerzwingung wegen
Mordes an Wolfgang Grams aus einer der Anwaltspraxis
gegenüberliegenden Wohnung akustisch und optisch überwacht
worden. Diese Ausspähung mittels Videokamera, Richtmikrofon,
Fotoapparat und Telefonanzapfung ist, jedenfalls nach derzeit noch
geltendem Recht, illegal und damit ein Verfahrenshindernis, weil
dadurch das Recht auf ein faires Verfahren verletzt ist.
Der vorsitzende Richter Schieferstein versuchte angesichts der
anwesenden Presse, RA Kieseritzky an der Verlesung seines Antrages zu
hindern, er wollte dessen nichtöffentliche Einführung im
"Selbstleseverfahren" durchsetzen. Das heißt wohl, daß
mit solchen Versuchen, die öffentliche Verlesung von
Anträgen der Verteidigung, die politisch brisante Punkte
behandeln - derer es ja gerade im Komplex Bad Kleinen viele gibt noch
öfter zu rechnen ist. Richter Klein unterbrach, als Kieseritzky
anstelle des gängigen "man" geschlechtsneutral "mensch"
benutzte. Das sei unseriös.
Ein weiterer Antrag zur Zurückstellung des Anklagepunktes Bad
Kleinen betraf die schon oft festgestellte Unvollständigkeit der
Akten. So existieren beispielsweise von dem Zeugen Tannert weitere
Vernehmungsprotokolle, die nicht in den Prozeßakten sind. Aus
der Akte der Staatsanwaltschaft Schwerin zu Bad Kleinen geht hervor,
daß nicht, wie behauptet, nur eine Sorte Munition durch die
GSG-9 eingesetzt wurde, sondern noch vier weitere Munitionstypen. Die
Beiziehung der Schweriner Bad-Kleinen-Akte war bereits im Dezember
1994 beantragt worden, bis heute liegt keine Entscheidung des
Gerichts dazu vor, was bezeichnend für dessen Ignoranz
gegenüber der Angeklagten und ihrer Verteidigung sei, stellte
Rechtsanwältin Seifert fest.
Bundesanwalt Hemberger beantragte die Zurückweisung aller
Anträge, die BAW habe keine weiteren Akten und zu der
Ausspähung der Anwälte Kieseritzky und Groß
könne er nur sagen, daß keine deutsche Staatsanwaltschaft
oder Bundesanwaltschaft illegale Maßnahmen tätige, was er
nochmals wiederholte, weil er befürchtete, es könnte wegen
des Lachens im Zuschauerinnenraum untergegangen sein.
Alle Anträge wurden durch das Gericht zurückgewiesen, es
gehe hier nur um den Anklagepunkt der "Mittötung" Newrzellas und
diesbezüglich sei das alles irrelevant.
Die in dem ganzen Komplex Bad Kleinen von Anfang an angelegte
Vertuschung und Verwirrung nimmt also vor diesem Gericht ihren
weiteren Verlauf.
Es ist, wie die Anwälte mehrmals deutlich machten, schon juristisch absurd, ein Geschehen von einigen Minuten in Sekunden zu zerstückeln, die Beobachtungen eines Augenzeugen von diesem nur in bruchstückhaften, zeitlich nicht zu ordnenden Schlaglichtern schildern zu lassen und zu würdigen und sowas auch noch als Beweisaufnahme zu verstehen. Erst recht, wenn, wie in diesem Fall, so viele Unklarheiten über die tatsächlichen Abläufe bestehen.
Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 12
Zu den Untersuchungen des Wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich unter Dr. Pfister ein Obergutachten durch Prof. Bonte anfertigen zu lassen, wurde vom Gericht abgelehnt. In der Ablehnung verstieg sich der erkennende Senat argumentativ ausgerechnet dahingehend, die Sachkenntnis des Prof. Bonte, der eine international anerkannte Kapazität auf dem fraglichen Gebiet ist, in Frage zu stellen. Die von Pfister ausgebreitete Sachkenntnis scheint dem Gericht vollkommen ausreichend. Der WD in Zürich wurde von der BAW mit den Untersuchungen zu Bad Kleinen wohl eher aufgrund der "guten Erfahrungen" betraut, die deutsche Behörden in der Vergangenheit schon hatten. So hat der WD beispielsweise 1977 die "Untersuchungen" zu den Todesursachen der RAF-Gefangenen in Stuttgart-Stammheim und Stadelheim gemacht und kam zu dem wunschgemäßen Ergebnis "Selbstmord". So auch zu den Todesumständen von Wolfgang Grams. Aber dies war nicht Thema in der Verhandlung gegen Birgit Hogefeld.
Presseerklärung, entnommen aus: Angehörigen-Info Nr. 182
Aufgrund eines Hinweises erhielt das betroffene Rechtsanwaltsbüro bereits am 6. November 1995 Kenntnis davon, daß in einem dem Anwaltsbüro gegenübergelegenen Anwesen ein voll automatisierter Horch- und Observationsposten bestehend aus Richtmikrophonen, Videokamera, Fotoapparat etc. durch Ermittlungsbehörden installiert worden war. Zum damaligen Zeitpunkt existierte der Lauschposten bereits seit mindestens 15 Monaten. Dies stützt sich auf Angaben des Pächters, der bei seinem Einzug im Sommer 1994 den Posten bereits vorfand.
Die Tatsache, daß der Horch- und Observationsposten sofort abgeräumt wurde, nachdem telefonisch die Presse (der Hessische Rundfunk) über den Vorgang informiert worden war, weist darauf hin, daß zusätzlich eine direkte Telefonüberwachung stattfand.
Recherchen in den darauffolgenden Monaten ergaben, daß das Kennzeichen des Fahrzeugs, mit dem die in Zivil gekleideten Herren die Abhör- und Observationseinrichtung überstürzt abtransportierten, bei der zuständigen Zulassungsstelle für das BKA reserviert ist, daß jedoch für den Tag des Abtransportes für das Kennzeichen kein Ausgabevermerk eingetragen war.
Bei weiteren Nachforschungen in der Sache wurde den Unterzeichnenden zugetragen, daß auf Antrag der Bundesanwaltschaft der Ermittlungsrichter des BGH zunächst einen Beschluß nach 100a StPO (Überwachung des Fernmeldeverkehrs) erlassen hatte, dem dann ein Beschluß nach 100c StPO (Einsatz technischer Mittel) nachgeschoben wurde.
Der hier praktizierte Lauschangriff wäre durch diese richterlichen Beschlüsse allerdings keinesfalls rechtlich abgedeckt. Vielmehr ist aufgrund der festgestellten Umstände davon auszugehen, daß es sich vorliegend um eine rechtlich unzulässige Maßnahme der Ermittlungsbehörden handelt.
Da die strafprozessual vorgeschriebene Benachrichtigung der Betroffenen ( 101 StPO) von einer solchen Maßnahme bisher nicht erfolgt ist, muß davon ausgegangen werden, daß der Lauschangriff in modifizierter Weise bis heute fortgesetzt wird.
Es steht zu vermuten, daß der Hintergrund dieses Vorgehens in einem engen Zusammenhang damit steht, daß das betroffene Anwaltsbüro die Eltern von Wolfgang Grams als Nebenkläger in dem Ermittlungsverfahren gegen unbekannte GSG-9-Beamte wegen des Verdachtes des Mordes an Wolfgang Grams vertritt. Mit Hilfe des Lauschangriffs konnten sich die an dem Einsatz in Bad Kleinen unmittelbar verantwortlich beteiligten Dienststellen (BKA und BAW) laufend über den aktuellen Erkenntnisstand der Nebenkläger und deren Aktivitäten bezüglich der Aufklärung des tatsächlichen Geschehens informieren. Die in den Ermittlungsakten zu Bad Kleinen dokumentierte Spuren- und Beweismittelvernichtung durch Experten des BKA konnte somit auf bisher nicht geahnte Weise auch auf Ermittlungsansätze der Nebenklageberechtigten ausgedehnt werden.
Vor wenigen Tagen wurde das Sekretariat des betroffenen Anwaltsbüros durch BKA und Bundesanwaltschaft aufgrund eines Ermittlungsverfahrens gegen eine Mitarbeiterin durchsucht. Eine Verbindung zwischen dem Ermittlungsverfahren und dem Lauschangriff wurde bisher von seiten der Behörden nicht hergestellt. Sollte dies geschehen, ist schon heute festzustellen, daß ein solches Verfahren keine Rechtfertigung für die Durchführung des großangelegten Lauschangriffs auf ein Anwaltsbüro darstellt. Im Rahmen der Berufsausübung eines Rechtsanwaltes kommt der Vertraulichkeit des Wortes eine außerordentliche Bedeutung zu. Die Gespräche mit den Mandanten, insbesondere zwischen Strafverteidiger und Mandant, genießen einen besonderen, grundgesetzlich verankerten Vertrauensschutz. Der begründete Verdacht, daß gerade das Abhören solcher Gespräche Gegenstand des Lauschangriffs war, macht das Ausmaß der Grundrechtsverletzung besonders deutlich.
Es ist bezeichnend, daß, während der "Große Lauschangriff" im Bundestag noch diskutiert wird, die Ermittlungsbehörden ungeachtet der gesetzlichen Grundlagen bereits das praktizieren, was erst den Gegenstand der Beratung der gesetzgebenden Organe bildet.
Der eklatante Rechtsbruch durch die beteiligten "Sicherheitsorgane" ist offenkundig.
Wiesbaden, 29.5.1996
Andreas Groß für RAe Groß und Kutsch
Am Dienstag, den 14. Mai 1996 von ca. 6.30 -15.00 Uhr wurde in Wiesbaden eine Wohngemeinschaft und das Sekretariat einer Anwaltskanzlei auf Anordnung des Ermittlungsrichters beim BGH durchsucht. Bei der Durchsuchung waren Vertreter der BAW, unzählige Beamte des BKA Meckenheim, LKA-Beamte und div. Grüne anwesend. Grundlage für den Durchsuchungsbefehl ist ein Ermittlungsverfahren von Anfang 1994 wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" gegen eine der Bewohnerinnen. Auch die Durchsuchung des Sekretariats in der Anwaltskanzlei basierte auf diesem Verfahren, konkret ging es darum, daß sie dort arbeitet.
Die Begründung für die angebliche Mitgliedschaft war mehr als dünn: die betreffende Person wird verdächtigt aufgrund von Unterlagen, die bei Birgit Hogefeld in Bad Kleinen gefunden wurden, Kontakt zu ihr gehabt zu haben. Sie sei eine dieser in der Legalität lebenden sog. "Nahtstellenpersonen" und habe sich in dieser Funktion für die RAF mitgliedschaftlich betätigt (was auch immer das heißen soll).
Durchsucht wurde das gesamte Haus, d. h. auch alle Räume der anderen Mitglieder der Wohngemeinschaft, wobei z. T. auch persönliche Gegenstände wie z. B. Briefe und Postkarten etc. bei den anderen Mitbewohnern beschlagnahmt wurden. Insgesamt wurden diverse aktuelle Flugblätter, Broschüren, Briefe von Gefangenen, sämtliche Infomaterialien zu dem Spitzel Steinmetz, Infos zu aktuellen Verfahren, diverse Video-Kassetten und Computer-Disketten, Adressen und Telefonnummern etc. beschlagnahmt. Dann sind sie mit verschiedenen Textilfasern die vorhandenen Kleidungsstücke durchgegangen und haben Sachen nach Farbkriterien beschlagnahmt.
Während der Durchsuchung war das Gebäude von Polizeibeamten umstellt und der Zugang mit rot-weißem Band gesichert. Beteiligt an der Durchsuchung des Hauses waren ca. 50 Beamte und Beamtinnen der verschiedenen Verfolgungsorgane. Zum Abschluß wurde die Frau, gegen die das Verfahren läuft, noch mit ins Polizeipräsidium genommen, wo ein erfolgloser Verhörversuch stattfand und nach einigem Hin und Her auf eine erneute ED-Behandlung dann doch verzichtet wurde (die letzte hatte 1994 stattgefunden). Sämtliche Bewohner der WG waren auch im Februar diesen Jahres als Zeugen im Verfahren gegen Unbekannt wegen Mitgliedschaft in der RAF und Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion (konkret ging es um Weiterstadt) vom BKA vorgeladen worden.
Der Lokomotivführer des auf Gleis 5 wartenden Zuges, Tannert zu seinen Beobachtungen im Bahnhof von Bad Kleinen im Frankfurter Prozess gegen Birgit Hogefeld
Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 9
Der Zeuge Tannert schilderte, daß er sich zu Beginn der
Schießerei, die er erst für "Remmidemmi" hielt, mit einer
Kollegin auf dem Bahnsteig 3 / 4 vom Lokfenster aus unterhielt Als
die Kollegin von einem Streifschuß am Arm verletzt wurde,
gingen sie hinter der Lok in Deckung. Schüsse und Rufe hatte er
gehört, bevor er Personen aus der Unterführung die Treppe
hochkommen sah. Nur bei einer Person hat er einen "Ja, soll ich nun
sagen, Pistole oder pistolenähnlichen Gegenstand" gesehen.
Daß diese Person einen Rucksack trug, wurde von ihm nach
Vorhalt bestätigt. Dieser Rucksack nahm als
Identifizierungsmerkmal von Wolfgang Grams in der Befragung durch die
Richterbank einen breiten Raum ein.
Bei den Verfolgern hat er keine Waffen gesehen, was sich die BAW
durch nochmaliges Nachfragen bestätigen lies. Völlig
unklar, was sie mit der absurden Vorstellung, ihre Elite-Truppe der
"Terrorismusbekämpfung" GSG-9 ginge ohne Waffen zum Einsatz,
anfangen können - in die Berichterstattung der Presse floß
dieses Bild allerdings ein.
Nachdem die Schießerei beendet war, hatte der Lokführer
nochmals aus dem Fenster geschaut. Er schilderte, daß viele
Leute herumstanden, zwei Personen lagen auf dem Bahnsteig bzw. im
Gleis. Zuerst hatte er nur von einer liegenden Person (Newrzella)
gesprochen, die BAW fragte aber nach der im Gleis liegenden Person,
also Wolfgang Grams, ob bei ihr jemand etwas aufgehoben habe. Hier
unterbrach Richter Klein, weil diese zweite Person nicht Newrzella
sei und nur um den ginge es ,hier. Die BAW begründete, daß
es um die Waffe von Wolfgang Grams ginge, die Frage wurde zugelassen
und von dem Zeugen prompt mit "Ja, Pistole, silbergrau" beantwortet.
Ob denn da noch mehr Leute waren bei der Person im Gleis und was die
getan hätten, fragte die BAW weiter. Das wußte der Zeuge
nicht mehr und die BAW hielt ihm aus seiner damaligen Aussage vor,
nach der eine Person mit beiden Händen eine Waffe auf den
Oberkörper des Liegenden gerichtet hielt. Hier unterbrach das
Gericht erneut, diesmal Kern. Es ginge immer noch um die Waffe, sagte
BAW Hemberger. In dem folgenden Hin und Her zeichnete sich ab,
daß diese Frage, da sie zu nah an der Frage ist, wer Wolfgang
Grams erschossen hat, vom Gericht nicht zugelassen wird. Der
vorsitzende Richter machte nochmals klar, daß es hier nicht um
die Aufklärung des Todes von Wolfgang Grams ginge, sondern um
die der Angeklagten angelasteten Anklagepunkte. Dann wurde die
Mittagspause eingelegt - nachmittags war die Presse nur noch in der
üblich dünnen Besetzung vertreten.
Nachdem die letzte Frage der BAW endgültig abgelehnt war, war
die Verteidigung mit der Zeugenbefragung dran. Hier kam die vom
Gericht eingeleitete Marschrichtung voll zum Tragen, kaum eine Frage
der Verteidigung wurde zugelassen. Nicht nur weitere Fragen, z. Bsp.
nach dem Rucksack, wurden abgeblockt, sondern auch solche, deren
Beantwortung möglicherweise die fragwürdige Version,
Wolfgang Grams habe Newrzella erschossen, noch durchsichtiger machen
könnten. Auch wurde damit die zeitliche Einordnung der
jeweiligen Beobachtungen des Zeugen verhindert. Chronologisch weiter
Der Zeuge wurde befragt, ob er sich erinnern könne, ob er
folgendes bei seiner ersten, zweiten oder dritten Vernehmung gesagt
habe: "Ich sah einen Mann im Gleiskörper liegen, in etwa 1 m
Abstand war ein anderer Mann, dieser zielte mit einer Waffe auf den
Oberkörper des im Gleis liegenden." Das Gericht lehnte auch
diese Frage ab, obwohl der Anwalt deutlich machte, daß es um
die Erinnerungsfähigkeit des Zeugen geht und daß es absurd
ist, die beobachteten Vorgänge in Sekunden zu zerstückeln
.
Fragen wie die, ob der Zeuge bei den Vernehmungen belehrt wurde, ob
der Zeuge Erfahrungen mit Schußwaffen (Wehrdienst,
Schützenverein) habe, gingen unbeanstandet durch.
Dann fragte die Verteidigung, ob denn die erste Person schon eine
Waffe in der Hand hielt, als sie die Treppe hochkam. Nein, erst
später sagte der Zeuge, nämlich als er schon oben war.
Gleichzeitig wurden bereits Schüsse aus Richtung Treppenaufgang
abgegeben. In der weiteren Befragung tauchten auch noch weitere von
dem Zeugen wahrgenommene Waffen auf, auch "längere Waffen" bei
vermummten GSG-Beamten, die "von allen Seiten" kamen, auch in
(seinem) Zug waren. Hubschrauber hat er auch wahrgenommen, und zwar
grüne, aus Richtung Schwerin kommend das Gericht unterbrach die
Befragung, das täte nichts zur Sache. Der Anwalt
begründete, daß die Schußverletzung bei Newrzella
schräg von oben nach unten verlief und assoziiert Pressebilder
von GSG-9-Männern, die auf Hubschrauberkufen stehend
Schießübungen abhalten Weitere Fragen zu den Hubschraubern
wurden nicht zugelassen.
Dann ging wieder eine Frage durch, es wurde nochmals deutlich,
daß der Zeuge Schußgeräusche wahrgenommen hat, bevor
Leute aus dem Tunnel auf den Bahnsteig 3 /4 kamen. Der Anwalt kam
nochmal auf den Rucksack, dem ja auch das Gericht schon ein
großes Gewicht beigemessen hatte, wer diesen unter den Kopf des
im Gleis Liegenden gelegt habe. Ob es zivil Gekleidete oder
Sanitäter waren, wußte der Zeuge nicht mehr. Zu welchem
Zeitpunkt, ob da noch der Mann mit der auf den Liegenden gerichteten
Waffe stand - das Gericht beanstandete die Frage, sie wurde nicht
zugelassen. Die Verletzungen des im Gleis Liegenden hat der Zeuge
nicht gesehen, die Liegeposition - das Gericht unterbricht, Frage
abgelehnt. Ob er sich erinnern könne, wie die Person lag - auch
diese Frage wird abgelehnt. Ob die liegende Person etwas in den
Händen hatte zum Zeitpunkt, als der Rucksack unter dessen Kopf
lag - Nein. In welcher Stellung lag die Person zu diesem Zeitpunkt -
Frage vom Gericht abgelehnt. Von wo aus wurde der Rucksack unter den
Kopf geschoben - Frage abgelehnt....
Es ist, wie die Anwälte mehrmals deutlich machten, schon
juristisch absurd, ein Geschehen von einigen Minuten in Sekunden zu
zerstückeln, die Beobachtungen eines Augenzeugen von diesem nur
in bruchstückhaften, zeitlich nicht zu ordnenden Schlaglichtern
schildern zu lassen und zu würdigen und sowas auch noch als
Beweisaufnahme zu verstehen. Erst recht, wenn, wie in diesem Fall, so
viele Unklarheiten über die tatsächlichen Abläufe
bestehen.
Nach diesem ersten Verhandlungstag wird deutlich, daß es nicht
nur nicht um die Aufklärung der Todesumstände von Wolfgang
Grams geht, wie der vorsitzende Richter mehrmals betonte, sondern
auch, daß es im Grunde gar nicht um die Aufklärung der
tatsächlichen Abläufe am 27.6.93 im Bahnhof von Bad Kleinen
geht. Es soll auch keine Beweisaufnahme zu den Todesumständen
des GSG-9-Beamten zugelassen werden. Auch dies war, wie die
Vertuschung und Beweismittelvernichtung bezüglich des Mordes an
Wolfgang Grams, die Praxis der gegen sich selbst ermittelnden
Behörden von Anfang an, in die sich dieses Gericht, was nicht
anders zu erwarten war, nahtlos einfügt. Der Leichnam des
GSG-9-Beamten wurde erstaunlich schnell beerdigt, die ihm entnommenen
Projektile waren nach der Obduktion "verschwunden", um einige Tage
später wieder aufzutauchen, die Schußverletzungen werden,
obwohl sie aus verschiedenen Winkeln und Höhen auftraten, alle
Wolfgang Grams zugeordnet, Begründungsnotstände
notdürftig mit unbewiesenen und teils absurden Hypothesen
überbrückt, die dadurch, daß sie von einem
Sachverständigen mit Doktortitel vorgetragen werden, nicht
weniger absurd werden.
Aus: Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld Nr. 9
Am 12.12. war Dr. med. Wegner, Leiter eines rechtsmedizinischen Instituts in Schwerin, als Zeuge und Sachverständiger vor dem OLG Frankfurt im Prozess gegen Birgit Hogefeld geladen. Er hatte die Obduktion von Newrzella durchgeführt und trug sein Ergebnis vor.
In aller Kürze: 4 Schußverletzungen, davon eine im
Oberkörper, von oben nach unten abfallend, die anderen im
Beinbereich, horizontal verlaufend. Er hat dem Körper zwei
Projektile entnommen, das aus dem Oberkörper war zweifelsfrei
die Todesursache. Die Projektile hat er einer BKA-Beamtin
übergeben, den Namen weiß er nicht mehr. Zum Ablauf: Er
hatte in den Nachrichten von den Vorfällen in Bad Kleinen
gehört und damit gerechnet, wie üblich sofort hinzugezogen
zu werden. Üblich wäre auch, daß er bzw. der
diensttuende Rechtsmediziner zusammen mit der Mordkommission eine
Leichenschau am Ort des Geschehens durchführe, in diesem Fall
wurde er jedoch erst am nächsten Tag einbezogen. Vor der
Obduktion fand eine Besprechung mit dem BKA statt, "wie es jetzt
weitergeht", was er als sehr angenehm empfand, da er "die
Verantwortung nicht alleine tragern" wollte. Die BKA'ler machten die
Befunddokumentation, sie hatten dazu ihre eigenen Köfferchen
mitgebracht. Erkennungsdienstliche und kriminaltechnische
Untersuchungen liefen z. T. während, z. T. nach der Obduktion.
Die Projektile waren nicht fotografiert worden und, wie schon gesagt,
waren sie anschließend "verschwunden".
Rechtsanwältin Seifert fragte, wie genau er sich die Projektile
angeschaut habe und ob er sie noch beschreiben könne. Er
beschrieb sie als stark verformt, inhomogen, aufgepelzt usw. Zu
Metallsplittern, die er dem Körper Newrzellas entnommen hatte,
sagte er, er könne nicht sagen, ob diese aus dem Kern oder der
Ummantelung des Geschosses stammen; ob sie asserviert wurden, daran
konnte er sich nicht erinnern.
Die Bekleidung des Newrzella lag ihm nicht vor. Diese hätte, wie
er auf Befragung angab, die Bestimmung der Schußrichtung
erleichtert und die Bestimmung der Schußentfernung
ermöglicht.
Der Gutachter war darauf vorbereitet, zu ihm bekannten Widersprüchen und Lücken Hypothesen vorzutragen. So führte er die Hypothese von dem weit vorgebeugt rennenden Newrzella von sich aus ein, als eine mögliche Erklärung für den von oben nach unten verlaufenden Schußkanal. Zur Uberbrückung der Dokumentationslücke bezüglich der Projektile hatte er ein Fachbuch mitgebracht.
In dem Beitrag "Die Kinkel-Initoative, Bad Kleinen und die Niederlage von revolutionärem Widerstand, RAF und poltischen Gefangenen" des Buches "Bad Kleinen und die Ermordung von wolfgang Grams" wurde irrtümlich behauptet, daß außer Norbert Hofmeier alle Gefangenen aus dem antiimperialistischen Widerstand nach 2/3 ihrer Haftzeit vorzeitig entlassen wurden. Richtig ist, daß auch Michael Dietiker und Bernhard Rosenkötter ihre volle Strafe absitzen mussten. Ali Jansen, der im gleichen Zusammenhang im Knast saß, wurde trotz lebensgefährlicher Asthma-Anfälle erst wenige Wochen vor Ablauf seiner regulären Haftzeit entlassen. Sie waren aufgrund eines ihnen zur Last gelegten Bombenanschlags auf eine Renault-Niederlassung im Zusammenhang mit dem Hungerstreik der politischen Gefangenen von Action Directe in Frankreich zu 6 bzw. 7 Jahren Haft verurteilt worden.