Linker Umgang mit gemachten Aussagen
anna & arthur
In diesem Abschnitt möchten wir uns mit Aussagen, die vor dem Prozess gemacht wurden, auseinandersetzen. Die Problematik bei Aussagen während eines Prozesses möchten wir an dieser Stelle ausklammern.
Zwar bleibt es für uns eine Notwendigkeit dass- unabhängig von Vorwurf und Konsequenzen- bis zum Prozess keine Aussagen gemacht werden, jedoch zeigt sich in der politischen Praxis immer wieder, dass dieser Anspruch nicht eingehalten wird. Es ist für uns als Radikale Linke also zwingend notwendig sich mit dieser Realität auseinander zu setzen. Wir wollen keine vorschnell als VerräterIn brandmarken und ausschließen, doch selbstverständlich ist auch, dass nicht jede Aussage toleriert werden kann. Als Maßstab worüber wir diskutieren und wann die Substanz für jegliche Auseinandersetzung fehlt beziehen wir uns auf die Position der „Anna-und-Arthur-haltens-Maul-Broschüre“. Sie formulierten ihren Anspruch wie folgt: „Verrat- verraten. Es gibt viele Formen von Verrat. Verraten kannst du dich, verraten kannst du eine Sache, verraten kannst du eine politische Entwicklung, verraten kannst du einen anderen Menschen. Oder alles zusammen. Über Verrat an anderen Menschen wollen wir nicht diskutieren, weil wir hier die Grenze setzen, die wir nicht mehr überwinden wollen und können.“
Selbstverständlich ist auch diese, auf den ersten Blick, so eindeutige Position, längst nicht so klar wie es scheint. Denn ab welchem Grad der Preisgabe von persönlichen Information über eine GenossIn fühlt sich eine verraten? Oder ist es nur Verrat, wenn daraus ernste strafrechtliche Konsequenzen folgen? Trotz dieser Unklarheiten ziehen auch wir hier die Grenze, bei Verrat von anderen Menschen sehen wir keine Basis für eine Auseinandersetzung mit der Person.
Prinzipiell festzuhalten ist, das erst mal jede Aussage eine Form von Verrat ist- auch die unscheinbarste. Deshalb haben wir generell den Anspruch an uns alle, einer Verhörsituation gewachsen zu sein, uns nicht von den Bullen einschüchtern oder erpressen zu lassen. Wenn es sich herausstellt, dass eine der Situation nicht gewachsen war und es zu Aussagen gekommen ist, ist vor allem ihr persönlicher Umgang damit entscheidend, wie und ob sich mit dieser Person auseinandergesetzt werden kann. Wenn sie sich nur rechtfertigt und verteidigt, ist es schwierig oder unmöglich eine Basis zu finden. Wenn sie aber zu den Aussagen steht, sich ihre Fehler bewusst macht und sie versucht zu verarbeiten, kann es gelingen über die Fehler hinauszuwachsen und sie in Stärke umzuwandeln und das ist unser Anspruch. Wesentliches Moment in der Auseinandersetzung mit Aussagen ist die schonungslose Offenlegung der Aussagen. D.h., die Veröffentlichung von Gedächtnisprotokollen der gemachten Aussagen und die Konfrontation mit eventuell Betroffenen. Denn nur durch die Veröffentlichung- auch wenn es nicht leicht fällt- kann Misstrauen und Verunsicherung abgebaut werden, nur so lässt sich vermeiden, dass die Bullen versuchen euch auszuspielen und zu korrumpieren. Damit wird auch wieder eine Vertrauensbasis geschaffen, auf der solidarische Zusammenarbeit möglich ist, da für alle transparent ist, was die Bullen wirklich durch die Aussagen ermittelt haben. Schlussendlich ist es auch so möglich die gemachten Erfahrungen zu vermitteln, so dass andere daraus lernen können.
Auch diese Positionen sind nicht neu, sondern werden schon so oder so ähnlich in schon genannter Broschüre vertreten. Doch gerade in den letzten Jahren der Berliner Szene, scheinen diese Standards nicht mehr praktiziert zu werden. Zwar hört mensch immer wieder hinter vorgehaltener Hand von Aussagen aus den verschiedensten Spektren und Altersklassen, doch der offenen Umgang damit fehlt, die einzelnen Fälle werden individualisiert, es kommt zu keiner offenen politischen Auseinandersetzung. Wir zweifeln an, dass durch einen solchen Umgang sinnvoll Repression aufgefangen werden kann. Denn die Forderung keine Aussagen zu machen richtet sich nicht nur an die von einem Verhör Betroffenen, sondern an unsere gesamten Strukturen und Zusammenhänge. Es gilt also einen solidarischen Umgang, eine politische Identität zu entwickeln, die dazu führt, dass keine Aussagen gemacht werden. Die Vorraussetzungen die zu einer Aussagebereitschaft führen, beginnen schließlich lange vor dem Verhörzimmer und hier sind vor allem die jeweiligen Zusammenhänge gefordert Repression und die Reflexion der selben umzusetzen. In diesem Zusammenhang zitieren wir die „Kämpfenden Waldfeen“, die sich in einem ausführlichen Papier damit auseinandergesetzt haben.
„Einen der wichtigsten Fehler sehen wir in den Strukturen der Funktionalisierung. Leute werden nicht umfassend als Persönlichkeiten wahrgenommen, sondern nach ihrer Verwertbarkeit im Widerstand fixiert. Vorwiegend handelt es sich dabei um technische Vorzüge, die den Wert der Einzelnen bestimmen. Eine FigtherIn wird selten nach ihren Utopien gefragt, eine RednerIn selten nach ihrem Umgang mit Beziehungen. Wir nennen das Machtstrukturen. (...) Dann heißt das, Einbindung der GenossInnen als ganze Person, nicht nur die taktische Verwertung ihrer einzelnen Fähigkeiten, das bedeutet: Strukturen schaffen, in denen Widerstand und Alltag nicht getrennt sind, in denen wir mehr von einander wissen als bei der nächsten Demo/Aktion unbedingt notwendig ist. Denn Radikalität heißt auch, mit den überkommen bürgerlichen Verhaltensweisen zu brechen, unsere Umgehensweise zu hinterfragen, die eigen Mauern einzureißen. Heißt mehr Offenheit und Verbindlichkeit unter uns. Dann heißt das nicht nur der nächsten staatlichen Repressionswelle etwas anderes entgegenzusetzen als jetzt, sondern vor allem eine politische Kultur zu schaffen.“
Gerade wenn wir glauben uns auf eine Zeit der verschärften Repression einstellen zu müssen, ist es wichtig, dass unsere Strukturen nicht schwammig, unverbindlich und unpersönlich sind. Denn wie uns die Geschichte der Radikalen Linken zeigt, ist jede Repressionswelle eine Nagelprobe für die Linke und die Geschichte zeigt uns auch, dass die Bullen den größten Erkenntnisgewinn nicht über perfekt getarnte Spitzel, Richtmikrophone und Wanzen, sondern aus unseren eigenen Strukturen gezogen haben. Was in repressiven Zeiten die radikale Linke am meisten gefährdete waren auch nicht „die jungen, unerfahrenen Leute“, sondern war ein militantes Gehabe, das Verschwiegenheit vortäuscht, um damit zu kokettieren, eine Lebenshaltung der Andeutung, die sich in die Nähe von Ereignissen setzt, die sie nicht haben, das die Notwendigkeit konspirativen Verhaltens dazu missbraucht, damit es ja alle mitkriegen, das militante Entschlossenheit und Klarheit simuliert, um Bilder eigener Härte und Entschlossenheit in den Umlauf zu bringen. Ein Verhalten, bei dem der Eindruck entsteht eine wirklich konspirative Aktion wird von vielen nicht angestrebt, schließlich will Mann ja auch die Lorbeeren seines Wagemutes ernten.
Es herrscht eine Stimmung in der der Eindruck entsteht die Bullen könnten jede nur erdenkliche Aussage erreichen, wenn sie den zumeist männlichen Kandidaten die Grundlage für ihre Mackeridentität entziehen würde. Denn, wenn es den Agierenden nur um Anerkennung und die Schaffung eines militanten Selbstbildes geht, eine politische Identität aber weites gehend fehlt, besteht keine Grundlage die in der Konfrontation mit den Herrschenden widersteht und gegebenenfalls mehrere Jahre Knast verkraften könnte. D.h. der wirksamste Zugriff auf unsere Strukturen funktioniert über die Macht des Staates uns durch unsere vielen kleinen Lebenslügen und persönlichen Hintertürchen erpressbar zu machen, eine Konfrontation, der wir wie so oft aus dem Weg gehen und der wir dann nicht mehr gewachsen sind.
Der beste Schutz unserer Zusammenhänge ist also keine Abendschulung in Spurensicherung und Observationstechniken- so wichtig sie im einzelnen auch sind- sondern die Entwicklung von Lebenszusammenhängen, in denen Politik und Alltag, gegenseitiges Vertrauen und Kompetenz, Lust und Ausdauer, Geborgenheit und Risiko zusammenkommen, anstatt auseinander zu fallen.
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