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An das
Landgericht
Lübeck

2a KLs (29/96)
08.01.1997

In der Strafsache
g e g e n
Safwan E i d

gibt die Verteidigung zur Vernehmung des Zeugen Khalil El Omari und zum Augenschein einer Briefkastenklappe -angeblich Spur 12- am 06.01.1997 folgende Erklärung gemäß § 257 StPO ab:

1. Den Bekundungen des Zeugen Khalil El-Omari ist es zu danken, daß die Theorie der Staatsanwaltschaft, der Brand am 18.01.1996 habe nur von innen, d.h. aus dem Haus heraus verursacht werden können, einmal mehr widerlegt worden ist.
Der Zeuge Khalil El Omari hat in der Hauptverhandlung am 06.01.1996 ausgesagt, daß es rechts neben der Hauseingangstür im hölzernen Vorbau einen Briefkasten gab. Von außen habe der eine Öffnung aus Eisen bzw. Metall für den Postboten gehabt und von innen aus einem Holzkasten bestanden, den man habe aufmachen können. Die Tür des Briefkastens sei aus Holz und am Abend des 17.Januar 1996 kaputt, sogar offen gewesen. Auf Nachfrage der Verteidigung bestätigte der Zeuge: ”Es fehlte nur so ein bißchen, dann wäre der Briefkasten auf den Boden gefallen. Er war offen, ganz offen. Ja, die Tür war auf.”

Am 06.01.1997 wurde der als Spur 12 geführte Gegenstand in Augenschein genomen. Dieses Asservat wird im Spurensicherungsbericht als Briefkastenklappe beschrieben. Dieser Gegenstand ist etwa 30 cm breit und paßt ohne weiteres zu der vom Zeugen beschriebenen Klappe, die sich an der Außenfront des Holzvorbaus befand. Das heißt, es gab unahängig von Fenstern und Türen direkt neben der Hauseingangstür eine Öffnung, die es ohne weiteres ermöglichte, Materialien von außen nach innen zu befördern, ohne daß auch nur eine Person den Holzvorbau oder das Haus betreten haben mußte.

Die Bekundungen des Zeugen El Omari zum hauseigenen Briefkasten und das in Augenschein genommene Asservat geben Anlaß zu folgender Bemerkung:
Staatsanwaltschaft und Polizei, insbesondere die Spurensicherung und die SoKo haben es unterlassen, auch nur zu prüfen, ob eine Brandstiftung auf diesem Wege, das heißt mittels Benutzung des Briefkastens als eine für jedermann ersichtliche und zur Verfügung stehende Öffnung von außen nach innen, möglich oder wahrscheinlich war oder sogar stattgefunden hat. Dabei hätte sich angesichts der Brandspuren im Vorbau eine solche Untersuchung aufgedrängt. Denn: in unmittelbarer Umgebung des Briefkastens war der Eingangsbereich mit der Eingangstür vollständig weggebrannt. Unmittelbar hinter der Türschwelle befinden sich im Fußboden tiefe Durchbrennungen zur darunter gelegenen Holzständerkonstruktion.

Die Spur 12 ist gesichert worden und -wie es im Spurensicherungsbericht heißt- bei der SoKo verblieben. Der Sachverständige Dr. Herdejürgen vom LKA Kiel hat in der Hauptverhandlung am 06.01.1997 erklärt, ihm habe kein Untersuchungsauftrag für eine Briefkastenklappe vorgelegen, er habe eine solche auch nicht untersucht. Ein Untersuchungsbericht über eine Briefkastenklappe findet sich in den Akten nicht.

Der im Spurensicherungsbericht erwähnte zusammengeschmolzene Rest von Leichtmetall, den die Spurensicherung der Spur 12 zugeordnet hat, ist von der Spurensicherung nicht einmal sichergestellt, geschweige denn kriminaltechnisch untersucht worden.

Für eine solch schwerwiegende Unterlassung gibt es nur die Erklärung, die sich auch bei anderen Ermittlungsvorgängen -oder besser: fehlenden Ermittlungen- in diesem Verfahren immer wieder aufdrängt: nachdem der Zeuge Leonhardt am 19.01.1996 seine erste Aussage gemacht hatte, war der Fall gelöst. Ermittlungen, die hätten ergeben können, daß der Zeuge Leonhardt lügt, sich geirrt oder verhört hat, hat man besser unterlassen.

2. Ermittlungen dahingehend, ob der Brand im hölzernen Vorbau enstanden sein könnte, sind faktisch nicht durchgeführt worden:
Das kleine Fenster im Vorbau, das nach dem Untersuchungsbericht des LKA Kiel vom 27.08.1996 (Bd. XIII, 209) mit Überwindung eines Hubs von 4 mm geöffnet werden konnte, und durch das ein Eindringen in der Brandnacht problemlos möglich gewesen wäre, gab es nach den Zeichnungen des KHM Bergeest vom 09.02.1996 überhaupt nicht, geschweige denn eine Untersuchung des Fensters. Eine Korrektur der Polizeiskizze erfolgte erst, nachdem der Sachverständige Prof. Achilles bei der Begutachtung des Hauses am 02.04.1996 dieses Fenster mit einem Fingerdruck öffnete.

Obwohl die Sicherung der Lage eines Leichnams eine Selbstverständlichkeit für jeden Kriminalbeamten ist, erfolgte die Dokumentation bei der Leiche des Sylvio Amoussou, der wahrscheinlich im Vorbau -aber wahrscheinlich nicht durch den Brand- zu Tode kam, nicht. Dabei mußte den Ermittlungsbeamten klar sein, daß aus der Lage der Leiche wertvolle Hinweise auf seinen in der Nacht genommenen Weg gewonnen und sich Konsequenzen für die Spurensuche hätten ergeben können.

Ebensowenig wurde Spur 10 -nach dem Spurensicherungsbericht große Reste einer zusammengeschmolzenen Drahtglasfüllung der Hauseingangstür- untersucht. Wo sich die Drahtglasfüllung inzwischen befindet, ist unbekannt. Jeder Ermittler muß wissen, daß sich aus dem Zustand des Glases Rückschlüsse auf die an der Tür während des Brandes entstandene Hitze ziehen lassen. Dies hätte in Zusammenhang mit der Tatsache der außerordentlich starken Verkohlung und Verkochung der Leiche Amoussou weiteren Aufschluß darüber geben können, ob im Vorbau Brandbeschleuniger verwendet wurden. Eine Untersuchung des in der Holzständerkonstruktion unter dem Vorbauboden befindlichen Brandschutts mit dem Photoionisationsdetektor hätte weitere Aufklärung geben können. Aber auch das wurde unterlassen.

3. Für die Art und Weise, wie sich eine Brandlegung durch einen Briefkastenschlitz vollziehen könnte, gibt es in der Akte von den Ermittlungsbehörden unbeachtete Anhaltspunkte. Schon in seiner Aussage am 03.04.1996 (Bd. I, Bl. 148) spricht der von der Staatsanwaltschaft zunächst als tatverdächtig angesehene René Burmeister davon, daß er mit einem Schlauch Benzin für seinen Wartburg aus einem FMH (Fahrrad mit Hilfsmotor) in einen Kanister abzapfte. Bei der Vernehmung am 01.08.1996 bestätigt Burmeister, daß er in der Brandnacht auf der Fahrt nach Lübeck einen 20-l-Kanister und zwei 5-l-Kanister bei sich führte. Bei einer Vernehmung ebenfalls am 01.08.1996 berichtet der Grevesmühlener Heiko Patynowski (Sd.bd. Originale, Bl. 104), Burmeister habe ”normalerweise regelmäßig im Kofferraum seines Wartburgs einen etwa 20 l großen Reservekanister liegen und einen Benzinschlauch”. Den Schlauch habe er gebraucht, weil er zu damaliger Zeit regelmäßig Benzin geklaut und in diesen Kanister abgefüllt hat. Da drängt sich nicht nur die Frage auf, warum nach Aktenlage Burmeister ausgerechnet in der Brandnacht von seiner Gewohnheit abgewichen und gleich zweimal -in Grevesmühlen und in Lübeck- an einer Shell-Tankstelle getankt haben will, sondern es läßt sich feststellen, daß mit den in dieser Nacht offensichtlich mitgeführten Gebrauchsgegenstänsden eine Brandlegung zumindest möglich gewesen wäre.

Heinecke Klawitter
Rechtsanwältin Rechtsanwältin