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Datum: 16.09.1996, Berliner Zeitung
Ressort: Nachrichten
Autor: Bo Adam
Frische Brandspuren im Gesicht
Verdacht gegen vier Mecklenburger / Die Leiche eines Beniners war mit Draht umwickelt

Neun der zehn Todesopfer des Brandes in der Lübecker Hafenstraße starben an Rauchvergiftung, sie erstickten oder stürzten beim Sprung aus den Fenstern in den Tod. Der Afrikaner Sylvio Amoussou starb anders. Aber wie - das wissen die Ermittler bis heute nicht. Die Feuerwehrleute fanden die Leiche des Mannes aus Benin im Erdgeschoß des Asylbewerberheimes, in einem hölzernen Vorbau an der Straße. Der Tote lag auf dem Bauch. Um seinen Körper herum war ein zwei Meter langer, dünner Draht gewunden.

Unter der Leiche wurde kein Ruß gefunden - also muß der junge Mann unmittelbar am Anfang der Katastrophe gestorben sein. Die Obduktion ergab keinen Hinweis auf eine Rauchvergiftung oder auf andere Todesursachen. Einzige Anomalie: eine dünne Fraktur in der Schädeldecke. Der untersuchende Rechtsmediziner nennt die Angelegenheit "noch klärungsbedürftig". Für die Staatsanwaltschaft ist der Fall Amoussou dagegen fast nebensächlich. In der Anklageschrift taucht sein Tod eher beiläufig auf, der Vollständigkeit halber. Denn zur Theorie der Anklage, daß der Brand von einem Hausbewohner im ersten Stock des Heimes gelegt wurde - und nicht durch Fremde von außen - paßt der Fall nicht. Aber was suchte der 27 Jahre alte Beniner mitten in der Nacht im Eingangsbereich des Heimes?

Ray Sossou, der im gleichen Zimmer wie Sylvio Amoussou schlief, berichtet, sie seien wachgeworden, hätten etwas gehört. Sylvio Amoussou sei hinausgerannt. Dann habe er nur noch "Feuer, Feuer" gerufen. Die Aussage stimmt überein mit der Behauptung des Vaters von Safwan Eid, der einen Knall im Vorbau gehört haben will, wie eine "Bombe". Schließlich ergaben die Ermittlungen, daß die Glasscherben eines zerstörten Fensters im Vorbau nach innen gefallen waren. Alles schwerwiegende Indizien dafür, daß der Brand doch durch Fremde gelegt sein könnte, die beim Eindringen in das Haus von Sylvio Amoussou überrascht wurden.

Wer aber könnten die Täter dann sein? Da die Ermittler dieser Frage kaum nachgingen, kann sie niemand jetzt beantworten. Hinreichend verdächtig sind allerdings vier Jugendliche aus Grevesmühlen, die in der Brandnacht in Lübeck waren und am Brandort gesehen wurden. Am nächsten Tag vernahm sie die Polizei. Drei dieser Jugendlichen trugen frische Brandspuren im Gesicht. Spuren, die nicht älter als 24 Stunden waren, wie der zuständige Rechtsmediziner bestätigte.

Dennoch ließen sich die Vernehmer mit abenteuerlichsten Erklärungen der Jugendlichen abspeisen. Wie etwa mit der eines möglichen Täters, mehrere Tage zuvor einen Hund angezündet und sich dabei etwas verbrannt zu haben.

Auch ein Motiv wäre den vier kriminellen Jugendlichen durchaus zu unterstellen: Spaß an Ausländer-Hatz. Der offenkundige Anführer der Gruppe, der 18jährige Maik W., läßt sich "Klein-Adolf" titulieren. Die Fahrt der Truppe nach Lübeck in der Brandnacht begann mit einem Hitler-Gruß.Unterwegs putschte sie sich auf mit Kassetten der Neonazi-Band "Böhse Onkelz". Gegen Maik W., dessen Vorstrafenregister Körperverletzung und Raub einschließt, ist ein Verfahren wegen Schändung jüdischer Gräber anhängig.

Dennoch war es der Lübecker Staatsanwaltschaft nicht möglich, den vier Jugendlichen den Mordbrand zuzutrauen. Im Gegenteil. Als publik wurde, daß die Sengspuren der Grevesmühlener am Brandtag frisch waren, versuchten die Ermittler, ein alternatives Alibi zu erstellen: Die Verkohlungen könnten vom Abfackeln eines gestohlenen Golfs herrühren, mutmaßte die Polizei. Allerdings ohne diese Theorie beweisen zu können. Vor wenigen Tagen tauchte ein zweiter Sanitäter bei der Polizei auf. Er erklärte, einer der vier Jugendlichen aus Grevesmühlen hätte ihm in einer Kneipe die Tat gestanden. Doch die Ermittler winkten erst einmal ab.

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